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Die Farbe Grau

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Disclaimer: alles nicht mir und ich verdiene kein Geld damit.

Ansonsten, der Teil kommt etwas später, ist dafür aber auch etwas länger. In den kommenden Wochen kann es durchaus vorkommen, dass die Postabstände auf anderthalbwöchentlich bis zweiwöchentlich hochgehen. Ach ja, und ich denke, es werden jetzt noch ca. zehn Teile (plus minus...Angaben ohne Gewähr).

Viel Spaß! Komplett anzeigen

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Bettgeflüster

Aya versprach seinem Gegenüber über den Schopf der Krankenschwester hinweg nonverbal den schmerzhaften, langsamen Tod.
 

Nicht, dass es eben jenen Mann, der mit verschränkten Armen die Tür zum Flur und damit zur infantilen Flucht blockierte auch nur im Ansatz beeindruckt davon war. Im Gegenteil. Er wurde nicht beachtet, pointiert ignoriert geradezu zugunsten von Sasaki, die sich an seiner Lippe zu schaffen machte.

Es war noch nicht einmal acht Uhr morgens und er war unsanft durch Manx und Sasaki geweckt worden, die nur aus einem einzigen Grund hier waren.
 

Crawford hatte sie gerufen.
 

Er hatte Manx kontaktiert und ihr anscheinend geschildert, dass es da einen dringenden, medizinischen Notfall gäbe, den sich das Kritikersanitätspersonal anschauen müsse. Anders konnte sich Aya nicht erklären, warum die beiden Frauen mit ernstem Blick in Omis und seinem Schlafzimmer standen und er sich nun den Klauen der Krankenschwester befand, die Crawford im Krankenhaus betreut hatte.
 

Sasaki hatte einen Ruf innerhalb von Kritiker und dem wurde sie auch jetzt gerecht. Sie war diejenige, der man keine Widerworte leistete. Sie war diejenige, die die störrischen Agenten versorgte und immer ihren Willen bekam. Immer.

Aya hatte sie damals kennenlernen dürfen, als Schuldig ihn hatte anschießen lassen. Er war in ihre Fänge geraten und hatte zwei Wochen lang ihre volle Aufmerksamkeit gehabt, bevor er gehen gelassen worden war. Das war eine heilsame Lektion in Sachen Verwundungen gewesen, die er am Liebsten nicht noch einmal widerholen würde.
 

Nun aber hatte er lediglich einen kleinen Cut in der Lippe. Nichts, für das man so einen Aufwand betreiben musste. Aya hatte versucht, eben das anzumerken, war jedoch an seiner eigenen Müdigkeit und der Frau vor ihm gescheitert, die ihn ruhig, aber unnachgiebig auf die Bettkante dirigiert hatte. Omi, der bis dato ruhig neben ihm geschlafen hatte, war hochgeschreckt und hielt sich bis jetzt stumm im Hintergrund, die Augen abwechselnd auf ihn, auf Sasaki, Manx und dann auf Crawford gerichtet.
 

Eben jenem Mann, dessen Sorgen um sein Wohlergehen Aya bereits jetzt schon Kopfschmerzen verursachten.
 

„Gestern Abend hattest du das noch nicht“, merkte Omi in die geschäftige Stille an. Es war keine Frage im eigentlich Sinn und dennoch hörte Aya die Forderung nach Information dahinter. Er hörte den implizierten Vorwurf in Richtung Crawford. Natürlich, was sollte er auch anderes denken, wenn der Anführer von Schwarz immer noch hier stand und keine Anstalten machte zu gehen.

„Es geht schon“, murmelte Aya, sobald die Schwester seine Lippe losließ und warf einen hilfesuchenden Blick zu Manx. Was auch immer er sich erhofft hatte, er fand es nicht. Wie so oft las er nichts als sachliche Kälte auf dem blassen Gesicht ihrer Agentin. Sie analysierte ihn und die Situation, zog bereits jetzt ihre Schlüsse daraus.

„Das muss genäht werden.“
 

Oh nein. Widerwillig zuckte Aya zurück, fühlte sich seltsam schutzlos in seinem Pyjama. Wie gut, wenn er da seine Wut auf denjenigen lenken konnte, der ihm das Ganze hier eingebrockt hatte. Und damit meinte er noch nicht einmal den Moment, in dem Crawford blind versucht hatte, ihn umzubringen, als er ihn für Lasgo gehalten hatte. Aya trug es Crawford nicht nach, dass dieser in Panik und Angst gehandelt hatte. Aber das hier, die Dreistigkeit, ihm Manx und Sasaki auf den Hals zu hetzen, das war die Schuld des Schwarz.
 

Aya grollte.
 

„Das ist nur eine aufgesprungene Lippe“, murmelte er und hob den Blick in die Augen der Schwester, die den seinen mühelos erwiderte. Natürlich. Nicht umsonst hatte der zuständige Arzt sie auf Crawford und Naoe angesetzt.

„Wenn sie nicht genäht wird, entzündet sie sich und vernarbt. Es werden wenige Stiche werden, zum Frühstück sind wir fertig.“

Als wenn das seine größte Sorge wäre.

„Ich habe ihm die Platzwunde geschlagen“, merkte Crawford ruhig an, während Sasaki ihre Utensilien ausbreitete. Das brachte ihm die Aufmerksamkeit aller ein, bis auf Sasaki, die ihre Arbeit erledigte, als würde sie das jeden Tag machen.

„Warum?“, fragte Omi, während Manx den Schwarz durchdringend musterte. Noch schwieg sie, doch das bedeutete nicht zwangsläufig etwas Gutes.
 

Omi selbst war nicht in Ansätzen so emotionslos, wie er es ihnen Glauben machen wollte. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und sein Kiefer war schmerzhaft verkrampft. Er zitterte leicht und Aya juckte es in den Fingern, ihn in seine Arme zu schließen und die Wut zu lindern, die in ihrem Jüngsten tobte.

„Ich hatte einen Flashback und habe ihn für unsere Zielperson gehalten“, offenbarte Crawford so freigiebig, wie er das Orakel selten erlebt hatte. Es überraschte Aya, wie es Omi auch überraschte. Um Bestätigung suchend irrte dessen Blick zu ihm und Aya nickte, läutete damit eine neue Stille ein, die um einiges unangenehmer war als zuvor.
 

„Es ist nicht das erste Mal, dass du ihn schlägst“, merkte Omi schließlich an und Aya wünschte sich, dass es weiterhin bei der unangenehmen Stille geblieben wäre. Diese Richtung wollte er nicht einschlagen. Nicht vor dem Frühstück, nicht in seinem Pyjama, nicht in Anwesenheit von Manx. Gar nicht eigentlich.

„Omi, lass es gut sein.“ Dass eben das nicht der Fall sein würde, wurde Aya spätestens dann klar, als er sich bewusst machte, dass Omi ein solches Thema nie fallen lassen würde. Nicht, da es Crawford war, dem er gegenüber stand und er ihm Unaussprechliches angetan hatte.

„Als du ihn entführt hast und wir ihn danach zum ersten Mal gesehen haben nach den fünf Tagen, hatte er Hämatome im Gesicht. Er war bleich und den Umständen entsprechend unsicher auf den Beinen, geradeso, als ob er Schmerzen beim Gehen hätte. Du hast ihn in unserer Anwesenheit geschlagen“, zählte ihr Jüngster sachlich und objektiv seine Beobachtungen auf und ließ Crawford nicht aus seinem Blick. Aya schluckte schwer.
 

Omi konnte ihm nichts vormachen. Hinter den emotionslosen Worten steckte eine solche Tiefe, dass es schmerzte. Omis Erinnerungen an seine eigene Folter hörte Aya, dicht gefolgt von der Sorge um ihn selbst und seine Sicherheit in Crawfords Gegenwart.

Der Anführer von Schwarz maß Omi für eine lange Zeit stumm, die Sasaki dazu nutzte, unter dem wachsamen Blick von Manx die kleine Platzwunde zu säubern und zu vernähen. Aya konnte sehen, dass Omis Worte Crawford wütend machten, doch wie so oft zuvor in den letzten Tagen blieb der Schwarz seinem Versprechen Omi gegenüber treu. Nach der Wut kam eine Art Resignation und mit ihr eine Kälte, die, wie Aya mittlerweile wusste, Crawfords Art war, das zu verbergen, was er nicht gesehen haben wollte.
 

„Kurz vor der Mission, die du angesprochen hast, habe ich deinen Anführer, als er sich gegen mich gewehrt hat, geschlagen und mit Gewalt in Jeis ehemalige Zelle gesperrt. Für Stunden, bis ich mich dazu entschieden habe, mein Verhalten zu korrigieren“, stimmte Crawford Omi zu und Aya schluckte erneut. Wie es schien, hatte er eben jene Situation noch nicht im Ansatz verarbeitet, so wie sein Herzschlag sich in diesem Moment beschleunigte und ihm die Hoffnungslosigkeit der damaligen Verzweiflung noch einmal klar und deutlich vor Augen führte.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte er es beiseite geschoben, weil die Katastrophe seiner Entführung und der seiner Schwester sich tief in seine Seele eingeschnitten hatte, als dass er in der Stresssituation, in der er sich damals befunden hatte, das Trauma dessen hätte sauber verarbeiten können. Dann war Ereignis um Ereignis gekommen, das sich dazu addiert hatte und erneut hatte er die Erinnerungen daran in die hinterletzte Ecke seines bewussten Denkens geschoben.
 

Nur damit Crawford sie wieder hervorzerrte mit seinem Schuldeingeständnis.
 

„Am gestrigen Abend habe ich ihn nicht mit Absicht geschlagen. Ich unterlag der irrigen Annahme, dass es sich bei ihm um unsere Zielperson handelt. Hätte ich gewusst, dass es dein Anführer ist, hätte ich das nicht getan.“

Wieder waren es schlichte Worte, die das am gestrigen Tag Erlebte wiedergaben. Wieder folgte ihnen langes Schweigen.

