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Die Farbe Grau

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Disclaimer: alles nicht mir. Komplett anzeigen

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Ein unmoralisches Angebot

Zwei Söhne, zwei durch das Schicksal verbundene Männer. Der Eine eben jener, der in die Zukunft blickte, der Andere, der mit dem Wissen um die Gegenwart taktierte. Sie waren sich unähnlicher, wie sie nicht sein konnten und doch so gleich in ihrer Ahnungslosigkeit, dass Jei nur mit dem Auge rollen konnte, wie er hier saß und dem Blonden, dem Technikjungen, die Haare aus der Stirn strich, während dieser schlief.

Arielle schützte den Spiegel ihres Jüngsten, zumindest versuchte er es. Doch wie konnte man jemanden schützen, wenn man selbst so tief schlief, dass man Gefahren nicht erkannte? Jei runzelte nachdenklich die Stirn, als sich ihm der Sinn des Schutzes nicht offenbarte. So tief und vertrauensselig sie schliefen, war es ein Leichtes, erst dem Jungen, dann der rothaarigen Märchengestalt ein Ende zu bereiten, wenn er es gewollt hätte.
 

Aber er wollte nicht, weil es unsinnig war.
 

Trotzdem.
 

Er zog sein Messer hervor und schnitt ein paar der blonden Strähnen ab, die sich so verführerisch weich unter seinen Fingern anfühlten. Er würde sie wie einen Schatz aufbewahren, hegen und pflegen und auf die Gelegenheit warten, weitere zu nehmen ohne dass sein Vorhaben ihr aller Vorhaben gefährdete. Er war schließlich nicht der Hellseher. Oder die Nervensäge. Oder der Technikjunge. Jei rollte erneut mit seinem Auge. Seine Aufgabe hier war es, alles zusammen zu halten, selbst wenn das zu Lasten seiner abendlichen Genüsse ging. Wann hatte er das letzte Mal sein geschätztes Märchenbuch in der Hand gehabt? Zu lange war es her zugunsten dieses Zusammenschlusses aus unsinnigen Menschen, über die es galt, nachts zu wachen.
 

Der Spiegeltechnikjunge wurde unruhig im Schlaf und die glatte Stirn legte sich in sorgenvolle Runzeln. Es war der Auftakt, so wusste es Jei aus den Erfahrungen der letzten Tage, zu seinen allzu logischen Alpträumen, die ihn wieder und wieder heimsuchten. Erinnerungen an Vergangenes, was hätte verhindert werden können.

Wie auch schon ein paar Mal zuvor summte Jei lautlos ein altes, irisches Schlaflief und übertrug das Brummen in sich auf den jüngsten Weiß, während er ihm über die Stirn und die Schläfen strich.
 

Noch bevor der Alptraum seine dunkle Blüte treiben konnte, hatte er ihn eingefangen und festgehalten, sorgte in aller Ruhe dafür, dass die dunklen Erinnerungen nicht den dringend benötigten Schlaf raubten. Auf dass der Junge wiederum ihrem Technikjungen zur Stabilität verhelfen würde. Dieser wiederum den Hellseher besänftigen können würde, der die Nervensäge unterdrückte. Ein ewiger, nützlicher Kreislauf.

Alles hing zusammen, auch wenn keiner der Unwissenden das wahrhaben wollte.
 

Doch auch der Alptraumjunge war nicht klug genug zu erkennen, was unter seiner Nase geschah, wohl verborgen durch Zahlen und Buchstaben. Ebensowenig wie ihr Technikjunge nicht wusste, dass die Antwort vor seinen Augen lag, so oblag es wieder ihm, sie darauf hinzuweisen. Jei schürzte die Lippen. Das war nicht seine Aufgabe hier. Seine Aufgabe war von Anfang an klar umrissen gewesen und nun brachte er Satelliten in ihre Umlaufbahn und las Dokumente anstelle von Märchenbüchern.
 

Diesen Handel hatte er nicht mit ihr abgeschlossen.
 

Jei strich dem Technikjungen solange über die Stirn, bis auf der letzte Fetzen des Alptraumes verschwunden war und warf einen Blick auf Arielle, der so ruhig schlief, als wäre er tot. Ein weniger wünschenswerter Zustand, insbesondere, da er die Gabe des Vorhersehenden stabilisierte. Und dessen Erregung neuerdings auch. Eine interessante, aber nicht gänzlich überraschende Neuigkeit.
 

Wortlos erhob er sich und verließ das Zimmer. Lautlos ging er in den Wintergarten, in dem alle Papiere ausgebreitet lagen, die sie zur Jagd auf das Monster benötigten. Jei suchte sich das, was sie benötigten und legte es obenauf. Er lächelte zufrieden, als er die Zahlen und die Buchstaben auf dem Blatt sah und widmete sich schließlich eben jenem verlassenen Märchenbuch, das er sträflich vernachlässigt hatte. Kwaku Ananse wartete auf ihn und grüßte ihn mit eben jenen Problemen, die Jei nur allzu gut nachvollziehen konnte.
 

~~**~~
 

Crawford starrte auf seine ordentliche, lesbare Handschrift, die ihm mitteilte, wann er welche Vision gehabt hatte, die für die Zukunft von Bedeutung sein konnte. Die kleinen Dinge, die unwichtigen Dinge, deren Ausgang er nur vorhersah, die aber über keine Verbindung zur Zukunft verfügten, notierte er nicht.

Um eine solche Information handelte es sich bei den Zeilen, auf die er gerade starrte, definitiv nicht und je länger er seine schnörkellosen Buchstaben betrachtete, desto gewichtiger wurden sie. Desto gewichtiger wurde auch ihre Bedeutung, die er noch nicht einmal zu denken wagte, weil es ihm von Beginn seiner Tätigkeit für Rosenkreuz an verboten worden war, so zu denken.
 

Vor Wochen hatte er das vorhergesehen, was Rosenkreuz als Zukunft für ihn vorhergesehen hatte. Er würde den Ratsherrn Leonard ablösen und seinen Platz einnehmen um die Geschicke ihrer Organisation zu leiten. Oder, wie seine Mutter ihn mit wechselnden Untertönen immer wieder nannte: Kronprinz. Seine Entscheidungen würden Rosenkreuz zu einer stabilen Zukunft führen und die Interessen ihrer Organisation schützen, sobald Ratsherr Leonards Gabe nachlassen würde und er ihm somit Platz machen würde.

Das, was bisher nur ein mit einem Lächeln ausgesprochenes Gerücht gewesen war, hatte sich nun bestätigt.
 

Vier Wochen vor seinem Auftrag, Lasgo zu töten.
 

An sich war das noch nicht verdächtig, wenn die vier Wochen nicht exakt der Zeitraum gewesen wären, ab dem er sich abseits von sporadischen Visionen mit einem Auftrag beschäftigte und ihn zu planen begann. Etwas, das er von seinem Lehrmeister gelernt hatte. Von Leonard.

Crawford runzelte die Stirn. Alleine den Verdacht zu äußern, dass es da eine Verbindung geben könnte, war Verrat an ihrem Rat und ihrer Organisation und dennoch konnte er sich des instinktiven Gefühls, dass hier etwas nicht stimmte, nicht erwehren.

Wieder und wieder ging er seine Notizen durch und stellte fest, dass seit der einen, wegweisenden Vision nur noch retrospektiv unwichtige Dinge dabei waren. Jetzt, wo es zu spät war, fiel es ihm auf, aber warum er vorher keinen Verdacht geschöpft hatte, das konnte Crawford nur vermuten. Wahrscheinlich, weil seine Gabe bereits schon blockiert gewesen war. So unterdrückt, dass sie ihm die Katastrophe, in die auf ihn zugerollt gekommen war, nicht gezeigt hatte.
 

