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Glühwein

(2015) Adventskalendertür No. 16
von

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Zimt und Nelken

Glühwein

- Adventskalendertürchen No. 16 -

- Zimt und Nelken -
 

Autor: Morgi

Beta: Puria

Fandom: Inu Yasha

Genre: One-Shot, Humor, Gen, Alternatives Universum

Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld.
 

Vorwort:

Diese Geschichte entführt uns mit dem Weihnachtsthema "Glühwein" in die Sengoku-jidai, um die Hundebrüder, zwei Menschen und zwei ganz besondere Dämonen in Atem zu halten ...

- - - - - - -
 

1
 

"Das ist doch wohl nicht dein Ernst!", polterte der winzige Flohgeist, während er wie vom Hafer gestochen auf dem Blasebalg herumsprang und sich inbrünstig wünschte, wenigstens ein einziges Mal in seinem Leben von einer verrückten Idee verschont zu bleiben. Was war nur los mit diesem vermaledeiten Jahrtausend? Stieg nun auch noch dem Dämonenschmied die sengende Hitze des Vulkans zu Kopf? "Toutousai, ich warne dich! Wehe dir!"

"Zu spät."

"Nein!", quietschte Myouga, aber er kam kaum dazu, sich die Hände vor's Gesicht zu schlagen. Der alte Tattergreis vor ihm hob rücksichtslos die Hand, knackte einmal mit den Fingerknöcheln und schob den schwarzen Shōgi-Spielstein drei Felder vorwärts. "Du Lump! Das hast du mit Absicht getan", nuschelte der Floh grätig, bevor er wieder in den Schneidersitz sank. Kurz strich sich Myouga über das Kinn, während in seinem Rücken glühende Lava blubberte. Doch von Schweißtropfen auf der Stirn konnte er sich kaum einen Sieg kaufen. Verflixt!

"Mach weiter", drängelte Toutousai, "oder willst du schon wieder ein halbes Jahrzehnt über deinen nächsten Spielzug brüten? Du verlierst sowieso."

"Was tue ich?"

"Bist du jetzt auch noch taub geworden?", ätzte der Schmied hinterher, ehe er die gespreizten Finger umso fester auf den Oberschenkel presste und sich streckte. "Du hast in deinem ganzen Leben erst zweimal gegen mich gewonnen, und an diesen Tagen saß mir der lausige Hundebengel mit seinen Schwertern im Nacken! Gemessen an all den anderen Niederlagen, dürftest sogar du begreifen, dass ich der Klügere von uns beiden bin!"

Myouga schnappte empört nach Luft. "Als ob! Ich bin seit meiner Jugend der ehrenwerte Berater der-"

"Fang nicht schon wieder damit an, du nerviges Insekt", platzte Toutousai dazwischen und spuckte in das lodernde Schmiedefeuer zu seiner Linken. "Die Leier ist so alt, dass darüber sogar die Hundefürstin wieder weichherzig werden könnte. Verschon mich und setz deinen verdammten, weißen Stein!"

"Pah! Eines Tages wird sie deine Schmähungen hören, aber dann brauchst du mich nicht zu fragen, ob ich dir beistehe", brummte Myouga. Ruppig sprang er von dem alten, aufgerauten Leder des Blasebalgs, bis er vor dem Spielbrett stand.

So viele Scharten wie das inzwischen besaß, musste er penibel darauf achten, mit seinen Füßen nicht darin hängen zu bleiben, doch das Schlimmste war der Geruch: Magnolienharz stank wie nasser Hund, sobald es erhitzt wurde, und in der Vulkanschmiede gab es nur Wärme. Leider!

Umgekehrt wollte er auch nicht darum feilschen, die Partie in schneewehenbedeckten Gebieten fortzusetzen: Jeder Dummkopf wusste, dass es dort nur Drachendämonen zu finden gab, und von denen hatte er seit Ryukotsusei die Nase gestrichen voll.

"Hmm", grübelte Myouga dann. Ob es ihm etwas brachte, wenn er seinen Springer-Spielstein vor den silbernen General platzierte? Er wäre ihn zwar los, aber der Torfkopf merkte bestimmt nicht, dass der harmlose Bauer in Schlagreichweite-

"Ich schlafe ein", stöhnte Toutousai und rieb sich theatralisch über das Gesicht.

"Sei still, ich denke nach!"

"So wie damals, als du deinem Meister die erste Ehefrau ausreden wolltest? Der Erfolg war überwältigend."

"Sag das nochmal!", schnaufte Myouga und lief krebsrot an. "Außerdem war das damals deine Idee!"

"Ja, und wenn du deinen Kopf nicht immer wie ein nutzloses Lackkästchen auf den Schultern tragen würdest, hätte es auch funktioniert." Hochnäsig begann Toutousai zu popeln, doch auf das angewiderte Geräusch seines alten Freundes gab er keine einzige Kupfermünze. Warum auch? Er hatte recht. "Wegen dir war sie mit ihm hier, und später schleppte er auch noch den Welpen her. Mir kommt es vor, als wäre es erst gestern gewesen! Kaum ein Jahrhundert alt und schon lag er seinem Vater in den Ohren, er bräuchte auch ein Höllenschwert. Und was tat der alte Fürst?"

"Er lachte herzhaft. Das haben wir doch alle getan", murmelte der Floh.

"Irrtum! Ich fand die Idee schon damals abscheulich", widersprach Toutousai. "Und wenn ich gewusst hätte, dass ich dem Herrn der Hunde einmal zwei Fangzähne für Tensaiga und Tessaiga ziehen muss, während ich in seinem Maul stehe und sein Speichel auf meine Schultern tropft-!"

"Das wirst du ihm nie verzeihen, oder?"

"Es war feucht, warm und ihm fiel nichts Besseres ein, als mich fast zu verschlucken. Was glaubst du?"

Die beiden so ungleichen Dämonen sahen sich herausfordernd an, während eine Feuerlohe knisternd Funken spie. Dann seufzten sie wehleidig und Myouga verschob nach Kräften das weiße, fünfeckige Ungetüm auf dem Holzbrett. "Ich kann nicht glauben, dass er schon solange tot ist. Zwei Jahrhunderte!"

"Ja, und siebenunddreißig Vollmonde, in denen mir seine Welpen keine zerbrochenen Schwerter mehr vor die Nase hielten. Wir sollten uns damit trösten, dass der alte Hund nicht mehr erlebt, dass sie ihn inzwischen zum Großvater gemacht haben. Er wäre unerträglich."

"Wie bitte?!", entfuhr es Myouga. "Wie redest du über ihn? Mein Meister wäre der geduldigste, freundlichste und warmherzigste Großvater, den man sich vorstellen kann!"

"Ich sagte doch: Unerträglich."

"Argh, das nimmst du zurück!" Der Floh sprang ihm auf die Schulter und begann an einem Barthaar zu ziehen. Toutousai schrie ihm ins Ohr, dann wich Myouga in aller Kühnheit einem Handschlag aus und stach ihm einen Finger in die Nase, woraufhin ein Gemenge entstand, das in Rauch, Metallklappern und Quietschen endete.

Erst, als der Schmied mit der Schultern voran gegen etwas prallte, das federweich war, kam der Tumult mit einem Schlag zum Erliegen. Stille kehrte ein, dicht gefolgt von Toutousais Keuchen. Hektisch hob sich die Brust des Greises, während er wie vom Donner gerührt etwas Vulkanasche ausspie und seinen Augen nicht traute. Das konnte doch nicht sein!

Fast wagte er es nicht, die Hand auszustrecken, aber dann verbissen sich seine Klauen doch im ersten, weißen Pelzausläufer.

"Un... unmöglich", jappste er.

Sogar Myouga schaffte es, die vor Eifer glühenden Wangen zu vergessen. Er hob den Kopf, schluckte und brauchte doch sieben Anläufe, bis er seine Stimme wiederfand.

Der Geruch, das Aussehen! "Meister, Ihr ... Ihr lebt?!" Prompt stiegen ihm vor Ungläubigkeit Tränen in die Augen, dann warf er sich auch schon in einen Berg aus Fell. "Ihr lebt!", jauchzte er dabei allem Respekt zum Trotz. "Ihr lebt!"

"Die Wiedersehensfreude liegt ganz bei mir, Myouga", erwiderte der hochgewachsene Hundedämon gutmütig. "Ihr streitet noch immer über Nichtigkeiten?"

Toutousai, der aus unerfindlichen Gründen zweimal die Nase rümpfen musste, räusperte sich kehlig. "Er ... er hat angefangen!"

"Natürlich."

