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Niichan

von

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Kapitel 5

Kapitel 5

 

Kazuo erwacht aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Träge rollt er sich auf den Rücken und blinzelt an eine helle, ihm absolut unbekannte Decke. Dann kehren die Erinnerungen zurück.

Stimmt ja, er ist im Technodrome.

Er tastet neben sich, doch da ist niemand.

„Niichan?“

Abrupt schießt er in die Höhe und sieht sich um. Der Raum ist groß, ordentlich und sehr zweckmäßig eingerichtet. Hier und da deuten einige Akzente auf die japanische Herkunft seines Bewohners hin, aber ansonsten ist hier niemand außer ihm.

Die eiskalte Kralle der Panik greift nach ihm.

Hat er die sonderbare Wiederauferstehung seines Bruders nur geträumt?

„Saki?“

Hastig springt er aus dem Bett und wäre beinahe über seine direkt davor stehende Reisetasche gefallen. Und dann sieht er das große Badetuch und ein Blatt Papier am Fußende des Bettes liegen. Als er den Zettel neugierig auffaltet, stellt er schnell fest: es ist eine hektisch, aber akkurat gezeichnete Skizze wie er gehen muß, um das Bad zu finden, unterschrieben mit Sakis Signatur.

Zu Kazuos Erleichterung gesellt sich ein stilles, zärtliches Gefühl – wie gut ihn sein Niichan doch kennt. Nicht einmal Hikari hätte gewusst, dass es sein derzeitiger größter Wunsch ist (neben dem, seinen Bruder zu sehen), unter eine erfrischende Dusche zu steigen und sich wieder präsentabel herzurichten. Sie hätte wohl eher auf eine deftige Miso-Suppe getippt.

Obwohl die auch niemand besser kochen kann als sein Bruder....

Das Badezimmer, stellt Kazuo wenig später fest, ist sehr funktionell. Es erinnert ihn sehr an die Gemeinschaftswaschräume im Wohnheim der Polizeiakademie. Da musste man auch mit heißem Wasser sparen. Nur war da das Schild an der Wand, das auf diese Tatsache hinwies, wesentlich höflicher formuliert und auch nicht zweisprachig. Der hiesige Kommandant – also dieses Alien namens Krang, wenn er sich richtig erinnert - will wohl sichergehen, dass ihn jeder hier versteht.

Etwas erfrischt und in sauberen Jeans und T-Shirt und voller Fragen, die er gerne beantwortet hätte, macht er sich fünfzehn Minuten später auf den Weg, seinen Bruder zu finden. Er hat keine Ahnung, wo er mit der Suche anfangen soll, aber den Weg zur Kommandozentrale bekommt er bestimmt noch zusammen.

Sie sparen nicht nur am heißen Wasser, sondern auch am Strom, wie ihm schnell klar wird. Zuerst dachte er, nur der Weg zum Bad sei so mies beleuchtet, aber das scheint doch eher ein generelles Problem zu sein.

Nachdem er drei Minuten einfach nur gelaufen ist, gesteht er es sich ein:

Er muss irgendwo falsch abgebogen sein. So lang war der Weg zwischen Kommandozentrale und Sakis Quartier nun auch wieder nicht!

Kazuo hält an, dreht um und geht zurück. Gerade als er wieder an seinem Orientierungssinn zu zweifeln beginnt, hört er Stimmen und erreicht so einen Raum, der verdächtig nach einer Küche aussieht.

Doch die Hoffnung, dort seinen Bruder anzutreffen, erfüllt sich nicht. Stattdessen trifft er auf zwei Mutanten: ein Nashorn und ein Warzenschwein. Oh. Er erinnert sich, sie bei seiner Ankunft gesehen zu haben. Und... auch schon vor anderthalb Jahren. Und in den Akten, die er zu seinem Bruder und dessen kriminellen Aktivitäten zusammengetragen hat.

Ihm fallen sogar ihre Namen wieder ein.

„Hallo?“ meint er in Englisch, hebt grüßend die Hand und wagt ein kleines Lächeln. „Ihr seid Rocksteady und Bebop, nicht wahr? Ich bin“, gerade noch rechtzeitig erinnert er sich, daß im Westen die Namen umgestellt werden, also: „Kazuo Oroku, freut mich, eure Bekanntschaft zu machen … ah … ich suche meinen Bruder, habt ihr ihn irgendwo gesehen?“

Die beiden starren ihn über ihre Spaghetti mit Fleischbällchen argwöhnisch an.

„Bitte?“ fügt er höflich hinzu.

