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Von La Sadie's zu Dir en Grey- Ein steiniger Weg

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich habe mich mit dem ersten Teil des Kapitels ein bisschen schwer getan, weil mein Fokus auf Kyos und Daisukes Problemen lag und ich mir nicht sicher war, wie lang ich das jetzt hinauszögern soll. Außerdem kam noch hinzu, dass ich zu dieser Tour irgendwie das wenigste gefunden habe. Zwar waren die Jungs 2011 wieder auf dem Wacken, aber ich wollte nicht noch ein Wacken-Kapitel schreiben.
Naja, lange Rede kurzer Sinn- jedenfalls hab ich beschlossen, das Kapitel erst mal hochzuladen. Hoffe euch gefällt es trotzdem ;). Komplett anzeigen

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Verlust

Die erste Stadt sollte Los Angeles sein und das Hotel lag ganz in der Nähe der Konzerthalle. Kyo beschloss jedoch im Hotel zu bleiben, denn das fremde Land bereitete ihm eher Unbehagen, was wohl auch damit zu tun hatte, dass sein Englisch nicht gerade das Beste war. Klar konnte er sich schon irgendwie verständigen, wenn er wollte, doch er wollte schlicht und ergereifend einfach nicht. Warum auch sollte er neue Leute kennenlernen? Bei diesem Gedanken schüttelte er sich kurz. Und dann würde ihn vielleicht noch jemand erkennnen. Dieses Risikio war er nicht bereit einzugehen, denn dann würde er reden müssen. Nein, ausgeschlossen, er blieb in den sicheren Wänden des Hotels, da störte ihn niemand und er konnte ungehindert zeichnenen oder was auch immer tun.

Achtlos glitt ihm die Tasche aus der Hand und er holte sich ein Wasser aus der Minibar. Auch diese Tour hatte der Sänger drauf bestanden in einem Einzelzimmer unter zu kommen, denn sie würden mehrere Monate unterwegs sein, da brauchte er seine Ruhe und konnte sich keine schrillen Parties leisten. Auch hatte er wenig Lust sein Zimmer mit einem seiner Bandkollegen zu teilen, die ihm ohnehin dauernd viel zu viel über ihre privaten Angelegenheiten erzählten. Irgendwie mochte er sie schon, aber manchmal nervten ihn die Jungs auch. Außerdem konnte er auch nicht riskieren, dass sie von seinem Dilemma Wind bekamen. Shinya hatte ohnehin schon viel zu viel mitbekommen und Kyo konnte nur hoffen, dass Kaoru die Füße still hielt und ihn nicht etwa noch in eine dumme Situation brachte. Der Sänger ließ sich auf’s Bett fallen, dass die Federn unter seinem Gewicht leicht quietschten und starrte an die Decke. Morgen Vormittag würde er sich ein bisschen einsingen.

 

Toshiya betrachtete seinen schlafenden Schatz. Wenn er doch immer so friedlich sein könnte. Seit dem letzten Streit hatten sie kaum ein Wort gewechselt und dem Bassisten fiel es mehr als schwer seinem Drang, sich an Die zu kuscheln, nicht nachzukommen. Er war noch immer verletzt, konnte das sein Liebster denn nicht verstehen? Warum nur hielt er ihn gerade so krass auf Abstand? War ihm die Beziehung doch zu viel und sehnte er sich nach seiner Freiheit zurück? Nach den Affären, die ihn möglicherweise doch glücklicher machten, als das Zusammensein mit ihm? Toshiya biss sich auf die Unterlippe, um die Tränen zurück zu halten. Am liebsten würde er eine Runde spazieren gehen, doch er hatte Angst, dass Die dann verschwunden sein könnte. Deshalb blieb er im Hotelzimmer und wachte über seinen Liebsten. Vielleicht konnte er später mit ihm reden, wenn er aufwachte. Vorsichtig strich er dem Gitarristen eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hätte ihn so gerne geküsst. Da rutschte Die auf einmal näher zu dem Bassisten und legte seine Hand auf dessen Oberschenkel. Dennoch hielt er seine Augen weiterhin geschlossen. Ein schwaches Lächeln huschte über Toshis Gesicht.