"Pah, schaut mich nicht so an. Wie seht Ihr überhaupt aus?", hakte der Dämonenschmied ein, ehe er den glückseligen Myouga aus dem Fell des Daiyoukais zupfte. Jeder Narr wusste doch, wie empfindlich diese Familie darauf reagierte, wenn man ohne zu fragen, darin herumwühlte! Wollte er sie etwa beide umbringen? Besser, er lenkte den alten Hund gleich ab: "Ist das vielleicht ein seltener Mottenfaden? Spinnenseide?"

"Kaum. Die Menschenkinder nennen es Viskose."

"Wisch-was?"

"Viskose", wiederholte der Weißhaarige geduldig. "Glaubt mir, ich hatte viel zu lernen."

"Oh, Herr!", rief Myouga mit glänzenden Augen aus und störte sich nicht im Geringsten daran, in den Klauen Toutousais in der Luft zu baumeln. Er hatte sich bereits dreimal in die Wange gezwickt - mit dem erfreulichen Ergebnis, den Schmerz spüren zu können und daher hellwach zu sein. Die kleinen, roten Halbmonde auf der Haut trug er daher mit Stolz. "Wie konntet Ihr nur überleben?"

"Ich bitte dich. Du nahmst an, ich würde brennenden Holzbalken zum Opfer fallen?"

Sein Mundwinkel hob sich in mildem Spott, während dem Flohgeist die Peinlichkeit und Röte bis auf die Nasenspitze kroch.

Was sollte er darauf denn sagen?

Am besten die Wahrheit: "Ich ... ich durchsuchte drei Tage und Nächte lang die glimmenden Kohlen nach Euch, ohne auch nur ein Haar zu finden! Dazu Euer Skelett, in dem Eure Söhne um Tessaiga stritten-!"

"Sie leben?"

"Ja", beteuerte Myouga und war erleichtert, wenigstens das verkünden zu können.

"Sesshoumaru und Inuyasha sind wohlauf!"

"Hofft er", gnatzte Toutousai. "In den letzten Jahren taten sie einhundert Wege auf, um den Weg zur Hölle ohne die Meidou Zangetsuha zu meistern."

"Ein Scherz", vermutete der alte Hundedämon, dessen Ruhe von einem Schatten befallen wurde. "Sie verstehen sich nicht, obwohl sie mein Blut teilen und ihr in ihrer Nähe geblieben seid?"

Myouga warf dem Schmied einen Blick zu, der ihn in Stücke schneiden konnte, dann hüstelte er. "W-Wollen wir uns nicht lieber über Eure Wisch-kose unterhalten?" Er sah doch sehr abenteuerlich aus, dazu hielt er ein eigenartiges, grünes Ding in den Klauen.

"Später. Wo sind meine Söhne?"
 

2
 

"Jaken." Kühl wie der Wintermorgen, der sich im dichten Schneeflockentreiben und einem weißen Leichentuch über die Landschaft gelegt hatte, entließ Sesshoumaru das Seidenbündel aus seinen Klauen.

Der Kappa, der prompt an seine Seite geeilt war, hätte sich lieber auf den gefrorenen Boden geworfen. Liegen geblieben wäre er! Aber nein, so satt hatte er es nicht, daher nahm er krächzend und ungelenk das kleine Etwas in Empfang. "Meister!", versuchte er es noch. "Seid Ihr sicher, dass Euer Welpe bei mir-?"

"Schweig oder ich töte dich."

Oh, warum immer er?

Sterbenselend kaute Jaken auf seiner Unterlippe, bevor er einen Blick auf die mit Bambuswedeln und blauen Halbmonden bestickten Stoffe riskierte. Dann zog er eine elende Grimasse: Wie konnte etwas so Teuflisches nur so unschuldig blinzeln? Zwei blitzförmige, blaue Streifen zogen sich über die Wangen des Welpen, aber ehe er die weichen Haare betrachtete, biss ihm das Monster auch schon mit den Milchfängen in den Zeigefinger. "Au, au, au!"

"Lächerlich." Sesshoumaru scherte sich wenig um seinen Berater, der nun einbeinig über Schnee und Eis hüpfte. Stattdessen schmälerte er die goldenen Augen und trat einen Schritt vorwärts. "Nun zu dir, nichtsnutziger Halbbruder."

"Keh!", rief Inuyasha belustigt aus. Dann zog er Tessaiga und verbreiterte den Stand in der Kuhle, um erwartungsvoll die Augenbrauen zu heben. "Dafür hat der frischgebackene Vater Zeit? Wäre doch peinlich, wenn die Kleine in dem Alter schon sehen müsste, wie eingerostet er ist. Singst du sie auch stets artig in den Schlaf?"

"Ja, auf deinen Knochen." Ohne eine weitere Vorwarnung sprang Sesshoumaru vorwärts, aber der Hanyou parierte den ersten Hieb seiner Klauen lachend und setzte über den zweiten und dritten fast meisterhaft hinweg. Schnee stob wie die Gischt eines Flusses in die Höhe, bis Sesshoumaru sein Youki in einer Welle aufkochen ließ und Gestein zu Sand zersplitterte.

"Tze", kommentierte Inuyasha, denn er hätte im Lebtag nicht zugegeben, dass er das Kräftemessen begrüßte. Musashi war eines der ruhigsten Menschendörfer geworden, seit sich dort zwei Mikos, eine Dämonenjägerin, ein Mönch und er tummelten: Zum Haareraufen langweilig!

Umso euphorischer schlug er jetzt mit der flachen Kante des Schwertes nach dem Hals Sesshoumarus, aber der verschwand bereits im Nichts und-

Verflucht!

In seinem Nacken explodierte ein Schmerz, der ihn über den Kappa hinweg in den Schnee schleuderte. Das weiße Pulver schmeckte erbärmlich, doch schlimmer war das eingefrorene Gras zwischen den Zähnen - und der Findling zwei fingerbreit vor seiner Nase. Das ... das hätte sein Kiefer sein können. Sein Gesicht! Er! "Elender Bastard!", spie Inuyasha aus, bevor er auf die blanken Füße sprang und auf den Zehenspitzen herumwirbelte.

Jaken, der erkannte, dass er nun mitsamt des Welpenbündels mitten im Weg stand, schrie auf: "Nein, nicht!"

"Beiseite!", konterte der Hanyou, dann riss er die Klinge herunter - und spürte im gleichen Augenblick, wie er am Kragen gepackt und in die Höhe gezerrt wurde. Die goldenen Blitze der Windnarbe verpufften im Nichts, bevor er auch nur einen empörten Schrei über die Lippen brachte.

Was zum Henker?!

Dieser vermaledeite Dämon konnte doch unmöglich so schnell wieder hinter ihn gekommen sein! Außerdem stand er noch dort drüben, sah weiß wie eine Wand aus und-

"Inuyasha", holte ihn eine dunkle Stimme aus den Gedanken, "lehrte dich niemand, deine Kräfte zu beherrschen? Dieser Kappa hält einen Welpen."

Inuyasha wurde blass, versuchte den Kopf in einer Vorahnung zu drehen - unmöglich. Dafür sprach Sesshoumaru das aus, was ihnen beiden fast die Sprache verschlug:

"Vater."

"In der Tat." Der Mundwinkel des Hundedämons zuckte empor, bevor er den Griff seiner Klauen löste und den Jüngsten sang- und klanglos in den Schnee fallen ließ. Dann rieb er sich über das Handgelenk, denn auch für ihn war es nicht angenehm, die Energie eines Angriffs in seiner Nähe knistern zu spüren. "Sesshoumaru, brachte ich dir nicht bei, einen Streit mit Worten beizulegen?"

"Ja", bestätigte der widerwillig.

"Und dennoch attackierst du einen Schwächeren?"

"Keh! Ich bin nicht-" Rumms! Inuyasha lag erneut mit dem Gesicht im Matsch, unfähig zu begreifen, dass ihm gerade von seinem eigenen Vater die Beine weggezogen worden waren.

"Nun, schwächer, wie ich bereits sagte", wiederholte der Weißhaarige knapp, "und respektlos, wenn du das Wort an dich reißt, während ich deinen älteren Bruder an eine Lektion erinnere. Allerdings", damit weichten seine Züge auf und er ging in die Knie, um seinen Zweitgeborenen aufmerksam zu betrachten, "du hast die Hartnäckigkeit deiner Mutter. Wir haben viel verpasst."

Inuyasha zog eine Grimasse, während er sich mit den Klauen ein Schneebärtchen von den Mundwinkeln wischte. Hölle, war das Zeug kalt! Aber wie er mit dieser Situation umgehen sollte, wusste er deshalb noch lange nicht. Sein Verstand kam ihm wie eingefroren vor. Konnte das wirklich-?

Es musste stimmen, denn kein Feind konnte so dumm sein und Vaters Gestalt in ihrer Gegenwart imitieren. Oder doch? Nein, das hätte sein Halbbruder gewiss durchschaut. Kurz warf er einen Blick zu Sesshoumaru, dann zog er skeptisch die Schenkel und Füße in einen Schneidersitz und vergrub die Hände in den Ärmeln des feuerroten Suikan. "Seid Ihr aus Lehm und Erde?", suchte er nach einer neuen Erklärung. So wie Kikyou einst?

