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Ocarina of Time

von

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Flucht des Schattendämons

Schon von weitem war der Rauch zu sehen, der sich als tiefschwarze Säule bedrohlich in den Himmel schraubte. Als Link endlich begriff, was dies bedeutete, gab er Epona die Sporen und jagte in wildem Galopp auf Kakariko zu, wo er vom Pferd sprang, ohne darauf zu warten, dass seine treue Stute stehen blieb. Auch die Treppe, die ihm als Kind so unendlich vorgekommen war, hastete er ohne Pause herauf.

Das laute Knistern und Knacken brennenden Holzes übertönte jedes andere Geräusch und der beißende Rauch machte das Atmen schwer. Dennoch eilte der junge Held in der Hoffnung, einigen Bewohnern helfen zu können, unerschrocken auf die Stadtmitte zu.

Als er eine kleinere Treppe hinaufrannte, brach neben ihm der Giebel eines prasselnd brennenden Hauses ein und ein glühendroter Funkenregen stob in die Luft hinauf.

Obwohl ihm die Augen tränten und die Lungen schmerzten, rief Link mit rauer Stimme immer wieder: „Hallo?! Ist hier irgendjemand, der Hilfe braucht?“

Doch als er den Brunnen erreichte, der das Stadtzentrum markierte, erkannte er, dass er zu spät gekommen war.

Mit vor der Brust verschränkten Armen und mürrischem Blick stand Shiek vor dem Steinring und starrte in die Tiefe. Die weißen Bandagen, die den Großteil seines Gesichts verhüllten, waren rußgeschwärzt und die Leinenwickel um seine Hände wiesen deutliche Brandspuren auf.

Link, der sich während seines Ritts auf Eponas Rücken umgezogen hatte und nun wieder seine grüne Tunika trug, wollte erfreut neben den Shiekah treten und sich bei ihm für die Rettung der Stadtbewohner bedanken, aber der andere Mann hielt ihn mit einer Geste zurück.

Verwirrt blickte Link auf den ausgestreckten Arm, dessen Hand ihm ziemlich unsanft gegen die Brust geschlagen war. Shiek warf ihm einen kurzen Blick über die Schulter zu und murmelte dann: „Bleib zurück. Es ist hier nicht sicher.“

Aus dem Augenwinkel beobachtete Link wie das Feuer auf ein weiteres Haus übergriff und wollte angesichts dieser Warnung laut auflachen. Dass es momentan gefährlich war, sich in dieser Stadt aufzuhalten, musste ihm nun wirklich niemand mehr sagen.

Doch noch bevor er etwas hatte sagen können, bebte plötzlich der Boden als hätte es unter der Erde eine Explosion gegeben.

Shiek stieß einen bildgewaltigen Fluch aus und nur den Bruchteil einer Sekunde später flog das Holzgerüst über dem Brunnen in die Luft wie von einer Druckwelle oder einer unsichtbaren Hand hinweggefegt.

„Was im Namen der Göttinnen…?“ Mit einem Gefühl von scharfkantigen Eiskristallen im Magen griff Link ohne sich dessen bewusst zu sein nach Shieks erstaunlich schmaler Hand, die noch immer auf seiner Brust ruhte.

Er hatte sie kaum berührt, da schoss auf einmal eine nachtschwarze, seltsam fest wirkende Wolke aus dem Brunnen und hüllte den ununterbrochen fluchenden und um sich schlagenden Shiek ein.

Hilflos musste Link mitansehen wie sein Bekannter von der merkwürdigen Wolke durch die Luft und gegen Hauswände geschleudert wurde, bis sie urplötzlich genug zu haben schien und von ihrem Opfer abließ.

Mit einem unterdrückten Stöhnen prallte Shiek heftig gegen Links Brust, wodurch diesem die Luft aus den Lungen gepresst wurde.

