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Forever Dream

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel hat Stellen, die schön fließen und Stellen, die nicht so gut fließen...
Aber wir machen jetzt erst einmal weiter und überarbeiten das irgendwann.
Ich bin schon froh, dass die Jungs zusammen eine gute Dynamik entwickelt haben, das hat mir nämlich Sorgen gemacht. Aber die Szenen mit allen fünf auf einen Haufen funktionieren beim Schreiben sehr gut.
Tralala.
Viel Spaß. Komplett anzeigen

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Instant Karma (Is Gonna Get You)

Am Dienstag nach dieser denkwürdigen Nacht ging hide, noch in Schuluniform und mit 120 Yen in der linken Hosentasche, die sonnenbeschienene Straße zum Laden der Ishizukas hinauf und haderte nur einen winzigen Moment mit sich, bevor er eintrat.

Es klingelte leise.

„Irrashaimase!“, kam die bekannte Frauenstimme von der Kasse und gleich darauf folgte ein freundliches: „Oh, Hideto! Ich hab ich gar nicht gleich erkannt, Hallo!“

„Hallo“, grüßte er zurück. „Ja, man sieht anders aus in dem Ding, nicht…“ Er schaute einmal an sich hinunter. Erwachsen, sagten manche, ordentlich andere. hide fand, es sah eindeutig nach Beerdigung aus. Aber er war nicht hier um die gängige Mode zu diskutieren. „Ähm, ist Tomo zufällig da?“

Frau Ishizuka nickte lächelnd. „Er ist oben, geh einfach rauf.“

hide erwiderte ihr Lächeln so ehrlich er konnte und ging durch den Laden nach hinten und die schmale Holztreppe hinauf in die Wohnung. Umso näher er kam, desto deutlicher konnte er jemanden Gitarre spielen hören, eine fließende, elegante Melodie, von der er sich nicht sicher war, dass er sie hätte kopieren können. Als hide jedoch um die offenstehende Schiebetür in das Zimmer des anderen Jungen lugte, fand er diesen an seinem Tisch über etwas, das stark nach klassischer japanischer Literatur aussah.

Er räusperte sich und Tomoaki schaute von seinen Büchern hoch. „Oh“, sagte er. „Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.“ Trotz dieser Worte schien er allerdings nicht über alle Maßen überrascht.

„Ja“, antwortete hide und trat vollständig ins Bild. „Ich auch nicht. Aber ich bin hier, um mein Onigiri zu bezahlen.“ Er angelte das Geld aus seiner Tasche und streckte die Hand aus.

Tomoaki lächelte schief, legte das Buch in seiner Hand mit den Seiten nach unten auf den Tisch und stand auf. „Im Ernst jetzt?“

hide zuckte mit den Schultern.

Der andere Junge seufzte belustigt, nahm die Münzen aber entgegen. „Dann sind wir wohl quitt.“

„Sieht so aus…“, stimmt hide langsam zu. Doch da er sich nicht bewegte war offensichtlich, dass noch etwas folgen musste. „Um ehrlich zu sein, ist das nicht der einzige Grund, warum ich hier bin…“, fuhr er schließlich fort und rieb sich einmal mit der Hand über den Nacken. „Ich ähm… also ich hab morgen Bandprobe und ich wollte fragen, ob du vielleicht mitkommen willst.“

Tomoaki schaute ihn ein paar Sekunden mit seinem patentierten schwer einzuordnenden Gesichtsausdruck an. „Mmh“, machte er schließlich, einen Laut, mit dem hide genauso wenig anfangen konnte wie mit seiner Mimik. „Was macht ihr so?“

„Rock“, antwortete hide und dann, als müsse man das Feld eingrenzen: „Lauten, westlichen Rock.“

Der andere Junge schien nachzudenken. Nur zu gerne hätte hide gewusst, welche Argumente er gerade in seinem Kopf gegeneinander abwog – aber vielleicht war es besser für sein Selbstwertgefühl, wenn er es niemals erfuhr. „Mmh“, machte er schließlich noch einmal. „Ich denke, es kann nicht schaden, wenn ich es mir einmal ansehe.“

Ein Lächeln breitete sich auf hides Gesicht aus. „Super. Du wirst es nicht bereuen. Es macht unglaublich viel Spaß.“

„Ich bin gespannt. Wo und wann?“

„Es ist in der Nähe, in der ehemaligen Fabrik unten im Hafen. Von hier aus kann man hinlaufen. Oder die drei Stationen mit dem Bus fahren. Wir proben um sechs.“

„Hinlaufen ist in Ordnung.“

„Ok… Gut. Dann… komm ich vorbei, gegen halb?“

„Tu das.“

„Ok. Dann… ähm…“ hide schaute einmal verunsichert durch den Raum und zurück zu seinem Gegenüber. Er mochte diesen seltsamen Kerl zwar irgendwie, doch das hier fühlte sich, ähnlich wie bei seinem ersten Besuch, einfach nicht gut an. Nichts an dieser Situation war auch nur im Entferntesten natürlich. Doch ihm fiel kein weiterer, normaler Gesprächsinhalt ein, also sagte er schließlich, ein paar Sekunden seltsame Stille später: „Bis morgen?“

Tomoaki lächelte mild. „Mata.“

hide konnte seinen Blick im Rücken spüren, bis er die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte.

Unten im Laden kaufte er sich noch ein Taiyaki und machte sich dann auf den Heimweg. Während er in den kleinen Teigfisch biss fragte er sich, ob es irgendwann aufhören würde, seltsam zu sein. Und als er sich fünf Minuten später das letzte Stückchen Flosse in den Mund steckte, war er sich da immer noch nicht sicher.
 

-X-
 

Am nächsten Tag stand hide bereits geduldig wartend auf der Straße, als Tomoaki mit einem über die Schulter geworfenen „Ittekimasu!“ aus dem Laden trat. Ein „Itterasshai!“ folgte ihm nach draußen. Es erinnerte hide irgendwie an seine Kindheit, bevor alles komisch geworden war. Er winkte.

Tomoaki nickte zur Begrüßung.

„Soll ich das nehmen?“, fragte hide mit einem Blick auf den Amp.

„Wenn du das möchtest.“ Der andere Junge reichte ihm den Kasten. „Danke.“

Sie setzten sich in Bewegung.

„Deine Schwester ist ziemlich gut“, sagte hide nach einigen Metern. Es erschien ihm wie ein relativ leichtes Thema.

Tomoaki zuckte neutral mit den Schultern. „Ja. Sie macht sonst nicht viel anderes.“

„Ich kann sie ja mal fragen, ob sie auch mitkommen will“, witzelte hide.

Tomoaki lächelte, doch es schien hide ein wenig gezwungen. „Was?“, fragte er mit einem Seitenblick und nahm den Amp in die andere Hand. Ihm tat schon jetzt der Arm weh. Dass diese Teile auch so schwer sein mussten!

„Ich fürchte, damit würdest du keinen Erfolg haben.“

„Wieso nicht?“ Sie hielten an einer Straße, schauten rechts, schauten links, warteten auf eine Lücke.

Der andere Junge schwieg ein paar Sekunden, welche hide bereits vermuten ließen, dass er sich vielleicht lieber mit ihm über das schwüle Sommerwetter oder über quadratische Melonen unterhalten hätte. Dann sagte er schlicht: „Sie verlässt das Haus nicht.“

„… sie was?“, fragte hide verdattert. Er hatte schon mal gehört, dass es solche Menschen geben sollte, es aber immer als Schulhoflegenden abgetan. Die Vorstellung erschien ihm zutiefst befremdlich. Sie überquerten die Straße. Erst auf der anderen Seite setzte Tomoaki zu einer Antwort an.

„Letztes Jahr … nun, sie würde nicht wollen, dass ich zu viel drüber rede. Sagen wir, es kamen einige Dinge zusammen. Es war viel auf einmal. Sie kam nicht gut damit zurecht. Seitdem ist es, wie es ist.“

„Ouw…“, machte hide. (Ein zumindest für ihn äußerst unangenehmes) Schweigen trat ein – er hatte offensichtlich ein Thema angeschnitten, für das sie sich nicht gut genug kannten. „Tut mir leid“, sagte er also schließlich ein wenig beklommen. Selbst diese belanglosen Worte waren besser, als die Stille auszuhalten. „Es ist in Ordnung“, antwortete sein Begleiter ruhig. Schweigend überquerten sie eine Ampel, bogen auf eine größere Straße ab und folgten ihr, an kleinen Läden und einem Kindergarten vorbei.

„Wen werde ich eigentlich treffen?“, erkundigte Tomoaki sich, als sie gerade am Postamt vorbeigingen.

„Oh“, machte hide, ungewollt erleichtert. „Also da bin ich, und Yoshiki und Toshi und Taiji. Sie sind jeder auf seine Art seltsam, aber alle ganz liebe.“

Tomoaki nickte. „Und habt ihr auch einen Namen?“

„Öh.“ hide runzelte die Stirn. Ups. „Ne. Da haben wir irgendwie gar nicht mehr drüber nachgedacht.“ Er wechselte den Amp noch einmal in die andere Hand und nach wenigen Sekunden nahm er ihn schließlich vor die Brust und trug ihn wie einen Stapel Backsteine.

„Geht’s?“, fragte Tomoaki.

„Uh-hu“, machte hide und biss die Zähne zusammen.

Und damit kam auch dieser Versuch einer normalen Unterhaltung zum Erliegen.

Erst als sie eine Viertelstunde später über den Parkplatz gingen, räusperte sich hide schließlich, um sich Tomos Aufmerksamkeit zu sichern. Dieser drehte den Kopf abwartend in seine Richtung. hide atmete durch. „He… ich weiß, ich bin nicht wirklich in der Position dazu, aber… Kannst du mir noch einen Gefallen tun?“

„Was ist es?“

„Könntest du… ihnen nicht sagen, woher wir uns kennen?“ hide wäre sich gerne mit der Hand durch die Haare gefahren, doch er hielt mit großer Anstrengung fünfundzwanzig Kilo Elektronik. „Ich … mag sie wirklich gern und ich weiß nicht ganz, wie sie… also… nun ja. Reagieren.“

Der Ansatz eines weiteren milden Lächelns breitete sich auf dem Gesicht des anderen Jungen aus. hide bekam allerdings zunehmend das Gefühl, dass es mehr oder sogar etwas ganz anderes war als nur eine freundliche Miene. Doch gerade interessierte ihn vor allem die Antwort. Diese war: „Ich habe nicht das Bedürfnis, irgendwem irgendetwas zu erzählen.“

Das allerdings glaubte ihm hide sofort. Er nickte und versuchte, seiner Erleichterung Raum in seinem eigenen Lächeln einzuräumen. „Danke. Tür bitte.“ Tomoaki hielt ihm die Tür des Haupteingangs auf und folgte ihm dann nach drinnen und die Treppe hinunter. „Nochmal, bitte.“ Tomo öffnete ihm die Tür zum Raum.

