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Noise Break

[Demonic Reverie]
von

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Kapitel 2: Das mache ich nicht freiwillig.


 

Obwohl sie halb Dämon, halb Albtraum war, gelang es Nerida nicht, zu träumen. Sie wusste nicht, woran es lag, hatte aber auch nie mit jemandem darüber gesprochen. Schon manches Mal hatte sie angesetzt, um Darien oder Ronan deswegen zu fragen, aber stets war ihr der Mut abhanden gekommen. Sie fürchtete sich davor, eine negative Antwort zu bekommen und dann doch allein mit ihrem Problem zu bleiben. So blieb ihr ein kleiner Funken Hoffnung, dass es normal war, dass sie das alles nicht allein durchmachte. Denn falls das so war, wüsste sie nicht, wie sie damit umgehen sollte.

Doch es stimmte nicht ganz. Nerida träumte durchaus, aber es war immer dasselbe, so wie auch in dieser Nacht wieder. Sie hatte sich hingelegt, die Augen geschlossen, um zu schlafen – und als sie diese wieder öffnete, fand sie sich erneut an jenem unheiligen Ort wieder. Es war ein Zimmer, es hatte schon immer zu klein gewirkt, aber je mehr sie gewachsen war, desto erdrückender hatte der Raum sich angefühlt, obwohl dieser sich nicht änderte. Die rosa Tapete war schmutzig, an manchen Stellen schälte sie sich bereits ab, darunter kamen getrocknete braune Blutspuren zum Vorschein. Ein Leuchter hing von der Decke, wann immer er hin und her schwang, entstand ein Geräusch ächzenden Metalls, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Nerida selbst saß an einem runden Tisch, der möglicherweise einmal weiß gewesen war. Inzwischen beherrschten aber klebrige Flecken in den unterschiedlichsten Farben die Oberfläche – wenn man die leblosen Herrscher betrachtete. Die lebenden huschten in Form von dicken grauen Spinnen, etwa so groß wie Neridas Hand, über den Tisch, ohne dabei irgendeine Linie einzuhalten oder ein Ziel zu erfüllen. Sie liefen einfach über die Oberfläche, verschwanden darunter und tauchten dann irgendwo anders wieder auf. Die ersten Male hatte Nerida aus Angst geweint, aber inzwischen beachtete sie diese Wesen kaum noch. Sie bekam immer noch eine Gänsehaut, wenn ihr Blick zu lange auf einem davon verweilte, deswegen sah sie stets davon ab.

Es gab nur wenige Hindernisse, denen die Spinnen ausweichen mussten, dazu gehörte auch Neridas Tasse. Das Porzellan an sich, das an Perlen erinnerte, war wunderbar verarbeitet. Gemeinsam mit der Untertasse wirkte es, als entfalte sich gerade eine Rosenblüte. Aber der Inhalt sah aus wie dickflüssiges Blut, nur dass er nach einem besonders ekelhaften Schlamm stank. Schon beim Gedanken daran, selbst wenn sie wach war, drehte sich regelmäßig Neridas Magen um. Einmal hatte sie die Tasse von sich geschoben, nur ein wenig – doch dieser eine Zentimeter hatte den Zorn ihrer Gastgeber nach sich gezogen. Noch einmal wollte sie das nicht riskieren. Seitdem legte sie immer ihre Hände in ihren Schoß, damit sie nicht aus Versehen etwas verschob.

Außer ihr saßen noch drei andere Gestalten am Tisch, die laut eigenen Aussagen keine Namen besaßen. Sie hatten alle drei gräuliche Haut, fast als wären sie schon lange tot und sie waren nur nicht in der Lage, das auch zu akzeptieren. Deswegen widersetzten sie sich dieser Tatsache mit aller Macht.

Links von Nerida saß die Gestalt, die sie Näherin genannt hatte. Leider lag das nicht in ihrem Hobby oder gar ihrem Beruf begründet, sondern an ihrem Gesicht. Jemand – obwohl Nerida sich das nicht einmal vorstellen wollte – hatte sich die Zeit genommen, ihre Lippen sowie auch ihre Augen zusammenzunähen. Fingerdicke Nähte hielten beides verschlossen, aber das störte Näherin nicht in ihren Versuchen, Kuchen zu essen. Wieder einmal hatte sie ein frisches Stück auf dem Teller, nahm sorgsam etwas davon auf ihre Gabel und führte es an ihren Mund, einen Schwall roter Flüssigkeit, die aus dem Kuchen tropfte, hinter sich herziehend. Dann – obwohl es Nerida schon beim bloßen Zusehen schmerzte – öffnete Näherin ihren Mund weit genug, dass eine lila Zunge hervorschnellen, das Stück schnappen und sich dann wieder zurückziehen konnte. Die Fäden lockerten sich bei dieser Prozedur kein einziges Mal, stattdessen sah es aus als dehne sich die Haut entsprechend, um eine Öffnung zu schaffen. Kaum war ihr Mund wieder geschlossen, kaute sie auf dem Kuchen, was eigenartig knirschende Geräusche verursachte.

