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Die Farbe Grau

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Disclaimer: alles nicht mir bis auf die Idee zu der Geschichte.

Sodele, mit einiger Verspätung nun der neue Teil. Ich muss gestehen, das liegt ganz einfach daran, dass er ein wahrer pain in the ass war, was das Schreiben anging. >_< Ein wirklich großer pain in the ass. Ich bin immer noch nicht gänzlich zufrieden mit dem Teil, stelle ihn jetzt aber online, so! Viel Spaß euch trotzdem. ;) Komplett anzeigen

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Der Judaskuss

Schuldig erkannte, dass Brad nichts von dem hier vorhergesehen hatte, als sich jeder einzelne Muskel in seinem Anführer versteifte, während die ersten Worte ihrer Zielperson durch die Lautsprecher zu ihnen drangen. Unbewegt und starr stand das Orakel neben ihm, die Hände zu Fäusten geballt und die Gedanken anscheinend zu einem abrupten Halt des kurzzeitigen Horrors gekommen. Erinnerungen ließen ihn blind werden für die Gegenwart. Alleine die Stimme des Mannes reichte, um seinen Anführer erstarren zu lassen in Furcht vor dem unweigerlich Kommenden.
 

„Brad“, stieß Schuldig durch die Schicht an Trauma, die sich aufbaute, als die Bildschirme zum Leben erwachten und eine ganz neue Stufe an visuellen Reizen offenbarten.

Schuldig durchlief ein eiskalter Schauer, als ihm bewusst wurde, was er dort sah und was sie in keiner ihrer Missionsversionen berücksichtigt hatten.

An jeder Wand befanden sich Bildschirme, direkt im Raum ebenso und jeder einzelne von ihnen erwachte zu einem pervertierten, widerwärtigen Leben, das seinen Anführer zeigte, aus der ekelhaften Perspektive eines zuschauenden Dritten, in die nicht nur er gerade gezwungen wurde. Doch die Videos zeigten nicht nur ihn. Lasgo, Fujimiya, ihn selbst, Tsukiyono, Naoe… ihr aller Tun war in den brutalsten Momenten dokumentiert worden und präsentierte sich ihnen hier in Bild und Ton. Worte, Schreie, Flüche, Laute, kakophonisch verworren und bizarr erfüllten in einer Lautstärke den Raum, die Schuldig die Ohren dröhnen ließ.
 

Zischend riss er sich los von dem Anblick seines Anführers, wie er von Lasgo vergewaltigt wurde, doch es gab kein Entkommen vor den Taten, die die letzten Wochen und Monate bestimmt hatten. Alles Dunkle und Gewalttätige, was ihnen angetan worden war und was sie sich untereinander angetan hatten, wurde ihnen gezeigt und holte sämtliche Emotionen hervor, die hier überhaupt nichts zu suchen hatten. Entsetzen, dass der Menschenhändler soweit in ihr Leben vorgedrungen war, dass er sowohl die Ereignisse in dem Areal als auch den Rauswurf Nagis durch Crawfords in ihrem Haus und die Ereignisse im Schlachthof hatte filmen können, ohne, dass sie etwas davon mitbekommen hatten.
 

Wut schäumte in ihm hoch, als er erneut mitansehen musste, wie Lasgo sich an seinem Anführer verging, wie Fujimiya es gewagt hatte, es ihm beinahe gleich zu tun, aber auch wie und mit welchen Worten Crawford ihren Jüngsten aus dem Haus jagte. Wut, plötzlich so überschäumend und einnehmend, dass sich Schuldig in einem vorletzten, klaren Gedanken bewusst wurde, dass es das Wirken des Empathen sein musste.

In einem letzten Gedanken begriff er, dass es sie alle betraf, bevor er sich die Wut zunutze machte, um Fujimiya für das zu strafen, was er gewagt hatte, als der andere Mann voller Hass auf ihn zukam, das Katana erhoben. Schuldig grinste hasserfüllt. Sollte der Weiß doch kommen, er würde ihn schon für das umbringen, was er Brad angetan hatte.
 

~~**~~
 

Da waren Entsetzen, Schock und Unglauben auf der einen Seite, Wut und Hass lauerten auf der Anderen. Stärker und intensiver, als es Youji jemals zuvor gefühlt hatte, selbst zu seinen Hochzeiten im Kampf gegen Schwarz. Sie hatten in ihren Simulationen die Möglichkeit durchgesprochen, dass der Empath ihnen Emotionen einflüstern würde, die in der Stärke nicht da waren, doch da hatten sie noch nicht damit gerechnet, dass ihnen all das, was vorgefallen war, in aller schrecklichen Deutlichkeit gezeigt werden würde. Er konnte nicht wegsehen, wie Schuldig ihren Jüngsten folterte, er konnte seine Ohren nicht vor Omis Schreien verschließen. Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als dem beizuwohnen und mitzuerleben, was Schuldig seinem Freund angetan hatte. Und nach ihm Crawford. Wie sie ihn gefoltert hatten.
 

Blinder Hass, so wie er ihn noch nie in sich gespürt hatte, schwemmte sein bewusstes Denken weg. Er setzte sich in Bewegung, noch bevor er den Gedanken daran gefasst hatte, den Draht gezogen, das Ziel glasklar. Schuldig zuerst, Crawford im Anschluss. Sie alle würden büßen für das, was sie getan hatten. Sie hatten es gewagt, sich an Omi zu vergreifen und Aya zu entführen. Sie hatten es gewagt, auf ihre Hilfe zu setzen. Doch damit war jetzt Schluss. Er hatte viel zu lange still gehalten und ertragen, was Schwarz ihnen antaten.
 

Aber sie würden keine Opfer mehr sein, nicht jetzt, nicht in diesem Augenblick. Sie würden dem feindlichen Team ein für alle Mal den Garaus machen mit vereinten Kräften. Youji lächelte, als er sah, dass Aya den gleichen Gedanken wie er selbst hegte und Schuldig mit seinem Katana durch den Raum jagte, der durch Omis und Crawfords Schreie und Stöhnen erfüllt war. Nicht lange, dann würde all das hier verstummen und das Gute hätte gesiegt.
 

Der Taktiker von Schwarz stellte sich ihm in den Weg und Ken nahm die Herausforderung mit einem fröhlichen Lachen an. Mit seinen Klauen griff er den machtlosen Telekineten an, der sich mit überraschender Schnelligkeit vor ihm verteidigte und kurz darauf zum Gegenangriff ansetzte.
 

Youji packte Naoe am Nacken, als der Schwarz ihm einen Moment lang keine Aufmerksamkeit schenkte und warf ihn in den Raum zurück. Mit Befriedigung sah er, wie der Kopf des Telekineten auf dem Boden auftraf und dieser einen Moment lang benommen liegen blieb.

„Glaubst du wirklich, dass du eine Chance gegen uns hast, Miststück?“, zischte er und wurde durch Schuldig abgelenkt, dessen Messer sein linkes Handgelenk aufschlitzte, bevor Youji es wegziehen konnte. Er schlug nach dem Schwarz, doch dieser war schneller als er.
 

