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Forellenfragen

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Forellenfragen

Tina holte tief Luft und strich noch einmal über die Falten ihres neuen Mantels. Sie hatte ihn extra für diesen Ausflug gekauft, aber jetzt, da sie ihn trug, war sie sich nicht mehr sicher, ob das wirklich eine gute Idee gewesen war. Sie hatte souverän wirken wollen, als sie ihn erworben hatte, doch nun kamen ihr die Taschen viel zu groß, der Saum viel zu kurz und die Farbe viel zu grün vor. Sie fühlte sich kein bisschen souverän. Sie fühlte sich mehr wie ein Weihnachtsbaum. Und das im Juli.

 

Unsicher zupfte sie an ihrem Kragen herum. Konnte sie so bekleidet wirklich dort hineingehen oder war es am Ende klüger, wenn sie zum nächsten Kamin eilte, um heim zu flohen und sich doch noch einen anderen Mantel zu holen?

Nein. Dafür war es zu spät. Sie hatte nur noch zwei Minuten, und wenn das, was sie über Mr. Schmidt gehört hatte, stimmte, dann war er ein äußerst pünktlicher Mensch.

Ein pünktlicher Mensch, der sie feuern konnte.

 

Nervös nahm sie den Rucksack von ihrer Schulter, bevor sie die Tür öffnete und sich mitsamt dem Gepäckstück in den Konferenzsaal schob. Gregory Pennington warf ihr einen herablassenden Blick zu, doch Tina ignorierte ihn gekonnt. Sie hatte mit ihm zusammen die Prüfung im Fachbereich Tarnung abgelegt und meinte inzwischen zu wissen, was in seinem Kopf vor sich ging.

Pennington wollte wichtig sein. Er wollte einen Posten mit Aufstiegsmöglichkeiten und er benahm sich, als hätte er die erste Beförderung bereits hinter sich.

 

„Bringen Sie uns Tee, Fräulein?“, kam es aus der anderen Ecke, wo ein junger Mann mit sandfarbenen Locken stocksteif auf einem Stuhl saß.

Tina kniff die Augen zusammen. „Nein, das tue ich nicht“, entgegnete sie bestimmt.

In den letzten drei Wochen hatte sie sich bei jeder Gelegenheit ähnliche Bemerkungen anhören dürfen. Nicht weil es in der magischen Welt nicht genug weibliche Auroren gab, sondern weil die meisten Aurorenanwärter im Augenblick einfach keine Lust dazu hatten, sie ernst zu nehmen. Kein Wunder, diskutierten die No Maj doch schon das ganze Jahr über, ob Frauen in der Lage waren, sich an brisanten, politischen Themen zu beteiligen oder ob sie von Natur aus benachteiligt waren und entsprechend geschont werden mussten.

Tina krallte die Fingerspitzen in ihren Rucksack und dankte einmal mehr den Göttern dafür eine Hexe zu sein. In der magischen Gesellschaft musste sie sich zumindest nicht sagen lassen, dass ihr Gehirn weniger aufnahmefähig sei, als das eines Mannes. - Oder zumindest nicht so häufig.

 

Neben Pennington gluckste es. Ein Geräusch, das diesen prompt dazu veranlasste, sich ein bisschen von seinem Gesprächspartner wegzulehnen. Tina ahnte auch warum. Die Art, auf die der junge Mann sich auf die Tischkante gefläzt hatte, stand im krassen Kontrast zu dem Verhalten der anderen Beiden. Er bemühte sich nicht den Rücken gerade zu halten, wie der Unbekannte mit dem Tee und er hatte die Nase auch nicht dauerhaft in den Wolken, so wie Pennington.

Dafür grinste er, als hätte er gerade einen besonders dicken Fang gemacht.