„Guten Abeeend“, grüßte hide so fröhlich er mit seinen brennenden Armen konnte in die Runde. Sie waren die letzten. Er stellte (endlich!) den Verstärker ab und trat einen Schritt zur Seite. „Ich hab wen mitgebracht. Das ist Tomo.“ Der andere Junge verbeugte sich leicht. „Uhm, Yoshiki, Toshi, Taiji.“ hide deutete im Uhrzeigersinn auf den Rest seiner Band und fächelte sich dann mit der Hand Luft zu.

„Freut mich“, sagte Yoshiki. „Mich auch“, sagte Toshi. „Yo“, sagte Taiji.

„Danke für die Einladung“, sagte Tomoaki. Es erschien Yoshiki das Höflichste zu sein, das jemals jemand in dieser Band gesagt hatte. Er entschied, dass ihm das behagte, also grinste er ihm über die Toms hinweg zu.

„Stell dich am besten da rüber“, meinte Taiji und deutete auf die Sofaecke bei hide. „Sonst stehst du gegenüber der PA. Wir haben ewig gebraucht, bis wir keine scheiß Rückkopplungen mehr hatten und ich fänd’s geil, wenn das Spielchen nicht wieder von vorne losgeht.“

Der Gitarrist machte ein Geräusch der vagen Zustimmung und begann, sich an der zugewiesenen Stelle einzurichten.

„Ok“, sagte Yoshiki schließlich, während Tomo die Gitarre nachstimmte, „wir haben einen Song, der eigentlich nur noch Feinschliff braucht. Ich schlage vor, wir versuchen mal den. Da ich keine zweite Gitarre hatte, hab ich mir auch nichts dafür überlegt. Wir spielen einfach einmal, dann kann dir hide zeigen, wie sein Teil geht und dann … keine Ahnung, steig einfach mal ein und wir… versuchen das. Ja. Oder?“

Er schaute einmal auf der Suche nach Widerspruch in alle Gesichter, fand aber keinen und nickte daher. „Ok. Time Trip Loving!“

Yoshiki zählte ein und sie spielten.

Tomoaki hörte zu. hide drehte sich ein wenig von den anderen weg und in seine Richtung, damit er das Griffbrett sehen konnte und bemühte sich, möglichst wenig Fehler zu machen. Aus den Augenwinkeln wurde er sich bewusst, dass Taiji dasselbe tat. Irgendwann bei der Hälfte des Songs begann der andere Junge, bei abgedrehter Lautstärke seine Griffe zu kopieren, doch hide konnte nicht schauen, ob das stimmte, was er da tat. Und als der Song endete, hörte auch Tomoaki wieder auf.

„Soll ich’s dir erklären?“, fragte hide und knetete seine Finger ein wenig. Es war ein gnadenloser Song, wenn man davor eine halbe Stunde einen halben Zentner Amp durch die Gegend getragen hatte. Scheiße, tat das weh!

„Ich denke, ich hab’s soweit“, antwortete Tomoaki bedächtig. „Außer… der Übergang nach dem Chorus, ist der…“ Er spielte den Riff.

„Ja. Aber ich mach up, down, down, up, slide, down“, sagte hide.

„So?“ Er spielte noch einmal.

„Ja.“

„Ok“, sagte Tomoaki und stellte sich bequemer hin. „Dann versuch ich das.“

Taiji zog einmal ungläubig die Augenbrauen hoch und warf Yoshiki einen Blick zu, den dieser allerdings nicht bemerkte, weil er gerade das Gleiche mit Toshi versuchte, welcher wiederum hide ansah. hide wurde wärmer und es lag zur Abwechslung mal nicht an seinem langärmeligen Oberteil – wenn er den stummen Blickabtausch sah, dann sah Tomoaki ihn auch. Und das war ihm ein bisschen unangenehm… Er räusperte sich. „Jungs?“

„Ok. Gut. Ja“, riss Yoshiki sich als Erster zusammen. Er stellte seinen Fuß zurück auf das Hi-Hat-Pedal. Tschack. „Ok.“ Noch einmal zählte er ein und irgendetwas an der Art, wie er es tat, sagte hide, dass er nicht erwartete, über die ersten paar Takte hinauszukommen.

Er lag falsch.

Tomoaki spielte parallel zu hide durch die verschiedenen Teile, ohne großartig hängen zu bleiben. Das war insofern bemerkenswert, dass hide manchmal das Gefühl hatte, dieser ganze Song wäre ein einziges großes Gitarrensolo. Er hatte sich ein wenig verkünstelt da drin… und dann gab es in diesem einzigen großen Solo auch tatsächlich noch ein richtiges. Spätestens an dieser Stelle wartete auch hide darauf, dass die zweite Gitarre sich ausklinkte. Doch der andere Junge stieg mit ein. Und es passte. Aus der Ferne wurde sich hide bewusst, dass Bass und Schlagzeug beide aus dem Rhythmus kamen und er hätte nur zu gerne darüber gelacht, wenn er sich nicht so hätte konzentrieren müssen. Doch irgendwann bei der Hälfte des Solos im Solo bemerkte hide, dass er unkontrolliert grinste. Und er konnte nichts dagegen tun.

Zum Ende des Solos hatten sich Bass und Schlagzeug wieder gefangen und sie beendeten den Song halbwegs so, wie er gehörte.

„Scheiße!“, entfuhr es Taiji, kaum dass der letzte Gitarrensound verklungen war. „Du bist ja genauso gut wie der Freak hier!“

„Ich nehme das jetzt einfach mal als Kompliment“, sagte Tomoaki, nachdem er sich mit einem Seitenblick vergewissert hatte, dass der Ausruf wirklich ihm galt.

„Ich glaube, er ist besser als ich“, stellte hide beschwingt klar. Ihm war immer noch unverschämt warm, aber jetzt aus anderen Gründen: Er fühlte sich hibbelig und ausgelassen und verspürte das Bedürfnis, irgendwen an den Händen zu nehmen und mit ihm im Kreis zu hüpfen, bis das Glücksgefühl das als Ventil akzeptierte.

„Lasst uns keine Rangfolge aufbauen“, ging Yoshiki entschieden dazwischen. „Rangfolge ist nicht, worum es hier geht. Ihr seid beide fantastisch! Und mit ein bisschen Übung ist euer Zusammenspiel vermutlich das tighteste, was ich je gehört hab.“

Taiji warf Yoshiki einen schelmischen Blick zu, in dem allerdings ein Hauch zu viel Spott lag, um ihn wirklich als neckend durchgehen zu lassen. „Wenn wir das jetzt noch mit Schlagzeug und Bass schaffen, könnte aus diesem Ding hier wirklich was werden.“

Yoshiki schwenkte drohend eine Faust in die Richtung, aus der das gekommen war. „Halt die Klappe!“

Toshi seufzte und trat aus der Schusslinie.

„Tz. Das im Solo, das war ganz allein deine Schuld! Kannst du vielleicht mal ein Tempo für drei Minuten halten?“

„Ah ja? Du musst es ja wissen, du erkennst einen 4/4-Takt doch nicht mal, wenn er dir ins Gesicht rülpst!“

„Ich rülps dir gleich-“

hide wandte sich von dem sich fortsetzenden Streitgespräch ab und Tomoaki zu und sagte entschuldigend: „Ja, das ist normal… Aber jetzt mal im Ernst: Wie machst du das?“

„Wie mach ich was?“, fragte dieser zurück.

„Dieses… ich weiß nicht. Du hast das jetzt einmal gehört. Das ist eigentlich… also in meiner Welt geht das eigentlich nicht.“

Tomoaki setzte sich auf die Armlehne des Sofas und dachte nach. „Ich weiß nicht“, sagte er schließlich nach einigen Augenblicken gleichmütig. Yoshiki und Taiji hatten ihren Disput inzwischen beendet: diese Situationen kochten immer wahnsinnig schnell hoch, doch beruhigten sich glücklicherweise auch ebenso schnell wieder. „Ich hab bisher immer allein gespielt. Also hab ich viel zu Songs mitgespielt. Mir überlegt, was ich anders machen würde. Geschaut, ob es passt. Ich nehme an, da lernt man zuzuhören. Den Stil zu finden. So was. Außerdem war es nicht total neu für mich… Du hattest mir einen Teil davon gezeigt, oder nicht?“

hide zog die Augenbrauen zusammen. „Ah, ja…“, sagte er leise. Das hatte er ganz vergessen.

„Und du wolltest nie irgendwo hin damit?“, fragte Taiji, der gerade ein Wasser aus dem Kühlschrank genommen hatte und Tomo mit einer Geste auch eines anbot. Dieser nickte und Taiji kam die paar Schritte durch den Raum. „Ich meine, das ist ein ziemlich krasser Skill, den du da hast, Mann. Das ist dir doch sicher mal aufgefallen.“

Tomoaki schraubte die Flasche auf. Es knackte. „Um ehrlich zu sein, hab ich da nie wirklich drüber nachgedacht. Ich mach das für mich und bisher war ich mir genug.“

„Und jetzt?“, fragte hide.

„Bin ich mal offen für Neues.“ Er nahm einen Schluck Wasser.

„Das ist doch ein Wort“, sagte Yoshiki. „Dann würde ich sagen, wir machen das gleich nochmal.“
 

-X-
 

Nach einer guten Stunde machten sie schließlich Pause, in erster Linie, weil hide sich beschwerte, ihm täten die Finger weh. Das war nicht gelogen. Taiji setzte sich neben die beiden Gitarristen aufs Sofa und begann, ihm das Händchen zu massieren. Das half. hide nahm mit der Rechten einen Schluck Erdbeermilch aus der Dose. Er hatte den Kühlschrank für Fälle wie diesen mit allen möglichen komischen Softdrinks bestückt. Auch das half. „Tomo hat übrigens auf dem Herweg ganz richtig angemerkt, dass wir immer noch keinen Namen haben“, bemerkte er. „Wir sollten – Aua! - da nochmal drüber reden.“

„Bin ich dafür“, stimmte Taiji zu. „Oh Mann hide, echt, was hast du für Puppenhände! Guckt euch das mal an!“ Zur Veranschaulichung hob er hides Hand und zeigte sie dem Raum.

hide kicherte in sein Milchgetränk.