„Ihr wart niemals ein Gegner für uns“, höhnte Schuldig und langte nach seinem Hals. Zweimal wehrte Youji ihn ab, zweimal durchschnitten seine Drähte Kleidung und Haut, bevor die Klinge des Messers die Spannung des dünnen Metalls zerschnitt und Schuldig ihm die Faust in den Magen trieb. Keuchend brach Youji zusammen und dieses Mal konnte er den Schwarz nicht davon abhalten, ihm die Luft abzupressen und ihn zu erwürgen.
 

~~**~~
 

Es schien eine Ewigkeit her gewesen zu sein, dass er die Dateien, die Lasgo ihm überreicht hatte, abgespielt hatte und sie nach ein paar Minuten beenden musste, weil er nicht ertrug, aus der Perspektive des unbeteiligten Dritten zu sehen, wie ihre Zielperson sich an ihm verging.
 

Wieder und wieder und wieder.
 

Doch nun konnte er nicht entkommen, nicht entfliehen. Überall, wo er hinsah, sah er sich, den Mann in ihm, er sah die Katastrophen, die allesamt hierhin geführt hatten. Er hörte das Stöhnen, das sich ohnehin schon in seine Erinnerungen gebrannt hatte und welches sich nun mit seiner eigenen Stimme mischte – mal hasserfüllt, mal verzweifelt, mal kaum in der Lage, zu sprechen. Er hörte die Schläge, mit denen er Bombay beinahe umgebracht hätte, dessen Schreie, Flüche und dessen Flehen.
 

Crawford wusste, dass er hätte wütend sein müssen, hasserfüllt, doch da war nur Verzweiflung. Tiefgreifende Verzweiflung und lähmendes Entsetzen über das, was er sah, was nicht mehr nur zwischen ihrer Zielperson und ihm passiert war. Nein, es reichte dem Mann nicht, die Kritikeragentin mit einbezogen zu haben. Es hatte ihm nicht ausgereicht, ihn Abyssinian zu schenken, während noch sein Sperma noch an und in ihm klebte oder Nagi gegen ihn aufzubringen, nein. Nun musste er auch Schwarz und Weiß mit hineinziehen und sie an seiner schlimmsten Erniedrigung teilhaben zu lassen.
 

Das Gefühl der vollkommenen Demütigung gewann von Sekunde zu Sekunde an mehr Gewicht und zog ihn wie einen Ertrinkenden unter Wasser. Ebenso wenig Luft bekam er auch, als er all das, was ihm aufgezwungen worden war, ihn unter sich begrub wie die Gesteinsbrocken des Anwesens, das Nagi über ihnen allen hatte einstürzen lassen.

Crawford betrachtete die Waffe in seiner Hand. Es gab einen Ausweg, einen sehr einfachen sogar. Er hatte ihn in dem Areal bereits schon einmal gewählt, also warum sollte er ihn jetzt nicht vollenden? Er hatte doch sowieso nur aufgeschoben, was unumstößlich war.
 

Langsam drehte er sich zurück und sah, wie sich die Teams zerfleischten, wie sie aufeinander losgingen wie tollwütige Hunde. Dieser Kampf war von Beginn an verloren gewesen für sie alle. Und nun sah er die Früchte, die er durch seine allumfassende Unfähigkeit geerntet hatte, ohne dass er wirklich eingreifen konnte. Nichts, was er tat, würde genügen, weder seinem Team noch seiner Organisation. Nicht mehr, nicht nachdem er zugelassen hatte, was ihre Zielperson ihm aufzwang.
 

Es war Bombay, dessen Blick sich an seinem verfing. Die Klingen der Pfeile spiegelten das Licht, während der Weiß sich in Bewegung setzte, in allzu berechtigtem Hass.

Nichts von dem, was geschehen würde, sah Crawford voraus und doch reagierte er beinahe wie ein Schlafwandler. Er blockte den Angriff des Jungen, wie er ihn schon aberdutzende Male vorher aufgehalten hatte. Die gleiche Reihenfolge, die gleichen Angriffsziele. Doch wie es schien, hatte Bombay durch ihr Zusammenleben dazugelernt. Die kommende Bewegungsabfolge verursachte eben genau das Chaos, das Crawford so sehr fürchtete, und schon rammte der Weiß ihm mit einem triumphalen Heulen den vergifteten Dart in die Seite. Er schrappte größtenteils über die schusssichere Weste, die Crawford unter seinem Anzug trug, kratzte jedoch direkt darunter über die ungeschützte Haut seiner Leiste.
 

Es war Jei, der den Weiß von ihm zurückzog und mit einem gezielten Faustschlag zu Boden schickte. Jei, der seinen Arm mit der Waffe im Anschluss niederhielt und in dessen verbliebenem Auge eine eindeutige Warnung stand, getränkt mit eisiger Wut.

„Du warst nie diesen Emotionen unterworfen, Hellseher! Wage es ja nicht, dich nun von dieser Lächerlichkeit einfangen zu lassen.“
 

Crawford schnaubte verächtlich. Was spielte das jetzt für eine Rolle? Nichts von dem war noch wichtig.

„Du hast meine Entscheidungen nicht zu hinterfragen“, verließ es wütend seine Lippen, während er seine freie Hand auf die Seite presste und das Blut spürte, das aus dem Schnitt drang. Jei ließ sich davon nicht beeindrucken und der Druck auf seinen gefangenen Unterarm nahm noch zu.

„Ebensowenig, wie du die Entscheidungen des Rates nicht hinterfragt hast?“, knurrte der Ire und Crawford starrte ihm für lange Augenblicke wütend in die Augen, bevor er mit einem regelrechten Zusammenzucken die Bedeutung dessen erkannte. Natürlich, Jei hatte Recht. Seine Zukunft war bereits entschieden, aber durch einen anderen Anlass als bisher angenommen. Deswegen hatte er nie etwas Anderes vorhergesehen.
 

„Sie“, Jei deutete auf die hinter ihnen kämpfenden Schwarz und Weiß, „sind schwach. Du bist es nicht. Du hast Barrieren. Diese schützen dich.“

Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen und auch die Bedeutung dessen. Der vermeintlich bisher stärkste Beweis dafür, dass Leonard sich seiner entledigen wollte und dass er ihn mit der Entscheidung des Rates in eine Falle gelockt hatte, aus der es kein Entkommen geben würde. Er wäre so oder so dem Tod geweiht, ob er sich hier nun abschlachten ließ oder dem Rat vorgeführt wurde.
 

Es gab nur einen einzigen Unterschied. Crawford schnaubte bitter. „Lohnt es sich?“, fragte er Jei, dessen vernarbte Lippen sich zu einem vorfreudigen Grinsen verzogen.

