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Löwenherz

von

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Ohnmacht

Es war einfach da. Sie konnte weder sagen, wann es genau begonnen hatte, noch ob es bereits da gewesen war, ohne dass sie es bemerkt hatte.

Jetzt, ein paar Wochen später aber, wusste sie es.
 

Der Schock saß tief. Zitternd und zusammengekauert saß Dorcas auf dem Boden der großen Halle. Stille, die schwer wog, lag über allen. So schwer, dass sie fast greifbar war.

Hin und wieder wurde die Stille von herzzereißenden Schluchzern durchbrochen. Ihre eigenen, aber auch die ihrer Freunde und Mitschüler.

Unaufhörlich liefen Tränen ihre Wangen herunter ohne, dass sie wirklich etwas dagegen hätte ausrichten können. Länger als eine Stunde, und wer je behauptet hatte irgendwann würden die Tränen trocknen und man könne nicht mehr weinen, der hatte nicht erlebt, was dieser Jahrgang erlebt hatte

Was sich ereignet hatte, fühlte sich noch immer unwirklich und fern an.

Dorcas erster Gedanke nach dem Ende des Kampfes war an ihren besten Freund gerichtet gewesen.

Damien.

Jetzt saß er neben ihr und Alya. Regungslos, wortlos und fassungslos.

Traumatisiert, aber am Leben.

Noch immer flossen heißkalte Tränen ihre Wangen herunter.

Die Vertreter des Zaubereiministeriums standen ratlos vor einer Halle geschockter, weinender und vollkommen aufgelöster Schüler.

Egal was sie tun wollten, es würde ihnen allen nichts nützen.

Meaghan und Morag waren tot.

Getötet von Ragnar, dem Irren, der schon seit längerer Zeit im Wald sein Unwesen trieb. Und hier standen sie nun, die Leute vom Ministerium, die ihnen helfen wollten, aber jede Hilfe für sie kam zu spät.

Noch immer am ganzen Körper zitternd sah Dorcas auf. Gerade im rechten Moment, denn Sirius betrat die Große Halle.

"Kommt. Wir verschwinden von hier", forderte er sie auf und streckte ihr und Alya die Hände entgegen.

Langsam und zögerlich, ließ sie sich von Sirius aufhelfen und folgte ihm mit Alya und Damien in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors. Dass dort normalerweise nur Schüler ihres Hauses verkehrten, war egal.

Eigentlich war gerade alles egal. Zwei von ihnen waren gestorben und sie hatten nichts dagegen tun können.

Gar nichts.

Sie waren machtlos gewesen und der Gedanke, dass dieser Irre sich dort draußen noch immer herumtrieb, machte sie krank.

Ja, das Ministerium war jetzt da, aber trotz allem zweifelte Dorcas mehr als stark daran, dass sie nun noch irgendetwas tun würden.

Sirius nuschelte der Fetten Dame das Passwort entgegen und ihnen eröffnete sich der kreisförmige Durchgang, der in einen einladenden Raum führte. Dieser Raum war ihr sicherer Hafen, ihre Heimat, der Ort auf der Welt, an dem sie sich immer wohl fühlte, sich entspannen konnte.

Das wohlig knisternde Feuer, das im Kamin prasselte, wärmte den Raum, aber es vermochte nicht ihr Innerstes zu wärmen. Ihr war kalt. Sie fror bis auf die Knochen.

Alles, was geschah, schien furchtbar schnell und zähflüssig zugleich zu geschehen.

James, der auf dem Sofa lag sah zu ihnen auf. "Hi."

Auch ihre anderen Mitschüler waren hier. Alle Gryffindors und auch Emmeline, die es bei sich wohl nicht mehr ausgehalten hatte, verweilten hier im Gemeinschaftsraum.

Sirius, der bereits vor dem Porträt der Fetten Dame ihre Hand losgelassen hatte, ließ sich neben einem der Sofas auf einem Sessel nieder und starrte schließlich nachdenklich irgendwo ins Nichts.

Langsam ging Dorcas auf den Kamin zu und ließ sich auf den Boden davor auf einem Teppich fallen.

Das, was sie empfand, musste der Begegnung mit einem Dementor ähneln, da war sie sich sicher.

Ein lauter Seufzer entfuhr ihr und sie rieb sich die Augen. Es war ihr mittlerweile egal, dass ihre Schminke sicher vollkommen verlaufen sein musste. Wenn sie ehrlich war, so schien nichts mehr wirklich wichtig zu sein. Nichts außer der Tatsache, dass Meaghan und Morag tot waren, und sie langsam aber sicher der unbändige Durst nach Rache übermannte.

Aber noch bevor sie ihrem Drang nachkommen und wutentbrannt aufstehen, aus dem Gemeinschaftsraum fliehen und in den Wald stürmen konnte, erhob James erneut die Stimme.