„Du hast ihn vor Tagen mit einer Waffe bedroht.“

„Aus ähnlichen Motiven.“

„Du hast dich nicht unter Kontrolle.“
 

Der Vorwurf war hart und ebenso mit eiskalten Kalkül ausgesprochen. Omis Stimme zitterte minimal, aber gerade genug, dass Aya die Angst dahinter erkannte, die den Worten den tieferen Sinn verliehen. Crawford hatte sich auch nicht unter Kontrolle gehabt, als er blind auf Omi eingeschlagen hatte. Er hatte die Kontrolle verloren und auf einen Unbeteiligten eingeprügelt, als wäre er Lasgo persönlich.

Wie Aya das so sicher wissen konnte, wusste er in diesem Moment auch nicht und er war nicht im Geringsten dazu geneigt, eben dieses Verhalten jemals zu verzeihen oder zu vergessen.

„Das ist richtig“, stimmte Crawford dem unprätentiös zu und neigte den Kopf in einer Art ruhigem Schuldeingeständnis.
 

„Ich möchte nicht, dass du ihn anfasst oder schlägst oder ihn anderweitig missbrauchst. Du hast genug angerichtet“, kam Omi zu dem Schluss, der alle Anwesenden hier im Raum überraschte in seiner bestimmenden Kälte. Da war kein Zweifel in Omis Worten. Da war kein Zögern und auch keine Angst. Kompromisslose Entschlossenheit, ja.

„Omi“, warf Aya mit einem Stirnrunzeln ein. „Du musst dir keine Sorgen machen.“

„Doch, das muss ich.“

„Es ist alles in Ordnung.“

„Deine Lippe erzählt eine andere Version der Geschichte. Wir sind keine Prügelknaben für Schwarz.“
 

Crawford hätte gut und gerne auch eine Statue aus Marmor sein können, so wie er reglos am Eingang stand. Aya sah es aus dem Augenwinkel heraus, da seine volle Aufmerksamkeit auf Omi ruhte, der seinen Blick eisern erwiderte. Dieses Mal stand der Hass auf das gegnerische Team sehr deutlich und sehr brennend in seinen Augen
 

Sasaki lenkte seine Aufmerksamkeit weg von den beiden Männern, als sie ihre Arbeit beendete und die Wunde mit einem Pflaster bedeckt. Aya sah an ihr hoch und nickte ihr zu. Sie war der objektive Ruhepol in der emotionsgeladenen Situation und in diesem Moment war er wirklich dankbar darum.

Mit einem letzten, prüfenden Blick auf seine Lippen richtete sie sich auf und drehte sich zu Crawford.
 

„Ich möchte mir Ihre Verwundungen auch noch anschauen, ebenso wie ich einen Blick auf Naoe-kun und Schuldig-san werfen möchte um sicher zu gehen, dass die Genesung die erwünschten Fortschritte macht“, lenkte sie das Thema auf das Naheliegende, das Alltägliche. Aya schien es das Beste zu sein, genau darauf einzugehen, auch wenn Crawford davon gar nicht angetan war. Insbesondere, wo sich nun die Tür hinter ihm öffnete und der Ire den Raum betrat. Ein eiskalter Schauer lief Aya über den Rücken, als das Auge auf ihn zum Ruhen kam. Für einen Moment nur, einen kurzen Augenblick durchdrang ihn die Aufmerksamkeit des nicht so verrückt scheinenden Schwarz, doch das reichte schon, um in Aya das Gefühl hochkommen zu lassen, dass der Ire um soviel mehr wusste als er zugab.
 

Nicht er war aber das Ziel des Schwarz, sondern Omi, auf den er nun Schritt um Schritt zuging. Alarmiert erhob er sich und schob die Krankenschwester zur Seite, ebenso alarmiert legte Manx eine Hand an ihre Waffe. Doch Farfarello griff ihren Jüngsten nicht an, im Gegenteil. Ruhig und besonnen blieb er außerhalb seiner Reichweite stehen.

„Der Zukunftsseher wird weise genug sein, seine Muse nicht zu schlagen“, sagte er und Aya hob überrascht die Augenbrauen.

„Muse?“, fragte er unisono mit Omi und Manx und Crawford ließ ihn mit einem unerwarteten Grollen zusammenzucken.

„Nein, Jei“, presste das Orakel hervor und Aya blinzelte verständnislos. In der Art, wie Crawford reagierte, lag etwas absolut Wütendes, etwas Fassungsloses, das er sich nicht erklären konnte.
 

Ebenso wenig, wie er sich Farfarellos Reaktion auf seinen Anführer erklären konnte. Abrupt fuhr der Ire herum und zischte ebenso wenig erfreut.

„Doch“, spie er dem Mann ins Gesicht, dessen Mimik ein einziges Gewitterfeld war und Aya wurde Zeuge eines Kampfes um die Vormachtstellung, den die beiden Männer direkt vor ihrer Nase austrugen und den er noch nicht einmal im Ansatz verstand.

„Doch, Hellseher, der du blind bist für die Gegenwart und die Vergangenheit.“
 

Nun war es Crawford, der in die direkte Schusslinie des Iren geriet, auch wenn das Orakel keinen Millimeter wich. Nicht dem Blick seines Teammitgliedes, nicht dessen aggressiver Grundhaltung.

„Du stiehlst meine Zeit und meine Bücher mit deiner Weigerung, die Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen, Zukunftsseher.“
 

Noch nie hatte Aya Farfarello so dermaßen aufgebracht und außer sich erlebt, wie in diesem Moment. Weg war die ruhige Überlegenheit des Iren, das Amüsement, mit denen er sie maß, wenn sie zusammen aßen oder die Dokumente auswerteten.

Nicht, dass das auf viel Zustimmung auf Seiten seines Anführers stieß. Aya hatte Crawford selten so unzufrieden und wütend gesehen wie in diesem Moment und so umkreisten die beiden Männer sich wie zwei Raubtiere auf der Suche nach einer Vormachtstellung.
 

Dann hielt absolute Arroganz in Crawford Einzug und er schnaubte verächtlich.

„Was weißt du schon von Musen und ihrer Bedeutung für uns PSI?“, verließ es verächtlich seine Lippen und wurde mit der zischenden Wut des Iren konfrontiert, die nur langsam abebbte. Als er schließlich zu eben jener zurückfand, richtete sich seine Aufmerksamkeit auf Omi.

„Er wird ihn nicht erneut schlagen…“, sagte Farfarello mit einer derartigen Überzeugung in der Stimme, dass Aya sich unwillkürlich fragte, woher der Schwarz das Wissen darum nahm.
 

Bevor er jedoch fragen konnte, wurde er zum Empfänger der eindringlichen, einäugigen Musterung. Farfarello runzelte die Stirn und legte nachdenklich den Kopf schief.

„…es sei denn, die Muse will das so.“
 

Dies beendete Ayas aufkommende Fragen schneller, als es ihm lieb war und sorgte für eine überraschte, wie auch peinlich berührte Stille. Er musste nicht nachfragen, was es zu bedeuten hatte. Er konnte auch nichts in diese klaren Worte hineininterpretieren. Mit hochrotem Kopf drehte sich Aya zur Tür.
 

„Ich würde gerne duschen gehen“, grollte er und erbost knurrte der Ire.

„Nein. Du bist nicht dran, Muse. Halte die Regeln ein oder dusche bei ihm.“
 

~~**~~
 

„Ziehen Sie bitte Ihr T-Shirt aus.“
 

Unsicher musterte Nagi die Kritikeragentin, die mit Zustimmung von Crawford einen Blick auf seine beinahe schon verheilten Wunden warf. Wie immer waren sie schnell verheilt und nur das Zittern und die Übelkeit, die ihn in unregelmäßigen Abständen überkamen, waren noch übrig geblieben von der Katastrophe, die noch nicht einmal einen Monat her war. Das und die Alpträume, die Schuldig milderte, damit er nachts schlafen konnte, auch wenn das keine Dauerlösung war. Irgendwann musste er wieder selbst einschlafen können, ohne daran zu denken, was für ein Monster er gewesen war. Oder die es nötig machte, dass Schuldig ihn mit seiner Gabe in den Schlaf beförderte.
 

Es war nicht nötig, dass sie ihn untersuchte und dennoch wagte er es nicht, sich Crawfords Befehl zu verweigern. Nicht, wenn er erst ein Millionstel dessen wieder gut gemacht hatte, was er seinem Anführer angetan hatte. Wenn überhaupt.

Nagi umfasste die Bindung, die er um das Handgelenk des Orakels hielt, enger und versicherte sich damit, dass es ihm immer noch erlaubt war und dass Crawford ihm genau das nicht verbot. Es vermittelte ihm die Sicherheit einer Bindung, die er so dringend benötigte.

Nervös verschränkte er die Finger ineinander und starrte aus dem Fenster hinaus auf das Meer.
 

„Also wirklich, Airi-chan, das Sie gleich so rangehen hätte ich nicht gedacht. Und ist unser kleiner Stubenhocker hier nicht noch ein bisschen jung für Sie?“
 

Wütend verpasste Nagi ihrem hauseigenen Quälgeist sehr zu dessem Missfallen einen Schlag in den Nacken für seine Wortwahl und zischte mental erbost.

~Willst du ihren Aufenthalt noch länger gestalten? Und was soll das? Das ist unangebracht~, schickte er ihm wenig erfreut und Schuldig grinste faul, direkt in das sorgsam neutrale Gesicht der Krankenschwester, die erst ihn selbst und dann den Telepathen musterte.

„Für Sie wäre das „Sasaki-san“, Herr Schuldig und im Übrigen bin ich glücklich liiert und habe einen Sohn in Naoe-sans Alter, wie Sie meinen Gedanken bereits entnommen haben“, erwiderte sie in stark akzentuiertem, aber einwandfreiem Deutsch und Nagi freute sich gar nicht mal so insgeheim über das verdutzte Gesicht des rothaarigen Mannes neben sich.
 