Er runzelte die Stirn und konnte ein Zusammenzucken nicht verhindern, als die Tür aufging und die Dame des Hauses im Türrahmen stand.

Nein, falsch.

Seine Mutter, auf ihrem Gesicht eine steile Sorgenfalte. Stumm wartete er darauf, dass sie ihn für seine Gedanken strafte, die er, wenn auch nur für ein paar Momente, gehegt hatte.

~Mein Sohn, du weißt es besser~, tadelte sie ihn und er nickte schweigend. Ja, das sollte er. Der Rat handelte im besten Interesse ihrer Organisation. Niemals würde er eine Entscheidung treffen, die einem loyalen Agenten und damit auch Rosenkreuz selbst zum Nachteil gereichen würde. Schon gar nicht Leonard, der sich eines ums andere Mal verdient gemacht und ihm mit größter Sorgfalt sein Handwerkszeug beigebracht hatte.

~Natürlich. Es wird nicht wieder vorkommen, Mutter.~
 

Nun war es an ihr, den Kopf zu neigen und sie seufzte tief. Wortlos verfolgte er ihren Weg bis hin zu seinem Schreibtisch und bedachte ihren Platz auf seinen Berichten mit Argwohn. In ihren Augen stand etwas, das Crawford nicht gänzlich beziffern konnte. Etwas Schelmisches und Hinterhältiges, wie es für ihre Gattung üblich und für den Rest der Welt ärgerlich war.

„Sag mir, Sprössling, was soll ich heute Abend kochen?“, fragte sie abrupt und Crawford hob die Augenbrauen.

„Etwas Leckeres?“, hielt er dagegen und sie rollte mit den Augen.

„Alles, was dir schmeckt, habe ich bereits gekocht. Oder soll ich wieder von vorne beginnen?“
 

Wieso nur kam ihm diese vordergründig unschuldige Frage wie eine Fangfrage vor? Crawford runzelte die Stirn und maß seine Mutter lange Zeit schweigend. Auf irgendetwas wollte sie hinaus, auch wenn er sich noch nicht sicher war, worauf. Sollte er sich die Mühe machen und seine Gabe konsultieren?

Noch während er die Stirn runzelte, grinste die Frau, die vorgab, ihn geboren zu haben, was er manchmal, aber spätestens nach dem Kommenden bezweifelte, wenn nicht gar verneinte.

„Ich könnte natürlich auch die Lieblingsgerichte Ran Fujimiyas kochen, wenn du das wünschst.“
 

Crawford fluchte innerlich bildgewaltig und ließ seine Mutter gerne und ausführlich daran teilhaben. Er hatte es gewusst! Diese verfluchte Telepathin, wie alle ihrer Art neugierig und fürchterlich. Es war so vorhersehbar gewesen, dass sie sich in seinen und in Fujimiyas Gedanken aufgehalten und spioniert hatte. So vorhersehbar, dass sie das Thema noch einmal auf den Tisch bringen würde, ob er wollte oder nicht.

Mit stummer Wut starrte Crawford sie an, während sie seinen Blick mit ruhiger Gelassenheit erwiderte.

„Was möchtest du damit andeuten, Mutter?“, fragte er schließlich mit warnendem Unterton und lehnte sich zurück. Möglichst viel Abstand zu ihr mit möglichst wenig Rückzug von seiner Seite aus. Sie beide kannten das schon.

„Ich möchte sagen, Bradley, dass du dir anscheinend eine Muse ausgesucht hast, die rothaarig und japanischer Abstammung ist.“

„Ich habe mir keine Muse ausgesucht“, grollte Crawford. Das gab es doch nicht. Nun auch noch sie. Es reichte schon, wenn Schuldig der irrigen Annahme erlegen war, dass er seine Zeit mit Fujimiya verschwenden würde. Aber natürlich wurde ihm kein Wort geglaubt.
 

Kein einziges.
 

Das sah Crawford in der hoch erhobenen Augenbraue, in den amüsierten Augen, den zuckenden Lippen, dem schief gelegten Kopf. Wütend verschränkte er die Arme und schlug die Beine übereinander. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, entschied sich dann aber anders, als ihm eine Vision mitteilte, dass sie vor neugierigen Zuhörern mit zu großen Ohren nicht sicher waren, insbesondere, da Siobhan die Tür aufgelassen hatte.

~Ich sagte dir bereits, dass ich nichts für ihn empfinde und dass ich es für ausgeschlossen halte, auf diese Art und Weise meine Muse zu erhalten.~

~Er stabilisiert deine Gabe.~

~Zufall. Das muss gar nichts bedeuten.~

~Er erregt dich.~

~Eine zufällige, körperliche Reaktion.~

~Du suchst seine Nähe.~

~Du klingst wie Tsukiyono.~

~Der ein kluger, junger Mann ist. Nagi hat gut gewählt.~

~Nagi wird denjenigen wählen, den ich für richtig halte.~
 

Siobhan lächelte nur und Crawford hasste sie regelrecht dafür.

~Misch dich nicht in mein Leben ein, Mutter.~

~Ich kann dir versichern, dass ich das nicht tun werde. Dennoch möchte ich dir sagen, dass dies durchaus eine valide Art und Weise ist, eine Muse zu finden. Eine Extremsituation ist dazu gedacht, die wahren Gefühle beider Personen zu offenbaren und schlussendlich eine Verbindung zu schaffen.~

~Du meinst, so wie Lasgo es bei mir versucht hat?~

Sie zögerte, doch dann nickte seine Mutter. ~Vermutlich ja und ich möchte nicht bestreiten, dass er Erfolg gehabt hätte, wenn er sich dir noch länger aufgezwungen hätte.~

~Dann kann ich ja von Glück reden, dass ich vorher entkommen bin.~ Pure, bittere Ironie tränkte seine Worte und er stand auf, ertrug es nicht mehr, sie größer zu wissen als ihn selbst. Gepeinigt vor schlechten Erinnerungen drehte sich Crawford zum Fenster und starrte hinaus in den heißen Sommertag. Es war knapp gewesen, das wusste er selbst. Das bedeutete aber nicht, dass er sich anstelle dessen an Fujimiya binden würde. Warum auch? Fujimiya war ein Agent einer feindlichen Organisation, die ihnen das Leben schwermachte und die sie töten würden, sobald der Vertrag zwischen ihnen auslief und sie die Gelegenheit hatten.
 

~Ich habe meine Muse in einer starken Stresssituation kennengelernt und mich an ihn gebunden~, erläuterte sie und Crawford schloss die Augen. Soweit kannte er die Geschichte. Noch nie hatte sie aber elaboriert, wen sie damit meinte und ob er die Person überhaupt kannte. Zugebenen, er hatte auch noch nie gefragt, da er immer davon ausgegangen war, dass sie ihm erzählen würde, wer es war, wenn sie es für erforderlich hielt.

~Und, lebt er noch oder hast du ihn in Rosenkreuz‘ Kellern in Wien eingesperrt, damit niemand an ihn herankommt?~, hielt Crawford dagegen. Wie auch bei allen anderen PSI-Begabten war die Muse ein wichtiger Bestandteil ihres Seins. Sie sorgte für Stabilität und Ausgeglichenheit.

~Siehst du…~
 

Nein. Es war nicht Fujimiya. Die Stabilität, die dieser ihm brachte, war etwas Anderes. Und selbst wenn, so hatte es rein gar nichts damit zu tun, dass er sich automatisch zu dem Weiß hingezogen fühlen musste. Oder dass er durch Zufall von der Nähe zu Fujimiya erregt worden war.
 

~Wer ist es?~, fragte er direkt nach und drehte sich zu ihr um. Herausfordernd starrte er ihr in die Augen und ließ sich auf einen Kampf zwischen ihnen beiden ein. Es dauerte etwas, aber schlussendlich lächelte sie.

~Ich habe deine Muse bei deiner Geburt kennengelernt, Bradley. Er ist derjenige, der dir deinen Namen gegeben hat.~

Überrascht hob Crawford die Augenbrauen. Das war mehr, als sie ihm in den drei Jahrzehnten, die sie nun schon miteinander teilten, jemals gesagt hatte. Die Frage war nur, warum. Die Antwort darauf einfach. Sie verfolgte damit einen gewissen Zweck, der als Basis für ihre Argumentation dienen sollte.
 

Ihre Argumentation, dass Fujimiya die Rolle ihm gegenüber erfüllen sollte.
 

Crawford drehte sich um. „Netter Versuch, Mutter, aber nein.“
 

~Der Mann lebt heute noch hier in Japan~, fuhr sie unbeirrt fort, als hätte er nichts gesagt. Natürlich konnte sie nicht aufgeben, wie auch? Die Frage war nur, was hatte sie von Fujimiya als Muse ihres Sohnes? Sie gewann nichts dadurch, rein gar nichts.

~Früher war er Polizist, heute ist er für den Schutz seines Landes auf vielfältige Art und Weise tätig.~
 

Es mochte die Art sein, wie Siobhan den letzten Teil des Satzes betonte. Oder es mochten ihre Augen sein, die erwartungsvoll funkelten und ihm zu verstehen gaben, dass seine Reaktion zu langsam war für seinen sonst messerscharfen Verstand, dem anscheinend gerade etwas entging, was ihm nicht entgehen sollte. Es mochte aber auch die Genugtuung sein, die die Telepathin in sich fühlte, dass sie ihm in einem Punkt überlegen war. Ein negativer Charakterzug, wenn man so wollte, der alle ihrer Gattung einte.

Crawford vergrub seine Hände in den Hosentaschen der leichten Leinenhose, für die er sich heute entschieden hatte. Es war zu heiß für einen Anzug, auch wenn er sich der Blicke der Weiß – immer noch – wohl bewusst war, die ihm sagten, dass er besser zu eben jenen zurückkehren sollte. Weil sie es nicht anders von ihm kannten.
 

Den Teufel würde er tun.
 

„Bist du fertig? Ich habe noch zu tun, Mutter“, fragte er entsprechend ungnädig und sie erhob sich.

„Ach mein Junge…“ Sie kam auf ihn zu, ohne ihn mit ihrer Anwesenheit zu bedrohen. Sie starrte zu ihm hoch und er sah die Falten um ihre warm lächelnden Augen tanzen.

~Meine Muse befehligt Kritiker~, schloss sie ihre Argumentation und Crawford vergaß für einen Moment lang tatsächlich zu atmen. Überrascht und überrumpelt starrte er seiner Mutter in die Augen, die seinen Blick herausfordernd erwiderte. Sie log nicht, das sah er ihr an. Das, was sie sagte, war die Wahrheit. Perser…ausgerechnet Perser war es? Perser war der Mann gewesen, der ihr geholfen hatte, ihn auf die Welt zu bringen, in dem Geröllhaufen des Attentats, das Siobhan damals unter sich begraben hatte? Ohne den Mann wäre er vermutlich tot, zusammen mit seiner Mutter.
 

Kein Wunder, dass sie das all die Jahre geheim gehalten hatte.
 

~Weiß der Rat davon?~, brach sich der erste zusammenhängende Gedanke die Bahn und Siobhan lachte dunkel amüsiert.

~Für mich gelten die gleichen Regeln wie für alle anderen PSI-Talente auch. Natürlich.~

~Es ist Shuichi Takatori. Perser. Weiß er davon?~

~Selbstverständlich.~

Crawford wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
 

Die Aufgabe übernahm seine Mutter für ihn, was ihre Worte weder besser noch leichter zu ertragen machte. „Es gibt so vieles, das noch außerhalb deiner nichtvorhandenen Allwissenheit liegt, mein präkognitiver Satansbraten. Vorschnelle Urteile stehen dir nicht gut zu Gesicht.“

Noch bevor Crawford darauf auch nur den Ansatz einer guten Erwiderung finden konnte, hatte sie sich auch schon umgedreht und war aus seinem Arbeitszimmer verschwunden, gab den Blick auf Nagi frei, der ihm mit hochroten Kopf in die Augen starrte, die Hände nervös ineinander verwoben. Neben ihm stand mit versteinerten Blick Tsukiyono, der sorgsam neutral an ihm vorbeisah auf einen Punkt außerhalb des Fensters. Wieso hatte er Hidaka vorhergesehen, aber die Beiden nicht?
 

„Wir haben einen Anhaltspunkt, wie wir die Zielperson finden können“, presste ihr Jüngster hervor. Wir. Wie in Team. Wie in zusammen. Crawfords Blick verfinsterte sich. Nagi war doch sonst nicht mit eben jenem von Schuldigs Talenten gesegnet, sich unpassende und schlechte Moment auszusuchen, warum dann gerade jetzt? Ausgerechnet nachdem er Siobhan vergeblich versucht hatte eine nicht existierende Verbindung auszureden, standen die beiden Jungen vor ihm, die zumindest von Nagis Seite aus über eine solche verfügten. Was Tsukiyono betraf, so würde er Schuldig konsultieren müssen.

~Keine Sorge, der kleine Weiß ist der Gesellschaft unseres Telekineten nicht mehr so abgeneigt wie vorher. Er gewöhnt sich dran, wie du siehst~, schaltete sich der Telepath zuverlässig im falschen Moment ein und Crawford rollte innerlich mit den Augen.

„Ist das so?“, fragte er an die beiden Jungen gewandt, winkte sie aber trotzdem in sein Büro.
 

~~**~~
 

Es ließ ihn nicht los.
 

Sie hatten den ganzen Tag über die mögliche Spur zu Lasgo verfolgt. In den Zahlungen der Tadashi Corporation waren regelmäßige Posten des Kunsthändlers aufgetaucht, der die Kunstwerke in Lasgos Besitz vertrieben hatte. Diese hatten sie mit Ausstellungen und Vernissagen des Künstlers verglichen und ein Muster ausmachen können, in dem Lasgo neue Objekte gekauft hatte. Was ihnen noch fehlte, waren die Orte, an die diese gebracht worden waren, doch das hatten sie sich für morgen aufgehoben, damit ihnen in der späten Nacht nicht Dinge entgingen. Zumal sie sowieso erst am morgigen Tag von Kritiker den künftigen Ausstellungsplan des Künstlers bekamen.
 

So waren gegen Mitternacht ihre Recherchen beendet gewesen.
 

In der Stille des Hauses waren Ayas Gedanken zur gestrigen Nacht zurückgekehrt. Wie so oft an diesem Tag hatte er darüber nachgedacht, was geschehen war und was es bedeuten konnte.

Die Offensichtlichste war, dass es eine rein zufällige Reaktion gewesen war, ohne eine wirkliche Verbindung zu ihm, nur durch das Adrenalin des Kampfes. Oder aber, dass es tatsächlich eine bewusste Reaktion war, auf die Nähe eines anderen Mannes, losgelöst von seiner Person. Als dritte und unwahrscheinlichste Möglichkeit sah Aya, dass es tatsächlich eine Reaktion auf seine Nähe war. Wieso sollte Crawford auf seine Nähe reagieren?

Auch dafür gab es Gründe, die in ihrer Art und Weise zwischen unwahrscheinlich und erschreckend rangierten.
 

Wenn Aya ihre Position bedachte, in der sie sich befunden hatten, als es ihm bewusst geworden war, so wäre die Möglichkeit von Rache durchaus gegeben. Er hatte sich Crawford in einer ähnlichen Position beinahe aufgezwungen. Gestern hatte Aya unter ihm gelegen, während Crawford ihn niedergehalten hatte. Was also, wenn das Orakel auf Wiedergutmachung aus war? Quid pro quo, trotz Schuldigs Tun und der Gewissheit, dass er nicht bei Sinnen gewesen war, als er versucht hatte, sich ihm aufzuzwingen? Aya runzelte die Stirn, als er die Möglichkeit in Betracht zog ebenso wie er sein schlechtes Gewissen konsultierte, das er immer noch hatte. Sollte er sich dem Schwarz anbieten um etwas wieder gut zu machen, das zwar nicht in seiner Schuld, jedoch in seiner Verantwortung lag?
 

Konnte er sich überhaupt vorstellen, dieses Angebot zu machen oder würde das die fragile Balance, die sie zwischen ihren beiden Teams gefunden hatten, unnötig erschweren oder sogar zerstören? Oder wäre es nützlich sich zur Hure zu machen, wie er sich bitter vor Augen hielt. Denn dann hätte Crawford tatsächlich Recht mit seinem Vorwurf, dass er sich für Kritiker prostituierte.
 

Seinem früheren Vorwurf, den das Orakel ihm bei einer ihrer alten Aufträge mit einem eiskalten Lächeln unter die Nase gerieben hatte. Spätestens nach Lasgo hatte Crawford diese Worte nicht mehr in den Mund genommen und Aya konnte sich durchaus vorstellen, warum dem so war. Würde er Crawford mit seiner Frage nicht im schlimmsten Fall dann auch triggern?
 

Aya starrte hinaus in die Dunkelheit der Nacht außerhalb des Küchenfensters. Er wusste, dass das Orakel die Ruhe der Nacht auf der Terrasse mit einem Glas Wein genoss. Vermutlich wartete Crawford nur darauf, dass er seinen hanebüchenen Vorschlag machte, damit er ihn für den Gedanken alleine auslachen oder töten konnte.

Dennoch wollte Aya Klarheit. Er wollte eine Antwort auf die Frage, ob das Orakel genau das wollte, was er dachte. Ob er überhaupt etwas wollte und was es bedeutete, dass er erregt gewesen war. Er wollte Klarheit und Sicherheit. Er wollte sich nicht prostituieren müssen.
 

Aya straffte seine Schultern und ging durch das Wohnzimmer hinaus auf die Terrasse, bevor er es sich anders überlegen oder die Scham die Oberhand gewinnen konnte. Vor wenigen Wochen noch wäre eine solche Frage absolut absurd und unvorstellbar gewesen. Es wäre nicht nötig gewesen, sie zu stellen. Und nun stand er neben Crawford, der aus seinen Gedanken gerissen zu ihm hochsah und ihm so mitteilte, dass er sicherlich noch keine Vision von der auf ihn zukommenden Frage gehabt hatte. Wortlos musterte Aya den Schwarz, in dessen Blick sich etwas befand, das er nur schwerlich beziffern konnte.
 

Für einen Moment lang überlegte Aya, stehen zu bleiben und sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Er entschied sich jedoch dagegen, rein aus Instinkt, dass ein solches Thema besser auf Augenhöhe mit Crawford besprochen würde.

„Was dagegen?“, deutete auf einen der freien Stühle und ein schmales Lächeln geisterte über die Lippen des im Halbdunklen sitzenden Mannes.

„Kann ich dich aufhalten?“

Anstelle einer Antwort ließ sich Aya nieder und starrte an Crawford vorbei ins Haus hinein. Mutig genug, sich zu seinem Pendant zu begeben war er, anscheinend aber nicht mutig genug, das Thema auf den Tisch zu bringen, auf dem er schon den ganzen Tag herumdachte.

„Kann ich dir mit etwas behilflich sein, oder hast du dich zu mir gesetzt, weil du meine angenehme und gesprächige Gesellschaft so sehr genießt?“, fragte Crawford mit seiner typischen, zynischen Belustigung.
 

Aya nahm genau das als Katalysator. „Willst du sexuelle Wiedergutmachung? Warst du deswegen erregt?“, fragte er direkt heraus, viel direkter, als er jemals mit einem seiner vergangenen Sexualpartner umgegangen war. Seine gute Erziehung schrie alleine bei dem Gedanken daran, was er hier implizierte und wie er das in den Äther blies.

Crawford überraschte das. So sehr, dass er zunächst sprachlos und überrumpelt Aya anstarrte, als hätte er den Verstand verloren. Erst nach ein paar Augenblicken besann er sich anscheinend, dass Atmen und Schlucken gute Möglichkeiten waren, am Leben zu bleiben.

„Ob ich…was?“, presste er dann hervor. „Wiedergutmachung, weil ich… hast du den Verstand verloren, Fujimiya?“
 

Soviel zu seiner Unsicherheit, dass Crawford es auch nur in Erwägung ziehen würde, einen solchen Gedanken zu fassen.
 

„Wie kommst du auf den Gedanken?“ Empörte Wut trug sich ihm hier entgegen und Aya zuckte mit den Schultern.

„Es schien einer der möglichen Gründe für dein Handeln zu sein, also stelle ich dir die Frage, um Unsicherheiten auszuräumen.“

„Unsicherheiten? Was gibt es da für Unsicherheiten? Denkst du, nur weil ich eine adrenalininduzierte Erregung in deiner Gegenwart hatte, dass ich mich gleich an dir bedienen möchte?“

„Als Wiedergutmachung für das, was ich dir beinahe angetan hätte“, stellte Aya klar, auch wenn das auf wenig Gegenliebe stieß.

„Das ist deine Argumentation? Ein Mitleidsfick, ja? Sicher, dass dir Schuldig diesen Gedanken nicht eingepflanzt hat, weil ihm langweilig war?“ Beißender Spott trug sich ihm hier entgegen und Aya kam nicht umhin, über genau diesen Punkt nachzudenken. Was wäre, wenn Schuldig es tatsächlich getan hatte? Wenn der Gedanke nicht von ihm stammte, sondern aus der Feder des deutschen Telepathen?
 

~Wüsste ich aber. Auf diese abstruse Möglichkeit bist du ganz alleine gekommen, Fujimiya, schiebe da ja nicht die Schuld auf mich.~

Na wunderbar.

Aya schüttelte den Kopf. „Schuldig sagt, dass er nicht dafür verantwortlich sei.“

„Dann tust du gut daran, dich und deine Fähigkeit zu logischen Schlussfolgerungen selbst zu hinterfragen“, grollte Crawford und griff frustriert zu seinem halb leeren Weinglas. „Glaubst du wirklich, ich würde von dir verlangen wollen, dass du mir deinen Arsch entgegenstreckst, damit ich dich ficken kann? Damit ich mich dann besser fühle?“ Mit einem Zug leerte Crawford das Glas und starrte Aya im Anschluss ungläubig an.
 

Und so, wie er es sagte, schien es Aya auch unwahrscheinlich und er erkannte den Fehler, den er mit Pauken und Trompeten gemacht hatte. Es war noch gar nicht so lange her, dass er Crawford aus den Fängen des Menschenhändlers gerettet hatte. Was glaubte er denn? Dass das Trauma des anderen Mannes von heute auf morgen gegessen war? Dass Crawford zum Einen auch nur den Ansatz von Lust verspürte, zum Anderen dann noch ihm gegenüber? Das war doch absurd, wenn er genauer darüber nachdachte, abseits von seinem Verdacht, dass Crawford Wiedergutmachung wollte.
 

„Nein, ich glaube es nicht“, erwiderte er schlicht. „Ich wollte es nur ausgeschlossen haben.“

Crawford hob eine Augenbraue und stemmte sich aus dem bequemen Gartenstuhl hoch. Langsam kam er auf Aya zu und blieb vor ihm stehen. Unweigerlich versteifte Aya sich. Soviel zum Thema gleichberechtigte Kommunikation auf Augenhöhe.

Doch zumindest um Letzteres musste Aya sich keine Gedanken mehr machen, als sich Crawford zu ihm hinunterbeugte und sich vor ihm auf dem Tisch abstützte. Die Geste hatte etwas Nonchalantes, auch wenn die Dunkelheit in den Augen dahinter ihn warnte, genau das anzunehmen oder sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

Ohne etwas zu sagen starrte Crawford ihm in die Augen. Er blinzelte noch nicht einmal, während die Sekunden verstrichen und sich zu einem unangenehmen Haufen ansammelten.
 

Der Haufen mochte unangenehm sein, aber die Lippen, welche nun Ayas Ohr entlangstrichen und in all ihrer unverfrorenen Weichheit die Unmöglichkeit selbst waren, waren die Hölle, weil Aya nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Weil er seinen eigenen Reaktionen nicht im Geringsten traute.

„Ausgeschlossen?“, wisperte der Anführer von Schwarz vertraulich und das leise Lachen, dass sich in seine Ohrmuschel schlängelte, ließ Aya bis ins Mark erschaudern. „Du warst noch nie ein guter Lügner, Fujimiya Ran.“
 

Viel zu intim war die Berührung seines Ohrläppchens, als dass Aya sie einfach so als Provokation hätte hinnehmen können. Es war bewusst grenzüberschreitend und sexualisiert.

Langsam drehte er den Kopf zu dem Mann, der es anscheinend für angebracht hielt, ihn zu provozieren. Sie waren sich nahe, lediglich wenige Zentimeter trennten sie. Aya spürte die Wärme von Crawfords Atem, er roch den schweren Rotwein wie auch das Aftershave des anderen Mannes. Es war ein Test an ihn, dessen war Aya sich sicher. Ein Test an seine Disziplin, beide Teams zusammen zu halten und ihre zarte Bindung nicht einem spontan auftretenden Gefühl zu opfern, einer Versuchung, der er nicht nachgeben durfte. Aber wieso war eben diese überhaupt da? Wieso trat sie nicht hinter der Mauer ihrer Feindschaft zurück?
 

Als wenn die Antwort auf die Frage so schwer war. Ihre Feindschaft ruhte seit Beginn ihres erzwungenen Zusammenlebens bei Lasgo. Das ließ andere Perspektiven zu, andere Denkweisen und Gefühlslagen.
 

„Ist es nicht eher so, dass du deine Handlungen wiedergutmachen möchtest?“, fragte Crawford leise und Aya konnte nicht viel mehr als den allzu großen Kloß hinunter zu schlucken. Der Schwarz lockte ihn, reizte ihn. Er würde dem nicht erliegen. Konnte nicht.
 

Sein verdammtes Ohrläppchen kribbelte immer noch verdächtig im Gleichklang mit der Gänsehaut auf seinem Rücken.
 

„Ich möchte, dass all das Schlimme hier nie passiert wäre“, erwiderte er neutral und schob sich mit dem Stuhl bestimmt nach hinten, aus der Reichweite des Orakels heraus. Abrupt stand er auf und sah Crawford stumm dabei zu, wie dieser sich mit ausdruckslosem Blick aufrichtete. Aya wusste, dass er gehen musste. Er wusste, dass er an dem anderen Mann vorbei ins Haus zurückgehen sollte, hoch in das Zimmer, das Omi und er belegten. Er sollte hier nicht stehen bleiben, bevor noch ein Unglück passierte.
 

Der Abstand wäre besser, viel besser, denn Aya vertraute sich in diesem Moment nicht gut genug, als dass er sich Crawford nicht genähert hätte, dieses Mal so ganz ohne Beeinflussung aber mit der gleichen, dummen Absicht und der blinden Ignoranz vor schlimmen Konsequenzen.

Aya setzte einen Fuß vor den anderen und stellte fest, dass es leichter war als gedacht. Darauf folgte noch einer, der nächste brachte ihn auf Höhe des Orakels, der übernächste würde ihm die Flucht ins Haus ermöglichen.
 

Doch das passierte nicht, als Crawford seinen Arm packte und ihn daran festhielt. Ayas Kopf ruckte hoch und er starrte den Schwarz überrascht an, sich der eisernen Hand, die seinen Oberarm umfasst hielt, überdeutlich bewusst. Er schwieg jedoch, denn jede Wahl, die hier getroffen werden musste, würde von Crawford getroffen nicht von ihm.
 

So standen sie sich sekundenlang gegenüber, stumm und musternd, ohne eine Regung, bis Crawford ihn losließ und Aya nach weiteren, verstreichenden Sekunden seinen objektiv klugen Plan aufnahm und zu Omi nach oben ins Zimmer ging, der ihn bei seinem Eintreten alarmiert und fragend musterte.
 

~~**~~
 

Schuldig räkelte sich und rollte gelangweilt mit den Augen. Die Couch war erneut seine ganz eigene Spielwiese, die er gänzlich blockierte, wo sonst drei Personen Platz gehabt hätten.

Die rothaarige Kritikeragentin war wieder bei ihnen und gemeinsam hatten sie die bereits vorhandenen Informationen abgeglichen und die nächsten Schritte geplant, die sie zu machen galt. Von all den Nichtspuren, die sie bisher hatten, war dies die konkreteste. Trotzdem war sie nicht mehr als Dynamitfischen und kein Garant für den Erfolg ihrer Mission, zumal sie ihnen keine Spur zu Takatori eröffnete. Das wussten auch ihre beiden schlechtgelaunten Anführer, die im Gegensatz zu vorher jeweils an den weit entferntesten Punkten des Tisches saßen, die sie hatten finden können. Der Grund war einfach und so amüsant, dass Schuldig sich das Grinsen seit dem Frühstück nicht verkneifen konnte. Noch verkniff er sich eindeutige Anspielungen, um die angespannte Stimmung nicht explodieren zu lassen.
 

Eines konnte er sich aber nicht verkneifen und das war, den Erfolg ihrer Mission zu sichern. Denn bei aller Recherche zu dem Künstler, der diese pottenhässlichen Statuen anfertigte und sie anscheinend in Massen an Lasgo verkaufte, der sie dann weiterverschenkte und selbst behielt, so war es in seinen Augen sinnlos, diesem nachzugehen ohne sich auf eine andere Art und Weise rückzuversichern. Eben jener Quell des Wissens, der etwas Klarheit in die Person Lasgo bringen und ihnen eine Spur zu Takatori geben konnte, saß zwischen Fujimiya und Kudou und hatte sich stirnrunzelnd über die bereitgestellten Papiere gebeugt. Dass eben jener Quell auch noch mit ihrer zweiten Zielperson verwandt war, machte das Vorgehen noch lohnenswerter und ertragreicher.
 

Zeit um für etwas Unfrieden und Angst zu sorgen, schließlich hatte sich der jüngste Weiß beinahe schon an seine Anwesenheit gewöhnt. Was natürlich nicht bedeutete, dass Tsukiyono es ertrug, alleine mit ihm in einem Raum zu sein, nein. Aber er zuckte nicht einmal mehr zusammen, wenn Schuldig das Wort ergriff.

Ein Zeichen für die Stärke des Weiß, das erkannte Schuldig auch an, aber er wollte wissen, wo die Grenzen dessen waren.
 

„Es gibt da noch eine Möglichkeit der Informationsbeschaffung und -sicherung, aber die wird mindestens einem hier nicht gefallen“, schnarrte er und schnippte mit seinen Fingern in Richtung besagtem Weiß, der ihn mit großen Augen ansah, erschrocken und aufgeschreckt, wie immer, wenn sich seine oder Crawfords Aufmerksamkeit auf ihn richteten. Ein guter, erster Schritt.

„Welche?“, fragte Fujimiya dunkel nach und Schuldig zeigte seine Zähne, anders konnte man sein Grinsen nicht beschreiben. Da war jemand gestern nicht zum Stich gekommen und seitdem hochgradig verwirrt.

„Was wohl, wenn es um die Mama eures kleinen, gedächtnisarmen Taktikers geht, auf die Lasgo so gestanden hat und die gleichzeitig Takatoris Ehegattin gewesen ist?“

„Schuldig.“ Brad, eigenartig humorbefreit, was den Jungen betraf, und mit noch viel weniger Interesse an seinen Spielchen als sonst. Schuldig schnaubte. Vielleicht sollten sich die beiden Anführer zusammentun und darüber sprechen. Ach Moment. Hatten sie ja schon, ohne nennenswertes Ergebnis. Er winkte ab.

„Jaja, schon gut. Ich spreche davon, die Erinnerung Tsukiyonos an seine Mutter wiederzuholen, als weitere Informationsquelle bezüglich Lasgos Aktivitäten und Takatoris möglichem Aufenthalt.“
 

Da zuckte nicht nur der jüngste Weiß und in der darauffolgenden Stille hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
 

Schuldig lehnte sich zurück und genoss die Gedanken der Anwesenden und den Schock, den seine Worte bei dem Kleinen des gegnerischen Teams ausgelöst hatten. Misstrauen, insbesondere von Fujimiya und der rothaarigen Hexe ausgehend. Er grinste und wackelte in Richtung Tsukiyono mit den Augenbrauen, ließ keinen Zweifel daran, wer diese Aufgabe übernehmen würde.

Dort, wo in den Gedanken des Jungen ein großes Nein stand und Angst mit Pflichtbewusstsein konkurrierte, hatten sich seine Lippen zu einer starren Linie zusammengepresst. Eines musste man dem Weiß lassen, seine Miene war beeindruckend glatt für den inneren Tumult und den Schmerz, der in seiner Brust tobte.
 

„Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Brauchbares dabei ist, übersteigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir alleinig über die Tadashiverbindung etwas Belastbares finden. Logische Konsequenz daraus: es ist lohnender, die Erinnerungen hinter der Barriere des Vergessens hervorzuholen, die damals gebildet wurden. Im Übrigen ein wahres Kunstwerk, sehr dicht, die Mauer zwischen dir und deinen Erinnerungen.“ Sein Blick brannte sich in die großen Augen des jungen Weiß und bedächtig strich sich Schuldig über den Stützverband an seiner Schulter. Es wurde von Tag zu Tag besser und er rechnete damit, eben jenen in der nächsten Woche vorsichtig abnehmen zu können. Er spürte, wie Brad ihn schweigend, jedoch nachdenklich maß. Nagi war ebenso überrascht wie der Rest von Weiß und Jeis Aufmerksamkeit auf seinen Vorschlag mochte nichts Gutes vermuten.
 

„Du wirst dich nicht noch einmal mit seinen Gedanken vergnügen, Arschloch.“ Kudou, immer noch, nach nun mittlerweile fünf Tagen, nach einem gemeinsamen Vertrag. Schuldig rollte mit den Augen.

„Mal angenommen, ich würde das wirklich wollen und damit riskieren, dass mir meine Organisation aufs Dach steigt. Das willst du wie verhindern, Playboy? Ach ja warte, du wirst mich umbringen, falls ich Hand an ihn lege. Alter Hut, Kudou. Bin immer noch nicht beeindruckt.“

„Schuldig.“ Der rothaarige Weiß dieses Mal, sein Ton ruhig, aber warnend. Der Anführerton, wie er bemerkte und noch dazu einer, der Crawfords erstaunlich ähnelte. Schuldig grinste spöttisch.

~Gleich und gleich gesellt sich wohl gern~, schickte er zu seinem eigenen Teamführer, der ihn dunkel maß.
 

„Wie wahrscheinlich ist ein Erfolg?“ Da hatte ja doch noch jemand genug Hirn um mitzudenken. Es war natürlich Tsukiyono. Der furchtlose Bombay, dessen Stimme nun nichts von der Angst erkennen ließ, die in ihm tobte, dass Schuldig ihn erneut zum Schreien und Betteln brachte mit seiner Telepathie.

„Erinnerungen über Personen liefern in der Regel konkrete Anhaltspunkte, die bei einer reinen Faktensuche meist übersehen werden“, erwiderte Schuldig tatsächlich sachlich und hielt Tsukiyonos Blick, der seine Augen nach einem Moment kontemplativen Starrens wieder senkte. „Ich kann dir nur nicht garantieren, wie sehr dir die Erinnerungen, die damit freigelassen werden, zusetzen. Wer weiß schon, was du hinter deiner befestigten Mauer aus Verneinung und Verdrängung so alles versteckst.“
 

Es war schon amüsant, wie sehr sich die Hoffnung des Jungen auf seine Worte versteifte. Beinahe so, wie in ihrer gemeinsamen Zeit im Schlachthof, auch wenn Schuldig wohlweislich den Teufel tun würde, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Lieber hielt er sich an den Zweifeln, die die Gedanken des Weiß wie auch seine Gestik und Mimik dominierten. Die Hände waren verkrampft, die Fingernägel hinterließen tiefrote Abdrücke auf seiner Haut.

Die blauen Augen huschten zu seinem Anführer, der ihn mit gerunzelter Stirn maß.
 

„Ich weiß nicht…“

Schuldig schnaubte. „Spoilern werde ich dich nicht. Und einen Trailer bekommst du sicherlich auch nicht.“

Hilfesuchend richtete sich Omis Blick auf die rothaarige Japanerin. Auch in ihren Gedanken war Ernst zu lesen und Schuldig hob die Augenbrauen, als er das Kalkül hinter dem abwartenden Blick erkannte. Sie befürwortete Schuldigs Plan alleine aus dem Grund heraus, dass sie dadurch mehr Informationen erhalten würden, die sie zu Lasgo, aber insbesondere zu Takatori führten.

Schuldig grinste. Sie mochte zwar Mitleid mit dem Kleinen haben, insbesondere aufgrund seiner Vergangenheit und der emotionalen Verbindungen, die sie zu ihm geknüpft hatte, doch das Mitleid war zweitrangig. Sie würde nicht soweit gehen und seine Gesundheit opfern, doch behüten würde sie den Jungen auch nicht.
 

Schuldig lächelte dunkel. ~Was für eine gute Soldatin du doch bist, Rote.~

Sie maß ihn ruhig. Ihre Gedanken ließen ihn wissen, was sie von ihm und seiner Einmischung hielt.
 

„Für die Informationsgewinnung ist das sicherlich ein Vorteil, solange Kritiker darauf vertrauen kann, dass Mastermind seinen Zugang nicht dazu nutzt, Bombay weiterhin zu schaden.“

Ah na sowas, da flüchtete sie sich in unpersönliche Codenamen um ihre Skrupellosigkeit zu überdecken. Schuldig grinste amüsiert.

Alle Augen richteten sich auf eben jenen Weiß, der von Sekunde zu Sekunde unruhiger zu werde schien. Unwohl zog er die Schultern hoch, den Blick eisern auf die Dokumente vor ihm auf dem Tisch gerichtet, die er gerade noch ausgewertet hatte.

„Ich kann das nicht. Es geht nicht“, sagte er schließlich leise und erhob sich ruckartig.

„Omi.“ Selbst der sanfte Einschlag in der sonst so strengen Stimme der Kritikeragentin half nichts. Der junge Weiß verließ das Wohnzimmer und stürmte die Treppe hoch. Kurz darauf knallte die Tür zum Schlafzimmer und Schuldig zuckte mit den Schultern.
 

„Tja, das war wohl nichts.“
 

Fujimiyas dunkler Blick durchbohrte ihn, doch Schuldig tat das mit einem Schulterzucken ab. Was sollte er tun? Tsukiyono zwingen? Seine Mauer des Vergessens einreißen und darauf hoffen, dass der Weiß daran nicht zugrunde ging?

Schuldig machte einen Abstecher in die verzweifelte Gedankenwelt des jüngsten Weiß und stöhnte genervt auf. Was alleine sein Vorschlag für Erinnerungen hochgespült hatte, war schon beeindruckend. Crawford maß ihn fragend und er zuckte mit den Schultern. Verursacherprinzip war eine schöne Sache, wenn man nicht selbst betroffen war. Trotzdem gedachte er, Tsukiyono nicht mit seinem aufwallenden Selbstmitleid davonkommen zu lassen.

Abrupt erhob sich Schuldig. „Bin oben, es gibt da was zu klären.“
 

Warum überraschte es ihn nicht, dass Kudou als Erster aufsprang und sich als vermeintlicher Retter seines Teammitgliedes ihm in den Weg stellte?

„Du wirst ihm nicht zu nahekommen“, verließ es drohend die Lippen des Weiß und Schuldig lächelte unbequem.

„Du willst mich wie daran hindern?“, hakte er nach und krümmte die Finger in einer spöttischen Aufforderung auf einen Kampf, den der Weiß nur zu gerne eingehen würde und den er verlieren würde. Doch bevor er die Gelegenheit dazu hatte, Kudou noch ein Stückchen mehr zu reizen, war Brad wieder dabei, ihm den Spaß zu verderben. So langsam wurde das lästig. Sein spärlicher Blick wanderte zu seinem Anführer, während sich dieser vollkommen unbeeindruckt davon an Kudou wandte.
 

„Er wird Bombay nichts tun. Es geht ihm um Schadensbegrenzung “, gab sein hochwohlgeborener Anführer einen Ausblick auf die Zukunft. „Wenn ihr beiden euch diesbezüglich schlagt wie unvernünftige Kinder, wirst du ihm seine Schulter erneut ausrenken und er wird dir mithilfe seiner Telepathie eine tagelange Migräne verschaffen, die dich wie auch ihn außer Gefecht setzen und euch daran hindern wird, am kommenden Auftrag teilzunehmen. Das wird aufgrund deines Wegfalls zu Konsequenzen führen, die Hidaka treffen, dessen Verwundungen daraufhin stationär behandelt werden müssen. Ein solcher Ausgang wäre weder effektiv noch wünschenswert. Du entscheidest, wer der Vernünftigere von euch beiden ist.“
 

~Du bist schon ein arrogantes Arschloch, Brad~, merkte Schuldig an, zusammen mit einem großen Bild seines Mittelfingers.

~Und ihr beiden unreif~, kam es unbeeindruckt zurück und Schuldig hatte nicht übel Lust, Brad gleich nach dem Weiß mit Kopfschmerzen zu versorgen.

~Das würde ich dir nicht empfehlen, Schuldig~, warnte das Orakel ihn eben genau davor, so als wenn er nun auch noch unter die Telepathen gegangen wäre.

~Sonst was?~, fragte er lauernd und Brad lächelte sein todbringendes, arrogantes Lächeln, beließ seine Antwort jedoch dabei. Lieber wandte er sich wieder an Kudou, der ihn wütend anstarrte, dessen Gedanken jedoch getränkt waren von Unsicherheit, was er jetzt tun sollte.
 

„Also?“

„Arschloch“, schickte Kudou an Schuldig.

„Versager“, schickte Schuldig zurück.

„Hurensohn.“

„Möchtegernflorist.“

„Möchtegerntelepath.“

„Papagei.“

„Arschantilope.“

„Hackfresse.“
 

„Sind die Herren jetzt fertig?“, fragte Manx in ihren kleinen Disput hinein, ihre eiskalte Stimme für einen Moment der der Dame des Hauses gleich. Schuldig schauderte es unwillkürlich, bevor er sich besann. Wütend starrte er in ihre Richtung und sie hielt seinen Blick mit dunklem Zorn.

„Ich erwarte, dass die Herren erwachsen genug sind um ihre Prioritäten nicht auf den Austausch von Schimpfwörtern zu verlagern, sondern auf die kommenden Aufträge“, klirrte ihre Stimme nur so vor Kälte und Schuldig bleckte die Zähne.

„Du hast mir gar nichts zu sagen, Rote“, zischte er und sie neigte den Kopf, das Lächeln auf ihren Lippen passend zu ihren Augen, die hart und unnachgiebig waren.

„Geh nach oben, Schuldig“, schaltete sich Brad ein und Schuldig grollte.

„Du bist schon ein Scheißverräter, hat dir das jemand schonmal gesagt?“
 

Brad erwiderte nichts, sondern ließ seinen Blick pointiert auf dem Durchgang ruhen, der zur Treppe in die obere Etage führte. Nagi räusperte sich leise und gab ihm mit seiner Telekinese einen sachten Schubs in eben jene Richtung.

~Du auch noch?!~, grimmte Schuldig und Nagi nickte unmerklich.

~Los, geh schon nach oben. Wir regeln hier den Rest.~

Schuldig grollte und erhob sich. Nicht ohne Kudou den Mittelfinger zu zeigen, streunte er in Richtung Flur, den mentalen Blick auf das Häufchen Elend gerichtet, das vor ihm lag.
 

„Reiß dich zusammen, Mastermind.“ ~Und bedenke euer beider Vergangenheit~, erinnerte ihn Brad daran, dass er einen verdammten Hellseher im Team hatte, der sich auch noch unnützerweise Gedanken um Tsukiyono machte.

~Warum, weil sonst die Welt untergeht?~, zischte er gedanklich.

~Weil Tsukiyono über die Mitarbeit von Weiß entscheidet.~

~Wofür brauchen wir die nochmal gleich?~
 

Anscheinend war aber Brad nicht der einzige Verräter, wie Schuldig nun feststellte. „Er wird eurem Technikjungen nicht schaden. Er weiß, dass es ihm nicht erlaubt ist“, mischte sich nun auch Jei unten in das Gespräch ein, wandte sich an Weiß und fixierte insbesondere Hidaka. Schuldig schnaubte. Brad erwiderte darauf nichts und so verließ Schuldig den Wohnraum und stieg bedächtig nach oben in die erste Etage. Ohne anzuklopfen trat er in das Schlafzimmer des jungen Weiß. Hätte Schuldig die Anwesenheit des jungen Weiß nicht in diesem Raum gespürt, hätte er zunächst gedacht, dass Tsukiyono sich nicht hier befand. Dann jedoch warf er einen Blick auf den Deckenberg auf dem ausladenden Bett und grinste vorfreudig.
 

Noch nahm der Kleine an, dass es jemand aus seinem Team war, der ihm nachgekommen war. Das verminderte seinen Widerwillen nicht, denn er wollte sich alleine in seinem Elend suhlen und in den gewalttätigen Erinnerungen, die mit Schuldigs Vorschlag gekommen waren. Niemanden wollte er um sich haben und zur Not würde er das seinem Team auch mitteilen, mal mehr mal weniger freundlich.

Schuldig grinste, konnte er nicht erwarten, dass sich der Junge umdrehte und sein vermeintliches Teammitglied anfuhr um schließlich panisch festzustellen, dass es eben kein Weiß war, der ihm nachgekommen war.
 

Vorfreudig ließ er sich auf dem Bett nieder und legte sich neben dem zusammengerollten Deckenberg, stützte seinen Kopf auf die rechte Hand. Er wartete ein paar Minuten lang reglos, bevor es unter dem Berg grollte.

„Ich will nicht darüber reden“, kam es gedämpft hervor und bösartige Freude durchströmte Schuldig. Bewusst schwieg er, als die Genervtheit in den Gedanken des Weiß sich steigerte ob der fehlenden Antwort. Tsukiyono tippte aufgrund des Schweigens auf Fujimiya, sicher war er sich aber nicht. Es könnte auch Hidakas Sturheit sein, mit der dieser ihn bereits ins Krankenhaus begleitet hatte, nachdem er von Jei nach Hause gebracht worden war.
 

Es brauchte zwei weitere, frustrierte Gedankenumläufe, bis Tsukiyono die Decke zurückschlug, begleitet von einem dunklen Grollen.

„Ich habe gesagt, ich will nicht re-“, begann er und warf sich herum, stockte mitten in der Bewegung, als ihm bewusst wurde, wie falsch er mit seiner Annahme gelegen hatte. Die Gedanken des Weiß kamen zu einem abrupten Halt und waren für Augenblicke nicht in der Lage, auch nur einen klaren Weg zu gehen.
 

„Hi“, wackelte Schuldig grüßend mit seinen Fingern und grinste sein bestes Haifischgrinsen. Er wurde nicht enttäuscht, als mit einem Mal jedwede Emotion in Tsukiyono hochwallte, die sich Schuldig gewünscht hatte. Angst, Misstrauen, gemischt mit Zorn, Verzweiflung und Panik.
 

Ein wunderschöner Anblick und das auch noch so ganz ohne Folter.
 

~Also wegen mir musst du nicht reden. Es reicht vollkommen, wenn wir mental kommunizieren~, erwiderte er lakonisch.
 

Tsukiyono schwieg verunsichert, weil er nicht wusste, was er machen sollte, nicht wusste, warum Schuldig hier war, mit ihm im Bett lag und ihn nun schweigend anstarrte.

„Also, was wolltest du noch einmal sagen?“, erinnerte Schuldig hilfreich an den abgebrochenen Satz des Anderen, tat so, als hätte er nicht ganz genau in den Gedanken Tsukiyonos gelesen, was diesen umtrieb.

„Warum?“, war jedoch das einzige, was dieser nach ein paar Momenten wild umherlaufender Gedanken hervorbrachte. Schuldig zuckte mit den Schultern.

„Ich habe Lust auf Sex“, erwiderte er und lauschte zufrieden dem Schwall an Panik, der den Kleinen überkam, bevor er abwinkte. „War ein Spaß, ich stehe nicht auf kleine Jungs.“

Panik mischte sich mit Wut und die blauen Augen, die den Seinen so sehr ähnelten, wurden hell vor Zorn, auch wenn Tsukiyono es aus lauter Unsicherheit nicht wagte, eben jene Wut hinauszulassen.
 

„Ja, es wird wehtun“, nahm Schuldig Abschied von seinem spielerischen, spöttischen Ich und wurde ernst, lenkte die Gedanken des Weiß in andere Bahnen. „Die Barriere, die du zwischen dir und deinen Erinnerungen erschaffen hast, sitzt so tief und ist fest verankert, dass sie nicht ohne Gewalt zu lösen ist. Egal, wie sanft ich vorgehen würde, es wird nicht ohne Schmerzen gehen. Die werden sich in ungefähr so anfühlen wie das, was wir beiden schon einmal miteinander erlebt haben.“

Der Weiß blinzelte, überrascht über den abrupten Themenumschwung, gleichwertig überrascht über die Ernsthaftigkeit, mit der Schuldig das Thema anschnitt.

„Du wirst schätzungsweise bis zu drei Tage später noch Kopfschmerzen haben. Was die Erinnerungen, die die Barriere bisher zurückgehalten hat, angeht, kann ich dir keinerlei Garantien geben, inwieweit sie ein Trauma auslösen oder dir dauerhaft schädigen. Es besteht aber die Möglichkeit, sie entweder wieder zu bannen oder gänzlich zu löschen.“
 

Eines musste Schuldig dem jungen Weiß lassen. Anstelle mit sinnloser Angst oder Wut zu reagieren, die sie nirgendwo hinführen würde, ließ er sich seine Worte durch den Kopf gehen und wog sie ab, während Emotionen mit Notwendigkeiten rangen, kaltes Kalkül mit hilfloser Wut. Abseits von der Unsicherheit und dem Widerwillen, dass Schuldig ihm so nahe war, versank der Weiß in seinen Gedanken und fertigte Liste um Liste mit Vor- und Nachteilen an.

Schuldig lauschte dem inneren Zwiespalt mit ebenso innerer Zufriedenheit, ließ sich berauschen von den Emotionen und Gedanken des Anderen, die um so vieles erwachsener waren als es Kudous jemals sein konnten. Zufrieden räkelte er sich und griff sich eines der Kissen. Die vereinzelten, roten Haare darauf wiesen es als Fujimiyas aus und Schuldig hatte nicht übel Lust, es aus Prinzip anzusabbern.

Als er hochsah, merkte er, dass der Weiß seinen taxierenden Blick bemerkt und fragend die Augenbrauen erhoben hatte.
 

Schuldig deutete auf das weiche Stück fedriger Himmel. „Das nehme ich mit und du wirst deinen Mund halten. Wag es ja nicht, jemanden etwas davon zu erzählen.“

Während Tsukiyono noch seinen Mund zum Protest aufklappte, war Schuldig bereits aus dem Bett gesprungen und hatte das Kissen mit sich genommen. Wortlos verließ er das Zimmer und kam wenige Augenblicke später mit einem anderen Kissen wieder, das er auf das Bett warf.

Tsukiyono blinzelte fragend und Schuldig grinste teuflisch. Das Interesse des Weiß an einer Antwort schwand zugunsten von Unsicherheit ob des Ausdrucks auf dem Gesicht des Telepathen und der Schwarz nickte anerkennend.
 

„Brav“, lobte er. „Also. Du weißt, wo du mich findest, Tsukiyono, mein Angebot steht. Ich gebe dir das zurück, was du so sorgsam hinter der Mauer verborgen hast und du lässt mich im Gegenzug einen Blick auf deine Erinnerungen an den Panda und deine Mutter werfen, damit wir bei unserer Suche ein Stück weiterkommen.“ Kurz ließ er seine Worte wirken und verließ mit einem letzten Winken das Zimmer, warf schwungvoll die Tür hinter sich zu.
 

Die gnadenlos analysierenden Gedanken des Weiß dahinter ließen auch ihn als Nichthellseher einen durchaus eindeutigen Blick in die Zukunft erhaschen, die mit Tsukiyonos Zustimmung enden würde.
 

Dafür war der blonde Rotzbengel zu sehr ein waschechter Takatori, als dass er eine solche Gelegenheit verstreichen lassen würde.
 


 

~~~~~~~~~~~

Wird fortgesetzt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Feedback ist natürlich immer gerne gesehen. :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kittenaya
2019-08-10T15:24:14+00:00 10.08.2019 17:24
Ich finde Brad sollte sich etwas mehr um Aya bemühen müssen, die Figur scheint mir etwas preiswert erwerbbar zu sein :)
Antwort von:  Cocos
10.08.2019 19:07
Inwiefern preiswert erwerbbar?
Von:  Meggal
2019-08-08T17:47:22+00:00 08.08.2019 19:47
Hey,

Mal wieder ein tolles Kapitel, auch wenn es keine Action gibt. Aber gerade die Interaktionen zwischen den Teams und die zwischenmenschlichen Entwicklungen finde ich super!

Ich freu mich auf die nächsten Kapitel und hoffe du hast einen schönen Urlaub.

LG,
Meg
Antwort von:  Cocos
10.08.2019 19:08
Hey :)

Ja hatte ich!
Freut mich, dass es dir gefallen hat. Action kommt aber bald wieder. ;)

LG


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