"Nein, ich fürchte nicht", entgegnete der alte Daiyoukai belustigt. "Witterst du dasselbe an mir, Sesshoumaru?"

"Ihr ... riecht süßlicher als sonst." Sesshoumaru hatte Mühe sich auf das Wesentliche zu beschränken, denn auf seiner Zunge tanzte ein Kommentar zur geistigen Unversehrtheit Inuyashas. Der bekleckerte sich nicht gerade mit Ruhm, was nur auf ihn zurückfiel. Besser, er erfreute Vater mit Sachlichkeit. Seine Gegenwart kam unverhofft - daher gebührte ihm Ehre, keine Sentimentalität. "Ihr habt Euch seit damals verändert."

"Keh! Ihr seht aus wie einer der Menschen aus Kagomes Zeit! Ist das eine Krawatte?"

Der alte Inu no Taishou hob durchaus angetan beide Augenbrauen, ehe er sich mit der Klaue über den flauschig dichten Schal aus Wollstrick fuhr und darunter an dem aufwendigen Knoten zupfte. "Du besitzt ein scharfes Auge, Inuyasha. Woher weißt du davon? Und wer ist Kagome?"

Der Hanyou wurde tatsächlich ein bisschen rot um die Nase. War er gerade gelobt worden? Ein Kompliment? Das war er gar nicht gewohnt, erst recht nicht von einem vollblütigen Dämon, aber ehe er seine Verlegenheit überwand, kam ihm Sesshoumaru zuvor.

"Sie ist sein Menschenweib."

"Sagt der, der selbst eines ehelichte!"

"Wir sind nicht verheiratet, was du zweifellos wüsstest, wenn du nur ein wenig intelli-", ein forschender Blick seines Vaters, "-wenn du gefragt hättest." Unfassbar, dass er sich nun mäßigen musste.

"Tze, einen Welpen hat sie dir trotzdem geboren!" Die Arme! Aber das behielt er besser für sich, auch wenn es ein guter Grund gewesen wäre, das einsetzende, unruhige Grimmen und Zwicken in seinem Bauch zu übergehen. Warum hatte ihn eigentlich niemand darauf vorbereitet, dass sein Vater noch lebte?

Inuyasha erinnerte sich an den Geist, an jedes Wort damals im Skelett. War das ein Trick gewesen? Ein Fluch?

Sake?

Ah, nein. An die schmerzenden Knochen und den brummenden Schädel hätte er sich erinnert. Dennoch betrachtete er sich den Mann, dessen Blut in seinen Adern floss und der sich soeben erhoben hatte, um dann mit einem freundlichen Lächeln vor dem Bündel in Jakens Armen niederzuknien.

"Es ist also dein Welpe, Sesshoumaru", sinnierte er weich. "Der Geruch hätte es mir verraten müssen."

Sesshoumaru stieß ein hauchdünnes, mürrisches Schnauben aus, während Jaken bis zur Kopfbedeckung puterrot anlief und vor Panik gar nicht wusste, was er im Affekt tun sollte.

Das war der Vater seines Meisters?

Der alte Inu no Taishou?

Und das unnütze Halbblut hatte der wie eine Blume vom Boden gepflückt?

Schnell, schnell, wie vermied er es, den zu erzürnen, um nicht in Streifen geschnitten zu werden? Er konnte sich ja nicht auf den Boden werfen, um Respekt zu bezeugen, verflucht! "Großer Vater!", rief Jaken daher inbrünstig aus. "Welch Ehre!"

"Und dein Name ist, kleiner Dämon?"

"J-Jaken."

"Mein Sohn hat dir eine wichtige Aufgabe anvertraut, Jaken."

"Eh?" Verdattert starrte der Kappa auf das weiße, aufgebauschte Fell, das die Schultern des Hundedämons umfloss. "Ihr nennt mich beim Namen, großer Vater?"

"Nun, dafür fragt man gewöhnlich danach, nicht wahr?"

Jakens Herz tat einen Schlag, ehe es ihm voller unverfälschter Liebe bis in den Hals hinaufrutschte und die Zehen durchwärmte. "Natürlich!", sprudelte es eifrig aus ihm heraus. Was für ein kluger, weitsichtiger, angenehmer Herr! Offenbar hatte der Flohgeist die letzten Jahrhunderte nicht umsonst geschwärmt!

Leider war das der Moment, in dem sich die Milchfänge ein zweites Mal in seinen Finger bohrten. Jaken heulte schmerzgepeinigt auf, sehr zur Schadenfreude des Hanyous.

"Das hat sie von dir", grinste Inuyasha spöttisch zu seinem Bruder. "Genauso bissig und zickig."

Die bitterkalte Luft, die sich unter die Seidenstoffe von Sesshoumarus Kimonos stahl, verlor schlagartig weiter an Wärme. Zu seinem eigenen Bedauern kam er nicht dazu, die giftgrün-schimmernden Klauen an Inuyashas Hals zu schärfen, denn ihrer beider Vater - der neben dem steifen, gefalteten Hakama die seltsamsten Dinge am Leib trug - schüttelte missbilligend den Kopf.

"Einen Welpen hält man niemals auf der Herzseite", tadelte er. "Das Rauschen des Blutes macht ihn hungrig und die junge Dame scheint wenig zimperlich."

Jaken schnappte erstaunt nach Luft. "Man hält einen Welpen-"

"-niemals auf Herzseite?", beendete Inuyasha entgeistert den Satz. Eiligst versteckte er den von kleinen, dünnen Narben übersäten Zeigefinger, bevor er kleine Atemwölkchen ausstieß. Na toll. Das verriet man ihm jetzt, nachdem sich bereits zwei Welpen bis auf seine Knochen durchgenagt hatten.

Einzig Sesshoumaru zuckte mit keiner Wimper, denn es stand außer Frage, eine Wissenslücke zuzugeben. Das überließ er denen, die ohnehin keinen Einfallsreichtum zeigten. "Jaken", forderte er kühl. "Worauf wartest du? Gib sie ihm."

"J-ja!" Ein wenig nervös trat der Kappa auf den großen Hundedämon zu, denn der zeigte vor Begeisterung sogar die Fänge. Als treuer Berater wusste Jaken, dass es bei einem Lächeln nichts Gutes zu erwarten gab, aber aus irgendeinem Grunde sprang er dem Tod noch einmal von der Schippe.

Puh! Kaum, dass er das gefräßige Biest los war, atmete er erleichtert durch.

"Jaken."

Au backe! Das war wohl zu laut gewesen, aber dieses Mal war er vorbereitet und warf sich auf den Boden, um die Finger in alle Himmelsrichtungen zu strecken. "Verschont mich, Meister!", bettelte er. "Ich wollte Eure bezaubernde Tochter nicht beleidigen! Sie ist so ein zartes, einfühlsames-", gehässiges und übellauniges, "-Geschöpf!"

"Suche Rin und Ah-Uhn."

"Jetzt?", entfuhr es dem Kappa entsetzt, doch der nächste Blick ließ ihn bereits in die Höhe springen. "Wie Ihr wünscht, Sesshoumaru-sama!", beteuerte er kriecherisch, ja, wagte es sogar noch zu dem alten Hundefürsten zu sehen.

Fast wäre ihm dabei die Spucke im Halse stecken geblieben. Das ... das war doch wohl unerhört: Da gluckste der Welpe bei dem und schlang die federweichen Klauen um eine Haarsträhne? Brabbelte und quietschte sogar, während der Hundefürst nur mit den Seidentüchern im Arm aufgestanden war?

Oh, halt. Er sah zu ihm.

"So erstaunt, Jaken?"

"Ich bin nur angetan", behauptete der Kappa prompt. "Die große Mutter meines Meisters hatte dieselbe Wirkung." Wie ungerecht war das denn? Er hatte geglaubt, das läge daran, dass der heimtückische Welpe ihre Stimme mochte. Zwei Biester, das passte doch! Die Fürstin hatte Sesshoumaru-sama immerhin vorgesäuselt, wie überrascht sie wäre, dass er auch etwas anderes als Schwerter begehren könnte, doch...

Nein, nein. Besser er trollte sich. Am Ende warf man seinen Leichnam nur in einen Teich voller Laichkraut.

Der alte Fürst des Westens sah Jaken verwirrt nach, bevor er seinen Blick zurück auf seine Söhne richtete. Sie waren beide erstaunlich schweigsam geworden, das musste er zugeben. Lag das an ihm? Daran, dass seine erste Ehefrau erwähnt worden war, was nicht einmal an ihm spurlos vorüberging?