Bunte Sternchen tanzten vor den Augen des Hylianers und er drohte das Gleichgewicht zu verlieren, trotzdem konnte er sich nicht dazu durchringen, den Shiekah einfach fallenzulassen.

Also grub er seine Hacken tief in die trockene Erde, fing den bewusstlos wirkenden Shiek auf und torkelte ein paar Schritte zur Seite, um nicht zu stürzen.

Unterbewusst registrierte er das erstaunlich geringe Gewicht des anderen Mannes, doch seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein der seltsamen Wolke, die sich langsam mit dem Qualm der brennenden Häuser zu vermischen und ihn zu beobachten schien.

Ganz vorsichtig, ja geradezu liebevoll, legte Link den leise wimmernden Shiek neben dem Brunnen ab und zog sein Schwert. Die heilige Klinge sah in dem flackernden Licht des Feuers ringsum aus als würde sie von innen heraus leuchten, doch davon ließ sich der rauchartige Angreifer nicht beeindrucken.

Mit einem Fauchen, bei dem sich Link die Nackenhaare aufstellten, stürzte sich die Wolke auf den jungen Helden.

Dieser ließ mit einer eleganten Bewegung seine Waffe wirbeln, aber seine Gegnerin wich nicht nur geschickt aus, sondern schaffte es auch noch ihn zu erreichen, bevor er Zeit für einen weiteren Schlag hatte.

Auf einmal war alles um Link herum pechschwarz und in seinem Herzen ballten sich Einsamkeit und Verzweiflung zusammen, obwohl er sich größte Mühe gab, sich dagegen zu wehren.

Nur kurz darauf rollte eine regelrechte Flutwelle verdrängter Erinnerungen auf ihn zu und die grausamen Bilder seines ganz eigenen Alptraums prasselten unaufhörlich auf ihn herab.

Er sah sich selbst wie er von Mido und dessen Freunden gehänselt und ausgeschlossen wurde; wie er ganz allein abseits am Bach saß, während die anderen Kokiri ein Fest feierten und Salia krank im Bett lag und schlief; wie er von Furcht gelähmt vor Ganondorf stand. Und er sah den König der Gerudos wie er lauthals lachend durchs Heilige Reich schritt, wo er ein schreckliches Blutbad anrichtete und das Triforce an sich riss.
 

Ob er geschrien hatte, bevor er von Ohnmacht übermannt worden war, wusste Link nicht. Doch als er wieder zu sich kam, gab er noch immer leise, gequälte Laute von sich.

Navi, die zuvor in einer Tasche seines unter der Tunika getragenen Hemds geschlafen hatte, saß mit besorgtem Gesichtsausdruck auf seiner Brust und Shiek, dem es wieder gutzugehen schien, kniete neben ihm und beobachtete jede von Links Regungen genauestens. Starker Regenfall, der eingesetzt hatte, während Link außer Gefecht gesetzt gewesen war, löschte die brennenden Häuser und vertrieb den beißenden Qualm.

„Was war das?!“ Langsam rappelte Link sich wieder auf, wobei er darauf achtete, dass Navi genug Zeit hatte, zu einem Platz auf seiner Schulter zu klettern, wo sie nicht herunterfiel.

Der Ausdruck in Shieks unverdecktem Auge schwankte zwischen tiefer Sorge, Erleichterung, Angst und Hoffnungslosigkeit, was Links Herz schmerzhaft krampfen ließ.

Was konnte dermaßen schlimm sein, dass der ansonsten so abgebrüht erscheinende Shiekah plötzlich derart erschüttert wirkte?

„Du bist soeben einem Schattendämon begegnet und kannst wirklich von Glück reden, dass Navi während deines Kampfes aufgewacht ist. Ihr Feenlicht hat den Dämon verscheucht und zum Rückzug in den Schattentempel getrieben“, erklärte Shiek mit angespannt klingender Stimme.

