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Mephisto

denn sie wissen nicht, was sie tun
von

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Auf der Reise

Der nächste Morgen kam schnell. Für Itachis Verhältnisse viel zu schnell, denn es machte ihm wieder bewusst, dass er im Streit mit seiner Familie auseinandergehen würde. Es würde keinen Sinn machen, zurückzukehren und noch einmal mit ihnen zu reden. Solange er sich für diese Reise entschieden hatte, würde ihm niemand zuhören wollen. Das musste er ebenso akzeptieren, wie Sasuke und Madara seine Entscheidung hinnehmen mussten. Dennoch, es fiel ihm schwer.

Kisame und er standen früh auf, um noch einmal ihre Vorräte zu überprüfen und sich zu stärken. Dem Hünen entging seine Stimmung nicht, anders konnte er sich dessen ungewöhnliche Wortkargheit nicht erklären. Itachi war dankbar dafür, auch wenn er es nicht aussprach.

Auf dem Weg zum Waldrand hielten sie an einem Bach, um Wasser aufzufüllen und sich notdürftig zu waschen. Tief atmete er durch, wischte sich mit dem Ärmel seines Gewands über das nasse Gesicht, ehe er den Blick schweifen ließ. Es war beinahe schon unheimlich still und Itachi hoffe, dass dies kein schlechtes Omen war.

Kisame, der neben ihm am Bach gekniet hatte, erhob sich gerade wieder und schaute ihn abwartend an. Es schien ihm wirklich gut zu gehen, doch sicherheitshalber hatte Itachi kleine Tonbehälter mit Salben in seinem Beutel verstaut. Er stand ebenfalls auf und schulterte den Beutel, ehe er Kisame bedeutete, dass dieser ihm folgen sollte. Eine Weile schritten sie schweigend nebeneinander her, bis er den neugierigen Blick des Älteren auf sich spürte – oder besser gesagt, auf der Waffe, die an seiner Seite befestigt war.

„Du hast gelernt, ein Katana zu führen?“

Itachi hob bei der Frage eine Braue, nicht sicher, ob er sich nun beleidigt fühlen sollte. Vielleicht missinterpretierte er die Aussage auch.

„Unter anderem“, erwiderte er daher knapp.

Kisame schien zu merken, dass er einen Nerv getroffen hatte, auch wenn Itachi deswegen keinen Streit vom Zaun gebrochen hätte. Zumal es weniger an ihm lag, als an Madaras Geringschätzung vom vorigen Tag. Selbst ohne seine Kräfte war er in der Lage, sich zu verteidigen.

„Versteh das jetzt nicht falsch. Es überrascht mich nur…und gewissermaßen freut es mich.“

„Weshalb?“

„Nun, das macht dich zu einem potenziellen Trainingspartner – vorausgesetzt, wir treiben genügend Geld auf, um mir eine neue Waffe zu besorgen.“

Itachi maß ihn mit einem nachdenklichen Seitenblick, ehe er diesen wieder auf ihren Weg richtete.

„Ein wenig habe ich bei mir, doch ich bezweifle, dass es für ein Katana reichen wird.“

Daraufhin traf ihn ein misstrauischer Blick des anderen.

„…ich frage besser nicht, woher du dieses Geld hast, oder? Ich wette, die Geschichte würde mir nicht gefallen.“

„Vermutlich nicht.“

Wobei seine Geschichte dazu wesentlich weniger grausam war, als die Version seines Onkels…und leider auch die seines Bruders. Abermals wurde ihm schwer ums Herz, aber er verdrängte es. Bald würden sie den Wald hinter sich lassen und er würde nach vorn blicken müssen, so bitter es ihm gerade noch erschien.
 

Als sie nach etwa einer Stunde am Waldrand ankamen, blieb Itachi instinktiv stehen. Die Bäume lichteten sich allmählich und er wusste, würde er weiterlaufen, würde sich ihm der Blick ins Tal offenbaren. Kleine Dörfer hatten sich dort angesiedelt, sodass sie unweigerlich auf Menschen treffen würden, wenn sie ihren Weg in diese Richtung fortsetzten. Für Itachi bedeutete es noch mehr, denn wenn er den Wald verließ, würde er das erste Mal seit Jahren sein Zuhause verlassen. Er würde seine Familie für eine geraume Zeit hinter sich lassen. Obwohl ihm das bewusst gewesen war, schnürte es ihm die Kehle zu, streute erneut berechtigte Zweifel in ihm, ob das hier richtig war.

Kisame war ein Stück vor ihm stehen geblieben, ließ ihm den Moment, doch als sich der Uchiha kein Stück rührte, trat er zu ihm. Eine große Hand legte sich auf seine Schulter, drückte diese.

