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Smallville-Expanded - 08

Relationship
von

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Morgenstimmung


 

2.
 

MORGENSTIMMUNG
 

Am nächsten Morgen war Alicia Sterling schon vor 07:00 Uhr auf den Beinen. Sie machte Kaffee und lächelte bei dem Gedanken daran, dass Christian sich sicher darüber freuen würde, wenn er aufgestanden war.

Alicia grübelte darüber nach, dass sie gestern ziemlich kurz ab zu Christian gewesen war, nachdem er ihr mitgeteilt hatte, dass er Leonie nicht in ein Hotel verfrachtet hatte. Erst als sie heute Morgen aufgewacht war, kam ihr in den Sinn, dass Christian für ein solches Verlangen einfach zu höflich war.

Also hatte sie beschlossen das Thema auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen. Vielleicht würde Leonies Anwesenheit gar nicht so schlimm werden, wie sie es sich gestern noch ausgemalt hatte.

Wie um ihre Gedanken Lügen zu strafen hopste im nächsten Moment Leonie, nur mit einem Slip und einem dünnen Träger-Shirt bekleidet, die Treppe hinunter. Zielsicher folgte das blonde Mädchen dem Kaffeeduft und sah Alicia begeistert an, als diese sich selbst gerade eine Tasse eingoss. „Hey, du bist ja schon sehr früh auf den Beinen, Alicia. Der Kaffee duftet großartig. Kriege ich auch einen?“

„Den habe ich eigentlich für Chris gemacht“, gab Alicia etwas unwillig zurück. Dann besann sie sich auf ihre gute Erziehung und meinte, mit gezwungenem Lächeln: „Aber klar.“

Alicia nahm sich eine weitere Tasse und goss Leonie einen Kaffee ein. Ihn ihr über den Tisch reichend, fragte sie: „Hast du auch bemerkt, dass es seltsam ruhig im Haus ist?“

Mit einem dankbaren Lächeln nahm Leonie die Tasse von Alicia entgegen. Ihr Haar zurück werfend stellte sie ihren linken Fuß auf den Stuhl neben sich und meinte: „Die sind Alle sehr früh aufgebrochen, heute Morgen. Wohin Christians Vater und seine Tante wollten, weiß ich nicht. Die beiden sind ja als Frühaufsteher bekannt. Vielleicht will Gernot seinen Bruder, in Smallville, besuchen. Mit Christina hatte ich gestern Abend eine interessante Unterhaltung. Sie ist wirklich sehr nett. So, wie ihre verstorbene Schwester war.“

Ohne von dem Kaffee zu trinken sah Leonie unschuldig zu Alicia und wechselte dann das Thema, indem sie grinsend fragte: „Also - Christian und du?“

Alicia lächelte schwach und behielt das Mädchen im Auge. Das Thema mit Leonie zu erörtern war ihr unangenehm. „Ja, richtig. Chris und ich und…“

Alicia wurde abgelenkt, als sie Christian bemerkte, der sich, etwas verschlafen und den schwarzen Morgenmantel schließend, der Küche näherte. Wieder zu Leonie blickend fragte sie: „Willst du dir nicht vielleicht etwas mehr anziehen?“

Erstaunt sah Leonie zu Alicia. „Warum denn? Christian kennt mich doch und alle anderen Vögel sind bereits ausgeflogen.“

Damit griff Leonie zur Seite und nahm sich die Anis-Dose, die sie gestern beim Kochen noch benutzt hatte. Sie gab etwas davon in den Kaffee.

Christian, der Alicia und Leonie am Tisch entdeckte, sah, irritiert wegen der spürbaren Anspannung, von einem Mädchen zum anderen. „Guten Morgen, ihr Beiden. Ist etwas?“

„Nein“, erwiderte Leonie und zwinkerte Christian dabei keck zu. „Deine Freundin hat Kaffee gemacht.“ Damit schob das blonde Mädchen die Tasse über den Tisch in Richtung ihres Ex-Freundes. „Der hier ist für dich.“

Dankbar nahm Christian die Tasse vom Tisch und nahm einen großen Schluck. Dabei gab er ein genießerisches Brummen von sich und sah zu Leonie, als er die Tasse auf den Tisch zurück stellte. Auf die Tasse deutend fragte er: „Hm. Was ist da drin? Ist das etwa…?“

„Anis!“, bestätigte Leonie vergnügt, in demselben Moment, als Christian begeistert danach fragte.

Das gezwungene Lächeln auf Alicias Gesicht erstarrte. „Anis?“

Sich für einen kurzen Moment mit dem Rücken an Christian lehnend, sah Leonie zu Alicia und erklärte: „Wenn wir uns früher, beim Lernen vor einer Klausur, die Nacht um die Ohren geschlagen haben, dann habe ich immer Anis in Christians Kaffee gegeben. Das sorgte für den Extra-Kick. Willst du es auch mal versuchen.“

Langsam ihre Tasse Kaffee auf dem Tisch abstellend, sah Alicia forschend zu Christian und erklärte: „Nein. Ich hatte bereits genug Kick für einen Vormittag. Wenn du nichts dagegen hast, dann lasse ich mich von deinem Chauffeur zu Samantha fahren.“

„Kein Problem“, versicherte Christian ihr.

Alicia machte sich auf den Weg zur Eingangshalle. Christian entschuldigte sich kurz bei Leonie und folgte seiner Freundin umgehend. Sie vor der Haustür einholend nahm er ihre Hand und zog sie nachdrücklich zu sich herum. Dabei versicherte er ihr: „Hey. Hör mal: Die Sache mit dem Kaffee und dem Anis… Ich bin sicher, Leonie hat nichts damit bezweckt. Sie wollte nur aufmerksam sein.“

„Ja, davon bin ich überzeugt“, gab Alicia ironisch zurück.