„Ach Die…wenn ich doch nur wüsste, was mit dir los ist…“, flüsterte er kaum hörbar zu sich selbst.

 

„Hey…bist du bereit für die Tour?“, fragte Shinya und Kaoru schaute von seinem Laptop auf.

„Mhh, denke schon…ich hoffe die anderen drei sind es auch.“

„Ja…meinst du, ich soll zu Tooru gehen? Vermutlich will er niemanden sehen und verbarrikadiert sich in seinem Zimmer, aber…ich weiß auch nicht“, überlegte der Drummer laut vor sich hin.

„Wir können es wohl beide nicht lassen. Versuchen unsere Band mit aller Kraft zusammen zu halten. Ich bin wirklich froh, dass ich dich habe Shin-chan…du bist irgendwie gerade der einzige, der mich nicht innerhalb kürzester Zeit auf die Palme bringt.“

Der Drummer lachte etwas verlegen und zwirbelte seine Haare zwischen den Fingern.

„Naja, wenn nicht wir, wer dann? Weißt du, was mit Toshiya und Daisuke los ist?“

Kaoru legte seine Arbeit zur Seite und seufzte tief.

„Ich wünschte ich wüsste es…hoffentlich trennen sie sich nicht…das wäre fast so schlimm, wie Kyos Stimmverlust.“

„Hoffen wir mal nicht das Schlimmste…ich schau mal nach ihm…“

Der Leader nickte nur und versuchte seinem Drummer ein ermutigendes Lächeln zu schenken.

 

Am Tag des Konzertes bekam Kyo kaum einen Bissen runter, weil ihn das Lampenfiber packte. Wie eine Raubkatze tigerte er in der Halle auf und ab, sang sich ein bisschen ein und verschwand schließlich im Backstagebereich, um sich für das Konzert vorzubereiten. Er schlüpfte in seine recht weite schwarze Hose und beschloss das Make up, sowie die Kontaktlinsen sein zu lassen. Seine Stimme versuchte er zu schonen und trank noch einen letzten Schluck Wasser. Da kam Die auf ihn zu und grinste breit.

„Oho…welch Anblick, willst du dass die Damen schon beim ersten Song in Ohnmacht fallen?“, scherzte der Gitarrist und der Sänger konnte sich ein kaum merkliches Grinsen nicht verkneifen. Lässig zuckte er mit den Schultern.

„Ich weiß halt, dass ich umwerfend bin. Außerdem ist es auf der Bühne verflucht heiß, da kann ich auch gleich das Shirt weglassen.“

„Wenigstens halbwegs normal“, mischte sich jetzt auch ihr Leader ein.

 

Die Shows verliefen meist gleich. Nach dem Konzert kreischten die Fans nach einer Zugabe und die bekamen sie. Die Band tourte durch die USA und dann folgte Europa. Erst wieder auf dem deutschen Festival, auf dem sie schon einmal aufgetreten sind und wenig später noch ein paar größere Städte. Zwischendurch bekamen sie hin und wieder eine kleine Auszeit, in der sie sich erholen konnten, doch im Großen und Ganzen war Kyo sehr zufrieden mit dem Bandleben und auch Die und Toshiya schienen sich wieder vertragen zu haben. Der Sänger wirkte sogar schon fast etwas aufgeschlossen und ließ es sich auch nicht nehmen während der Liveauftritte mit seiner Band zu agieren. Show folgte auf Show und der kleine, schwarzhaarige Sänger konnte gar nicht genug von diesem Leben bekommen. Auf der Bühne gab er sich diesem schon fast irren Gefühl hin- der Musik und es berauschte ihn von Mal zu Mal mehr. Oft behielt er seine Augen geschlossen um ganz zu versinken. Seine Stimme bewegte sich in den wildesten Nuancen, erklang in den schrillsten und schönsten Tönen. Manchmal konnte es Kyo selbst kaum mehr kontrollieren. Es war schon fast so, als würde dies automatisch passieren. Hier präsentierte er sich in voller Größe und lebte das Gegenteil von seinem sonstigen Ich aus. Denn nur hier war ihm das möglich. Die Melodie ergriff ihn wie ein Tornade und schleuderte ihn sogleich in die Luft, wo er zu tanzen begann. Er liebte diese Perfektion seiner Band, wie sie miteinander harmonierten und sich gegenseitig ergänzten.

