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RUN

They never stop catching you
von

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Kapitel 6

Das Knarren wurde bei jedem Schritt lauter.

Yachi atmete flach, um sich nicht zu verraten. Sie umklammerte den Schaft des Messers noch fester.

Schnapper, sagte sie innerlich zu sich selbst, wenn das ein Schnapper ist, brauche ich ihm das Messer nur in den Kopf zu rammen und kann dann verschwinden!

Sie richtete sich etwas auf. Es half, sich einzureden, dass sie stark genug war und, dass sie keine Angst zu haben brauchte. Sie durfte nur nicht gebissen oder gekratzt werden.

Innerlich lachte sie hysterisch. Wenn das nur so einfach wäre!

Wenn es Sugawara erwischt hatte, dann würde sie das hart treffen, aber er hatte seinen Tod selbst gewählt und war das Risiko zu sterben bewusst eingegangen. Er hätte ihr damit eine Chance verschafft, lebend aus diesem Haus hinauszukommen.

Die Tür ging knarrend auf.

Yachi atmete leise aus.

Sie hörte Schritte, die auf den Wandschrank zu kamen. Sie umklammerte das Messer mit all ihrer Kraft, die sie noch aufbringen konnte.

»Yachi? Ich bin’s!«

Das Mädchen atmete erleichtert aus und eine Sekunde später wurde die Tür zum Wandschrank aufgerissen.

Yachi ließ das Messer fallen, sprang hoch und fiel Sugawara vor lauter Freude um den Hals. Die Tränen liefen ihr hemmungslos über die Wangen.

Sie war froh, dass er noch am Leben war und das sie niemandem ein Messer in den Kopf rammen musste – weder Schnapper, noch Mensch!

Sugawara streichelte ihr behutsam über den Kopf und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals.

Er selbst war wohl am frohsten, dass unten kein Schlürfer auf ihn gewartet hatte, sondern ein Freund.

»Die Kleine hat‘s also tatsächlich überlebt? Bewundernswert!«

Yachi löste sich von Sugawara und blickte in braungoldene desinteressierte Augen, die sie vermutlich niemals in ihrem Leben hätte vergessen können.

»Tsukishima?«, fragte sie vorsichtig.

Sie konnte nicht glauben, dass er ihr wirklich gegenüberstand.

»Ja wer sonst? Kanntest du etwa noch jemanden der so gut aussieht wie ich?«

Sie befreite sich nun vollends aus Sugawaras Armen um kurz darauf dem anderen Jungen im Raum um den Hals zu fallen.

Ihr Herz klopfte nun wieder wie verrückt. Niemals hätte sie es für möglich gehalten heute auf zwei alte Freunde zu treffen, von denen sie monatelang gedacht hatte, sie wären tot!

»Ich will euch ja nur ungerne unterbrechen, aber wir sollten von hier verschwinden, jetzt wo wir zu dritt sind!«, sagte Sugawara entschieden.

Yachi sah ihn hoffnungsvoll an. Sie hoffte, die beiden würden sie zurück zum Highway bringen.

Doch Tsukishima zerschlug ihre Hoffnungen mit seinen Worten: »Stimmt, wir müssen zurück zu Oikawa und Akashi – wenn etwas passiert, sterben sie!«

»Aber was ist mit Kuroo? Wollt ihr ihn alleine im Wald zurücklassen?«, protestierte Yachi mit zitternder Stimme.

Tsukishima rückte die Brille auf seiner Nase zurück und blitzte sie aus seinen Augen finster an. »So ein Glückskind wie er ist, wird ihm schon nichts passieren, aber ich werde mein Leben nicht länger in Gefahr bringen, um dafür zu garantieren! Er ist alt genug und wir haben ihm oft genug gesagt, dass er sein Gehirn benutzen soll. Wenn er den Anschalter dafür nicht findet, soll das nicht länger mein Problem sein!«, sagte er ruppig. Dann machte er auf dem Fuß kehrt und verschwand wieder im Vorsaal.

