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Die kleine Welt des Gruselns

Nachts allein im Dunkeln
von

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Benji

Es war wie ein Fall in ein Loch ohne Boden.

Ein Schubs in kaltes Eiswasser.

Ein K.O.-Schlag ohne Vorwarnung.
 

„Ihr Sohn ist tot. Es tut mir sehr leid.“
 

Alles weitere ging in einem seltsamen Nebel unter.

Dass der Wagen ihn frontal erfasst hatte. Dass er sofort tot war. Dass er nicht hatte leiden müssen. Aber was half das schon?

Wie sollten diese Worte die Tatsache abmildern, dass Benji nie mehr nach Hause kommen würde? Dass ich nie mehr seine Stimme hören würde? Nie mehr mit ihm zum Fußball spielen gehen würde?

Ja, das Training...

An diesem Morgen war er das erste Mal allein dazu aufgebrochen. Benji kannte den Weg. Auswendig. Wir waren ihn sicher dreißig Mal zusammen gegangen. Und es war doch nicht weit. Es war doch nur diese eine Straße.
 

„Papa, alle gehen da alleine hin! Ich bin kein Baby mehr!“
 

Also hatte ich ihn gehen lassen. Allein.

Gerade war ich dabei, das Geschirr vom Frühstück wegzuräumen, da hatte es geläutet. Und schon beim Öffnen hätte ich am liebsten die Tür sofort wieder ins Schloss geworfen.

Die Polizei. Dieser Blick.

Ich wollte schreien. Sie anschreien, dass sie an der falschen Tür waren. Aber da war Benjis Tasche. Mit dem kleinen Anhänger. Dem kleinen Teddy, den er noch von seiner Mutter hatte.

Sarah war vor vier Jahren gestorben. Da war Benji gerade in die Schule gekommen. Es war furchtbar für uns alle beide.

Doch wir hielten zusammen. Ich war für meinen Sohn so gut da, wie ich es nur konnte. Und Benji war ein starker Junge. Auch wenn wir manchmal zusammen weinten, meist war es Benji, der mich wieder aufheiterte. Der mich dazu brachte, weiter am normalen Leben teilzunehmen.

Und mein Ein und Alles sollte mir jetzt von einem rücksichtslosen Raser genommen worden sein?! Nein!

Am liebsten wäre ich selbst auf die Straße und vor das nächste Auto gelaufen.

Was die nächsten Wochen passierte, nahm ich wie durch einen Schleier wahr. Nichts war von Bedeutung. Nicht die Beileidsbekundungen. Nicht die Hilfsangebote. Nichts.

Jeden Tag begann ich einfach weiter so, als wäre er noch bei mir.

Sein Frühstück stellte ich jeden Tag an seinen Platz. Vielleicht klingt es ja verrückt, aber so hatte ich das Gefühl, er ist noch da. Ist noch bei mir. Setzt sich jeden Moment auf seinen Platz und plappert während des Essens drauf los, so dass die Cornflakes nur so aus seinem Mund sprudeln dabei. Es war ein gutes Gefühl. Vielleicht ein verzweifeltes. Aber es war gut.

War...
 

Seit einer Woche ist alles anders. Ich habe das Haus nicht mehr verlassen. Anfangs dachte ich, ich drehe endgültig durch. Da stand seine Schüssel, die ich wie jeden Morgen an seinen Platz stellte. Doch als ich kurz die Küche verließ und dann zurückkam, lag der Löffel nicht mehr daneben, sondern steckte in den Cornflakes. Hatte ich ihn da hin gesteckt? Wollte ich mir selbst einen Streich spielen, damit ich glaubte, Benji hätte von seinen Flakes gegessen?

Aber das Spiel wiederholte sich am nächsten Tag. Und die Schüssel... es war weniger drin, als ich eingefüllt hatte.

Sicher, vielleicht habe ich mich so in das alles hineingesteigert, dass ich selbst Benjis Frühstück esse und es dann bewusst vergesse. Aber wieso macht mir das Angst?
 

Und wieso sitzt Benji dann heute noch am Tisch, als ich zurück in die Küche komme?

Wieso sitzt er vor der leeren Schüssel, den Löffel in der Hand und sieht mich an, als würde er mich gleich fragen, ob er noch mehr haben kann, oder was wir heute zusammen unternehmen?

Wieso freue ich mich nicht wie verrückt darüber, ihn wieder zu haben? Meinen Jungen! Meinen kleinen Benji!

Vielleicht liegt es ja daran, dass er mich nur aus einem Auge ansehen kann. Denn ihm fehlt die linke Hälfte des Gesichts, die - genauso wie die komplette linke Seite seines kleinen Körpers - beim Aufprall mit dem Laster einfach zerschmettert wurde...



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2017-02-10T06:24:36+00:00 10.02.2017 07:24
Boa, der arme Junge. Wenn man so versunken den leidenden Vater liest und dann urplötzlich so ein halb zerbeultes Geisterkind auftaucht, ist das schon leicht verstörend. Find die Story gut und bündig umgesetzt, auch wenn die Knappheit des Endes mich etwas überrumpelt hat. Fortsetzung? :)
Antwort von:  Kurama_Kitsune
12.02.2017 13:30
Vielen Dank! Die Geschichte war für einen Wettbewerb mit einer maximalen Wortbegrenzung, darum so schön kurz und bündig. ^^
Ich wollte generell noch mehr kleine Gruselstories schreiben, es kommt also definitiv noch was nach. ^^
Von:  DanteVale
2016-09-01T08:48:13+00:00 01.09.2016 10:48
Ich liebe Horrorgeschichten und diese ist echt super.
weiter so
Antwort von:  Kurama_Kitsune
03.09.2016 20:40
Vielen Dank! ^_^
Von:  Flordelis
2016-08-31T21:57:37+00:00 31.08.2016 23:57
Wow, ich bin total fasziniert. *_*
Ich liebe Horrorgeschichten, deswegen habe ich hier reingesehen, als es mir auf der Startseite entgegensprang - und ich bin begeistert.
Der kurzatmige Stil war ungewohnt, aber vollkommen angebracht in dieser Geschichte. Man kann sich wirklich gut in den Protagonisten hineinversetzen und die Gedankenwelt des schwerwiegenden Verlusts nachempfinden.
Dann, bei der ersten Seltsamkeit dachte ich noch, es ginge um eine Geistergeschichte - und dann kommst du mit diesem krassen Ende daher!
Einfach nur großartig! *_*
Antwort von:  Kurama_Kitsune
03.09.2016 20:42
Ich danke dir sehr für deinen Kommentar! Ich freu mich total, dass sie dir so gut gefallen hat. *_*
Ich mag selber am liebsten Geschichten, bei denen das Ende... überraschend kommt. XD Darum hab ich es auch mit so einem versucht. ^^ Danke nochmal! ♥


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