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Der Krieg der Schatten

von

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Verzweiflung (Nal)

Nal
 

Es musste ein Omen sein. Ob gut oder schlecht konnte sie nicht sagen aber dass das Kind ausgerechnet jetzt kam, hatte definitiv Bedeutung.

Farbauti hatte das Fortschreiten der Schwangerschaft unterbrochen, als der Krieg begann. Es wäre ein zu großes Risiko gewesen, es mitten in die Kämpfe hinein zu gebären. Sie wollte warten bis sich die Situation beruhigt hatte. Anscheinend hatte das Baby jedoch andere Pläne.

Als die Wehen plötzlich einsetzten, waren alle überrascht. Am meisten Farbauti selbst. Es war einfach zu früh.

Im Hintergrund kann Nal Kanonendonner hören, es klingt lauter als die letzten Tage, näher. Sie ignoriert es.

„Du. Sorg dafür, das König Laufey es erfährt. Gib den Soldaten Bescheid das sie die Nachricht weiterleiten sollen.“ Die junge Frau, deren Namen Nal nicht kannte, nickt wortlos und rannte los. Nal selbst hilft ihrer Schwester sich hinzulegen und stützt sie. Ein Glück, das so viele Ältere hier sind, die wissen, was zu tun ist. Innerhalb kürzester Zeit sind sie umringt von hilfsbereiten Händen.

Das Kind kommt schnell und glücklicherweise ohne Probleme. Es ist wohlauf, wenn auch zu klein, was vermutlich daran liegt, das es schlicht zu früh gekommen ist. Lächelnd sieht Nal ihren Neffen an. So klein aber so wild. Er schreit so laut, das es der ganze Tempel hört und hört erst auf, als Farbauti ihn wiegt.

„Keine Sorge wegen der Größe. Er kam zu früh aber er ist völlig gesund. Vermutlich wird er nie die selbe Höhe wie andere Kinder erreichen aber bei richtiger Ernährung, wird er gut genug wachsen.“ Eine der Alten, die bei der Geburt geholfen haben, reicht ihnen ein Stück Tuch, während sie mit Farbauti spricht. Ihre Schwester scheint es kaum wahrzunehmen, verträumt blickt sie auf ihr erstes Kind.

„Oh, ich mache mir keine Sorgen. Er kommt einfach ganz nach seinem Vater, er ist mehr als das wonach er aussieht. Und so ungestüm wie er ist er auch.“ Farbauti lächelt bei dem Gedanken als ihr kleiner Sohn wieder zu zappeln beginnt und ja, es stimmt schon. Laufey war auch nie einer von der ruhigen Sorte. Farbauti allerdings ebenfalls nicht. Es würde sicher furchtbar werden, auf den Kleinen aufzupassen.
 

Draußen vor den Toren des Tempels herrscht das Chaos. Irgendwie haben die Asen es geschafft, durch ihre Verteidigung zu brechen. Die wenigen zurückgebliebenen Wächter rennen dem Feind entgegen. Jeder der kämpfen kann, schließt sich ihnen an. Alle anderen ziehen sich tiefer in die alten Hallen zurück.

Auch sie strafft sich. Noch sind die Kämpfe auf der anderen Seite des Palastes aber das kann sich schnell ändern. Hinter ihr gibt Farbauti Anweisungen. Nal schüttelt nur den Kopf darüber.

Ihre Schwester war schon immer so. Sie ließ sich durch nichts aufhalten und schlug jedes Hindernis beiseite. Selbst die kürzliche Geburt hindert sie nicht dran, schon wieder hektische Befehle zu brüllen. Was sollte man auch anderes von einer Königin und Kriegerin erwarten.

Seufzend sieht sie wieder nach draußen und stockt als sie Laufey durch die Massen eilen sieht. Sie hätte nicht erwartet, das er hierherkommen würde, geschweige den so schnell. Andererseits, der Palast wurde angegriffen, vermutlich war er ohnehin hierher unterwegs.

Sie winkt ihn herüber und seine einzige Frage ist wo.

Als sie durch den Tempel eilen, teilt sich das Volk vor ihnen und für den Moment kehrt so etwas wie Ruhe ein. Es sind nur wenige Augenblicke, bevor Laufey wieder forteilt aber sie reichen völlig aus. Stumm sieht sie zu wie die kleine Familie zusammensteht. Es ist ein zeitloser Augenblick. Loptr heißt jetzt also ihr Neffe. Ein schöner Name.

Dann ist Laufey wieder fort und die Hektik kehrt zurück.
 

Für einen Moment wird die Stadt dunkel, bis sich ihre Augen an das sanfte glimmen der Kristalle und der im Eis eingeschlossenen und auf den Felsen wachsenden Moose gewöhnt haben. In der Ferne kann sie das Geräusch von Kämpfen hören und Explosionen, näher als sie sein dürften. Der Schild, der den Palast schützt ist verschwunden.

Etwas rast mit einem glühendem Schweif über den Tempel hinweg und schlägt weiter hinter ihm ein. Der Boden bebt und für einen Moment wird alles in gleißendes Licht getaucht.

