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The Journey that ties us together

von

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Distance

1 – Distance
 

Die Ausweise lagen verbrannt in seinem Waschbecken, das Telefon auf dem Tisch. Sein dunkles Display schien ihn zu verhöhnen, seit Tagen war es still und unbewegt. Sam saß auf seinem Bett, die Ellenbogen auf den Knien, die Finger ineinander verhakt. Er starrte einfach nur geradeaus. In einer Stunde würde seine Schicht beginnen und er wusste, er musste noch duschen, sich vorbereiten, aber Sam tat nichts dergleichen. Sein Kopf war leer und sein Herz tastete er gar nicht erst an.
 

Ja, er hatte vorgeschlagen, dass Dean und er getrennte Wege gingen. Und ja, er hatte sehr gute Gründe dafür und er verstand, dass Dean ihm zugestimmt hatte. Aber dieses Wissen machte es nicht einfacher. Machte es nicht weniger schmerzvoll. Wieder und wieder sah er Deans Gesicht vor sich, am Tisch dieser Raststätte, der voller ausgespuckter Kaugummis und nicht identifizierbarer Flecken gewesen war. Er hörte Deans Stimme, seine Worte, wie einen endlosen Kreislauf in seinem Kopf.
 

Würde er nun angegriffen werden, er würde sich nicht einmal wehren. Sam war sich nicht einmal sicher, ob es nicht einem Teil in ihm gab, der sich das wünschte. Eine finstere Ecke seiner Seele, die wusste, dass er es nicht verdient hatte am Leben zu sein und die nur still war, weil seine Schuldgefühle nicht zuließen, dass er sich das Leben nahm. Zumindest nicht, bevor er die Apokalypse aufgehalten hatte. Sam wusste nicht, wie er das anstellen sollte – im Moment wusste er ja nicht einmal, wie er den nächsten Tag überstand. Seine Armbanduhr piepte, erinnerte ihn, dass er nur noch dreißig Minuten hatte, bis er in der Bar sein musste.
 

Sam erhob sich mechanisch, duschte sich, zog sich an und ging arbeiten. Still, effizient und automatisch. Tag um Tag. Manchmal sah er sein Handy an, wenn er vor dem Tisch stand, manchmal glitt sein Finger zur Schnellwahltaste, aber er nahm niemals Kontakt auf. Wie auch Dean. Es gab niemals verpasste Anrufe, niemals Nachrichten mit dem Namen seines Bruders. Bobby hatte ihn angerufen und auch Ellen. Beide hatte er kurz gesprochen, gesagt, dass ihm gut ging, aber verschwiegen, wo er war.
 

In der Küche seiner Arbeitsstelle hing ein Kreuzworträtsel. Sam ignorierte es die ersten drei Nächte. Dann füllte er das erste Wort aus. Danach das nächste und eh er sich versah, war er fertig. Sein Hirn, unfähig, eine Lösung zu finden, wie er sich selbst vertrauen und zur Jagd zurückkehren konnte und ebenso unfähig zu entscheiden, ob und wie er Dean bitten sollte, ihn zurück an seine Seite zu lassen, verfiel zurück in eine Angewohnheit aus Stanford. Ein dicker Block mit Kreuzworträtseln fand seinen Weg in Sams Einkaufskorb, zusammen mit dunklen Brot, Obst und Gemüse. Ebenfalls Überbleibsel seiner Jahre an der Universität. Lindsey versuchte Kontakt mit ihm aufzubauen, doch Sam beließ es bei Oberflächlichkeiten. Er wollte nicht, dass ihn jemand kannte.
 

Jede Nacht öffnete er eine Bierflasche, trank sie aber in den seltensten Fällen. Er vermisste nur das Geräusch, genauso wie ihm die Präsenz eines weiteren Menschen in seinem Raum fehlte. Manchmal, wenn er es gar nicht mehr aushielt, dann kletterte er auf das Dach des Motels, setzte sich und starrte in den Himmel hinauf. Zumindest die Sterne verurteilten ihn nicht.

Manchmal wanderte er auch durch die Nacht, bis es hell wurde und manches Mal war er so, so wütend. Auf Ruby. Auf sich selbst. Auf das verdammte Blut, dass durch seinen Körper strömte.
 

Diese Nächte waren die schlimmsten. In ihnen tobte er. Wütete, schrie und klagte. Griff Bäume und Gebüsch im Wald mit einer Axt oder auch den bloßen Händen an. Selbsthass, wie ein eiterndes Geschwür, ließ ihn das Messer gegen die Haut seines Innenarms pressen, fordernd, dass er ausblutete, allein, vergessen und weggeworfen, wie er es verdiente. Sam wollte Dean beschuldigen, Bobby, Lilith, aber am Ende gab es nur einen Schuldigen und das war er. Er hätte im Panikraum bleiben sollen, hätte sich austrocknen sollen. Aber der Wunsch, seinen Bruder zu rächen und das Richtige zu tun, hatte zu lichterloh in ihm gebrannt.
 

Der Weg zur Hölle war gepflastert mit guten Intentionen. Und Sam war sich sicher, er würde die Hölle sehen, früher oder später. Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen. Vielleicht würden die Qualen und der Horror, die Dean dort erlebt hatte, für seine Buße reichen und wenn seine Seele vollkommen zerschreddert war, würde er den Frieden finden, nachdem er sein Leben lang gesucht hatte.
 