„Es ist nicht für immer“, erinnerte Kisame ihn und er senkte den Blick.

Ja, es war nicht für immer. Trotzdem…er hatte nicht einmal vernünftig Abschied genommen und das wurde ihm gerade zum Verhängnis. Tief atmete er durch, straffte die Schultern, woraufhin der Hüne seine Hand zurückzog.

„Das wäre ja noch schöner…“

Itachi weitete die Augen, kaum dass er die vertraute Stimme vernahm, und er fuhr ruckartig herum. Auch Kisame stockte merklich, folgte seinem Blick, der auf die Baumkronen gerichtet war. Tatsächlich war es kein Wunschdenken, denn die Person saß wirklich auf einem breiten Ast und blickte mit unverhohlenem Missfallen zu ihnen herunter.

„Sasuke…“, entkam es ihm perplex.

Mit einem Satz war sein Bruder von dem Ast gesprungen, kam unbeschadet auf dem Boden auf und schritt dann auf sie beide zu. Itachi wusste nicht, wozu er hier war, was seine eigentliche Freude über sein Erscheinen trübte. Wenn er seine Drohung wahrmachen wollte, würde er ihn aufhalten müssen. Niemand von ihnen rührte Kisame an – das galt nach wie vor.

„Hör auf, mich so anzusehen, Nii-san“, brummte Sasuke genervt, hatte seinen Ausdruck wohl korrekt interpretiert. „Ich bin nicht gekommen, um den Menschen zu töten.“

Itachi runzelte die Stirn, doch es minderte seine Anspannung ein bisschen.

„Auch, wenn ich das immer noch für die bessere Option halte“, fügte sein Bruder an, was Kisame schnauben ließ.

Itachi ignorierte ihn, konzentrierte sich lieber auf Sasuke, welcher bisher nicht erwähnt hatte, weswegen er hier war. Vielleicht wollte er Kisame nicht töten, aber versuchen, seine Meinung zu ändern? Ein paar Sekunden schwieg Sasuke, so als würde er seine Worte noch einmal überdenken müssen, dann seufzte er tief und rieb sich den Nacken. Was Itachi stutzig machte, war, dass er seinem Blick auswich. Das tat er ausschließlich, wenn ihm etwas sehr unangenehm war…oder sich Unrecht eingestehen musste. Beides konnte Itachi nicht glauben.

„Was ich da gestern gesagt habe“, begann er zögerlich. „Dass mir egal ist, was mit dir passiert…und dass du mir egal bist…oder ich nicht trauern würde, wenn was passiert…und, ach keine Ahnung…was ich noch so gesagt habe halt! Das…meinte ich nicht so…“

Itachi war froh, dass seine Selbstbeherrschung so stark ausgeprägt war, sonst wäre ihm vermutlich alles aus dem Gesicht gefallen. Nicht, dass er nicht gehofft hatte, dass aus seinem Bruder bloß Wut und Angst gesprochen hatten, aber dass dieser es so unverblümt zugab, damit hatte er nicht gerechnet.
 

„Du weißt, warum Madara und ich so reagiert haben, oder? Ich meine, was hast du auch erwartet? Nach allem was passiert ist, bringst du diesen Kerl hierher und wirfst alles über den Haufen! Du benimmst dich verantwortungslos…und das kenn ich nicht von dir…und es macht mir Sorgen, verdammt!“

Itachi starrte ihn nach wie vor an, konnte gar nicht so schnell verarbeiten, was sein Bruder von sich gab. Er wollte ihm seine Sorgen nehmen, aber wie sollte er das, wenn ihn diese ja selbst quälten. Das Letzte, das er wollte, war, Sasuke belügen oder ihm gar wehtun. Für den Moment nahm er keinerlei Notiz von Kisame, seine Aufmerksamkeit lag ganz auf seinem Bruder, der auf seiner Lippe kaute, hilflos dabei wirkte. Worte waren nie ihre Stärke gewesen, was ihre Gefühle anging. Sie alle teilten dasselbe Blut, ein gewisses Temperament, auch wenn Itachi vergleichsweise besonnen agierte.

Er überwand die letzten Schritte zu seinem Bruder und tippte diesem mit zwei Fingern sachte gegen die Stirn, wie er es früher getan hatte, wenn er sich für etwas entschuldigen wollte. Sasuke zuckte zusammen, blickte ihn endlich direkt an und ein schiefes Lächeln bildete sich auf Itachis Lippen. Es tat ihm leid, aber er würde seine Entscheidung nicht ändern. Sasuke schien zu verstehen, denn Resignation lag in seinem Blick, die Spannung wich aus seinem Körper. Abermals schwiegen sie…und dann schloss ihn sein Bruder fest in die Arme, drückte ihn an sich, als würde er ihn nie mehr gehen lassen.