„Also bist du nicht sauer?“

Das Mädchen funkelte Christian vielsagend an. „Oh, du meinst wohl, weil sich deine Ex-Freundin so wohl bei dir Zuhause und mit deiner Familie fühlt und weil Sie Dinge von dir weiß, die ich nicht weiß? Warum sollte ich deswegen sauer sein?“

Christian sah Alicia inständig an. Dann kam ihm eine Idee und er meinte: „Sieh mal: Was hältst du davon, wenn ich im AMBASSADOR-Hotel die Präsidenten-Suite buche. Dann haben wir zwei in der nächsten Zeit Ruhe vor nervigen Mitbewohnern und Ex-Freundinnen. Wir lassen es uns gutgehen und du wirst nicht mehr damit konfrontiert.“

„Ich sollte nicht damit konfrontiert werden, weil du hättest Nein sagen sollen“, zischte Alicia, auf ihrem Standpunkt beharrend.

„Ja“, räumte Christian reumütig ein. „Aber das habe ich nicht und jetzt kann ich auch nicht mehr. Darum mein Vorschlag mit dem AMBASSADOR.“

„Nein, das kommt gar nicht in Frage. Weißt du was? Ich bin erwachsen genug um mit deiner Ex-Freundin in demselben Haus zu wohnen, klar?“

„Du kommst also damit zurecht?“

„Ja… Hasi-Schatzi. Ich werde mich eben damit arrangieren, dass Leonie, vor unseren Augen, halbnackt durch die Villa hüpft.“

Christian bemerkte den bitteren Unterton in der Stimme seiner Freundin und seufzte leise und stellte fest: „Okay, ich komme nicht ungeschoren aus dieser Nummer heraus. Aber wir schaffen das. Ein paar Tage halten wir aus, mit meiner verrückten Ex-Freundin.“

Alicia gab Christian einen flüchtigen Abschiedskuss auf die Wange und war im nächsten Moment zur Tür hinaus. Einen betreten dreinblickenden Jungen zurücklassend.
 

* * *
 

Als Christian wieder in die Küche kam, war von Leonie keine Spur zu entdecken. Er vermutete, dass sie sich ins Gäste-Bad begeben hatte. Er selbst beschloss, dass eine Dusche jetzt wirklich nicht das Verkehrteste war. Dabei griff er gedankenlos zu dem Kaffee, der noch auf dem Küchentisch stand und trank ihn aus.

Als er, eine halbe Stunde später, frisch geduscht und angezogen sein Arbeitszimmer betrat, war im Haus immer noch keine Spur von Leonie zu entdecken. Vielleicht hatte sie sich nochmal hingelegt. Christian befand, dass er das nicht bedauern würde. Auf diese Weise hatte er etwas Ruhe, um seine Gedanken und Gefühle zu sortieren.

Das Arbeitszimmer, das zum Park hinaus lag, war zu Lebzeiten von seiner Tante Annette auch zu diesem Zweck genutzt worden. Allerdings hatte er es komplett neu eingerichtet. Anders, als den Rest der Villa.

Aus der Küche hatte Christian sich einen zweiten Kaffee mitgenommen. Ganz bewusst ohne Anis. Seine neue Tagesroutine, die er sich in den letzten Monaten angewöhnt hatte, lenkte ihn etwas ab. Hin und wieder von seinem Kaffee trinkend warf er einen Blick auf die aktuellen Aktienkurse, bevor er, nach Codeeingabe, ein weiteres Fenster auf dem Bildschirm öffnete. Mit einem Blick auf den aktuellen Kontostand lehnte er sich in dem bequemen Ledersessel zurück und starrte nachdenklich auf die Summe, die dort stand. Dabei seine Tasse Kaffee in den Händen haltend.

So fand ihn Leonie vor, als sie das Zimmer, auf der Suche nach im, betrat. Sie hatte sich dezent geschminkt und auch angezogen, wie Christian erleichtert feststellte.

Ihren Ex-Freund etwas verlegen ansehend blieb sie im Türrahmen stehen und fragte mit leiser Stimme: „Darf ich eintreten, oder gehst du hoch geheime Dateien durch?“

Christian lächelte schwach. „Keine Geheimnisse. Komm rein.“

Zögerlich näherte sich Leonie dem Schreibtisch. Dabei meinte sie: „Ich hoffe nicht, dass ich zu viel Unruhe in dein Leben bringe. Ich habe übrigens bereits davon gehört, dass du zu einem der reichten Männer des Landes geworden bist. Wow. Wie kommst du damit klar?“

„Na ja“, erwiderte Christian. „Ich hatte mich an den Gedanken gewöhnt, dass ich irgendwann das Unternehmen meines Vaters übernehmen würde. Aber dass ich, mit gerade achtzehn Jahren, selbst ein solches Unternehmen besitzen würde, das kam unerwartet und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob Tante Annette mir damit einen Gefallen getan hat.“

Leonie sah erstaunt zu ihrem Ex-Freund und dieser erklärte rasch: „Das soll keine Undankbarkeit sein. Ich weiß, dass Tante Annette es gut meinte. Offensichtlich war sie der Meinung, dass ihr Unternehmen in meinen Händen am besten aufgehoben sei. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob sie mir damit nicht zu viel zugetraut hat.“

Übergangslos ernst, sah Leonie Christian an. Sie umrundete den Schreibtisch und erwiderte überzeugt: „Ich denke, sie hat an dich geglaubt. Natürlich muss ihr klar gewesen sein, dass dir das nötige Fachwissen und auch die Reife fehlt, dieses Unternehmen jetzt zu führen. Doch sie hat vermutlich darauf vertraut, dass das eines Tages anders sein wird.“

Christian nickte in Gedanken. „Vielleicht hast du Recht. Aber der Gedanke an die Verantwortung, für 250.000 Angestellte des Unternehmens, ist manchmal beängstigend.“

Deine Tante Christina sagte mir gestern, dass du hervorragende Angestellte haben würdest. Allen voran erwähnte sie einen gewissen Sprenger…“

„Specter“, verbesserte Christian grinsend, während Leonie einen kurzen Blick auf den Bildschirm warf.