Statt die nach Anerkennung heischende Fee zu beachten, riss Link überrascht die Augen auf, als er Shieks Worte hörte, die den prasselnden Regen kaum übertönten. Sofort hatte er das Bild seines Doppelgängers vor sich und erschauderte leicht.

Doch Shiek, der wieder einmal Links Gedanken lesen zu können schien, schüttelte den Kopf. „Dämonen wie der vorhin stammen zwar ebenfalls aus dem dunklen Reich, aber sie sind nicht mit den Schattenweltlern zu vergleichen. Schattenweltler sind denkende und fühlende Wesen, sie können sich ebenso gut rechtschaffen wie auch niederträchtig verhalten. Sie haben einen freien Willen. Doch Dämonen kennen nichts anderes als Verderben, Chaos, Zerstörung und Tod.“

Link hätte gerne gefragt, woher Shiek von seiner Begegnung mit einem Schattenwesen wusste oder ob für ihn das Wissen über die drei Reiche einfach zum Allgemeinwissen gehörte, aber er fand keine Möglichkeit seine Frage zu platzieren, denn Shiek fuhr bereits fort: „Dieser Dämon hat es vor Jahren irgendwie geschafft, die Grenzen zwischen den Reichen zu überwinden und in unsere Welt einzudringen. Sein Ziel war die totale Auslöschung allen Lebens. Deswegen hat Impa ihn mit einer List in die Falle gelockt und auf dem Grund dieses Brunnens versiegelt.“

Überrascht zog Link die Augenbrauen hoch, als er den Namen von Zeldas Gouvernante hörte. Er fand es allerdings nicht nur erstaunlich, dass Impa in einer solchen Geschichte überhaupt erwähnt wurde, sondern auch, dass Shiek sie beim Vornamen nannte und in einem überaus vertraut klingenden Ton von ihr sprach.

Kannten die Beiden sich etwa?

Sofort musste der Herr der Zeiten an seine halbherzige Theorie denken, Zelda könnte Shiek zu seiner Unterstützung geschickt haben.

Noch während Link über eine mögliche Verbindung von seinem Gegenüber zu der Prinzessin grübelte, nahm der ansonsten so körperkontaktscheue Shiekah plötzlich seine Hand und umschloss sie fest. Auch der Blick aus dem rotbraunen Auge war ungewöhnlich intensiv und jagte dem jungen Hylianer Gänsehaut über den gesamten Körper.

„Als wir bemerkten, dass der Bann schwächer wurde, ging Impa in den Schattentempel, um ihn zu erneuern – denn nur dort kann der Zauber wirksam ausgesprochen werden“, setzte Shiek mit drängender Stimme an. „Aber jetzt, wo das Siegel bereits ganz gebrochen und der Dämon frei ist, fürchte ich um ihr Leben!“

Tränen sammelten hinter Shieks Unterlid und drohten überzulaufen.

In einer kameradschaftlichen Geste legte Link dem flehentlich aussehenden Mann seine freie Hand auf die Schulter. „Keine Angst. Ich schwöre, dass ich sie retten und den Dämon besiegen werde!“

Navi, die nach ihrer Missachtung durch Link stumm schmollend in dessen Halsbeuge gesessen hatte, machte ein unglückliches Gesicht. Anscheinend hatte sie die Hoffnung für Impa bereits aufgegeben. Oder ihr missfiel schlicht der Gedanke, sich in ein dermaßen düster klingendes Gebäude wie den Schattentempel zu begeben.

Shiek nickte, aber der besorgte Ausdruck in seinem Auge blieb. „Leider gibt es da noch das ein oder andere Problem. Jemandem, der nicht dem Volk der Shiekah angehört, ist es ohne das ‚Auge der Wahrheit‘ unmöglich den Tempel zu erkunden. Blöderweise habe ich keine Ahnung, wo dieses alte Relikt zu finden ist.“

„Warum gehst du dann nicht selbst und hilfst Impa?“ Navi zog eine Augenbraue in die Höhe und bedachte Shiek mit einem herausfordernden Blick.