~Eins zu null, würde ich mal sagen~, feixte er und Schuldig zeigte ihm den mentalen Mittelfinger.

~Los du Satansbraten, tu was die olle Hexe sagt. Dann ist es schneller vorbei und sie verschwindet wieder von hier.~

~Kannst es wohl gar nicht erwarten, der Nächste zu sein?~

~Genau das.~

~Warum änderst du nicht ihre Gedanken, damit sie dich überspringt?~

Schuldig lachte im Inneren seiner Schädeldecke. ~Wo bliebe denn da der Spaß, sie Brad quälen zu sehen? Ihn hat sie sich für ganz zuletzt aufgespart.~
 

Nagi schluckte den Kloß seines schlechten Gewissens herunter. Es war sowieso ein Unding, dass Crawford ihnen beiden den Vorrang gegeben hatte. Ihr Anführer war derjenige, der wirklich medizinische Unterstützung bei seinen Wunden benötigte. Er selbst hatte jedes Ziehen und jeden steifen Muskel verdient, der daraus erwuchs, was er Crawford angetan hatte.
 

~Das große Orakel drückt sich nur, mach dir keine Sorgen. Sein Handeln ist nicht im Geringsten so altruistisch, wie du denken magst~, gab ihm Schuldig wenig hilfreich zur Kenntnis und Nagi rollte innerlich mit den Augen.

Crawford drückte sich nicht. Wenn es jemanden gab, der sehenden Auges in jedes Unbill ging, weil es seine Verantwortung und seine Pflicht war, dann war es Crawford.

Und schon murmelten die Gedanken des Orakels gegen seine, machten ihm deutlich, dass sein Anführer gerade nach einer Möglichkeit in der Zukunft suchte, der Kritikeragentin zu entkommen. Erfolglos, bis jetzt.
 

„Naoe-san?“
 

Nagi zuckte zusammen. Gerade jetzt war sie sein unmittelbares Problem.
 

Er drehte sich von ihr weg und zog sein Shirt über den Kopf. Blind starrte er an die gegenüberliegende Wand, seine Schultern hochgezogen und angespannt. Dass Schuldig mit ihm im Raum war, machte die Sache da auch nur um Nuancen besser.

„Es tut nicht mehr weh“, murmelte er und hörte, wie sie in seinem Rücken ihre Handschuhe anzog und zustimmend brummte.

„Das ist sehr gut, Naoe-san. Sie machen beeindruckende Fortschritte in der Genesung.“ Vorsichtig tasteten sich die Finger seinen Rücken entlang, strichen über die noch empfindliche Haut, kehrten zu manchen Stellen zurück, die anscheinend eine besondere Aufmerksamkeit verdient hatten. „Wie geht es mit den Bewegungen?“

„Gut.“ Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.

„Appetit?“

„Gut.“

„Schlafen Sie regelmäßig und genug?“

„Ja.“
 

In welcher Welt lebte sie, in der sie glaubte, dass er ihr ihre Fragen ehrlich beantworten würde?
 

„Sie können sich wieder anziehen“, erlöste sie ihn aus der unangenehmen Aufgabe und schneller als ihm lieb war, hatte Nagi sein Shirt wieder angezogen und seine elektrisch hochstehenden Haare geordnet. Wortlos drehte er sich zu ihr um und sah, dass sie garantiert nicht in der Welt lebte, in der er geglaubt hatte, dass sie lebte. Da stand viel in den dunklen Augen, aber keine Akzeptanz seiner Worte und das ließ Nagi unwirsch die Lippen verziehen.

„Schuldig wartet“, murmelte er.

~Ey! Missbrauche mich nicht als Ablenkung~, meckerte Schuldig reichlich erfolglos in seine Richtung. Amüsiert beobachtete Sasaki ihn dabei und neigte den Kopf im Eingeständnis an seine Lüge. Wortlos zog sie ihre Handschuhe aus und ein neues Paar an.
 

„Nun, Schuldig-san. Schulter oder Nase?“, fragte sie mit einem feinen Lächeln, das nichts Gutes verhieß. Nagi musst kein Hellseher sein um zu wissen, dass beides Schuldig nicht recht war, weil beides ihm immer noch Schmerzen bereitete.

„Viel Spaß“, winkte er und verließ unter dem missbilligenden Grollen des Telepathen ihr gemeinsames Zimmer, nur um dort auf Jei zu treffen, der in der Nähe der Tür auf dem Flur stand und erwartungsvoll in seine Richtung starrte.

„Möchtest du etwas?“, fragte Nagi stirnrunzelnd und das Auge des Iren richtete sich mit einer solch erwartungsvollen Zufriedenheit auf ihn, das es ihn wunderte.
 

„Darauf warten, dass es schmerzen wird“, war die kryptische Antwort des vernarbten Mannes, bevor kurz darauf wortgewaltiges Fluchen durch die geschlossene Zimmertür drang.
 

~~**~~
 

„Bereit?“
 

Nein, nicht wirklich. Aber wer war schon bereit dazu, sein ganzes Leben vor einem viel zu neugierigen Telepathen auszubreiten? Er nicht und das schon, bevor eben jener ihn mit seiner Gabe gefoltert hatte.
 

„Omi, du musst es nicht tun, wenn du es nicht möchtest.“
 

Ken, der Gute. Immer besorgt um ihn und eine Stütze, auf die er sich verlassen konnte. Alleine seine Anwesenheit beruhigte Omi mehr als dass er zuzugeben bereit war.

~Ich könnte es ihm sagen.~

Wieso wunderte es ihn nicht, dass Schuldig genau den Gedankengang aufgriff?

~Weil du klüger bist, als du aussiehst?~

Omi stöhnte genervt auf und wagte einen kurzen Blick in die amüsierten, blauen Augen. „Wie hält es dein Team eigentlich dauerhaft mit dir aus?“, fragte er zynisch, erwartete nicht wirklich eine Antwort von irgendjemandem der Anwesenden im Wintergarten.
 

„Gar nicht“, überraschte ihn ausgerechnet der Ire mit einem abgrundtief bösen Grollen. „Dazu sind die Regeln da.“ Die, wenn Omi Farfarellos Ton richtig interpretierte, nicht eingehalten wurden seitens des Telepathen.

~Tja, was könnte mir größere Freude bereiten, als den Tagesplan des irischen Dickschädels hier durcheinander zu bringen? Ach ja warte, deine Gedanken aufzumischen.~

Wider Willen zuckte Omi zusammen und bohrte seinen Blick in Kens Augen, der ihn mit einem aufmunternden Blick musterte.
 

„Schuldig“, rief Crawford sie alle wieder zur Ordnung und der Telepath schnaubte.

„Also, Tsukiyono. Wir gehen jetzt zurück zu deinen ersten, bewussten Erinnerungen. Crawford wird dir Fragen stellen, die deine Erinnerungen triggern werden. Ich schaue mir deine Gedanken an und gebe die Bilder, die da entstehen, an die neugierigen Gaffer hier weiter, in der Hoffnung, dass wir einen oder mehrere Hinweise auf den Verbleib des Pandas und unserer Zielperson bekommen. Den Schweinkram leite ich natürlich nicht weiter…“

Empört fuhr Omi hoch, die Wangen im Begriff, verdächtig warm zu werden. „Ich war elf!“

Schuldig winkte ab. „So altklug, wie du jetzt bist, warst du sicherlich auch frühreif.“
 

„Schuldig.“ Crawford erneut, dieses Mal deutlich genervt von seinem eigenen Teammitglied. Beinahe empfand Omi Dankbarkeit für den ältesten Schwarz. Hätte der Schwarz sich nicht erneut an Aya vergriffen.

~So kann man das nicht sagen.~

~Er hat Aya geschlagen. Schon wieder.~

Schuldig grollte. ~Weil er eine Panikattacke hatte, du weiße Blitzbirne. Er war nicht er selbst in dem Moment und Fujimiya war auch nicht er selbst für ihn. Wenn er es da schon kapiert hätte, hätte er ihm vermutlich seine Kleidung vom Leib gerissen.~

Omi starrte Schuldig entsetzt und fassungslos in die Augen. ~WAS?~

~Also im übertragenen Sinn. Du erinnerst dich an den Kissentausch, den du – brav, wie du bist – immer noch nicht verraten hast? Das hatte tatsächlich einen Sinn. Ich verrate dir mal was. Das behältst du natürlich auch für dich. Unser aller geliebtes Orakel ist ein olfaktorisches Wunderkind. Er hat ein sehr feines Näschen und steht auf Gerüche. Und so kommt es, dass der Geruch deines Anführers auf ihn eine, sagen wir mal, beruhigende Wirkung entfaltet. Dass er da an der Kleidung deines Anführers schnüffelt, ist nur die Spitze des Eisbergs.~
 

Omi starrte Schuldig an, als hätte der Telepath den Verstand verloren. Oder als hätte er selbst den Verstand verloren. Was zur Hölle hatte er da gerade gehört? Warum in aller Welt erzählte Schuldig ihm das? Warum war ihm nicht schon längst das Hirn geschmolzen bei diesen Informationen, die er gewiss nicht haben wollte?
 

Absolut gar nicht. Niemals nicht.
 

„Meine Herren, ich muss doch wohl sehr bitten“, drang eine sanfte Stimme in seinen inneren Disput und brachte nun Schuldig dazu, zusammen zu zucken.

Egal, was die Dame des Hauses – Siobhan – gerade mit Schuldig mental besprach, es brachte den Telepathen dazu, mühevoll zu schlucken und schließlich gequält zu lächeln.

„Du schottische Mistkröte“, knurrte er schließlich und verschränkte in die Stille hinein die Arme. „Können wir beginnen?“
 

Als wenn diese Verzögerung an Omi liegen würde!
 

Crawford räusperte sich und sein Kopf ruckte zu dem Orakel. Seine Wangen wurden heiß und Omi wusste, dass er knallrot im Gesicht war, während er versuchte, seine eigenen Gedanken wieder einzufangen.

