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So eisig die Nacht

von

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Epilog

25. 12.

18: 12 Uhr
 

Dafür, dass die ganze Sache sie alle tagelang dermaßen beschäftigt hatte, war sie letztendlich ziemlich schnell vorbei.

Die Polizei war dagewesen, doch nur, bis Eric Stanfordt eingetroffen war, der sich der ganzen Sache sofort angenommen und die Beamten weggeschickt hatte. Die Sache war noch nicht vom Tisch, das wusste Cormins, aber darum würden sich andere Leute kümmern, Leute, die höher gestellt waren als er oder einer seiner Kollegen.

Auch McAllisters Leichnam war abtransportiert worden, unauffällig und diskret, so wie es sich gehörte. Es gab keinen großen Auflauf an Leuten, bloß Stanfordt, und ein kleines Team, das man wohl als „Reinigungsgruppe“ bezeichnen konnte, wenn man weiterhin einen diskreten Umgang wahren wollte.

Die anderen Kollegen waren informiert - auch das hatte Stanfordt übernommen - aber es bestand keinerlei Notwendigkeit, dass sie hier auftauchten, nur, um noch die letzten Blutflecken auf dem Boden betrachten zu können, dort, wo Tasha McAllister sich das Hirn aus dem Schädel geblasen hatte.

Es war vorbei. Endgültig vorbei.

Gerne hätte Cormins sich einen Drink gegönnt, um diesen Umstand gebührend zu feiern, und das würde er mit Sicherheit auch noch tun - sobald Stanfordt sich endlich verabschiedet hatte. Momentan stand der noch mit prüfendem Blick und seinem Handy in der Hand in der Diele und beantwortete in knappen Sätzen Fragen, die ihm am anderen Ende der Leitung gestellt wurden.

Zuvor hatte er sich gut eine halbe Stunde lang mit Victor unterhalten, und Cormins wusste genau, dass er versucht hatte, herauszufinden, was McAllister in der Zeit, als sie hier gewesen war, von sich gegeben hatte. Ob Victor irgendetwas über das Projekt wusste, was er nicht wissen sollte.

Letztendlich war Stanfordt zu den Schluss gekommen, dass dem nicht so war. Cormins überraschte das nicht, auch wenn er keine Ahnung hatte, ob das der Wahrheit entsprach. Aber Victor war klug, und er wusste ganz genau, dass er, sollte er irgendetwas von McAllister erfahren haben, niemandem etwas davon erzählen sollte.

Am Allerwenigsten Mitarbeitern der Corporation.

Mit einem unterdrückten Seufzer wandte Dr. Cormins sich ab. Ja, am Ende war es wirklich schnell vorbeigewesen - er hatte es gar nicht glauben können, als Stanfordt ihn vor gut einer Stunde angerufen und ihm mittgeteilt hatte, dass das „Problem“ sich nun erledigt hatte. Und noch viel weniger hatte er glauben können, zu welcher Adresse er von seinem Kollegen gerufen worden war.

Dieser Teil hier jedoch, in dem ihm nahezu fremde Leute in seinem Haus herumstanden, dauerte Cormins bereits viel zu lange.

Er war grade im Begriff die Küche zu betreten, um sich vielleicht noch keinen Drink, aber zumindest einen Kaffee zuzubereiten - verdammt, er war seit siebzehn Stunden auf den Beinen und fühlte sich, als würde er jeden Augenblick im Stehen einschlafen - als er Stanfordt hinter sich in sein Telefon sagen hörte: „Ja, ich kümmere mich um den Bericht. Einen schönen Abend noch.“ Dann, ein wenig unbeholfen, gradezu hektisch: „Äh ja, genau! Frohe Weihnachten.“

Dann legte er auf. Cormins wandte sich zu ihm, lehnte sich gegen die weiß verputzte Wand des Flures und verschränkte die Arme vor der Brust. Das Ende von Stanfordts Telefonat kündete höchstwahrscheinlich endlich den Rückzug all dieser nervigen Menschen aus seinem Haus an. Endlich würden sie ihn in Ruhe lassen, und Cormins konnte sich seinen wohlverdienten Drink gönnen und sich dann ins Bett fallen lassen, um all den Schlaf nachzuholen, der ihm in den letzten katastrophalen Tagen verwehrt worden war.