Offenbar hatte seine Hilfe am Hylia-See nicht ausgereicht, um ihre Antipathie ihm gegenüber zu tilgen.

Link seufzte und machte eine entschuldigende Geste, doch Shiek schien die Provokation schlicht zu überhören. „Ich habe euch schon einmal gesagt, dass ich kein allzu guter Kämpfer bin. Und außerdem bin ich nicht der Herr der Zeiten. Nur ihm allein ist es möglich den Dämon zu bezwingen. Man braucht nämlich eine Waffe des Lichts – so wie das Master-Schwert – um einen Schattendämon verletzen zu können.“

Navi sah nicht überzeugt aus, aber die beiden Männer beachteten sie nicht weiter. „Das Auge der Wahrheit wäre also ein Problem. Wie sehen die anderen aus?“, fragte Link, dem Schreckliches schwante.

„Es gibt eigentlich nur noch ein weiteres: Der Eingang zum Tempel liegt außerhalb deiner Reichweite. Doch dafür habe ich eine Lösung parat.“ Mit einem halbherzigen Grinsen in der Stimme holte Shiek seine goldene Lyra hervor. „Die Nocturne der Schatten wird dich direkt zum Tempeleingang bringen.“

Aufmerksam lauschte Link den melancholischen, fast wehmütigen Tönen, die sich in die noch immer nach Asche schmeckende Luft erhoben und ein paar der Bewohner anlockten, die langsam in ihre vom Regen gelöschte Stadt zurückkehrten.

Als er sich sicher war, sich das Lied genügend eingeprägt zu haben, nickte Link Shiek zu, der daraufhin sein Musikinstrument wieder hinter seinem Brustschutz verstaute.

Noch immer ließ der Shiekah seine Schultern hängen und wirkte insgesamt extrem angespannt.

„Mach dir keine Sorgen. Ich werde das Auge der Wahrheit schon finden und diesem Schattendämon dann ruckzuck den Garaus machen“, versicherte Link lächelnd in der Hoffnung, sein Gegenüber ein wenig aufmuntern zu können.

Von der Wärme in Links Stimme bewegt, sah Shiek zu dem größeren Mann auf und wollte ihm gerade seinen Dank aussprechen, als die Beiden von einem älteren Herrn angesprochen wurden, der durch die Nocturne der Schatten angelockt worden war: „Ihr sucht das Auge der Wahrheit? Vielleicht kann ich euch helfen.“
 

Wie vom Donner gerührt starrten Shiekah und Hylianer den alten Mann an, der daraufhin amüsiert grinste und sagte: „Wie ihr sicherlich wisst, war dieses Städtchen hier früher einmal ein Shiekah-Dorf, bevor die große Impa es als Kakariko neugründete und für alle Rassen öffnete.“

Die beiden jungen Männer nickten und Navi machte ein konzentriertes Gesicht. Sie wollte sich jedes Detail des Gesagten einprägen, um das Wichtige herausfiltern zu können.

„Einer alten Legende zufolge“, fuhr der alte Herr fort, „gab es unter den Shiekah einen Mann, der immer die Wahrheit erkannte – egal wie verschleiert sie daherkam. Man sagt, er habe das Auge der Wahrheit besessen.“

Navi warf nachdenklich die Stirn in Falten und fragte: „Und wie soll uns das jetzt helfen? Vielleicht ist das nur eine Metapher dafür, dass dieser Shiekah ein sehr feines Gespür dafür hatte, ob jemand log oder die Wahrheit sprach. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass diese Geschichte gar nichts mit dem von uns gesuchten Relikt zu tun hat.“

Link, der den Zweifeln seiner Fee nur zustimmen konnte, nickte bedächtig und warf einen kurzen Seitenblick auf Shiek, der ebenfalls wenig überzeugt aussah.