„Er ist der Hybris erlegen, siegreich aus diesem Kampf hervorzugehen. Das macht ihn unvorsichtig und arrogant. Er ist genauso nah wie der Empath. Ich rieche ihn.“

Crawford atmete tief durch. Nur zu gut hatte er die Worte der Dame des Hauses im Kopf, was geschehen würde, wenn er ihr nicht gehorchte. Nur zu gut erinnerte er sich an seine Visionen, die ihm das Flugticket zeigten, seinen Puppenspieler und sein eigenes Erlischen, die absolute Schwärze.
 

Der Unterschied war das Überleben seines Teams.
 

Ruhe kehrte in Crawford ein, gepaart mit einer Siegessicherheit, die er seit Wochen nicht verspürt hatte. So fügte sich also alles. Es brauchte den Bruchteil einer Sekunde, um ihn seine Schilde hochziehen zu lassen. Noch nicht einmal eine Minute später waren all die hoffnungslosen Gedanken in seinem Inneren verschwunden, als wären sie sie dagewesen, ausgeschwemmt mit einer riesigen Flutwelle.

Mit eiskalter Ruhe erwiderte er den beinahe schon blutrünstigen Blick des Iren, der knapp in Richtung Nordgang nickte, der sie hinunter in den Technikraum führen würde.
 

~~**~~
 

„Sie sind auf dem Weg hierhin, Sir.“
 

Vorfreude ließ ihn lächeln, während seine Augen jeden emotionsgeladenen Kampf verfolgten, den sein hauseigener Empath unter den sie angreifenden Männern ausgelöst hatte und das alleine durch das, was sie sich gegenseitig angetan hatten.

Hatten sie wirklich geglaubt, sie würden ihn und sein Netzwerk einfach so vernichten können, in ihrer Hybris, dass sie gemeinsam eine ausreichend starke Einheit wären? Er schnaubte verächtlich und richtete sich auf, wandte sich an den Mann neben sich.
 

„Fragst du dich nicht auch manchmal, wie die Stümper von Schwarz dich in der Vergangenheit davor bewahren konnten, dass du umgebracht wirst, Reiji?“ Spöttisch deutete er darauf, wie der Telepath des Teams von dem Garottenträger von Weiß zu Boden gerungen wurde. Eine einfache Sache aufgrund seiner noch verwundeten Schulter. „Stümper, sobald sie ohne ihre Gaben sind.“

„Du hast sie aber auch ordentlich in den Staub getreten“, erwiderte der Politiker in seinem typisch süffisanten Bariton.

„Dank deiner Vorarbeit.“

„Das war ein Kinderspiel, ich bitte dich. Ein paar Golfschläge hier, ein paar Elektroschocks dort und schon war das mühsam aufrechterhaltene Gleichgewicht zerstört.“

„Deine Rache kennt auch keine Grenzen.“
 

Takatori Reiji schnaubte und lehnte sich zurück. Gönnerhaft strich er sich über seinen voluminösen Bauch und zuckte mit den Schultern.

„Das ist nichts Neues. Ich bin nur froh, wenn wir diese schwarz-weiße Pest ein für alle Mal losgeworden sind und uns nichts mehr im Weg steht. Er im Übrigen auch, wie du dir vorstellen kannst. Hast du heute Morgen eigentlich mit ihm gesprochen?“

Lasgo nickte. „Habe ich. Bislang ist er ganz zufrieden mit den Ereignissen. Er wünscht uns viel Erfolg und gutes Gelingen.“

„War klar, dass er sich nicht persönlich die Hände schmutzig macht.“

„Warum auch? Du weißt doch, wie wenig er für das Crawfordblag übrig hat.“
 

Yuseii räusperte sich. „Sir, sie befinden sich noch drei Minuten von hier. Sie sollten sich nun mit Takatori-sama hinunter in die Messe begeben, damit meine Männer und ich uns der beiden Ausreißer annehmen können.“

Lasgo erhob sich und nickte seinem Leibwächter knapp zu. Ernst sah er ihm in die Augen. „Ich zähle auf dich.“

„Sehr wohl. Das Tier werde ich erledigen, den Hellseher nehme ich gefangen und bringe ihn dann zu Ihnen.“

„Ich bin mir sicher, dass du nicht versagen wirst, Yuseii. Reiji, wenn ich bitten dürfte?“

Schwerfällig wie er war, erhob sich der Politiker aus seinem Sessel, der gefährlich knarzte. Gemeinsam verließen sie den Kontrollraum und damit auch die Monitore, die ihnen den aussichtslosen Kampf von Schwarz und Weiß gegen ihre Emotionen aufzeigten. Schweigend und zügig folgten sie den bewaffneten Wachmännern nach unten, vorbei an zwei Dutzend seiner besten Männer, die Yuseii auserwählt hatte, um sich des verrückten Iren zu entledigen und das Objekt seiner Begierde erneut gefangen zu nehmen.
 

~~**~~
 

Jei lachte erfreut, als er die Männer, die sich ihnen in dem Gang in den Weg stellten, zählte. Er kam nicht umhin, sich zu fragen, ob sie nicht ernst genommen wurden, doch das erübrigte sich, als hinter ihnen das Brandschutzschott zufiel und ihnen der Weg zurück zu ihrem Team versperrt wurde. Nicht, dass er es jemals gebraucht hätte.

Keinen von ihnen brauchte er um zu töten. Noch nie war das der Fall gewesen. Er hatte sie an seiner Seite akzeptiert, ja, aber er war nicht auf sie angewiesen gewesen. Derjenige an seiner Seite hatte das schneller als die Anderen begriffen, was auch mit ein Grund war, warum er dem Hellseher letzten Endes gefolgt war.
 

Natürlich wählten sie hier Klingen, um sie zu töten. Jei schmunzelte. Sie hatten keine andere Wahl, denn die Leitungen, die wie Schlangen an der Decke hafteten, wurden mit leicht entzündlichen Gasen geflutet. Kugeln würden sie alle in die Luft fliegen lassen.

Sie dachten wirklich, die Klingen und Bolzen der Armbrüste würden ihn aufhalten. Das war geradezu beleidigend angesichts der Tatsache, dass sie in der Vergangenheit immer wieder in den Genuss gekommen waren, sich um diejenigen zu kümmern, die sie mit Drähten, Pfeilen, Klauen und Katanas angriffen und umzubringen versuchten.

Nicht, dass die weißen Krieger mehr Erfolg gehabt hätten wie die verlorenen Männer und Frauen, die ihm von ihrem Anführer zum Opfer dargebracht werden würden in all ihrer Hilflosigkeit.
 

Dachten sie wirklich, sie könnten einen wie ihn zu Boden zwingen? Dachten sie, nur weil er sich den Anschein gab, wie ein Mensch auf der Erde zu wandeln, dass er Gesetze kannte, Logiken, dass er sich von Furcht und Gefühlen leiten ließ? Dass er nicht in der Lage war, jede einzelne ihrer Bewegungen vorherzusehen, eben weil sie nichts Anderes waren als Ansammlungen von Zellen, geformt zu einem einheitlichen, langweiligen Bauplan und somit die Summe ihrer Fehler, die sie in jeder Sekunde ihres kümmerlichen Daseins begingen?
 