„Ich weiß, was du sagen willst“, sagte Taiji mit einem Augenrollen. „Tu es einfach.“

„Ok.“ hide unterband sein Kichern mühsam und sagte: „Es kommt nicht auf die Größe an! Mann, du kennst mich.“ Er lehnte sich ein Stück nach rechts und versetzte dem Bassisten einen kumpelhaften Schubs mit seiner Schulter.

„Ok“, sagte Yoshiki den Unsinn im Raum ignorierend, zog ein Blatt mit Noten unter seinem Schlagzeug hervor und drehte es um. „Ihr habt vermutlich Recht. Wie wäre das: wir machen jetzt reihum jeder einen Vorschlag und dann … keine Ahnung, nehmen wir das Beste oder so. Toshi, fang an.“ Er tauchte noch einmal ab, um nach einem Stift zu suchen. „Ich hör zu“, kam seine Stimme von irgendwo hinter der Basedrum.

„Uhm. Äh. Tja“, machte Toshi, der an der PA lehnte überfordert. „Ich weiß nicht. Ich meine, so ein Name sollte ja schon irgendwie zeigen, wer man ist, nicht? Und was man macht? Und um ehrlich zu sein, weiß ich noch nicht so ganz, was das ist, was wir hier machen.“

„Gut, dann denken wir jetzt alle erstmal zwei Minuten nach, was es ist, was wir machen!“, seufzte Yoshiki. Er hatte einen Kugelschreiber zutage gefördert und sich wieder ordentlich auf seinen Hocker gesetzt.

Sie dachten nach.

„Ok?“, fragte Yoshiki, nachdem er im Kopf bis hundert gezählt hatte. „Toshi.“

„Uhm… Noise?“

Yoshiki, der die Snare als Tischchen benutzte, tippte ein paar Mal mit dem Kugelschreiber aufs Papier. „Ernsthaft? Das ist deine Antwort? Wir machen Geräusche?“

Toshi hob verlegen die Hände ein Stück. “Ich arbeite nicht gut unter Druck… Wäre dir Heavenly … irgendwas lieber?”

„Oj…“ Yoshiki seufzte, schrieb es aber dennoch auf und wandte sich dann an den nächsten in der Runde. „Taiji, bitte.“

„Uhm… Thunder Road, Trash, Whiskey a Go Go… Ich hätte noch mehr.“

“Mmh”, machte Yoshiki, als er mit Schreiben fertig war. “Not loving it. Das klingt so nach kleinen Bars, kratzigen Gitarrensounds und hartem Alkohol…“

„Ja!“, bestätigte Taiji mit einem zufriedenen Grinsen.

„Meine Fresse…“, seufzte Yoshiki. „Nein! hide?“

„Ich weiß nicht“, sagte dieser nach einem weiteren Schluck seines süßen Erdbeergetränks nachdenklich. „Ich unterstütze aber alle Namen, die Tiere enthalten. Vielleicht was mit Tiger oder Monkeys oder Beaver.“

„Warum denn Biber?“, fragte Toshi.

„Warum nicht?“, konterte hide. „Biber sind super. Warum ‘Heavenly Irgendwas‘?“

„Argument.“

Taiji seufzte und legte seinen Hut neben sich auf die Sofalehne. „Ich sehe es kommen, wir werden die Tateyama Schnabeltiere.“ [Ja, die Osteraktion hinterlässt ihre Spuren.]

„Die Tateyama Platypuses…“, sagte hide verträumt.

„Ich bin schockiert“, sagte Taiji langsam und mit einem sehr kritischen Seitenblick auf ihren Leadgitarristen, „dass du tatsächlich dieses Wort kennst. Und ich spiele in keiner Band, in der irgendwo das Wort ‘Pussies‘ vorkommt.“

„Das überzeugt mich alles noch nicht hier“, urteilte Yoshiki an dieser Stelle und schnitt damit hide, der den Mund bereits aufgeklappt hatte (vermutlich, um Taiji zu erklären, warum Schnabeltiere die besten Tiere überhaupt waren oder aber, um seine Meinung zu Pussies kundzutun), das Wort ab. Er klickte zweimal mit dem Kuli. „Und es wird auf keinen Fall irgendwas mit Tateyama. Muss ja nicht gleich jeder wissen, dass wir aus diesem Kaff kommen. Tomo?“

Der Junge, der bisher bei runtergedrehter Lautstärke eine kleine Melodie gespielt hatte, schaute überrascht auf. „Oh. Ich soll mitmachen?“

„Ja, das kommt drauf an, willst du bleiben oder nicht?“

„Das ist meine Entscheidung?“

Yoshiki strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Du bist äußerst willkommen“, sagte er, eine Ecke höflicher, als es sonst sein Stil war. „Der Rest liegt bei dir.“

„Die Gitarre ist dein“, deklamierte hide mit schicksalsschwerer Stimme, „wenn du bereit bist, sie zu akzeptieren!“

Tomoaki lächelte und kratzte sich am Kopf. „Na gut… Dann… Eine Abkürzung? Wie ACDC?“

„Anti Secret Service?”, fragte Taiji todernst und ließ hides linke Hand los.

hide fing erneut an zu kichern. „Abgekürzt ASS…“

Die beiden klatschten ab.

„… schön, dass ihr zwei euch so gut versteht“, sagte Yoshiki trocken und klickte den Kugelschreiber einige weitere Male. „Weitere konstruktive Vorschläge?“

Toshi, der langsam im Raum auf und ab gegangen war, verzog nachdenklich das Gesicht. „Muss es Englisch sein? Wir könnten auch was machen wie… Inochi. Oder Itsumademo.“

„Mmh“, machte Yoshiki skeptisch, „Ich weiß nicht...“

„Ich glaub, das schreckt den internationalen Markt eher ab“, sagte Taiji. „Wir hocken hier auf ‘nem großen Felsen im Meer, den die meisten Ausländer nicht mal auf der Weltkarte finden. Die wollen sich keinen japanischen Kack merken, Mann.“

hide patschte Taiji auffordernd seine andere Hand auf den Oberschenkel.

„… das war eigentlich eine einmalige Sache“, sagte dieser nach einem kurzen stillen Seitenblick.

„Aber die tut auch furchtbar Aua!“, quengelte hide und schob die Unterlippe vor.

„Fokus!“, kam die Stimme von hinter dem Schlagzeug.

Taiji griff mit seinem Seufzen nach hides rechter Hand. „Yoshiki wäre die MOther of ROcking Nothing“, murmelte er dem Leadgitarristen ins Ohr. hide, der gerade einen weiteren Schluck Erdbeermilche genommen hatte, musste prusten und dann husten. Milch kam aus seiner Nase. Taiji grinste. Yoshiki verzog das Gesicht. Er hatte verstanden. Moron... Sehr witzig. „Haha. Schön, ihr habt bewiesen, dass ihr eure englischen Schimpfwörter ganz toll beherrscht…“

hide hatte sich wieder beruhigt und sein Gesicht unkompliziert an seinem Ärmel abgewischt. „Naaa, man kann doch auch nette Dinge abkürzen. Zum Beispiel Master of Imagination and Neat Ideas für Toshi, oder Patent Application of Total Awesomeness für Tomo.“

Toshi runzelte die Stirn und stemmte einen Arm in die Hüfte. An diesem Satz war absolut nichts, das er verstand. „… Was?“

Der Schlagzeuger langte sich ans Hirn. „Jetzt redet ihr echt nur noch Scheiße. Und darf ich daran erinnern, dass wir dank unserer Eltern bereits Namen haben und wir einen für unsere Band suchen?“

Tomoaki zuckte mit den Schultern. „Das ist wohl alles Teil des kreativen Prozesses…“

„Ja genau, hör auf PATA, MORON“, sagte Taiji.

„Ok. Also: Nach euren kreativen Ergüssen wäre unser Name also irgendein himmlisches Tier, das in zwielichtigen Bars harten Alkohol konsumiert, und das Ganze dann auf Englisch und abgekürzt.“ Yoshiki sah von dem Blatt Papier auf seiner Snare hoch und teilte einen äußerst skeptischen Blick mit seiner Band. „Also ich bin kein Experte, aber ich glaube, das ist … nicht gut.“

„Tateyama Platypuses klingt auf einmal gar nicht mehr so übel, was?“, neckte hide. Zwei Sekunden später musste er sich ducken - der Drumstick landete mit einem hölzernen Klappern in der Ecke hinter ihm. „Heeee!“, machte der Gitarrist, allerdings nach wie vor grinsend.

„…MINI?“, fragte Toshi. Das machte immer noch keinen Sinn!

Tomoaki wandte sich an hide. „Warum Patent Application?“

„Weil es das erste Wort war, das mir eingefallen ist.“ hide leerte sein Getränk und warf die Dose in Richtung Mülleimer. Er traf nicht und stand auf, um die Aufgabe uncool zu Ende zu bringen. „Wärst du lieber der PAnda of Total Awesomeness?“

Tomoaki blinzelte einmal. Zweimal. Dann wandte er sich wieder seiner Gitarre zu. „… ich sag jetzt einfach nichts dazu.“

„Ok, wie wär’s damit“, schlug Yoshiki vor, der seine Stirn auf die Hand gestützt hatte und aussah wie jemand, der gegen eine Migräne ankämpft. „Wir denken jetzt alle weiter drüber nach und bis wir einen grandiosen Einfall haben, schreib ich hier als Platzhalter einfach mal X, ja?“

„Lame…“, sagte Taiji abfällig. Er duckte sich – es klapperte hinter ihm. „Mann, du musst damit aufhören!“

„REckless Tiresome ARrogant Dumbass!“, fauchte Yoshiki und zog ein neues Paar Sticks aus der Halterung.

„Retard!“, kicherte hide anerkennend. „Very nice.