"Wir sollten ihnen die letzte Ehre erweisen", schlug er in schwerem Tonfall vor.

Dorcas kannte James seit fünf Jahren, war seit fünf Jahren mit ihm im gleichen Haus und sie aßen Tag ein Tag aus am gleichen Tisch, aber so hatte sie ihn noch nie erlebt. Der Kapitän der Gryffindor Quidditchmannschaft hatte ein von Sorgenfalten zerfurchtes Gesicht. Dreck und Blut klebten überall an ihm. James war merklich angeschlagen und das nicht nur körperlich.

Die vergangenen Stunden hatten ihnen allen viel abverlangt.

James war während des Kampfes plötzlich nicht mehr aufzufinden gewesen und auch Dorcas hatte einen Moment lang panische Angst um ihren Mitschüler gehabt.

Die Schreie, die sie von Remus und Sirius gehört hatten, waren mehr als herzzerreißend gewesen.

Langsam drehte sich Dorcas um und sah zu James auf.

Und auch, wenn es früh erschien, sich von den beiden zu verabschieden, so fühlte es sich doch wie das richtige an.

Außerdem was hieß schon verabschieden?

Während der Schlacht, die eigentlich ein pures drunter und drüber gewesen war, hatte Dorcas nur wenige Male den Verantwortlichen für dieses ganze Chaos gesehen. Ragnar.

Ragnar, der Meaghan nicht einfach nur getötet hatte. Ragnar, der Meaghan gefoltert und schließlich zu einem Inferius gemacht hatte. Ragnar, der aus einem ihnen allen unbekannten Grund einen Groll gegen sie alle hegte.

"Du hast Recht", stellte sie fest und sah in die Runde.

Alle ihre Freunde waren hier. Zumindest jene, die auch mit Meaghan gut befreundet gewesen waren.

Langsam und vor leichten Schmerzen ächzend stand Dorcas auf.

"Wir sollten den anderen Bescheid sagen", murmelte sie, "sie haben auch ein Recht darauf Abschied zu nehmen."

Auch wenn sie sich eigentlich noch gar nicht verabschieden wollte, so hatte sie das Gefühl, dass es ihnen allen helfen würde. Mit einer kurzen Handbewegung strich sich Dorcas eine der lange Haarsträhnen aus dem Gesicht und ging auf das Porträtloch zu.

"Ich geh in die Große Halle, wir treffen uns gleich unten an...den Gräbern." Diese Worte wollten ihr kaum über die Lippen gehen.

Ob ihr jemand folgte, oder nicht konnte sie im Nachhinein nicht mehr sagen. Sie wusste nur, dass sie ziemlich schnell durch die kalten, nur spärlich beleuchteten Gänge der Schule gelaufen war und sich schließlich in der Großen Halle wiederfand.

James, Sirius, Peter und Remus waren ihr gefolgt und auch Damien, Alya und Emmeline konnte sie erblicken.

Unter all den Schülern trat James vor, wie immer wenn es drauf ankam.

"Es ist zwar noch früh, aber wir werden eine Gedenkfeier für Meaghan und Morag abhalten. Draußen vor dem Schloss bei dem kleinen Baum", erklärte er. "Wer möchte kann sich uns gerne anschließen."

Damit wandte er sich zum Gehen, drehte sich aber nochmal um und fügte hinzu: "Blumen wären vielleicht noch schön...und ein paar Kerzen. Wir treffen uns in fünf Minuten." Dann ging er voran durch das Tor der Großen Halle und hinaus in die Nacht. Ihm folgten mehrere Schüler auf den Fersen. Nicht nur Gryffindors und Ravenclaws schlossen sich dem Zug der Schüler an, die vor das Schloss pilgerten. Unter all jenen, die Abschied nehmen wollten, konnte Dorcas Hufflepuffs und zu ihrer Überraschung auch Slytherins erkennen.

Dorcas sah zu Alya. "Weißt du, wo wir auf die Schnelle Blumen hernehmen können?"

Ihre Freundin nickte nur mit gequälter Miene und verschwand.

Gemeinsam mit Damien wartete Dorcas vor dem großen Tor, das auf die Ländereien des Schlosses führte. Sie wollte Alya nicht alleine lassen.

Während sie warteten, sah Dorcas, wie Avery, der noch immer ziemlich fertig aussah, an ihnen vorbei zum Tor ging und mit den anderen in der Dunkelheit verschwand.

Damiens Gesicht war verschlossen, aber sie erkannte die Anspannung, die in ihm herrschte. Er hatte gesehen, was passiert war. Hautnah hatte Damien Meaghans Tod miterlebt, hatte sich über sie geworfen, versucht ihren leblosen Körper noch zu schützen, doch das alles hatte nichts genutzt.

Ein schwerer Seufzer entfuhr Dorcas, als sie ihre Hand hob und sanft Damien über den Arm strich. Sie wollte ihm irgendwie Trost spenden, doch nichts, was sie jetzt tun oder sagen konnte, würde ihm helfen können. Nichts konnte das Übel, was er hatte erleben müssen, rückgängig machen.

