Zum Inhalt der Seite

Bin ich wertlos in deinen Augen ...?

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Es war diese eine Sekunde, in der sie alle wie ohnmächtig auf den Monitor des EKG-Gerätes starrten, die Penguin vorkam wie Stunden, und in der die Stimmung endgültig zu kippen schien. Die schrille Alarmmeldung des Gerätes ging ihm durch Mark und Bein. Nein, das konnte einfach nicht sein…
 

Mit weit aufgerissenen Augen löste er sich aus seiner Starre und wandte seinen Kopf seinem Captain zu. Laws Blick, als das Gerät ihm den Herzstillstand seiner Tochter anzeigte, würde er wohl nie vergessen können. Doch auch dieser besann sich augenblicklich wieder und begann, Reanimationsmaßnahmen einzuleiten.
 

„Penguin, beginn mit der Herzdruckmassage und der Beatmung, und Shachi, hol den Defibrillator aus dem OP-Raum, ich werde sie an das Dialysegerät anschließen und eine isotonische Infusionslösung vorbereiten!“
 

Im Nachhinein war er mehr als froh darüber, dass zumindest der Captain einen klaren Kopf behalten hatte, denn er selber hätte in diesem Moment überhaupt keine Ahnung gehabt, was er tun sollte. Obwohl er den Ablauf einer Reanimationsmaßnahme in der Theorie eigentlich in- und auswendig kannte, war es etwas ganz anderes, plötzlich und unerwartet damit konfrontiert zu werden. Es war überhaupt nicht vergleichbar mit einer Übung, denn hier hatte man einen lebendigen Menschen vor sich- hier ging es tatsächlich um Leben und Tod… Und grade zählte jede einzelne Sekunde.
 

Hastig trat Penguin näher an Mina heran. Wie automatisch begann er damit, die ihm erteilte Anweisung auszuführen. Unmittelbar, aber dennoch vorsichtig, legte er seine beiden Handballen übereinander mittig auf ihren Oberkörper, und begann durch rasches Eindrücken des Brustkorbes mit der Herzdruckmassage. Dass sich auch ziemlich genau dort ihre Verletzung befand, blendete er zeitweilig einfach aus. Die Priorität lag auf dem Wiederbeleben, um alles andere würden sie sich danach kümmern.
 

Nach dreißigmaliger Wiederholung ging er zur Beatmung über. Behutsam umfasste er Minas Kinn und drehte ihren zur Seite gesunkenen Kopf wieder mittig, um ihn dann nach hinten zu strecken. Für den Bruchteil einer Sekunde geriet er ins Stocken, als er in ihr Gesicht sah. Wenn da nicht das ganze getrocknete Blut wäre, könnte man denken, dass sie einfach nur friedlich schlafen würde, und nicht klinisch tot sei.
 

Er wusste selber, dass es vollkommen absurd und bescheuert klang, aber er würde fast sagen, dass sie… glücklich aussah? Gleichzeitig hätte er sich für diesen Gedanken ohrfeigen können. Ihr Leben hing am seidenen Faden, und er fantasierte sich hier so einen Mist zusammen.
 

Zögernd begann er mit der Mund-zu-Mund-Beatmung, indem er mit einer Hand ihre Nase zuhielt, einatmete, ihren Mund mit seinen Lippen umschloss und dann Luft insufflierte. Als sich dadurch ihr Brustkorb hob, setzte er ab und atmete ein zweites Mal ein, um die Prozedur zu wiederholen. Nach der zweiten Atemspende setzte er die Herzdruckmassage fort. Doch Mina gab nach wie vor keine Lebenszeichen von sich. Wo verdammt nochmal blieb Shachi?
 

Wie aufs Stichwort erschien ebendieser im Raum. Doch Penguin hatte keine Zeit, sich um sein Umfeld zu kümmern, er konzentrierte sich vollstens darauf, die Herzdruckmassage auszuüben. Erst, als sein Captain die Elektroden des Defibrillators befestigt hatte, und ihn anwies, zurückzutreten, hielt er in seinem Tun inne. Er wusste, dass der Defibrillator nun die letzte Chance war, Mina ins Leben zurückzuholen.
 

Während das Gerät mehrere Tausend Volt durch ihren Körper schickte, wandte er seinen Kopf ab und starrte verbissen auf die EKG-Anzeige, fest darauf hoffend, dass die derzeitig angezeigte Nulllinie verschwinden würde. Doch er wartete vergebens. Ruckartig wandte er seinen Blick wieder seinem Captain zu, welcher nicht minder fassungslos aussah- ein bei ihm äußerst seltener Anblick.
 

Nur zu gut wussten alle Anwesenden, dass die Chance, einen Menschen reanimieren zu können, mit jedem Versuch sank. Und bereits nach drei Minuten nahm dieser irreversible Schäden.
 