Die beiden werfen sich einen Blick zu.

„Setz dich“, grollt Rocksteady und schiebt ihm mit dem Fuß einen Stuhl zurecht. „Und iss erstmal was. Ich hör deinen Magen ja bis hierher knurren.“

Erst als er das ausspricht, wird sich Kazuo peinlich berührt bewusst, wie recht er mit dieser Aussage doch hat.

Er setzt sich zwar, aber eine Mahlzeit lehnt er trotzdem ab. Er will nur so schnell wie möglich seinen Bruder sehen.

„Pech gehabt“, meint Rocksteady daraufhin nur unbeeindruckt. „Damit mußt du warten, bis wir aufgegessen haben.“

„Was zu trinken?“ bietet Bebop etwas freundlicher an und schiebt ihm eine halbvolle Wasserflasche und ein Glas zu. Das Glas sieht schon benutzt aus.

„Danke“, meint Kazuo nur, verzichtet auf das Glas und trinkt lieber gleich aus der Flasche. Die beiden starren ihn verdutzt an, doch dann grinsen sie bis über beide Ohren.

„Jepp“, lacht Rocksteady vergnügt. „Du bist eindeutig der Bruder unseres Chefchens.“

Kazuo ist nur froh, dass es so leicht war, das Eis zu brechen.

„Warum bist hier?“ will Rocksteady plötzlich wissen, dem es entgegen seiner Worte wichtiger zu sein scheint ihn auszufragen als sich seine Spaghetti einzuverleiben, denn seit Kazuo hier ist, hat er keinen einzigen Bissen mehr davon genommen. Bebop dagegen schlürft seine Nudeln mit Hochgenuß.

„Ich weiß es nicht“, gibt Kazuo ehrlich zu. „Aber ich bin froh, dass er mich mitgenommen hat.“

„Wir trauen Bullen nicht“, erklärt Rocksteady kategorisch und fügt dann aber etwas sanfter hinzu: „Aber ist schon in Ordnung, er hat gesagt, wir sollen dich nett behandeln. Und das alles war sicher ein Schock für dich.“

Kazuo nickt zustimmend und schaudert bei der Erinnerung daran unwillkürlich zusammen.

„Es ging alles so schnell...“, flüstert er rauh, während sein Blick immer abwesender wird. „Eben war er noch da und dann ...“

„Das war er nicht“, unterbricht ihn Rocksteady scharf. „Er war die ganze Zeit hier. Das war nur ein Avatar, der nur genauso aussah wie er. Aber er war immer hier.“

Verwirrt starrt Kazuo ihn an, denn Saki hat ihm das doch ganz anders erklärt. Dann bemerkt er Bebops bestürzte Miene und sieht, wie dieser seinem Kumpel beruhigend die Hand tätschelt und versteht, dass der Nashornmutant beschlossen hat, das alles auf seine ganz eigene Art zu sehen, weil die Wahrheit zu schrecklich für ihn ist.

Und Kazuo kann es ihm nicht einmal verübeln.

„Gibt es noch mehr solcher … Avatare?“ fragt er stattdessen, dem wahrheitssuchenden, neugierigen Polizisten in sich nachgebend. „Auch welche von euch? Und warum überhaupt?“

„Das war einer von Krangs Feldtests“, beantwortet diesmal Bebop seine Fragen bereitwillig. „Wir wissen nicht, warum, Krang weiht uns nicht immer in alles ein. Wir verstehen das meiste davon sowieso nicht. Und nein, von uns gibt es keine. Jedenfalls nicht, dass wir wüssten“, fügt er mit einem schiefen Lächeln hinzu und zupft sich verlegen an seinem Nasenring.

„Krang hätte ihn gar nicht mit diesem Avatar losschicken sollen“, schnauft Rocksteady verärgert.

„Aber Rock-“ beginnt Bebop, doch dieser bringt ihn mit einer wütenden Geste zum Schweigen.

„Nein, Beeps, es war ein Fehler! Das hat Shredder doch nur dazu verleitet, mehr auf Risiko zu spielen. Oder glaubst du im Ernst, er hätte normalerweise die Turtles von uns weggelockt und sich auf einen Kampf mit ihnen eingelassen? Wir trennen uns nie, wenn ein Kampf droht, und das aus gutem Grund!“ Aufgebracht schlägt er mit der Faust auf den Tisch, daß Teller und Gläser nur so klirren.

Kazuo zuckt erschrocken zusammen, sagt aber nichts dazu. Und Fragen jeder Art verkneift er sich auch lieber erst einmal.