Taiji warf Yoshiki eine Kusshand zu und begann: „Sweet Kind –“

„Ok, Ende dieses literarischen Höhenflugs!“, bestimmte Yoshiki energisch. „Musik, Gentlemen! Auf!“

„Ist es ok“, meinte Toshi während er sich wieder zum Mikro stellte, „dass ich MINI immer noch nicht verstehe?“

„Naja“, sagte Taiji gespielt nachdenklich. „Du bist der Kleinste von uns.“

hide tauchte weiterhin kichernd zu seinem Verstärker ab und begann, die Höhen zu verstellen. Im Zusammenspiel mit Tomo gefielen sie ihm nicht mehr so gut wie früher.

Taiji stand ebenfalls vom Sofa auf und streckte seinen Rücken durch, bevor er sich den Bass wieder umhängte. „Ok Pata, ich hab hier eine Bassline, die vielleicht ein wenig Unterstützung durch Rhythmusgitarre brauchen könnte. Zieh’s dir mal rein.“

Tomoaki drehte die Lautstärke an seiner Gitarre wieder auf. „Bleibt dieses Pata jetzt hängen?“

hide richtete sich auf und grinste ihm zu. „Wäre möglich.“ Er schniefte.

Alles roch nach Erdbeermilch.
 

-X-
 

Es war der letzte Schultag des ersten Trimesters, der letzte Tag vor den Sommerferien.

Yoshiki und Toshi schlenderten nebeneinander über den Schulhof.

„Und das belastet dich wirklich gar nicht?“, fragte Toshi und sah von seinen Unterlagen auf.

„Was willst du, ich bin nicht der Schlechteste in der Klasse“, sagte Yoshiki unwirsch. Er hatte seine Krawatte bereits gelockert und das Hemd aus der Hose gezogen. „Da sind sieben Leute zwischen mir und dieser ehrenvollen Position.“ Er tippte auf diese äußerst wichtige Stelle im Zeugnis. „Außerdem, hier: Englisch A. I the man!“

„Ok“, sagte Toshi und tauchte wieder ab. „Dann bin ich beruhigt.“

„Tz“, machte Yoshiki verächtlich. Er lugte Toshi über die Schulter. …Moment mal. „Oh Mann!“ Er beugte sich weiter zu Toshis Zeugnis, dann zurück zu seinem, dann wieder zur Toshis. „Wie kommt es, dass du so viel besser bist als wie ich?!“

„Nun, ich nehme an das kommt daher, dass mich zwischendurch mal zehn Minuten am Abend hingesetzt und was getan hab. Außerdem benutze ich nicht die Konstruktion ‘als wie‘.“

„… Streber“, sagte Yoshiki. Es klang leicht indigniert. Doch dann kam ihm ein Gedanke und sein Gesicht hellte sich etwas auf. „Bestimmt sind die Leute in meiner Klasse einfach viel schlauer als die in deiner.“

„Ja, genau das wird’s sein“, sagte Toshi trocken. „Weißt du, was ich denke? Ich denke, dass du nur unteres Mittelfeld bist, nervt dich mehr, als du zugibst.“

„Und weißt du, was ich denke?“ Yoshiki klappte seine Zeugnismappe zu. „Ich denke: Dango.“

„Aber die Zeremonie beginnt um zwölf.“ Toshi drehte sich zu der großen Uhr über dem Haupteingang.

Yoshiki stopfte die Mappe mit einem Schnauben achtlos in seine Tasche. „Jaja, Zeremonie-Schmeremonie. Kommst du oder nicht?“

„Wieso lass ich nur immer zu, dass du mich runterziehst?“ Toshi seufzte und verstaute sein eigenes Zeugnis.

Yoshiki legte ihm grinsend einen Arm um die Schulter und dirigierte ihn in Richtung Ausgang. „Weil du das willst.“
 

-X-
 

Auf der anderen Seite der Stadt klappte hide sein Zeugnis auf. Ihm wurde leicht übel. Er klappte die Mappe wieder zu. Das konnte er zuhause niemals sehen lassen. Wenn zumindest nicht auch noch dabei stünde, wo in der Klasse man mit seinen Leistungen lag! Vielleicht hatte er sich verlesen. Er riskierte einen zweiten Blick. Nein. Das war immer noch da.

Es klingelte.

Begleitet von einer weiteren Welle aus Übelkeit stand hide auf und packte seine Zeugnismappe in die Tasche. Nicht gut. Gar nicht gut. Einen kurzen Moment lang war ihm, als würde der Raum von innen nach außen gestülpt. Er stützte sich auf den Tisch.

„Matsumoto-san?“, drang eine Stimme wie von weit her zu ihm durch.

hide sah auf und begegnete dem Blick seiner Klassenlehrerin.

„…Ja?“ Er klang glücklicherweise viel ruhiger, als er sich fühlte.

„Bleiben Sie doch bitte noch kurz hier…“

Oh Gott... Unbehaglich wartete hide ab, bis seine Klassenkameraden nach draußen verschwunden waren. Frau Yamamoto schloss sachte die Tür und bedeutete ihm dann, sich noch einmal zu setzen. Aus Ermangelung einer Alternative setzte hide sich also wieder hin, auf die äußerste Stuhlkante, um zu zeigen, dass er nicht hier war, um zu bleiben. Seine Lehrerin drehte den Stuhl des normalerweise vor ihm sitzenden Schülers um und setzte sich ihm an dem kleinen Tisch gegenüber. Sie war die junge Generation, gerade erst von der Universität abgegangen, nicht viel älter und zehn Zentimeter kleiner als er und trotzdem eine Respektsperson. Das war sonst seltsam. In dieser Situation war es außergewöhnlich seltsam.

„Matsumoto-sa-“, begann sie behutsam.

„Ich weiß, dass meine Noten schlecht sind“, fiel hide ihr ins Wort. Er war sich bewusst, dass man das als respektvoller Schüler bei einem Lehrer niemals tun sollte, doch er hielt ihren Tonfall schon nach diesen zwei Wörtern nicht aus. Wenn sie so weiter sprach, fing er am Ende noch das Heulen an. Wut wäre besser – mit Wut konnte er umgehen. „Es tut mir leid, es ist nicht Ihr Unterricht.“

Er schaute erst auf die Tischplatte und, als nichts passierte, langsam wieder nach oben. Sie schien nicht verärgert über seinen Ausrutscher und ihr Blick war eine Spur aufmerksamer, als hide das gefiel. „Das ist es nicht“, sagte sie schließlich. „Matsumoto-san. Das ist nur so ein Gefühl und ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten. Aber…“ Sie legte ihre Hände übereinander auf den Tisch und lehnte sich ein kleines Stück nach vorne, mehr wie eine besorgte Freundin als eine Lehrerin. „Ist alles in Ordnung?“

hides Inneres verkrampfte sich. Erster Instinkt: Flucht. Unmöglich. Keine gute Ausrede. Zu auffällig. Zweiter Instinkt: Lügen. Ja. Lügen klappte. hide legte schuldbewusst eine Hand in den Nacken und setzte ein dazu passendes, beschämtes Lächeln auf. „Ja. Natürlich. Ich … ich hab bloß nicht genug getan in letzter Zeit, nehme ich an.“ Ein kurzer Augenaufschlag zeigte ihm, dass das noch nicht reichte. Er beschloss, einen großen Joker zu spielen. Ihrem Blick ausweichend schaute er aus dem Fenster. „Ich hab ein nettes Mädchen getroffen und… das hat irgendwie … nunja. Ich hab mich nicht mehr so auf die Schule konzentriert.“ Er dachte daran, wie die anderen sein Gitarrenspiel gelobt hatten und fühlte, wie er leicht rot anlief. Hervorragend. Gott, ein Schauspieler war an ihm verloren gegangen!

Doch ein zweiter Blick zurück zu Frau Yamamoto sagte ihm allerdings, dass es nicht zog. Sie war gut. Sie glaubte ihm nicht. Frauen… Frauen waren gefährlicher als Männer… immer gefährlicher als Männer. hide senkte den Blick wieder zum Tisch und hielt das verlegene Lächeln entschlossen aufrecht. Er hatte diesen Weg eingeschlagen, er würde dabei bleiben.

„In Ordnung“, sagte sie schließlich, obwohl sie beide wussten, dass es das nicht war. „Nichtsdestotrotz ist Ihr Notenspiegel in einer Weise bedenklich, die Ihren Abschluss gefährdet. Ich möchte Ihnen raten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Maeda-san ist auch in den Ferien regelmäßig montags hier.“

hides Kopf ruckte nach oben. Er starrte sie an. Das Lächeln fiel ihm aus dem Gesicht und zerbrach auf dem Boden in hundert kleine Stücke. Er schaffte nicht einmal einen ungläubigen Gesichtsausdruck, so überrumpelt war er. Ein Teil von ihm klinkte sich automatisch aus. Das hier passierte irgendwem, irgendwo. Jemand, der ihm fremd war, hatte das schlechteste Zeugnis der Klasse erhalten und war gerade aufgefordert worden, sich beim Beratungslehrer einzufinden. Es betraf ihn nicht...

„Das… ist wirklich nicht nötig“, sagte er. Er versuchte, irritiert zu schaffen, doch war sich bewusst, dass seine Stimme gegen Ende ein wenig brach. Reiß dich zusammen, dachte er. Seine Hand hatte sich unwillkürlich auf dem Tisch zur Faust geballt, um das übliche Ritual durchzuziehen, und er zwang sich, sie zu entspannen. Zwei Minuten. In zwei Minuten bist du hier raus. Reiß dich zusammen. Nur 120 Sekunden. Er biss sich mit Absicht auf die Innenseite der Unterlippe. Es blutete. Das half.

Frau Yamamoto schüttelte leicht den Kopf. „Ich kann Sie nicht zwingen. Aber denken Sie einfach darüber nach. Es ist nichts dabei. Noch kann man da was machen… Zwei Wochen vor den Prüfungen wird es dann knapp.“

Zu einer Reaktion unfähig, starrte hide sie weitere wertvolle Sekunden untätig an. Was machen… Ja. Nur zu gerne hätte er sie gefragt, woher sie das wissen wollte. Doch er fragte sie nicht. Stattdessen kehrte er schließlich zu dem kleinen Lächeln zurück, das man für Menschen reservierte, denen man Freundlichkeit signalisieren wollte, ohne sie wirklich zu mögen und sagte: „Ich bin dankbar, dass Sie sich Gedanken machen, Sensei.“ hide erhob sich mit einer Verbeugung. „Ich muss jetzt nach Hause. Entschuldigen Sie mich.“

Er nahm seine Sachen und verließ den Raum, ohne noch einmal zurück zu schauen.

Der Himmel draußen war strahlend blau.
 

-X-
 

„Na?“, fragte Toshi. „Wie war’s bei dir?“

Er stand in der kleinen Küche am Herd und briet Lachs.

„Gut“, sagte sein Bruder und biss in die Dango, die Toshi ihm mitgebracht hatte. Ausnahmsweise kam heute der Nachtisch mal vor dem Hauptgang. Immerhin waren die Sommerferien jetzt offiziell angebrochen, das konnte man wohl auch mal feiern. „Ich hab auf dem Nachhauseweg einen Frosch gefangen. Er war grün und schwarz und gar nicht glibberig.“

„Äh…“, machte Toshi belustigt. Kinder. Schule aus den Augen, Schule aus dem Sinn. Aber gut, wenn ihn das gerade beschäftigte, konnte er wohl auch darüber mit ihm reden. „Und wo ist der Frosch jetzt?“

„Im Schuhkarton unter dem Bett.“

„Oh“, sagte Toshi. „Der Arme. Glaubst du nicht, dass er draußen glücklicher ist? Oder zumindest irgendwo, wo er ein bisschen Sonne abbekommt?“

Hiro schob die Unterlippe ein Stück nach vorn. „Aber ich will noch mit ihm spielen.“

Toshi drehte sich um und lehnte sich an den Herd und schaute nachdenklich. „Mmh, das kann ich verstehen. Frösche sind toll. Aber vielleicht hat dein Frosch Freunde. Die machen sich bestimmt Sorgen, wo er steckt.“

Hiro piekte sein Knie mit dem Holzstäbchen, auf dem die Reismehlkugeln gesteckt hatten und schaute verunsichert. „Glaubst du?“

„Hmm-hmm“, machte Toshi.

„Och…“ Es klang enttäuscht.

„Na komm“, sagte Toshi aufmunternd. „Lass uns essen und dann holst du deinen Frosch und wir bringen ihn gemeinsam runter zum Fluss. Und bauen einen Damm.“

„Na gut…“

Toshi nickte zufrieden, lud den Lachs zu Reis und Salat auf ihre Teller und setzte sich schräg neben seinen Bruder.

„Aber einen Großen!“, legte dieser noch nach, bevor er sich eine Fuhre Fisch in den Mund schaufelte.

„Einen Großen“, versprach Toshi.
 

Sie gingen runter zum Fluss, ließen den Frosch frei und dann setzte sich Toshi ans Ufer in den Schatten und sah seinem Bruder dabei zu, wie er im flachen Wasser herumwatete und versuchte, die kleinen Fische zu fangen, die wie silberne Pfeile zwischen den Steinen herumflitzten. Schließlich wurde er aufgefordert mitzumachen und so versuchte auch Toshi sein Glück, bis er schließlich auf einem glitschigen Fels ausrutschte und der Länge nach ins Wasser fiel. Ein spitzer Stein bohrte sich in seinen Rücken, doch ansonsten ging das Ganze glimpflich aus. Sie bauten einen mittelgroßen („riiiiesigen!“) Damm aus kleinen Ästen und Steinen und als sie schließlich über die Felder zurück nach Hause spazierten, stand die Sonne bereits niedrig über dem Horizont und tauchte alles in ein tiefgoldenes Licht.

Hiro zog einen Stock hinter sich her, den er am Fluss gefunden hatte. „Gehst du morgen mit mir an den Strand?“

„Morgen ist schlecht“, sagte Toshi. „Wie wäre es mit Montag?“

Sein Bruder nickte großzügig. „Montag ist auch in Ordnung. Gehst du Musik machen?“

Toshi nickte. „Jap.“ Das, oder Yoshiki fand irgendetwas anderes, das absolut nicht warten konnte.

„Kann ich mal mitkommen?“

Toshi fiel kein Grund ein, warum nicht. „Klar. Aber lass mich vorher die Anderen fragen, in Ordnung?“

„Uh-hu.“
 

Sie kamen gleichzeitig mit ihrem Vater zuhause an, der mit seiner Aktentasche in der einen und seinem Bentobeutel in der anderen Hand die Straße hinaufgeschlendert kam und dabei das Gesicht in den Sonnenuntergang hielt. Das mochte Toshi an seinem Vater: Egal wie gestresst er war, er hatte immer noch Zeit, sich… nun ja, Zeit zu lassen. Aber, dachte er weiter, vermutlich war das die Form der Gelassenheit, die man mit drei Kindern entwickeln musste, wenn man nicht wahnsinnig werden wollte. Und es war leider auch die Form der Gelassenheit, die dazu führte, dass man nicht befördert wurde.

„Papa!“

Hiro löste sich von seiner Seite und lief dem Mann mit den Geheimratsecken entgegen. Einige Meter vor ihm stellte er sich in eine nicht sonderlich authentische Kendostellung und hob den Stock. „Verteidige dich!“

„Huch!“, rief sein Vater. „Ich hab mein Schwert im Bad liegen lassen! Was bin ich für ein Tollpatsch.“

„Aaaah!“ Hiro stieß einen Angriffslaut aus. Sein Vater hielt einige Stockhiebe mit dem Bentobeutel ab, doch dann piekte ihn der Ast in den Arm. „Uuuurgh!“, machte Toshis Vater und sank, sich die Seite haltend, äußerst dramatisch auf die Knie. „Du bist zu stark! Ich kann nicht gewinnen!“

„Niemals!“ Hiro tanzte jubelnd um ihn herum.

Im ersten Stock ging ein Fenster auf. „Was macht ihr denn da?“ Toshis Mutter lehnte sich heraus. „Du ruinierst den Anzug. Lasst den Unsinn und kommt nach oben!“

„Ich kann nicht“, teilte Toshis Vater ihr mit, weiterhin auf den Knien. „Ich bin tödlich verwundet.“

„Kannst du nicht nach dem Abendessen tödlich verwundet sein?“

Toshis Vater sah seinen jüngeren Sohn fragend an. Dieser nickte wohlwollend. „Ja, das geht!“, antwortete er also seiner Frau nach oben. Diese, zufrieden mit diesem Kompromiss, schloss das Fenster wieder. Toshis Vater stand auf und klopfte sich Staub und Steinchen von der Anzughose. Er streckte seinen Rücken. „Uh, ich werde zu alt hierfür.“

„Das macht nichts“, beteuerte Hiro und nahm ihm die Aktentasche ab. „Ich bin ja auch bald erwachsen. Dann mach ich alles.“

„Das ist schön“ sagte sein Vater, während sie die letzten Meter zur Haustür gingen. „Danke. Dann kann ich meine alten Knochen in die Sonne legen und Bonsais züchten und ihnen beim Wachsen zuschauen.“

„Wenn deine Bonsais wachsen, sind sie aber nicht sonderlich gut“, gab Toshi zu bedenken, der hinter den beiden anderen Männern die Treppe nach oben stieg.

„Mmh.“ Sein Vater schaute amüsiert. „Vielleicht muss ich diese Idee noch einmal überdenken.“

Toshi schmunzelte und kniete sich neben ihn, um seine Schuhe aufzuknoten. In diesem Moment streckte ein kleines Wesen den Kopf aus der angelehnten Wohnungstür. „Hallo!“, grüßte es einmal in die Runde und schaute dann zu Toshi. „Ich hab dir beim Arzt einen Fisch gemalt!“, sagte sie und reichte ihm ein schon ziemlich knittriges Blatt Papier. Anscheinend konnte das keine zehn Sekunden warten.

„Ooooh“, sagte Toshi noch in der Hocke bewundernd, während er versuchte, in dem Linienwirrwarr irgendwo besagten Fisch zu finden. „Der ist ja schön. Danke. Den häng ich an die Wand.“

„Jaaaa!“

„Und wo ist mein Fisch?“, fragte sein Vater voll gespielter Entrüstung.

Akimi kicherte albern.

Hinter dem Mädchen erschien seine Mutter im Flur und nahm Aktentasche und Bentobeutel entgegen.

„Guten Abend miteinander. Na, ist hier alles gut gegangen?“

„Ja“, sagte Toshi, dem die letzte Frage galt und zog sich endlich die Schuhe aus. „Ich kann Dinge in Pfannen legen, Mama.“

„Ich frag ja nur.“ Sie strich ihm einmal über die Haare, während er noch unten war.

„Alles in bester Ordnung.“ Toshi nahm ihre Hand von seinem Kopf und stand auf.

Seine Mutter lächelte. „Danke. Ich weiß auch nicht, warum sie immer im Sommer krank wird.“

Akimi hustete unterstützend. Es klang wie das Bellen eines kleinen Hundes.

„Es macht mir nichts“, versicherte Toshi.

„Toshi hat gesagt, dass ich meinen Frosch wieder wegtun muss“, präsentierte Hiro seiner Mutter den leeren Schuhkarton und seine Version der Geschichte. „Jetzt kann ich ihn dir nicht mehr zeigen.“

„Oh. Na, vielleicht hatte dein Frosch Freunde. Die sind jetzt sicher froh, dass er wieder da ist.“

Hiro verzog das Gesicht und schaute misstrauisch, bevor er sich mit einem „Das hat er auch gesagt“ an ihr vorbei in die Wohnung schob.
 

Eine halbe Stunde später saß Toshi mit seinen Geschwistern und seinem Vater am Tisch, während seine Mutter die Reste eines leichten, sommerlichen Abendessens abräumte.

„Na, das geht ja“, sagte sein Vater gerade und setzte Siegel und Unterschrift unter Toshis Zeugnis.

„Finde ich auch“, antwortete dieser und nahm die Mappe entgegen. Er hatte zwar keine grandiosen Zensuren, aber dafür standen viele nette Dinge in der Kommentarspalte und das wog einiges auf. Oder zumindest hoffte er das. Arzt würde er aber eindeutig nicht mehr werden.

Neben ihm reichte Hiro seinem Vater seine Zeugnismappe über den Tisch.

„Ich bin toll in Werken!“

„Dann wollen wir doch da mal gucken. Jaaa, ich seh schon, ganz toll in Werken! Und hier steht, du hast viel Energie und viele Freunde. Aber wie wäre es, wenn du nach den Ferien ein bisschen was von dieser Energie in Lesen stecken würdest, mmh?“

Sein Vater setzte Siegelstempel und Namenszug auch unter Hiros Zeugnis.