Doch der alte Mann, dessen blauer Leinenumhang vom Regen so dunkel war, dass er schwarz wirkte, ließ sich nicht beirren. „Natürlich ist es möglich, dass die Wortwahl der Überlieferung nichts als purer Zufall ist, aber diese Legende ist der einzige Hinweis auf das Auge der Wahrheit, auf den ich in den langen Jahren als königlicher Bibliothekar je gestoßen bin.“

Shiek und Link wechselten einen schnellen Blick.

Das klang gar nicht gut…

Wenn sich das Auge der Wahrheit als unauffindbar erweisen sollte, stünden die Chancen für Impas Rettung mehr als schlecht.

„Also gut“, setzte der Herr der Zeiten deswegen an, „sag uns, was du sonst noch weißt. Wir können jeden Tipp brauchen, den wir kriegen können.“

Der alte Mann nickte zufrieden. Endlich wurde sein Wissen gewürdigt und er konnte mit seinen Kenntnissen glänzen.

„In der Legende heißt es, der Shiekah sei bei einem Ausbruch des Todesberges ums Leben gekommen“, fuhr der Alte fort, wobei sich seine Stimme vor Begeisterung darüber seine Kenntnisse weitergeben zu können, gleich mehrfach überschlug. „Er soll in seinem Haus von den herabstürzenden Geröllmassen erschlagen worden sein. Da er das Auge der Wahrheit stets bei sich getragen haben soll, ist davon auszugehen, dass es ebenfalls unter den Gesteinsbrocken begraben worden ist.“

Gespannt wie Flitzebögen hingen die drei Zuhörer an den Lippen des ehemaligen Bibliothekars, der die Aufmerksamkeit sichtlich genoss, während er fortfuhr: „Das Haus des Shiekahs soll übrigens…“, er machte eine wichtigtuerische Kunstpause, für die Link ihn gerne geohrfeigt hätte, „… genau dort gestanden haben, wo sich nun der Brunnen befindet.“

Wie magisch angezogen wanderten alle vier Augenpaare zu dem fast perfekt runden Steinkreis.

Doch während die Männer geradezu andächtig schwiegen, war es wieder einmal Navi, die als Einzige Bedenken äußerte: „So wertvoll wie das Auge der Wahrheit ist, ist es mehr als unwahrscheinlich, dass es nicht schon lange von irgendwelchen Schatzjägern ausgegraben worden ist – sofern es sich wirklich je hier befunden haben sollte.“

Der alte Mann legte den Kopf schief und bedachte die winzige Fee mit einem Blick, der zwischen Bewunderung für ihren scharfen Verstand und Ärger über ihre offene Kritik schwankte.

„Wir Shiekah glauben, dass Grabraub jeder Art mit einem schrecklichen Fluch belegt wird – es kann dich sogar dann treffen, wenn du nur zugelassen hast, dass die Ruhe der Toten gestört wird“, erklärte Shiek sehr zur Überraschung des Bibliothekars.

Um sich nicht die Show stehlen zu lassen, beeilte er sich hinzuzufügen: „Ja, genau. Deswegen bewachten die Shiekah das verschüttete Haus wie einen kostbaren Schatz. Im Laufe der Zeit geriet das Auge der Wahrheit dann immer mehr in Vergessenheit und mit den Shiekah starb auch das Bewusstsein aus, dass es sich dabei um einen Gegenstand und nicht bloß um ein Sinnbild handelte.“

Angesichts dieses Seitenhiebs schürzte Navi missbilligend die Lippen und wollte zu einer spitzen Bemerkung ansetzen, doch Link kam ihr zuvor: „Na schön, das klingt ja alles schon reichlich abenteuerlich, aber wir können es uns nicht leisten, Hinweise zu ignorieren, bloß weil sie uns zu weit weggeholt erscheinen.“

Er nickte Shiek zu, der ebenfalls den Kopf neigte. „Ich steige runter in den Brunnen, ihr wartet hier.“ Mit diesen Worten schwang der Herr der Zeiten bereits seine langen Beine über den Brunnenrand und er stieg auf die nach unten führende Leiter.
 