„Was schreist du hier denn so herum?“ ertönt plötzlich eine scharfe Stimme vom Gang her und dann betritt Shredder in Kampfstiefeln und schlichtem, schwarzen Overall mit Footclan-Logo, die Küche.

Als er Kazuo sieht, verschwindet aller Ärger aus seiner Miene. Mit einem leichten Lächeln geht er vor ihm in die Knie, ergreift seine Hände und mustert ihn besorgt.

„Wie geht es dir, Kaz-chan?“

Es ist merkwürdig. Bis eben war Kazuo noch die Ruhe selbst, aber kaum sieht er seinem Bruder in die Augen, spielt sein Puls völlig verrückt.

„Gut, danke“, flüstert er schließlich.

Shredder mustert ihn noch einmal prüfend, nickt dann und tätschelt Kazuos Knie, während er sich wieder aufrichtet.

„Ich habe dich gesucht“, tadelt er ihn dabei. „Du kannst doch nicht einfach das Quartier verlassen und hier herumspazieren. Das Technodrome ist riesig. Du hättest dich verlaufen können. Hast du Hunger? Warum habt ihr Idioten ihm denn nichts gegeben?" fährt er seine Mutanten im selben Atemzug an.

„Haben sie", verteidigt Kazuo sie, bevor sie das selbst tun können. „Aber ich wollte nicht. Jetzt nehm ich aber gerne was. Wenn du auch etwas ißt."

Shredder, schon auf dem Weg zum Herd, hält bei diesen Worten noch einmal inne und wirft ihm einen funkelnden Blick über die Schulter hinweg zu. Um seine Lippen zuckt ein verschmitztes Lächeln.

Kazuo lächelt zurück, froh, daß sich sein Niichan offensichtlich genauso gut an ihre kleinen Rituale erinnert wie er.

Ihre gemeinsamen Mahlzeiten bedeuteten ihm viel, und daß es seinem Bruder ebenso ergeht, erkennt er, als dieser seine Mutanten ungnädig aus der Küche scheucht.

Und doch kommen sie leider gerade mal dazu, sich hin zu setzen.

Plötzlich gehen alle Lichter aus, die rote Notbeleuchtung springt an und ein langgezogener Alarmton jault durch das gesamte Technodrome.

 

 

Shreddddeeeeer! Tu endlich was!"

„Tu ich doch!" schreit Shredder zurück und schiebt Krangs Androidenkörper unter lautem Ächzen und mit Kazuos tatkräftiger Unterstützung in eine Ecke. Dort hilft er dem mechanischen Ungetüm dann mit einem freundlichen Tritt in die Kniekehlen, sich hinzusetzen.

Das doch nicht!" jault Krang über den Lärm des Alarms. „Du sollst das reparieren!"

„Das versuch ich schon seit drei Monaten! Ich bin Ninja und kein Quantenmechaniker!"

„Wofür bist du überhaupt gut?" nölt Krang, während seine Tentakel auf der Suche nach zusätzlichem Halt durch die Luft peitschen.

Shredder verdreht nur die Augen, packt seinen Bruder am Arm und zerrt ihn mit sich zu einer Reihe von freistehenden Säulenkonsolen hinüber.

Kazuo erhascht einen schnellen Blick auf Rocksteady und Bebop, die hinter einem Kommandosessel Schutz gesucht haben und sich aneinander festklammern. Sie wirken nicht, als würden sie so etwas zum ersten Mal machen.

Die Notbeleuchtung taucht die ganze Kommandozentrale in ein blutig rotes Licht. Und das Technodrome wird immer noch durchgeschüttelt wie bei einem Erdbeben.

Kazuo hat keine Ahnung, was hier vor sich geht, aber als sich Shredder zwischen zwei Konsolen zu Boden sinken lässt, folgt er ihm bereitwillig.

„Was ist hier los?" stellt er schließlich die dringlichste Frage der letzten Minuten.

„Phasenverschiebung", erklärt Shredder, während er sich mit dem Rücken gegen das harte Metall lehnt und ihn dann nah zu sich heranzieht. „Das Technodrome steckt in einer Zwischendimension fest. Die Gravitation der Erde und die der DimensionX ziehen an uns und so wie es aussieht, gewinnt die DimensionX heute. Es tut mir leid", seufzend schlingt er seinen Arm um Kazuos Taille und drückt ihn ganz fest an sich. „Wenn wir erst mal in der DimensionX sind, sitzen wir da fest. Die Portalenergie ist auch fast erschöpft, du kommst also erstmal nicht zurück. Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht mitbringen dürfen", murmelt er mehr zu sich selbst.