Das Mädchen deutete auf die zehnstellige Zahl und fragte beeindruckt: „Ist das etwa der Umsatz deines Unternehmens? Ich bin beeindruckt.“

„Äh… nein, Leonie. Das ist mein aktueller Kontostand. Das Privatvermögen, dass mir Tante Annette vererbte. Oder besser gesagt schenkte, kurz vor ihrem Tod. Sie tat das aus steuerlichen Gründen, als ihr klar war, dass sie nicht mehr lange zu leben hat.“

Christian schloss das Fenster auf dem Bildschirm und lehnte sich wieder zurück. Dabei nahm er kaum wahr, dass Leonie, die hinter seinen Sessel trat, ihre Hände auf seine Schultern legte, und sie sanft massierte. So, wie sie es früher oft getan hatte. Dabei erklärte er, die sanfte Massage genießend: „Der Umsatz des Unternehmens lag im letzten Jahr bei rund dreihundert Milliarden Dollar, bei einem Gewinn von siebenundzwanzig Milliarden Dollar. Das sind sehr gute Werte für mein Unternehmen.“

„Und du hast noch nicht durchgedreht und dir einen Lamborghini gekauft? Oder einen eigenen Privatjet?“

Christian lachte leise und raunte angenehm entspannt: „Nein, das nicht. Obwohl ich vor kurzer Zeit meinen Flugschein gemacht habe und der Learjet, seit zwei Monaten, bestellt ist. Alicia war nicht begeistert, als ich ihr davon erzählt habe. Doch als Besitzer von Falken-Industries muss ich mobil sein und der Firmenjet wird mitunter von Fynn Specter genutzt. Außerdem muss ich, nach Außen hin, auch das Unternehmen widerspiegeln.“

Leonie lachte leise. „Dein Vater sagte, Alicia kommt aus eher…“

„Einfachen Verhältnissen? Hör zu: Alicia ist eine intelligente, junge Frau. Ich liebe sie genau deshalb, weil sie ist, wie sie ist – und was zur Hölle machst du mit meinen Schultern?“

Schnell zog Leonie ihre Hände weg. „Ach, das war unbedacht. Eine Angewohnheit aus der Zeit, als wir zusammen waren.“

„Gewöhne es dir bitte ab, okay?“ Christian fuhr den PC herunter, als sein Handy klingelte. Er griff danach, sah auf das Display und hob etwas die Augenbrauen.

„Hier Christian von Falkenhayn. Wer spricht?“

Leonie machte zwei Schritte zur Seite und beobachtete Christian dabei, wie er eine ganze Weile aufmerksam zuhörte, was sein Gesprächspartner zu sagen hatte. Erst nach geraumer Weile sagte der Junge: „In Ordnung, ich bin in einer halben Stunde auf dem Ersten Revier. Sie sagten Lieutenant Sawyer wäre Ihr Name? Okay, dann in dreißig Minuten.“

Christian unterbrach die Verbindung und sah entschuldigend zu Leonie. „Tut mir leid, aber ich muss weg. Wenn du etwas brauchen solltest, dann wende dich einfach an Diane Bennings. Falls du irgendwo hin möchtest, der Chauffeur wird dich gerne hin bringen.“

„Okay, danke Christian.“

Mit einem Lächeln verließ Christian das Arbeitszimmer, gefolgt von seiner Ex-Freundin, die den Anrufer verfluchte, der diesen Moment mit Christian unterbrochen hatte.
 

* * *
 

Am Steuer seines Pickups sitzend und in Richtung Down-Town fahrend, atmete Christian erleichtert auf. Dass Leonie ihm eben so nahe gewesen war, hatte ihn verwirrt. Der Anruf von diesem Lieutenant Sawyer, vom Metropolis-Police-Department, war darum genau zur rechten Zeit erfolgt.

Alicia hatte ihn einmal nach Freundinnen in Deutschland gefragt. Er hatte ihr wahrheitsgemäß geantwortet. Allerdings hatten sie nie darüber gesprochen, wie lange er mit Leonie zusammen gewesen war.

Er war es gewesen, der sich von Leonie getrennt hatte, nachdem sie fast zwei Jahre zusammen gewesen waren. Leonie war seine erste große Liebe gewesen. Bis er am Ende erkannt hatte, dass sie ihm, mit ihrer Art, die Luft zum Atmen genommen hatte. Dazu kam die Tatsache, am Ende feststellen zu müssen, dass ihn im Grunde mehr ihr tolles Aussehen gereizt hatte, als ihre mitunter ziemlich chaotische Art. Leonie war ein tolles Mädchen, doch keines mit dem er dauerhaft zusammen sein konnte. Diese Erkenntnis hatte am meisten geschmerzt, als er sich dazu entschieden hatte, sich von ihr zu trennen.

Das war etwa vier Monate vor dem Tod seiner Mutter gewesen. Kurz vor seinem siebzehnten Geburtstag. Dennoch war sie damals, als gute Freundin, für ihn da gewesen und das rechnete er ihr immer noch hoch an.

Christian atmete tief durch und verscheuchte die Gedanken an Leonie. Den Ellenbogen auf den Rahmen der Wagentür gelehnt blickte er in den Rückspiegel. Der Streifenwagen verfolgte ihn jetzt schon eine ganze Weile. Mit einem schnellen Blick auf den Tacho überzeugte Christian sich davon, dass er das Tempolimit eingehalten hatte. Alles in Ordnung. Er fuhr knapp unter den erlaubten 35 Meilen pro Stunde. Anders, als in Deutschland, wurde hier in den USA kein Toleranzwert abgezogen. 35 Meilen hieß: 34,9 ist in Ordnung – 35 ist grenzwertig aber in Ordnung – 35,1 und du hast ein Problem.