Weil seine Beine ihn nicht mehr tragen wollten, ließ er sich auf den Waldboden fallen, inmitten von abgebrochenen Ästen und aufgerissenem Erdreich. Tiefe Kerben in den umgebenen Baumstämmen sahen wie die Narben aus, die Sam auf dem Körper trug. Er packte seine Oberarme, drückte so fest zu, dass blaue Flecken entstanden, lachte, rau und nicht ganz zurechnungsfähig. Bei Gott, wie sehr er sich wünschte, dass es sein Handabdruck gewesen wäre, der auf Deans Schulter zu sehen war und der Sam sein Versagen gleißend hell vor Augen geführt hatte. Es hatte einen Engel gebraucht, um seinen Bruder zu retten. Nichts, was er je getan hatte war genug gewesen, ganz egal wie extrem.
 

Alles das er gehabt hatte, war sein Schmerz, diese unendliche Leere und seine Rache.
 

Sam schnaubte amüsiert.
 

Die Leere hatte er ja nun zurück. Wie ein alter Bekannter hockte sie sich neben ihn und umarmte ihn zärtlich, bis die Blätter und Gräser voller Tau hingen und die Sonne aufgegangen war. Seine Armbanduhr piepte und erinnerte ihn daran, dass er heute seinen Gehaltscheck bei Markus abholen konnte. Mühsam kämpfte er sich auf die Füße, wankte zu seinem Auto. Seine Hand strich automatisch über die Konturen, aber sie waren nicht annähernd so elegant wie die des Impalas. Sein Zuhause, das er zusammen mit seinem Bruder aufgegeben hatte.
 

Sam blinzelte harsch, als das Sonnenlicht in den Scheinwerfern reflektiert wurde und seine Augen zum Tränen brachte. Er schniefte, wischte sich über die Nase und stieg in den Wagen. Er hatte es sich selbst ausgesucht.

Und bald, bald würde er so leer sein, dass es weder Verlangen, noch Wunsch, noch Leben in ihm gab. Und wenn er das erreicht hatte, so schwor sich Sam, als seine geschundenen Hände, voller Schwielen und Wunden, das Lenkrad griffen, dann würde er bereit sein, zur Jagd zurück zu kehren und Lucifer dorthin zu befördern, wo er hingehörte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  yamimaru
2019-01-07T09:12:54+00:00 07.01.2019 10:12
Hallo Arani,

also, ich muss ehrlich zugeben, dass ich nicht alles verstehe, was in dem Kapitel angesprochen wird, das aber einfach aus dem Grund, weil mir das Hintergrundwissen der Serie fehlt. Gleiches trifft auf die vielen Namen zu, die erwähnt werden, aber hier gehe ich mal davon aus, dass sie im späteren Verlauf der Story nochmal angesprochen werden, wenn sie denn von Bedeutung sind.

Was aber sehr eindrucksvoll bei mir angekommen ist, ist Sams Schmerz. T_T Mensch, der Kerl hat mir echt ab dem ersten Satz schon so unglaublich leid getan. Erst musste ich nochmal kurz überlegen, wer von den beiden Brüdern nun "den Fehler" gemacht hat, der zu ihrer Trennung geführt hat, aber das hast du später dann ja nochmal erklärt.
Und verdammt, Sams innere Zerrissenheit, die Sehnsucht nach seinem Bruder und das Wissen darüber, dass alles seine Schuld war, sind so greifbar und haben beim Lesen richtig weh getan.
Er ist gerade komplett in dem Kreislauf aus Selbstvorwürfen und Schmerz gefangen, dass ich es sehr nachvollziehbar fand, dass er versucht sich abzuschotten und eben nur noch zu funktionieren.
Es ist ihm in dieser Situation schon wahnsinnig hoch anzurechnen, dass er es schafft, trotzdem noch täglich zur Arbeit zu gehen, hirnsportaufgaben zu lösen und sogar noch zu essen.
Das ist wohl ein Zeichen dafür, dass er - trotz allem, was er sich einzureden versucht - doch noch nicht ganz aufgegeben hat. Vermutlich hält ihn momentan nur der Gedanke an Rache aufrecht, aber wenigstens hat er noch irgendetwas.

Die Szene im Wald und die Beschreibungen davon, was er sich alles antut, waren wirklich hart zu lesen, aber auch diese wütenden Ausbrüche sind in dem Zusammenhang absolut nachvollziehbar und du hast sie auch nicht übertrieben dargestellt. Das hat sich alles sehr stimmig für mich gelesen.

Ich hätte eine kleine Anmerkung, was die Formulierung in einem Satz angeht:
Du schreibst relativ am Anfang, dass Sams Gedanken in einem Loop gefangen sind. Vielleicht könntest du das durch ein deutsches Wort ersetzen? Kreislauf vielleicht oder Gedankenspirale oder so? Ich finde es in einem deutschen Text immer schöner, wenn man Anglizismen vermeidet, wenn das möglich ist. Liest sich irgendwie professioneller. Das aber nur als kleiner Tipp, du musst das natürlich nicht umsetzen. :)

Und ich kann auch hier nur mal wieder sagen, dass ich es wirklich sehr mag, wie du schreibst und wie du es immer wieder schaffst, deine Texte mit Emotionen förmlich aufzuladen. Das ist faszinierend, ehrlich mal, und ein riesiges Talent. ^^

Für den Einstieg hat mir das Kapitel schon sehr gefallen und ich gucke mal, dass ich auch den Rest noch lese. ^^

Lg
yamimaru


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