Als ein erneuter Stromstoß ihren kleinen, schmächtigen Körper durchzuckte, fühlte er sich, als würde er selber unter Strom stehen. Es musste einfach klappen… Doch nachdem sich auch dieses Mal an den Werten des EKG-Gerät nichts veränderte, sah er frustriert zu Boden, die Hände zu Fäusten geballt und zwang sich, ruhig zu bleiben.
 

Das konnte einfach nicht wahr sein…
 

Nur Sekundenbruchteile später verstummte das dauerhafte Piepen. Er dachte zuerst, dass Law die Maschine abgeschaltet hatte, bis er ein in deutlich länger auseinanderliegenden Intervallen ertönendes Piepen vernahm. Ungläubig sah er hoch.
 

Ihr Herz schlug wieder, wenn auch nur schwach.
 

Er wusste, dass die Erleichterung, die er verspürte, eigentlich vollkommen fehl am Platz war, da es nach wie vor nicht sicher war, ob Mina überleben würde, sie war immerhin schwer verletzt und es lag noch ein ziemliches Stück Arbeit vor ihnen. Aber es bestand Hoffnung darauf, dass sie es schaffen konnte.
 

Wie er jedoch mit einem Blick zu seinem Captain feststellen musste, zeigte dessen Mimik keine Spur von Erleichterung. Angespannt betrachtete er die geringe Herzkurve auf dem Monitor.
 

„Wir werden sie hier operieren, ein Transport in den OP-Saal kostet Zeit, die wir grade nicht haben. Penguin, bereite die Intubationsnarkose vor, und Shachi, hol eine Blutkonserve Gruppe Null, Rhesusfaktor negativ.“
 

Während er redete, begann er bereits, ihre Wunde zu untersuchen. Penguin erhielt erst jetzt einen Blick auf die zahlreichen, blau-, grün- und gelbgefärbten Hämatome, die überall auf ihrem Oberkörper verteilt waren und sich deutlich von der blassen Haut abhoben. Er war sich sicher, dass wenn er herausfinden sollte, wer dafür verantwortlich wäre, er diesem genau dasselbe antun würde. Aber erst einmal mussten sie Mina am Leben erhalten.
 

Mit großer Vorsicht brachte er den Tubus für die Narkose und die Beatmung, da ihr Kiefer verletzt war, über die Nase in der Luftröhre an.
 

„Captain, Narkose und Beatmung sind gesichert.“
 

„Bluttransfusion auch“, vernahm er Shachis Stimme.
 

„Dann lasst uns keine Zeit mehr verlieren. Wir kümmern uns zuerst um die kritischen Verletzungen, alles andere ist zweitrangig“, wies er sie an. Penguin fragte sich wirklich, wie sein Captain es schaffte, in einer solchen Situation so ruhig zu bleiben.
 

Hatte er zuvor gedacht, dass mit dem vorhin erlittenen Herzstillstand das Schlimmste überstanden gewesen sei, musste er im Nachhinein feststellen, dass er sich geirrt haben sollte.
 


 

Erst knappe zwei Stunden später konnten sie die OP abschließen. Es war zu mehreren Komplikationen gekommen.
 

Zunächst hatten sie feststellen müssen, dass sich um die aufgegangene Wunde herum Nekrosen, also Gewebeschäden durch abgestorbene Zellen, gebildet hatten, welche sie entfernen mussten. Zudem hatte sich die Wunde entzündet, an ein Nähen war erst zu denken, wenn die Entzündung verheilt war.
 

Bei ihrem Kieferbruch stießen sie auf die nächste Problematik. Normalerweise musste ein solcher innerhalb von 48 Stunden behandelt werden, um die volle Funktionalität von diesem wiederherstellen zu können. Jedoch war bereits mehr Zeit vergangen, und der Kiefer lief Gefahr, schief zusammenzuwachsen.
 

Die Ursache, weshalb ihr Arm blau war, hatten sie noch nicht gefunden, und ihr anderer Arm war durch die Entzündungen nach wie vor stark angeschwollen. Grade, als sie dachten, ihr Kreislauf sei auf dem Weg, einigermaßen stabil zu werden, fing das EKG-Gerät an, verrückt zu spielen, und dann ging auch noch das Blut für die Transfusion aus.
 

Penguin war froh, als sie Mina nach der OP vorsichtig in eines der Krankenbetten im Nebenraum legen konnten. Sie verschwand beinahe völlig zwischen den schier unzählbar wirkenden Schläuchen und Geräten, an die sie angeschlossen war.
 

Erst jetzt blieb ihnen Zeit, zu realisieren, was hier grade überhaupt abgelaufen war.
 

Nachdem sie bereits eine ganze Weile lang einfach nur schweigend dagestanden hatten, wandte sich Law schließlich zu ihnen um.
 

„Ich liege doch richtig in der Annahme, dass es Mītobōru war, der ihr keine Nahrung gebracht hat?“
 

Es klang weniger nach einer Frage als vielmehr nach einer Feststellung, die er nur noch einmal bestätigt haben wollte, was Penguin auch tat.
 