„Hören Sie einfach nicht hin“, erklärte er an sie gewandt, „Jenkins meint es nicht so. Ich dagegen finde es sehr erfreulich, dass wir weibliche Gesellschaft haben werden. Wenn Sie nachts in Ihrem Zelt Angst bekommen sollten, können Sie gerne jederzeit in meines kommen.“ Er zwinkerte ihr unverhohlen zu, und hätte sich nicht ein weiteres Mal die Tür geöffnet, Tina hätte ihn dafür wohl in die nächste Woche gehext. Sie und Angst! Was glaubte der Kerl eigentlich, wer sie war?

 

Tina presste ihre Fingernägel tiefer in das weiche Leder ihres Rucksacks hinein, während sie den Blick auf den Neuankömmling lenkte, der sich seinerseits abschätzig umsah. Das musste wohl Mr. Schmidt sein. Obwohl, nein. Das Alter stimmte zwar und auch die Kleidung sah aus, als wollte er sich ihrem Ausflug anschließen, aber trotzdem konnte das unmöglich der angekündigte Auror sein. Seine Wanderstiefel blitzten und blinkten. Das taten keine Schuhe, die tatsächlich zum Wandern getragen wurden. Und die Jacke? Die sah aus, als wäre sie genauso alt wie ihr maigrüner, neuer Mantel. So kleidete sich niemand, der regelmäßig wandern ging. So kleidete sich eher jemand, der es das erste Mal ausprobierte.

Milde interessiert beobachtete sie, wie der Neuankömmling seinen Blick auf Penningtons Sitznachbarn lenkte. Einen Moment lang sah er ihn einfach nur an, dann rutschte der Andere plötzlich von der Kante.

 

„Mr. Graves, Sir?“, kam es aus seinem Mund, während er eilig salutierte.

 

„Todd, ich habe Ihnen doch bereits erklärt, dass ein Auror eine gewisse Grundhaltung wahren sollte. Sind das hier Ihre Bemühungen das umzusetzen?“

 

„Ja, Sir äh, ich meine, nein Sir“, korrigierte Todd hastig, doch scheinbar war seine Antwort nicht wirklich von Belang.

 

Mr. Graves schüttelte den Kopf. „Meine Herren“, begann er, dann hielt er für einen Augenblick inne, „meine Dame. Ich muss Ihnen bedauerlicherweise mitteilen, dass Mr. Schmidt Sie heute nicht wie geplant betreuen kann. Er ist bereits gestern Abend nach British Honduras abgereist, weshalb Sie mit mir vorlieb nehmen müssen.“

 

„Heißt das, wir können hierbleiben?“, erkundigte sich Pennington und Tina glaubte, so etwas wie Hoffnung aus seiner Stimme herauszuhören. Vermutlich war die Vorstellung von einer Nacht im Zelt nicht wirklich nach seinem Geschmack.

 

Graves schüttelte den Kopf. „Ich bedaure“, erklärte er und klang dabei sogar, als täte es ihm wirklich ein wenig Leid. „Es ist dem MACUSA mehr als wichtig, dass seine Auroren in der Lage sind, notfalls auch in der Wildnis zu überleben. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie verfolgen einen Verdächtigen, der sich in den Bergen einen Schlupfwinkel gesucht hat. Wie wollen Sie den finden, wenn Sie schon nach wenigen Stunden müde und hungrig heimwärts ziehen?

Meine Herren, ich denke, ich muss Ihnen nicht mitteilen, dass selbst dieser - auf den ersten Blick harmlose - Ausflug Auswirkungen auf Ihr weiteres Berufsleben haben kann.“

 

„Ich habe gehört, Mr. Schmidt war mit den Anwärtern vom letzten Jahr in der Gargoyle Tavern“, warf Todd grinsend von der Seite ein, „War das auch eine Überlebensstrategie mit entsprechenden Auswirkungen?“

 

„In der Tat, Mr. Todd. In der Tat.“

 

„Dann statten wir der Kneipe auch einen Besuch ab, Sir?“

 

„Vielleicht in Ihren Träumen.“

 

 
 

🐟🐟🐟
 

 

 

„Und dann habe ich den Zauberstab auf ihn gerichtet und ihn fachgerecht entwaffnet“, berichtete Jenkins mit stolzgeschwellter Brust.