Doch bevor er ging, würde Stanfordt mit Sicherheit noch einmal mit Cormins sprechen wollen.

Dieser Verdacht bestätigte sich auf der Stelle. Stanfordt kam auf Cormins zu, dabei sein Handy in seiner Tasche verstauend; er wirkte müde und abgespannt, so wie alle hier Anwesenden.

„Es ist vorbei.“, verkündete er in einem Tonfall, der zu einem Mann zu gehören schien, der eine lange, zermürbende Reise hinter sich hatte.

Cormins nickte. Wartete darauf, dass Stanfordt fortfuhr, und sich dann endlich verziehen und ihn in Ruhe lassen würde.

„Die Blutflecken werden noch entfernt, und dann sind alle hier verschwunden.“ Stanfordt machte eine unklare Handbewegung, als wisse er nicht wirklich, wie er sich artikulieren sollte - Cormins konnte ihm das nicht übel nehmen, dieses Gespräch war, ebenso wie Gesamtsituation, irgendwie surreal.

Aber Stanfordt hatte recht. Es war vorbei. Zumindest für sie.

Ein paar hochrangige Leute würden noch ein paar Anrufe tätigen und ein paar Akten beschönigen müssen, aber das war nicht ihre Angelegenheit; was sie hier hatten war die Leiche einer Person, die in den letzten Tagen ein ernsthaftes Problem dargestellt hatte.

Ein Problem, das nun beseitigt worden war.

„Sie beseitigen das Blut und verschwinden dann.“, wiederholte Stanfordt, als habe er vergessen, dass er das schon einmal mitgeteilt hatte. Er knöpfte seinen Mantel zu, war bereits dabei, sich umzudrehen und den Weg zur Haustür anzutreten, und Cormins hätte nicht übel Lust gehabt, ihn nach draußen zu schieben.

Dann jedoch hielt Stanfordt noch einmal inne. Er blickte Cormins an, kniff die Augen zusammen, als müsse er zunächst seine Gedanken ordnen, bevor er in der Lage war, auszusprechen, was ihm soeben noch in den Sinn gekommen war.

„Und wenn dein Sohn doch irgendetwas weiß, dann gibst du uns Bescheid. Nicht wahr, Owen?“

Der skeptische Tonfall, den Stanfordt in seine Stimme mit einfließen ließ, weckte in Cormins ein Gefühl kindischer Frustration. Sein Verlangen, den Kollegen eigenhändig nach draußen zu befördern, wurde stärker, aber das wäre keine gute Idee gewesen, nein. Ganz und gar nicht.

Also nickte er. Schaffte es sogar, ein kleines Lächeln zustandebringen, grade so stark, dass es nicht überfreundlich, nicht verdächtig wirken würde.

„Aber sicher, Eric. Ein schönes Weihnachtsfest wünsche ich dir.“

Kurz zögerte Stanfordt noch immer. Schien unsicher, ob er dem noch irgendetwas hinzufügen sollte, und hätte er das getan, so hätte Cormins wohl nicht mehr dafür garantieren können, dass er nicht doch irgendetwas Dummes getan hätte.

Dann jedoch nickte Stanfordt. „Sehr gut. Ja. …Dir auch schöne Weihnachten, Owen.“

Dann ging er.

Cormins blickte ihm nach, in sich die leise Befürchtung spürend, dass Stanfordt noch irgendetwas einfallen und er umkehren würde, vielleicht auch, um weiter nachzuhaken, was Victor betraf.

Aber Stanfordt ging weiter. Öffnete das Gartentor und trat auf den Gehweg, wandte sich nach links, und verschwand dann schließlich und endlich aus Cormins Blickfeld.