„Ja, Captain.“
 

„Der Kerl hat doch Dreck am Stecken, erst lügt er mich an, und jetzt das…“, knurrte Law.
 

Penguin wurde hellhörig. Sein Captain wusste bereits, dass an Mītobōrus Aussage etwas nicht stimmte?
 

„Shachi, hol umgehend Bepo nach hier, er müsste grade bei den Lagern oder in seine Kajüte sein.“
 

Der Angesprochene setzte sich sofort in Bewegung, Sekunden später war er außer Sichtweite.
 

Erneut erfüllte Schweigen den Raum. Penguins Blick richtete sich wieder auf Mina. Sie war noch genauso blass wie zuvor.
 

„Wird sie durchkommen?“, hörte er sich selbst mit einer ihm fremd klingenden Stimme fragen.
 

Mit einem Seitenblick stellte er fest, dass auch Law seine Tochter anblickte.
 

„Ich habe alles getan, was mir möglich war. Jetzt müssen wir abwarten. Aber selbst wenn sie aufwacht, kann sie durch den Herzstillstand dauerhafte gesundheitliche Schäden davongetragen haben.“
 

Penguin hätte ein eindeutiges „Ja“ deutlich besser gefallen, aber er wusste selber, dass sie froh sein konnten, dass Mina überhaupt noch lebte.
 

Für einen kurzen Moment herrschte Stille zwischen den beiden, ehe Penguin sich zu einer weiteren Frage durchrang:
 

„Aber ich verstehe das nicht, wieso hatte sie auf einmal einen Herzstillstand? Ich meine, natürlich war sie schwer verletzt, als ich sie gefunden habe, aber… Die Wunde war doch nicht tödlich, und der Kieferbruch auch nicht?“
 

„Die Verletzungen waren auch nicht der Grund für den Herzstillstand, sie waren höchstens ein verstärkender Faktor dafür, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Die eigentliche Ursache für diesen war, dass Mina so stark dehydriert gewesen ist.
 

Also, um es kurz zu fassen, wenn ein Mensch schon längere Zeit lang nichts mehr getrunken hat und dementsprechend dehydriert ist, kommt es, sofern keine Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, irgendwann zum totalen Nierenversagen. Da ohne die Nieren die Entgiftung des Körpers nicht mehr funktioniert, steigt nicht nur die Konzentration von Giftstoffen, sondern auch die von Kalium.
 

Diese Hyperkaliämie verursacht bereits nach kurzer Zeit Herzrhythmusstörungen und eine Verlangsamung des Herzschlages, schlussendlich kommt es dann zum Herz-Kreislauf-Stillstand.
 

Ein gesunder Mensch hält es im Normalfall drei Tage ohne Wasser aus. Wenn Mina tatsächlich so lange nichts mehr getrunken hatte, ist es schon ungewöhnlich, dass sie das in ihrem Zustand überhaupt so lange überlebt hat, besonders, weil sie zusätzlich noch so viel Blut verloren hat.“
 

Der Tonfall seines Captains war zum letzten Satz hin so bitter geworden, dass es ihm kalt den Rücken runter lief. Gleichzeitig ließ dieser dunkel erahnen, was grade in seinem Captain vor sich ging. Auch wenn er seine Gefühle wie immer unter Verschluss hielt, war nicht schwer zu erkennen, dass er unglaublich wütend war.
 

Als Schritte auf dem Flur zu vernehmen waren, wandten sie beide den Kopf in Richtung der Tür.
 

„Penguin, ich muss nachher noch mit dir ein Einzelgespräch führen. Komm nach dem Abendessen wieder nach hier, aber unauffällig.“
 

Diese Worte kamen für ihn mehr als überraschend, er hatte keinen blassen Schimmer, worum es ging- aber beruhigend war diese Aussage nicht grade. Hatte er irgendwas verbrochen? Sein Captain sah ihn nicht an.
 

„Ja, Captain“, bestätigte er noch, dass er ihn verstanden hatte, als auch schon die Türe aufging und Shachi, dicht gefolgt von Bepo, eintrat.
 

Irritiert sah letzterer sich um. Scheinbar wusste er nicht, warum er herbeordert worden war.
 

„Captain, wieso-“ Bepo verstummte, als er die Gesichtsausdrücke der Anwesenden sah.
 

Dann erst fiel sein Blick auf Mina. Langsam trat er näher an diese heran. Selbst er schien zu verstehen, dass etwas Ernstes passiert war.
 

Eine ganze Weile lang betrachtete er ungläubig das sich ihm bietende Bild, dann drehte er sich mit entsetztem Gesicht um. Die Frage, die er stellte, war nicht besonders förderlich für die ohnehin schon mehr als angespannte Stimmung:
 

„Ca-Captain, hast du sie etwa so zugerichtet?“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück