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Noise Break

[Demonic Reverie]
von

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Kapitel 4: Du hast die Fähigkeiten dafür


 

Der Unterricht am Vormittag verlief ereignislos. An diesem Tag war nicht einmal jemandem danach, sie zu quälen, zumindest bis zur Mittagspause nicht. Nerida genoss diesen Frieden, denn so gelang es ihr, sich vollkommen auf den Inhalt des Unterrichts zu konzentrieren, wie üblich indem sie sich zahlreiche Notizen machte. Sie meldete sich aber nie, die Lehrer riefen sie ohnehin nur sehr ungern auf, manche schienen sich nicht einmal ihren Namen merken zu können. Wahrscheinlich verdrängte man lieber die Tatsache, dass sie existierte. Sie war nicht gut darin, sich bei anderen einzuprägen, dafür war sie doch zu unauffällig. Sie wollte es auch nicht anders haben. In der Unauffälligkeit unterzugehen war ihre einzige Möglichkeit dieses Leben zu überstehen.

Statt in die Cafeteria, ging Nerida während der Mittagspause in die Bibliothek. Dort gab es zwar auch zahlreiche Schüler, aber sie langweilten sich nicht beim Essen und suchten deswegen nach leichten Opfern, sondern versuchten zu lernen. Jegliches Aufheben, das Mobbing mit sich brachte, war dort nicht gestattet und wurde von der Bibliothekarin streng geahndet. Mrs. Polley gehörte schon regelrecht zum Inventar der Schule. Aufgrund ihres aschgrauen Haares, das sie stets zu einem Dutt hochgebunden trug, ihrer sechseckigen Brille an der Kette und den tiefen Falten in ihrem Gesicht, die durch das Make-up nur betont wurden, mutmaßten manche Schüler, dass sie mindestens eine Millionen Jahre alt war. Natürlich war das Unsinn, deswegen ging Nerida nie darauf ein (außerdem gab es auch niemanden, mit dem sie darüber reden könnte). Vielleicht war sie unter anderem deswegen ein recht gern gesehener Gast bei Mrs. Polley, denn sie war noch nie von der Bibliothekarin verwarnt oder gar bitterböse angesehen worden.

Nachdem Nerida die Glastür zur Bibliothek durchquert hatte, entdeckte sie rechts den hervorragend gepflegten Tresen, der nicht einmal Spuren von Druckerschwärze aufwies. Mrs. Polley saß dort und war gerade damit beschäftigt, neue Bücher in das ihr verhasste Computer-System einzuspeisen. Sie schenkte Nerida ein knappes Nicken, das von ihr erwidert wurde. Ein stilles Zugeständnis an Respekt dem jeweils anderen gegenüber.

Nerida wurde wieder einmal bewusst, was für ein wandelndes Klischee Mrs. Polley war, aber gleichzeitig fühlte es sich für sie auch richtig an. So musste eine der wenigen Personen, die ihr wohlgesonnen waren, eben sein. Außerdem hielt Darien auch Nerida für ein wandelndes Klischee. Vielleicht mussten sich solche also als Außenseiter zusammentun.

Direkt nach dem Tresen gab es einen Arbeitsbereich mit mehreren Tischen für Gruppen, die sich aber nur flüsternd unterhalten durften. Dahinter erstreckten sich Reihen von Bücherregalen, in denen sich sowohl auf den Unterricht beziehende Lektüre als auch unabhängiges Lesematerial befand. Zwischendrin standen immer wieder Tische für Einzelstudien, jeweils vom Nachbar durch Holzwände getrennt. Auch an diesem Tag waren aber lediglich vereinzelte davon besetzt.

Nerida griff sich ein Buch aus der Geschichtsabteilung, das einer ihrer Lehrer an diesem Vormittag angesprochen hatte, und setzte sich damit an einen Einzeltisch. Im Grunde interessierte sie sich zwar für die Geschichte der Stadt, aber in den Büchern zeigte diese sich meist sehr geschönt. Niemand redete darin über die Flüche, Dämonen und Albträume, oder gar deren Jäger. Alles Außergewöhnliche, das geschah, wurde auf irgendeine weltliche Art und Weise erklärt. Wenn ein Haus einstürzte, war die Struktur einfach baufällig gewesen. Eine Explosion in einem Viertel? Ein Gasleck. Natürlich gaben sich alle Schulen Mühe, niemanden von der Bedrohung wissen zu lassen, selbst nachdem jemand vor Jahren versucht hatte, alles offenzulegen. Aber dennoch empfand Nerida das als ungerecht. Schließlich konnte so auch nie jemand die für alles verantwortlichen Helden entsprechend würdigen. Vielleicht würde man sogar sie besser behandeln, wenn man wüsste, dass ihre Familie zu diesen Helden gehörte. Oder noch abfälliger, weil sie dann bewiesenermaßen anders waren.