Ein Gefühl der Erleichterung überkam diesen. Endlich hatte er seine Ruhe. Die anderen Leute redeten zumindest nicht viel, und keiner von ihnen löste in Cormins ein solch unangenehmes Gefühl aus, wie Eric Stanfordt das tat. Es war keine Angst - Owen Cormins konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal Angst verspürt hatte, wenn er es überhaupt jemals getan hatte - es war eher ein gesundes Misstrauen, beinahe ein Instinkt, der sich immer dann meldete, wenn Menschen irgendwelche unberechenbaren Eigenschaften an sich hatten.

Und Stanfordt war ein solcher Mensch.

„Einen Scheiß werde ich dir erzählen.“, murmelte Cormins, nachdem er sich versichert hatte, dass niemand in seiner Nähe war, der ihn hätte hören können.

Ja, er würde versuchen, herauszufinden, ob Victor irgendetwas wusste, was er nicht wissen sollte. Ob McAllister, trotz ihres hochpsychotischen Zustands, in der Lage gewesen war irgendetwas zu sagen, das für niemanden außer Mitarbeitern der Corporation bestimmt war.

Cormins wusste nicht, ob er es herausfinden würde, wenn dem so war. Er konnte nicht einschätzen, ob Victor mit ihm reden würde, oder ob er ihm misstraute, aber er würde es versuchen.

Und falls er etwas herausfand, dann würde er Stanfordt ganz sicher nichts davon mitteilen.

Cormins wusste, was mit Leuten passierte, die Dinge über Projekte der Corporation wussten, die sie nicht wissen sollten. Die Prozedur, die in solchen Fällen durchgeführt wurde, hatte sich in den letzten Jahren zwar deutlich verbessert, war jedoch immer noch ausgesprochen schmerzhaft. Und keinesfalls frei von Nebenwirkungen. Cormins kannte die Statistiken, die eine Häufung von Gehirntumoren bei Betroffenen aufzeigten, von kleineren Nebenwirkungen wie motorischen Störungen, Anfallsleiden oder wiederkehrenden Blackouts ganz zu schweigen.

Was für Wechselwirkungen das Ganze mit Victors Epilepsie haben würde, konnte und wollte Cormins sich überhaupt nicht vorstellen.

Er hatte von Haystings gehört, wie schlecht es dem kleinen Sohn der McAllisters nach der „Behandlung“ gegangen war. Der Kleine hatte nicht geschwiegen, zumindest nicht, nachdem ein Kinderpsychologe, der auf extreme Belastungssituationen spezialisiert war, mit ihm gesprochen hatte. Nur zu bereitwillig hatte er erzählt, was er von der Treppe aus beobachtet hatte, nachdem ihn laute Geräusche mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen hatten.

Er hatte ziemlich lange dort gesessen, hatte er erzählt, war dabei wie gelähmt gewesen, und das bedeutete, dass er deutlich gesehen hatte, wie sein Vater von seiner Mutter erst ermordet und dann verstümmelt und teilweise verspeist worden war.

Ein Gedanke, bei dem Cormins ein leichter Schauer über den Rücken lief.

Natürlich wäre das schwierig zu erklären gewesen. Die Version der Geschehnisse aus Sicht der Corporation war zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz ausgearbeitet gewesen, doch sie beinhaltete keinesfalls die Anwesenheit einer gestörten Person, die Menschen auffraß. Das würde viel zu viele Fragen aufwerfen.

Also war ihnen gar nichts anderes übrig geblieben, als dafür zu sorgen, dass die Erinnerungen des Kindes an all diese Dinge verschwanden.

Tja. Und nun lag der Junge im Koma, nachdem er eine Reihe von Krampfanfällen erlitten und sich dabei derart heftig auf die Zunge gebissen hatte, dass ein Stück davon abgetrennt worden war. Etwas von dem Blut war in seine Lunge gelangt, und Cormins hatte zwar keine Ahnung, was der letzte Stand der Dinge gewesen war, doch so etwas war grundsätzlich nie gut. gut möglich, dass das Kind nie wieder erwachen würde, und das wäre zwar ärgerlich, aber niemand bei der Corporation würde deswegen nachts schlecht schlafen. Das wäre eben ein anderer Weg, wie sich das Problem lösen ließ.