Yachi sah ihm verwirrt nach und auch Sugawara musste ein, zwei Mal blinzeln um das gerade gesagte zu verarbeiten.

»Heißt das, es ist ihm egal?«, fragte Yachi atemlos.

»Scheint so!«

»Wir müssen ihn umstimmen und nach ihm suchen! Er ist verletzt und kann kaum laufen!«

»Er hat sich sein Schicksal selbst ausgesucht und kannte die Konsequenzen. Trotzdem ist er losgerannt!«

Es schienen Sugawaras letzte Worte zu sein. Denn er holte die Sachen aus dem Wandschrank und folgte Tsukishima dann in den Flur.

Yachi schüttelte verständnislos mit dem Kopf. Wäre sie nur etwas mutiger, wäre sie alleine losgegangen um Kuroo zu suchen. Aber sie würde sich bloß wieder verlaufen. Deswegen hielt sie es für schlauer Tsukishima und Sugawara zu ihrem Versteck zu folgen. Denn dann würde sie bereits morgen Mittag wieder zurück bei ihrer Gruppe sein. Und dann konnten sie immer noch nach Kuroo suchen.

Sie nickte entschlossen und folgte ihren ehemaligen Mitschülern schnellen Schrittes.
 


 

ɸ
 

Auf dem Highway stand die ganze Gruppe immer noch beisammen und lauschte Kuroo aufmerksam. Der ehemalige Kapitän von Nekoma schilderte gerade in allen Einzelheiten, wie er auf Yachi getroffen war und wo er sie versteckt hat.

»Meine Begleitung hat sie bestimmt schon gefunden und in Sicherheit gebracht! Er kennt sie von früher und würde sie niemals einfach zurücklassen!«

Hinata horchte auf. »Mit wem warst du unterwegs?«

»Mit Sugawara – eurem Vize-Kapitän!«

»Er lebt?«, fragte Kageyama. Er konnte nicht glauben was Kuroo da gerade erzählte. Er konnte nicht glauben, dass Sugawara wirklich noch am Leben sein sollte.

»Ja – ich hatte ihn zwar nicht so streng und engstirnig in Erinnerung, aber ja; er ist am Leben!«

Hinata und Kageyama fielen sich vor Freude gegenseitig in die Arme. Jeder ihrer Freunde, der noch am Leben war, brachte einen Funken Hoffnung zu den beiden zurück.

Auch Yamaguchi wurde nach ein paar Sekunden in die Umarmung gezogen.

»Tsukki lebt übrigens auch noch!«

Nun strahlte auch Yamaguchi über beide Ohren. Irgendwie wunderte es ihn zwar nicht wirklich, dass sein bester Freund noch am Leben war, weil er von Tsukishima eigentlich nichts anderes erwartet hatte, aber schmälern tat es seine Freude trotzdem nicht im Geringsten.

»Sind mit dir noch mehr unterwegs? Leute von uns?«, fragte nun Yaku.

Kuroo nickte. »Akashi und Bokuto sind auch dabei – und Oikawa! Sugawara hat ihn irgendwann aufgegabelt.«

Matsukawa und Hanamaki spitzten die Ohren, dann sahen sie sich gegenseitig fragend an, ehe sie sich in die vordere Reihe drängelten und Kuroo mit großen Augen anstarrten.

»Du bist mit Oikawa unterwegs? Mit Tooru Oikawa?«, fragte Hanamaki aufgeregt.

»Geht es ihm gut?«, wollte Matsukawa wissen.

Kuroo blickte sie nur ratlos an. »Er gehört zu euch?!«

Hanamaki und Matsukawa nickten.