Nun, vielleicht konnte er auf traditionelle Weise das Eis brechen. "Wir sollten die Geburt meiner Enkelin nachträglich begrüßen", erklärte er. "Zufälligerweise habe ich eine Flasche Glühwein mitgebracht!"

"Glühwein?", echote Inuyasha verdutzt.

"Ist das Sake, Vater?", versuchte es Sesshoumaru. Bloß nicht. Das trank kein Dämon, der seine Sinne schätzte und beisammen behalten wollte. Ein Daiyoukai noch weniger. Und wo sollte Vater den auch verbergen? Er sah nur Felle, Stoffe. Aber er machte kehrt, ohne sich zu erklären: Ihm blieb wohl keine Wahl, als ihm zu folgen.
 

3
 

Ach, prächtig!

Der alte Fürst zog die Luft in die Lungen, ehe er zufrieden dem Knistern des Schnees hinter sich lauschte. Seine Söhne waren weder langsam gewesen, noch ungeschickt in ihrer Landung. Sie mussten hart trainiert haben, denn nur wenigen Dämonen gelang es, trotz der Eile derart weich auf dem Untergrund aufzusetzen.

Die Menschen, die sich zu beiden Seiten zwischen Reisig und Holz duckten, lächelte er flüchtig an. "Es ist lange her, dass ich in einem Dorf war", verriet er dann heiter. "Du lebst in dieser Hütte, Inuyasha?"

"J-ja."

Neugierig flog der Blick des hochgewachsenen Daiyoukais darüber. Über seinem Kopf baumelten einige feingeschnitzte Arbeiten aus Holz, die jemand mit Färberdistelpastete in rot und gelb getaucht hatte. Manche Tupfer wirkten sehr ungelenk, wie von einem Kind. "Ein wunderbarer Ort, um Welpen aufzuziehen."

"Keh!" Inuyasha, der nun einbeinig stand und sich mit dem Fuß über den anderen Unterschenkel rieb, reckte das Kinn. "Es ist sogar aufgeräumt."

"Dein Verdienst, Abschau- ... Halbbruder?"

"Ja. Ich habe alles mit deinen Fellen geschrubbt", zischte der Hanyou prompt, ehe ihn ein Schulterblick seines Vaters ereilte und er prompt wieder auflachte. "S-Sesshoumaru hat mir geholfen, wollte ich sagen!"

"Ah. Eine ungewöhnliche Beschäftigung, aber sie schult durchaus das Auge für Feinheiten."

Inuyasha stieß ein Glucksen aus, welches dem des Welpen verteufelt ähnelte. Dann sprang er außer Reichweite des tödlichen Blickes, der in seinem Nacken zerschellte und trat gut gelaunt als Erster ein.

Sein Vater folgte ihm auf dem Fuße, während Sesshoumaru nicht glauben konnte, was er hier tat. Schweigend sah er nach links, und brachte ein kleines Mädchen durch den puren Anblick seines wild aufgefächerten Schulterfells zum Schluchzen. Tze. Wenigstens ein Mensch, der wusste, dass er nicht hierher gehörte - aber was sollte er tun? Er konnte kaum gehen, zudem wollte er wissen, wie Vater das Überleben gelungen war.

Nun, was tat man nicht alles als gehorsamer, neugieriger Sohn.

Schweigend schob sich Sesshoumaru über die sieben Holzstufen und trat in das von Kerzenlicht beleuchtete Heim seines Halbbruders ein. Die Gerüche, die hier vorherrschten, schätzte er nicht im Geringsten: Sie waren süß, aufdringlich und kündeten von dem, was sich diese lästige Miko in die Haare tat. Klebriges Wachs, so wie es seine Mutter bevorzugte, war ihm lieber. Sonst witterte er vor allem Kräuter, getrocknete Strünke und über Rauch gehangenen Fisch, der mit Algen geschmückt war und auf Holzschalen lag.

Menschliches Essen. Ihm blieb auch nichts erspart.

"Setz dich zu mir, Sesshoumaru", forderte sein Vater, der sichtbar entzückt von seinem Damastkissen zu allerlei kleinen Kästchen, Rollbildern und einem vierteiligen Wandschirm sah. "Wo ist deine Frau, Inuyasha?"

"Kagome? Sie ist mit Sango unterwegs, um einer Spinnendämonin das Handwerk zu legen."

Erstaunt hob der alte Hundefürst beide Brauen, aber seine eindrucksvolle Erscheinung litt, da sich der Welpe auf seinem Schoß gerade kauend an seinen Haaren verdingte. "Solltest du nicht bei ihnen sein, um sie zu schützen? Du hast Tessaiga geerbt." Das sah er deutlich an der Hüfte seines Sohnes ruhen, aber der schnaufte bloß spöttisch.

"Das brauchen die nicht."

Prompt verengten sich die goldenen Augen seines Vaters, sodass Inuyasha lieber hastig die Hände in die Ärmel zog.

Sesshoumaru nutzte diesen mehr als günstigen Moment für einen geschickten Vorstoß und nahm Platz. "Vater, seine Frau ist eine Miko."

"Eine ..."

"Ja, und sie stammt aus der Neuzeit", kam ihm der Hanyou zuvor. "Welch Überraschung! Sonst ist sie allerdings völlig gewöhnlich!"

"Sie schickt dich zu Boden", warf Sesshoumaru in kühler Überlegenheit ein.

"Als ob dich das stören würde!"

"Das tut es."

"Keh?" Wie bitte? War der verwirrt? Hingeschlagen?

"Sie geht zu sparsam damit um. Es ist ein überaus nützliches Talent." Gelangweilt strich Sesshoumaru eine Falte in seinem Kimono glatt, während er das Luftschnappen seines nichtsnutzigen Halbbruders Willkommen hieß. Keine Frage: Er konnte sehr höflich sein und lernte sogar einfache Dinge zu schätzen. "Vater", brach er dann Inuyashas Knurren, "was hat es nun mit diesem Wein auf sich, den Ihr erwähnt habt?"

Der alte Fürst erwachte aus seiner Verwunderung und begrub vorerst den Gedanken daran, eine Priesterin zur Schwiegertochter zu haben, die Dämonen den Tod brachte. "Du wirst den Glühwein mögen, mein Sohn."

"Natürlich." Das bezweifelte er. "Ist das-?"

"Ein Geschenk der Menschen, bei denen ich lebte. In der Tat." Verschmitzt präsentierte er eine Flasche, während sich die beiden ungleichen Brüder aus den Augenwinkeln anstarrten. Keiner von ihnen wollte zugeben, dass man im Halbdunkel gerade verpasst hatte, wo er diese bis eben versteckt hielt: Die Jahrhunderte schienen seiner Schnelligkeit nicht geschadet zu haben.

Sehr zu Sesshoumarus Missfallen schnüffelte der Jüngere kurz darauf hörbar. Dann verzog Inuyasha das Gesicht - schön, da hatten sie wenigstens eine Gemeinsamkeit nach all der Zeit entdeckt. Einzig der Welpe gluckste unbekümmert und streckte gierig die Klauen nach der rundbäuchigen Flasche aus.

"Nein", lehnte der alte Fürst ab. "Eine Dame übt sich in der Teezeremonie, meine Liebe. Du solltest deine Mutter darum bitten, es dich später zu lehren."

Inuyasha fing an zu prusten, bis er sich auf das Handgelenk beißen musste.

"Das war kein Scherz, mein Sohn."

Doch. "Ihre Mutter", bemühte sich der Hanyou um Ernst, "ist eher ein Wildfang in einer großen Blumenwiese."

"Ist sie das?" Forschend musterte der alte Fürst das Gesicht Sesshoumarus. So sehr er sich auch darum bemühte, er konnte sich seinen Erstgeborenen einfach nicht zwischen Blütenblättern und Gräsern vorstellen. "Berichte mir von ihr, während Inuyasha uns einige Schälchen bereitstellt."

"Wie ... wie Ihr wünscht, Vater." Sesshoumaru legte die gespreizten Klauen auf die Oberschenkel, aber er bereute es nicht im Geringsten, seinem aufspringenden Halbbruder mit Hilfe seiner Felle die Füße wegzuziehen.

"Sesshoumaru", mahnte der alte Herr der Hunde frostig.

"Mein Welpe sah unglücklich aus", behauptete der, und das erklingende, feine Kichern seiner Tochter war auf seiner Seite. "Sie fühlt sich von derlei unterhalten."

"Keh! Du verdammter-"

"Ihr benehmt euch. Alle beide! Inuyasha, die Schälchen! Und du, Sesshoumaru, fährst fort, ehe du der zarten Seele meiner Enkelin Gewalt zumutest. Weder sie, noch ich hegen daran Interesse." Das Brabbeln, das unter ihm einsetzte, schien anderer Meinung, dann gruben sich die Fänge in einer reißenden Bewegung erneut in die bespeichelte Strähne. Kurz darauf fuhr die Zunge aus dem Mund und schien den Geschmack zu bewerten. "Kein Wort", bekräftigte der Inu no Taishou stolz, bevor er mit seinen Klauen das Haar fortzupfte.