Während sie darüber nachdachte, las sie die angegebenen Seiten, notierte sich Dinge auf ihrem mitgebrachten Block, ohne wirklich etwas in sich aufzunehmen. Vielleicht war das ein Vorteil ihrer Abstammung, vielleicht hatte Darien aber auch recht und sie war wirklich ein Nerd. Doch der Gedanke an ihren Zwillingsbruder lenkte sie schließlich vollends von ihren Aufgaben ab. Sie stellte sich vor, wie er gerade gemeinsam mit Amy und Mya beim Mittagessen saß, wie viel Spaß die drei hatten, während sie sich in dieser Bibliothek verkriechen musste, nur um nicht Opfer irgendeines Streiches zu werden.

Dann verwandle diesen Raum einfach in einen eisigen Krater. Die Stimme in ihrem Inneren flüsterte ein wenig zu verführerisch. Niemand würde dich jemals wieder verurteilen.

Demonstrativ drückte Nerida den Stift fester auf.

Es war Unsinn. Jeder würde sie verurteilen. Sie wäre dann zur Jagd freigegeben, als gefährlicher Dämon gebrandmarkt – und sie wusste, was Abteracht mit diesen tat. Kein Grund, das am eigenen Leib erfahren zu wollen.

Dann frierst du einfach auch alle Jäger ein, die sie dir nachschicken. Und warum dort aufhören? Erschaff doch einfach ein ewig währendes Winterparadies. Du hast die Fähigkeiten dafür.

Sie ignorierte diese Stimme so gut sie konnte. Aber ein kleiner Teil in ihrem Inneren empfand die Idee wohl als gut: Während sie mit zitternder Hand noch die letzten Worte schrieb, entdeckte sie kleine Eiskristalle an ihren Fingern. Diese setzten sich auf ihrer Haut zusammen, bildeten eine Schicht, die sich langsam auszubreiten begann. Eine angenehme Kälte begleitete diesen Prozess, er gab sich Mühe, sie gänzlich von diesem Plan zu überzeugen.

Nerida erhob sich abrupt. Der Stuhl erzeugte ein unangenehm lautes Geräusch in der Stille. Die anderen Schüler in der Nähe sahen überrascht auf. Kaum erkannten sie Nerida allerdings, wandten sie sich bereits wieder ab. Im Moment war sie froh darüber.

Sie atmete betont ein und aus, konzentrierte sich. Das Eis schmolz, wenn auch nur langsam. Etwas von dem Wasser tropfte auf ihren Block und verwischte das zuletzt geschriebene Wort. Sie konnte hier nicht bleiben. Nicht, wenn das so weiterging.

Um kein weiteres Wasser auf irgendetwas kommen zu lassen, drückte sie die rechte Hand gegen ihren Oberkörper, mit der linken räumte sie derweil ihre Sachen zusammen. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit ließ sie das Buch einfach liegen und flüchtete aus der Bibliothek.

Die Gänge waren gefüllt mit Schülern. Vor ihrem inneren Auge sah sie jeden einzelnen davon eingesperrt in Eis, die Gesichter vor Schreck verzerrt. Auf paradoxe Weise war es eine unangenehm angenehme Vorstellung, die sie zu verdrängen versuchte, ehe sie etwas tat, das sie bereuen könnte. Der Stoff ihrer Jacke sog sich derweil mit der Flüssigkeit des schmelzenden, aber immer nachkommenden Eises voll.

Sie lief derart schnell, dass sie kaum auf ihren Weg achtete. Dass sie stolperte, überraschte sie deswegen kaum, zumindest stürzte sie aber nicht, sondern fand ihr Gleichgewicht wieder. Ihr Block und ihr Stift fielen ihr dabei aber aus der Hand und schlitterten über den Boden. Die umstehenden Schüler sahen kurz zu ihr. Es fühlte sich an, als brannten diese Blicke auf ihrer Haut, versuchten diese selbst zu schmelzen. Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Atmung, ihre Jacke wurde aufgrund der Feuchtigkeit langsam schwer.