„Wir können“, presste er hervor.

„Gut.“ Pointiert lagen die hellen, durchdringenden Augen auf ihm und Omi schluckte. „Woran kannst du dich als Erstes erinnern?“
 

Omi atmete tief durch und ließ alle Empörung über Schuldigs Worte durch sich hindurchwaschen. Sein Blick schweifte hinaus in den Wald, der im warmen Regen des Tages neblige Schwaden bildete. Seine Augen verloren ihren Fokus und er ließ seine Erinnerungen zurückkehren zu den Tagen, in denen er nichts als glücklich und geliebt gewesen war. Sie war immer da gewesen, seine Mutter. Sie und ihre Arme und ihr Lachen, das ihn durch das Leben begleitete und ihm Worte einflüsterte, die er erst nach und nach wirklich verstand.
 

Er kehrte auch zurück zu der feindseligen Gestalt des Mannes, den er als seinen Vater gewähnt hatte. Ein großer, dunkler Koloss an Abneigung, der Omi Angst gemacht hatte, wenn seine Mutter nicht anwesend war. Er hatte viel Besuch gehabt und irgendwann hatte Omi das Spiel begonnen, sich aus seinem Bett zu stehlen und den Gesprächen der Erwachsenen zu belauschen, die ihm so fremd und spannend vorkamen. Er hatte ebenso ein Spiel daraus gemacht, die Worte zu verstehen, die dort gesprochen wurden, in der Hoffnung, dass er den großen, unzufriedenen Mann irgendwann einmal auch stolz machen können würde.
 

Omi runzelte die Stirn, als er den Personen nachfolgte, die er gesehen hatte und blieb zwangsläufig bei dem Mann hängen, den sie Lasgo nannten. Takatori wie auch seine Mutter hatten sich mehrfach mit ihm getroffen und Omi erinnerte sich an seine Freude, den freundlichen, warmherzigen Mann zu treffen und mit ihm zu spielen.

So, das hatte er sich damals gewünscht, sollte sein Vater sein. Liebevoll, verspielt, ihm Aufmerksamkeit schenkend. Lasgo hatte ihm immer kleine Geschenke mitgebracht, Süßigkeiten und Spielzeuge. Er hatte ihn und seine Mutter auch desöfteren mitgenommen und auch diese Erinnerungen daran waren gut.
 

Lasgo war so oft bei Takatori gewesen, dass Omi die Male gar nicht mehr zählte, in denen er den anderen Mann in seinen Gedanken sah. Sehr wohl aber konzentrierte er sich darauf, wen die Beiden trafen und wer die Personen waren, solange, bis Schuldig neben ihm zusammenzuckte.

~Halt, warte~, gebot ihm der Schwarz und Omi hielt blinzelnd inne.

„Was ist los?“

„Der Mann gerade. Nochmal zurück.“
 

Irritiert kehrte Omi zu besagter Erinnerung zurück und maß den Mann, dessen Gespräch mit Takatori er belauschte, nun eindringlicher. Es war kein Japaner, er stammte anscheinend noch nicht einmal aus dem asiatischen Raum. Aus seinem jetzigen Wissen heraus würde Omi tippen, dass es ein Europäer oder Amerikaner war. Die rotblonden, kurzen Haare waren ordentlich zurückgekämmt und er trug einen karierten Anzug, dessen himmelschreiend farbige Kombination mit Hemd und Schuhen alles in den Schatten stellte, was Schuldig jemals angehabt hatte. Er war schon seit Stunden hier und unterhielt sich über die Zukunft von Takatoris Unternehmen. Über die Dinge, die sie erreichen würde, die Pläne, die sie schmiedeten.
 

„Wir werden dir ein Team schicken, das dich vor Möchtegernmördern schützt. Sie stehen zu deiner freien Verfügung.“

„Von deiner Organisation?“

„Ja.“

„Und was ist mit der Partnerorganisation?“

„Wird dich auf deinem Weg unterstützen und dir ebenfalls geeignetes Personal zur Verfügung stellen um deinen Profit zu steigern.“

„Werde ich Premierminister?“

Der Mann lächelte und es war kein angenehmes Lächeln. Omi schauderte es unwillkürlich. „Aber natürlich wirst du das. Mit Unterstützung kompetenten Personals.“

Takatori lehnte sich selbstzufrieden zurück und strich sich über seinen Bauch. „Wessen?“

„Hier, ich habe Bilder für dich, von deinem zukünftigen Team. Also dem, das dir ein auftauchendes Problem aus dem Weg räumen wird.“
 

Omi sah durch das kleine Loch in der Wand, wie ein Stapel an Fotos ausgetauscht wurde und erhaschte einen Blick auf den Mann, der ganz oben lag. Überrascht zuckte er zusammen, als er den Mann unmissverständlich wiedererkannte, dessen Konterfei er kurz hatte sehen können.

Er. Crawford. Naoe. Sie alle kannten ihn und das sah er nun auch in ihren Gesichtern.
 

Die Stille, die seinen Erinnerungen folgte, war ohrenbetäubend.
 

Es war schließlich Schuldig, der diese durchbrach und sich langsam an seinen Anführer wandte. Seine Lippen öffneten sich mehrfach ohne Erfolg, bis er mühevoll schluckte. Von Crawford aus wandte er sich an Siobhan, die mit ausgesuchter Neutralität seinen Blick erwiderte und Omi schaudern ließ. Spannung hing in der Luft, von der Omi nicht wusste, woher sie kam und die er noch nicht einmal im Ansatz begriff.
 

~Was genau, Siobhan, macht Ratsherr Leonard mit einem Bild der rechten Hand Lasgos, während er über SZ-Personal spricht?~, fragte Schuldig über die gemeinsame, mentale Verbindung und es war dunkle, zerstörerische Wut, die ihnen darüber entgegenwallte. Selbst die blauen Augen des Telepathen waren hell vor Zorn und Hass.
 

Das Schieflegen ihres Kopfes konnte Omi nicht deuten, sehr wohl aber anscheinend Naoe, der sich nun erstickt räusperte.

Die Dame des Hauses sah sich um und in ihren Augen erkannte Omi, was dem jungen Schwarz solche Angst bereitet hatte.
 

„Ich möchte die Herren und auch Sie, Manx, bitten, den Raum zu verlassen und mich mit Oracle und Mastermind alleine zu lassen“, sagte sie viel zu ruhig und viel zu neutral, als dass es Omi nicht eiskalt den Rücken hinuntergelaufen wäre. Er erhob sich ebenso abrupt wie sein Team und Manx, wie auch Naoe und Farfarello und ging nach oben.
 

In eine vermeintliche Sicherheit.
 

~~**~~
 

~Siobhan, der Mann ist Lasgos Handlanger~, begehrte Schuldig in ihrer gemeinsamen, gedanklichen Verbindung auf, kaum, dass sie alleine waren. Und auch alleine bleiben würden, zumindest hatte das Crawford vor ein paar Sekunden vorhergesehen und er war gottfroh darum.

Er selbst schwieg noch zu den ungeheuerlichen Vorwürfen, die sich gerade aufgetan hatten und versuchte die Erinnerungen des Weiß zu verarbeiten, derer er gerade ansichtig geworden war. Sein Mentor traf sich mit Takatori. Für einen Hellseher sicherlich nicht ungewöhnlich. Für ein Ratsmitglied nicht ungewöhnlich, insbesondere, da Rosenkreuz dort kurz vor dem Abschluss seines Vertrages in Japan gestanden hatte.
 

Doch den Vernarbten in den Unterlagen von SZ zu finden, das war nichts, was in irgendeiner Art und Weise der Norm entsprach.

Sie hatten eine vollständige Auflistung des vergangenen und aktuellen SZ-Personals erhalten und die rechte Hand Lasgos war definitiv nicht mit dabei gewesen. Zumal es sich bei dem Vernarbten auch definitiv nicht um einen PSI handelte, SZ aber noch stringenter als Rosenkreuz lediglich mit PSI arbeitete.
 

~Was bedeutet das, Mutter?~
 

Crawfords Blick glitt zu ihr, die ihn ausdruckslos musterte. Verschwunden war ihr ruhiges Amüsement, mit der sie ihre Zeit hier verbrachte, verschwunden diese legere Leichtigkeit und Freundlichkeit. Thanatos stand vor ihnen, Agentin von Rosenkreuz und sie war wütend. Bodenlos wütend. Noch nicht auf sie, das sah Crawford, doch das konnte sich schnell ändern, wenn sie nicht vorsichtig und diplomatisch genug vorgingen. Alleine der Gedanke daran, dass dort ein Verrat vorliegen könnte, war eine Unmöglichkeit und unter gewissen Umständen auch ein sofortiges Todesurteil. Doch Paktiererei mit dem Feind und das schon seit Jahren?
 

~Ich kenne die Bedeutung dessen ebenso wenig.~ Ihre mentale Stimme war eisig, unterschwellige Wut kolorierte sie. Es stimmte sie unzufrieden, wie immer, wenn ihr etwas verborgen blieb und sie die Kontrolle nicht innehatte. Schweigend musterte er sie. Thanatos, die Dame des Hauses, hatte alles im Griff. Es gab für gewöhnlich nichts, was sich ihrer Kenntnis entzog, niemals, zu keinem Zeitpunkt. Wenn es doch passierte, dann zeigte sich die Seite, die auch Schuldig oft an sich hatte und die allen Telepaten gemein war: die Gier nach absoluter Kontrolle.

Das war nicht gut, ganz und gar nicht. ~Ein unentdeckter PSI, wäre das möglich?~ Mit Bedacht nahm Crawford das Offensichtliche nicht in den Mund. Er konnte nicht, durfte nicht.
 

Sowohl Schuldig als auch Crawford richteten ihre Aufmerksamkeit auf Siobhan, deren eigene Aufmerksamkeit sich auf den Wald außerhalb des Fenster richtete.