„Lesen ist so anstrengend. Die Zeichen sehen alle gleich aus“, maulte Hiro. Toshi stimmte ihm in Gedanken zu. Vielleicht war das ja doch eine genetische Sache.

„Ach, aber Lesen ist toll! Da gibt es so viele schöne Geschichten!“, versuchte seine Mutter von der Küchenzeile aus die kreative Tour. „Wie wäre es, wenn wir in die Bücherei gehen und nach Büchern über Samurai suchen, mmh? Du magst doch Samurai.“

„Vielleiiiicht“, sagte Hiro gedehnt.

Toshi schmunzelte: als hätte er eine Wahl…

Doch es kam niemand mehr dazu, auf etwas mehr Begeisterung zu pochen, denn eine laute Mädchenstimmte klinkte sich ein: „Nächstes Jahr krieg ich auch ein Zeugnis!“

„Ja, dann gehst du in die Schule und bekommst auch ein Zeugnis“, stimmte Toshis Vater ihr zu. „Und wer strengt sich dann ganz doll an?“

„Iiiich!“ Akimi warf sich in Pose. „Aber ich hab heute auch schon tolle Sachen gemacht!“

„Ah ja?“

„Ja! Ich hab ein Bild von Mama gemalt und ein schönes Lied gesungen und einen Käfer gegessen!“

Toshi musste lachen.

Sein Vater riss sich mühsam zusammen und sagte halbernst: „Dann waren wir ja alle erfolgreich! Naaa, wer will Kuchen?“

„Ich will Kuchen!“, rief Hiro.

„Kuchen!“, quäkte Akimi.

„Wir wollen Kuchen-Kuchen-Kuchen, wollen Kuchen-Kuchen-Kuchen~“, sang Toshis Vater.

Seine Mutter sah mit einem nachsichtigen Lächeln über die Schulter zum Tisch und hielt sich einen Finger an den Mund. „Nachbarn“, sagte sie leise und drehte sich wieder zur Anrichte.

„Wir wollen Kuchen!“, flüsterte Toshis Vater verschwörerisch.

Akimi nickte feierlich. „Kuchen!“, flüsterte sie zurück.
 

-X-
 

hide lag im Proberaum auf dem Sofa und nippte an einem Bier. Das half nicht. Vielleicht hätte er lieber etwas essen sollen. Doch schon allein der Gedanke drehte ihm den Magen um. Aber eigentlich tat das Bier das auch. hide lehnte sich zur Seite, stellte die Dose vor dem Sofa auf den Boden und richtete die Gitarre in seinem Arm ein paar Grad auf. Lustlos spielte er ein paar Takte Deep Purple und dann ein paar aus einem noch namenlosen Song aus der Hand von Taiji. Nichts. Es fühlte sich falsch an. Vielleicht, weil es nicht von ihm war. hide spielte den ersten Teil eines Solos, an dem er arbeitete – es hatte keinen Platz gefunden, aber irgendwann würde er es sicher mal brauchen. Man konnte nie genug Soli in der Hinterhand haben, für Konzerte und peinliche Stillen beispielsweise. An der Stelle, an der er hing, ging es auch heute nicht weiter. hide lauschte auf der Suche nach einer Idee in sich hinein. Nichts. Da war immer noch ein seltsamer Druck, der von innen gegen seine Rippen zu pressen schien. Wie ein Ballon. Er wünschte sich, er könne irgendetwas tun, um den Ballon zum Verschwinden zu bringen, doch er wusste nicht, was. Er war nicht wütend genug, um zu schreien und er war nicht traurig genug, um zu weinen. Innerhalb des Ballons, wo eigentlich Gefühle sein sollten, war eine große Leere. hide setzte sich auf die vordere Ecke des Sofas und stützte über seine Gitarre hinweg den Kopf auf die rechte Hand. Er fühlte sich müde. Mit einem Seufzen beugte er sich nach unten und angelte nach der Dose. Es half vielleicht nicht… aber es machte es auch nicht schlimmer.
 

-X-
 

Es war kühl und still. Das Umblättern von Seiten war deswegen nur zu gut zu hören, genau wie das Ticken der Uhr an der Wand und sogar das ferne Zirpen einiger Zikaden in den Sträuchern vor der Tür. Schließlich erklang ein Seufzen. „Ach Yoshiki…“

„Was?“, fragte dieser fast vorwurfsvoll, vielleicht um seiner Mutter mit diesem Tonfall zuvorzukommen. Er saß im Laden der Familie in einem der Wartesessel und drehte seine Krawatte in den Händen.

„Magst du dich nicht ein bisschen mehr anstrengen?“

„Ich bestehe“, antwortete Yoshiki bissig. „Das ist das Wichtigste, oder nicht?“

„Ja, aber hier… die Kommentare! Da steht du erscheinst häufig zu spät oder gar nicht zum Unterricht, legst keinen Wert auf ein gepflegtes Äußeres und bist deinen Mitschülern und den Lehrern gegenüber unhöflich.“

„Respektlos“, korrigierte Yoshiki. „Da steht respektlos.“

Seine Mutter senkte das Zeugnis. „Schatz…“

Yoshiki konnte spüren, wie es in im hochkochte. Er warf seine Krawatte neben sich auf den Boden zu seinen Schulsachen. „Was? Ich geh hin und ich zieh’s irgendwie durch! Mehr kannst du echt nicht verlangen!“

„Und wir atmen ein und zählen bis zehn…“, sagte seine Mutter besänftigend.

Yoshiki spannte die Unterarme an, vielleicht in der Erwartung, gleich aufzuspringen und … irgendetwas zu tun, doch etwas in ihrem Blick hob den Deckel vom Topf, ließ Dampf entweichen und das Brodeln wurde schwächer. Er entspannte die Muskeln in den Armen, atmete ein und zählte bis zehn und atmete wieder aus.

„Ok“, sagte er dann. „Ich bin ruhig. Es tut mir leid, dass ich dich angefahren habe und es tut mir leid, dass diese Sachen da drin stehen.“ Sein Blick wanderte über die farbenfrohen Muster der Sommerkimonos und die dunkleren Stoffe für die Herren.

„Schatz…“ Seine Mutter kam um die Ladentheke herum. „Ich weiß ja, dass du deine Musik machen willst. Aber versuch es zumindest ein bisschen, mmh?“

„Wieso?“, fragte Yoshiki und hob den Blick von einem dunkelblauen Yukata mit Wellenmuster. Dieses Jahr waren wassernahe Themen in Mode. „Weil du glaubst, dass es nichts wird und ich dann doch einen Abschluss brauche?“ Meer. Schilf. Fische.

Seine Mutter blieb ein paar Sekunden vor ihm stehen, als wolle sie eine Predigt halten, doch besann sich dann eines Besseren und ging zu einer Schaufensterpuppe hinüber, um die kunstvoll drapierten Falten des Kimonos zurecht zu zupfen. „Yoshiki, ich unterstütze dich bei allem, was du tust“, sagte sie währenddessen. „Und das ist manchmal nicht einfach. Aber Pünktlichkeit und Respekt sind mir wichtig. So hab ich dich erzogen und so kenne ich dich und ich frage mich, warum das jedes Mal wieder da steht. Das ist alles.“

Yoshiki lehnte sich im Sessel zurück und kaute auf seiner Unterlippe. „Ich mach das nicht mit Absicht…“, murmelte er schließlich.

„Wieso machst du es dann?“

„Ich weiß es nicht, ok?!“

Die Worte brachen etwas lauter heraus, als er beabsichtigt hatte und wirkten durch die Stille, die sich sofort wieder über den Laden senkte, noch unangebrachter. Seine Mutter wanderte weiter zur nächsten Puppe, diesmal eine für Herren in einem schönen Seegrün. Sie hielt die Stille aus, bis Yoshiki meinte, die Spannung im Raum würde ihn gleich auf fünfhundert Volt grillen. Dann sagte sie bedacht: „Schatz, ich mache dir keine Vorwürfe. Ich versuche nur, es zu verstehen.“

Das war das Wunderbare und das Schlimme an seiner Mutter, dachte Yoshiki mit einem stillen Seufzen, man konnte sich einfach nicht ordentlich mit ihr streiten. Manchmal fragte er sich, wie wohl ein anderer Mann im Haushalt der Hayashis mit dem umgehen würde, was von außen schon sämtliche Betitelungen von Aggressionsproblem über Pubertäre Rebellion bis hin zu Viel zu lasche Erziehung erfahren hatte. Er wusste, dass diese Kommentare seine Mutter belasteten, denn sie schienen zu beweisen, was besorgte und böse Stimmen schon seit Jahren behaupteten: dass eine alleinerziehende, berufstätige Frau nicht in der Lage sein konnte, einen anständigen Menschen heranzuziehen. Doch es brachte nichts, darüber nachzudenken. Yoshiki stützte den Kopf auf den Arm und diesen auf die Lehne. „Ich weiß nicht…“, sagte er dann. „Es ist einfach… die Schule. Alles da ist Zwang. Und wofür? Dafür, dass man danach an die Uni geht, wo auch alles Zwang ist und in die Firma, wo man auch nur arbeitet und arbeitet und dann ist man tot. Ständig steht einer hinter dir und beurteilt, was du machst und wie du es machst und ob du es so machst wie alle anderen. Manchmal frag ich mich, ob dann auch noch jemand neben meinem Grab steht und sagt: ‘Uh, Hayashi, so gehört sich das aber nicht.‘ Und dann sagen sie, dass einem das irgendwie dabei hilft, seinen Platz im Leben zu finden. Das ist Scheiße! – Ja, ‘Tschuldige Mama… Aber ich meine – was bilden die sich ein, jemandem – mir – sagen zu können, wo mein Platz ist? Oder wie man den auszufüllen hat? Ich bin doch keine drei Jahre mehr alt! Ich kann selbst entscheiden, wann ich was machen will und wie, und was zu tun mir was bringt und was nicht. Also… mir die Haare auf eine bestimmte Länge schneiden und das Hemd reinstecken und nicht sagen, was ich denke, nur weil es nicht die Meinung ist, die ich haben sollte - Ich weiß nicht genau, was Leben ausmacht… aber das ist es nicht.“ Yoshiki hatte sich nach vorne gelehnt, mit den Ellenbogen auf den Knien, und betrachtete seine Füße in den blank polierten schwarzen Schuhen. „Ich weiß, dass du dir was Besseres von mir wünscht und es tut mir leid. Aber ich hasse jeden einzelnen Tag dort. Nicht mal den Unterricht, sondern alles außen herum. Ich will nicht bestimmt bekommen, was ich zu sein habe. Ich will nichts… ausfüllen… Die Welt soll nicht mich machen, sondern ich die Welt. Und alles, was die Schule und alles jeden Tag versucht, ist uns einreden zu wollen, dass das nicht geht. Dass man sich selbst passend machen muss, anstatt…“ Yoshikis Gedanken holten seine Worte ein und er brach ab. „… Entschuldigung. Das war jetzt so ein Schwall. Und vermutlich hat es nicht mal Sinn gemacht…“

Irgendwann während seiner kleinen Rede hatte seine Mutter die Kimonos verlassen und stand nun doch vor ihm, die Hände vor dem Körper übereinandergelegt.