Es dauerte keine drei Minuten, dann stand Alya wieder vor ihnen. Ein wenig außer Atem, aber mit einigen wunderschönen blauen Blumen in Händen.

Dorcas lächelte ihr matt entgegen und gemeinsam verließen sie das Schloss.

Sie verzichteten in einer unausgesprochenen Vereinbarung darauf Lumos zu wirken und fanden alsbald die Menge, die sich um Morags Grab und Meaghans Gedenkstätte geschart hatte.

Einige von ihnen hielten Kerzen in den Händen und einige Kerzen leuchteten auf dem Boden, sodass die Fotos ihrer Mitschüler erhellt wurden.

Schon als sie dort stehen blieb, merkte Dorcas, wie ihr wieder Tränen in die Augen schossen und heißkalt über ihre Wangen liefen.

Einige Worte wurden gesagt, denen sie aber kaum zu folgen vermochte.

Jemand sprach davon, was für außergewöhnliche Menschen beide gewesen waren, doch alles, was Dorcas tun konnte, war in das Licht der Kerzen zu starren und versuchen ihre Schluchzer zu unterdrücken.

Irgendwann, es sprach mittlerweile niemand mehr, stimmte James ein Lied an. Ein Lied, das ihr wohl bekannt war, und ein Lied, das sie von diesem Tage an nie wieder so glücklich singen können würde, wie zuvor.

"Lieber ein Held sein und tot als gefangen bei Wasser und Brot, als bei Met und bei Wein am Leben zu sein wenn meine Brüder sind in größter Not."

Sie stimmte ein, doch immer und immer wieder blieben ihr die Worte und Töne im Hals stecken.

Und dann passierte es.

Eine große, warme Hand legte sich vorsichtig auf ihre Schulter und drückte sie leicht.

Es dauerte einen Moment, bis Dorcas wirklich bemerkte, was hier passierte.

Zunächst wandte sie sich nicht um, zu gebannt war sie noch von den Kerzen, dem Grab und den Fotos, die sie dort aufgestellt hatten.

Die Hand auf ihrer Schulter blieb jedoch dort. Es fühlte sich merkwürdig an. Nicht wie eine bekannte Hand, oder eine Hand, die es gewohnt war, solche Gesten zu zeigen. Es wirkte unbeholfen und ein wenig zurückhaltend.

Sie hatte Sirius im Verdacht, der in schweren Situationen keine ehrlichen Gefühle zuließ.

Als Dorcas sich durchringen konnte und sich umwandte, machte ihr Herz einen kleinen Satz.

Sie hatte mit allem gerechnet, Sirius, James oder gar Damien und war umso erstaunter.

Hinter ihr stand, mit nur von den Kerzen erhelltem Gesicht, Devon Avery. Der Schlägertyp Slytherins schlechthin. In seinem Gesicht sah sie alle Emotionen gespiegelt, die in ihr vorgingen.

Wut, Trauer und auch ein wenig Angst. Angst vor diesem Irren im Wald, der versuchte sie alle ohne wirklichen Grund zu töten.

Trotzdem war Dorcas tief gerührt von dem Mitgefühl eines Jungen, von dem sie es nie erwartet hätte. Als Avery bemerkte, dass sie ihn ansah, zog er die Hand von ihrer Schulter, mit etwas, das man vielleicht als aufmunterndes Lächeln hätte werten können.
 

Das warme, wohlige Gefühl auf ihrer Schulter jedoch war geblieben.

Und da war es nun. Selbst einige Wochen nach der großen Schlacht gegen Ragnar war es noch da. Irgendwo tief vergraben in ihrem Innersten.

Wenn ihr jemand vor einem Jahr erzählt hätte, dass sie sich in ihrem fünften Schuljahr Hals über Kopf verlieben würde, hätte sie denjenigen für Verrückt erklärt. Wenn Dorcas weiter darüber nachdachte musste sie lächeln.

Sie.

Verliebt.

In einen Slytherin.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Alyon
2016-11-05T17:21:25+00:00 05.11.2016 18:21
:3 Ich war gerne Opfer.

Ein hoch auf Avery! Da zeigt er die ganze Zeit nur seine kalte Schulter und rempelt alle an... Und dann das.
Halte mir nie wieder Vorträge über die Zuneigung zu Slytherins, Dorcas!

Sehr schön geschrieben :) Ich habe mich sofort wieder in die Situation reinversetzt gefühlt. Gott wie wir geheult haben. Ich bin euch so dankbar, für das Lied und alles.

Und an alle, die glauben "Neee is kla, der Fiesling und sie werden jetzt ein Pärchen. Mary Sue!!!" - Sry Bros, ist leider so echt passiert. Avery hat es getan.


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