~Du weißt etwas.~ Das war keine Frage, die Crawford in den Raum stellte, dafür kannte er seine Mutter zu gut. Doch sie ließ ihn warten, tief in ihre Gedanken versunken. Als sie sich schließlich umdrehte, war ihr Gesicht ein einziges Gemälde an Zorn.
 

~SZ.~

Crawford runzelte die Stirn. ~Möchtest du dich erklären?~

Wieder dauerte es, bis sie antwortete. Schließlich nickte sie widerwillig und verschränkte die Arme vor der Brust. ~Es gibt Spannungen zwischen unserer Organisation und SZ, die gefährlicher sind, als wir es offiziell weitergegeben haben~, erklärte sie schließlich, als würde das alles erklären.

~Wann gibt es die nicht? Das Verhältnis zwischen Rosenkreuz und SZ war immer durch Konkurrenz und Intrigen geprägt, aber bisher überwogen doch die gegenseitigen Interessen. Deswegen ist Schwarz in Japan. Deswegen habt ihr uns hierhingeschickt, damit wir dem Panda helfen.~ Schuldig runzelte die Stirn.
 

Crawford schluckte und atmete tief durch. ~Wusstest du von dem Besuch bei Takatori durch den Ratsherrn?~, fragte er und bohrte seine Augen in den Blick seiner Mutter. Die Grenze zu Thanatos wurde dünner, das sah er. Es fehlte nicht mehr viel, dann würden sie eben diese überschreiten und das wäre das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit. Es wäre nicht akzeptabel, aber andererseits war das Wissen um einen möglichen Verrat es ebenso wenig.

~Wusstest du davon, dass der Vernarbte ein PSI ist und für SZ arbeitet?~

Sie zögerte für den Bruchteil einer Sekunde zu lang. ~Ich habe keine Freigabe durch den Rat für diese Information.~

Schuldig grollte erbost. ~Komm schon, Siobhan, hier geht es um unser Leben.~

Ihre Gabe flirrte über den Link und bildete mit dem Ausdruck in ihren Augen eine deutliche Warnung. ~Lass es gut sein, Mastermind.~
 

Natürlich konnte Schuldig es nicht gut sein lassen. Natürlich musste er weitermachen, wo aufhören geboten war, ohne Rücksicht auf die kommende Katastrophe.

~Du hast keine Freigabe? Dann hol sie dir, verdammt noch mal, Thanatos! Wir haben hier einen PSI, der von unserem eigenen Ratsherrn an Takatori übergeben wurde und wir wissen nichts davon. Wir wussten seit Anbeginn unserer Tätigkeit in Japan nichts davon und dann kommt Lasgo um die Ecke und fickt deinen eigenen Sohn! Und der Vernarbte hilft ihm dabei oder entgehen dir etwa die Gedanken deines Sprösslings, die dir genau das zeigen?!~
 

Entgeistert fuhr Crawford zu Schuldig herum. Nein, er hatte kein einziges Wort von Schuldig vorausgesehen. Wenn, dann hätte er dem Telepathen eigenhändig den Kiefer gebrochen, bevor dieser sie beide und ihr gesamtes Team in den Abgrund stürzen konnte. Doch jetzt waren die Worte gesprochen, sie waren in der Welt und sie würde unweigerlich den Dämon heraufbeschwören, den Schuldig so freizügig benannt hatte.

~Du überschreitest deine Kompetenzen, Schuldig. Sei verdammt nochmal still. Du hast ihre Warnung gehört und in den Wind geschlagen. Es ist gut jetzt. Es reicht~, richtete er wütend an seinen Telepathen, doch es war zu spät. Crawford musste nicht über seine Schulter schauen um zu wissen, dass die Dame des Hauses sie betrachtete. Er musste ihr nicht in die Augen sehen um zu wissen, dass Schuldig die Grenze bereits überschritten hatte und dass Thanatos nun eine Antwort einforderte.
 

Blutzoll.
 

Tadelnd ruhten seine Augen auf Schuldig, bevor er sich zu der Dame des Hauses umdrehte und den Kopf senkte.
 

„Ich übernehme die volle Verantwortung für das Handeln meines Teammitgliedes“, sagte Crawford ruhig, auch wenn er sich nicht wirklich so fühlte. Sein Herz schlug brachial schnell in seiner Brust, gerade so, als wolle es seinen Brustkorb sprengen und die Aussicht auf eine telepathische Strafe von Thanatos war auch nicht das, was er so kurz nach seinem Aufenthalt im Keller favorisiert hätte. Nicht, dass er sie zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich favorisiert hätte, strafte sie doch nur auf eine Art...auf eben jene, ihm überaus verhasste Art und Weise.

Und wieder war es Schuldig, dessen Stimme ihn ablenkte. ~Brad, das musst du nicht. Ich war das, ich habe mich im Ton vergriffen. Hör auf, die Schuld auf dich zu nehmen. ~
 

„So sei es.“

Crawford ignorierte ihn und wartete schweigend, auf das, was kam und das wie immer nicht lange auf sich warten ließ. Schmerz peitschte durch seine Nervenbahnen und schickte ihn beinahe augenblicklich auf die Knie. Er presste die Zähne aufeinander, um bloß keinen Laut des Schmerzes aus sich herauszulassen, der ihm als Schwäche ausgelegt werden konnte.

Ihm wurde schwarz vor Augen und mit Steigerung des Aufkreischens in seinen Nervenbahnen wollte sich der Inhalt seines Magens ohne seine Erlaubnis wieder hochkämpfen.
 

Crawford richtete seine ganze Konzentration darauf, Thanatos nicht eben jenen vor die Füße zu kotzen, als auch schon das Eis zum Feuer hinzukam und seine Nervenenden einfror, damit das Feuer genau dort behielt, wo es sein sollte. Ihre Beine, die er gerade noch starr fixiert hatte, verschwommen und er biss sich das Innere seines Mundes blutig um nicht zu schreien oder darum zu betteln, dass sie aufhörte, während er nicht mehr Herr seiner Selbst war, einzig und alleine ihrer Kraft ausgeliefert.
 

Es war das Blut, das ihm wie immer half, seine Konzentration beizubehalten und die Strafe so diszipliniert zu ertragen, wie es ihm möglich war, auch wenn es ihm aus der Nase und Mund tropfte und seine gesamten Nerven vor Entsetzen schrien.

Als er noch jünger war, hatte er schneller das Bewusstsein verloren, als er es nun tat und auch jetzt war ihm keine vollständige Dunkelheit vergönnt – ihr Wirken. Sie hielt ihn bei Bewusstsein, damit er bis zum bitteren Ende durchhielt, auch wenn sein Körper nur noch eines wollte: aufgeben.
 

Wie lange sie ihn unter ihrer Kontrolle gehalten hatte, wusste er nicht. Was er getan oder gesagt hatte, konnte er ebenfalls nicht sagen. Er wurde sich nur bewusst, dass er vor ihr kniete, die Stirn auf dem Boden, unter ihm sein eigenes Blut. Er atmete schwer und zitterte am ganzen Körper, als sie sich endlich aus ihm zurückzog.
 

Bis auf seine schnelle Atmung war es still in dem Raum und Crawford blinzelte gegen den ihn überkommenden Schwindel an. Vermutlich war es gut so, dass sie ihm noch nicht die Erlaubnis gegeben hatte, sich zu erheben. Überstanden hätte er das nicht unbeschadet und Schwäche im Angesicht der Dame des Hauses würde eine weitere Strafe auf sich ziehen. So blieb er, wo er war.
 

Es war schon lange her, dass er Empfänger ihrer Strafe gewesen war, schoss es Crawford durch den Kopf, während er seinen Kreislauf beruhigte und seine Atmung wieder unter seine eiserne Kontrolle zwang. Der Schmerz jedoch blieb und würde – so wusste er aus Erfahrung – noch eine Zeit lang bleiben als Erinnerung an den Ungehorsam und die Unverschämtheit seines Telepathen.
 

~Du hast die Erlaubnis, dich zu erheben.~ Selbst ihre mentale Stimme fügte ihm im jetzigen Stadium seiner Wundheit Schmerzen zu. Auch wenn Crawford bemüht war, seine Gedanken neutral zu halten, konnte er ein innerliches Aufstöhnen nicht vermeiden, als er sich ihrer Erlaubnis, nein, ihrem Befehl entsprechend erhob und schwankend zum Stehen kam.
 

~Damit soll es gut sein. Wir werden später darüber sprechen.~
 

Schweigend nickte er, auch wenn überhaupt nichts gut war, und sah ihr in die Augen, die, wie er wusste, wieder zu ihrem normalen Grau zurückgekehrt waren. Ebenso schweigend entzog er sich Schuldigs Hand, die ihn stützen wollte und wankte unsicher an seiner Mutter vorbei die unendlich lange und steile Treppe hinauf in sein Bad.

Ruckartig zog er die Tür hinter sich zu und schloss geräuschvoll ab. Nicht, dass ihn das vor der gedanklichen Anwesenheit beider Telepathen schützen würde…nein. Aber es schützte ihn vor ihren Blicken und ihrer körperlichen Anwesenheit, die er gerade nicht ertrug.

Ebenso wenig wie er die Möglichkeit eines Verrates ertrug, die sich ihm gerade eröffnet hatte.
 

Sein Mageninhalt war mit seinen Gedanken so gar nicht einverstanden, stellte Crawford fest, als er würgend und sich übergebend vor der Toilettenschüssel kniete. Wie lange, das wusste er nicht, bevor er sich gefahrlos erheben konnte, ohne dass sein Magen rebellierte. Zitternd stellte er das warme Wasser an, wusch sich das Gesicht damit und ließ sich dann auf den Badewannenrand nieder, als seine Gedanken das zu verstehen suchten, was noch auf sie warten konnte.

Dort, wo sie jetzt schon Probleme hatten, mit Lasgo und Takatori fertig zu werden, konnte es sein, dass noch etwas viel Größeres dahinter stand, gegen das Schwarz auf jeden Fall verlieren würden. Die drei Alten, die nach der ewigen Jugend und der allumfassenden Macht strebten, natürlich. Ihr eigener Rat? Eine Unmöglichkeit und ihr Todesurteil.