Es ist alles nicht so schlimm, sagte sie sich. Die anderen schauen schon gar nicht mehr. Beruhige dich, Nerida, alles ist okay.

Ihr Herz schlug immer noch viel zu schnell, aber zumindest reagierte ihr Körper darauf, ihren Block an sich zu nehmen. Sie erhob sich gerade wieder, als plötzlich eine Hand in ihren Blickbereich kam. Diese hielt ihr ihren Stift entgegen. Neridas Blick folgte dem Arm, über die Schulter und den Hals, bis sie zum Gesicht der anderen Person kam. Es war ein Mädchen in etwa ihrem Alter, dessen Aussehen Nerida fast das Herz stehenbleiben ließ. Die feinen Züge im blassen Gesicht ließen sie, schon allein wegen der Nase, geradewegs aristokratisch wirken, dazu noch das kupferfarbene Haar, das zu zwei Zöpfen geflochten war, und die goldenen Augen, die regelrecht zu glühen schienen. Nerida war überzeugt, sie noch nie zuvor an dieser Schule gesehen zu haben. Vermutlich war sie neu und nur deswegen im Kontakt mit ihr. Das Mädchen stand einfach nur da, lächelte, wartete.

Schließlich holte Nerida sich aus ihrer eigenen Starre, gab sich einen heftigen innerlichen Ruck und nahm der anderen den Stift wieder ab. Ihre Finger streiften dabei die der anderen, ein leichter Elektroschock fuhr dabei durch sie hindurch. »Ah, danke.«

»Keine Ursache.« Ihre Stimme klang dunkel, selbstsicher, so wie Nerida sich ihre eigene immer wünschte. »Sei lieber vorsichtig, während du hier herumläufst.«

»I-ich versuche es.« Wie peinlich, da geschah ihr ein solches Missgeschick ausgerechnet vor einer der wenigen Personen, die sie gar nicht kannte, bei der sie sich noch beweisen könnte. Oder war es ein Vorteil, dass sie sich derart menschlich zeigte?

Die andere lachte leise, als sie den Kopf neigte. »Gut. Man sieht sich.«

Sie hob noch einmal die Hand, dann war sie bereits wieder auf ihrem Weg, den Gang hinunter. Nerida blickte ihr hinterher, wünschte sich, genug Mut zu besitzen, um sie noch einmal anzusprechen, sie als Freundin zu gewinnen. Aber sie ließ zu, dass die Fremde zwischen den anderen Schülern, die sie kaum beachteten, unterging.

Kaum war sie aus ihrem Sichtfeld verschwunden, blickte Nerida auf ihre rechte Hand hinab. Sie war endlich vollkommen trocken.

 

Den Rest des Schultages sah Nerida das andere Mädchen nicht wieder. Sie konnte auch niemanden nach ihr fragen, schon weil sie ihren Namen nicht kannte. War sie wirklich neu? War sie einfach nicht an den Gerüchten um Nerida interessiert? Oder bereitete sie am Ende nur auch einen Streich vor, der auf Neridas Kosten gehen sollte?

All diese unbekannten Faktoren halfen ihr nicht sonderlich, sich auf den nachmittäglichen Unterricht zu konzentrieren. Die Stimme ihres Englisch-Lehrers erschien ihr wie ein Rauschen, das lediglich das leise Kichern der rachsüchtigen Stimme in ihrem Inneren untermalte. Um sich nicht zu sehr auf ihr Innenleben zu konzentrieren, versuchte sie deswegen, sich der Unterrichts-Lektüre zu widmen, auch wenn das Buch sie nicht sehr interessierte. Es war zu einfach, zu simpel, vollgestopft mit Symbolen, die es tief wirken lassen sollten, obwohl es im Endeffekt genauso oberflächlich war wie die Gespräche, die darin geführt wurden. Es versuchte also etwas zu sein, das es nicht war, und das störte Nerida. Vielleicht fühlten sich alle anderen so auch in ihrer Nähe, während sie versuchte ein einfacher Mensch zu sein.

Nach der Schule machte sie sich wieder allein auf den Heimweg. Wie jeden Tag.

Ihre Hand war in der Zwischenzeit nicht mehr kalt geworden, ihre Jacke war nur noch ein wenig feucht, kaum zu bemerken. Sie nahm sich vor, doch endlich mit ihrer Mutter darüber zu sprechen. Vielleicht war es ihr auch einmal so ergangen und sie hätte einen Ratschlag für sie. Schließlich könnte es jederzeit ganz anders ausgehen als an diesem Tag.