Zu seiner großen Überraschung war der Brunnen vollkommen leer und ausgetrocknet. Leider ließ sich trotz der dadurch erleichterten Suchbedingungen kein Hinweis auf das Haus finden, das angeblich mal an dieser Stelle gestanden haben sollte.

Dennoch erregte ein Teil der Wand Links Aufmerksamkeit.

Anders als der Rest bestand er nicht aus großen, grob behauenen Steinen, sondern war wie es schien vor nicht allzu langer Zeit fein säuberlich verputzt worden.

Schnell klopfte Link die sonderbare Wand ab, aber es hatte nicht den Anschein als gäbe es eine Stelle, die dünn genug gewesen wäre, um sie zu durchbrechen.

Wieder oben angekommen berichtete er den Wartenden von seinem Fund.

Navis Gesicht sagte ihm deutlich, dass sie der Meinung war, das alles sei eine Schnapsidee und sie sollten besser einen neuen Ansatz suchen, die Augen des alten Bibliothekars leuchteten aufgeregt und Shiek wiegte nachdenklich den Kopf hin und her, bis er schließlich sagte: „Du solltest diese Spur weiter verfolgen, ich habe dabei ein gutes Gefühl. Frag doch mal den Müller, ob er etwas weiß – schließlich ist er für den Brunnen verantwortlich.“ Auch der alte Mann stimmte nickend zu: „Ja, das ist eine gute Idee!“

Sofort eilte Link auf die Treppe zu, die zu der großen Windmühle hinaufführte, doch als er bemerkte, dass Shiek nicht hinter ihm war, hielt er inne: „Kommst du nicht mit?“

Die Enttäuschung war seiner Stimme deutlich anzuhören.

Irgendwie hatte er gehofft, dass sie Beide endlich ein richtiges Team bilden würden…

Der Shiekah jedoch schüttelte nur den Kopf, wobei ihm eine blonde Strähne ins Auge fiel. „Ich habe noch einiges zu erledigen.“

Mit diesen Worten wandte er sich um und strebte davon, nur um sich nach wenigen Metern wieder umzudrehen: „Ich verlasse mich auf dich.“

Link nickte schief lächelnd und rannte die Treppe hinauf, ohne seinem mysteriösen Bekannten weiter nachzublicken oder auf den alten Mann zu warten.
 

Im Inneren der Mühle, die vom Brandherd weit genug entfernt gewesen war, um ungefährdet zu sein, war es angenehm warm und es roch dezent nach Sägespänen, was Link an die glücklicheren Tage seiner Kindheit erinnerte, die er zusammen mit Salia beim Schnitzen und Tischlern verbracht hatte.

Augenblicklich fühlte er sich auf seltsame Art heimisch in dem hohen Backsteingebäude, das von dem leisen Knarzen und Schaben der Schleifsteine erfüllt war.

Der Müller, der im hinteren Bereich der Mühle gerade dabei war einen Mehlsack zu verschließen, war ein etwas schief gewachsener Mann in den mittleren Jahren. Bis Link an ihn herantrat, pfiff er fröhlich vor sich hin, doch als er des jungen Helden ansichtig wurde, verstummte er plötzlich und musterte seinen Besucher mit skeptischer Miene.

„Dürfte ich Sie für einen kurzen Moment stören?“, fragte Link ein wenig zögerlich, wobei er sich über sich selbst ärgerte, weil ein böser Blick noch immer ausreichte, um ihn nervös zu machen.

Der Müller richtete sich langsam auf, was die Schiefe seiner Wirbelsäule erst wirklich zum Vorschein brachte. „Was willste denn?“, blaffte er mit nasaler Stimme.