»Irgendwie wundert mich das gar nicht – er ist genauso misstrauisch wie ihr. Nur hat er keinen so guten rechten Haken drauf!«

Beschämt senkte Hanamaki den Kopf und versteckte sich ein wenig hinter Matsukawa. Er bereute es ja schon ihn geschlagen zu haben – musste der ihm das jetzt noch unter die Nase reiben?

Matsukawa trat noch einen Schritt weiter vor.

»Geht es Oikawa gut?«, wiederholte er seine Frage.

Dieses Mal ging Kuroo darauf ein. Er nickte.

Matsukawa atmete erleichtert aus und auch Hanamaki hob nun den Kopf wieder.

»Ist mit euch auch jemand namens Iwaizumi unterwegs?«, fragte er leise.

Kuroo verdrehte nachdenklich die Augen, ehe er mit dem Kopf schüttelte.

»Nein«, sagte er, »Oikawa sagte, Iwaizumi wäre gestorben.«

Hanamaki hatte es erwartet. Iwaizumis Fuß war gebrochen gewesen. Er konnte sich kaum bewegen und sie hatten kein Auto. Es war abzusehen, dass er es nicht schaffen würde. Doch nachdem heute von so vielen Überlenden berichtet wurde, hatte er wenigstens gehofft, er könnte seinen alten Freund noch einmal wiedersehen.

Matsukawa kam auf ihn zu und umarmte ihn. Es war ein komisches Gefühl das hier vor allen anderen zu tun. Doch als er die Tränen seines Freundes auf seiner Haut spürte und das Schluchzen an seinem Ohr vernahm, war es ihm mit einem Mal egal. Er schlang die Arme ebenfalls um seinen Freund und flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr.

Er wusste, dass Matsukawa normalerweise nicht weinte. Doch einen Freund zu verlieren war immer hart. Besonders in dieser Zeit!

Während die beiden Arm in Arm noch immer mitten auf dem Highway standen, entfernte sich der Rest der Gruppe von ihnen.

Hinata und Lev organisierten Kuroo etwas zu essen und zu trinken. Yaku zog seinen wiedergefunden Freund zu einer Landkarte, neben der sich auch Kageyama und Yamaguchi bereits aufgestellt hatten.

»Wie lange seid ihr schon in der Gegend und wie gut kennst du dich hier aus?«, fragte Yaku, während er die Landkarte auf der Motorhaube des VW Bus zu ihrer vollen Größe entfaltete.

Kuroo kratzte sich am Nacken, während er die Zeichnung ansah. Er hatte noch nie einen wirklichen guten Orientierungssinn gehabt. Und seit dem er ständig durch den Wald latschen musste, in dem es keine Wegweiser gab, war dieser noch schlechter geworden. Deswegen hatte er sich ja verlaufen und den Rückweg zum Haus nicht mehr gefunden. Im Nachhinein das Beste, was ihm hätte passieren können. Denn so hatte er Kenma und die anderen wiedersehen können. Das sollte er nur Sugawara nicht unter die Nase reiben. Der würde ihn nämlich glatt ein Kopf kürzer machen.

»Um ehrlich zu sein: Ich habe keine wirkliche Ahnung wo hier was liegt! Ich kann dir immer nur die ungefähre Richtung sagen. Die meisten Sachen haben wir auch nur durch Zufälle gefunden!«, antwortete Kuroo ziemlich verspätet.

Yaku seufzte und tippte auf die Stelle, wo sie sich gerade befanden. »Kannst du mir wenigstens ungefähr zeigen wo du auf Matuskawa und Hanamaki gestoßen bist und aus welcher Richtung du gekommen bist?«

»Vielleicht, aber warum willst du das wissen?«

»Wenn Sugawara Yachi nicht gefunden hat, dann läuft sie immer noch ganz allein und ohne Waffe durch den Wald. Wir müssen wenigstens wissen, wo wir anfangen sollen zu suchen!«

Kuroo warf einen Blick auf die Karte. Doch für ihn sah alles gleich aus. Selbst die High-School und die Stadt waren nicht klar zu erkennen.