Jei begann ihren tödlichen Tanz, als wären sie nicht in der Überzahl. Die Klinge, die sich dabei in seinen Arm bohrte, war noch nicht einmal ein lästiges Ärgernis. Sie war eine Tatsache, die er für sich nutzte um sie davon zu überzeugen, dass er ein Dämon war, gekommen, um sie zu töten.

Schneewittchen kämpfte neben ihm um das, was wichtig war, auch wenn die Saat des vergifteten Apfels, die durch den Technikjungen gereicht worden war, langsam ihre Wirkung entfaltete. Das Zusammenspiel der Muskeln wurde fahriger, die Bewegungen weniger präzise. Noch gelang es dem Hellseher, seinen Zustand vor den Augen der Feinde verbergen, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sie über ihn herfielen wie die Hyänen.
 

Jei grinste. Sollten sie doch kommen. Keiner von ihnen würde mehr Hand an den Unberührbaren legen.
 

Er ließ sich einen Moment mehr Zeit zum Töten um den Hellseher dabei zu beobachten, wie er auf seine ganz eigene Art tötete, seine Waffe auch ohne seine Gabe zielsicher und tödlich, in perfekter Harmonie mit ihm ohne ihm sein Vergnügen zu rauben. So langsam der Kronprinz auch begriffen hatte, wie wichtig die Märchen waren, so mühelos hatte er es verstanden, ihm seine Toten zu lassen und so waren der Hellseher und er es gewesen, die viele Aufträge zu zweit erledigt hatten, bevor der Technikjunge schlussendlich dazugekommen war um sie zu vervollständigen. Jei bedauerte die verloren gegangene Zweisamkeit, bedeutete das Erscheinen des Jungen doch, dass die Nervensäge die Aufmerksamkeit des Hellsehers forderte.
 

Ein Armbrustbolzen bohrte sich in sein Bein und ließ ihn einen Schritt zurücktaumeln. Unerfreut zischte er und sein Blick fiel auf denjenigen, den sie den Vernarbten nannten. Er war derjenige, der ihn geschossen hatte. Ein irres Leuchten lag in den schwarzen Augen und seine Lippen verzogen sich zu einem lüsternen Grinsen, als er sich dem Hellseher zuwandte.

„Die Hure schon wieder. Du kannst es aber auch nicht lassen, seine Gesellschaft zu suchen, nicht wahr? So erpicht auf einen weiteren Fick?“

Dumme Worte waren das, provozierende, leere Worte. Sie bedeuteten nichts, nicht für ihn.
 

Wohl aber für den Mann, dessen innere Ruhe innerhalb von Tagen durch Demütigung, Gewalt und Erniedrigung zerstört worden war. Jei grollte.
 

~~**~~
 

Crawford hatte nicht damit gerechnet, dass die Worte des Vernarbten, so simpel provozierend sie auch waren, ihn so sehr trafen, auch wenn er es im Nachhinein hätte voraussehen können. Nach dem widerlichen Film, der immer noch auf den Monitoren lief. Nachdem er sich von vornherein bewusst geworden war, dass er dem Mann gegenüber stehen würde, der sich auf Befehl ihrer Zielperson in allen körperlichen und logistischen Belangen um ihn gekümmert hatte.

Er erinnerte sich und träumte doch immer noch von den demütigenden Vergewaltigungen, gleichermaßen setzte ihm die Erniedrigung alltäglicher Handlungen zu, zu denen er gezwungen worden war oder die ihm aufgezwungen worden waren.
 

Sein Hass auf den Mann vor sich beeinflusste seine Urteilsfähigkeit und das, obwohl der Empath ihn nicht beeinflussen konnte. Crawford vermutete, das es teilweise auch an dem Gift lag, das in seinen Adern kursierte und für das er schnellstmöglich das Antidot benötigte, was Tsukiyono mit sich führte. Noch hatte er zwar ein entsprechendes Zeitfenster, das aber mit jeder Sekunde schrumpfte, in der er hier stand und nichts tat, gelähmt durch den Hohn des Mannes, der ihn dazu gezwungen hatte zu duschen. Und zu anderen Dingen. Keinen Zentimeter konnte er sich bewegen, auch wenn er dem Mann vor sich ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen war.
 

Gewesen wäre, wäre all das hier nicht passiert.
 

„Du hast Hand an ihn gelegt.“
 

Die leisen Worte, die Crawford aus seiner Trance lösten, kamen von Jei, dessen Gesicht unnatürlich ruhig war. Beinahe schon sanft trugen sie sich den Gang entlang, der zwischen ihnen lag. Erwartungsvoll legte der Ire den Kopf schief und wartete auf das überhebliche Lachen des Mannes.
 

„Einmal?“, grinste der Vernarbte zurück. „Mehrmals täglich und die Hure hier hat es genossen.“
 

Nein, hatte er nicht. Kein Stück hatte er genossen, was ihm angetan worden war.

Selbst wenn Crawford die Kraft dazu gehabt hätte zu widersprechen, so hätte er es nicht getan. Mehr als eine billige Provokation war das nicht, aber eine, die sich tief in ihn fraß und ihn weitere, wertvolle Augenblicke kostete.
 

„Wie oft?“
 

Als wenn er neben sich stehen würde, fragte Crawford sich, warum Jei sich dafür interessierte. Mit losgelöster Faszination starrte er auf sein Teammitglied, dessen gesamte Körpersprache von blutrünstiger Tötungslust sprach. Wie so oft vorher schon war der Ire über und über mit Blut besudelt, das Meiste davon nicht sein eigenes. Das, was ihm sonst ein Stirnrunzeln abrang, war nun eine absurde Versicherung, dass er nicht alleine war.
 

„Mehr als du es jemals in deinem kümmerlichen Leben getan hast und tun wirst.“
 

Was genau an diesem Satz das Rauschen in Crawfords Ohren zu einem gewaltigen Tosen auferstehen ließ, konnte er im Nachhinein nicht mehr sagen. Er konnte auch nicht sagen, wann er die Kraft dazu gefunden hatte, sich aus der Stasis zu lösen, die ihn bis gerade eben gefangen gehalten hatte. Es mochte Jeis abruptes Vorpreschen ohne jedwede Warnung gewesen sein oder auch das Lachen des Vernarbten, das sich so sehr in seine Hirnwindungen gebrannt hatte, dass es schmerzte.

Was es auch war, es entzog ihm jedwede Kontrolle über sein bewusstes Denken und ließ ihn handeln. Instinktiv, wie ein Tier und ebenso brutal und ohne eine Gedanken daran zu verschwenden, was er tat. Er spürte und hörte, wie sich sein Messer durch die Haut und in Gedärme schnitt, wie er Söldner um Söldner niedermähte.
 