Doch jedes Mal nach einem Konzert ließ der Rausch viel zu schnell nach und Kyo verschloss sich der Welt wieder. Wenn Musik wahrhaftig eine Droge wäre, so wäre das die seine, denn dieses Gefühl machte ihn irgendwie abhängig, auf eine wundervolle Art und Weise. Deshalb entging ihm wohl auch, dass seine Karriere wohl mehr und mehr am seidenen Faden hing. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die vielen Shows beanspruchten seine Stimme, das machten auch die Pausen zwischendurch nicht besser und auch, wenn sich Kyo den Partyplänen der anderen nicht anschloss, kaum Alkohol trank und auch sonst mehr als üblich auf seine Gesundheit achtete, schlich dieser dunkle Schatten Tag und Nacht um ihn herum. Doch der Sänger ignorierte ihn, wollte ihn nicht wahrhaben und bildete sich ein, er wäre nur ein Trugbild seiner krankhaften Fantasie.

 

Nun stand das letzte Konzert an. Kyo betrat sein Reich. Ihn umfing tosender Jubel und das stetig ansteigende Geschrei der Fans. Mit geschlossenen Augen umklammerte er sein Mikrofon und lauschte der Musik. Gitarre, Bass, zweite Gitarre und das Schlagzeug. Diese nahm Farben an, wenn auch nur eher düstere Farben, wie grau oder schwarz. Hin und wieder verirrte sich ein roter oder violetter Schimmer in dieses Gemisch. Und nun endlich setzte sein Part ein, der Gesang. Schon zu beginn der Show merkte der Sänger, dass heute irgendetwas anders war als sonst. Er begann zu singen, setzte sein ganzes Stimmvolumen ein, dabei geriet er ins Taumeln. Fing sich jedoch wieder. Kyo ließ alles raus, kreischte, ging wieder hoch in einen eher befremdlichen Singsang und sank zurück ins Growlen. Immer wieder hüpfte er auf das Podest und schrie ins Mikrofon. Alles verschwamm und seine Welt hielt ihn gefangen, ließ ihn agieren, duldete kein entfliehen. Schon fast überkam ihn das Gefühl, als würde ihm sein Körper nicht mehr gehorchen. Schwankend trugen ihn seine Beine gerade noch so. Und erneut der Part, wo er ins Mikro schrie. Sein Herz pochte wild in seiner Brust und ohne es wirklich zu realieseren schlug er das Mikrofon gegen seinen Oberkörper. Doch der erhoffte Schmerz, der ihn zurück in die Realität holen sollte, blieb aus. Immer und immer wieder schlug er auf sich ein. Ohne Erfolg. Der Schatten der letzten Monate tanzte mit ihm, streckte seine Klauen nach ihm aus und Kyo lief es eiskalt den Rücken runter, als er endlich kapierte, was da gerade passierte. Erschrocken riss er pansich die Augen auf, versuchte seiner Attacke Herr zu werden und schnappte in kurzen Atemzügen nach Luft, während er sich fester ans Mikro klammerte, dass seine Knöchel weiß hervor traten. Doch der erhoffte Hilfeschrei blieb ungehört. Sein Schreien blieb ungehört, weil es keinen Schrei gab. Kein Ton. Nichts. Kyos Hände zitterten und hilfesuchend wand er seinen Blick dem Leader zu. Kaoru musste doch merken, dass hier gerade etwas gewaltig schief lief. Doch nichts. Abgewand klimperte der Gitarrist auf seinem Intrument. Kyo stolperte näher zu Toshiya und dieser erwiderte seinen Blick. Auch bei seinem Bassisten spiegelte sich nun die nackte Angst und die tiefen Saiten des Basses hörten augenblicklich auf zu klingen. Der Sänger taumelte nun noch mehr, weil ihn allmählich seine Kräfte verließen. Irgendetwas Beängstigendes ging da in seinem Inneren vor. Bevor noch schlimmeres passierte, verließ er fluchtartig die Bühne und wünschte sich, der Boden täte sich unter ihm auf. Er hatte alles zerstört. Hatte alle, die ihm etwas bedeuteten, enttäuscht und sich selbst sowas von belogen und betrogen. Seine Stimme versagte ihm ihren Dienst. Kyo schlug sich seinen Weg durch die Crew. Drängte die Menschen, die sich ihm in den Weg stellten, grob mit den Händen zur Seite. Er rannte, wollte weg von diesem Ort der Schande. Seine Lungen brannten, doch er rannte weiter. Weg von den Massen an Menschen, bis zum schützenden Tourbus.