"Ja, Vater. Nun, zu Eurer Frage ..." Wie entwand er sich der am besten? Ihm stand nicht der Sinn danach, über seine Befindlichkeiten zu plaudern. Nicht in Inuyashas Nähe, dessen Hundeohren deutlich in seine Richtung zuckten. Bedauerlicherweise konnte er es sich nicht leisten, durch hartnäckiges Schweigen die Geduld eines Daiyoukais zu strapazieren. Er hatte vor Jahrhunderten keinen Erfolg gehabt und eine Niederlage schmeckte nicht besser, weil man sich an sie gewöhnte. Also gut, besann er sich: "Ihre Mutter ist jünger als ich, besitzt kohlrabenschwarzes Haar und ein sorgenfreies Gemüt. Sie schätzt Blumen."

"Keh! Zwei ganze Sätze? Das hast du doch selbst nicht gewollt", schnaufte Inuyasha, aber der rasiermesserscharfe, erdolchende Seitenblick konnte ihn nicht schrecken. Leichtfüßig balancierte er die drei Schälchen aus, bevor er sich alles andere als elegant auf die Bambusmatten fallen ließ. Zwischen den rauen Streben lagen verzierte Seidenstücke, die einzig und allein seinem Geschick entsprangen, andere Dämonen zur Strecke zu bringen und dafür von fremden Dörfern Kupfermünzen zu erhalten. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er die Oni und Youkai auch so gejagt, aber Kagome mochte die stumpfen, kreisrunden Dinger.

Wohlstand nannte sie es, er eher Zeitvertreib.

Frauen!

Inuyasha räusperte sich, ehe seine Augenbraue aufmüpfig empor wanderte und er seinen Vater ins Vertrauen zog. "Sesshoumaru hat zehn Jahre gebraucht, nachdem feststand, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Ein Kampf war das! Aber der war ja schon immer so lang-" Au!

Zur Hölle noch eins! Hatte dieser Bastard ihm gerade das Fell gegen den Hinterkopf geschlagen? Das sollte weich sein, oder etwa nicht? Steckten Holzscheite dazwischen?

"Sesshoumaru", grollte der alte Fürst dunkel, "ich warne dich kein zweites Mal."

"Verzeiht, Vater. Ich wollte ihn daran erinnern, nicht eigenmächtig das Wort an Euch zu richten."

Inuyasha biss sich prompt auf die Unterlippe, ehe er dem neunmalklugen Hund die tönerne Schale gegen die Brust drückte. "Ich habe dir nur geholfen, die Fangzähne auseinander zu bekommen, Bruder."

"Halbbruder", korrigierte der Ältere eisig.

"Schön. Soll ich berichten, wie du damals aus der Wäsche gesehen hast, als sie dir vor allen anderen für den ersten Kimono um den Hals fiel?"

Sesshoumarus Lippen liefen schlohweiß an, ehe er sich bedrohlich wie ein Schneesturm vorlehnte. "Versuch es."

"Schweigt. Tragt eure Kämpfe allein mit Schwertern aus und zügelt euch in meiner Nähe!" So ein Theater! Als alter Fürst hielt er nicht viel von der Zurschaustellung seiner Macht, doch auch er wusste, wann es genug war: Die Papierwand in seinem Rücken begann zu knistern, während der Raum von einer unmissverständlichen Hitze und Drohung geflutet wurde, bis eine Kohlenpfanne neu entfachte. Der Welpe auf seinem Schoß quietschte vor Begeisterung und begann nach den aufgebauschten Härchen des Schulterfells zu heischen ... was ihn, zugegeben, etwas aus der Fassung brachte. Keine Furcht?

Sein Youki flachte ab, und er benötigte einen Moment, um sich zu fangen. Nun, Frauen reagierten selten wie gedacht. So viel Weisheit hatte ihm das Leben eingebracht. "Bis der Glühwein geleert ist", sprach er dann, "erwarte ich Anstand. Ich habe mehr als zweihundert Jahre darauf gewartet, heimzukehren."

Ungerührt begann er das Papier von der Flasche abzurupfen, ohne mit den Klauen gegen den schmalen Glashals zu kommen. Das Dilemma kannte er bereits, und auf Scherben war er nicht erpicht. Dann drehte er den Deckel ab, woraufhin sich ein süßer, schwerer Geruch ausbreitete.

Inuyasha schnaubte, zog den Kopf zurück. "Glühwein, ja?"

"Alles?", ergänzte sein Halbbruder mühsam beherrscht.

"Selbstverständlich." Auffordernd streckte er seine Klauen nach den Schälchen seiner Söhne, sichtlich amüsiert über deren betont langsames Einatmen.
 

4
 

Sesshoumarus Klauen gruben sich jäh in den abgeflachten Rand des Tongefäßes, während seine Sinne rebellierten. Nicht einmal er, der die Selbstbeherrschung in jahrhundertelangem Training perfektioniert glaubte, konnte verhindern, dass seine Nasenflügel bebten.

"Vater", begann er daher lauernd. "Ihr besteht darauf?"

"Soweit ich hörte, ist es so üblich unter Menschen zu feiern - und wir haben keinen Sake zur Hand. Oder, Inuyasha?"

"Keh! Keinen einzigen Tropfen mehr!" Auch der Hanyou saß mit überkreuzten Beinen da und schnüffelte aus einer Distanz heraus, als fürchte er, die rote Flüssigkeit könnte ihm sonst ins Gesicht springen. "Miroku trank den letzten Reiswein aus, nachdem er es sich mit seiner Frau verscherzt hatte."

"Das sollte man in einer gesunden Ehe vermeiden", stimmte der Inu no Taishou zu. "Nichtsdestotrotz: Auf die Geburt meiner ersten Enkeltochter!" Unbekümmert hob er die Schale auf Schulterhöhe empor, doch das Schnaufen des Hanyous verhinderte einen ersten Schluck. "Du möchtest etwas sagen?"

"Ja! Ich habe auch zwei Welpen", erklärte Inuyasha grimmig. "Und sie wurden früher geboren!" Er sah gar nicht ein, dass sich Sesshoumaru in den Vordergrund spielte, nachdem er sich ein ganzes Jahrzehnt lang geweigert hatte, eine Frau anzurühren, die ihm förmlich an den Lippen hing.

"Zwei?"

"Ja! Sogar einen Sohn!"

Das Gesicht des alten Hundedämons erhellte sich wie ein Papierwandschirm, hinter den man eine Kerze gestellt hatte. "Fabelhaft! In diesem Fall sollte dein Bruder ein gutes Wort über sie verlieren, bevor wir ein weiteres Mal anstoßen. Wo sind deine Welpen, Inuyasha?"

"Bei Kagome."

"Sie jagen mit ihr eine Spinnendämonin?" Alle Achtung! Sie waren zeitig dran. Aber sie waren Hanyous, mussten eigentlich noch klein und zierlich sein. "Gehört das zu deiner Erziehung?", setzte er neugierig nach.

"Wenn er denn eine hätte", murmelte Sesshoumaru streitlustig.

"Das hab ich gehört!" Bastard! Inuyasha starrte ein Loch in die Herzseite des Kimonos, aber sein Halbbruder ließ sich nicht lumpen.

Während Sesshoumaru die Schale so weit von sich weghielt, dass es an Unhöflichkeit grenzte, blitzten seine goldenen Augen. "Ihr solltet wissen, Vater, diese Vorgehensweise ähnelt seinem Schwertkampfstil", verriet er. "Er harrt aus, bis der Widersacher am Ende seiner Fähigkeiten angelangt ist, und hofft bis dahin das Beste."

Inuyashas Zähne bissen aufeinander wie ein Mahlstein, aber er wagte es nicht, den abgetrennten Arm des Älteren als Beweis für seine Überlegenheit zu erwähnen. Stattdessen fuhr er sich nur mit der Klaue über den Ellenbogen - und wurde mit einem überaus tödlichen Blick belohnt.

Ha!

Klappte doch immer wieder. Das war einfach das Problem mit der Intelligenz: Es fiel einem schwer so zu tun, als wäre man ahnungslos. "Würdest du nun über meine Welpen ein gutes Wort verlieren?", fragte er ketzerisch.

Tze.

Sesshoumaru hob die Schale, die bestialischer stank als durchnässtes Hundefell, aber es waren seine Augen, die verrieten, wie viel es ihn kostete, den süß-herben Geruch des Glühweins in der Nase zu dulden. "Ich gratuliere dir, Halbbruder", erklärte er überaus heuchlerisch. "Dir wurde der einzige Sohn im Westen geboren, der seinen Vater bereits nach vier Jahren im Training schlagen konnte."

