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Niichan

von

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Kapitel 6

Kapitel 6

 

Es ist pure Luftnot, die sie dazu zwingt, diesen Kuß zu beenden. Atemlos und mit heftig pochendem Herzen setzt sich Kazuo zurück, die Finger immer noch in Shredders Haaren vergraben.

Sekundenlang starren sie sich nur selbstvergessen in die Augen. Auch Shredders Brust hebt und senkt sich unter schweren Atemzügen. Seine Hände sind von Kazuos Rücken auf dessen Hüften gerutscht und halten ihn nun dort fest.

Sie sind so ineinander versunken, dass sie gar nicht bemerken, wie still es um sie herum geworden ist. Das Technodrome ist zur Ruhe gekommen, der Alarm ist verstummt und das Licht hat wieder auf Normalbeleuchtung gewechselt. Erst Krangs langgezogenes

„Shreddeeeeer!“

wirft sie beide zurück ins Hier und Jetzt.

Und dann senken sie beide den Blick, beschämt und verlegen zugleich.

„Shreddäääääeeeer! Hilf mir endlich!“

„Ja, Krang!“ ruft Shredder genervt zurück, während Kazuo hastig von seinem Schoß rutscht.

Während sein Bruder aufspringt und zu dem Alien hinübereilt, lässt sich Kazuo mit dem Rücken schwer gegen die Konsole sinken und vergräbt das Gesicht in den Händen.

Himmel – was war das eben? Wozu hat er sich da eben verleiten lassen?

 

 

Krang schreit und tobt und flucht und gibt Shredder für alles die Schuld. Aber das meiste seines Gezeters ist nur Show, das erkennt Kazuo sofort. Dieses rosa Gehirn benötigt nur ein Ventil, um seinem Ärger Luft zu machen und das geht am Einfachsten, wenn man die Schuld bei anderen sucht.

Er verlangt lautstark, daß sie - sie alle (ob er damit auch Kazuo meint, ist nicht ganz klar) - sofort hinausgehen und das Technodrome auf äußere Schäden überprüfen sollen, während er die Selbstdiagnose des Hauptcomputers startet.

„Erst bekommt mein Bruder was zu essen", schmettert Shredder ihn unbeeindruckt ab. Er ignoriert Krangs Protest, befiehlt Rocksteady und Bebop „erstmal hier drin etwas aufzuräumen" und führt Kazuo dann aus der Kommandozentrale und wieder zurück in die Küche.

Hier sieht es weniger chaotisch aus als befürchtet. Eine Wasserflasche ist zerbrochen, zwei Stühle sind umgekippt und die Spaghetti haben es nicht überlebt.

Die Schweinerei ist schnell beseitigt.

Shredder wirft einen Blick in den Kühlschrank und ist heilfroh, dass sie es sich schon seit einiger Zeit angewöhnt haben, wo möglich, alles in verschließbaren Plastikschüsseln zu verstauen. So sind sogar die Eier heil geblieben.

„Wir haben noch Sushi da", bietet er seinem Bruder dann nach einer kurzen Bestandsaufnahme an.

„Selbst gemacht?"

„Ja, heute morgen erst."

Schon allein bei dem Gedanken läuft Kazuo das Wasser im Mund zusammen.

„Dein Sushi ist das Beste "

Shredder wirft ihm über die Kühlschranktür einen irritierten Blick zu.

„Es ist nur Sushi."

Kazuo lächelt nur still in sich hinein. Für seinen Bruder war Kochen immer etwas Normales – es gehörte einfach zu seinen täglichen Pflichten, die er erfüllte, seit er alt genug war, um über die Herdplatte sehen zu können. Was blieb ihm auch anderes übrig, bei einer Mutter, die außer Miso-Suppe und Instant-Nudeln gar nichts hinbekam? Und das dann auch noch oft vergaß? Irgend einer mußte den vor Hunger weinenden Kazuo ja satt bekommen und immer bei der Nachbarin schnorren ging nicht.

Also brachte er sich selbst das Kochen bei. Das Resultat waren sehr merkwürdige, aber durchaus schmackhafte Kombinationen und seine Sushi gingen auf den Schulfesten immer weg wie warme Semmeln.

Er hätte lieber Starkoch werden sollen anstatt Wannabe-Welteneroberer.

Er wird aus seinen Erinnerungen gerissen, als sein Bruder ihm die Schale mit dem Sushi in die Hand drückt und dann selbst die Teller aus dem Schrank holt.

Kurze Zeit später sitzen sie wieder am Tisch wie schon vor einer halben Stunde, als sie so unsanft unterbrochen wurden.

Erst nach dem ersten Bissen wird sich Kazuo bewusst, wie gewaltig sein Hunger wirklich ist. Er versucht, nicht zu schlingen, aber so ganz scheint es ihm nicht zu gelingen, wenn man das amüsierte Zucken um Shredders Mundwinkel als Maßstab nimmt.

Nachdem er seinen gröbsten Hunger gestillt hat und ein paar Anstandsminuten ins Land gezogen sind, nimmt Kazuo all seinen Mut zusammen für zwei wichtige Fragen.

„Sagst du mir, was hier vor sich geht? Wieso gab es ein Duplikat von dir? Deine beiden Freunde konnten mir nicht viel dazu sagen."

Shredder hat diese Fragen kommen sehen, aber sie erwischen ihn trotzdem kalt und all die schönen, zurechtgelegten Worte wollen ihm plötzlich nicht mehr einfallen. Er hasst es, vor seinem kleinen Bruder dazustehen wie ein stammelnder Idiot, nur weil ihm die Fachbegriffe nicht mehr einfallen.