Dort brach er vollends zusammen und erst jetzt bemerkte er das getrocknete Blut an seinen Händen. Wie hypnotisiert starrte er seine zitternden Hände an und fuhr die Linien in seinen Handflächen nach. Schließlich wagte er einen Blick an sich herab und da wurde ihm klar, dass es sich um sein eigenes Blut handelte. Sogleich empfing ihn der stechende Schmerz der Wunde und wimmernd brach er erneut zusammen. Heiße Tränen benetzten seine Wangen. Kyo wollte schreien, doch keinen Ton brachte er über seine Lippen. Um ihn herum herrschte plötzlich Aufruhr, dabei wollte er doch nur allein sein. Das unendlich laute Stimmengewirr schwoll an und er presste seine Hände auf die Ohren. Zu viel Lärm.

Irgendjemand zog ihn hoch, doch er wehrte sich mit Tritten dagegen.

„Ich brauche Hilfe!“, rief jemand und erneut wurde er gepackt. Dieses Mal mit Erfolg, so sehr er auch um sich schlug und Tritte mit den Füßen austeilte. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr und der Sänger ließ sich nun endgültig von der Dunkelheit einlullen. Ihm war egal, dass seine Arme und Füße fixiert wurden, um ihn ruhig zu stellen. Alles war egal. Kyo hasste sich, denn er hatte es geschafft, das zu zerstören, was ihm am Wichtigsten war. Seine Musik, seine Leidenschaft, sein Leben. Wenn er dazu fähig gewesen wäre, hätte er sich jetzt die Pulsadern erneut aufgeschnitten, doch dieses Mal richtig. Er spürte ein Pieken im Arm und dämmerte allmählich weg. Seine Lider wurden immer schwerer und sein Körper erschlaffte. Endlich umgab ihn eine wundervolle Ruhe.

 

„Scheiße, scheiße, scheiße!!!“, fluchte Kaoru nun schon eine gefühlte halbe Stunde. Das war mal eine Glanzleistung von Ende gewesen. Sechs Augenpaare musterten den Dir en Grey Leader, doch dieser wollte gerade nicht die Verantwortung für das, was da eben auf der Bühne passiert war, übernehmen. Und Antworten konnte er schon gar nicht geben, dafür war er viel zu aufgebracht. Zu spät hatte er gemerkt, was mit Kyo los war, weil er sich so auf’s Spielen konzentriert hatte. Erst, als Toshiyas Bass schräg hinter im erstarb, wurde er auf den Sänger aufmerksam. Kyos aufgerissene Augen richteten sich auf den Bassisten. Er stand mit dem Rücken zum Publikum und schwankte gefährlich hin und her. Aus der nicht ganz ungefährlichen Verletzung seiner Brust sickerte noch immer Blut und noch bevor Kaoru handeln konnte, ergriff Kyo die Flucht. Die Band beendete ihr Konzert, so als wäre es geplant und würde zur Show gehörte. Doch innerlich tobte Leader. Shinya erreichte den Tourbus als erstes und alamierte sogleich den Notarzt, der auch keine Zeit zu verlieren schien und wenige Minuten später eintraf, um den kleinen Kampfzwerg abzutransportieren. Natürlich nicht ohne dessen Protest. Wie ein tollwütiges oder verletztes Tier schlug und trat er um sich. Kaoru war sich auch sicher, dass er mit Sicherheit geschrien hätte. Doch das war das Problem. Kyo konnte nicht mehr schreien.