Der Schild ist fort und der Palast wird bombardiert. Es ist nicht die letzte Explosionen, das weiß sie.

Farbauti ist noch immer im Tempelinneren und beaufsichtigt, wie die Zivilisten in die tiefen Hallen hinabsteigen. Sie sind schon längst überfüllt aber immer noch der sicherste Ort. Alle Versuche Nals, ihre Schwester ebenfalls dazu zu bringen, in die Höhlen zu flüchten, sind fehlgeschlagen. Das Wohl des Volkes geht vor und als Königin muss sie zuerst an das Volk denken, sind ihre Worte.

Wieder zerreißt eine Explosion die ewige Nacht des Winters, näher diesmal. Viel zu nahe. Der Boden erbebt und ein Teil sackt ein. Unter den Flüchtenden bricht Chaos aus. Hektisch drängen die noch im Tempel Verbliebenen zu den Eingängen in den Untergrund. Tiefer hinab, wo es sicher ist. Die oberen Hallen werden dem Bombardement nicht ewig standhalten und ein Teil der Tunnel ist bereits eingestürzt.

Eine weitere Explosion erschüttert das Gebäude und die Decke stützt nieder. Jetzt sind die Zugänge komplett blockiert. Die Fluchtwege nach unten sind versperrt und die Kampfgeräusche rücken näher.
 

„Farbauti? Farbauti?“ Suchend bewegt sie sich durch den Staub und die Trümmer. Das Geschoss, was immer es gewesen sein mag, muss den Tempel direkt getroffen haben. Große Teile der Ostseite sind eingestürzt. Überall um sie herum hört sie die Schreie der Verwundeten. Einmal klettert sie über einen Schutthaufen hinweg, aus dem ein Arm ragt. Sie will nicht genauer hinsehen.

Dann hört sie das Weinen eines Babys und kurz darauf taucht Farbauti aus dem Gesteinsnebel auf. Sie scheint unverletzt und Nal atmet erleichtert auf.

„Die Asen rücken näher Schwester, wir müssen von hier fort!“ Nachdenklich sieht Farbauti an ihr vorbei in die Richtung, aus der die Kampfgeräusche kommen. Tranceartig versucht sie nebenbei ihr Kind zu beruhigen und tatsächlich hört der Junge bald darauf auf zu schreien.

„Sie kommen nicht näher Nal. Sie sind schon da.“ Unbeweglich steht ihre Schwester zwischen den Trümmern und reagiert überhaupt nicht auf ihre Versuche, sie zur Flucht zu bewegen. Loptr blickt in ihren Armen wissend umher und gurgelt leise. Er wirkt so völlig fehl am Platze.

„Hier, nimm meinen Sohn und bring ihn in Sicherheit, ich werde sie aufhalten so lange ich kann.“ Plötzlich dreht Farbauti sich zu ihr und reicht ihr das Kind. Reflexartig nimmt Nal es an sich und erst dann dringen die Worte zu ihr durch, doch es ist schon zu spät.

„Farbauti nein!“ Nal eilt ihr nach, will sie zurückholen. Sie weiß, das sie, wenn sie es jetzt nicht tut, sie ihre Schwester nie wiedersehen wird. Nicht lebend. Doch dann greifen kleine Hände nach ihr und als sie hinunterschaut, sieht sie ihren Neffen, der sie mit so klaren Augen ansieht als wüsste er ganz genau was um ihn herum geschieht.

„Es tut mir Leid Schwester, aber ich bin nicht nur Königin und Mutter, ich bin auch Kriegerin. Pass gut auf meinen Sohn und meinen Mann auf.“ Ein letztes mal erklingt Farbautis Stimme aus dem Nebel und der Nacht. Verzweifelt blickt Nal ihr nach. In Farbautis Augen war es vermutlich das Sinnvollste, ihren Sohn ihrer Schwester anzuvertrauen und zu Kämpfen. Nal jedoch hat Probleme, dies zu verstehen, sie ist Schneiderin und keine Kriegerin. Es mag noch so sinnvoll sein, ihr Zeit für die Flucht zu verschaffen aber sie selbst wäre niemals dazu in der Lage gewesen. Manchmal beneidet sie ihre Schwester für ihre praktische und aufopferungsvolle Art.

Ruckartig wendet sie sich um und eilt in die andere Richtung davon.
 

Der Tunnel ist blockiert, die Ausgänge des Tempels größtenteils verschüttet und nicht passierbar. An der Südseite ist der Boden so stark abgesackt, das er zusammen mit der senkrechten Felswand auf der anderen Seite eine unpassierbare Kluft bildet.

Im Hauptsaal ist die Wand eingestürzt und bildet einen steilen und rutschigen Berg aus Schutt.

Verzweifelt wendet sie sich erneut um. Es muss einen anderen Ausgang geben.