Sie war noch nicht so weit gekommen wie am Vortag, als sie wieder die Stimmen von Orabela Breen hinter sich hörte: »Belfond!«

Nerida blieb stehen und fuhr herum, gerade rechtzeitig bevor jemand nach ihren Zöpfen greifen konnte. Vor ihr hielt das Trio wieder inne, alle drei musterten sie finster, dabei war sich Nerida noch weniger einer Schuld bewusst als am Tag zuvor. »Was ist los?«

Diesmal war es Bernice, die das Reden übernahm: »Ist dein Gehirn ein Sieb? Ich hab dir letzte Woche gesagt, dass ich bis heute eine Projektarbeit abgeben muss, um die du dich kümmern sollst!«

Nerida runzelte die Stirn. Ihr Gedächtnis war normalerweise vollkommen in Ordnung, aber daran erinnerte sie sich nicht. Diese Tatsache teilte sie Bernice auch sofort mit.

»Wirfst du mir etwa vor, dass ich es vergessen habe?«

»Nein, ich-«

Bernice schmetterte Nerida gegen die Wand. Der Sauerstoff wurde aus ihren Lungen gepresst. Hektisch schnappte sie nach Luft. Für einen Moment schien alles vor ihren Augen zu verschwimmen. Deswegen, so glaubte sie, hörte sie nicht, was Bernice sagte, als deren Lippen sich bewegten. Sie blinzelte mehrmals, hoffte, dadurch wieder Kontrolle über ihren Körper zu erlangen.

Da Nerida nicht reagierte, öffnete Bernice noch einmal den Mund. Plötzlich sah es so aus als verzogen sich ihre Lippen – und ein Rauschen war das einzige Geräusch, das Nerida wahrnehmen konnte. Ungläubig sah sie ihren Gegenüber an. Bernices Reaktion darauf bestand daraus, dass sich nun auch der Rest ihres Körpers zu verziehen begann, so dass alle Farben verschwammen, bis sie nur noch eine Silhouette schwarz-weißen Signals war. Das Geräusch, das diese Verzerrung begleitete, erinnerte Nerida mehr und mehr an ein Radio oder einen alten Fernseher ohne Empfang.

»Was?« Ihre eigene Stimme hallte über das Rauschen, schien aber Bernice nicht zu erreichen.

Die Silhouette zuckte untätig, in einem unheimlichen Rhythmus und einem Muster, das nicht dem eines Menschen entsprach.

Hilfesuchend sah Nerida zu den beiden anderen Mädchen – aber diese waren verschwunden. Statt ihnen standen dort nun ebenfalls zuckende Silhouetten, die aber nicht mehr sonderlich menschlich aussahen. Ihre Formen waren derart verzerrt, dass sie nur noch eine wilde Parodie auf Menschen darstellten, die Zeichnung eines Kindes, das Dämonen festzuhalten versuchte.

Keine der Gestalten schien sich mehr um sie zu kümmern.

Nerida wich seitlich an der Mauer entlang aus, ihr Blick wanderte weiter umher, hoffend, dass es in der Nähe jemanden gab, der ihr helfen könnte. Aber plötzlich waren alle anderen Menschen, die sich zuvor noch in der Umgebung befunden haben mochten, nur noch schwarze Schatten von Personen, die auf dem Boden knieten und klagende Wehlaute ausstießen. Lediglich ihre offenen Augen und die aufgerissenen Münder waren leere Höhlen durch die man die Umgebung sehen konnte, die sich ebenfalls zu verzerren begann. Übertrieben große Tränen fielen aus den Augenöffnungen und zerplatzten auf dem Boden, Buchstaben kamen aus den Mündern und begleiteten die ausgestoßenen Töne. Zumeist handelte es sich dabei um einfache Schreie, aber manchmal waren darunter auch Wörter herauszuhören und zu lesen.

Als einer der Schatten »Bitte nicht, Dad!« rief, fuhr Bernice herum, streckte den eigenen Körper – und biss dem Schatten den Kopf ab. Schwarzes Blut spritzte, das Wesen stürzte zu Boden und zerfloss in eine Pfütze. Orabela und Charity schlurften hinüber, beugten sich vor und begannen damit, die Flüssigkeit aufzusaugen.