Aus irgendeinem Grund wurde Link das Gefühl nicht los, dass sein Gegenüber kein genereller Misanthrop war, sondern eine spezielle Aversion gegen ihn hatte.

War er dem Müller früher schon einmal begegnet und hatte sich etwas zuschulden kommen lassen?

So sehr er sich auch bemühte, ihm wollte nichts einfallen, was diesen Mann gegen ihn hätte aufbringen können.

„Ich habe nur eine Frage, von der ich hoffe, dass Sie mir bei der Beantwortung behilflich sein können: Seit wann ist der Brunnen eigentlich schon trocken und wann wurde die Wand ganz unten verputzt?“

„Das sind zwei Fragen.“ Der Müller strich sich die Hände an seiner braunen Schürze ab und hinterließ dabei weiße Schliere auf dem rauen Stoff, während Link ihn verdutzt anstarrte.

Navi, die sich bislang zurückgehalten und stumm auf Links Schulter gesessen hatte, plusterte sich nun zu voller Größe auf. Doch anstatt sich wie von Link befürchtet lauthals zu echauffieren, säuselte sie in süßem Tonfall: „Sehen Sie es doch einfach so: Jeder von uns hat eine Frage.“

Anscheinend war der Müller jedoch gänzlich unempfänglich für ihren Charme, jedenfalls warf er ihr nur einen vernichtenden Blick aus seinen dunkelbraunen Augen zu.

Allerdings begann er nach einem langen Augenblick doch noch zu erzählen, wobei er Link mit finsterem Gesicht anstarrte: „Vor etwa sieben Jahren kam ein Junge in meine Mühle und spielte mir dieses seltsame Lied vor, das alles durcheinanderbrachte.“

Link und Navi lehnten sich interessiert vor, während der Müller mit steigender Wut in der Stimme fortfuhr: „Ihr werdet es mir nicht glauben, aber dieses Lied hat einen schrecklichen Sturm heraufbeschworen, durch den sich die Windblätter draußen viel zu schnell gedreht haben. Ihr müsst wissen, dass sie nicht nur mit den Schleifsteinen hier, sondern auch mit einer Pumpe im Brunnen verbunden sind.“

Einen Moment lang sah er aus als wolle er sich in technischen Details über das ausgeklügelte Pumpsystem ergehen, das die Mühle beständig mit frischem Wasser versorgt und dem Hausherrn so den lästigen Gang zum Brunnen erspart hatte, besann sich dann jedoch eines Besseren: „Naja, ob ihr’s glaubt oder nicht: Das Lied oder vielmehr der entstandene Sturm hat dafür gesorgt, dass der Brunnen binnen Minuten leer gepumpt war und ich die ganze Bude unter Wasser stehen hatte. Nahezu das ganze Korn der damaligen Ernte war hinüber!“

Mit einem würgenden Geräusch spukte der Müller Link vor die Füße und funkelte den jungen Helden wütend an.

Obwohl die Aufgebrachtheit seines Gegenübers ihn nervös machte, bohrte Link weiter nach: „Aber was ist mit der verputzten Wand? Und warum ist der Brunnen in den vergangenen sieben Jahren nie wieder neu gefüllt worden?“

Nun wandelte sich der von rasendem Zorn dominierte Gesichtsausdruck des Müllers in eine mürrische Miene. „Nachdem der Brunnen leergepumpt worden war, ertönten plötzlich Schreie aus seinem Inneren.“

Mit großen, neugierigen Augen lehnte Navi sich noch ein Stückchen vor, sodass sie leichte Schwierigkeiten hatte, auf Links Schlüsselbein das Gleichgewicht zu halten. „Was für Schreie?“, hakte sie nach. Link nickte kurz, um sein Interesse ebenfalls zum Ausdruck zu bringen.