Pennington nickte gewichtig. „Bei meiner Prüfung war es ähnlich. Mein Gegner glaubte, mir mit einem Expelliarmus beizukommen. Lächerlich. Hätte er nur ein bisschen mehr Zeit in die Recherche investiert, er hätte gewusst, dass es nicht möglich ist, einen Pennington zu entwaffnen.“

Tina rollte mit den Augen und setzte tapfer weiter einen Fuß vor den Anderen. Es brannte ihr auf der Zunge zu erwähnen, dass es auch nicht möglich war, einen Pennington zu übersehen, was ihm in der Prüfung zum Thema „Tarnung“ einige Minuspunkte eingebracht hatte, doch um des lieben Friedens willen, hielt sie ihren Mund. Sie wollte es sich nicht gleich am ersten Tag mit den anderen Anwärtern verderben. Besonders nicht, da sie nicht wusste, ob sie nicht in einem Büro landen würden.

Auf Jahre gemeinsam mit Pennington ... Der Gedanke erfüllte sie nicht unbedingt mit Freude.

Leider hatte sie keine Ahnung, nach welchem Prinzip sie auf die einzelnen Zentralen verteilt werden würden. Mr. Figueroa vom Duelltest hatte erwähnt, dass die Entscheidung diesbezüglich nicht bei ihm lag. Doch bei wem lag sie dann? Und war sie vielleicht sogar schon gefallen?

 

Skeptisch blickte sie zu den anderen Anwärtern, die noch immer von ihren Prüfungen erzählten. Da nachzufragen, würde sie vermutlich nicht schlauer machen. Pennington mochte vielleicht eine Ahnung haben, aber Jenkins und Todd eher nicht. Und bevor sie Pennington etwas fragte, lief sie lieber weiterhin unwissend hinter Mr. Graves her durch den Wald.

 

Vielleicht konnte sie Graves ja ein paar Informationen entlocken, wenn sie sich nicht all zu aufdringlich gab. An der Duelltest-Erzählung schien er jedenfalls nicht interessiert zu sein. Immerhin lief er fast einen Meter vor der schnatternden Gruppe her und hatte noch nicht einmal etwas zu ihrem Gespräch beigetragen.

 

Tina fasste sich ein Herz, dann holte sie zu der Gruppe auf.

„He Goldstein, haben Sie einen Puma gesehen?“, begrüßte Todd sie, als sie einigermaßen auf seiner Höhe war. Die Anderen grinsten. „Keine Sorge, wir sind gerne bereit uns für Ihre Sicherheit zu duellieren.“

 

Tina schüttelte den Kopf. „Machen Sie sich keine Mühe“, entgegnete sie, „Ich bin mir sicher, wenn es hier einen Puma gibt, haben ihn die Berichte über Ihre Heldentaten schon vertrieben.“ Dann beschleunigte sie noch einmal ihren Schritt.

„Mr Graves?“

 

Der Auror wurde unmerklich langsamer. Eine Geste, die Tina als Einladung sah, endgültig zu ihm aufzuschließen. „Darf ich Sie etwas fragen?“

 

„Solange es nicht: ‘Wann sind wir endlich da?’ ist ...“

 

„Nein Sir. Ich wüsste nur gerne, ob Sie vielleicht schon etwas über unsere Zentralenaufteilung gehört haben?“

 

„Ihre Zentralenaufteilung? Miss ...“

 

„Goldstein, Sir. Tina Goldstein.“

 

„Sehen Sie, Tina. Ich wusste bis gestern Abend nicht einmal, dass dieser Ausflug mir zufallen würde. Wenn es bereits irgendwelche Informationen über Ihre Aufteilung gibt, fürchte ich, sie sind mit David nach British Honduras gereist.“

 

Tina ließ die Schultern sinken. „Ich verstehe, Sir.“

 

„Für welche Büros haben Sie sich denn beworben?“

 

„New York und Jersey City. Ich würde gerne bei meiner Schwester bleiben.“

 

Mr. Graves nickte, doch noch, bevor er zu einer Einschätzung ihrer Chancen ansetzen konnte, schloss Pennington zu ihnen auf. „Ich habe mich natürlich auch für New York beworben“, erklärte er ungefragt.