Wieder nach vorne blickend sagte sich Christian, dass der Beamte in dem Wagen sicherlich nur zufällig denselben Weg hatte, wie er selbst.

Keine drei Sekunden später blinkten die roten und blauen Leuchten auf dem Dach des Wagens auf und über den Lautsprecher wurde er aufgefordert, umgehend rechts ran zu fahren und anzuhalten. Die Stimme schien einer Frau zu gehören.

Sicher nur eine Routine-Kontrolle, dachte Christian, setzte den Blinker und fuhr auf den Randstreifen. Die Villa seiner Tante lag in einem Außenbezirk von Metropolis, den er gerade eben verlassen hatte.

Der Streifenwagen hielt hinter seinem Pickup. Eingedenk einiger Ratschläge seines Onkels, kurz nachdem er seinen Führerschein gemacht hatte, blieb er ruhig im Wagen sitzen, schaltete den Motor ab und wartete auf den Officer.

Im Rückspiegel erkannte Christian, dass es eine junge Frau war, die aus dem Streifenwagen stieg. Offensichtlich war seine Spende nötig, denn er erkannte außer ihr keinen zweiten Beamten im Wagen. Die Frau trug eine getönte Sonnenbrille. Trotzdem konnte Christian erkennen, dass sie einen südländischen Touch hatte, bevor sie ihre Dienstmütze auf das schwarze, straff zurück gebundene Haar setzte. Mit der Rechten auf dem Kolben ihrer Dienstwaffe, näherte sie sich nun dem Pickup und neugierig sah Christian zum geöffneten Wagenfenster hinaus. Freundlich lächelte er sie an.

„Guten Morgen, Officer. Was kann ich für Sie tun?“

Als die Frau sich auf Höhe der Fahrertür befand erkannte Christian, dass sie nicht gerade zu den Hochgewachsenen zählte. Er schätzte, dass sie bestimmt einen Kopf kleiner war, als er selbst. Wegen der Sonnenbrille war ihr Alter kaum zu schätzen, doch der Deutsche befand, dass sie kaum älter als zwanzig Jahre sein konnte. Trotz der für Frauen unvorteilhaft geschnittenen, dunkelblauen Uniform bemerkte Christian, dass sie eine sehr frauliche Figur besaß. Einer feurigen Latina angemessen, wie er fand.

„Machen Sie bitte die Wagentür auf und reichen mir die Fahrzeugpapiere heraus“, sagte sie mit heller, leicht rauchiger Stimme. Sie besaß einen deutlich vernehmbaren, lateinamerikanischen Akzent. „Aber bitte keine überhasteten Bewegungen.“

Christian bemerkte die leichte Nervosität der Frau und mit bewusst bedachtsamen Bewegungen öffnete er das Handschuhfach des Pickups. Er entnahm die Papiere und reichte sie der Polizistin. Dabei versuchte er das Eis etwas zu brechen, indem er fragte: „Was liegt denn an, Officer? Liegt ein besonderer Grund vor, mich anzuhalten?“

„Die Fragen stelle ich, Sir“, gab die Frau kühl zurück. „Dieser Pickup ist auf einen der reichsten Männer Amerikas zugelassen.“

„Ich weiß“, nickte Christian.

„So, das wissen Sie also. Sie gehören offensichtlich zu den ganz Schlauen. Dann können Sie mir auch sagen, wie Sie an das Steuer dieses Pickups kommen?“

Ein amüsiertes Lächeln überflog das Gesicht des Jungen. Immer noch freundlich erwiderte er: „Natürlich. Er gehört mir.“

Die Polizistin nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in den Ausschnitt ihres Uniformhemdes. Als sie bemerkte, dass die blauen Augen des Jungen ihren Bewegungen folgten, fuhr sie ihn an: „Hey, Mister, meine Augen sind hier oben! Und jetzt steigen Sie bitte aus dem Wagen aus und drehen sich um.“

Das bisher freundliche Gesicht des Jungen spannte sich an. Entgegen den Ratschlägen seines Onkels machte er keine Anstalten auszusteigen, sondern fragte verärgert: „Was soll das, Officer. Ich habe einen Termin in Metropolis. Lustigerweise bei einer Polizistin.“

In die dunklen Augen der Latina trat ein kaltes Glitzern. Ihre Hand schloss sich um den Kolben ihrer Dienstwaffe und bedrohlich sagte sie: „Ich werde die Aufforderung nicht noch einmal wiederholen, Sir.“

Christian, dem die Handbewegung nicht entgangen war, gab sich geschlagen. Ganz offensichtlich war das nicht sein Tag. Also stieg er ganz behutsam aus dem Wagen und drehte der Polizistin den Rücken zu. Nicht ohne einen letzten Versuch zu unternehmen, vernünftig mit ihr zu reden. „Bitte hören Sie, Miss. Ich habe es wirklich eilig. Wenn Sie mir etwas vorzuwerfen haben, so wüsste ich gerne was es ist.“

„Wie wäre es mit Autodiebstahl, für den Anfang?“

Im nächsten Moment legte sich eine Hand der Frau, erstaunlich fest, um sein linkes Handgelenk. Etwas Kaltes berührte sein Handgelenk und ungläubig realisierte Christian, dass sie ihm Handschellen anlegte. Da ihm klar war, wie sinnlos es sein würde Widerstand zu leisten, blieb er ganz ruhig und ließ die Frau gewähren.

Die Polizistin nahm den Schlüssel des Pickups an sich, verriegelte ihn danach ordnungsgemäß und packte Christian hart am linken Oberarm. Bestimmt führte sie ihn zum Streifenwagen, öffnete die hintere Tür und forderte ihn dazu auf einzusteigen.