»Tut mir Leid«, sagte er. »Aber ich werde euch so keine große Hilfe sein! Morgen gehe ich mit euch in den Wald, dann zeige ich euch wo ich sie versteckt habe.«

Yaku zog beide Augenbrauen hoch. »Du willst mir jetzt ernsthaft erklären, dass du mit der Karte nichts anfangen kannst, aber zu einem der abertausenden Büsche in diesem Waldstück zurückfindest?! Wen willst du hier eigentlich verarschen?«

»Ich werde es euch morgen beweisen! Aber jetzt wäre ich euch für eine Pause ganz dankbar. Ich muss meinen Knöchel schonen, sonst kann ich morgen gar nicht mehr laufen!«, entgegnete Kuroo und ließ sich dann einfach auf dem Asphalt des Highways nieder.

Genau in diesem Moment stolperten auch Hinata und Lev zu ihm und reichten ihm eine Flasche Wasser und eine Dose gebackener Bohnen, von denen sie mehr als genug hatten.

Kuroo aß und trank so schnell und gierig, als hätte er seit Tagen nichts mehr zwischen die Kauleisten bekommen. Und so animalisch wie er dreinschaute, konnte man meinen, er hätte Angst, dass ihm jemand der anderen etwas wegnehmen würde.

Während ihm Lev und Hinata erzählten, was sie in den letzten Wochen alles erlebt hatten, gingen Yaku, Kageyama und Yamaguchi einmal um den VW Bus herum.

»Er wird uns auch morgen keine große Hilfe sein!«, sagte Kageyama nachdrücklich. »Eher ein Klotz am Bein. Wir sollten ihn hier lassen, Yachi einsammeln und dann wieder hier herkommen. Dann kann er uns immer noch zeigen, wie wir zu Oikawa und den anderen kommen.«

Yamaguchi schüttelte energisch den Kopf. »Er hat doch gesagt, er findet den Ort an dem er Yachi versteckt hat wieder! Wir sollten dort gemeinsam mit ihm hingehen! Wir finden Sie nie, wenn wir jeden Tag das gleiche Waldstück durchkämmen. Die Chance, dass sie genau in diesem Moment dort ist, ist einfach zu gering. Und ihre Überlebenschancen sind zu niedrig, als das wir ein Risiko eingehen können!«

Yaku und Kageyama warfen sie gegenseitig einen Blick zu. Normalerweise war Yamaguchi ziemlich ängstlich und still. Er hielt sich zurück, erledigte die Aufgaben, die man ihm auftrug und hoffte nur jedes Mal, dass sie nichts mit Schnappern oder ähnlichem zu tun hatten. Doch die Sorge um seine Freundin ließ ihn mutiger werden. Indirekt war er an der Situation zwar Schuld, aber das würde niemand jemals offen zum Ausdruck bringen.

»Wir sollten Kenma und Lev mitnehmen. Kuroo soll uns den Ort zeigen und wenn Yachi dort nicht mehr ist, dann bringen ihn die beiden zurück hierher und wir suchen weiter – Deal?«

»Sollten wir das nicht vorher noch mit den anderen besprechen? Matsukawa und Hanamaki werden bestimmt keinen Bock haben, morgen wieder durch den ganzen Wald zu stiefeln!«, entgegnete Kageyama skeptisch.

Yaku rieb sich grübelnd das Kinn. Dann zuckte er mit den Schultern. »Die beiden können hier bleiben und sich ausruhen, wenn sie möchten – heute haben sie genug getan, um sich das zu verdienen!«

Die drei nickten sich noch einmal gegenseitig zu und damit war es beschlossene Sache.

Yaku gähnte anschließend.