 

„Ganz ehrlich?“, mischte sich nun auch Todd ein, „Sie gehen das alle völlig falsch an. Man sucht sich doch nicht gerade das Büro aus, in dem man mit Pech bis zum Umfallen schuften muss. Glauben Sie mir, es gibt nur eine richtige Wahl und die heißt Florida!“

 

„Sie meinen Tallahassee, nicht wahr?“, stellte Mr. Graves die Frage, die ihnen wahrscheinlich allen auf der Zunge brannte, doch Todd schüttelte prompt den Kopf. „Nein Sir“, stellte er klar, „ich will nicht nach Tallahasee, ich will nach Florida.“

 

 
 

🐟🐟🐟
 

 

 

Tina war froh, als Mr. Graves endlich zum Stehen kam und damit Todds Fantastereien über Florida beendete. So wie er von der Halbinsel sprach, konnte man annehmen, sie sei das Gelobte Land. Dabei war eher das Gegenteil der Fall. Die Bahnstrecke, die Florida mit dem Rest der Welt verband, existierte gerade mal zehn Jahre. Sie war das Projekt eines reichen No Maj, von dem der Geier wusste, wann er das Interesse wohl wieder verlor.

Es gab keine magische Einkaufsstraße, kein ausgebautes Flohnetzwerk ...

Florida war rückständig.

Gut, natürlich war es möglich, dass sich das bald ändern würde, doch bis dahin würde man dort auf viele Annehmlichkeiten verzichten müssen, die in Städten wie New York oder Jersey City einfach dazugehörten. Aber das wollte Todd nicht hören. Tina hatte es ihm zu sagen versucht, nachdem das peinliche Schweigen vorbei gewesen war, das aufgekommen war, nachdem Graves Floridas Hauptstadt erwähnt hatte, doch sie hatte keinen Erfolg gehabt. Todd hatte nur dumm gegrinst und sie eingeladen, sich sein neues Zuhause gleich als Allererste anzusehen. Etwas, woran sie ganz und gar kein Interesse hatte.

 

„Wir müssen die Zelte aufbauen, Feuerholz sammeln und etwas zu Essen beschaffen“, erklärte Graves und lenkte Tina damit von ihren Gedanken ab. „Todd, schauen Sie mal, ob Sie es schaffen, ein paar trockene Äste für ein Feuer aufzutreiben.“

Der Angesprochene nickte, dann ließ er seinen Rucksack zu Boden sinken und zückte seinen Zauberstab.

„Ich bin gleich zurück“, verkündete er und stapfte hoch erhobenen Hauptes durch den nächsten Busch davon.

 

Neben ihr räusperte sich Jenkins. „Sir, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben, würde ich gerne die Zelte aufbauen“, schlug er vor.

 

Pennington nickte hoheitsvoll. „Das klingt nach einer ausgezeichneten Idee“, stimmte er zu.

 

„Ganz meine Meinung“, entgegnete Graves, „meine Herren, Sie bauen die Zelte auf, Miss Goldstein und ich werden das Abendessen beschaffen gehen.“

 

Tina schluckte, doch sie widersprach nicht. Sie hatte Ilvermorny überstanden, zahlreiche Bewerbungstests und den ganzen weiten Weg bis zu diesem Lagerplatz. Sie würde es auch schaffen, etwas zu Essen zu finden. Vielleicht ein paar Beeren oder Kräuter oder -

 

„Tina? Kommen Sie?“

 

Pflichtbewusst folgte sie ihrem Vorgesetzten durch den nächsten Busch.