Crawford legte langsam den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
 

Jetzt war ihm klar, warum er versagen würde.
 

Seine Hände fuhren durch seine Haare und strichen sie nach hinten. Die Zukunft, die seine Kraft ihm gezeigt hatte, war vielleicht unumstößlicher, als er es vermutet hatte. Was sollte Schwarz dagegen schon ausrichten? Nichts.

Lasgo? Mit viel Glück und der Hilfe von Weiß konnte es etwas werden. Takatori würde dann ein Kinderspiel werden. Der Ring um die beiden Bastarde wäre ein Kinderspiel.

Doch SZ? Ihr eigener Rat? Niemals, denn dafür war sie schließlich hier, Thanatos, die Dame des Hauses, Exekutorin. Vor allen Dingen letzteres.
 

Schuldig hatte trotz seiner unnötig respektlosen Worte ihr gegenüber durchaus Recht. Ohne die Freigabe von Rosenkreuz, sich diesbezüglich Informationen einzuholen, würden sie nicht erfolgreich sein. Konnten sie ihre eigene Organisation überhaupt um Hilfe bitten, wenn der Verrat aus den eigenen Reihen stammte?

Dann waren sie zum Sterben verdammt.
 

Für einen kurzen Moment war Crawford nicht mehr bereit, weiter zu kämpfen und wurde unsäglich müde ob dieses Gedankens. Er fragte er sich tatsächlich, ob das, was er tat, jemals ausreichen würde und ob er seinem Team nicht den Kummer ersparen würde zu versagen, wenn er jetzt seine Schilde hochzog, damit gegen Rosenkreuz‘ Befehle verstieß und sie dazu brachte, ihn mitzunehmen um so sein Team zu retten. Was sollte er denn auch schon gegen seinen Mentor und Ratsmitglied ausrichten können, wenn dieser es tatsächlich darauf angelegt hatte, Schwarz mit seinem Handeln zu schaden. Warum auch immer. Niemals in ihren Zusammentreffen hatte Ratsherr Leonard zu erkennen gegeben, dass er eine Form von Abneigung gegen ihn oder ihre gemeinsame Zukunft hegte. Niemals…wieso sollte er auch? Sie alle handelten im besten Interesse ihrer Organisation und wenn die Gabe eines PSI-Begabten nachließ, so würde sein Nachfolger die Aufgabe übernehmen.
 

„Ein aufkommendes Problem aus dem Weg räumen.“
 

Waren sie, als Schwarz, damit gemeint gewesen? Oder Kritiker? Oder er selbst? Crawford wusste es nicht und diejenige, die ihm die Antwort geben konnte, war diejenige, die ihn für seine Zweifel umbringen würde.

Vielleicht war jemand anderes besser als er dazu geeignet, diesen Kampf zu führen, vielleicht sollte er ihn auch einfach nicht führen. Die Zukunft verriet ihm jedenfalls nichts Gegenteiliges. Immer und immer wieder das Ticket, nichts Anderes.

Crawford atmete tief durch und strich sich zittrig über die Haare.
 

Was, wenn das Hochziehen der Schilde ihm Klarheit über seine Zukunft bringen würde? Was, wenn die eindeutige Provokation der Auslöser dafür war, dass er dieses Problem hier löste? Crawford mochte es nicht ausschließen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob es ein fehlerhafter Hoffnungsfunke, geboren aus reiner Verzweiflung war.

Es bedurfte nicht viel dafür, dass er es tat. So bewusst, wie er seine Schilde hatte fallen lassen müssen, so einfach konnte er sie wieder hochziehen. Es würde im Bruchteil eines Augenblickes geschehen. Tief atmete Crawford ein und traf eine Entscheidung, die blinder nicht sein konnte. Er ließ sich in sich hineinfallen, tief genug um den Boden seiner Schilde zu berühren und ihre eiskalte Textur zu erfühlen. Er griff nach ihnen und zog daran, wollte sie hochziehen, als er einen Widerstand spürte.

Widerstand, der seine Schilde unten hielt.
 

Was… zur Hölle…?
 

~Du glaubst doch nicht, dass du in meiner Gegenwart Selbstmord begehen kannst, oder?~, fragte Schuldig und Crawford stöhnte innerlich auf, zog erneut an seinen Schilden und wurde wieder enttäuscht. Ungläubig öffnete er die Augen. Machte er gerade mit Schuldig Tauziehen um seine Barrieren? Zog er wie ein kleiner Junge an seinen Schilden und hielt Schuldig sie – ebenso stur – fest? Das war entwürdigend.

~Lass mich in Ruhe. Es ist meine Entscheidung, es zu versuchen. Ich muss eine Lösung finden.~

~Da irrst du dich, oh großes Orakel. Das ist die Entscheidung deines Teams und dein Team lässt nicht zu, dass du dich mit einem solchen märtyrerischen Stunt umbringst.~

~Schuldig…~
 

~Nein, Brad. Dein Team, mein Team, unser Team. Du bist unser Anführer und auch wenn du ein Arschloch bist und momentan nicht klar denken kannst, weil sie dir das Hirn verdreht hat, so ändert das an deinem Status rein gar nichts. Und aus diesem Status heraus hast du uns anzuführen. Du kannst dich nicht einfach aus dem Staub machen, oder einem hirnrissigen Plan folgen, nur weil du glaubst, dass es keine andere Lösung gibt. Die Lösung sitzt da unten, Brad, und nennt sich Weiß. Kritiker mögen zwar Stümper sein, aber selbst Stümper können über Informationen verfügen, die uns nützlich sind. Wir selbst können an Informationen herankommen, die uns nützlich sind. Hier ist noch gar nichts verloren. Vielleicht, eventuell, kannst du das am Ende der sechs Wochen sagen, wenn wir dann nicht erfolgreich waren, aber nicht jetzt. Gott verdammt nochmal, reiß dich zusammen, du hast einen Auftrag! Und wir waren bisher immer siegreich, egal, wie hoch oder niedrig unsere Chancen standen. Unter anderem auch dank dir.~
 

Ohne auf Schuldig einzugehen, zog Crawford ein weiteres, erfolgloses Mal an seinen Schilden und gab es dann schließlich auf, sackte innerlich wie äußerlich in sich zusammen und ließ den Schwindel und den brachialen Kopfschmerz über sich hinwegwaschen. Er wischte sich plötzlich unendlich müde über sein Gesicht. Die aufkommende Stille machte ihn nervös und er fröstelte leicht. Beinahe wünschte er sich laufendes Wasser.

~Dein Wort in Gottes Ohr~, richtete er schließlich an Schuldig und das Lachen des Telepathen hallte hohl in seinen Gedanken wieder. Crawford verzog den Mund. Immer wieder widerlich, dieses Gefühl.

~Lass das nicht Jei hören, der wird dir eine Standpauke halten, dass ER dieses Lob nicht verdient hat und so weiter und so weiter, du kennst den Text.~

Crawford nickte nur mit starrem Blick auf den Boden.
 

~Los, mach die Tür auf.~

Crawford stutzte. ~Nein.~

~Komm schon.~

~Das ist mein verdammtes Bad. Die Tür bleibt zu.~

~Bringt dir sowieso nichts, wenn ich in deinen Gedanken herumspuken kann.~

~Dann ist es immer noch eine verschlossene Tür.~

~Brad, ich könnte dich dazu zwingen, sie aufzuschließen.~

~Ich könnte die Badewanne auch mit deinem Blut und ein paar deiner Zähne verschönern.~

~Braa~aad.~

~Fick dich, Schuldig!~, platzte es aus eben jenem heraus und Überraschung kolorierte Schuldigs Verbindung zu ihm, dicht gefolgt von Erheiterung.

~Welches Gossenkind hat dir denn so eine schlimme Sprache beigebracht?~, fragte Schuldig mit viel zu viel Stolz in seiner gedanklichen Stimme und Crawford grollte.

~Ein dreckiger, verlauster Junge aus Deutschland.~

~Das trifft mich jetzt aber.~

~Gut.~

~Du brichst mir das Herz, Brad.~

~Du hast gar kein Herz.~

~Auch wieder wahr. Los, lass mich rein.~
 

Crawford glaubte nicht richtig zu hören. ~Nein, Schuldig. Ich will dich nicht hier haben.~

~Du brauchst mich aber.~

~Ich wüsste nicht wozu.~

~Gesicht. Ohren. Das, was du noch alles vollgeblutet hast.~

~Mir geht es gut, Schuldig.~

~So gut, dass du deine Mutter nicht hineinlassen möchtest?~
 

Nun war es doch an Crawford, laut aufzustöhnen. Er hatte mit ihr erst in ein paar Stunden wieder gerechnet. Warum zur Hölle war sie jetzt schon wieder da? Nicht, dass ihm gerade der Sinn danach gestanden hätte, ihr gegenüber zu treten. Er wollte niemanden sehen. Weder Schuldig noch seine Mutter. Nein, sie erst recht nicht. Doch hatte er eine Wahl sich zu weigern? Wenn tatsächlich Thanatos vor der Tür stand, so provozierte alleine schon sein Zögern eine zweite Strafe und das würde er nicht durchstehen.

Sich straffend erhob er sich und ging zur Tür, öffnete sie widerwillig und sah sich einem grinsenden Schuldig gegenüber, dessen Bedeutung ihm erst verspätet bewusst wurde.
 

Crawford sah auf den minimal kleineren Mann mit dem gebotenen Zorn hinunter und kultivierte die Wut in sich, als er begriff, dass seine Mutter garantiert nicht so schnell wieder hier sein würde und dass Telepathen mal wieder sein Leben ein Stückchen schlechter gemacht hatten.
 