Ihr gegenüber – also rechts von Nerida – saß die Gestalt Glas. Zahlreiche Scherben steckten in ihrem Körper, hatten tiefe Wunden hineingerissen, die aber schon lange nicht mehr bluteten. Immer wieder hob sie ihre eigene Tasse an ihre Lippen, trank einen Schluck. Darauf flossen Rinnsale aus den Wunden, hinterließen neue braune Spuren, die auf ihrer Haut trockneten. Ihre roten Augen huschten immer hin und her, hielten nie wirklich irgendwo inne, als wollte sie alles gleichzeitig wahrnehmen.

Gegenüber von Nerida saß Mumie. Ihr gesamter Körper war in dicke Bandagen eingewickelt, lediglich ihr linkes Auge lag frei. Es war ebenfalls rot, aber im Gegensatz zu Glas, starrte es unverwandt Nerida an, als wollte es direkt in ihre Seele sehen. Im Allgemeinen bewegte sie sich nicht, was im Vergleich zu den unablässigen Bewegungen der anderen beiden noch verstörender wirkte.

Jenseits des Tisches, hinter Mumie, stand ein Metallkonstrukt an der Wand. Erst als Neridas Alter in den zweistelligen Bereich gekommen war, hatte sie gelernt, dass es sich dabei um eine Eiserne Jungfrau handelte, ein Foltergerät. Blut floss in einem stetigen Rinnsal unten heraus. Sie wusste nicht, was sich im Inneren befand – und eigentlich wollte sie es auch gar nicht wissen.

Nerida war einmal ruhig am Tisch gesessen, ohne auf sich aufmerksam zu machen. Es hatte sich angefühlt, als beobachte sie stundenlang, wie Näherin und Glas aßen und tranken, und Mumie sie anstarre. Nichts war geschehen, sie war nicht aufgewacht, gefangen in diesem Traum.

Deswegen wusste sie inzwischen, dass sie etwas tun musste, um die Ereignisse voranzubringen. Sie beugte sich ein wenig vor – der Gestank des Tees stach in ihrer Nase – und stellte eine unschuldige Frage: »Wie geht es euch?«

Sofort wandte die allgemeine Aufmerksamkeit sich ihr zu. Selbst Näherins geschlossene Augen schienen sie aufzuspießen. Glas stieß ein gackerndes Lachen aus. »Wenn das nicht die Tochter des Verräters ist.«

Das war stets die Begrüßung auf ihre Frage. Daraus hatte Nerida schon lange geschlossen, dass sie alle drei Albträume waren, die einmal im Eden Howl gelebt hatten, genau wie ihr Vater. Eden Howl war der Ort, an dem Albträume entstanden, das Gefängnis, in dem sie existierten, bis sie irgendwann entkamen, um Menschen zu quälen und sich an ihnen zu nähren, ihren Ängsten, ihrer Verzweiflung, ihrer Dunkelheit. Ihr Vater war anders, aber er war auch frei. Diese Albträume hier waren aber an sie gebunden. Etwas, was sie nicht verstand und die anderen wollten ihr natürlich nicht antworten. Sie hätte ihren Vater fragen können, aber … er hatte eben seine eigenen Probleme.

»Du hast ganz schön viel Schneid, hier immer wieder aufzutauchen«, fuhr Glas fort.