»Ich werde mich dann mal aufs Ohr hauen für ein paar Stunden. Morgen wird immerhin ein anstrengender Tag!«

»Ja, das sollte Kenma auch tun – Hinata und ich übernehmen die Nachtwache«, erwiderte Kageyama zustimmend. »Yamaguchi, du solltest dich auch hinlegen!«

Yaku und der andere Angesprochene nickten und machten sich dann auf den Weg zum Wohnmobil. Normalerweise schlief Yaku im VW, doch das Wohnmobil war um einiges bequemer und wer morgen den ganzen Tag durch den Wald staksen musste, hatte sich ein bequemes Bett verdient.

Yaku sammelt Kenma und Lev ein und verschwand mit Ihnen im Wohnmobil, Yamaguchi folgte.

Matsukawa und Hanamaki verdrückten sich mit einem leisen »Gute Nacht« in den VW.

Dann waren es nur noch drei.

Kageyama ging zu Kuroo und seinem Freund.

»Wir müssen aufs Wohnmobil Hinata, sonst sehen wir nicht genug!«, sagte Kageyama monoton wie eh und je.

Dann fixierte er Kuroo mit seinem Blick. »Im Bus ist noch ein Schlafplatz frei. Du solltest dich dort ausruhen. Wir wecken dich, falls etwas passiert!«

Kuroo überlegte einen Moment, ob er nicht auch mit aufs Wohnmobil klettern sollte. Doch kaum hatte er diesen Gedanken gefasst, signalisierte ihm sein Körper, dass er eine Mütze Schlaf mehr als nötig hatte. Immerhin war er seit gestern Morgen ununterbrochen auf den Beinen. Er hatte die Augen nur zum blinzeln geschlossen!

Mit Kageyamas Hilfe rappelte er sich vom Asphalt hoch und kroch anschließend neben Matsukawa und Hanamaki in den VW Bus.

Kaum hatte sein Kopf das Kopfkissen berührt, glitt er auch schon in den Schlaf. Und dort verfolgten ihn Tsukishimas braungoldene Augen. Unruhig wälzte er sich auf die andere Seite und kniff im Schlaf die Augen zusammen. Im Traum entschuldigte er sich bei seinem Freund und hoffte dieser würde ihm auch in der Realität verzeihen!
 


 

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Oikawa stand am Fenster und starrte den kahlen Hinterhof der Polizeiwache mit wachsamen Augen an. Er überkreuzte Zeigefinger und Mittelfinger, schickte in regelmäßigen Abständen Stoßgebete in Richtung Himmel. Sugawara durfte einfach nichts zugestoßen sein!

Er war so in seine Observation vertieft, dass er gar nicht merkte, wie jemand von hinten an ihn herantrat.

»Was machst du da?«

Erschrocken zuckte Oikawa zusammen und stolperte. Im letzten Moment schaffte er es dann aber, sich doch auf den Füßen zu halten.

Er drehte sich um und blickte in zwei große, goldene Iriden, die zu einer Person gehörten, mit der er am aller wenigsten gerechnet hatte.

»Was machst du hier Bokuto? Du solltest im Bett liegen und dich ausruhen!«

Die Eule blinzelte verwirrt und legte den Kopf schief. »Warum? Mir geht’s blendend, ehrlich – und außerdem muss ich mal pinkeln!«

Nun war es Oikawa der die Welt nicht mehr verstand. Vor ein paar Stunden litt Bokuto noch Fieber und Schüttelfrost. Und jetzt streifte er durch die Polizeiwache, als wäre er niemals krank gewesen. Oikawa rümpfte die Nase. Das sollte er mit Vorsicht genießen. Wenn sich Bokuto gleich wieder selbst überschätzte, konnte es passieren, dass es ihm in ein paar Tagen schlechter ging als zuvor. Und das sollten sie unbedingt verhindern.

»Wo ist Akashi? Schläft er noch?«, frage Oikawa, obwohl er sich einbildete die Antwort auf die Frage bereits zu kennen.

Denn Akashi hätte seinen kranken Freund niemals alleine draußen herumziehen lassen, wenn er wach gewesen wäre.