Christian folgte der Aufforderung. Nicht ohne ihr dabei einen finsteren und gleichzeitig irgendwie spöttischen Blick zukommen zu lassen. Noch während sich die junge Polizistin hinter das Steuer des Streifenwagens setzte, fragte Christian resignierend: „Muss das mit den Handschellen denn wirklich sein? Wie sieht denn das aus, Officer?“

Die Frau sah ihn über den Rückspiegel ernst an. „Ich bin mir sicher, sie werden bald ganz andere Sorgen haben.“

„Also, das ist jetzt komisch“, grinste der Junge. „Denn dasselbe wollte ich auch gerade sagen. Dabei gefällt mir dieser Gedanke überhaupt nicht, denn Sie sind bestimmt eine ganz reizende Person, wenn Sie nicht gerade im Dienst und auf Krawall gebürstet sind. Verraten Sie mir wenigstens, wohin die Fahrt geht?“

„Es geht direkt zum Ersten Revier. Dort werden sich die zuständigen Beamten des Raub-Dezernats um Sie kümmern. Die werden sich freuen, dass mir bei meiner ersten Verhaftung ein Autodieb ins Netz gegangen ist.“

„Perfekt!“, gab Christian zurück. „Da wollte ich sowieso hin. Ach, ich hätte da noch eine klitzekleine Frage: Warum haben Sie eigentlich gar nicht meine Papiere kontrolliert?“

„Das erledigen meine Kollegen, auf dem Revier.“

„Ach so“, machte Christian und setzte wieder eine lächelnde Miene auf. „Na, diese erste Verhaftung werden Sie bestimmt nie im Leben vergessen.“ Damit lehnte er sich gemütlich auf der Rückbank zurück und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
 

* * *
 

Knapp zwanzig Minuten später fuhr Christian von Falkenhayn, gemeinsam mit der Polizistin die ihn verhaftet hatte, im Ersten Revier des Metropolis-Police-Departments, mit dem Aufzug nach oben. Dabei entzifferte er den Namen, der auf einem Metallstreifen, unterhalb der Polizeiplakette auf dem linken Brustteil ihres kurzärmligen Uniformhemdes, eingraviert war und sagte ruhig: „Officer Munzon, ich werde wirklich von Lieutenant Sawyer erwartet. Darum wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihren Lieutenant darüber in Kenntnis setzen, dass ich hier bin, sobald wir unser Ziel erreicht haben.“

Munzon sah ihn unwillig und etwas gereizt an. „Sie wollen es wohl ganz genau wissen? Okay, ich sage Ihnen was. Ich werde Sie gleich jetzt persönlich zum Lieutenant bringen. Denn Maggie Sawyer steht gar nicht auf solche Witzbolde, wie Sie, Mister!“

Christian deutete lächelnd eine Verbeugung in Richtung der Polizistin an. „Ich bin Ihnen wirklich sehr verbunden, Officer Munzon.“

Die junge Frau presste die Lippen aufeinander, sagte jedoch nichts. Es war ihr hingegen anzumerken, dass ihr seine ruhige Reaktion gar nicht passte.

Christian erwiderte den finsteren Blick ihrer lebhaften, fast schwarzen Augen ungerührt. Dabei stellte er fest, dass Munzon wirklich gerade einmal 1,65 Meter messen konnte. Eher etwas weniger.

Als sie den Aufzug verließen packte Munzon Christian wieder fest am Oberarm, den er diesmal spontan anspannte. Dabei meinte er leichthin: „Sie haben einen festen Griff, Officer. Treiben Sie Kampfsport?“

„Für Sie reicht es, auch wenn Sie gut in Form zu sein scheinen“, zischte die Frau unterdrückt und mit immer noch düsterer Miene.

Als sie endlich das Büro des Lieutenants erreichten, klopfte Munzon an die offen stehende Tür des Büros und trat, zusammen mit Christian ein.

Hinter dem Schreibtisch saß eine sportliche Enddreißigerin. Sie sah zu Munzon auf und blickte dann zu dem jungen Mann, an der Seite der Polizistin. Dabei weiteten sich die grauen Augen des Lieutenants und mit einem stechenden Blick, in Richtung Munzon, fragte sie scharf: „Erlauben Sie sich gerade einen Scherz mit mir, Officer Munzon?“

Die Latina sah ihre Vorgesetzte etwas verwirrt an. „Ma´am, ich verstehe nicht…“

Maggie Sawyer erhob sich von ihrem Sessel und blickte entschuldigend zu Christian, bevor sie Munzon wieder scharf ins Auge fasste. „Wissen Sie eigentlich, wen Sie da gerade, in Handschellen, in mein Büro geschleift haben, Officer Munzon? Sehen Sie nicht hin und wieder Nachrichten?“

„Äh… Eher selten, Ma´am. Dieser Autodieb hier…“

„Ab sofort werden Sie jeden Tag Nachrichten schauen, Officer Munzon!“, unterbrach die donnernde Stimme von Sawyer die Latina. „Das ist ein Befehl! Und jetzt nehmen Sie Mister Von Falkenhayn endlich die verdammten Handschellen ab!“

Munzon sah den jungen Mann an ihrer Seite aus immer größer werdenden Augen an und Christian raunte ihr amüsiert zu: „Sie wollten ja nicht meine Papiere kontrollieren.“

Die Latina erwiderte nichts darauf. Stattdessen beeilte sie sich, die Anweisung ihrer Vorgesetzten auszuführen und nahm ihm die Handschellen ab.