 

„Da hinten muss irgendwo ein See sein. Ich dachte, wir fangen uns ein paar Fische. David erwähnte Forellen.“

 

„Forellen?“, wiederholte Tina leise, „Sir, vielleicht sollten Sie die Arbeitsaufteilung noch einmal überdenken.“

 

„Warum?“

 

„Weil ich bisher noch nie einen Fisch gefangen habe. Ehrlich gesagt weiß ich nicht einmal genau, wie man angelt. Die Anderen haben darin vielleicht mehr Erfahrung als ich.“

 

Für einen Moment schwieg Mr. Graves, dann schüttelte er betont langsam den Kopf. „Sind das Ihre Ermittlungsergebnisse?“, fragte er streng.

 

Tina hob den Blick und musterte kurz das grüne Blätterdach über ihnen, dann wandte sie sich mit einem Seufzer wieder ab. „Sie haben recht“, gab sie zu, „Ich glaube auch nicht, dass Pennington schon einmal angeln war. Er kommt aus der Stadt, vielleicht sogar aus New York und aus dem Hudson zieht man vermutlich eher keinen Fisch.“

 

„Und die anderen beiden?“

 

„Eher, aber unwahrscheinlich. Jenkins wollte die Zelte aufbauen. Wäre er ein passionierter Angler, er hätte sich doch sicher für die Nahrungsbeschaffung gemeldet. Und Todd ... Todd will es leicht im Leben haben. Neben der Angel im Gras zu liegen, würde ihm sicher gefallen, aber einen Fisch zuzubereiten ist nicht so einfach. Man muss ihn schuppen, ausnehmen und braten und dann hat man immer noch jede Menge Arbeit mit den Gräten vor sich.“

 

Mr. Graves nickte. „Besser“, urteilte er. „Und? Denken Sie immer noch, ich hätte Sie nicht mitnehmen sollen?“

 

Tina seufzte noch einmal. „Ehrlich gesagt fürchte ich, ich werde Ihnen nicht die größte Hilfe sein, aber ich werde mich bemühen.“

 

Vorsichtig bahnte sie sich weiter den Weg durch die Büsche, vorbei an einem alten Baumstumpf und durch ein weiches Kissen voller hellgrünem Moos. Dann sah sie zwischen den tief hängenden Ästen zum ersten Mal das Wasser glänzen. Tina hielt für einen Augenblick inne und genoss den Ausblick auf den See.

 

„Das ist schon etwas anderes als das Central Park Reservoir“, rutschte es ihr heraus.

 

Mr. Graves nickte. „Das Wasser hier ist sehr viel blauer. Ich bin mir sicher, hier gibt es jede Menge Fisch.“

 

Tina nickte stumm. Er hatte recht, der See sah aus, wie man sich ein Angelparadies vorstellte. Er war groß, sauber und relativ unberührt. Ein Paradies für jede Forelle und vermutlich auch für jeden anderen Fisch. Die Sache hatte nur einen Haken ...

 

Wie sollten sie die Forellen aus dem Wasser bekommen? So weit Tina wusste, nutzte man normalerweise eine Angel dafür. Aber in keinem der Ausbildungsbücher stand, dass eine Angel zur Aurorengrundausrüstung gehörte. Das bedeutete, dass sie vermutlich keine Angel haben würde, wenn sie im Wald einen Verdächtigen verfolgte.

 

Vorsichtig stieg Tina zum Ufer herab, versuchte zwischen den Steinen am Grund einen Fisch auszumachen und scheiterte dabei kläglich. Nicht eine Forelle fiel ihr ins Auge, während sie umständlich aus ihren Stiefeln schlüpfte und ihren maigrünen Mantel ins Gras fallen ließ.

 

„Was haben Sie vor?“, fragte Mr. Graves, als sie todesmutig ins Wasser trat. Eiseskälte wanderte ihren Fuß hinauf, aber irgendwie schaffte Tina es, nicht sofort wieder ans rettende Ufer zu hüpfen.