Inuyasha starrte ihn an, und als die Glut in der Kohlepfanne zu knistern begann, hatte seine Miene einen Ausdruck tiefster Rachsucht angenommen. "Vielen Dank", presste er mühsam hervor, ehe auch er seine Schale auf Schulterhöhe anhob. "Und ich gratuliere dir, Sesshoumaru, zur Geburt der einzigen Tochter des Westens, die deinen Willen schon am ersten Lebenstag in kleine Häppchen schneiden konnte."

Die Blicke, die durch den schummrig ausgeleuchteten Raum schossen, waren vernichtender als jede Salve Pfeile, die eine Kriegslist hervorbrachte. Erst das Räuspern ihres Vaters, das von dem fröhlichen Glucksen eines Welpen überschattet wurde, glättete wieder die Fronten.

"Trinkt", befahl er dann ungerührt. "Ihr habt es beide bitter nötig."

"Keh!" Inuyasha widerstand der Versuchung sich noch die Nase zuzuhalten, als er das Schälchen an die Lippen setzte und tief Luft holte. Eine dumme Idee: Der Geruch schien sich sogar bis in seine Lungen ausbreiten zu können, und während er mit sich rang, hätte Sesshoumaru beinahe geknurrt.

So weit kam es noch, dass sich dieser Abschaum vor ihm bewährte! Er war ein vollblütiger Dämon, ein Daiyoukai und Gifte wie dieser Wein konnten ihm nichts anhaben. Es stand außer Frage, sich vor seinem Halbbruder die Blöße zu geben und zu langsam zu sein.

Eisig kratzte Sesshoumaru seine Selbstbeherrschung zusammen, schwor sich, nie wieder einen Welpen zu zeugen - nein, auch nicht für den heißen, ruchlosen Atem auf seiner Haut! - und stürzte das Gebräu herunter. Während sich in seiner Kehle ein Gefühl wie Feuer ausbreitete, spürte er den Blick seines Vaters auf sich.

Kam... kam es ihm nur so vor oder zuckte dessen Mundwinkel für einen Moment? Nein, unmöglich. Das musste er sich eingebildet haben, denn der Schalk saß dem früher mächtigsten Hundedämon des Westens niemals bei hochoffiziellen Anlässen im Nacken. Ganz gleich, ob er sich zu einer Teezeremonie oder einem langen Beratungsgespräch eingefunden hatte, stets war er kontrolliert und so undurchsichtig wie dunkles Schiefergestein erschienen.

Dennoch erfüllte es Sesshoumaru mit Ehrfurcht und zu seiner Schande auch mit Ekel, als er ihn ungerührt das eigene Schälchen leeren sah.

Sogar Inuyasha schien einen Geist zu erblicken. Sie waren sich selten einig, aber beide wurden von dem Gedanken durchflutet, dass er ihnen in dieser Hinsicht einfach überlegen war.

"Ein guter, erster Schluck", lobte ihr Vater dann und spürte der angenehmen Würze auf seiner Zunge nach. "Nun können wir die Gesundheit der Mütter feiern!"
 

5
 

Lächerlich!

Schwerter hatten ihn nicht in die Knie brechen lassen, und nun musste er sich mit einer Hand auf den Oberschenkel stützen. Die Seidenstoffe knisterten dabei ohrenbetäubend in seinen Sinnen, aber wenigstens gluckste er nicht.

Scharf - oder das, was sein Augenlicht noch zu stande brachte - starrte Sesshoumaru zur Seite. Sein nichtsnutziger Halbbruder wiederholte gerade inbrünstig den nächsten Trinkspruch, aber nachdem sie auf die Gesundheit der Frauen, die neu gesetzten Grenzen der Ländereien, elf besiegte Diebesbanden und jeden einzelnen Welpennamen angestoßen hatten, erschütterte ihn nicht einmal mehr der Vorschlag, die Großmütter zu ehren.

"Vater", bat er mühsam um die Erlaubnis zu sprechen.

"Nur zu, Sesshoumaru." In den Augen des Inu no Taishous funkelte eine Heiterkeit, die unverblümt war und sich nach einem Blick hinab, auch wohlwollend auf die kleine, halbblütige Dämonin ausbreitete. Er rechnete es der jungen Dame hoch an, dass sie im Gegensatz zu seinen beiden treulosen Söhnen sein Schlaflied geliebt hatte: Trotz Inuyashas Lärm schlummerte sie selig und das wärmte sein Herz stärker, als es die Mischung aus Zimt und Nelken je gekonnt hätte. "Nun", hakte er nach, "was hast du auf dem Herzen?"

"Er hat keins", kicherte der Halbdämon.

"Beherrsch dich!", forderte der Inu no Taishou scharf.

"Ich sage nur die Wahrheit! Seht nach, Vater, und wenn Ihr eines findet, stoßen wir auch darauf an!" Das Inuyasha im nächsten Moment mit dem Hinterkopf brachial auf die Bambusmatte schlug, nahm er mit Überraschung wahr - und dann mit einem Grinsen, weil er einen blanken Streifen Haut an seinem Knöchel sehen konnte. Das ziemte sich doch nicht! Hatte sein Vater nicht erst dem Nachwuchs seines Halbbruders erzählt, dass Fürstentöchter und Dämoninnen derlei zu vermeiden hätten? Galt das eigentlich auch für ihn? Gleich.

"Verzeiht, Vater!", beteuerte er gehorsam. "Ich behalte seine Schwächen fortan für mich. Alle! Wartet, ich zähle sie vorher!"

Sesshoumaru schwor ihm insgeheim ein weiteres Mal den Tod, auch wenn er inzwischen einen ganzen Stapel Maulbeerpergamente benötigte, um keine Gelegenheit zu vergessen. Vielleicht sollte er Tensaiga zu Toutousai bringen und die Klinge in das Schwert, das einhundertmal denselben Dummkopf wiederbeleben konnte, umschmieden lassen ... später.

"Vater", sprach er kehlig. "Wie gelang es Euch zu überleben? Ihr habt Menschen erwähnt." Und den verdammten Glühwein, den er geschenkt bekommen hatte. Unfassbar, wie zäh diese Brühe war und wie viel noch in der Flasche verweilte. Er schätzte, es könnten zehn Schälchen sein, aber Sesshoumaru wollte sich nicht beschweren: Die Unfähigkeit seines nichtsnutzigen Halbbruders hatte mindestens drei davon bereits verschüttet. Wenigstens dazu taugte er!

"Nun, mein Sohn, ich hatte Glück."

"Glück?"

"In der Tat. Der General und ich kreuzten die Schwerter, als die ersten, brennenden Dachbalken hinabstürzten und Feuerlohen wie von Sinnen emporzüngelten. Sou'unga dürstete es nach seinem Blut, und ich war geschwächt vom Kampf mit Ryukotsusei. Ohne den Umhang aus dem beständigen Haar der Feuerratte, den ich Izayoi gab, um ihr und Inuyasha die Flucht zu ermöglichen, hätte ich sterben müssen."

Sesshoumaru sprach es nicht aus, aber deshalb empfahl es sich für einen Daiyoukai, nicht zu teilen. "Was geschah stattdessen, Vater?"

Der alte Hund krauste die Stirn und nahm einen weiteren Schluck des Glühweins zu sich. "Eine gute Frage. Ich nehme an, dass ich gestolpert bin."

"Ihr ..."

"... und ich verlor das Höllenschwert, das heulend unter Glut und Asche begraben wurde. Ja doch, so war es."

"Euer Schwert fiel Euch aus den Händen?", wiederholte Sesshoumaru fassungslos. Diesem menschlichen Kriegsherrn war es gewissermaßen gelungen, einen Daiyoukai zu entwaffnen? Das hatte er selbst in einem Jahrtausend nicht vermocht!

"Ich bedaure es nicht. Auch das größte Geschick fällt eines Tages dem Tod zum Opfer, und ich erhielt auf diese Weise die Gelegenheit mit meinem zweiten Schwert Tessaiga, eine Meidou Zangetsuha zu schlagen."

"Ihr seid in die Hölle geflohen?"

"Keh", mischte sich Inuyasha ein, der sein Schälchen auf gespreizten Fingern ausbalancierte, "er trägt Kleider, die aus Kagomes Epoche stammen. Glaubst du, man verläuft sich vorher erst in der Unterwelt, statt gleich in der Neuzeit zu landen?"

"Wir könnten es testen", bot Sesshoumaru großzügig an, bevor er seine Klauen auf den mit Rochenhaut umwickelten Schwertgriff bettete. "Nach dir."

"Pah! Nicht mal, wenn du mit mir Händchen hältst."