Itachi wich nicht vor ihm zurück, auch wenn das normalerweise sein erster Impuls war. Er fühlte blanke Erleichterung, als würde ein riesengroßer Ballast von ihm abfallen. Plötzlich fiel ihm das Atmen einfacher und er schlang die Arme um Sasuke, vergrub die Nase in seinen zerzausten Haaren. Der rauchige Geruch war ihm vertraut, erinnerte ihn an das Feuer, das sie beherrschten.

Es war Sasuke, der sich von ihm löste, einen prüfenden Blick in sein Gesicht warf.

„Da ich dich sowieso nicht aufhalten kann, spare ich mir die Worte…du passt auf dich auf, ja?“, hakte er nach und Itachis Lächeln wurde eine Spur wärmer.

„Versprochen.“

„Und du nimmst Amaterasu mit!“

„Ich bezweifle, dass sie mir eine Wahl lässt.“

„Umso besser…“

Itachi war froh, als sein Bruder wieder den gewohnten, trotzigen Tonfall anschlug, denn das zeigte ihm, dass er ihm wirklich nicht mehr böse war. Vielleicht konnte er kein Verständnis für den von ihm gewählten Weg aufbringen, weil er nicht in seiner Haut steckte, aber er akzeptierte es.

„Und du!“, zischte Sasuke plötzlich in Kisames Richtung. „Eins schwöre ich dir…wenn ihm deinetwegen irgendwas passiert, werde ich dich jagen, foltern und töten! Und glaub mir, ich bin genauso kreativ wie Madara!“

Der Hüne hatte bislang den Anstand gehabt, sich wegzudrehen, den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Bei der Drohung wandte er sich wieder ihnen zu, verengte seine Raubtieraugen zu schmalen Schlitzen.

„Ja…das glaube ich dir nach unserer letzten Begegnung sofort“, erwiderte er trocken. „Keine Sorge, ich nehme es mir zu Herzen…“

Itachi sparte sich einen Kommentar dazu; er würde Sasuke nicht davon überzeugen können, dass Kisame in Ordnung war. Das Beste war es, es einfach so stehen zu lassen – das war mehr, als er erwartet hatte.

„Ach und Nii-san?“

„Hm?“

„Du weißt, dass meine Worte ebenso für Madara gelten, oder? Er ist halt sturer als ich…und deswegen nicht hergekommen.“

Vermutlich hatte sein Bruder Recht, auch wenn es ihm lieber gewesen wäre, dass ihr Onkel sich von ihm verabschiedet hätte. Da konnte man nichts machen. Trotzdem fühlte es sich tröstlich an, die Worte von Sasuke zu hören.

„Ja, ich weiß. Danke, Sasuke.“

„Schon gut…und jetzt verschwinde, bevor ich’s mir anders überlege…“

Und dies beherzigte Itachi. Weitere Worte waren überflüssig, würden es lediglich hinauszögern. Er warf einen Blick zu Kisame, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte und soeben über die Schulter zu ihm sah. Der Uchiha drehte sich kein weiteres Mal um, als er ihm folgte.
 

„Sag mal…“

Es war bestimmt eine gute halbe Stunde vergangen, in der Kisame schweigend neben ihm gelaufen war. Der Weg ins Tal war lang und steinig, so dass sie aufpassen mussten, wohin sie traten. Noch war es ruhig um sie herum, lediglich ein paar Kaninchen und Feldmäuse kreuzten ihren Weg, wofür Itachi ganz dankbar war. Er hob den Kopf, als er unvermittelt angesprochen wurde.

„…wer oder was ist Amaterasu?“

Itachi blinzelte bei der Frage, ehe er sich an das Gespräch mit Sasuke erinnerte. Natürlich. Anstatt ihm zu antworten, schaute er in den Himmel, wo die Sonne auf sie hinab schien. Es waren milde Temperaturen, nicht zu warm und nur der Wind wehte zuweilen etwas kühler. Kisame schien nicht zu verstehen, warum er nach oben sah und Ausschau hielt – jedenfalls bis er die Finger zwischen die Lippen schob und einmal schrill pfiff.

Es dauerte höchstens fünf Sekunden, bis etwas Schwarzes vom Himmel schoss, direkt auf sie beide zu. Flügelschläge wurden laut, ein lautes Krächzen ertönte und dann gruben sich Krallen in seine Schulter. Er spürte das Gewicht des Tieres, das seine Schwingen spreizte, ehe es diese auf zusammenfaltete. Sanft streichelte er dem Vogel, der ihn mit seinen klugen, rotbraunen Augen ansah, durch das weiche Gefieder, woraufhin dieser nach einer Haarsträhne pickte. Er musste schmunzeln, schaute dann wieder zu Kisame, der seinen ersten Schreck wohl überwunden hatte und ihn verdutzt anstarrte.