„Wenn wir einen Fisch fangen wollen, müssen wir uns wohl in sein Territorium bewegen“, klärte sie ihn auf. „Sie werden kaum so nah ans Ufer schwimmen.“

 

Mr. Graves legte den Kopf schief und trat näher an das Wasser heran. „Und dann? Wollen Sie zu ihnen raus schwimmen?“

 

Tina blickte ans andere Ufer, dann schüttelte sie den Kopf. Sie war nie die beste Schwimmerin gewesen und die Vorstellung weiter als bis zu den Knien in das kalte Wasser zu steigen, ließ ihr Kälteschauer über den Rücken laufen. Nein, schwimmen würde sie definitiv nicht gehen. Höchstens vielleicht ...

 

Betont langsam griff sie in ihren Ärmel und zog ihren Zauberstab hervor, den Blick weiterhin starr auf die Wasseroberfläche gerichtet.

 

Da! Ein Plätschern.

 

Tinas Zauberstab sauste durch die Luft. Weißes Licht schoss über den See, dann platschte es, dieses Mal deutlich lauter, und ihr Fang schoss in die Luft.

 

„Ausgezeichnet“, spottete Mr. Graves, „Wollen Sie Ihren Frosch gebraten oder doch lieber roh in einem Hotdog-Brötchen serviert?“

 

Sie musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass er grinste. Wäre sie an seiner Stelle gewesen, sie hätte es auch getan. Seufzend löste sie den Zauber, um dem Frosch die Gelegenheit zu geben, zurück ins kühle Nass zu springen. „Wenigstens habe ich was gefangen“, murrte sie, während sich das Tier mit einem lauten „Platsch“ verabschiedete, „Das ist mehr, als ich bisher von Ihnen sagen kann.“

 

Für einen endlos langen Augenblick war es hinter ihr still, dann räusperte sich Mr. Graves. „Na schön, ich nehme Ihre Herausforderung an“, erklärte er, bevor er aus seinen Stiefeln schlüpfte, seine Hosenbeine hochkrempelte und schließlich zu ihr ins Wasser trat. „Drei Versuche? Der größte Fisch gewinnt?“, fragte er.

 

Tina nickte. Wenn er einen Wettstreit wollte, sollte er ihn bekommen. „Auf drei“, bestimmte sie und begann auch prompt zu zählen.

 

„Eins ... Zwei ... Drei!“

 

Zauber flogen. Funken sprühten. Irgendwo platschte es verdächtig, als ein Fisch nur knapp der Gefangennahme entkam.

Tina unterdrückte einen Fluch, als sie sah, dass auch ihr Zauber ins Leere gelaufen war. Einen Fisch zu fangen war gar nicht so einfach. Energisch machte sie zwei Schritte nach rechts, dann sah sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung und reagierte sofort.

 

Ihr Zauber sauste über die Wasseroberfläche und traf ... Einen weiteren Frosch.

Mit einem Seufzer ließ Tina das Tier wieder zurück ins Wasser fallen. Das war ihr zweiter Versuch gewesen. Und Mr. Graves? Der taxierte gerade seinerseits ein weiteres Ziel.

 

Neugierig beobachtete Tina, wie sein Zauber davon schnellte, auf etwas prallte und prompt einen Fisch aus dem Wasser riss. Silberne Schuppen glänzten im Sonnenlicht, dann bäumte das Tier sich auf. Einmal, zweimal und schließlich zappelte es so heftig, dass der Zauber unter ihm zusammenbrach. Mit einem lauten Platschen verschwand es wieder in den Untiefen des Sees und mit ihm Tinas Hoffnung auf ein Abendbrot.

 

Mr. Graves knurrte unzufrieden. „Na fein“, gab er zu, „Vielleicht ist es wirklich schwieriger, als es aussieht.“

 

Selbstzufrieden stemmte Tina die Hände in die Hüften. Am allerliebsten hätte sie auch noch gegrinst, doch in Anbetracht der Tatsache, dass ihnen ihr Abendessen durch die Lappen gegangen war, erschien ihr das gerade unangebracht. Stattdessen atmete sie tief durch. „Sie haben immerhin schon mal eine Forelle erwischt, Sir.“, versuchte sie ihren Vorgesetzten aufzumuntern, „vielleicht bekommen Sie das ja noch mal hin.“

 

„Damit mir wieder der Schwebezauber bricht? Nein, Tina ... Ich fürchte, so wird das nichts. Wir brauchen einen anderen Plan. Wir brauchen ...“

 

 
 

🐟🐟🐟

 

 

Nachdenklich schob sich Tina ein weiteres Stück Forelle in den Mund. Der Fisch war gut, keine Frage, doch so ganz traute sie dem Frieden nicht. „Sind Sie sicher, dass sich das nicht negativ auf meine Beurteilung auswirken wird?“, fragte sie zwischen zwei wunderbar zarten Bissen.

 

„Da ich Ihre Beurteilung schreibe: Ja“, entgegnete Mr. Graves kauend.

 

„Aber das hier stellt nicht unbedingt meine Überlebensfähigkeit unter Beweis“, wagte sie den Widerspruch.

 

Mr. Graves sah sich im Gastraum um. „Nein“, stimmte er dann trocken zu.

 

Zwei Tische weiter lachte die Wirtin der Gargoyle Tavern höflich über einen schlechten Witz.

 

„Also hätten wir vielleicht doch ...“

 

Mr. Graves seufzte und legte seine Gabel zurück auf den Teller. „Tina, Tina, Tina ... Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Sie wollen, dass ich Sie schlecht beurteile.“

 

Tina senkte ihren Blick. „Wenn meine Leistungen entsprechend schlecht waren. Ja, Sir.“

 

„Hören Sie, Sie werden Auror in New York. In ein paar Wochen interessiert es keinen mehr, ob Sie in der Wildnis eine Forelle fangen können, oder nicht.“

 

„Ja, aber -“

 

„Kein aber. Sie waren an diesem See. Sie haben es versucht und es hat nicht funktioniert. Das ist keine Schande. Immerhin haben Sie daraus gelernt, nicht wahr?“

 

„Ja, schon“, stimmte sie zerknirscht zu, „Ich weiß jetzt, dass man Forellen nicht mit dem Zauberstab fangen kann. Aber -“

 

„Sie haben sich den neuen Erkenntnissen angepasst und das ist gut“, versicherte Mr. Graves, „Diese Fähigkeit wird Ihnen noch oft von Nutzen sein. Viel mehr, als die einen Fisch zu fangen.“

 

„Schon, aber -“

 

„Hören Sie, wenn es immer noch wegen New York ist, Sie kriegen die Stelle. Ich werde morgen Nachmittag mit den zuständigen Kollegen sprechen und dann fangen Sie am Montag an.“

 

„Wirklich?“, entfuhr es Tina. „Danke, Sir! Vielen Dank! Aber ...“

 

„Was ist denn noch?“

 

„Meinen Sie nicht, wir hätten die Anderen mitnehmen sollen?“

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: Calafinwe
2019-04-07T17:36:08+00:00 07.04.2019 19:36
Liebe Ro,
 
bei deinem zweiten Beitrag hast du dich dann an Fantastic Beasts mit Percival Graves und Tina Goldstein herangewagt. Das zugeloste Tier war die Forelle.
 
Muss gestehen, damit konnte ich schon etwas mehr anfangen, weil’s einfach zwei Hauptcharaktere waren, die gemeinsam eine Quest lösen mussten. Vom Plot her finde ich es auch hier prima gelöst, eine Szene, die gut und gerne im richtigen HP-Universum so hätte vorkommen können. Anfangs war ich verwirrt, weil ich nicht wusste, ob da jetzt noch zwei oder drei Mitstreiter waren, mit denen Tina sich herumschlagen musste. Aber hinterher bei der Aufgabenverteilung war’s dann klar.
 
Am besten fand ich dann tatsächlich die Angelszene, wo sie versuchen, mit Zaubersprüchen Forellen zu fangen. Meine Lieblingsszene war „Wenigstens habe ich was gefangen“, murrte sie, während sich das Tier mit einem lauten „Platsch“ verabschiedete, „Das ist mehr, als ich bisher von Ihnen sagen kann.“. Einfach grandios. Ich würde mich freuen, wenn mir in vergleichbaren Situationen ähnliche Sprüche einfallen würden.
 