~Höhö. Verarscht~, rieb ihm Schuldig genau das unter die Nase, während er bereits einen Fuß in der Tür hatte und sie damit aufhielt, als Crawford sie ihm vor der Nase zuschlagen wollte. ~Los, mein wütender hellseherischer Anführer, lass mich sehen, wie es dir geht. Wenn du glaubst, dass ich zulasse, dass du dich einfach so umbringst, dann hast du dich getäuscht. Wenn du den Kopf in den Sand steckst, dann ziehe ich dich an deinen Eiern da wieder heraus, hast du das gehört?~
 

Es dauerte einen langen Moment, aber schließlich gab Crawford auf.
 

Schweigend akzeptierte er, dass Schuldig sich an ihm vorbei ins Bad drängte. Schweigend akzeptierte er die Nähe des Telepathen, ebenso wie dessen sezierenden Blick, mit dem er nun in Augenschein genommen wurde. Er akzeptierte dessen Hände auf seinem Rücken und seinem Gesicht und dass sie ihm das Blut aus eben jenem wischten, als wäre er nicht selbst in der Lage, das zu tun. Es war einfacher, es zu akzeptieren, als dagegen anzukämpfen, beschloss Crawford und schloss die Augen, als der Telepath mit wachsendem Spaß an ihm herumwerkelte, ihn verarztete und mit guten Ratschlägen bedachte, die er allesamt unkommentiert ließ.
 

Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit milderte das auf keinen Fall, das sich wie schleichendes Gift in ihm breitmachte.
 

~~**~~
 

~Beweg‘ deinen Arsch hierher.~
 

In aller Seelenruhe putzte Aya sich die Zähne und spuckte die dünnflüssige Masse in das Waschbecken. Ebenso ruhig spülte er seinen Mund aus und richtete seinen Blick in den Spiegel, aus dem ihm sein Gesicht mit erhobener Augenbraue entgegenstarrte.

Schuldigs allzu freundliche Aufforderung prallte wie nichts an ihm ab. Er war nicht das persönliche Amüsement des Deutschen und entsprechend hatte dieser zu warten, bis er zum Einen mit seinem allabendlichen Ritual fertig war und sich zum Anderen dazu bemüßigt fühlte, überhaupt auf die allzu höfliche Einladung zu reagieren.
 

Wozu er gerade bei dessen Ton wenig Muße hatte.
 

~Okay, dann lass es mich so umformulieren. Die Sache ist dringend und dein einnehmendes Wesen wird hier gebraucht.~

Das klang schonmal besser, aber eben auch nicht gut genug.

~Worum geht es, Schuldig?~, fragte er und ein Schnauben antwortete ihm.

~Um die Sache von vorhin, was denkst du denn?~

~Was macht meine Anwesenheit dann so wichtig?~

~Glaubst du, ich nehme dir die Vorfreude, indem ich dich jetzt schon spoilere?~

~Ich hasse Überraschungen.~

~Das macht dich langweilig, soll aber hier nichts zur Sache tun. Also. Das Orakel erwartet dich.~
 

Aya wusste nicht, was so dringend war, dass es nicht noch bis zum Morgen warten konnte, aber wenn Crawford, der den ganzen Abend mit seiner Mutter und Schuldig zur Unruhe Naoes verschwunden gewesen war, jetzt anscheinend klarer sah, dann war es vermutlich tatsächlich wichtig. Insbesondere, wenn er Schuldig als seinen persönlichen Sekretär missbrauchte.

Aya zog sich das kurzärmelige Shirt seines Schlafanzugs über. Bevor er fragen konnte, wo die beiden sich befanden, verspürte er das untrügliche Gefühl, den Weg zu kennen und folgte seiner dank Schuldig aus dem Nichts entstandenen Intuition bis hin zur offenen Tür von Crawfords Schlafzimmer, an der ihn bereits Schuldig grinsend erwartete.
 

„Was gibt es?“, fragte Aya und warf einen Blick in das Heiligtum des Orakels, in dem dieser auf dem Bett lag und zu schlafen schien. Aya hob überrascht die Augenbrauen. Crawford tat viel, aber er erwartete ihn ganz sicherlich nicht. Wortlos wandte er sich an den Telepathen. Schuldig hatte ihn also angelogen. Wütend bohrte er seinen Blick in die zufriedenen Augen des Schwarz, der ihn ohne Reue angrinste.

„Wie bereits gesagt, das Orakel braucht dich.“

„Wohl kaum. Er schläft.“

„Ja gerade deswegen.“

„Hör auf mich zu verarschen, Schuldig“, warnte Aya dunkel, doch Schuldig schnalzte missbilligend mit der Zunge.

„Ich habe dich nicht verarscht. Du sollst dich zu ihm legen.“
 

Genau jetzt fühlte sich Aya sehr verarscht. „Ich bin nicht lebensmüde, Schuldig, und wenn das eines deiner Spielchen ist, so wünsche ich dir jetzt eine gute Nacht und hoffe, dass sich dein Kater morgen in Grenzen hält, den du dir mit deinem anscheinend erhöhten Alkoholgenuss heute Abend angetrunken hast. Ich bin nicht in der Stimmung für deine Launen.“
 

Es war schon erstaunlich, wie schnell die Mimik des Telepathen glaubhaft von zynisch auf ernst wechseln konnte.
 

„Für den Grund seines frühen Schlafes habe ich sicherlich nicht genug Alkohol getrunken. Zudem hast du schon mit ihm in einem Bett geschlafen, also wüsste ich nicht, was das Problem dabei ist, dass du dich jetzt dazu legst und deinen Teil deiner Bedeutung hier erfüllst.“

Aya runzelte kritisch die Stirn. „Ich habe noch nie mit deinem Anführer in einem Bett gelegen.“

„Oh doch, das hast du. Oder er vielmehr mit dir, in dem Bett deiner Eltern. Ewww. Das ist schon ein bisschen seltsam, aber gut, nicht meine Kinks.“
 

Im Bett seiner Eltern? Das konnte nur in dem Ferienhaus gewesen sein, in das er den Anführer von Schwarz verfrachtet hatte, als sie Zwischenhalt auf dem Weg nach Tokyo gemacht hatten. Da hatte Crawford sein damaliges Zimmer belegt. Oder?

„Nein.“

Aya weigerte sich, diesem Gedanken weiter nachzufolgen. Dafür war später noch genug Zeit. Vielleicht vergaß er das auch einfach, denn es warf Fragen auf, die ihm nur einer beantworten können würde und das wollte er nicht.

„Zwei, ich könnte es auch. Wenn du fragst. Und keine Sorge, er hat auch die ganze Zeit kein Auge zugetan und dich angestarrt, während du geschlafen hast.“

Grollend würgte Aya den anderen Mann ab. „Was hat das mit jetzt und hier zu tun?“

„Lass es mich so ausdrücken. Thanatos war nicht erfreut über gewisse Dinge und hat ihn in eine Beinahebewusstlosigkeit geschickt, die ihn jetzt ein wenig neben sich stehend zurücklässt. Du sollst jetzt auf ihn aufpassen.“

„Dafür ist sein Team zuständig. Lege du dich doch zu ihm.“

„Ich bin ja nicht lebensmüde.“

„Aber ich?“

„Dich wird er nicht umbringen.“

„Kannst du mir das schriftlich garantieren?“

„Mit deinem eigenen Blut, ja.“
 

So wenig Brauchbares er auch aus Schuldig herausbekam, so sehr war sich Aya bewusst, dass der Telepath ihn unterm Strich nicht aus Jux und Dollerei gerufen hatte. Dahinter steckte etwas, das ihm verborgen blieb und das machte Aya misstrauisch. Was bedeutete es, dass Thanatos nicht erfreut über ein paar Dinge war? Was hatte sie getan?

„Weiß er davon, dass ich zu ihm kommen soll?“

„Bewusst nein, instinktiv ja.“

Gut, das war ihm zu heikel. Aya schüttelte den Kopf und drehte sich weg. „Was es auch ist, Schuldig, er ist groß genug, das auch ohne Hilfe durchzustehen und ich hänge wirklich sehr an meinem Leben. Das ist Schwarz‘ Problem und dabei werde ich dir nicht helfen. Zumal er es sicherlich nicht schätzt, wenn er aufwacht und ein anderer Mann neben ihm im Bett ist.“ Er setzte sich in Bewegung um in sein eigenes Schlafzimmer zurück zu kehren, als ein mentales Grollen ihn zurückhielt.
 

~Thanatos hat ihm in eurem Krankenhaus unter Strafe verboten, seine Schilde hochzuziehen. Bisher hat er sich dran gehalten. Heute Abend haben wir sie darauf angesprochen, was es mit dem Vernarbten auf sich hat und ich habe mich im Ton vergriffen. Er hat die Verantwortung dafür übernommen und sie hat ihm dafür die Nerven gegrillt. Nachdem sie mit ihm fertig war, hat er beschlossen, dass es eine gute Idee sein könnte, seine Schilde wieder hochzuziehen um dem Elend zu entkommen. Wenn er nicht davon abgehalten worden wäre, diese himmelschreiende Dummheit zu begehen, dann würde er sich vermutlich bereits jetzt schon auf dem Weg in seine eigene Neutralisierung befinden. Ich verbrauche den Teil meiner Kraft, den ich unbewusst nutzen kann, schon dafür, dass Nagi mit seinen Alpträumen dieses Haus hier nicht in Schutt und Asche legt, und brauche ein Frühwarnsystem, was mir mitteilt, wenn er Dummheiten macht. Und ich brauche jemanden, der ihn davon abhalten kann, du Präkognitionsstabilisator.~
 

Der rothaarige Weiß blinzelte und drehte sich bewusst langsam wieder zurück in der Hoffnung, dass er eben nicht das subtile Bitten Schuldigs in dessen Gesicht würde lesen können.
 