Erst, als sich ihm niemand mehr in den Weg stellte und Jei dem Empathen mit seinem Messer gegenüberstand, fand Crawford schwer atmend wieder zu sich, in seinen blutüberströmten Händen die eigene Klinge. Es stank überwältigend nach Blut und anderen Körperflüssigkeiten und hinter sich hörte er das gepeinigte Stöhnen sterbender Menschen, die die nächsten Minuten nicht überleben würden.

Seine Hände zitterten und sein Blickfeld tauchte sich an den Rändern immer wieder in graue Sprenkel. Das Gift… die Zeit lief ihm davon.
 

„Berserker“, murmelte er, als er erkannte, dass er nicht mehr über die Kraft verfügte, laut zu sprechen und Jei nickte, ohne ihn anzusehen.

„Er gehört mir“, erwiderte er mit festem Blick auf den Empathen und ging zum Angriff über. Crawford sah die Überraschung in den Augen des Vernarbten, als er begriff, dass alle zügellose Wut, die Jei ihm gezeigt hatte, nun in wohlüberlegte und präzise Bewegungen überging, denen er weit unterlegen war. So viele Treffer er selbst auch landete, Jei verlangsamten diese nicht und so kam der Tod wie ein Teufel über den Mann, dessen Berührungen ihm ebenso verhasst waren wie die ihrer Zielperson.
 

In diesem Moment schien der Ruf des Iren wahr zu werden, der ihm den Beinamen Dämon eingebracht hatte. Das verbliebene Auge weit geöffnet, stach er ohne Unterlass auf sein Opfer ein, eine mechanische Arbeit, untermalt von lauten, schmatzend-feuchten Geräuschen.

Es war ein merkwürdiges Anti-Klimax, mit dem Crawford von dem Mann befreit wurde, der ihn so hergerichtet hatte, wie es der Menschenhändler von ihm verlangt hatte. Dennoch war die Erleichterung, die er empfand, bodenlos, als sich die leblosen Augen in seinen verfingen und er das Lächeln auf seinen Lippen nicht aufhalten konnte und wollte.
 

Ebenso wenig ließ sich nun der Schwindel aufhalten, der sein Sichtfeld in ein gnädiges Schwarz tränkte. Wie aus weiter Ferne hörte er, dass Jei von seinem Opfer abließ und zu ihm kam. Brutale Hände packten ihn und zogen ihn hoch, doch das war nicht mehr wichtig.

„Bombay“, versuchte Crawford zu sagen, war sich aber nicht sicher, ob er den Namen wirklich geäußert hatte. Es schien ihm nicht so, aber da war einen Augenblick später auch schon nicht mehr wichtig, als er aus dem Griff des Iren heraus an der Wand entlang zu Boden rutschte.
 

~~**~~
 

„Bombay, STOPP!“
 

Abrupt hielt Omi inne, als der scharfe Befehl seines Anführers in seinen Ohren klingelte. Sein Pfeil kam Millimeter vor dem Hals des Telepathen zum Stehen, der schwer keuchend unter ihm lag, die Augen weit aufgerissen, die Lippen vor Hass verzogen.

Auch Omis Augen weiteten sich, als er einen Blick auf Abyssinian warf, nahe genug, dass er dessen Hand spüren konnte, sie sich schon zum Eingreifen erhoben hatte. Irgendetwas war falsch hier und Sekunden später wusste er auch was. Das, was er gerade noch empfunden hatte – der unabdingbare Hass auf Schuldig gepaart mit cholerischer Wut auf alle Schwarz – war mit einem Mal verschwunden und der bisherigen Abneigung mit Angst gemischt gewichen. Angst, mit der er nun auf den anderen Mann hinunterstarrte, den er beinahe umgebracht hatte, nachdem dieser vor ein paar Minuten Youji angegriffen hatte.
 

Sie alle hatten sich beinahe umgebracht. Omi schluckte mühevoll. Sie alle waren von dem Empathen beeinflusst worden. Doch nun schien das, was sämtliche schlechten Emotionen in ihnen hervorgekehrt hatte, verschwunden zu sein und hinterließ bittere, unangenehme Lehre und ein Schuldgefühl, das nicht da sein sollte. Absolut nicht.

Abrupt erhob Omi sich und brachte soviel Abstand zwischen sich und den Telepathen wie nur irgendwie möglich. Hilfesuchend wandte er sich an Aya, der ihn vorsichtig musterte.

„Bist du wieder du selbst?“

Omi nickte, auch wenn er sich dessen noch nicht so sicher war. Zweifelnd sah er sich um und entdeckte unweit von sich Ken und Naoe, die schon zu sich gekommen waren und ihn ebenso vorsichtig maßen wie Aya zuvor auch schon. Wieviel lauter und widerlicher die Videos mit einem Mal waren, die immer noch im Hintergrund liefen und ihnen jede abartige Kleinigkeit zeigten, die zu dieser ganzen Katastrophe geführt hatte.
 

„Verfluchte Scheiße, dreckiger Empath“, grollte Schuldig, während er sich mit zusammengebissenen Zähnen in die Höhe kämpfte und ihn dunkel musterte. „Was bist du doch für ein ätzender Satansbraten“, spie er Omi ins Gesicht und er zuckte zusammen. Wenn er dem gedachte, was er getan hatte um Schuldig auf die Knie zu zwingen und ihn dann beinahe umzubringen, dann hatte der Telepath durchaus Recht mit seinem Vorwurf.
 

Jeder von ihnen hätte mit Vorwürfen Recht und Unrecht gehabt, denn keiner von ihnen war in der Lage gewesen, sich gegen den Einfluss des Empathen zur Wehr zu setzen, der nun abrupt verschwunden war. Ebenso wie Oracle und Berserker verschwunden waren. Omi erinnerte sich vage daran, dass sie den Nordgang in Richtung Schaltzentrale genommen hatten. Hatten sie es geschafft und sich des Mannes bemächtigt, der sie beinahe ein Massaker unter sich hatte anrichten lassen?
 

Sein Headset knackte und er vernahm die raue Stimme des Iren. „Bombay. Oracle benötigt das Gegenmittel. Er befindet sich am Kontrollraum.“ Und Omi erinnerte sich nun wirklich. Er hatte Crawford angegriffen, als er des Videos ansichtig geworden war, das ihn und den Schwarz in dem Schlachthaus gezeigt hatte. Er hatte ihn mit seiner Klinge gestreift und somit das Gift in den Blutkreislauf gebracht, das nun genug Zeit hatte um dem Anführer von Schwarz gefährlich zu werden.
 

Seine Aufmerksamkeit kehrte zu seinem Team und den verbliebenen beiden Schwarz zurück, die sich bereits langsam und mühevoll in Bewegung gesetzt hatten. Keiner von ihnen war ohne Verwundungen davon gekommen, dafür waren sie alle zu gut in dem, was sie taten. Nichts davon war akut lebensbedrohlich, aber es behinderte sie in ihrem Fortkommen und es stellte eine Gefahr für die weitere Mission dar.