"Höchstens, um sie dir abzuschlagen!", knurrte der Hundedämon, ehe ihn ein Hieb aus dem Nichts ereilte und seine Nase im Glühweinschälchen endete. Klappernd flog es zu Boden, aber noch ehe Sesshoumaru die Tatami-Matten mit seinem aufkochenden Youki in Fetzen reißen konnte, donnerte die Stimme des alten Fürsten durch den Raum.

"Genug davon! Ich dulde es nicht, dass ihr einander die Knochen brecht. Inuyasha, entschuldige dich für dein respektloses Verhalten. Jetzt."

Hä? Warum er?

Oh, halt.

Inuyashas Fingerspitzen begannen zu kribbeln, während ein mit Bambuswedeln und Kranichen verziertes Rollbild einen Riss erhielt: Und wenn er eines mehr fürchtete als einen Schwertkampf, den er verlieren könnte, dann war das Kagomes Zorn über ihre ruinierten Errungenschaften! "Tu... tut ..." Der Hanyou leckte sich über die Lippen, um seine bleischwere Zunge von den eigenen Worten zu überzeugen. "Tu-tut ..." Ach, zum Teufel damit!

Das glaubte ihm doch sowieso niemand!

Trotzig nahm Inuyasha einen Schluck Glühwein, dann wischte er sich mit dem Handrücken zwei rote Spritzer vom Kinn. Warum sollte er sich jetzt auch fügen, nachdem er sich ganze zwei Jahrhunderte allein durchgeschlagen hatte?

Nichts da! Er war doch nicht... huh?

Verwirrt starrte er auf das Fellstück, das auf ihn zuschoß, aber sein Verstand arbeitete zu langsam: Er hing bereits kopfüber, als ihn der Impuls ereilte, unbedingt darüber hinwegspringen zu müssen.

Verdammt!

Er war betrunken! Das war unfair!

Betrunkene logen doch nicht!

"Du wirst dich entschuldigen", knurrte der alte Fürst. "Laut und deutlich. Und zwar so, dass ich dich hören kann, mein Sohn."

Inuyasha öffnete widerspenstig die Lippen, aber die Worte auf seiner Zunge begannen sich ebenso unaufhörlich zu drehen wie sein Magen. Nicht gut. Er presste sich die Hand auf den Mund, während er eine halbe Mannslänge über der Tatami-Matte baumelte und leidenschaftlich alle Dämonen verfluchte, die ihn geißelten. Insbesondere die, mit denen er verwandt war. "Verzichte", würgte er, aber seine Bescheidenheit goss bloß Öl ins Feuer.

Der Inu no Taishou knirschte prompt mit den Zähnen, aber ehe er ein Wort parat hatte, begann der Welpe in seinem Schoß wie am Spieß zu brüllen.

Oh!

Das arme Ding. Er war wohl aus der Übung, beruhigend und furchterregend zugleich zu sein. "Verzeih", raunte er wieder weich wie eine Feder, "dein Großvater schätzt in seiner Nähe keine Streitigkeiten und unhöfliche Unterbrechungen, Kleines."

Inuyasha fragte sich stumm, warum ihre Tränen dann für ihn keine Störung darstellten, aber da sich der Griff um seinen Knöchel löste, erstickte der aufmüpfige Gedanke in einem lauten Krachen. Au! Diese verfluchte Familie! Wer ließ denn bitteschön sein eigen Fleisch und Blut wie einen Sack Reis fallen? Stöhnend rieb sich der Hanyou das Kinn, an dem der spröde Faden einer Bambusstrebe kleben blieb, aber der Seitenblick seines Halbbruders blieb ihm nicht verborgen.

Sesshoumarus Mundwinkel waren voller Genugtuung nach oben gewandert.

Bedauerlich, dass sich Vater so schnell gnädig zeigte, aber es war ein Anfang. Die roten Glühweinflecken auf der Kimonoseide, die ihm seine eigene Zurechtweisung eingebracht hatten, kaschierte er hochmütig mit seinem Schulterfell. Wenigstens tat ihm nichts weh. "Vater", begann er erneut, "erhellt uns. Was geschah nach der Meidou Zangetsuha mit Euch?"

"Nun, ich fand meinen Weg in das 19. Jahrhundert, Sesshoumaru." Der Inu no Taishou hörte auf, dem Welpen Grimassen zu ziehen und dabei von einem alten, grumpigen Drachen zu säuseln, den er zu Boden rang. Stattdessen hob er beide Brauen, aber es lag keine Feindseligkeit darin. "Ich nehme an, deine verehrte Mutter erlaubte sich diesen Scherz, als ich sie einst Tessaiga berühren ließ. Unterschätze niemals den Ärger einer Dämonin, die im Gegensatz zu deiner menschlichen Frau Jahrhunderte auf dich warten kann."

Mutter?!

Ja, das klang ganz nach ihrem Humor, obwohl Sesshoumaru nicht gerade glücklich mit der Vorstellung war, dass die Hundedämonin die Heimkehr ihres Gefährten gewiss zum Anlaß nehmen würde, ihm den nötigen Beistand abzuringen. Sie musste damit rechnen, dass ihr Mann wütend war, von seinem Zweitgeborenen ferngehalten worden zu sein - vielleicht sogar mehr als das. Und wenn er, Sesshoumaru, ihr nicht freiwillig half, würde sie Wege auftun, ihn zu zwingen. Sie war alt, listig und ließ seit Jahrtausenden mächtige Schwertmeister wimmernd in die Knie brechen.

Der Glühwein in seinen Adern lockerte jedoch seine Zunge. "Warum seid Ihr nicht früher zurückgekehrt, Vater? Eine zweite Meidou Zangetsuha hätte genügen können."

"Das wäre wünschenswert gewesen", entgegnete der Inu no Taishou ruhig, ehe in seine Augen Milde einkehrte, als er Inuyasha betrachtete und dann Sesshoumaru. "Bedauerlicherweise sind meine Fähigkeiten begrenzt. Ich besaß kein Schwert mehr, denn Tessaiga war auf einmal fort - und Klauen allein genügen nicht, um durch die Zeit zu reisen. Glücklicherweise stach mir schon zwei Jahrhunderte darauf ein Artikel ins Auge."

Sesshoumaru stutzte unbemerkt. Ein Artikel? Ins Auge? Eine Waffe mit einer Inschrift vielleicht?

"Nun, darin war der alte Higurashi-Schrein erwähnt."

"Kagome!", rief Inuyasha mit glänzenden Augen aus, der ganz vergaß, dass er hatte schweigen wollen. Um ein Haar wäre er schwungvoll mit dem Körpergewicht nach vorn gekippt, aber er fing sich mit den Klauen ab. "Das ist ihr Familienschrein! Ihr seid durch den Knochenfressenden Brunnen gesprungen?"

"Ja."

"Aber warum?" Das tat man doch kaum auf gut Glück, oder?

"Deine Witterung klebte an dem Holz, Inuyasha. Ich hätte sie überall wiedererkannt."

Oh!

Da war er platt. Sein Geruch? Ob er das als Argument gegen Kagome verwenden konnte, um sich den nächsten Besuch im Bach zu ersparen? Das Wasser war um diese Jahreszeit eiskalt, aber sie hatte ihre Prinzipien und sprach lang und breit von gesteigerten Abwehrkräften. Bisher war ihm bloß noch nicht aufgefallen, dass seine Fähigkeiten zur Verteidigung dadurch sprunghaft gewachsen wären. Aber wie auch immer. Der Glühwein tobte in ihm und die Wärme in seinem Bauch ließ ihn vergessen, dass er gerade seinen Halbbruder völlig friedfertig angrinste.

"He, Sesshoumaru?"

Der Ältere atmete bedächtig aus, um sich für die nächste Dummheit zu wappnen. Was würde es dieses Mal sein? Wollte er einen Waffenstillstand vorschlagen, um seinen eigenen Hals in Vaters Gegenwart zu retten?

Lächerlich.

Dabei hatte er mehr zu verlieren als der halbe Hund - das kam nicht infrage. "Sprich", zischte er, obwohl in seiner Tonlage deutlich die Empfehlung mitschwang, lieber den Mund zu halten.

Inuyasha nahm beides mit einem Kichern hin. "Deine Wangen sind gerötet. Merkst du das eigentlich selbst oder hast du Eis in den Adern? Schau, das geht von hier", damit berührte er seine Augenwinkel, "bis zu deinen Streifen. Gott! Du siehst aus, als ob dich Rin gerade vor allen anderen geküsst hätte!"

"Findest du das unterhaltsam?"

"Ja", prustete der Hanyou, "und wenn du dein Gesicht damals gesehen hättest, würdest du auch schallend lachen. So übertölpelt sah kein Kappa aus!"