»Das mache ich nicht freiwillig.« Nerida beobachtete eine der Spinnen, die sich entschlossen hatte, auf den angeschnittenen Kuchen zu klettern. Näherin ließ die Kuchengabel heruntersausen und spießte die Arachnide damit auf. Lila Blut spritzte, dann rollte sich die Spinne zusammen und eine Sekunde später hatte Näherin sie bereits verschlungen. Neridas Atmung beschleunigte sich. »Ich kann nichts dafür, dass ich immer wieder hier lande.«

»Ach?«, fragte Glas spöttisch. »Kannst du nicht?«

Näherin und Mumie lachten leise, verhalten, ohne sich dabei zu bewegen. Nerida wäre am liebsten im Boden versunken, nur um endlich dieser Situation zu entfliehen. Natürlich wurde ihr dieser Wunsch aber nicht erfüllt. Glas nahm einen weiteren genüsslichen Schluck Tee. Mit einem leisen Klicken stellte sie die Tasse wieder auf ihren Platz. »Du weißt genau, warum du so oft wieder hier landest. Du willst es dir nur nicht eingestehen.«

»Das ist nicht wahr. Ich weiß es wirklich nicht.«

Die drei lachten. Nerida sank ein wenig tiefer auf ihrem Stuhl. Zorn flammte in Glas‘ Augen auf. »Setz dich gefälligst anständig hin! Was soll man denn von dir halten, wenn du dich so hängen lässt?!«

»Was erwartest du von ihr?« Obwohl Näherins Mund zugenäht war, schaffte sie es spielend, zu sprechen, und das auch noch in einem spöttischen Ton. »Sie ist die Tochter eines Verräters. Und ihre Mutter ist eine Schneefee. Die kriegen ihren Rücken doch nur gerade, wenn sie einen Besenstiel verspeisen.«

Die anderen beiden lachten, Nerida senkte den Blick. Sie wusste darauf nichts zu erwidern, denn sie kannte die Vergangenheit ihrer Eltern nicht wirklich. Sie waren ein Geißel und eine Dämonin, so viel war ihr klar, aber sie hatte keinen der beiden jemals wirklich darauf angesprochen. Schließlich waren sie ihre Eltern, und das genügte ihr vollauf. Diese Albträume sahen das offensichtlich anders.

Mumie seufzte. »Schlimm genug, dass Hiwa uns verraten hat und mit den Menschen zusammenarbeitet. Aber sich mit einer Dämonin einzulassen ...«

»Ich sage euch, die Menschenwelt hat einen komischen Einfluss auf Albträume«, sagte Glas spitz. »Schaut euch doch nur den Weltenbrecher an.«

»Und die Weltenzerstörer«, warf Mumie ein.

»Ich hatte so viel Hoffnung in Morte gesetzt«, sagte Näherin seufzend.

»Ja«, schwärmte Mumie, »sie war eines Albtraumes würdig, als sie sich in der Menschenwelt das erste Mal zu erkennen gab.«

Nerida kannte Morte lediglich als Ehefrau von Rowan und Mutter von vier Kindern. Sie war eine gutmütige und sanfte Frau, der man kaum anmerkte, dass ihre Mutter einst eine Weltenbrecherin gewesen war. Auch über ihre Vergangenheit wusste Nerida nicht viel mehr. Sie mochte Mortes sanftes Lächeln und ihre Stimme, deswegen verstand sie noch weniger, weswegen diese Frau ausgerechnet den Grobian Rowan geheiratet hatte. Aber sie schienen glücklich. Vielleicht verstand Nerida die Liebe einfach noch nicht.

»Dummkopf!«, tadelte Glas sie sofort, als habe sie ihre Gedanken gelesen. »Du bist halb Dämon und halb Albtraum. Was denkst du denn, wer dich jemals lieben soll?!«

»Aber Darien hat doch auch eine Beziehung«, wandte sie zaghaft ein.

Sofort brach wieder gackerndes Gelächter aus. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie sich endlich wieder beruhigt hatten. Glas wischte sich eine rote Träne aus dem Augenwinkel. »Denkst du wirklich, dass dieses Mädchen ihn liebt? Sie genießt doch nur die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkt.«

»Funktioniert Liebe nicht immer so?«, fragte Näherin spöttisch. »Im Endeffekt liebt doch jeder nur sich selbst und will nur bewundert werden.«

»Oder nicht allein sein«, ergänzte Mumie. »Auch wir führen nicht gern Selbstgespräche.«

Waren sie deswegen immer zu dritt hier? Nerida hakte nicht nach. Aber sie fand zumindest den Mut, zu widersprechen: »Meine Eltern lieben sich aber wirklich.«

Glas vollführte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie wollten nur nicht in ihrer Außergewöhnlichkeit allein sein. An wen sollen sich eine Dämonin und eine Geißel denn wenden?«

»Sie hätten zumindest genug Anstand zeigen können, sich jeweils einen Dämon oder eine andere Geißel zu suchen.« Näherin schnaubte. »Wo kommen wir bei all dieser Vermischung nur hin?«