„Bombay, wir gehen“, ermahnte Aya ihn zur Eile und Omi nickte schweigend. Stolpernd folgte er seinem Team und bahnte sich seinen Weg in den Kontrollraum, der gesäumt war mit Leichen und blutbespritzten Wänden.

Berserker und Oracle hatten anscheinend ganze Arbeit geleistet.
 

Omi hätte im Leben nicht gedacht, dass es einmal Erleichterung sein würde, mit der er dem Iren des gegnerischen Teams gegenüberstehen würde, aber in dem Moment, wo er sah, dass Berserker noch am Leben war und sich hinter ihm die grauenvoll zugerichtete Leiche des Vernarbten befand, gestattete er sich tatsächlich eben jenes Gefühl, auch wenn es sich beim Anblick des Orakels Sekunden später wieder verflüchtigte. Der Anführer von Schwarz war bei Bewusstsein, reagierte aber noch nicht einmal auf ihr Eintreffen. Seine Gesichtsfarbe war einem ungesunden Weiß gewichen, das bereits ins Gräuliche tendierte. Die Hände zitterten.

Er hatte Crawford anscheinend stärker getroffen, als er es zunächst vermutete hatte.
 

„Das Antidot“, sagte Farfarello mit rauer Stimme und wortlos überreicht Omi es ihm. Ebenso schweigend sah er zu, wie dieser es konzentriert seinem Anführer spritzte und dann mit wachsamem Auge verfolgte, ob es zu wirken begann. Wenn Omi es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass Farfarello nervös war, doch das schloss er aus. Das konnte nicht sein, aber es lenkte ihn von der Möglichkeit ab, dass Crawford es vielleicht nicht überleben würde, wenn es tatsächlich zu spät sein sollte.
 

Naoe war definitiv in deutlicher Sorge um seinen Anführer, das sah Omi alleine schon an den zu Fäusten geballten Händen. Dennoch gestattete sich der Telekinet keine weitere Regung, sondern trat an ihm vorbei in den Kontrollraum und Omi sah, wie er sich an das Terminal für die Überwachungskameras setzte, die Lippen zu einer starren Linie verzogen. Omi schluckte mühevoll und trat dann an Crawford vorbei ebenfalls in den Raum.
 

Es brauchte seine drei Sekunden, bevor er die plötzliche Scheu überwand, sich in die Nähe des Telekineten zu begeben, der mehr als einen Schlag voller cholerischer Wut seinerseits hatte einstecken müssen.

„Ich helfe dir“, sagte er nicht ganz so ausdruckslos, wie er es gerne gehabt hätte und Naoe schnaubte, hinderte ihn aber nicht daran. Das Blut an seiner Schläfe war mittlerweile geronnen und erinnerte Omi an seine eigenen Magenschmerzen, die er dem Ellbogen des Telekineten zu verdanken hatte, mithilfe dessen dieser sich von ihm befreit hatte.
 

Gemeinsam hackten sie sich in das System und machten mithilfe der anderen Sicherheitskameras Lasgo und Takatori mit samt ihrer Männer ausfindig. Omi sah, wie Naoe die Fäuste ballte.

„Habt ihr eure Kräfte zurück?, fragte er und verspätet schüttelte der Schwarz den Kopf.

„Der Neutralisator lebt noch. Ich habe keinen Zugriff auf meine Telekinese, ansonsten wärst du nicht so unglimpflich davon gekommen.“ Ohne ihn anzusehen, presste Naoe die Worte hervor und Omi nahm sie als das, was sie waren: ein Ausdruck der wütenden Frustration, nicht jedoch die Todesdrohung, nach der es augenscheinlich klang. Hoffentlich.

„Ist es doch Lasgo?“

Naoe schnaubte. „Es würde mich nicht wundern, wenn.“
 

Aus dem Flur außerhalb des Raumes drang ein frustriertes Stöhnen und Naoe fuhr abrupt herum. Angestrengt starrte er in den Eingang, blieb jedoch wie festgewurzelt auf dem Drehstuhl sitzen.

„Wäre schon witzig gewesen, wenn du ausgerechnet an dem Gift des Kleinen verreckt wärst“, drang Schuldigs Stimme zu ihnen und Omi schnaubte innerlich. Ja, witzig, genauso würde er es auch nennen. Witzig. Der Anführer von Schwarz schien es ebenso wenig amüsant zu finden, dem Grollen nach zu urteilen, das deutlich hörbar über den Flur schallte.

„Dein Humor war schon immer scheiße gewesen.“

Falsche Bestürzung begleitete das erschrockene Geräusch des Telepathen. „Achte auf deine Ausdrucksweise, es sind Minderjährige anwesend, Oracle!“

Omi kam nicht umhin, ob Naoes Augenrollen zu lächeln. „Soso“, wandte er sich leise an sein Pendant. „Minderjährig?“
 

Zum ersten Mal, seitdem sie versucht hatten, sich umzubringen, sah der Schwarz ihm in die Augen. Nichtssagend erwiderte er seinen Blick. „Alt genug um es mit dir aufzunehmen“, erwiderte er und Omi lachte vorsichtig.

„In allen Belangen?“, gab er im Versuch eines schlechten Witzes zurück und sah tatsächlich so etwas wie eine peinlich berührte Regung in dem ausdrucklosen Gesicht, welche die darunter schimmernde Wut ersetzte. Naoe blinzelte und grollte dann, seinem eigenen Anführer gar nicht mal unähnlich.

„Wasch dir deine Gedanken mit Seife aus. Und ja. Sogar im Sinne der meisten Gesetze.“

Omi grinste, auch wenn das schnell erlosch, als Crawford im Türrahmen auftauchte. Er sah schlecht aus, aber stand auf zwei Beinen, die Augen klarer und fokussierter als vorher. Es war also noch nicht zu spät gewesen, auch wenn es ihm noch nicht gut ging. Hinter ihm trat nun auch der Rest ihres Teams in den Raum und Crawford kam zu ihnen.
 

„Was habt ihr herausgefunden?“, fragte er rau und Naoe deutete auf die Position der restlichen Zielpersonen.

„Sie befinden sich vier Ebenen weiter unten.“

„Die drei Alten von SZ?“

„Wie zu Beginn auch in der gleichen Ebene. Laut den Infrarotkameras haben sie sich nicht wegbewegt.“

Crawford nickte. „Wie weit ist das andere Team?

Omi tippte auf sein Headset, das ihren Kampf gegeneinander wie durch ein Wunder unbeschadet überstanden hatte. „Iceman?“

Nach einem kurzen Knacken antwortete der Kritikeragent, die Stimme ruhig und knapp. „Die untersten Ebenen sind gesäubert. Wir warten auf Rückmeldung.“

„Der Empath ist eliminiert, der Monitorraum befindet sich unter unserer Kontrolle.“

„Sehr gut, dann treffen wir uns wie vorgesehen in der Mitte.“
 

Omi bestätigte und beendete die Verbindung zwischen ihnen. Schweigend sah er sich um und versuchte das Ausmaß der Verletzungen, die sie sich selbst zugefügt hatten, einzuschätzen. Seine eigenen Erinnerungen daran waren noch ein Chaos an Gewalt, Wut und Hass, ungeordnet und wenig zu gebrauchen.