„Das ist Amaterasu.“

Die Krähe fixierte den Hünen, legte dabei den Kopf schief, als müsste sie sich in Gedächtnis rufen, wer der Mann war. Itachi wusste, dass dies nicht der Fall war; mehr als einmal hatte er Amaterasu losgeschickt, um die Menschen zu beobachten. Meistens hatte es sich um diesen einen Menschen gehandelt, den er nie vergessen hatte. Sie hatte ihm mitgeteilt, was passiert war. Dass dieser Mann in der Nähe war, dass er gefoltert wurde und hingerichtet werden sollte. Durch sie hatte er erfahren, dass Kisame sich praktisch geopfert hatte, um seinem jüngeren Mitstreiter das Leben zu retten. Obwohl sie ein Vogel war, verstand sie mehr, als viele Menschen…und er konnte sich auf sie verlassen. Jederzeit.

„Ehrlich? Ich find dieses Viech unheimlich…“, hörte er Kisame sagen, woraufhin Amaterasu ein empörtes Krächzen ausstieß.

Itachi ließ sich nicht davon beirren, sondern fuhr ihr weiter durch das gepflegte Gefieder, was sie sichtlich genoss.

„Du solltest ihr dankbar sein“, gab er zurück. „Sie hat mich zu dir geführt, bevor sie dich hinrichten konnten.“

Kisame betrachtete den Vogel dennoch mit offensichtlichem Misstrauen.

„Ja…sie hat mir aber auch die Krallen durchs Gesicht gezogen, richtig?“, bemerkte er, was Itachi nicht leugnen konnte.

„Du hast meinen Bruder bedroht…nimm es nicht persönlich.“

„Ich werde mir Mühe geben“, erwiderte der Ältere sarkastisch.

Itachi nahm das mit einem kaum merklichen Lächeln zur Kenntnis, wenngleich dieses mehr an Amaterasu gerichtet war. Die Vogeldame kniff ihm zärtlich mit dem Schnabel ins Ohr, warf Kisame noch einen mahnenden Blick zu und erhob sich schließlich erneut in die Lüfte. Nur für einen Moment sah er ihr nach, wissend, dass sie immer in seiner Nähe bleiben würde, und lief dann mit seinem Begleiter weiter.

„Sie ist dir wichtig, oder?“, hörte er ihn fragen und nickte unumwunden.

„Ich habe sie als Jungtier gefunden. Sie war verletzt…und ich habe sie aufgepäppelt. Seitdem ist sie mir nicht mehr von der Seite gewichen.“

Damals war der Vorfall im Dorf noch nicht lange her gewesen. Ihre Anwesenheit war für ihn angenehmer gewesen, als die seiner eigenen Familie. Vielleicht hatte er Amaterasu das Leben gerettet, doch sie hatte seinen Schmerz gelindert, indem sie ihn gebraucht hatte. Wie gut es sich angefühlt hatte, sich um sie zu kümmern…ihr die Zuneigung zu geben, die er selbst wollte und brauchte, aber nicht ertragen konnte. Es war kompliziert. Er war kompliziert.
 

Auf ihrem Weg machten sie wenige Pausen, was auch daran lag, dass sie die Dörfer am Fuße des Berges mieden. Es war nicht genügend Zeit vergangen, um die Menschen vergessen zu lassen, was geschehen war. Aus diesem Grund wählten sie zunächst die Wälder, um sicherzustellen, dass niemand Kisame erkannte. Kaum eine Menschenseele begegnete ihnen und falls doch, handelte es sich um Reisende, wie sie selbst, die ihnen keine große Beachtung schenkten. Trotzdem spannte sich Itachi jedes Mal an, musste sich zur Ruhe mahnen – vielleicht würde er sich bald daran gewöhnen, aber jetzt bereiteten ihm fremde Menschen noch Unbehagen.

Die Dunkelheit war hereingebrochen, als sie sich dazu entschieden, langsam Rast einzulegen. Nachdem sie stundenlang gewandert waren, erschöpften ihre Kräfte allmählich und zudem war es wirklich spät geworden. Itachi hätte eine Nacht im Freien bevorzugt, allerdings machte ihm die Taverne, die sie dank der hellen Lampions bereits aus der Entfernung entdecken konnten, einen Strich durch die Rechnung.