"Inuyasha!", rief der alte Fürst, doch mit der brachialen Streitlust seiner Söhne konnte er nicht mithalten. Der Inu no Taishou mochte auf die Beine gesprungen sein und den vor Begeisterung quietschenden Welpen an sich drücken - aber die blauen Blitze, die donnernd durch die Holzwand fuhren und eine Schneise schlugen, ignorierten ihn völlig. Die Glühweinflasche zersplitterte unter der Wucht eines zweiten Hiebs, Schmähungen und absurdes Gekicher durchschnitten die Luft, dann war es ihm als Vater eindeutig zu viel.
 

6
 

"Bin ich bescheuert? Ich finde nicht, dass wir dorthin gehen sollten, du nerviges Insekt!" Toutousai kniff die Augen zu misstrauischen, schmalen Schlitzen zusammen, während er das Gewitter aus dämonischem Youki in der Ferne verfolgte. Schnee stob empor und ein ungezügelter Ausläufer traf eine uralte Weide, die wie frisch geschnittener Reis in die Knie brach. Einen Atemzug darauf explodierte sie in alle Himmelsrichtungen und hinterließen ein Schlachtfeld.

Tze!

Jetzt wusste er wenigstens, warum Musashi kein Ort für Dämonen war. Da bekamen ihn heute keine zehn Pferdedämonen mehr hin. "Wenn die sich unbedingt umbringen wollen, bitteschön. Geh ruhig vor, aber ich warte hier."

"Das ... das scheint mir eher etwas Familiäres zu sein", nuschelte Myouga. "Ich möchte mich wirklich nicht aufdrängen."

"Mach dich nicht lächerlich! Du bist der Berater dieser verrückten Familie, oder?! Du liegst mir damit seit Jahrtausenden in den Ohren, also ist es jawohl deine Pflicht, dich einzumischen!"

"Wie bitte?", empörte sich der Floh. Hatte der einen Schlag auf den Kopf bekommen? "Sieh dir das doch an! Unser alter Meister muss außer sich sein, wenn er es nicht mehr dabei belässt, einen Welpen auf den Rücken zu werfen oder in der Luft baumeln zu lassen. Was soll ich dazu sagen? Das ist seine Erziehung, nicht meine!"

"Pah! Stör mich nicht mit deinem Gejammer. Bewunder lieber die Überreste des Dorfes!", erklärte der Schmied mit einem gehässigen Funkeln in den Augen.

"Das ist doch wohl nicht dein-" Ernst, hatte er schimpfen wollen, aber dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Myougas Kehle entkam ein Quietschen, das sich nicht einmal für einen Flohdämon ziemte, dann lehnte er sich verdattert auf der Stofffalte des Yukatas vor. "Grundgütiger! Kneif mich! Ist das-?!"

Sogar der Ochsenyoukai, auf dem sie hockten, schien verblüfft über die acht Hinzukommenden. Die Augen traten wie von selbst aus den Höhlen, während er muhte und auf seiner Wolke mit den Hufen scharrte.

"Floh! Vergiss die Partie Shōgi und die Frage, ob das Reiswein war, den der alte Haudegen dabei hatte", grunzte Toutousai schadenfroh. "Ich zähle drei Menschen, zwei Welpen, einen Kappa, den Drachen und die Hundefürstin höchstpersönlich. Die Begegnung will ich im Lebtag nicht verpassen!"

"Aber, Toutousai! Wir könnten sterben!"

"Erst nach ihnen, und das ist es mir wert. Los!" Rabiat stieß der Schmied dem Ochsen die Fersen in die Flanken, während in Musashi bereits ein zorniges 'Inuyasha!' die Luft zerriss und der Glühwein in den Adern zum geringsten Problem verkam.

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An dieser Stelle greift der weihnachtliche Jugend- und Welpenschutz. Frohes Fest, ihr Lieben!



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Boahencock-
2021-03-23T14:02:04+00:00 23.03.2021 15:02
Hallo! Die Weihnachtszeit ist zwar schon vorbei aber ich musste es einfach lesen.🙂🙂🙂

Wisch-kose 😂😂😂😂las uns darüber reden😂😂😂😂

So kühl wie unser Lord wieder mal ist solltest du ihn lieber nicht reitzen
Schweig oder ich töte dich.

Sesshomaru hat an scheinenden vergesen was ihm sein Vater beibrachte.
Brobleme mit Worten zu löse.

Ohje Inuyasha tut mir leid, aber es muss halt nun mal sein, mann Wiederspricht seinen Vater nicht.

Sesshomaru zwischen Blütenblättern und Gräsern vorstellen.
Das kann ich auch nicht passt nicht zu ihm.

Ein Schlag auf den Hinterkopf erhöht das denk vermögen.
Die zwei hassen sich.
Die sind noch schlimmer wie hund 🐕 und Katze 🐱 .

nerviges Insekt! 😂😂😂😂😂😂

Ohje der klühwein Haut ganz schön rein.
*Zimmt mag ich nicht so gerne.*

Wauuuu ein schönes OS
Hat mir gut gefahlen.

L.G
Boa.
😼😉😼
Von:  Heflix
2020-02-25T14:41:15+00:00 25.02.2020 15:41
Sehr unterhaltsam. Die Dialoge sind nicht nur bei den Brüdern authentisch, sondern echt witzig. Die schenken sich im Kampf nichts. Jaken kann einem leidtun.
Der wiederauferstandene Vater - nun Großvater - war Gold wert. Endlich eine logische Erklärung, wie er überlebt haben kann.
Von:  MissVegeta
2019-01-28T11:38:37+00:00 28.01.2019 12:38
Grandiose Mischung!
Musste an einigen Stellen laut los lachen.
Hat mich sehr unterhalten und ich stelle mir vor wie es weiter gehen könnte... hehe.

Von:  Kerstin-san
2018-12-03T15:12:31+00:00 03.12.2018 16:12
Hallo,
 
ach ja, an den OS erinner ich mich noch gut. Ein keifender Myouga, ein streitsüchtiger Toutousai (und man merkt, dass die beiden ohne das ständige Gemecker einfach nicht können), dazu ein wiederauferstandener Herr der Hunde und seine beiden kampfbereiten Sprösslinge, die es sich während des Kampfes nicht nehmen lassen sich in aller Ruhe zu beleidigen und auch danach wunderbare Spitzen auatauschen. Eine herrliche Kombi, die durch Sesshoumarus Welpen (wie süß!) wunderbar abgerundet wird!
 
Ich bin immer noch ein Fan des Taishou mit Krawatte und erinnere mich dunkel daran, dass ich unbedingt eine Fortsetzung dieser Geschichte wollte, auf der der Taishou über einen Weihnachtsmarkt schlendert und Glühwein trinkt ;)
 
PS: Da haben sich mehrere Zeilenumbrüche reingemogelt, die da nicht reingehören (u.a. zwischen der und Vulkanschmiede; zwischen sein und Speichel; zwischen nicht und glauben; zwischen während und Inuyasha; zwischen sorgenfreies und Gemüt)
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von: Morgi
03.12.2018 16:16
Der Herr der Hunde wird erstmal durch "Candlelight" mit Krawatte schlittern, aber ich versuche noch vor Weihnachten die Fortsetzung fertig zu bekommen. Den Wunsch hatte ich nicht vergessen!
Warum Jaken nicht dieselbe Freude an der kleinen Dame entwickelt, ist und bleibt mir ein Rätsel. Ein bissiges, gehässiges Rätsel. Hihi.

Danke, die nehme ich gleich raus. Ich hab es als kompletten Fließtext aus der .pdf-Datei kopiert und musste jeden händisch setzen, weshalb sie mir durch die Lappen gegangen sein dürften. Deinem Auge entgeht nichts! Danke! :)

Viele Grüße, Morgi
Antwort von:  Kerstin-san
03.12.2018 16:35
Ohh, Candlelight, darauf freu ich mich am meisten! *-*
Von:  Dudisliebling
2018-12-03T15:07:36+00:00 03.12.2018 16:07
Wow.. einfach nur wow

Diese Story ist so dermaßen witzig und gut geschrieben!
Ich habe an manchen Stellen so gelacht.. oh Mann die drei sind wirklich gut.
Touga der Liebe Opa der von der Erziehung seiner Söhne geschockt ist bzw ihrer brüderlichen Liebe zueinander...

Wirklich sehr gut gemacht ;-)
Antwort von: Morgi
03.12.2018 16:13
Hallo!

Dass es dich erheitern konnte, freut mich ja riesig. Danke für dein Feedback!
Toga (bzw. bei mir Isamu, weil ich den Namen aus dem Script des 3. Films bereits Sesshoumarus Großvater zugeschrieben hatte) hätte sich wohl doch noch mehr Erziehungsaufgaben ausdenken müssen, um die Launen der beiden in andere Bahnen zu lenken. ;)

Deinen Namen habe ich drüben in den IY-Fanarts durch meine Rückkehr schon aufgeschnappt, d.h. ich verirr mich nachher auch noch zu dir!
Bis dahin eine schöne Vorweihnachtszeit.


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