„Und warum bist du wütend? Weil ich dich hinschicke?“

Am liebsten hätte er mit einem Schulterzucken geantwortet. Denn alles andere bedeutete, dass er erst einmal in sich gehen musste und das erschien ihm irgendwie wie sehr viel emotionaler Aufwand. Yoshiki hatte die Schultern bereits gehoben, doch wie sie da so vor ihm stand, seltsam verloren in ihrem azurblauen Kimono mit den Kranichen, die majestätisch aus einem Sumpf aufflogen, fühlte er sich auf einmal, als wäre er ihr das schuldig. „Nein“, sagte er also schließlich. „Ich bin nicht wütend. Ich mach mir manchmal Sorgen, dass sie vielleicht Recht haben. Aber ich will lieber nicht drüber nachdenken. Können wir das Thema wechseln?“

Seine Mutter machte noch zwei ihrer kleinen Schritte in seine Richtung und stand nun neben dem Stuhl. „Ja…“, antwortete sie nach einigen Sekunden. „Mein nächster Termin kommt gleich. Tu mir einen Gefallen: Wenn du nach Hause kommst, nimm bitte das Fleisch aus dem Gefrierfach. Dann machen wir später Fondue, mmh?“

Sie küsste ihn auf den Kopf – etwas, das sie sonst nie machte, weil sie nicht hinaufreichte. Etwas Unausgesprochenes lag in dieser Geste und einen Moment lang lehnte er den Kopf an ihre schmale Figur. Sie roch nach Mandelblüten und Flieder und für einige Herzschläge bildete sie das kleine warme Zentrum der Welt. Yoshiki spürte, wie sich Muskeln in seinem Nacken entspannten, von denen er nicht gewusst hatte, dass sie existierten. Er seufzte leise und beendete den Moment dadurch, dass er sich wieder aufrecht hinsetzte.

„Danke. Ich fühl mich besser…“

„Gut. Dann kannst du ja jetzt dein Zimmer aufräumen.“

Yoshiki runzelte die Stirn. „Wie kommt es, dass egal wie unsere Gespräche beginnen, sie immer damit enden, dass ich mein Zimmer aufräumen soll?“

Seine Mutter lächelte sanft und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. „Das ist eines der großen Mysterien des Lebens.“ Die Ladenglocke bimmelte fröhlich und seine Mutter wandte sich in Richtung Eingang, um die junge Frau zu begrüßen. „Da ist ja unsere glückliche Braut!“

Yoshiki griff im Vorbeigehen sein Zeugnis von der Ladentheke und verzog sich unauffällig.
 

-X-
 

Es war Punkt zehn, als hide sich zwischen den Tischen hindurch zum Tresen schob. Es war einer von den anstrengenden Freitagen. „Du bist ja doch hier“, sagte sein Vater, der gerade einen Whiskey on the Rocks einschenkte. „Du hast gesagt, dass ich helfen soll, also bin ich da“, versetzte hide neutral und nahm seiner Mutter ihr Tablett ab. Bevor noch etwas nachkommen konnte, machte er sich lieber ans Bedienen. Er lieferte die Getränke ab und nahm noch drei Bestellungen auf. Leider konnte er den Rückweg zum Tresen nicht ewig vor sich herschieben. Er tauschte seine leeren Gläser und den Zettel mit den Bestellungen so schnell und beschäftigt er konnte gegen die neuen Getränke aus. Es war nicht schnell genug. Gerade wollte er wieder gehen, als ihn eine Hand am Oberarm zurückhielt. Er zuckte und die Getränke schwappten über, auf das Tablett und seine linke Hand. Doch das entging der Aufmerksamkeit seines Vaters gerade. Dieser fragte, über den Geräuschpegel im Hintergrund hinweg kaum hörbar: „Und, wie schaut’s aus?“ „… Zeugnis?“, fragte hide zurück. Ihm war vollkommen klar, warum es ging, doch das kaufte ihm Zeit. Und wenn es sich nur um Sekunden handelte. Ein knappes Nicken antwortete ihm. hide schluckte. Er musste jetzt irgendetwas darauf sagen. Und es konnte nicht die Wahrheit sein. Er öffnete den Mund und hörte sich erklären: „Oh… es… sie hatten technische Probleme und schicken es zu.“ In dem Moment, in dem er es sagte, erschrak er ein wenig über seine eigene Dreistigkeit. Aus dieser Nummer kam er auf keinen Fall raus. Es gab keine Variante hiervon, die gut enden konnte.

Doch der Leere war das egal.

Was passierte, passierte.

Was auch immer.

Die Sekunden zogen sich.

hide stellte eine Kante des Tabletts zurück auf den Tresen, weil ihm die Arme weh zu tun begannen und wischte sich die feuchten Finger an der Hose ab. Obwohl ihm sein Kopf und sein Inneres ruhig und kalt erschienen, erwischte er seine Hände dabei, wie sie zitterten. Er griff das Tablett fester, so fest, dass die Kanten ihm in die Finger schnitten.

„… lügst du mich an?“

Die Leere erwiderte den Blick des älteren Mannes ohne zu zögern und ohne jegliches Schuldbewusstsein.

„Nein.“

Eine kleine Ewigkeit hielten sie den Blickkontakt aufrecht. Dann nickte sein Vater einmal. Nicht überzeugt, doch hide befand es als ausreichend. Jedes Zeichen, dass diese Unterhaltung vorbei war, war ausreichend. Er wandte sich ab, um sich wieder an die Arbeit zu machen. Seine Hände waren jetzt ruhig.
 

-X-
 

„Sommerferien“, sagte Yoshiki, „sind die geilste Erfindung der Menschheit.“

Es war Dienstagnachmittag. Gerade lagen sie im Sand, machten Mittagspause und freuten sich darüber, dass es nichts gab, was sie stattdessen hätten tun müssen. Sie waren nicht allein am Strand, aber darüber konnte man hinwegsehen – es war warm und sonnig und die Luft schmeckte nach Salz und Sommer und Freiheit.

„Und es sind deine letzten“, sagte Taiji dumpf. Er lag neben hide und hatte sich seinen Hut gegen die Mittagssonne aufs Gesicht gelegt.

„Ja!“, sagte Yoshiki fröhlich und ließ ein wenig Sand durch seine Finger rieseln. „Ich weiß! Bald heißt es: nie wieder Hausaufgaben, nie wieder Clubs, nie wieder Schuluniform, nie wieder Putzen…“ „Nie wieder ‘Hayashi, schneiden Sie sich endlich die Haare, Sie sehen aus wie ein Mädchen‘ …“, führte Toshi fort, der durch den warmen Sand zu ihnen hinüber gekommen war. Tomoaki lachte leise. Yoshiki verzog das Gesicht und blinzelte nach oben gegen den hellen Sommerhimmel, um Toshi einen Blick zuzuwerfen. „Wenn ich jedes Mal, wenn mir jemand das gesagt hat, einen Yen bekommen hätte, hätte ich heute keine Probleme mehr.“ Mit einem halben Grinsen ließ sich Toshi neben ihn in den Sand fallen. „Hier“, sagte er und reichte ihm eine Box. Yoshiki schaute sie zweifelnd an. „Was ist das denn?“ „Bento von deiner Mutter. Sie sagte, ich soll es dir geben und dich daran erinnern, es auch zu essen. Also iss.“ Yoshiki runzelte die Stirn, öffnete aber die Bentobox – wenn auch nur, um den Inhalt auf seine Herkunft zu überprüfen. Tatsache. Die Omeletts mit dem Nori waren eindeutig die seiner Mutter. „Wann hat sie dir das gegeben?“ „Tja, da schaust du. Deine Mutter und ich, wir sind so.“ Toshi klemmte den Mittelfinger hinter den Zeigefinger, um die optimale Zusammenarbeit zu symbolisieren. „Also wenn jemand so von meiner Mutter reden würde“, sagte Taiji gemütlich von unter seinem Hut, „würde mir das zu denken geben.“ Toshi brauchte ein paar Sekunden, um zu schalten. Dann jedoch zeigte er das angemessene Ausmaß an Entrüstung. „Urgh! Doch nicht so, das hab ich nicht gemeint!“ Yoshiki schubste ihn. „He! Was soll denn bitte Urgh bedeuten?“ Toshi hob abwehrend die Hände: „Nichts. Deine Mutter ist eine attraktive Frau für ihr Alter.“ „Urgh!“, machte Yoshiki. Toshi seufzte. „Ich kann einfach nicht gewinnen.“ Taiji nahm seinen Hut vom Gesicht und setzte sich lachend auf: „Nein.“ Er streckte eine Hand in Yoshikis Richtung. „Falls du welche von diesen geilen Tofu-Röllchen hast – und wir kennen die Antwort beide – reich rüber.“ Toshi schaute missbilligend an Yoshiki vorbei. „Taiji, er soll das selbst essen!“

Der Gemaßregelte machte eine Handbewegung, als würde er eine Peitsche schwingen und ein dazu passendes Geräusch.

„Sag bitte“, setzte sich Yoshiki über die Anweisung hinweg.

„Liebes Bitti-Bitte mit Zucker drüber.“ Taiji versuchte einen Augenaufschlag, der kläglich misslang.

Yoshiki reichte ihm zwei Tofu-Röllchen und Toshi seufzte. „Ich kämpfe gegen Windmühlen.“

„… Willst du auch eins?“, fragte ihn Yoshiki.