Maggie Sawyer umrundete ihren Schreibtisch dabei einen strafenden Blick auf die Latina abfeuernd. Zu Christian gewandt sagte sie bedauernd: „Ich entschuldige mich bei Ihnen. Auch im Namen des Commissioners.“

„Ach, das war jetzt nicht so tragisch, Lieutenant. Officer Munzon hat mich ja ganz pünktlich zu Ihnen gebracht.“ Mit einem ironischen Seitenblick fügte er, sich die Handgelenke reibend, hinzu: „Ganz standesgemäß. Nicht machen – machen lassen.“

„Es freut mich, dass sie diese Peinlichkeit mit Humor nehmen, Sir. Wenn Sie eine Beschwerde gegen Officer Munzon…“

Schnell hob der Junge seine Hände und bat: „Aber nicht doch, Lieutenant. Da ich es war, der die Schmach der Verhaftung erdulden musste, möchte ich um eine Gunst für Officer Munzon bitten. Bitte fassen Sie dieses kleine Malheur als Missverständnis auf und gehen Sie der Angelegenheit nicht weiter nach. Ich trage ja auch meinen Anteil daran. Denn ich hatte die Gelegenheit, dem Officer von mir aus zu sagen, wer ich bin und habe diese Gelegenheit ungenutzt gelassen. Es war also, in gewisser Weise, auch mein Fehler, Lieutenant Sawyer.“

Maggie Sawyer funkelte Munzon noch einmal giftig an, bevor sie erwiderte: „Also schön. Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis und Officer Munzon wird Ihnen gewiss auch danken wollen. Nicht wahr, Officer?“

Die Latina verstand den Wink. Zerknirscht sah sie Christian an und sagte kratzig: „Ich danke Ihnen ganz herzlich, Mister Von Falkenhayn.“

Der Tonfall in Munzons Stimme hätte genauso gut zum Satz: Fahr zur Hölle gepasst.

Sein freundlichstes Lächeln aufsetzend, gab Christian von Falkenhayn, übertrieben galant, zurück: „Aber ich bitte Sie, Miss Munzon. Ein wahrer Edelmann ist dem gemeinen Volk immer zugetan, heißt es.“

Maggie Sawyer, die diese kleine Szene schmunzelnd verfolgte, wandte sich an Christian und meinte dabei, mit einem feinen Schmunzeln: „Da Sie beide sich, bereits jetzt, so hervorragend verstehen und Sie sich, auf so eindrucksvolle Art und Weise, miteinander bekanntgemacht haben, brauche ich mich gar nicht lange nach einem Mentor für Sie umzusehen, Mister Von Falkenhayn. Ich bin mir sicher, dass Officer Munzon genau die Richtige ist, für diese Aufgabe. Also, Officer Munzon: Ich entbinde Sie, für die nächsten vier Wochen, von ihren sonstigen Obliegenheiten und stelle Sie, als Mentor, an die Seite dieses jungen Mannes. Vertreten Sie das Department bitte würdevoll.“

Beinahe erschrocken sah die Latina ihre Vorgesetzte an. Sie wollte etwas sagen, doch ein warnender Blick von Sawyer unterband das im Ansatz.

Stattdessen warf Christian einen amüsierten Seitenblick zu der Latina und sagte dann zu Maggie Sawyer: „Ich danke Ihnen, Lieutenant. Was steht als Erstes auf dem Programm?“
 

* * *
 

Zehn Minuten später betraten Sie den Schießstand, auf dem, zu diesem Zeitpunkt, noch nichts los war. Munzon hatte sich beim zuständigen Officer, am Eingang zur Schießanlage, eine Glock-17 aushändigen lassen. Eine Halbautomatik, wie jene, die sie selbst an ihrer Hüfte trug.

Christian hatte, in den Monaten vor seinem Schulabschluss, gemeinsam mit Lex Luthor, auf dessen privatem Schießstand, mit der gleichen Waffe geübt. Lex hatte ihn davon überzeugt, dass es einem Milliardär gut zu Gesicht stand, anständig schießen zu können.

Zunächst hatten sich Munzon und Christian einen Gehörschutz übergestreift. Danach hatten sie sich Brillen mit einer gelben Tönung aufgesetzt. Sie sollten den Kontrast verstärken, beim Anvisieren des Ziels.

Durch sein Training mit Lex wusste Christian um eine korrekte Haltung beim Schießen. Doch als ihm Munzon die Waffe übergab, stellte er sich so auf, wie es Offiziere der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg getan hatten. Den linken Fuß zurück und das rechte Bein leicht durchgebeugt hielt er den linken Arm nach hinten und hielt die Pistole in der ausgestreckten Rechten.

„Halt! So wird das nie etwas!“, stöhnte Munzon über die offensichtliche Unfähigkeit ihres Probanden. „Stellen Sie sich so auf, dass Ihre Füße auf Schulterbreite auseinander stehen. In Ordnung, und jetzt die rechte Faust in Ihre Linke.“

Christian verkniff sich ein Grinsen als er sich etwas ungeschickt aufstellte. Geduldig ließ er es zu, dass Munzon, die dicht hinter ihn getreten war, seine Hüfte in die richtige Position drehte und dann seine Schultern ausrichtete. Von hinten umfasste sie ihn vorsichtig, als habe sie Angst, den Jungen mit ihrem Körper zu berühren und korrigierte leicht die Haltung seiner Arme.

Ein Schuss löste sich und schlug knapp sechzig Yards weiter in die Dämmung der Rückwand ein.

„Zu früh abgefeuert!“, entfuhr es Christian.

Mit einem hämischen Lachen, wobei sie immer noch seine beiden Unterarme fest hielt, schob sich Munzon an seine linke Seite und spottete: „Das ist Ihnen doch bestimmt nicht zum ersten Mal passiert?“

Christian grinste schief und erwiderte ihren Blick. „Sie besitzen ja fast Humor, Officer Munzon. Das ist das erste Mal, dass ich Sie lächeln sehe. Gefällt mir gut.“

Übergangslos wurde die Frau ernst und Christian visierte erneut die Scheibe an. Er schoss und die Kugel durchschlug diesmal die Papierscheibe, knapp neben der linken Schulter des aufgedruckten Zieles.