Auf einmal sprang Daisuke auf.

„Ich fahre zu ihm. Ich kann nicht riskieren, dass er allein ist, wenn er aufwacht.“

Der Gitarrist stieß auf keinerlei Widerstand seiner Band und stolperte aus dem Bus, um sich ein Taxi zum Krankenhaus zu ergattern. Die wusste selbst nicht, warum ausgerechnet er Kyo folgen wollte. Zwar verstanden sie sich, aber oft überkam ihn das Gefühl, das er derjenige war, der dem Sänger am unwichtigsten war. Klar, sie kamen miteinander aus und er würde Kyo schon als seinen Freund bezeichnen, doch wann hatten sie sich das letzte Mal unterhalten? Immer hielt er alle auf Abstand, nur Shinya oder Toshiya schienen manchmal zu ihm durchzudringen. Toshi, sein liebster Toshi. Doch über diese Baustelle in seinem Leben wollte er gerade so gar nicht nachdenken. Ebenso über andere Probleme, die er gerade sehr gut ausblendete. Und Kyos Auftritt würde hoffentlich erst Mal für genug Aufruhr sorgen und von seinen Sorgen ablenken. Insgeheim wusste er natürlich, dass er Toshiya nichts vormachen konnte. Vermutlich ahnte sein Bassist schon lange, was ihn bedrückte.

„Können Sie nicht schneller fahren?“, fuhr er den armen Taxifahrer an, der ja nun wirklich nichts für seine miese Laune konnte und wohl kaum etwas an dem Verkehr in Tokio zu ändern vermochte. Der ältere Mann zuckte auch leicht zusammen und nuschelte irgendwas vor sich hin. Die lehnte sich in den Sitz und trommelte nervös mit den Fingern auf seinem Oberschenkel. Nach einer halben Stunde erreichten sie endlich das Klinikum und der Gitarrist bezahlte. Sprang aus dem Wagen und eilte so schnell wie möglich dem hell beleuchteten Block entgegen.

Krankenhausluft empfing ihn, als er durch die Drehtür kam. Schließlich fragte er sich nach seinem Sänger durch und musste seine grauen Zellen doch tatsächlich anstrengen, um darauf zu kommen, wie Kyo eigentlich mit vollem Namen hieß. Glücklicherweise ließ ihn sein Gehirn nicht im Stich und er wurde auf das Zimmer geleitet.

Kyo schien irgendwie noch zu schlafen. Eine junge Schwester gesellte sich zu dem Gitarristen.

„Sind Sie ein Freund?“, fragte sie. Die nickte nur und schluckte. Denn irgendwie wurde ihm erst jetzt das ganze Ausmaß der Situation klar.

„Ja…irgendwie…wird er wieder?“

„Dazu können wir morgen mehr sagen. Der Chefarzt unterzieht ihn morgen mehrerer Gesundheitschecks.“

„Fuck!“, fluchte Daisuke leise, ließ sich auf den Stuhl neben Kyos Bett sinken und versteckte sein Gesicht hinter den Haaren.

„Kann ich bei ihm bleiben?“, fragte er die Schwester dann.

„Eigentlich dulden wir in der Nacht keine Besucher.“

„Bitte…er kann nicht allein sein. Wenn es Ärger gibt, kann ich mich auch solange im Schrank verstecken oder mir einen Arztkittel borgen“, schlug der Rotschopf vor und das junge Mädchen kicherte verlegen und amüsiert zugleich.