„Du machst dir zu viele Sorgen.“

Itachi zog die Brauen zusammen, den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst, während er den Hünen dabei beobachtete, wie dieser sein mit Sake gefülltes Schälchen an die Lippen hob. Sie hatten einen kleinen Tisch in der Ecke zugewiesen bekommen, wo sie einigermaßen ihre Ruhe hatten – sofern dies möglich war. Die Geräuschkulisse konnte man nicht überhören, vor allem, da ein paar der männlichen Gäste wohl schon einiges an Alkohol konsumiert hatten. Die junge Bedienung hatte alle Mühe, den oftmals grölenden Männern gerecht zu werden und deren vulgären Sprüche zu ignorieren. Der ein oder andere versuchte sogar, sie unsittlich zu berühren…widerlich.

„Und schau nicht so finster“, hörte er Kisame sagen. „Da kann man ja Angst bekommen.“

Itachi fand das nicht besonders lustig, doch sein Gegenüber schien das locker zu nehmen, trank noch einen Schluck. Wie er sich in solch einer Umgebung wohlfühlen konnte, erschloss sich ihm nicht.

„Bist du sicher, dass du nicht willst?“

Itachi schnaubte.

„Nein.“

„Na ja, umso mehr für mich, was?“, scherzte der Hüne, doch bei seinem Blick wurde er wieder ernst. „Falls du befürchtest, dass ich mich bald genauso benehme, wie das versoffene Pack da drüben, kann ich dir versprechen, dass das unnötig ist. Ich weiß, was ich vertrage…und ich hänge an meinem Leben.“

Itachi besänftigte das mäßig, was nicht unbedingt an Kisames Worten lag, sondern an der Tatsache, dass er sich hier fehlplatziert fühlte. Er bezweifelte, dass der Ältere das verstehen würde, weswegen er gar nicht erst damit anfing. In ihrem Clan war solch ein Verhalten nicht geduldet gewesen – es gab Regeln, die man zu befolgen hatte, wenn man nicht ausgeschlossen werden wollte.

„Sonderlich kommunikativ bist du gerade nicht, hm?“

„Du wolltest hier nächtigen.“

„Und du hast dich überreden lassen.“

Das stimmte leider. Wenigstens waren die Kissen, auf denen sie saßen, bequem, zumal gerade ihr Essen kam. Das eingelegte Gemüse sah wirklich gut aus und bei Reis konnte man nicht allzu viel falsch machen. Kisame machte sich derweil über seine Portion Schweinefleisch her, während die junge Frau ihm noch mal Sake nachschenkte und dann hastig zum nächsten Tisch huschte.
 

„Du bist jetzt aber nicht wütend, oder?“

Irritiert wandte der Uchiha den Blick von der Bedienung ab, merkte aber selbst, wie defensiv er sich verhielt, seit sie in der Taverne saßen. Verübeln konnte man ihm das vielleicht nicht, wenn man bisherige Ereignisse in Betracht zog, doch es war Kisame gegenüber unfair – das sah er ein.

„…ich bin nicht wütend“, gab er ruhiger zurück. „Nicht auf dich.“

Kisame verstand, denn er drehte den Kopf für einen kurzen Moment in die Richtung der lärmenden Männer, die schon wieder die arme Frau bedrängten. Zwar wirkte diese gestresst, aber anscheinend war sie solch ein Verhalten gewöhnt, denn sie ging relativ souverän damit um. Itachi konnte dies nicht nachvollziehen, nahm allerdings an, dass ihr keine große Wahl blieb.

„Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass ich mich einer Frau gegenüber niemals respektlos benommen hätte“, kam es nachdenklich von Kisame. „Wenn man jung ist, denkt man oft, dass einem die ganze Welt gehört…und man nimmt sich mehr heraus, als man sollte.“

Die hellen Raubtieraugen schweiften wieder zu ihm, die Stäbchen verharrten über der Reisschale.

„Man muss erst auf die Schnauze fliegen, um zu lernen, dass es nicht so ist. Irgendwann lernt jeder Mensch seine Grenzen kennen…oder die meisten, schätze ich.“

Itachi wusste nicht genau, was er ihm damit sagen wollte…oder warum er es überhaupt sagte. Sicher, Kisame war kein Heiliger, schon weil er als Söldner sein Geld verdiente. Ihm gegenüber war er jedoch bislang mit genügend Respekt begegnet…sogar damals, auch wenn er zweifellos ruppiger gewesen war.

„Du bist also auf die Schnauze gefallen?“, fragte er nach, woraufhin Kisame rau auflachte.

„Mehr als einmal. Du solltest wirklich Konan kennenlernen – ich denke, ihr würdet euch gut verstehen.“

„Konan?“

Bislang hatte Kisame diesen Namen nicht erwähnt und es machte ihn neugierig. Der Hüne nickte, wirkte recht vergnügt.