»Was ist mit Morte?«, fuhr Nerida fort. »Sie liebt Rowan.«

Mumies verdecktes Auge glühte rot auf. »Ich sage doch, diese Menschenwelt stellt irgendwas mit uns da draußen an. Sonst wäre die großartige Zerstörerin niemals dazu übergegangen, so einen Barbaren zu heiraten! Wenigstens einen mit Stil hätte sie sich nehmen können.«

»So wie Ares.« Auf Näherins Einwurf nickten alle einstimmig. »Dann hätten sie auch gemeinsam problemlos mit dem Zerstören fortfahren können.«

Es gab kein Durchdringen zu diesen drei. Sie waren absolut in ihren Meinungen festgefahren. Es war fast schon traurig. Aber bevor Nerida Mitleid für einen von ihnen empfinden konnte, konzentrierten sie sich schon wieder auf sie: »Was auch immer da draußen vor sich geht, eines sei dir versichert, Verrätertochter.«

Statt etwas zu sagen, wartete Nerida angespannt darauf, dass Glas fortfuhr. Doch es war Näherin, die übernahm: »Für dich wird es in der Welt der Menschen keine Zukunft geben, so viel steht fest.«

»Warum nicht?« Eigentlich plante Nerida auch keine Zukunft da draußen; sie wollte ihrem Vater als Ärztin in Athamos nachfolgen. Irgendwann. Vielleicht. Falls sie denn fähig genug dafür wäre. Über diesen Plan hatten die drei sich aber auch schon ausführlich amüsiert.

Wieder gackerndes Gelächter, die Köpfe der drei tanzten dabei auf ihren Hälsen als könnten sie jeden Moment einfach abbrechen und herunterfallen.

»Du gehörst nicht in diese Welt«, erklärte Mumie schließlich. »Und alle anderen wissen das auch. Du solltest es endlich einsehen und jedem einen Gefallen tun, indem du dich selbst daraus entfernst.«

Nerida zuckte unwillkürlich zurück. Sie hob eine Hand an ihre Brust. »N-nein, das könnte ich nicht.«

»Oh, es ist gar nicht so schwer«, beruhigte Glas sie. »Du musst einfach nur untertauchen und nie wieder den Kopf aus dem Wasser heben.«

»Dir den Hals aufschneiden.« Näherin fuhr sich demonstrativ mit einem Finger über den ihren.

»Von einer Klippe springen«, steuerte Mumie begeistert bei.

»Dich von einem wilden Tier fressen lassen.«

»Gift schlucken.«

»Dich auf Schienen legen.«

»Glasscherben essen.«

»Dir einen fleischfressenden Virus einfangen.«

»Ins Eden Howl springen.«

Nerida legte die Hände auf ihre Ohren und kniff die Augen zusammen. Doch die Stimmen schienen dadurch nur noch lauter zu werden.

»Dich von einem Howler erschießen lassen.«

»Nichts mehr essen.«

»Nichts mehr trinken.«

»Zu viel trinken!«

Irgendwann konnte sie nicht einmal mehr die einzelnen Stimmen unterscheiden. Sie vermischten sich zu einem tragischen Chor, der ihren kommenden Untergang besang, während das Publikum gebannt lauschte. Allerdings gab es keinerlei Zuschauer, und die Sänger schienen von den Aussichten eher begeistert als ergriffen, während sie weitere Möglichkeiten ersannen, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Nerida hörte nicht zu, sie konzentrierte sich auf ihre Familie, ihre Eltern, ihre Brüder, und auf die einzige Freundin, die sie besaß. In diesem Moment wünschte sie sich nichts mehr als einfach wieder bei ihnen sein zu können.

Als hätte der Weltenwächter persönlich sie erhört, verstummten die Stimmen plötzlich. Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Stille – dann ertönte ein nervenaufreibendes Schrillen, das sie aus den Weiten dieses Albtraums zurück in die Wirklichkeit zog. Fort von diesem Ort, den sie so sehr hasste und doch nie endgültig zu verlassen schien. Selbst als das Bild verblasste, sah sie noch Mumies blitzendes rotes Auge, hörte noch einmal Glas‘ Stimme: »Wir werden uns schon bald wiedersehen, Verrätertochter. Du wirst uns niemals entkommen. Also denk ruhig über unsere Vorschläge nach.«

Das darauf folgende gackernde Lachen verhallte nur langsam – und schien Nerida selbst dann noch zu begleiten, als sie in der Realität wieder ihre Augen aufschlug.
 



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