„Ähm…schon gut. Ich sehe, was ich machen kann. Bleiben Sie einfach da und lassen mich wissen, wenn Sie etwas brauchen.“

„Danke.“

Daisukes Blick ruhte auf dem schlafenden Sänger und er fragte sich nicht zum ersten Mal, wie schlimm es um seinen psychischen Gesundheitszustand wirklich stand. Irgendwo hatte er in einem Musikmagazin gelesen, dass sich die Psyche auch auf die Stimme auswirken konnte. Traf das etwa bei Kyo zu? Ging es ihm so schlecht? Dabei wirkte er doch in den letzten Monaten schon fast fröhlich und ausgeglichen. Irgendwann nickte der Gitarrist dann weg und sein Kopf sank auf’s Bett, nicht unweit von Kyos Hand entfernt.

 

Schmerzen. Unerträgliche Schmerzen plagten Kyo. Noch immer machte sein Körper keine Anstalten sich zu bewegen, wenn er das wollte. Ein beißender Geruch stieg ihm in die Nase und augenblicklich wurde ihm speiübel. Nein, nicht schon wieder. Und dieses Mal schien er der Situation völlig ausgeliefert zu sein, weil er sich nicht regen konnte, geschweigedenn sprechen. Eine erneute Panikattacke kündigte sich an. Sein Herz begann zu rasen und Schweiß trat auf seine Stirn. Seine Füße gefroren zu Eisklötzen und auf seinen Handflächen bildtete sich ein schmieriger, schweißiger Film. Doch auf einmal spürte er eine Hand auf seiner Schulter und der Krankenhausgeruch vermischte sich mit einem vertrauten Geruch. Noch immer panisch riss der Sänger die Augen auf und brauchte eine Weile, bis er erkennen konnte, dass Daisuke neben ihm auf der Bettkante hockte und seine Hand hielt. Augenblicklich entzog er ihm diese. Die? Warum ausgerechnet Die? Hatte er die anderen so sehr enttäuscht? Und wieder plagten ihn diese unerträglichen Schuldgefühle.

„Wie geht’s dir?“, fragte der Gitarrist und Kyo zuckte mit den Schultern.

„Kannst du reden?“

Er schüttelte mit dem Kopf und Die verschwand kurz, kehrte jedoch wenig später mit einem Block und einem Stift zurück, die er dann an den Sänger übergab.

 

Was machst du hier?

 

„Schauen, wie es dir geht natürlich. Du hast uns allen einen ordentlichen Schrecken eingejagt.“

 

Sind die anderen sehr sauer auf mich?

 

„Naja, sauer nicht denk ich…eher enttäuscht vielleicht.“

 

Ist Toshiya nicht bei dir?

 

Die schüttelte den Kopf.

„Bin allein her gefahren, weil ich nicht wollte, dass du aufwachst und niemand ist bei dir.“

 

Danke. Kannst du mir einen Gefallen tun und Shinya anrufen? Ihm sagen, dass es mir soweit gut geht.

 

Der andere Musiker nickte und verschwand ein zweites Mal. War das tatsächlich das Ende von Dir en Grey? Kyo schluckte schwer, weil er das eigentlich nicht glauben wollte. Doch er hatte es versaut und vermutlich nicht nur seine Karriere ruiniert, sondern auch seine Freunde verloren. Er schluckte diese dummen Tränen runter. Da kam Die auch schon zurück und setzte sich vorsichtig wieder zu ihm. Erneut griff der Sänger zu Zettel und Stift.

Hast du ihn erreicht?

 

Dieser nickte, wirkte jedoch eher zurückhaltend, deshalb fixierte ihn der Sänger.

„Na schön…er ist weggefahren und will vorerst niemanden von uns sehen. Ich vermute er ist bei seiner Familie.“

Diese Worte reichten, um Kyo das Herz zu brechen. Shinya, sein Shinya verachtete ihn. Jetzt hatte er es ganz und gar versaut. Heiße Tränen benetzten sein Gesicht, welches er in dem Kissen zu vergraben versuchte.

