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Apfelernte

von

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Ich bin fassungslos.

Ich, ein GOTT, bin fassungslos.
 

Ich habe in all den Jahrhunderten schon viel erlebt. Ich habe viel gesehen. Ich habe viel gehört.

Aber das, was heute Nacht geschehen ist, ist mir zum allerersten Male passiert.
 

Das Opfer ist missglückt.
 

Es hätte letzte Nacht geschehen sollen, aber es ist missglückt. Ich hungere.

Es ist der letzte Tag der Apfelernte gewesen, und ich hätte gestern Nacht mein Opfer bekommen sollen. Bekommen müssen!

Und nun stehe ich hier, mein Apfelbaum wird von dem Wind gebeutelt, der durch den herbstlichen Hain fegt, und ich hungere!
 

Eigentlich war es erst wie immer.

Die beiden Auserwählten blieben mit ihrem Auto liegen. Diese Autos sind praktische Dinger, ein Gott wie ich mit meiner Macht und meiner Kraft kann sie so leicht manipulieren ...

Sie stiegen aus und kamen in den Apfelhain. Wie immer. Ich ließ sie das Licht sehen, machte sie glauben, es gäbe ein Haus, das Hilfe versprach. Sie kamen auf mich zu. Sie sahen die Krähenscheuche.

Der Mann machte coole Sprüche, wie immer. Die Frau zeigte ihre Angst offen.

Ich nahm ihren Geist in meinem auf, ließ sie sehen, was sie sehen sollten: Die Scheuche in Bewegung, die silberne Sichel in der Hand. Sie schrien. Sie flohen. Die Sichel befand sich in der Hand des Mannes.

Sie versuchten, den Ausgang des Haines zu erreichen.

Ich wusste, sie würden es nicht schafften. Sie schafften es nie.
 

Sie sanken in die Knie, die Sichel blitzte, der Mann erhob sie, gleich würde er der Frau die Kehle durchtrennen, gleich würde ich mein Blut bekommen ... ihre Angst war so präsent, sie schmeckte so gut, duftete so betörend ...

Gleich würde es vorbei sein und ich würde in meiner Mahlzeit schwelgen.
 

Doch dann ...

Urplötzlich tauchte ein zweiter Mann auf.

Von ihm ging etwas aus, was mir Angst machte. Eine Aura, eine mächtige Ausstrahlung, die mich Furcht spüren ließ.

Mich!

Einen Gott!

Furcht!
 

Er schien die Situation zu erfassen ... ich griff nach seiner Psyche und schaffte es, dass auch er die Scheuche sah.

Aber er hatte keine Angst, und ich habe nicht die geringste Ahnung, wie das zugehen konnte.

Er hatte ein Gewehr bei sich, mit Silber geladen.

Ich kann das alles bis jetzt nicht begreifen:
 

ICH bekam es mit der Angst.
 

Dieser Kerl kam nun in den Hain gestürmt.

Er schrie das Paar an, sie sollen zu ihrem Auto laufen. Beide erwachten aus ihrer Trance und rannten los. Die Sichel blieb unbeachtet im feuchten Gras liegen.

Ich versuchte, nun ihn zu beeinflussen, dass er die Sichel nehme sollte – aber er tat es nicht. Er starrte auf den Punkt, wo er die Scheuche sah und schoss.
 

Er schoss und traf meinen Baum.
 

Ich schrie. Ich hatte Schmerzen. Es tat so weh!

Meine Kraft ließ nach, ich war nicht mehr in der Lage, seinen Geist festzuhalten, und so schien er zu glauben, er hätte die Scheuche fürs erste besiegt, machte kehrt und rannte zu seinem eigenen Auto.

Die Reifen quietschten, und er folgte mit seinem Wagen dem des Paares, das ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit davon fuhr.
 

Verdammt.

Mein Opfer ist missglückt.

Ich habe mein Opfer nicht bekommen.

Verdammt!
 

* * *
 

Ich werde das den Menschen nicht durchgehen lassen.

Sie sollen spüren, dass mit mir nicht zu spaßen ist.

Als der Morgentau auf meine Äste fiel und meine Zweige benetzte, stand mein Entschluss fest: ich werde sie bestrafen.

Die ersten Bäume werden heute schon absterben. Die ersten Kühe spätestens morgen tot auf ihren Weiden liegen.

Und wenn sie sich nicht schnellstens um Ersatz bemühen, wird es bei Kühen nicht bleiben.
 

Erst die Bäume.

Die Kühe.

Dann ihre geliebten Haustiere.
 

Und dann ihre Kinder.
 

Und spätestens dann werden sie zur Vernunft kommen.

Und wenn sie kein Touristenpaar auftreiben können – nun das ist nicht meine Sorge. Dann müssen eben wieder wie in alten Zeiten zwei aus der Mitte meiner Gläubigen zum Wohle aller ihr Leben lassen. Mir soll das recht sein.

Hauptsache ich bekomme, was ich will.

Nein, was mir zusteht!
 

Ich will mein Opfer.

Wie sie das anstellen ist mir letztendlich gleich.
 

Ich warte.

Meine Wunde schmerzt. Ich muss versuchen, die silberne Kugel aus der Rinde meines Baumes zu bekommen. Das wird nicht leicht.
 

Aber jetzt zieht erst einmal wieder der kalte Abendnebel zwischen den Obstbäumen hindurch. Meine liebste Zeit des Tages.
 

Vielleicht haben sie ja schon Ersatz für mich?

Ich werde es sehen.
 

Ich warte.



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