„Sie wissen auch nicht viel", gibt er zu, zögert und erklärt dann, und Scheiß drauf, dass das jetzt wenig wissenschaftlich klingt – es ist zumindest die Wahrheit:

„Krang will unbedingt einen Körper. Einen echten, aus Fleisch und Blut. Und wie bei jeder Erfindung gibt es zuerst einen Prototypen. Und das war einer. Das Problem sind nämlich nicht die Körper, sondern die Verbindung zwischen Krangs Bewusstsein und diesen Körpern. Er besetzt ja quasi ein fremdes Gehirn, auch wenn das ohne Eigenbewusstsein ist. Das ist es, was ich für ihn getestet habe. Ich habe ja einen Körper und sollte nun ein paar Fragen in einem Feldtest beantworten. Fragen wie: funktioniert alles wie es soll oder gibt es Übertragungsprobleme? Und vor allem: fühlt sich dieser Körper genauso an wie mein eigener? Fühlt es sich echt an?"

„Und? Hat es sich echt angefühlt?"

„Ja, Scheiße verdammt, das hat es!" bricht es aus Shredder heraus. Er ist blaß geworden und seine Hände zittern sichtlich, als er den Kampf gegen unliebsame Erinnerungen verliert.

„Niichan..."

Kazuo springt auf, ist mit einem einzigen Satz um den Tisch herum und bei ihm und legt seine Arme um ihn. Shredder findet sich unverhofft und mit der Nase voraus in Kazuos T-Shirt gedrückt wieder. Es ist ein ungewohntes Gefühl, aber es ist gut, vor allem, als Kazuo diese Sache mit seinen Haaren macht. Diese eisige Beklemmung und dieses Zittern in seinem Inneren verschwinden nach und nach, je länger Kazuo ihn an sich drückt und seine Haare zaust. Wie von selbst schlingen sich Shredders Arme haltsuchend um Kazuos Taille.

Einige kostbare Sekunden lang erlaubt er es sich, so schwach zu sein, dann atmet er einmal tief durch, packt Kazuo an den Hüften und schiebt ihn daran entschlossen von sich fort.

„Danke. Es geht schon wieder."

Kazuo starrt ihn einen Moment lang nur an, nickt dann stumm und geht wieder auf seinen Platz zurück, wo er seine unterbrochene Mahlzeit wieder aufnimmt.

Eine Zeitlang essen sie schweigend.

„Du solltest darüber reden. Das hilft“, meint Kazuo schließlich, als nichts mehr auf seinem Teller ist.

Shredder wirft ihm einen verärgerten Blick zu.

„Bist du Bulle oder Psychiater?“

„Im Moment? Dein Bruder.“

Das bringt Shredder tatsächlich kurz aus der Fassung. Doch er versucht sich von dem gefährlich warmen Gefühl in seiner Brust nicht übermannen zu lassen. Kazuo war früher sein ein und alles, aber jetzt sind sie erwachsen und sein Otouto hat sein eigenes Leben. In das er übrigens schleunigst wieder zurück muß.

„Wir sollten lieber zusehen, dass wir dich ganz schnell wieder nach Hause bringen“, erklärt Shredder daher und geht in Gedanken schon mal alle Möglichkeiten durch, wie und wo sie Energie für ein Portal abzwacken könnten.

Doch Kazuos Antwort wirft ihn mal wieder aus der Bahn.

„Ich hab's nicht eilig.“

Shredder runzelt die Stirn und mustert ihn durchdringend.

„Du hast doch bestimmt 'ne Freundin, die dich vermisst.“

Kazuo schweigt nachdenklich. Hikari ... er … vermisst sie wirklich nicht. Nicht im Geringsten. Nicht das kleinste bisschen. Und das stört ihn nicht einmal.

„Und was ist mit deiner Arbeit?“ drängt Shredder. „Sollen sich die Kriminellen jetzt etwa von alleine fangen?“

Als sein Bruder auch daraufhin nichts sagt, vertieft sich die Falte zwischen Shredders Augenbrauen und er lehnt sich zu ihm vor, um ihn noch genauer zu mustern.

„Kazuo?"

„Hah?" schnappt dieser zurück ins Hier und Jetzt und schüttelt dann einmal langsam den Kopf, als müsse er unliebsame Gedanken verscheuchen.

„Die kommen alle auch ganz wunderbar ohne mich zurecht“, erklärt er dann entschieden, worauf ihn Shredder nur entgeistert anstarrt.

„Was ist aus meinem kleinen, nervend pflichtbewussten Bruder geworden?“ will er entsetzt wissen.

Der ist genau da, wo er hingehört, denkt sich Kazuo, doch nach außen hin lächelt er nur und zuckt mit den Schultern.

„Ich hab's nicht eilig“, wiederholt er dann doch und betont: „Wirklich nicht. Ich bleibe gerne noch ein paar Tage und helfe euch. Wobei auch immer. Ich meine“, fügt er unter Shredders skeptischen Blick pflichtschuldig hinzu, „solange es nicht gegen das Gesetz ist.“

Obwohl er sich da schon fragt, welche Gesetze hier in der DimensionX wohl so gelten mögen. Die Japans finden hier garantiert keine Anwendung. Aber er sagt das ja sowieso nur, um seinen Niichan zu beruhigen.

„Die DimensionX ist kein Ponyhof, Kazuo“, warnt Shredder eindringlich. Dann seufzt er einmal schwer und fährt sich nervös mit den Fingern durchs Haar. „Ich hätte dich nicht mit hierher bringen sollen. Das war ein riesengroßer Fehler. Bitte entschuldige.“

Obwohl er gerne protestieren würde, nickt Kazuo nur schweigend. Er behält sich aber vor, diese Diskussion zu einem späteren Zeitpunkt fortzuführen. Vorzugsweise, wenn er selber ganz genau weiß, was er eigentlich wirklich will.

 

 



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