„Das wird schon wieder. Jetzt konzentrieren wir uns erst Mal darauf, dass du wieder auf die Beine kommst und dann sehen wir weiter. Morgen will dich der Chefarzt untersuchen, um herauszufinden, was dir fehlt.“

Kyos Blick wurde wieder leicht panisch.

 

Und was isst, wenn er sagt, dass ich nie wieder singen kann? Die! Ich hab Angst.

 

Der Sänger vermochte nicht genau zu sagen, woran es lag, doch Die schien der einzige aus seiner Band zu sein, der ihm irgendwie wohlgesonnen war. Deshalb beschloss er etwas zu tun, was er sehr selten tat. Seine Hand kritzelte die Worte sehr unleserlich auf den Zettel, doch der Gitarrist schien sie entschlüsseln zu können und grinste Kyo an.

„Aber ich will nicht auf dem Sessel pennen…“

Der Jüngere rollte leicht genervt mit den Augen.

 

Dann komm ins Bett.

 

Daisuke glaubte nicht richtig zu lesen. Nicht, dass er seinen Sänger unattraktiv fand, aber mit ihm in einem Bett schlafen?

„Pass auf, ich telefoniere kurz mit Toshi und bin gleich wieder da.“

Kyo nickte, was sonst blieb ihm auch anderes übrig.

Die streifte sich seine Schuhe ab und schlüpfte zu ihm unter die Decke. Er fühlte sich seinem Sänger so nahe wie noch nie. Aber nahe im freundschaftlichen Sinne und irgendwie tat ihm das gut.

„Kyo…darf ich dir was erzählen?“, fragte er schließlich und der andere nickte.

„Ich…ich glaub ich bin wieder da, wo ich schon Mal gewesen bin…kann kaum mehr essen…dafür trinke ich das, was ich essen sollte…und Toshi weiß das. Wir streiten deshalb viel…“

 

Mhh, ich weiß und das ist mehr als dumm von dir. Toshiya liebt dich Dai Dai. Mach dir das nicht kaputt. Nicht so. Du musst mit ihm reden.

 

„Aber was ist, wenn er mich dann nicht mehr will? Was mach ich, wenn er mich dann hässlich findet oder sich vor mir ekelt? Das würde ich nicht ertragen“, flüsterte der Ältere, doch Kyo schüttelte nur mit dem Kopf.

 

Quatsch. Toshi ist nicht dumm und du sagst ja selbst, dass du vermustest, dass er was weiß oder ahnt. Rede mit ihm. Gleich morgen.

 

„Na gut, aber nur, wenn ich dir morgen Kaoru vorbeischicken darf…er macht sich Sorgen um dich.“

 

Nur, wenn du garantieren kannst, dass er mir nicht den Kopf abreißt.

 

Die musste lachen.

„Keine Angst, das wird er nicht. Wir sollten noch ein bisschen schlafen. Gute Nacht.“

 

Daisuke blieb noch, bis der Chef Kyo durchgecheckt hatte, um sicher zu gehen, dass es dem kleinen Warumono halbwegs gut ging. Auch durfte er bei dem Gespräch anwesend sein, was der Arzt mit Kyo führte.

„Also, Herr Nishimura. Die gute Nachricht ist, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% wieder genesen. Die schlechte Nachricht ist, dass Sie jetzt mindestens einen Monat nicht reden dürfen und ich kann nicht sagen, wann sie wieder auf die Bühne können. Sie sollten noch zwei Tage hier bleiben und ich werde jeden Tag kommen und Ihnen persönlich Ihre Medikamente verabreichen. Die erste Dosis bekommen Sie jetzt. Drei Mal täglich zur Behandlung der Stimmbänder. Das wär’s soweit. Sie haben die Erlaubnis herum zu laufen. Viel Trinken ist gut. Bis später.“

Mit einem Nicken verabschiedete er sich und Kyo seufzte. Griff nach Dies Hand und drückte diese. Der Gitarrist lächelte seinen Sänger liebevoll an.