»Was ist hier los?«, fragte Nerida, sie musste die Worte herauswürgen, ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Wo bin ich?«

Hatte sie sich etwa bei dem Zusammenprall mit der Wand den Kopf gestoßen? War sie in Ohnmacht gefallen? Oder war sie in einen Albtraum oder den Limbus, die Grenze zwischen dieser Welt und Niflheim, geraten?

Nein, das war alles unmöglich. Der analytische Teil ihres Gehirns sprang in Aktion, arbeitete auf Hochtouren und lieferte ihr die Begründungen dafür: Albträume waren nur nachts aktiv, und der Limbus besaß ein gänzlich eigenes Aussehen, das sich nicht veränderte, und es entsprach nicht diesem hier. Diese verzerrte Realität musste also etwas anderes sein. Nur was?

Egal, sagte sie sich, erst einmal muss ich hier weg.

Die Wesen sahen weiter in die andere Richtung, das war ihre Gelegenheit.

Nerida löste sich von der Wand und rannte. Die Richtung war egal, nur weg. Hoffentlich an einen sicheren Ort, wo auch immer sich ein solcher in dieser Welt befinden dürfte.

Doch sie kam nicht weit. Zum einen war ihre Kondition so gut wie nicht vorhanden, und zum anderen setzten sich die Reihen der schwarzen Figuren fort. Als einer der Schatten neben ihr »Hör auf, Dad, hör auf!« ausrief, fuhr Bernice auf ihn nieder. Sie hörte ein Knacken, gefolgt von einem schmatzenden Geräusch, sah aber nicht hin. Das Opfer stürzte gegen Nerida und zerstörte ihre ohnehin schon empfindliche Balance. Sie fiel auf die Knie, brennende Schmerzen schossen durch ihre Beine, verhinderten, dass sie sich sofort wieder aufrichtete.

Der langgezogene Oberkörper des Wesens, das einst Bernice gewesen war, schwebte über ihr in der Luft, starrte sie an. In dem, was die Augen darstellen sollten, bewegten sich die Störungen entgegen denen des restlichen Körpers. Das vergrößerte das unangenehme Gefühl, das in Neridas Inneren wütete und von ihr verlangte, schnellstens zu verschwinden – oder alles zu Eis erstarren zu lassen. Wenn sie ihre Fähigkeiten nun entfachte, könnte sie ihr Leben retten. Sie würde niemanden töten, nur sich selbst retten. Das wäre doch vertretbar, oder?

Das Eis breitete sich bereits über ihre Hände aus. Sie konnte sich nicht rühren, nur den Blick der Verzerrung erwidern und dabei hoffen, dass alles gut ausging, dass niemand sterben musste. Kaum auszudenken, was geschähe, wenn sie doch jemanden tötete.

Das Wesen verließ die Geduld, ehe Nerida ihre Kräfte bündeln konnte. Wütend fuhr es nach unten, raste auf sie zu – dann übertönte ein Schuss das weiße Rauschen. Ein gleißender Lichtstrahl traf auf die Verzerrung, schmetterte sie mühelos zu Boden.

Nerida atmete konzentriert durch, versuchte, die Anspannung nicht sinken zu lassen. Sie wusste nicht, woher dieser Angriff gekommen war, vielleicht musste sie immer noch ihre Kräfte benutzen, sie wollte hier nicht wehrlos sein.

Ihr Blick wanderte wieder umher. Nach nur wenigen Sekunden entdeckte sie tatsächlich eine Gestalt, die kein Schatten und keine Verzerrung war. Das kupferfarbene Haar war hochgesteckt worden, die zuvor goldenen Augen leuchteten nun eher in einem kräftigen Orange, auch die Kleidung war vollkommen anders, aber es war eindeutig das Mädchen, das Nerida vorhin ihren Stift zurückgegeben hatte. Sie stand in einer triumphierenden Pose auf einer flackernden Erhöhung, die kleine Handfeuerwaffe immer noch im Anschlag. Aber ihr durchdringender Blick und ihr strahlendes Lächeln, galten in diesem Moment ganz allein Nerida. Sie tippte sich mit der Waffe kurz gegen die Stirn, zwinkerte, dann öffnete sie ihren Mund, um ihr etwas hinabzurufen: »Hallo, Nerida Belfond~! Mein Name ist Sabia Agron! Ich heiße dich herzlich in dieser Welt der Störungen willkommen! Fühle dich geehrt, dass du als erste Person eine Störungsbrecherin bei der Arbeit bewundern darfst~!«
 



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