„Sie ist die rechte Hand vom Boss“, erklärte er ihm. „Und ich kann nur jedem raten, sie niemals zu unterschätzen oder gar zu beleidigen, weil sie eine Frau ist. Nicht nur ihre Zunge ist messerscharf…und was die Typen da von sich geben, fände sie überhaupt nicht witzig.“

Itachi hörte ihm aufmerksam zu und sein Zorn trat angesichts von Kisames Erzählungen in den Hintergrund. Nicht, weil es ihm egal war, aber diese Frau klang tatsächlich interessant. Ihm war bewusst, dass die meisten menschlichen Frauen hinter dem Mann standen, so als gehörten sie ihnen. Konan schien keine von ihnen zu sein.

„In unserem Clan wurden auch Frauen im Kampf ausgebildet und wenn sie es sich verdienten, durften sie im Rat sitzen. Wir waren zu wenige, um Unterschiede zu machen...und niemand hätte es gewagt, eine Frau so zu behandeln. Es wäre nicht geduldet worden.“

Kisame hob eine Braue.

„Schätze mal, eure Frauen standen euch dann in nichts nach, nicht wahr?“

Zweifellos musste er damit auch ihre besonderen Fähigkeiten meinen, aber Itachi wollte das in dieser Umgebung nicht thematisieren. Falls wider Erwarten doch jemand mithörte, könnte das ihnen Schwierigkeiten bringen. Er hätte nicht damit anfangen sollen.

„Nein“, murmelte er daher abschließend und Kisame verstand.

Er gab ein knappes Nicken von sich, ehe er sich wieder seiner Mahlzeit und dem Sake widmete. Itachi war nach wie vor der Meinung, dass Alkohol die unangenehmsten Seiten in Menschen wachrief. Wobei dies auch bei Madara zutraf, wenn er so darüber nachdachte. Ab und zu besorgte sich sein Onkel etwas Sake aus den Dörfern und zog sich damit an seinen Lieblingsplatz zurück. Nur selten hatten Sasuke und er ihn danach erlebt, doch er wirkte jedes Mal wie ein verwundetes Tier…aggressiv und dennoch machtlos. Es schmerzte, ihn so zu sehen. Mehr noch, weil Madara stets versuchte, der starke Teil ihrer Familie zu sein. Derjenige, der ihnen Schutz und Halt gab…obwohl er ihn oftmals selbst brauchte.
 

„Also dann, wollen wir langsam hochgehen?“

Itachi blickte auf, als ihn Kisame nach einer Weile in die Wirklichkeit zurückholte. Sie hatten ihre Unterhaltung nicht fortgeführt, still gegessen und vielleicht war das gut so. Da sie schon im Vorfeld bezahlt hatten, hielt sie nichts mehr davon ab, das Zimmer für die Nacht zu beziehen.

Itachi musterte den Hünen einen Moment lang und er konnte nicht verhehlen, dass er froh war, dass dieser noch bei Sinnen schien. Er hatte nach eigener Aussage nicht zu viel getrunken, aber Itachi konnte das schlecht beurteilen. Dass der Hüne weder lallte, noch sich ähnlich peinlich benahm, wie die Gruppe Männer ein paar Tische weiter, war aber wohl ein gutes Zeichen.

„Ist gut“, antwortete er ihm und erhob sich.

Dass sie dabei an diesen widerlichen Menschen vorbei mussten, war leider unvermeidbar. Die veranstalteten immer noch ziemlichen Lärm, schienen nicht müde zu werden. Nun, Itachi hätte es ignorieren können – wenn ihn nicht plötzlich jemand grob zur Seite geschubst hätte. Er konnte sich gerade noch so halten, fuhr verärgert herum; er hatte den Stoß nicht kommen sehen und sich dementsprechend erschrocken. Anstatt einer Entschuldigung wurde er von dem fremden Mann jedoch nur spöttisch gemustert. Der Geruch nach Alkohol machte es Itachi schwer, nicht das Gesicht zu verziehen, doch er riss sich zusammen. Nein, er würde sich nicht provozieren lassen, ihn am besten einfach stehen lassen…doch da packte der Fremde schon sein Handgelenk.

„Ent…schullige disch…s‘u Schlampe!“, lallte ihn der Mann an und zog ihn ruppig zurück.

Seine Kumpanen am Tisch klatschten und johlten, als würden sie ihnen eine Show darbieten. Itachi spürte, wie ihm heiß und kalt wurde. Es waren Sekunden, in denen er sich wie gelähmt fühlte…und das Szenario von damals drohte wieder aufzuleben. Das Lärmen der Menge, die Berührungen, die wie Feuer auf seiner Haut brannten. Ihm wurde schwindelig, sein Magen verkrampfte sich…nein. Nicht schon wieder. Niemals wieder. Er schluckte die Angst herunter, versuchte, sich zu beherrschen.