Nein. Stanfordt würde einen Scheißdreck erfahren. Er sollte sich um seinen eigenen Kram kümmern, darum, dass auch die letzten Schritte in die Wege geleitet wurden, und dieser ganze dampfende Haufen Kacke auch auf dem Papier endlich ein Ende fand. Dazu wäre es wirklich höchste Zeit, wie Cormins fand. Nach all dem Stress, den sie in den letzten Tagen hatten durchmachen müssen, war es wirklich überfällig, dass endlich wieder Normalität einkehrte. Grade für ihn, wo er doch, ganz offensichtlich, nur knapp dem Schicksal entronnen war, das seiner Kollegin Armstrong wiederfahren war.

„Frohe Weihnachten!“, murmelte Cormins, für keinerlei fremde Ohren bestimmt, und während er in die Küche ging um sich endlich seinen wohlverdienten Drink einzuschenken, summte er leise die Melodie von „Deck the Halls“ vor sich her.

„Frohe Weihnachten, und auf ein weiteres, ereignisreiches Jahr in diesem beschissenen Job!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  AliceNoWonder
2019-09-13T14:42:00+00:00 13.09.2019 16:42
Huhu erstmal vielen Dank für deinen Beitrag bei meinem Wettbewerb. Zu der Bewertung für den Wettbewerb: die dunkle Seite hast du in jeder Hinsicht getroffen. Schon allein ein Wendigo ist düster, dazu die ganzen Morde, Kannibalismus und das Tasha nicht weiß wer sie ist. Mir gefällt es, wie du sie langsam zu Wendigo wird, sowie immer noch ein Mensch bleibt. Auch den Satz hast du am Ende gut eingebracht. Der hat schön in die Story gepasst. Das du die Story ausgeschöpft hast bis der Satz kommt finde ich gut.
Zu deiner Geschichte insgesamt: mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Es hat Spaß gemacht sie zu lesen und mit Tasha mit zu fibern, ob sie nun komplett zum Wendigo wird oder doch noch einen Teil Menschlichkeit erhalten kann. Trotz des Endes würde ich sagen dass die Menschliche Seite gewonnen hat. Dein Schreibstil hat mir auch sehr gut gefallen. Er ist schon flüssig zu lesen. Man konnte wunderbar mitfühlen. Eine kleine Anmerkungen, ist nicht schlimmes. An einigen Stellen hat sich noch ein kleiner Rechtschreibfehler eingeschlichen. Nichts wildes, nur ab und zu ein Buchstabe, wo man sich vertippt hat. (z. B. um statt im)

LG Alice
Antwort von:  ReptarCrane
13.09.2019 21:33
Hallo,
Vielen lieben Dank erstmal für deinen Kommentar!
Es freut mich auch wirklich sehr, dass es dir so gut gefallen hat - ich selber hatte die Sorge, dass das alles zu wenig ausgearbeitet ist, dadurch, dass mir am Ende 20000 Wörter auch plötzlich sehr knapp vorkamen :‘D
Aber wenn alles gut wirkt, bin ich beruhigt!
Hach, das mit den Tippfehlern ärgert mich; ich hab wirklich einige Male drübergelesen, weil ich genau das erwartet hatte, aber irgendwann nichts mehr gefunden. Manchmal bin ich dann einfach blind!
Wie gesagt, es freut mich, dass es dir gefallen hat. Außerdem bedanke ich mich selber für die Inspiration, die ich durch diesen Wettbewerb hatte - ich hab vorher nämlich seit mindestens anderthalb Jahren keine Geschichte mehr fertiggeschrieben!

LG,
Nova
Antwort von:  AliceNoWonder
14.09.2019 08:24
Freut mich dass die Geschichte dir die Inspiration gegeben hat wieder eine Geschichte zu schreiben ^^ die kleinen Tippfehler sind ja nicht schlimm. Ist meistens so dass man bei seinen eigenen Sachen was überließt ^^

LG Alice


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