„Benötigt jemand akute, medizinische Hilfe?“, fragte er und wurde mit einem gemeinschaftlichen Kopfschütteln belohnt. Niemand machte einander Vorwürfe, dennoch war die Spannung zwischen ihnen nur zu deutlich spürbar. Omi war kurz davor zu sagen, dass sie später darüber sprechen würden, doch dann wurde ihm bewusst, dass sie bei erfolgreich abgeschlossener Mission aller Wahrscheinlichkeit nach zum Status quo zurückkehren würden.
 

Sie würden ihrer Wege gehen und alles, was ungesagt bleiben würde, wäre vollkommen unerheblich.
 

„Dann folgen wir dem ursprünglichen Plan.“
 

~~**~~
 

Sie hatten sich den Weg wortwörtlich freigesprengt.
 

Konzentriert hatte Fujimiya jede einzelne Hürde überwunden, die ihnen mittels verschlossener Türen und geschlossener Schotten im Weg gestanden hatte. Crawford kam nicht umhin, die bittere Ironie dieser Situation zu würdigen, erinnerte er sich doch noch gut an das letzte Mal, das er in den Genuss von Fujimiyas Sprengkünsten gekommen war. Kaum zurechnungsfähig und bereit zu sterben war er mehr hinter dem Weiß hergestolpert als selbst zu gehen. Nun stand er vor der letzten, schweren Eisentür, die ihn von dem Mann trennte, der ihm das Leben zur Hölle gemacht hatte.
 

Aufregung schwelte in ihm und ließ seinen ohnehin schon schmerzgeplagten Kopf noch viel deutlicher pochen. Das Gegenmittel hatte zwar geholfen, doch den Schwindel hatte es nicht gänzlich bekämpfen können, der sich nun mit psychosomatischen Symptomen mischte, von denen Crawford ganz genau wusste, dass sie nicht wirklich existierten.

Seit Wochen schon verspürte er keine Schmerzen mehr in seinem Unterleib und seiner Rückseite, doch jetzt in diesem Moment waren sie wieder da, als würde sich ihre Zielperson gerade jetzt noch an ihm vergreifen. Der Schmerz in seinen Schultern, welcher ein stetiger Begleiter in den schicksalshaften Tagen gewesen war, flammte neu und brennend auf, ebenso wie die Enge um und in seinem Hals.
 

Dieses Mal lähmten ihn die Erinnerungen daran jedoch nicht, was nicht zuletzt an der kurzen, flüchtigen Berührung des Anführers von Weiß lag. Crawford ignorierte sie genauso wie Fujimiya ihn nicht ansah, konzentriert auf das Kommende.
 

Die kommende Falle, präzisierte er, denn der Raum, der vor ihnen lag, war nichts Anderes als das. Fünfzehn Meter hohe Decken, gestützt durch eiserne Streben, ähnelte der stillgelegte, leergeräumte Maschinenraum eben jener Kathedrale, die den Alten für ihr nutzloses Ritual hatte dienen sollen. Eine Empore, auf der sich Scharfschützen befanden, der Boden mit Marmor ausgekleidet. Es wirkte lächerlich angesichts dessen, was diese Insel im Meer für eine Aufgabe hatte.

Wie weit schien es doch entfernt zu sein, dass Schwarz beinahe ein Teil dessen geworden wäre.
 

Die Türen zu dem Raum schwangen auf, ganz wie er es in einer seiner letzten Visionen vorhergesehen hatte. Sie gaben den Blick frei auf die Arbeiten des Künstlers, dessen Verbindung zu ihrer Zielperson nun offensichtlich war, ebenso wie sie den Blick freigaben auf Takatori, den Menschenhändler und die Söldner, die sie beschützten. Auch das war ihm bereits bekannt, ebenso wie die Überzahl, der sie sich noch gegenübersehen würden. Der Raum war leer…noch.
 

Crawford atmete tief durch und trat nach vorne, die Waffe entsichert erhoben. Vielmehr als eine wirksame Ablenkung war das nicht, aber es ließ den Rest des Teams folgen. Gemeinsam sicherten sie den Raum und Crawford warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr.

„Hier ist alles leer. Sie sind bereits geflohen“, merkte Hidaka an und ein kurzes Lächeln glitt über die Lippen des Orakels. Im Gegenteil.

Schuldig warf ihm einen bedeutungsschwangeren Seitenblick zu, den er ignorierte. Zwei Minuten noch, bis die Hölle losbrechen würde. Zwei Minuten, bis er dem Mann gegenüberstand, der ihn mehrfach überwältigt hatte. Zwei Minuten, bis er ein schmales Zeitfenster erhielt, in dem er die Chance hatte, ihre Zielperson zu überwältigen.
 

Den Mann, der in Begleitung von zwei schwerbewaffneten Männern nach dem exakten Ablauf der Zeit die Halle betrat, kannte und hasste Crawford mit all seinem Dasein. Er hasste die Selbstsicherheit und das Lächeln gleichermaßen.

Mit ihm kamen der Rest seiner Männer und oben auf der Empore sah Crawford aus dem Augenwinkel Takatori stehen.
 

„Herzlich willkommen“, schmunzelte der Drogenhändler und Crawford richtete seine Waffe auf den Mann, der näher und näher kam. Ein sinnloses Unterfangen, wie er bereits jetzt schon wusste. Sie waren umzingelt und keiner von ihnen würde aus der Position heraus einen Kampf beginnen, den er verlieren würde.

„Oracle, was soll das?“, zischte Kudou angespannt, doch Crawford schwieg. Sein Herz raste, während jeder Muskel in seinem Körper danach gierte, das Monster, das auf ihn zukam, anzugreifen und nicht zuzulassen, was unweigerlich geschehen würde.
 

„Ich hätte euch für klüger gehalten als in diese Falle zu tappen.“ Wie sehr hasste Crawford diese selbstzufriedene Stimme voller sadistischer Versprechungen, die unter der vermeintlich freundlichen Tonlage lagen. „Ich hätte angenommen, dass ihr diese offensichtliche Einladung nicht annehmen würdet, trotzdem kann ich sagen, dass ich erfreut bin, euch hier zu sehen. Euch alle, lebend, relativ unverletzt zu sehen, bereit dafür, Zeugen eures eigenen Endes zu werden, dort hingeführt wie Lämmer auf die Schlachtbank von einem hilflosen Mann, der sich immer noch Anführer nennen möchte.“
 

Mit Mühe blieb Crawford ruhig und gab sich den Anschein eben jenen Mannes, der zu traumatisiert war um eine klare Entscheidung zu treffen. Er fragte sich, ob er es nicht auch tief in seinem Inneren war, denn die Waffen, die sich nun auf ihn richteten, ließen ungute Erinnerungen in ihm wach werden. So hatte alles seinen Anfang genommen. Alleine und hilflos war er gewesen das erste Mal. Nun jedoch war er es nicht. Sein Team war bei ihm, Weiß war bei ihm. Das andere Kritikerteam würde diese Hallen ebenfalls erreichen.