„Das war immerhin schon einmal die Scheibe“, bemerkte Munzon sarkastisch. „Das gibt Anlass zur Hoffnung. Seien Sie froh, dass wir kein Publikum haben.“

Christian lächelte unmerklich. Wieder die Scheibe anvisierend fragte er: „Ach, Officer Munzon: Haben Sie auch einen Vornamen? Dieses unpersönlich Sie gefällt mir so ganz und gar nicht, müssen Sie wissen.

Er schoss, und die Kugel durchschlug die Scheibe dort, wo sich bei der Zielfigur der Schritt befand. „Hu… Das hätte im Ernstfall fürchterlich weh getan, schätze ich.“

Munzon lachte hell und erwiderte dann herausfordernd: „In Ordnung, Mister. Wir machen einen Deal. Wenn Sie mit einem der nächsten drei Schüsse die Zehn treffen, dann verrate ich Ihnen meinen vollen Vornamen und Sie dürfen mich mit ihm ansprechen. Aber kein Duzen. Na, was sagen Sie dazu, Mister Von Falkenhayn.

Christian sah der Latina in die Augen und erkundigte sich: „Versprochen? Und Sie werden mich Christian, oder einfach Chris nennen?“

„Versprochen.“

Christians Mundwinkel verzogen sich in die Breite. „Warum haben Sie das denn nicht gleich vorgeschlagen?“

Im nächsten Moment verschwand jeglicher Humor aus dem Gesicht des Jungen. Er visierte wieder die Scheibe an, konzentrierte sich und feuerte dreimal schnell hintereinander auf das Ziel.

Fassungslos blickte Munzon von der Scheibe zu Christian von Falkenhayn. Dicht nebeneinander lagen alle drei Treffer innerhalb des kleinen Zehner-Kreises.

Mit einem geradezu schadenfrohen Grinsen legte der Junge die Waffe auf die Ablage vor sich und sah zu Munzon. „Also, wie lautet Ihr Vorname, Officer Munzon?“

Während sie die Brillen und Ohrenschützer zur Seite legten, sah Munzon ihr Gegenüber, noch immer etwas ungläubig an. Er hatte sie an der Nase herumgeführt. Aber Sie hatte ihm ihr Versprechen gegeben. Dennoch beschwerte sie sich: „Sie sind ein Betrüger. Sie haben mir etwas vorgemacht.“

Mit entsagungsvoller Miene erwiderte Christian kopfschüttelnd. „Und diese harten Worte, nachdem ich mich eben erst, bei Lieutenant Sawyer, für Sie eingesetzt habe, Officer. Das ist wirklich undankbar. Also, wie heißen Sie?“

„Ich heiße Celenia. Celenia Alessandra Munzon.“

Christian reichte der jungen Frau seine Hand. „Sehr angenehm, Celenia. Mein voller Name ist Christian Gerrit von Falkenhayn.“

Die Latina reichte Christian die Hand. Er schüttelte sie jedoch nicht, sondern führte sie sacht an seinen Mund. Ohne die Frau dabei aus den Augen lassend, so wie es sich für einen perfekten Handkuss gehörte, drückte er flüchtig seine Lippen auf ihre Finger, bevor er ihre Hand wieder zurück führte und sie losließ.

Sichtlich verlegen schob die Frau eine Haarsträhne, die sich gelöst hatte, hinter das Ohr und räusperte sich. „Schießen können Sie also. Dann schlage ich vor, dass wir hier Schluss machen und zum Nahkampf-Training über gehen. Die Trainingssachen stellt natürlich das Department. Mal sehen, wie Sie sich dabei schlagen werden… Christian.“

„Ah… Vielleicht sollte ich diesmal vorher erwähnen, dass ich, in meiner Freizeit, Muay Thai trainiere. Sowohl die waffenlose, als auch die bewaffnete Variante. Aber ich bin offen für andere Nahkampf-Stile, Celenia.“

Diesmal war es Celenia Munzon, die fein grinste. „Na, dann…“
 

* * *
 

Christian taumelte leicht zurück, nachdem Celenia Munzon einen harten Treffer am Kopfschutz gelandet hatte. So wie Munzon, mit einer langen Trainingshose, einem T-Shirt und Turnschuhen bekleidet, sah er sie abwartend an. Ihre schwellenden Brüste, nun durch einen Sport-BH gebändigt, hatten ihn für eine Weile dazu verleitet, zu glauben, Munzon wäre kein ernst zu nehmender Gegner für ihn. Doch das hatte sich schnell als Irrglaube herausgestellt. Leichtfüßig tänzelte die sportliche Latina auf der Bodenmatte um Christian herum und sah ihm auffordernd in die Augen. „Seien Sie froh, dass Sie nicht gänzlich ohne Erfahrung sind, Christian, sonst wäre der Kampf längst gelaufen.“

„Ja, das glaube ich auch“, gab Christian zurück und blieb für einen Moment außer Reichweite der Latina. „Sie sind wirklich schnell, Celenia. Das ist mein voller Ernst.“

„Danke, für die Blumen. Aber reden wir nur, oder machen wir weiter?“

Statt einer Antwort näherte sich Christian der Frau. Er ließ zwei ihrer Angriffe ins Leere laufen und nutzte eine winzige Unaufmerksamkeit, um sie mit einem Treffer an der linken Schläfe zu Boden zu schicken. Sofort ging er wieder auf Abstand.

„Entschuldigung, Celenia!“

Geschmeidig kam die Frau wieder auf die Beine. Dabei sagte sie gereizt: „Sie müssen lernen sofort nachzusetzen, Christian. Das hier ist nicht das Training für einen Sportwettkampf, sondern hier sollen Sie lernen, wie man einen Gegner ausschaltet. Sie müssen lernen, einen Vorteil zu nutzen.“

„Verdammt, ich will Ihnen nicht weh tun, Celenia.“

„Passen Sie lieber auf, dass Ihnen nicht weh getan wird, Christian.“ Damit griff sie schnell wieder an und Christian hatte seine liebe Not, keinen erneuten Treffer einzustecken. Sie belauerten sich für eine Weile. Dann übernahm er die Initiative.