„Lass mich los“, verlangte er mit einer Schärfe in der Stimme, die deutlich machte, dass dies die letzte Warnung war.

Der Mann lachte nur, schien sich sein letztes bisschen Verstand bereits weggesoffen zu haben.

„Von so’nem…Schöns‘ling...lasch ich mir nis sag’n!“, brummte er und riss ihn so grob herum, dass Itachi erneut ins Taumeln geriet. „Komma her…isch bring dir Benehm‘ bei!“

Siedend heiß kochten die Erinnerungen erneut in ihm hoch und diesmal konnte er sie nicht verdrängen. Kisame hinter ihm sagte irgendetwas. Zu ihm? Zu dem Mann? Er konnte es nicht verstehen, da das Rauschen in seinen Ohren alle anderen Geräusche übertönte…
 

Sie zerrten an ihm, an seinen Armen, seinen Haaren, schliffen ihn runter…er war blind, gefesselt. Wehrlos. Beleidigungen flossen nur so aus ihren Mündern, raue Männerstimmen, die ihm jetzt schon androhten, was ihn erwarten würde. Da war nur noch Angst. Doch es scherte niemanden, wie er sich fühlte. Weil er nicht als Mensch anerkannt wurde...und dementsprechend verfuhr man auch mit ihm…
 

Es reichte endgültig, seine Beherrschung verabschiedete sich und er fühlte nur noch brennenden Hass. Sein Körper glühte, spannte sich an, seine Finger zuckten…die Temperatur im Raum schien anzusteigen. Er würde sich nie wieder so behandeln lassen. Nie wieder!

Bevor er jedoch jemanden verletzen konnte, kassierte der Kerl einen so heftigen Schlag von der Seite, dass er stöhnend auf dem Boden zusammenbrach. Blut floss ihm aus Mund und Nase, ließ ihn sich die Hände aufs Gesicht pressen und sich fluchend zusammenrollen. Itachi spürte, wie der heiße Zorn aus seinem Körper wich und lediglich Verwirrung übrig blieb. Plötzlich herrschte unangenehme Stille im Raum. Selbst die Männer am Tisch hatten aufgehört zu lärmen, starrten perplex auf ihren verletzten Kameraden – glücklicherweise schien ihn keiner rächen zu wollen, denn niemand von ihnen erhob sich.

Itachi schaute zu Kisame, welcher den Blick einmal herausfordernd durch den Raum schweifen ließ.

„Räumt mal einer den Dreck weg?!“, grollte er, doch keiner rührte sich.

Anscheinend wollte sich keiner mit dem Hünen anlegen – obwohl Itachi zweifellos die größere Gefahr darstellte. Keiner dieser Menschen begriff, dass Kisame soeben etwas wirklich…Fatales verhindert hatte.

„Komm schon!“, wurde er von diesem angeraunzt.

Grob umfasste er Itachis Handgelenk und zog ihn konsequent von den gaffenden Leuten weg. Der Uchiha stolperte ihm ohne Widerworte hinterher, wehrte sich nicht gegen den Griff. Die Vorstellung, was er eben beinahe angerichtet hätte, beschämte ihn zu sehr. Die Tür schloss sich hinter ihnen und er fing sich einen finsteren Blick seines Begleiters ein, welcher sich vor ihm aufbaute und die Arme verschränkte.

„Was sollte das gerade werden, he?“, knurrte Kisame ihn an und Itachi schluckte.

Dass ihn der Hüne plötzlich so anging, verunsicherte ihn, trotzdem er dessen Wut nachvollziehen konnte…andererseits hatte er ja nicht ohne triftigen Grund so reagiert.

„Ich wollte-“

„Die ganze Hütte abfackeln?“, half Kisame grimmig nach.

„…mich verteidigen“, schloss Itachi leise.

Kisame seufzte entnervt, schüttelte den Kopf.

„Der Typ war total betrunken, da hätte ein Kinnhaken gereicht. Hast du doch gesehen“, murrte er und klang dabei, als müsste auch er sich beherrschen. „Du warst kurz davor, deine Teufelskräfte einzusetzen. Die Luft um dich herum hat schon…so seltsam geflimmert…“

Itachi konnte dies nicht leugnen und auch, wenn er einsah, dass er sich falsch verhalten hatte – er hatte es nicht kontrollieren können. Vielleicht hatte Madara ja Recht gehabt, dass es ihm nicht möglich war, sich unter Menschen aufzuhalten. Der Gedanke ließ Verbitterung und Trotz in ihm aufkeimen, so dass er Kisame mit rotgefärbten Augen anfunkelte. Sein Gegenüber wich seinem Blick nicht aus, so wie es die meisten vermutlich getan hätten, sondern hielt ihm stand.
 

