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Blutorange

von

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Zehn Jahre später

Das laute Ticken einer großen, alten Standuhr hallte durch die menschenlose Bibliothek. Es bahnte sich seinen Weg durch die Regale voller Bücher, welche sauber und ordentlich aufgereiht waren. Sie waren nicht mehr alle im besten Zustand. Bei ein paar war der Buchrücken angesengt, die Seiten von Feuchtigkeit gewellt und manche schon fast gänzlich ausgeblichen. Aber von diesen Büchern konnte man sich nicht trennen. Und das in einem ziemlich wörtlich gemeinten Sinn. Man konnte es einfach nicht. Diese Bücher waren zu mächtig und hatten teilweise bereits ihren eigenen Willen entwickelt. Wenn man sie loswerden wollte, belegten sie den Träger mit einem Fluch oder krochen nachts, wenn niemand hinsah, einfach wieder zurück ins Regal. Eine magische Bibliothek zu leiten war gar nicht so einfach.
 

Gähnend blätterte eine junge Frau am Empfangstresen die Seiten eines eher harmlosen Exemplars ihrer Sammlung durch. Es war ein schmalziger Groschenroman, nicht weiter von Bedeutung. Er war nichtmal gut. Aber leider so ziemlich das einzige Buch in diesem Gebäude, welches Sharon Rodow nicht bereits gelesen hatte. Und wenn man sich den Wortlaut jedes Buches exakt merken konnte… wofür dieselbe Geschichte ein zweites Mal lesen?
 Wobei… im Grunde wiederholten sich die Geschichten ja doch. Diese hier, kam ihr so unheimlich bekannt vor. Und irgendwie ließ sie Sharon an eine längst vergangene Zeit erinnern.
 

„Miss Rodow! Miss Rodow! D-die Banditen! Sie sind wieder hier!“, platzte plötzlich und völlig hysterisch ein junger Mann durch die Tür. Keuchend kam er vor Sharons Empfangstresen zum Stehen.
 

Diese hob den Kopf, welcher eben noch auf ihre Hand gestützt war. Ein roter Abdruck blieb auf ihrer Wange - wie lang hatte sie in dieser Position verharrt? Na, so lange konnte es doch nicht- … ein Blick auf die Seitenzahlen verrieten ihr, dass sie bereits auf Seite 423 angekommen war. Dieser Schund ging länger, als sie erwartet hatte.


Sharon nahm die Brille von ihrer Nase und rieb sich mit der anderen Hand das Gesicht.

„Schon wieder?“, seufzte sie.
 

Bereits in den vergangenen Monaten hatte eine Gruppe böser Tunichtgute versucht ihre Ortschaft auszurauben. Blöd war nur, dass ihr Dorf außer Alkohol und Bücher nicht viel zu bieten hatte. Schätze und Reichtum schonmal gar nicht. Außer natürlich, dass die Bewohner reich an Wissen waren. Aber das war wohl eher weniger etwas, was diese Banditen sich aneignen wollten.
 

„Ja, Miss! Und dieses Mal scheinen sie es ernst zu meinen!“, beteuerte der Mann.
 

„Gott, Malcolm, man sollte meinen, sie hätten die Nachricht verstanden, die wir ihnen das letzte Mal überbracht haben.“
 

Der Angesprochene hob hilflos die Schultern. „Vielleicht hielten sie es für eine leere Drohung. Ich meine, warum sollten wir auch Hilfe von… Ihrem Kontakt erwarten?“ Seine Stimme wurde ehrfürchtig etwas leiser.
 

„Ich hätte gedacht, dass allein sein Name sie in die Flucht schlagen würde.“
 

Betretenes Schweigen trat zwischen sie beide.
 

Man hatte mehrfach versucht mit den Banditen zu verhandeln. Solange sie niemandem etwas taten, hatte man sie beherbergt. Aber sie wurden immer fordernder und begannen das Örtchen Stück für Stück einzunehmen. Vermehrt brachen sie in Häuser ein, vergriffen sich an den Frauen und urinierten wohin es ihnen passte. Zuletzt hatten sie das Rathaus angezündet. Damit hatten sie das Maß deutlich überschritten. Sharon hatte das Gefühl, dass die Banditen ihr keine andere Wahl ließen, als sie freundlich darauf hinzuweisen, dass sie guten Kontakt zu einem gewissen, berüchtigten Mafiosi hegte. Und das schon seit gut zehn Jahren.
 

„Und was werden Sie jetzt tun?“, fragte Malcolm leise.
 

Resigniert schloss Sharon ihren Schundroman. „Naja, wer nicht hören will…“ Sie nahm ihren Mantel von der Stuhllehne und schritt zur Tür. In ihrem Kopf plante sie bereits, was sie für ihre Reise benötigte. Ein leichtes Kribbeln fuhr ihre Wirbelsäule herauf. Sie hatte sich schon lange nicht mehr auf ein Abenteuer begeben. Aber es sollte nicht allzu schwierig werden, ihren alten Bekannten ausfindig zu machen.
 

„Werden Sie ihn jetzt holen gehen?“
 

Sharon nickte bestimmt. „In spätestens zwei Wochen bin ich wieder da. Versucht bis dahin noch genug Bier auf Lager zu haben. Er wird es zum Runterspülen brauchen.“
 

Die Schurken würden Risto eine gute Vorspeise abgeben.



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