Zwei Attacken konnte Celenia ausweichen. Bei der Dritten bekam Christian Zugriff. Er warf die Latina rücklings auf die Matte und saß im nächsten Moment auf ihrem Bauch. Dabei ihre Handgelenke festhaltend und auf den Boden drückend. „War es das, was Sie damit meinten, ich solle meinen Vorteil nutzen?“

„Ja“, gab die Frau zurück. „Aber jetzt lassen Sie mich bitte wieder los.“

Sich für einen Moment über den unsteten Blick wundernd grinste Christian, ohne ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Stattdessen beugte er sich ganz nah zu ihr hinunter und raunte lächelnd: „Aber dann würde ich doch meinen Vorteil aufgeben.“

„Steigen Sie runter von mir und lassen Sie mich los!“, schrie die Latina ihn mit überkippender Stimme an.

Erschrocken gab Christian sie frei. Sich schnell vom Boden erhebend löste er an beiden Händen den Schutz den er trug und nahm danach den Kopfschutz ab.

Celenia Munzon tat dasselbe, wobei sie ihn mit funkelnden Augen ansah. Die Sachen wütend in die Ecke der Sporthalle werfend, schritt sie auf ihn zu.

„Celenia, was ist denn…“

Weiter kam er nicht, denn einen Moment später klatschte es scharf und seine linke Wange begann, wie Feuer zu brennen. Celenia Munzon hatte ihm eine schallende Ohrfeige gegeben. Ihn einen Moment lang fast erschrocken, aber auch immer noch wütend, ansehend wandte sie sich gleich darauf ab und lief in Richtung der Damenduschen davon.

Wie vom Donner gerührt stand Christian da, bevor er die Sachen, die Munzon so wütend in die Ecke gefeuert hatte, aufsammelte und danach die Duschen für Männer aufsuchte. Dabei versuchte er zu verstehen, was da eben passiert war.
 

* * *
 

Als Christian geduscht und sich umgezogen hatte, fand er Munzon im Trainingsraum, auf einer der Bänke sitzend vor. Vorgebeugt hatte sie die Ellenbogen auf ihre Oberschenkel gelegt und starrte vor sich ins Leere. Sie trug wieder ihre Dienstuniform.

Sich vorsichtig der Bank nähernd setzte sich Christian, mit etwas Abstand, neben die Latina und sah sie von der Seite an. Nach einigen Augenblicken fasste er sich ein Herz und fragte leise: „Was ist passiert, Celenia?“

Die Latina sah ihn an. Die Wut war aus ihrem Blick gewichen. Dafür lag eine gewisse Bitterkeit in ihren dunklen Augen. Sie sagte nichts und starrte wieder vor sich hin.

Christian drängte sie nicht, sondern erklärte seinerseits: „Wissen Sie, Celenia, meine Freundin stammt aus Smallville. Wir lernten uns kennen, als drei Gangster versuchten, sie in eine abgelegene Gießerei zu zerren und zu vergewaltigen. Damals kam ich gerade noch rechtzeitig um das Schlimmste zu verhindern.“

„Ihre Freundin hatte mehr Glück, als ich“, erwiderte Munzon tonlos, weiter zu Boden starrend. „Es passierte als ich sechzehn war. In der Schule. Sie waren zu zweit und haben später bestritten, mit mir zusammen gewesen zu sein. Niemand hat damals meine Version der Geschichte geglaubt, weil sich diese Schweine gegenseitig ein Alibi gegeben haben. Sie stammten aus gutem Hause und ich war die Latina, deren Eltern, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, von Venezuela hierher immigrierten. Ich ging, unter anderem, zur Polizei um solchen Mistkerlen das Handwerk zu legen.“

Für eine Weile blieb es still zwischen ihnen, bevor Christian leise sagte: „Jetzt verstehe ich ihre Reaktion von eben und ich bin Ihnen nicht böse deswegen. Ich weiß, wie es Alicia ging, nach der Attacke im letzten Frühjahr. Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, dann hätte ich Sie nie auf dem Boden festgehalten. Ich gehöre nicht zu diesen Mistkerlen, auf die Sie es abgesehen haben, Celenia. Obwohl ich aus gutem Haus stamme.“

Die Latina sah nach einer Weile zu Christian auf. Sein vorhin so unbekümmert wirkendes Gesicht wirkte plötzlich härter und irgendwie erwachsener. In seine blauen Augen sehend, murmelte Munzon betrübt: „Ich wollte Sie nicht beleidigen, Christian und ich wollte Sie nicht schlagen. Es tut mir leid.“

„Vergessen wir das“, schlug Christian vor. „Was steht für heute sonst noch auf dem Plan, den Ihnen Sawyer vorhin gegeben hat?“

„Nochmal Schießtraining.“

Christian grinste schief. „Das werden wir schwänzen und dafür lieber in die Stadt fahren, um bei einem Kaffee etwas miteinander zu reden. Wenn Sie möchten, heißt das. Immerhin werden wir in den nächsten Wochen einige Zeit miteinander verbringen. Aber dieses Mal fahre ich vorne mit.“

Ein aufmunterndes Zwinkern nahm seinen letzten Worten die Spitze. Zaghaft lächelnd erhob sich Munzon von der Bank, als auch Christian sich erhob. Spontan reichte sie ihm die Hand und fragte: „Dann sind Sie also wirklich nicht sauer auf mich?“

Christian drückte die Hand sanft und erwiderte beruhigend: „Ich bin nicht sauer. Aber jetzt kommen Sie, damit Sawyer uns nicht dabei erwischt, wenn wir uns verkrümeln.“



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