„…Ja.“

Taiji hatte in der Zwischenzeit von einem seiner Röllchen abgebissen und drehte sich zu seiner anderen Seite, um hide das zweite hinzuhalten.

„hide?“, fragte er nach einigen Sekunden ohne Reaktion.

„Mmh?“ hide sah von der kleinen Muschel auf, die er auf seinen Zeigefinger gesetzt hatte. „Oh, danke… Aber… Nein, danke…“

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Toshi. „Du bist schon den ganzen Tag so abwesend.“

„Ich… hab wenig geschlafen“, sagte hide und schnippte die Muschel zurück in den Sand. „Ich bin nur müde…“

„Mmh-Kay“, sagte Taiji. „Übrigens“, wandte er sich an die anderen, „ich hab mit einem Typen geredet, den ich über meine alte Band kenne. Er meinte, wenn wir eine Stunde voll kriegen, können wir bei ihm spielen. Nichts Großes, kleine Bar in Yokohama. Aber trotzdem.“

Yoshiki sah überrascht von seinem Bento hoch. „Wirklich?“

„Ja.“ Taiji setzte den Hut ab, wischte sich einmal über die Stirn und setzte den Hut wieder auf. „Warum überrascht dich das so?“

„Oh, ich … keine Ahnung. Ich hatte nicht erwartet, dass mir mal was in die Hände fällt.“

„Tut es nicht. Ich hab es reingelegt, du Vollhorst. Sei dankbar.“

„Und da geht er hin, dieser Moment, in dem ich dich fast mochte“, murmelte Yoshiki und wandte sich wieder seinen Mangostückchen zu.

Taiji grinste.
 

-X-
 

Die Probe an diesem Tag war seltsam. Schon der Samstag war hide schwer gefallen, doch heute, heute war eine Million Mal schlimmer. Alles erschien ihm falsch und merkwürdig, und er konnte sich nicht einmal darüber begeistern, wie schön sich Patas – er bekam diesen blöden Witz einfach nicht mehr aus seinem Kopf – Sound an seinen schmuste. Er fühlte es heute einfach nicht. An irgendeinem Punkt gab hide es auf und ging danach nur noch mechanisch die Griffe durch.

Nach dem dritten sehr mittelmäßigen Song kehrte eine kleine Stille ein und brachte eine etwas gedrückte Stimmung als Begleitung mit.

„Also irgendwie“, meinte Taiji schließlich als Erster, „rockt das heute so gar nicht.“

„Ne“, stimmte Yoshiki zu. Er trommelte unzufrieden mit seinen langen Fingern auf der Floor Tom.

Toshi zuckte mit den Schultern. „Es gibt wohl solche Tage… Nehme ich an. Nächstes Mal wieder.“

„Nanana“, machte Taiji und schüttelte den Kopf. „Wenn was scheiße ist, gibt es dafür immer einen guten Grund. Und ok, Yoshiki verpasst ständig seinen Einsatz nach dem zweiten Refrain-“ „HE!“ „- aber heute ist es noch was anderes. Es ist ene, mene, du!“ Er hatte reihum auf Toshi und Pata gedeutet und war schließlich in seinem abgewandelten Abzählreim bei hide hängen geblieben. „Was ist los?“, fragte Taiji ihren Gitarristen, der nach dem Ende des Liedes auf die Armlehne des Sofas gesunken war.

„Verdammt, ich hab doch gesagt, ich bin müde!“, erwiderte hide bissig und wich seinem Blick aus. Taiji runzelte irritiert die Stirn. hide knirschte mit den Zähnen. Flucht – keine Option. Lügen – nicht gut genug. Gegenangriff. „Außerdem kann ich auch nichts dafür, dass Yoshikis Triolen sich mit deinem Bassriff beißen!“

Yoshikis Gesichtsausdruck machte einen kurzen Wechsel von Bestürzung über Irritation hin zu offensichtlicher Kränkung durch. „… was?“, fragte er schließlich. Er war weniger verletzt durch die Worte – denn das hatte er selbst gemerkt - als davon, dass sie von hide kamen.

Dieser griff sich an die Stirn. Was zum Henker tat er hier?! Auf einmal hatte er tierische Kopfschmerzen. „Ich… Entschuldigung. Mir ist nicht gut. Ich glaub ich geh nach Hause und leg mich hin.“ Er zog sich den Gurt über den Kopf und stand auf, um die Gitarre abzustellen.

„Uhm… in Ordnung…“, sagte Yoshiki zögerlich. „Soll dich jemand begleiten?“

hide schüttelte den Kopf und griff seine Jacke von der Sofalehne. Eine Sekunde verspürte er den Drang, Yoshiki ins Gesicht zu schlagen, ohne genau zu wissen warum. Er musste hier raus.

Sich den Anwandlungen seines Gitarristen nicht im Geringsten bewusst, wandte sich Yoshiki an den Rest. „Ok. Wir machen weiter.“

hide öffnete die Tür. „Sicher?“, fragte Toshi. hide warf ein Lächeln über die Schulter. „Alles gut. Ein paar Stunden Nickerchen und eine Orange und bis Donnerstag bin ich so gut wie neu. Also… bis dann.“ Er glitt auf den Gang hinaus. „Gute Besser-“, hörte er noch Toshis Stimme. Einen kurzen Moment wollte er sich noch einmal umdrehen und ihm sagen, wo er sich das hinstecken konnte, dann fiel die Tür zu. Zum Glück.
 

-X-
 

hide ging nach Hause, aß eine Orange und legte sich hin. Doch er war am Donnerstag nicht wie neu und am Sonntag sagte er lieber von vorne herein ab. Am Dienstag legte er nach und meldete sich auch für Mittwoch krank. Ihm gingen die Erklärungen aus, wieso es nicht besser wurde, doch inzwischen wusste er, was ihn nervte: Mit Besorgnis konnte er nicht umgehen. Sie machte ihn aggressiv, weil… weil eben, und er wollte um jeden Preis vermeiden, Yoshiki oder Toshi oder wer auch immer sich Sorgen machte an die Gurgel zu springen. Es war am sichersten, wenn er sie einfach erstmal nicht sah.

Die Woche zog wie in einem Nebel an ihm vorbei. Rückblickend konnte hide am Ende eines Tages meist nicht genau sagen, wie er ihn eigentlich verbracht hatte oder warum. Trotzdem war er jeden Abend hundemüde, schlief danach aber schlecht und wachte am nächsten Morgen noch abgespannter auf, als er ins Bett gegangen war. Jeder Tag schien irgendwie gleich und vor allem gleich anstrengend.

Als er am Donnerstag in der zweiten Ferienwoche die Augen aufschlug, fühlte er sich elend. Es zeichnete sich langsam aber sicher ab, dachte hide, während er in der Küche ein Ei unter seinen Reis rührte, dass dieses Problem eindeutig keines von der Sorte war, das von selbst wegging, wenn man es ignorierte. Das konnte nicht so bleiben. Doch er hatte keine Lösung. Die Wahrheit war keine Option. Und es war verwunderlich, wie wenig nach dieser Feststellung noch an Alternativen übrig blieb.

Er frühstückte ohne Appetit und schaute dann unten im Erdgeschoss vorbei, wo seine Eltern gerade die Bar durchputzten. Sie schickten ihn Einkaufen und das war ihm eigentlich ganz recht – er wusste ohnehin nicht wirklich etwas mit sich anzufangen.

Er machte sich auf den Weg in die Stadt.

Er ging im Gemüseladen, beim Gemischtwarenladen und im Elektrogeschäft vorbei.

Er dachte darüber nach, Yoshiki anzurufen und ihm zu sagen, dass er es auch am Samstag nicht schaffte.

Als er eine Dreiviertelstunde später zurückkam, fühlte er sich schon wieder so, als könne der Tag jetzt eigentlich mal zu Ende sein. Unten lag die Bar inzwischen sauber und still da. Er erklomm die Treppe, sperrte die Haustür auf und rief einen Gruß in die Wohnung, während er aus den Schuhen schlüpfte. „Ich hab alles außer Glühbirnen“, sagte er dann etwas lauter und massierte sich noch ein paar Sekunden im Flur die Schläfen, bevor er die paar Schritte bis zur Küche zurücklegte. Ein Teil von ihm spielte mit dem Gedanken, sich jetzt noch einmal hinlegen, doch dann verschlief er wieder den ganzen Tag. Das war auch keine Lösung. „Aber Herr Kobayashi meinte, heute Nachmittag bekommt er wieder welche, ich geh dann no-“ Er betrat die Küche und erstarrte noch in der Tür. Sein Vater saß am Tisch und wartete.

„Willkommen zurück“, sagte er.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Cliffhanger!

Das war jetzt schon mehr Drama hier, als ich geplant hatte ... und ab jetzt geht es erst einmal weiter abwärts.

Ich mag übrigens Yoshikis Mutter. Ich bin ja der persönlichen Überzeugung, dass eigentlich hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau steht. :P Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  SamAngel
2017-04-20T09:12:34+00:00 20.04.2017 11:12
„Tz. Das im Solo, das war ganz allein deine Schuld! Kannst du vielleicht mal ein Tempo für drei Minuten halten?“
„Ah ja? Du musst es ja wissen, du erkennst einen 4/4-Takt doch nicht mal, wenn er dir ins Gesicht rülpst!“
„Ich rülps dir gleich-“ <---hahahaha zu geil..Cowboy vs Diva..wer wohl gewinnt? ;)

Die ganzen Namenseinfaelle *prust*
Noise
Heavenly … irgendwas
Thunder Road, Trash, Whiskey a Go Go
Vielleicht was mit Tiger oder Monkeys oder Beaver
Tateyama Schnabeltiere
Tateyama Platypuses
Anti Secret Service=ASS
Inochi. Oder Itsumademo

Und diese Spitznamen erst *ROFL*
MOther of ROcking Nothing
Master of Imagination and Neat Ideas
Patent Application of Total Awesomeness
PAnda of Total Awesomeness
REckless Tiresome ARrogant Dumbass

Oh Oh..armer Hide..das gibt wohl ne Menge Aerger *patpat*
Von:  NatsUruha
2017-04-18T17:04:39+00:00 18.04.2017 19:04
Ohhhhhhhh jeeee ...

Das gibt richtig... richtig.. ärger.. O.o

Armer Hide.. :o


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