Bokuto stöhnte entnervt auf. »Ich bin kein kleines Kind mehr und ich trage auch keine Windeln! Sollte ich mir jetzt in die Hosen machen?«

Oikawa wusste nicht richtig was er dazu sagen sollte. Das war keine Entscheidung die er treffen wollte. Denn am Ende hätte er vielleicht noch den betreffenden Schlafsack ausspülen müssen.

Er warf noch einen letzten Blick zum Fenster hinaus. Doch weder von Sugawara, noch von Tsukishima war etwas zu sehen.

Deswegen wandte er sich nun Bokuto zu. »Dann wollen wir dir doch mal zeigen wo hier die Toiletten sind.«

Bokuto verzog das Gesicht. »Ich hab‘ dir gerade gesagt das ich kein kleines Baby bin!«

»Manchmal benimmst du dich aber wie eins – zum Beispiel die letzten drei Wochen über«, entgegnete Oikawa neckisch.

»Da war ich krank – entschuldige bitte, dass ich da nicht wie ein Einhorn über eine Blumenwiese springen kann!«

»Eine bessere Schlürfer-Ablenkung hätte es nicht geben können!«

Weil die Vorstellung so absurd war, konnten die beiden nicht anders als zu lachen. Und auch wenn es das eigentlich nicht sollte, es fühlte sich dennoch gut an. Es war die Befreiung aus dem depressiven Alltag. Es füllte ihre Lungen und Herzen mit Leben.

Sie sollten sich schlecht fühlen, weil drei von ihnen nicht hier waren und keiner mit Gewissheit sagen konnte, dass sie jemals wieder zurückkommen. Aber dennoch konnten Oikawa und Bokuto nicht aufhören. Das Lachen fühlte sich einfach zu gut an.

Doch auch das Lachen hielt die Realität nicht ewig von ihnen fern.

Ein Ächzen und ein Stöhnen, dass so laut war, als würde der Schlürfer direkt neben ihnen stehen, drang zu ihnen durch.

Erschrocken hielten die beiden inne und sahen sich panisch um. Doch der Raum war leer.

Oikawa drehte sich wieder zum Fenster und warf einen Blick in den Innenhof. Da waren sie auch schon. Fünf Stück, zwei Männer, eine Frau und zwei Teenager. Den Klamotten und dem Verwesungsgrad nach zu urteilen keine Bewohner der Stadt. Doch wo fünf auftauchten, waren weitere fünf und weitere zehn nicht weit entfernt. Jetzt hing vielleicht alles von ein paar Minuten ab.

»Geh zurück und weck Akashi«, sagte Oikawa eindringlich zu Bokuto. »Packt alles ein was wichtig ist und so viel, wie ihr tragen könnt!«

»Du denkst doch nicht wirklich, dass wir von hier verschwinden müssen oder?«, entgegnete Bokuto beinahe etwas ängstlich.

Er hatte in den vergangen Wochen keinen einzigen Schlürfer mehr zu Gesicht bekommen. Sie wieder vor Augen zu haben, jetzt wo sie noch schlimmer aussahen, ließ die Eule von den Zehen bis in die Haarspitzen erzittern. Er hätte beinahe vergessen in was für einer Welt sie jetzt lebten. Doch nun wurde es ihm einmal mehr deutlich vor Augen geführt. Der Tod lauerte an jeder Ecke!

Er hätte Oikawa gerne noch gefragt, was dieser jetzt vor hatte. Doch Bokuto sah an seinem eindringlichen Blick, dass dafür jetzt keine Zeit war.

Ohne ihn noch einmal anzusehen stürmte er aus dem Raum zurück in ihr umfunktioniertes Büro.

Wir hatten es gewusst, sagte er zu sich selber, wir hatten von Anfang an gewusst, dass wir nicht für immer hier bleiben konnten.