„Ich gehe zu Toshiya…soll ich später noch Mal wiederkommen?“

Kyo nickte.

 

Daisuke kam im Hotel an, doch sein Zimmer war leer. Er zog seine stinkigen Klamotten aus und begab sich unter die Dusche. Wie gut das doch tat. Warmes Wasser regnete auf seine verschwitzten Körper und er seifte sich ein.

Im Zimmer war noch immer kein Toshi. Der Gitarrist seufzte und schlüpfte in einen bequemen Pulli und die kurze Shorts. Er öffnete die Balkontür, um eine zu rauchen. An Essen war nicht zu denken, denn schon bei dem Gedanke, etwas Festes zu sich zu nehmen, drehte sich sein Magen rum. Deshalb beschloss er mit Wasser anzufangen. Kein Alkohol. Immerhin ein Anfang.

Er zuckte leicht zusammen, als die Tür ins Schloss fiel.

„Die?“, wisperte sein Liebster kaum hörbar. Mit wenigen Schritten war er bei dem Bassisten und schloss ihn fest in seine Arme. So verharrten sie eine ganze Weile und es tat so gut.

„Tosh…es tut mir so leid…“, flüsterte er und drückte sein Gesicht an Toshiyas Brust. Dieser kraulte seinem Gitarristen den Kopf und konnte gerade kaum mit Worten beschreiben, wie glücklich er war.

„Ich weiß…wie geht es Tooru?“

„Soweit ganz gut, aber ich will später noch Mal zu ihm. Kommst du mit?“

„Sehr gerne.“

Plötzlich wurde die Miene des Älteren wieder ernster und er löste sich aus der Umarmung.

„Ich muss dir was sagen…“, flüsterte er und der Bassist schaute seinen Liebling besorgt an.

„Vor ein paar Jahren hatte ich eine Essstörung…doch hab ich das immer irgendwie wieder in den Griff bekommen…naja, bis jetzt.“

„Aber warum hast du mir nie etwas davon erzählt?“

„Weil ich fürchtete, du könntest mich nicht mehr lieben. Findest mich unattraktiv…“

Toshiya zog Die wieder in seine Arme.

„Manchmal bist du echt bescheuert. Ich hab mir schon das Schlimmste ausgemalt. Dachte, du findest mich langweilig und vermisst es, mit den Fans zu flirten oder sie abzuschleppen…sorry…“

Die sah seinen Freund etwas schockiert an und rollte dann mit den Augen.

Das hast du geglaubt? Da bin ich wohl nicht der Einzige, der bescheuert ist…“, amüsierte er sich jetzt ein bisschen.

„Wir sollten wohl echt wieder mehr miteinander reden.“

„Das sollten wir“, antwortete der Gitarrist und küsste seinen Liebsten endlich. Viel zu lange hatten sie schon keine Zärtlichkeiten mehr ausgetauscht und erst jetzt merkte Daisuke, wie ihm die Nähe seines Schatzes doch gefehlt hatte.

„Aber Die…du musst mir versprechen wieder mehr zu essen“, nuschelte der Bassist in den Kuss.

„Hilfst du mir dabei? Allein schaff ich das nicht Tosh.“

„Natürlich…danke, dass du es mir gesagt hast. Wir bekommen das hin, zusammen.“

„Ich liebe dich so sehr Toshiya…denk bloß nie wieder, ich würde dich gegen eine meiner Affären eintauschen wollen…“

Der Schwarzhaarige nickte etwas verlegen und auf einmal war ihm der Gedanke mehr als peinlich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  yamo-chan
2020-02-08T14:37:48+00:00 08.02.2020 15:37
Shin-chan flüchtet? Dann ist er wirklich am Ende mit den Nerven. Der arme.
Kyo ist aber erstaunlich gefasst, wenn ich so an die vorherigen Krankenhaus Aufenthalte denke.
Vielleicht weil er spürt, dass er nicht der einzige ist, der gerade Probleme hat?
Dai kriegen wir schon wieder hin! Toshiya liebt ihn!


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