Energisch schüttelt Kazuo mit dem Kopf.

„Ich bin froh, daß du es getan hast. Es ist mir egal, ob ich in irgend einer fremden Dimension festsitze, solange du auch da bist. Lebendig.“

Shredder mustert ihn gerührt. „Otouto ...“

„Baka“, erklärt Kazuo nur freundlich und gibt ihm einen Knuff gegen die Schulter.

Leider findet die brüderliche Neckerei ein schnelles Ende, als sich der Boden plötzlich hebt und senkt wie bei einem starken Wellengang auf hoher See. Dazu noch das ständige Zittern und Beben – Kazuo ist richtig froh, noch nichts gegessen zu haben.

Unter das Heulen des Alarms mischt sich plötzlich das Kreischen von mißhandeltem Metall.

„Es geht los. Halt dich fest.“ Mit diesen Worten stemmt Shredder die Absätze gegen die Nachbarkonsole und schlingt beide Arme fester um seinen Bruder.

Kazuo folgt seinem Beispiel und stützt sich mit seinen Füßen ebenfalls an der Konsole ab, doch im Gegensatz zu den geriffelten Stiefelsohlen seines Bruders finden die glatten seiner Turnschuhe kaum Halt.

Und so krallt er sich an seinem Bruder fest, während dieser ihn eng an sich drückt und das ist so.... beschämt senkt Kazuo den Blick. Trotz der ganzen kritischen Situation, in der sie sich offensichtlich befinden, kann er nur daran denken, wie nah sie sich sind. Ihre Oberschenkel berühren einander, ihre Hüften und verdammt nochmal – er liegt fast mit seinem gesamten Oberkörper auf ihm, seine Lippen sind so dicht an seinem Hals, er könnte ihn küssen, wenn er wollte.

Saki riecht nach Maschinenöl, Ozon und Zedernholz und er ist so warm...

Durch das Technodrome geht so etwas wie ein Schlag und reißt ihn brutal aus seinen schwärmerischen Gedanken. Erschrocken sieht er sich um, aber das war ein Fehler, denn die Welt um sie herum verbiegt sich wie in einem Zerrspiegel und als sie dann auch noch zu flackern beginnt, will er instinktiv die Augen schließen, doch die Stimme seines Bruders hält ihn davon ab.

„Nein, Kazuo, schließ nicht die Augen. Davon wird es nur schlimmer. Sieh mich an. Sieh mich einfach nur an.“

Gehorsam hebt Kazuo den Kopf und versinkt nur allzu bereitwillig in den samtbraunen Augen seines Bruders. In diesem blutig rotem Licht wirken sie allerdings beinahe schwarz und fremd. Doch Sakis Miene ist so sanft, so besorgt, daß Kazuo ihm gerne gesagt hätte, daß alles in Ordnung ist, daß er sich sicher fühlt, aber ihm ist übel und wahrscheinlich würde da jetzt etwas ganz anderes aus seinem Mund kommen als Worte.

Also preßt er nur die Kiefer zusammen und versucht ihm all das mit seinem Blick mitzuteilen.

Seine Ohren melden ihm ein reißendes Geräusch, als würde jemand ganz langsam und genüßlich ein Bettlaken zerfetzen, dazu weiterhin das Stöhnen und Ächzen von Metall und dieser gräßliche Alarm.

Irgend jemand stößt einen unflätigen Fluch aus und er hört Husten, Würgelaute und Stöhnen und dann, ganz plötzlich, hört er nur noch seine eigenen Atemzüge und die seines Bruders. Es dauert nicht lange, dann hat sich ihre Atemfrequenz einander angepasst.

Vorsichtig entspannt Kazuo seine Finger, die sich bisher krampfhaft in Shredders Overall krallten und legt sie flach auf seine Brust, bis er nicht nur fühlt, wie sich Shredders Oberkörper unter seinen Atemzügen hebt und senkt, sondern er auch seinen Herzschlag spüren kann.

Und die ganze Zeit über sehen sie sich in die Augen. Da ist plötzlich etwas in Shredders Blick, irgend etwas in seiner Miene, ein Echo aus längst vergangenen Zeiten und im nächsten Moment weiß Kazuo nur noch, daß er auf Shredders Schoß sitzt, die Hände in seinem Haar verkrallt und ihn küsst und küsst und küsst als gäbe es kein Morgen mehr, während um sie herum immer noch die Hölle tobt.

 

 



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