Er wurde enttäuscht, natürlich. Die Frage, die sich Aya in diesem Moment stellte, war noch nicht einmal so sehr diejenige, wie eine Mutter ihren Sohn für einen zu logischen Gedankengang strafen konnte, der vielleicht für ihr weiteres Vorgehen wichtig war. Er fragte sich auch nicht, wie Schuldig Crawford daran hindern konnte, sich selbst umzubringen. Die Frage, die er sich stellte, war, was das Orakel so nachhaltig verstört haben musste, dass er dermaßen die Kontrolle über sich verlor, wo sie doch auf einem guten Weg waren, Lasgo und Takatori zu finden. Oder nicht?
 

Es erinnerte ihn an Crawfords unmissverständlicher Forderung bei Lasgo, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen.
 

Aya seufzte. „Ihm wird das nicht gefallen, wenn er aufwacht.“

„Er wird es verstehen.“

„Das glaubst auch nur du.“

„Wer ist hier der Telepath von uns beiden und hat langjährig unter dem da gelitten?“

„Geschieht dir recht?“ Aya verstummte und ließ sich Schuldigs Bitte durch den Kopf gehen. Er hatte kein Interesse daran, dass das Orakel Dummheiten machte und sich selbst aus der Gleichung nahm. Das, was an seinem Inneren nagte, konnte man durchaus als Sorge bezeichnen und das wurmte Aya, jetzt wie jedes andere Mal zuvor auch. Und wie jedes andere Mal zuvor auch handelte er entsprechend seiner Sorge. Er seufzte. ~Eine Nacht. Um neun Uhr morgens werde ich dich wecken.~
 

Das Grinsen, das sich auf Schuldigs Gesicht ausbreitete, war durchaus als spöttisch zu bezeichnen gewesen, wäre da nicht die unbändige Erleichterung in den Augen des Telepathen.

Aya schüttelte den Kopf und trat vorsichtig einen Schritt in die Höhle des Löwen vor. Er hatte das Gefühl, dass Crawford jeden Moment aufwachte und fragte, was das hier sollte, aber es geschah nichts.

~Dafür erklärst du mir morgen, was es mit dieser „Muse“ auf sich hat~, murrte er in Richtung Schuldig, dessen Lachen im Inneren seiner Schädeldecke wiederhallte.

~Mit dem größten Vergnügen~, enthielt die mentale Stimme des Deutschen gerade soviel Lüsternheit, dass Aya sich nicht sicher war, ob er die Antwort auch wirklich wollte.
 

Lieber wandte er sich da der vermeintlich einfacheren Aufgabe zu und setzte sich, immer mit Blick auf den ihm abgewandten Schwarz auf dessen Bett, möglichst weit weg von ihm am Rand. Vorsichtig lehnte er sich an das Kopfteil an und maß Schuldig mit einem dunklen Blick, als dieser mit einem überhaupt nicht hilfreich erhobenen Daumen die Tür schloss und ihn mit Crawford alleine ließ.
 

Leise seufzend ließ Aya seinen Blick schweifen. Die kleine Nachttischlampe erhellte unaufdringlich den Raum, der beinahe schon als spartanisch zu bezeichnen war. Gut und stimmig eingerichtet, aber spartanisch. Wobei die Kühle der Geradlinigkeit der Einrichtung eine gewisse Ruhe verströmte, die nun auch langsam in Aya Einzug hielt. Das Rauschen des Meeres drang durch das geöffnete Fenster zu ihm und verstärkte den Eindruck nur noch. Crawford selbst schlief vollkommen ruhig, auch wenn Aya beinahe einen Satz aus dem Bett machte, als sich das Orakel im Schlaf umdrehte und anscheinend beschloss, dass es eine gute Position war mit dem Gesicht zu ihm zu schlafen.
 

Auch wenn die stechend hellen Augen geschlossen waren, hatte Aya das untrügliche Gefühl, dass er gemessen und seziert wurde. Nicht einen Augenblick später schalt er sich für den dummen Gedankengang. Crawford schlief tief und fest, sein Gesicht so entspannt, wie Aya es noch nie zuvor gesehen hatte. Es ließ ihn sanfter wirken, menschlicher und addierte zu dem Gesamtbild Crawford noch eine weitere Facette hinzu, die Aya neugierig auf mehr machte.
 

Es schien, als wolle ihm das Schicksal eben jenes bestätigen, als es schlussendlich Alpträume waren, die Crawfords Atmung schneller machten und seine Stirn in Falten legten. Die ruhige Entspannung, die er bis dato gefühlt hatte, verschwand mit einem Schlag und Aya beobachtete angespannt jedwede körperliche Regung des unruhigen Mannes. Sich auf einen Angriff einstellend, legte er schließlich eine Hand auf den vor ihm liegenden, ausgestreckten Unterarm mit den sich in die Bettdecke krallenden Fingern, um Crawford zu beruhigen.
 

Eine eher instinktive Geste, die Omi immer geholfen hatte, die Aya aber, kaum, dass er sie unbewusst ausgeführt hatte, unsicher machte. Crawford war nicht Omi und wenn er an das letzte Mal dachte, als er versucht hatte, den Schwarz aus einem Alptraum zu lösen, dann würde er vermutlich gleich aus dem Bett geworfen werden.

Doch nichts dergleichen geschah. Nach einem ersten Zusammenzucken beruhigte sich die Atmung des anderen Mannes wieder. Die Anspannung ließ nach, ebenso wie das Stirnrunzeln. Der Alptraum schwand und es kehrte erneut Ruhe ein.
 

Ruhe, die ihn selbst für einen Moment lang die Augen schließen ließ, mit der Hand vorsorglich auf dem Unterarm des Schwarz.
 

Dass dieser Moment ein wenig länger als ein paar Sekunden gedauert hatte, merkte Aya, als er mit der Wärme von Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht und dem untrüglichen Gefühl, angestarrt zu werden, wieder in die Welt der Wachen tauchte und mit einem Ruck die Augen öffnete.

Auch wenn er sofort wusste, wo er war, scheute er sich davor, nach rechts zu schauen und sich dem brennenden Blick dort zu stellen. Jetzt, im Tageslicht, war er sich nicht mehr so sicher, ob Schuldigs Plan auch wirklich so gut gewesen war. Wobei es nichts half, es wurde ja schließlich nicht besser, wenn er ausgerechnet den Mann ignorierte, in dessen Bett er saß und dessen Arm er immer noch umfasst hielt.
 

Aya drehte den Kopf in die Richtung des Unbills und wurde mit hellen, ihn sezierenden Augen konfrontiert. Mit einer pointiert erhobenen Augenbraue. Mit einer Strenge, die so gar nicht zu der entspannten Sanftheit passte, derer er gestern Nacht ansichtig geworden war.

„Auf einer Skala von eins bis zehn, wie suizidal bist du?“, fragte Crawford mit einer Stimme, die Aya verriet, dass der andere Mann schon sehr viel länger wach war als er und ihn dabei beobachtet hatte, wie er hier neben ihm saß, in aller Seelenruhe schlief und seine Hand fest auf den Unterarm des Orakels gelegt hatte.

Anscheinend ungefähr so suizidal, wie du es bist, antwortete er in Gedanken, hielt aber wohlweißlich den Mund. Anstelle dessen schnaubte er amüsiert.
 

„Auf einer Skala von eins bis nie, wann hattest du angedacht mir zu erzählen, dass du dich im Bett meiner Eltern neben mich gelegt hast?“, hielt er anstelle dessen dagegen. Anscheinend hatte Crawford seine Antwort nicht vorhergesehen, so wie sich seine Augen überrascht weiteten und er sich schließlich auf den Rücken drehte. Aya löste seine Hand von dem Unterarm, damit Crawford seine Hände über seinem Bauch verschränken konnte, ein surreales Bild von Frieden und Miteinander, das sie eigentlich nicht teilten.

„Schuldig also“, stellte Crawford fest und es bezog sich nicht nur auf das Wissen um das Bett seiner Eltern. Seine Anwesenheit hier stand ebenso zur Diskussion und Aya nickte. Wenn er schon untergehen würde, würde er den Telepathen mitreißen. Mit Freuden.
 

„Was hat er dir erzählt?“, fragte Crawford, die Augen an die Decke gerichtet und ihn sorgsam ignorierend. Aya ließ ihm diesen Ausweg, denn sicherlich würde die Antwort nicht einfach für den Schwarz sein.

„Das mit den Schilden und dass er Schuld daran hat.“

Sie schmalen Lippen des Orakels verzogen sich unwillig und Aya verfing sich eine Sekunde zu lang in diesem Anblick.

„Und du hast dich von ihm einspannen lassen.“

„Anfänglich schon, grundsätzlich war die Entscheidung schlussendlich jedoch meine eigene.“
 

Crawford erwiderte nichts und gab Aya so die Möglichkeit, über diese absurde Situation nachzudenken. Im Nachhinein hätte er erwartet, dass er dadurch aufwachen würde, dass Crawford ihn aus dem Bett warf, ihn würgte oder versuchte, anderweitig umzubringen. Er hatte vielleicht auch Unwohlsein vermutet oder Wut, mit der er konfrontiert werden würde. Ein verlassenes Bett eventuell. Und trotzdem war da nichts dergleichen. Der immer noch ruhig und entspannt neben ihm liegende Mann hatte gewartet, bis er aufwachte. Er hatte noch nicht einmal seine Finger von seinem Arm entfernt. Nur die obligatorische Drohung hatte nicht fehlen dürfen.
 

Aya redete sich ein, dass er nicht wusste, was das hinlänglich zu bedeuten hatte.
 

~~~~~~~~

Wird fortgesetzt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
.... *eg* .....
Romantik oder so. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Meggal
2019-09-03T07:28:29+00:00 03.09.2019 09:28
Hui, es wird wieder spannend. Also ich bin echt gespannt wo das hinführt und wie sie das Problem lösen. Wie immer gut und spannend, ich freue mich auf weitere Kapitel *🍪 rüberschieb*
Antwort von:  Cocos
15.09.2019 20:33
Kekse *____*

Neues Kapitel ist da. :D Danke dir für deinen Kommentar! ;) Spannend darf es auch weiterhin sein...


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