Doch der Rückweg ist ebenfalls versperrt. Nicht von Trümmern oder Kluften. Sondern vom Feind. Sie kann ihn hören, wie er grölend durch die Tempelanlage stürmt. Metallrüstungen die klirren, Waffen die gegen die Wände und Säulen geschlagen werden. Asische Krieger.

Der Lichtschein, den sie mit sich führen nähert sich und erhellt den Gang. Vorsichtig und Still weicht sie zurück, das Kind wiegend, auf das es nicht anfängt zu schreien und ihre Position verrät. Loptr bleibt glücklicherweise still und gähnt nur einmal ausgiebig.

Kurz blickt sie auf den Berg aus Abraum. Es könnte möglich sein doch kaum versucht sie ihn zu erklimmen, gerät alles ins rutschen und der Lärm hat die Asen auf sie aufmerksam gemacht.

An Flucht ist nun nicht mehr zu denken. Hektisch sieht sie sich nach einem Versteck für das Kind um. Ihr Blick fällt auf den Reliquienschrein unter dem Altar.

Ohne sich weiter zu kümmern, reißt sie die Steinplatte die ihn verschließt nach oben auf und wirft den Inhalt beiseite, bevor sie Loptr, der inzwischen tatsächlich eingeschlafenen zu sein scheint, hineinlegt und die Platte wieder schließt. Dann eilt sie zurück in die Mitte der Halle und macht sich bereit zu kämpfen.
 

Sie ist keine Kämpferin, war es nie aber dennoch schafft sie es, einen der Asen zu Boden zu schicken einen weiteren zu verwunden. Dann wird sie selbst getroffen und fällt. Vor ihren Augen tanzen bunte Flecken und sie merkt, wie ihre Gedanken langsam fort driften.

Aus den Augenwinkel sieht sie noch wie die Asen anfangen, die Kristallornamente von den Wände zu reißen, dann verschwimmt die Welt und wird dunkel. Vermutlich halten die Asen sie für Tod.

Als sie wieder zu sich kommt, ist alles Still. Keine Kampfgeräusche, keine Explosionen. Der Staub hat sich gelegt und der Wind pfeift einsam durch die Halle. Wie aus weiter Ferne hört sie ein Wehklagen. Langsam beginnt sie sich zu erinnern und schreckt dann panisch hoch. Sie ignoriert den Schwindel und den Schmerz und stolpert in Richtung des Altars.

Doch da ist nichts. Die Steinplatte die den kleinen Raum verschließt, liegt geborsten am Boden.

Verzweifelt tastet sie den kleinen Raum wieder besseren Wissen ab aber da ist nichts. Sie durchsucht die ganze Halle, ruft und horcht aber nichts. Das Kind ist fort. Sie hat versagt.

Tranceartig wandelt sie durch die Halle und die Gänge hinaus. Die Asen sind fort und langsam tauchen von überall Jotunen aus den zerstörten Häusern auf.

Wie im Traum bemerkt sie, wie die Eingänge zu den Höhlen freigeschaufelt werden, wie Tote und Verwundete aus den Trümmern geborgen werden.

Sie sieht es und sieht es nicht. Als würde sie alles von weit entfernt nur beobachten. Als wäre nichts davon real.

Schwankend schreitet sie über den Platz, bis sie eine vertraute Robe sieht. Sie würde den Stoff überall wiedererkennen. Die Stickereien stammen aus ihrer Hand.

Sie hat ihre Schwester gefunden.

Erschöpft fällt sie neben ihr auf die Knie und legt ihren Kopf auf ihren Schoß. Sie sieht aus als würde sie schlafen aber Nal weiß, dass das nicht stimmt. Da ist zu viel Blut und die Wunden sind zu tief und zu groß.
 

Man lässt sie in Ruhe. Niemand spricht sie an. Sie spürt die Blicke und die Trauer der Leute aber keiner wagt es, an sie heranzutreten.

Als die Stille sich verdichtet und die Menge weiter zurückweicht, sieht sie auf. Laufey schreitet durch die Menge der Jotunen und alle senken betrübt den Kopf als er sich nähert. Für einen Moment sieht sie Erleichterung in seinen Augen doch sie schwindet schnell als sich sein Blick mit ihrem kreuzt.

Er scheint überhaupt nicht zu hören, was sie zu ihm sagt. Schweigsam nimmt er Farbautis Körper in die Arme und für einen langen Augenblick sagt niemand mehr etwas.

Schließlich erwacht Laufey wieder aus seiner Trauer und die Frage nach dem Kind zerreißest Nals Herz.

Schweigend sitzt sie daneben, während Laufey seinen Schmerz in die Welt schreit.
 


 

XXXX
 


 


 

Das Zeitweilige unterbrechen einer Schwangerschaft ist übrigens möglich.

Kängurus können das voranschreiten der Schwangerschaft bis zu Sechs Monaten pausieren, wenn die Situation es erfordert. Sobald dann wieder genug Wasser und Nahrung da sind, geht’s weiter als wäre nichts gewesen.

Sind übrigens nicht die einzigen. Fledermäuse, Robben und Wiesel können das auch.

Die Natur hat seltsame und faszinierende Wege.



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