Er ließ sich vor Akashi auf die Knie fallen, packte ihn unsanft an den Schultern und schüttelte ihn, mit aller Kraft die er aufbringen konnte.

Akashi riss die Augen auf und starrte seinen Freund erst fragend, dann schockiert an.

»Was ist denn los?«, fragte er halbgähnend. »Warum liegst du eigentlich nicht neben mir und schläfst?«

Bokuto schüttelte mit dem Kopf und griff gleichzeitig nach seinem Wanderrucksack, der an der Wand lehnte.

»Keine Zeit für Erklärungen, pack alles zusammen was wichtig ist – wir müssen verschwinden!«

Während Bokuto schon mit Hochtouren daran arbeitete, rieb sich Akashi erst einmal den Schlafsand aus den Augen. Dann gähnte er einmal herzhaft und schmatzte vor sich hin.

Bokuto schmiss ihm seinen eigenen Rucksack vor die Füße und sah ihn eindringlich an. »Fang - endlich – an – zu – packen … Hast du mich verstanden?«

Akashi fand die dramatischen Kunstpausen nach jedem Wort des ersten Satzes etwas überflüssig.

»Hat sich mal wieder irgendetwas auf den Hinterhof verirrt? Was ist es dieses Mal? Ein Hirsch?«

»Du kennst doch die Faustregel, immerhin hast du sie selbst aufgestellt: Wo ein Schlürfer ist, sind zwei – wo zwei sind, sind auch drei und so weiter! Auf dem Hinterhof stehen fünf! Und du weißt mit was Sugawara gestern Nacht zu kämpfen hatte!«

Nun schien auch endlich Akashi den Ernst der Lage begriffen zu haben. Er pellte sich aus seinem Schlafsack und fing an erst seinen und anschließend Bokutos zusammen zu rollen.

Sein Freund hatte recht, er hatte diese Faustregel nach seinen ausgiebigen Beobachtungen erstellt. Und bisher hatte er mit dieser Theorie immer recht behalten. Schlürfer waren keine Herdentiere, aber wenn sie sich einer Gruppe angeschlossen hatten, dann musste schon etwas Gewaltiges geschehen, um diese Gruppe wieder zu trennen.

Und wenn sich solch eine Gruppe auf dem Hinterhof versammelte, dann würde es nicht lange dauern, bis auch die Straßen völlig überlaufen wären.

Und es wäre zu riskant ihr Glück herauszufordern.

Akashi und Bokuto brauchten fast fünfzehn Minuten um die nötigsten Dinge zusammen zu packen. Am Ende ließen sie lediglich ein paar Kleidungstücke zurück, die Oikawa eh nie wieder hätte sauber waschen können.

Besagter stürmte genau in diesem Moment den Raum.

»Wie viele sind es?«, fragte Akashi, während er die Gurte seines Rucksack fest zog.

»Schon fast zwanzig, wir müssen auf jeden Fall von hier verschwinden!«, antwortete Oikawa.

Bokuto drücke ihm seinen Rucksack in die Hand.

»Wo ist die rote Decke?«, fragte Oikawa.

Akashi reichte sie ihm.

»Okay, ihr beide geht schon mal hinunter. Ich befestige sie nur noch schnell und dann verschwinden wir von hier!«

Bokuto und Akashi nickten verstehend und folgten dem Anführer des Moments aus dem Raum.

Als sie die Treppe betraten, warfen sie einen letzten Blick zurück.

Es tat schon beinahe weh gehen zu müssen. So lange waren sie hier sicher gewesen, hatten es sogar einigermaßen bequem gehabt. Auch diesen Ort jetzt den Schlürfern zu überlassen, riss ein weiteres Stück der Hoffnung aus ihren Herzen heraus.

Doch schlussendlich blieb ihnen nichts anderes übrig. Es sei denn, sie wollten sterben und gefressen werden. Oder qualvoll verhungern, weil die Schlürfer tage-, vielleicht sogar wochenlang, die Polizeistation belagern.