„Du hast nie in meiner Haut gesteckt“, erwiderte Itachi eisig. „Du hast nicht erlebt, was ich erlebt habe. Für mich ist es nicht so einfach, rational zu handeln…ich bemühe mich, aber bei solchen Menschen…“

Er verstummte für einen Moment, fand nicht die richtigen Worte, die beschrieben, was in ihm vorging. Tief atmete er durch, wobei sich seine Augen langsam wieder dunkel färbten. In Kisames verbissener Mimik regte sich nichts, er schien zu überlegen, die Raubtieraugen fest auf ihn gerichtet.

„…du hast gesehen, was sie an jenem Tag mit mir gemacht haben“, entkam es ihm schließlich erschöpft. „Und das war alles, an das ich gerade denken konnte.“

Es bereitete ihm Magenschmerzen, dies Kisame gegenüber einzugestehen, obwohl er so sehr versuchte, seine negativen Gefühle nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Die Wahrheit war jedoch, dass es ihm manchmal schwer fiel, nicht einfach die ganze Welt zu verfluchen…so wie es sein Onkel tat. Es war so viel leichter zu hassen, als den Teufelskreis durchbrechen zu wollen. Abermals hörte er Kisame seufzen, doch der Uchiha hatte den Blick abgewandt, sah zu Boden.

„Ich erwarte nicht von dir, dass du jede Situation im Griff hast, Itachi…ich meine, wer hat das schon? Das Problem bei der Sache ist, dass so ein Ausrutscher wie eben dafür sorgen kann, dass sich ein Vorfall wie damals wiederholt...und das weißt du selbst am besten.“

Itachi wusste nicht, ob Kisame darauf eine Antwort brauchte, aber es wäre ihm gerade ohnehin nicht über die Lippen gekommen.

„Du hast Recht. Ich stecke nicht in deiner Haut…aber du hast dich entschieden, mit mir zu kommen. Würdest du mir nicht ein bisschen vertrauen, hättest du dich nie darauf eingelassen.“

Er zuckte zusammen, als der Hüne eine seiner Hände nahm, diese mit seiner viel größeren umschloss. Die Berührung war anders als vorhin, nicht zu vergleichen...und er widerstand dem ersten Impuls, sie ihm zu entziehen. Er hob den Blick wieder, begegnete Kisames, während er mit einem Mal eine ganz andere Hitze spürte.

„Ich weiß, dass du dich verteidigen kannst. Wenn du wolltest, könntest du die Hütte mitsamt allen Menschen darin einfach in Flammen aufgehen lassen…aber das willst du gar nicht, nicht wahr?“

Itachis Herz begann zu rasen und er konnte nicht genau bestimmen, ob es an Kisames Worten oder seinen Händen lag, die sich nun beide um seine Rechte schlossen. Ein Kopfschütteln war alles, was er von sich geben konnte. Seltsamerweise fühlte er sich nicht einmal bedrängt, eher…nervös.

„Warum fängst du nicht an, dich ein bisschen mehr auf mich zu verlassen?“, fragte der Hüne ernst.

Was er sagte, klang, als würde ihn das keine Überwindung kosten. Andererseits…was wäre geschehen, wenn er sich nicht eingemischt hätte? Sicherlich etwas, das Itachi nun zutiefst bereut hätte. Er senkte den Blick auf seine Hand, die in den warmen Pranken des Hünen lag, und er konnte nicht verhindern, dass er ruhiger wurde.

„Ich werde es versuchen“, versprach er und schaute wieder zu ihm auf. „Erwarte nur nicht zu viel.“

Kisames scharfe Zähne blitzten hervor, als sich sein Mund zu einem breiten Grinsen formte. Der Griff festigte sich noch einmal, bevor er ihn wieder losließ. Itachi ertappte sich unweigerlich dabei, dies zu bedauern…nicht, dass er es in irgendeiner Weise zeigte.

„Ich nehme dich beim Wort!“, warnte Kisame ihn mehr scherzhaft, ehe er sich umwandte. „Und jetzt lass uns die Futon aus dem Schrank holen. Wenn wir morgen früh los wollen, sollten wir langsam mal Schlaf kriegen.“

Dagegen war nichts einzuwenden, schließlich hatten sie noch einen langen Weg vor sich. Den ersten Tag hatte er hinter sich gebracht und sah man von der kleinen Eskapade zwischendurch ab, war der gar nicht so schlecht gelaufen. Es konnte nur besser werden…hoffte er jedenfalls.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Scorbion1984
2020-08-03T17:54:33+00:00 03.08.2020 19:54
Das ist gerade noch mal gut gegangen , Kisame wird wohl wirklich ein guter Freund für ihn.


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