Das änderte aber nichts daran, dass er nicht dazu in der Lage war, auch nur einen Ton zu sagen. Alleine die bedrohliche Nähe des Mannes vor ihm ließ jedes Wort verdorren, das er jemals für den Menschenhändler gehabt hatte und haben würde.
 

Insbesondere jetzt, wo sich die Augen in all ihrer Lüsternheit auf ihn richteten. „Wer hätte es gedacht, dass das große, unbesiegbare Orakel von Rosenkreuz so leicht bricht wie die jungen Nutten, die meine Männer einreiten.“

Crawford ballte seine Hände zu Fäusten. Es wäre ein Einfaches, jetzt abzudrücken und den Mann zu töten. Eine Kugel, mehr nicht, würde ausreichen, damit all das hier ein Ende hatte. Doch damit würde er auch sein Team dem Tod überantworten und bereits das war es wert, zu ertragen, was nun kommen würde…kommen musste.
 

„Senke deine Waffe, Bradley.“
 

Seinen Widerwillen diesbezüglich musste er noch nicht einmal vortäuschen, als er mit aller Gewalt seinen Arm senkte und mit ihm die Waffe, die ihm von einem von Lasgos Männern genommen wurde. Die darauffolgende Berührung des Mannes ließ ihn zurückzucken, als wäre er verbrannt worden.

„Wehre dich dagegen und ich lasse dein nutzlos zusammengestelltes Team sofort töten“, drohte der Menschenhändler ihm und willentlich entspannte Crawford sich. Er würde es ertragen müssen, doch jede Sekunde dessen würde zuviel sein. Jede einzelne.
 

Die Hände auf seinem Gesicht ließen das Blut in seinen Adern gefrieren. Das Gefühl der Finger brannte sich in seine Haut, ebenso wie die Lippen, die sich nun auf seine pressten und Einlass forderten. Es war das erste Mal, dass er das tat und Crawford wusste, dass es nichts weiter war als ein billiger Versuch, ihm auch noch das letzte Stück Würde zu nehmen. Eine letzte Erniedrigung, bevor er ihn tötete. Alles in Crawford wehrte sich dagegen, außer seinem Wissen um die Zukunft, außer der Vision, die er kurz, bevor er seine Gabe verloren hatte, erhalten hatte.
 

Crawford verachtete sich mit jeder Faser seines Körpers für das, was er nun tat, als er den Kuss seines Vergewaltigers erwiderte, als wären sie ein Paar, als wäre da auch nur einen Funken Leidenschaft zwischen ihnen. Hinter sich hörte er das entsetzte Aufkeuchen und die Verwirrung der anwesenden Männer.
 

Vorsichtig umfasste er den Nacken des Mannes, der der Grund seiner Alpträume war und zog ihn sacht genug zu sich heran, dass seine Männer keinen Verdacht schöpften. Er ging sogar soweit, dem Mann ein unverdientes, leises Stöhnen zu schenken, das durch den gierigen Kuss des Menschenhändlers erstickt wurde.
 

Das war exakt die Sekunde der Ablenkung, die er benötigt hatte. Den Bruchteil eines Augenblicks, der alles verändern würde.
 

Alle Aufmerksamkeit lag auf ihm und seiner Nähe zu Lasgo, nicht jedoch auf Icemans Team, das die Sekunde dazu nutzte, sich Zutritt zu der Halle zu verschaffen. Es war jene, kriegsentscheidende Sekunde, die Crawford dazu nutzte, sich von dem Mann zu lösen, der zu spät begriffen hatte, was vor sich ging. Er packte die Haare, die sich so widerlich auf seiner Haut angefühlt hatten und zog den Drogenhändler daran zu sich, presste dessen Rücken an seine Vorderseite. Eisern drückte er die Klinge, die er in seiner Unterarmschiene verborgen gehalten hatte, gegen den empfindlichen Hals.
 

Mit aller Gewalt musste Crawford sich beherrschen, ihm nicht hier und jetzt die Klinge über den ungeschützten Hals zu ziehen. Es würde ihnen allen den Tod bringen, würde er jetzt seinem Verlangen nachgeben. So musste er sich noch damit begnügen, seinen Vergewaltiger als Geisel zu nehmen, als menschlichen Schutzschild, der ihnen einen minimalen Vorteil zum Sieg verschaffen könnte.
 

„Waffen fallen lassen“, presste er rau hervor, die Stimme zwar nicht mehr als ein Flüstern, in der Stille des hohen Raumes jedoch wie ein Donnerhall.
 

~~~~~

Fortsetzung folgt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Cliffhanger, ich liebe Cliffhanger! :3 :P

Wir sehen uns im nächsten Teil! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Meggal
2019-11-06T14:57:32+00:00 06.11.2019 15:57
o.O
wow. Okay. Das war... heftig.
Und im letzten Teil auch echt eklig^^'
Ich warte gespannt, wie es weitergeht. *Tee rüberschieb*
Antwort von:  Cocos
06.11.2019 20:28
*schlürft den Tee* Spekulatius?

Ächäm. Entschuldigung? Wird auch wieder besser? Vielleicht?

;))
Von:  Gadreel
2019-11-06T11:56:07+00:00 06.11.2019 12:56
Schande über dich! Wie ich Cliffhanger hasse!
Aber so behält man die Leserschaft, nicht wahr? :D Ich wäre dir aber auch so treu :P

Super Kapitel! Farf spielt mittlerweile auch in meinem Sympathie-Team mit :)

Ich kann mir gut vorstellen, wie schwer es Crawford gefallen war den Menschenhändler erneut so nah an sich heranzulassen - selbst ich war angewidert >_<

Na dann hoffen wir mal, dass Brad Lasgo das gibt, was er verdient!

Ich freue mich wahnsinnig auf die Fortsetzung.

Bis bald :)
Antwort von:  Cocos
06.11.2019 20:34
*hört die shame-Glocker hinter sich und schämt sich... so ein bisschen*

Hui, danke für deine Treue! :3
Aber ja, so behält man die Leserschaft und außerdem habe ich euch in den vergangenen Teilen viel zu sehr verwöhnt, habe ich festgestellt. :P Nein, Spaß beiseite, es bietet sich grad einfach an.

Crawford ist es absolut schwer gefallen, das zu tun. Allerdings hat er einen Anreiz: das Leben seines Teams und dafür opfert er sich nicht nur in einer Hinsicht.

Fortsetzung folgt bald! :D

Bis bald!

Antwort von:  Meggal
07.11.2019 15:22
Betreibst du hier etwa foreshadowing?


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