Der Müller zuckte abwehrend mit den Schultern. „Weiß nicht. Niemand weiß das. Sie klangen wie von Tieren, aber ich kenne kein Wesen, das solche Laute von sich gibt.“

Link und Navi wechselten einen aufgeregten Blick, während ihr Gegenüber fortfuhr: „Ist mir aber auch egal, was dieses Gekreische verursacht hat. Seit ich kurz danach das Loch da unten zugemacht hab, herrscht wieder Ruhe. Allerdings will seitdem niemand mehr Wasser aus dem Brunnen trinken, weswegen wir uns nie die Mühe gemacht haben, ihn wieder zu füllen.“

Mit einer knappen Bewegung wandte er sich wieder den offenen Mehlsäcken zu, warf dann aber noch einen Blick über die Schulter und blaffte: „War’s das? Oder wollt ihr noch was?“

Navi schüttelte den Kopf. Sie war geistig so sehr mit dem Ursprung des Brunnenspuks beschäftigt, dass sie etwas Wichtiges vergaß. Doch Link nickte und fragte: „Dieses Lied, das der Junge Ihnen vorgespielt hat… Erinnern Sie sich noch daran?“

Der Blick, den der Müller ihm daraufhin zuwarf, war dermaßen stechend und vernichtend, dass Link das Gefühl hatte auf Insektengröße zusammenzuschrumpfen. „Natürlich erinnere ich mich!“

Einen Moment lang war der Müller, dessen schütteres Haar in dem Licht eines durchs Fenster fallenden Sonnenstrahls glänzte wie poliertes Nussholz, in düsterer Grübelei versunken, dann murmelte er ein knappes «Warte hier» und strebte in den Wohnbereich davon.

Nach nur fünf Minuten, in denen Link die Feinheit des reinweißen Mehls und die ausgeklügelte Technik der Mühle bewundert hatte, kam der grimmige Mann zurück. In der Hand hielt er einen Fetzen Stoff, den er nun dem Herrn der Zeiten reichte.

Auf dem vergrauten Leinen prangten ein paar wenige Noten, die jemand hastig mit schwarzer Farbe darauf gepinselt hatte.

Link nahm den Stoff mit einem dankbaren Nicken entgegen und hielt ihn Navi hin, damit sie die kryptischen Zeichen für ihn in Töne übersetzen konnte.

„Hast Glück, dass mein Schwager Musiker ist“, brummte der Müller. „Vorgespielt hätte ich’s dir bestimmt nicht.“

Unwillkürlich versuchte Link, sich den Sturm von vor sieben Jahren vorzustellen, und versicherte: „Das verstehe ich.“

Dann nickte er dem Müller, der ihn noch immer mit eiskaltem Blick musterte, ein letztes Mal zum Abschied zu und schickte sich an, die Mühle wieder zu verlassen.

Er hatte bereits die Hand auf die Türklinke gelegt, als ihm der Müller noch etwas hinterher rief, das ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte: „Das Rattengesicht von damals sah übrigens aus wie du!“
 

Wieder draußen entdeckte Link den auf der untersten Treppenstufe sitzenden, alten Bibliothekar, der enttäuscht darüber, von Link ausgeschlossen worden zu sein, mit traurigem Blick zu ihm heraufsah.

Doch Link hatte keine Zeit für ein schlechtes Gewissen, da Navi bereits vor ihm in der Luft flog und ihn aus großen Augen ansah. „Denkst du dasselbe wie ich?“, fragte sie aufgeregt.

Der junge Held nickte wage und holte tief Luft, um die aufkeimende Nervosität einzudämmen. „Ja. Ich glaube, es wird Zeit herauszufinden, ob es stimmt, was Shiek uns über meine Fähigkeit zu Zeitreisen gesagt hat.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  obelix
2017-11-29T11:59:54+00:00 29.11.2017 12:59
Hi labrynna

Das Kapitel ist sehr gut zu lesen und interessant .

Mfg obi
Antwort von:  Labrynna
29.11.2017 13:48
Das freut mich. :)


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