Akashi und Bokuto hatten damit zu tun die Bretter von der Tür wegzureißen.

Zwei Tage hatten sie gebraucht um jedes Fenster, jede Tür im Erdgeschoss einbruchssicher zu machen.

Bei jedem Brett das sie abrissen, fühlte sich Akashis Herz an, als würde man ihm die rostigen Nägel feinsäuberlich durchstechen.

Gerade als sie die Nägel des letzten entfernen wollten, stieß Oikawa zu ihnen.

»Es sind jetzt fast dreißig, aber sie scheinen uns noch nicht bemerkt zu haben!«

»Besser ist‘s!«, brummte Akashi.

Keine drei Sekunden später fiel das letzte Brett zu Boden und Akashi zerschlug mit seiner Axt die Kette des Vorhängeschlosses.

Und dann standen sie plötzlich auf der Straße, direkt vor ihrem Auto – ein alter, schwarzer Transporter.

Während Bokuto die Rucksäcke verstaute und Akashi versuchte den Wagen zu starten, hielt Oikawa nach den Schlürfern Ausschau. Doch noch war keiner zu sehen.

Bereits ein paar Sekunden später ging der Motor los und Oikawa verlor keine Sekunde. Zusammen mit Bokuto quetschte er sich auf die beiden Beifahrersitze.

Akashi legte den Gang ein und trat das Gaspedal durch.

Während sie die Straße entlangfuhren, warf Oikawa einen wehleidigen Blick in den Rückspiegel.

Wenn er nicht krampfhaft versuchen würde stark zu sein, hätte er vermutlich sogar geweint. Aber ein Erwachsener Mann weinte nicht. Und deswegen wandte er den Blick ab und sah aus der Frontscheibe auf die Straße.

Man musste nach vorne sehen, durfte nicht zurückblicken. Die Vergangenheit war nur ein guter Ratschlag, für die Dinge, die man in Zukunft besser machen konnte.
 


 

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Sugawara rannte direkt in Tsukishima hinein. Dieser hatte sich nämlich dazu entschieden, einfach mitten im Weg stehen zu bleiben.

Benommen taumelte der ehemalige Vize-Kapitän von Karasuno einen Schritt zurück und sah den Riesen vor sich mit bösem Blick an. Wenn Blicke töten könnten, würde Tsukishima jetzt auf jeden Fall schon mal an seinem Grab herum schaufeln. Noch so eine Aktion, dachte Sugawara, und er könnte auch gleich schon mal Probeliegen.

»Bist du auf eine vorm Aussterben bedrohte Ameise getreten oder warum bleibst du einfach mitten im Weg stehen und schaust blöd in der Weltgeschichte herum?«, knurrte Sugawara ziemlich ungehalten und rieb sich die schmerzende Stirn.

»Sei verdammt nochmal ein bisschen leiser!«, zischte Tsukishima bedrohlich.

Einen kurzen Moment war Ruhe zwischen den beiden, dann stöhnte der Brillenträger frustriert auf.

»Was hatte die blöde rote Flagge nochmal zu bedeuten?«

Erschrocken riss Sugawara die Augen auf und trat dicht an Tsukishima heran. Er warf einen Blick in dieselbe Richtung und entdeckte die Rückseite der Polizeiwache und eine rote Decke, die aus dem Fenster im ersten Stock wehte.

Auch Sugawara musste zwei Mal schlucken, bevor er seine Sprache wiedergefunden hatte.

»Sie heißt verschwinden – Gebäude aufgeben und sich in Sicherheit bringen, mehr als 20 Schlürfer in der Nähe!«


Nachwort zu diesem Kapitel:
➽ Kapitel 7 erscheint am 28. Februar 2019


1. Entwurf von "RUN" by YukiKano || Das Ellie || © (2019)
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