Bzgl. Rechtschreibung und Grammatik gibt es auch hier nicht wirklich was zu bemängeln.
 
Auch hier hast du mir eine Geschichte geliefert, die mir sehr gut gefallen hat und die die gestellte Aufgabe vollends erfüllt hat.
 
LG
Cala~
Von: Arcturus
2018-09-07T18:12:54+00:00 07.09.2018 20:12
„Meinen Sie nicht, wir hätten die Anderen mitnehmen sollen?“
 
Nope. Definitiv nicht. xD
Und Yay für Davids halben Gastauftritt!
Antwort von:  _Delacroix_
07.09.2018 20:14
Schafft auch nur David. Er hat einen Gastauftritt und glänzt mit Abwesenheit. XD
Aberich wette was auch immer in British Honduras so dringend war, es wird ihn beschäftigen
Von:  Teilchenzoo
2018-09-07T17:17:45+00:00 07.09.2018 19:17
Ich glaube, ich hätte es mir sehr einfach gemacht und Accio eingesetzt, so wie der Typ im 7. Band. Festhalten muss man den Fisch dann immer noch, aber man hat ihn schon mal. Trotzdem, sehr amüsant zu lesen, und angeln ist so oder so nicht wirklich einfach.
Find's übrigens wunderbar, dass Graves und Tina scheinbar gleich stark genervt von den anderen sind und sich zusammenrotten :D.
Antwort von:  _Delacroix_
07.09.2018 19:23
Mit Pech hast du dann einen ganzen Berg Fische und sie alle wollen schleunigst wieder weg. XD
Ich glaube die Methode mit einer Angel in der Hand ist eigentlich ganz gut. Wollte ich eigentlich auch erst einbauen, aber irgendwie meinte Tina dann, sie versucht es doch lieber so und dann - Wollten sie einfach nicht mehr aufhören mit dem Unsinn. *schnüff*

Jedenfalls, vielen Dank für den Kommentar^^
Von:  Kerstin-san
2018-09-07T13:14:25+00:00 07.09.2018 15:14
Hallo,
 
na, wenn das nicht mal beste Voraussetzungen für einen Wandertrip sind. Ich glaube nicht, dass ich unbedingt ein Mitglied der Fünferrunde sein wollte, aber als Azubi muss man da wohl gute Miene zum bösen Spiel machen. Arme Tina, das scheint ein ganz ungemütlicher Ausflugp zu werden. Und dann auch noch Fische fangen! Ich würde auch lieber Zelte aufbauen oder Holz suchen. Angeln wär so gar nicht meins (oder in dem Fall: Nicht angeln, sondern die Fisch magisch fangen). Ich fands witzig, dass Graves auch daran gescheitert ist, dann kommt man sich wenigstens nicht als einziger vollkommen unfähig vor, haha.
 
Tja und die anderen warten mit knurrenden Mägen wohl immer noch auf ihr Abendessen. Aber immerhin habens sie es (hoffentlich) warm.
 
Übrigend fand ich die ganzen Fische, die deine Absätze trennen, ganz zuckersüß anzusehen :)
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  _Delacroix_
07.09.2018 19:28
Vielleicht sind die Jungs ja clever gewesen und haben sich was zu essen eingepackt. (Oder ne Angel. Die könnte da auch hilfreich sein. XD)

Die Fische sind die, die Windows anbietet, wenn man unten in der Taskleiste rechtsklickt und sich die Bildschirmtastatur anzeigen lässt. Dann kriegt man da unten so ein kleines Tastatursymbol und wenn man da drauf drückt, kriegt man die Bildschirmtastatur und hinter dem Smiley da sind Unmengen Smileys und Symbole und so. Man muss zwar gucken, weil der Browser die ein bisschen anders anzeigt, als die Tastatur (Und Firefox und Chrome da manchmal kleine Unterschiede haben), aber so sind die wirklich richtig cool und sehr vielfältig. XD


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