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Wolf & Nerz

von

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Wolf (1)

Der Bildschirm über der Theke meiner Stammkneipe flackert und der Wirt versetzt ihm einen leichten Schlag, woraufhin die Gestalt der Nachrichtensprecherin wieder scharf wird.

„...nachdem es bei einer Razzia der Militärpolizei zu einer Explosion im selbigen kam. Der Besitzer des Labors, Doktor Azar, kam im darauffolgenden Brand ums Leben. Der Grund für die Razzia in dem Labor waren Azars Experimente mit einer Androidin.“

„Dieses Androiden-Pack fand ich schon immer widerlich“, ruft ein Typ neben mir dazwischen und verschüttet ungeschickt Bier über dem Tresen, während die nächsten Worte der Nachrichtensprecherin in seinem Lallen untergehen. Glücklicherweise ist er so betrunken, dass er vom Barhocker rutscht und seine Stimme nur noch gedämpft vom Boden herauf dringt.

Ich spitze die Ohren, um besser zu hören, was im Fernsehen gesagt wird.

„...Beschlusses der Regierung, sämtliche existierenden Androiden zu vernichten, sollen alle Personen, die eine solche Maschine noch beherbergen, festgenommen und die humanoiden Maschinen zerstört werden. In Azars Fall scheint die Androidin jedoch entkommen zu sein.

Die Regierung setzt die Fahndung nach ihr fort und hat auch ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt.“

Ein Bild wird vom rechten Bildrand her eingeblendet. Es zeigt ein schönes, weibliches Gesicht mit zarten Zügen unter einem blonden Bob mit Ponyfransen.

Ihre porzellanene helle Haut wird kontrastiert von langen dunklen Wimpern über eisblauen Augen und korallenroten Lippen.

„Für die Ergreifung und Auslieferung der Androidin mit dem Namen Ai wird eine Belohnung von 800.000.000 Pikon ausgeschrieben...“

Weitere Informationen gehen im Grölen der Kerle um mich herum unter.

Ich kann es ihnen nicht verdenken. Das ist eine ganze Menge Geld.

Damit könnte man sich fast ein ganzes Jahr lang erst mal zurücklehnen, wenn man sparsam lebte.

„Die Olle schnapp ich mir!“, brüllt ein Kerl direkt neben meinem Ohr und knallt seinen leeren Bierkrug auf die Theke. „Und bevor ich sie den Behörden übergebe, hab ich noch ein bisschen Spaß mit ihr!“

„Ey, Grizzly, ne Androidin is' 'ne Maschine durch und durch! Total steif und unbeweglich. Kuscheln is' nich und wenn du Pech hast, findest du nich' mal 'ne Öffnung um was in sie reinzustecken“, grölt jemand in meinem Rücken.

Ich höre nicht wirklich hin, nehme einen großen Schluck von meinem Bier und male mir aus, was ich mir von der Belohnung alles kaufen könnte.

Ein neues Buch wäre sogar dann noch drin, wenn ich die Miete der letzten drei Monate für meine sogenannte Wohnung nachzahlen würde. Ach, was sage ich, ein Buch. Hundert Bücher!

Langsam wird es langweilig, immer wieder das selbe zu lesen, auch wenn es sich dabei um mein absolutes Lieblingsbuch handelt. Dementsprechend sieht es nur leider inzwischen auch aus.

Ich verliere mich kurz in Tagträumen darüber, was sich mit 800 Millionen alles anfangen ließe, da schlägt mir jemand so fest auf die Schulter, dass ich fast das Gleichgewicht verloren und mich zu dem Säufer auf dem Boden gesellt hätte.

„Na, Varg. Meinst du, du wirst sie vor mir finden?“

Ich drehe den Kopf, obwohl ich längst weiß, wer da grinsend hinter mir steht.

Hunters schulterlanges, strähniges rotes Haar lugt unter seiner dunklen Kapuze hervor und seine unterschiedlich gefärbten Augen blitzen mich frech an.

„Kommt drauf an, wer von uns mehr Glück oder Hilfe hat“, brumme ich und versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass mir sein Auftauchen den Abend versaut.

Zu meinen besten Zeiten als Kopfgeldjäger haben wir in einem ständigen Kopf-an-Kopf-Rennen um die höchste Trefferquote beim Aufspüren von Gesuchten gelegen, aber seit einer ganzen Weile hat mich mein Glück verlassen und ich ziehe immer nur hin und wieder kleinere und ganz selten auch mal größere Fische an Land, während Hunter in der ganzen Stadt bewundert und gefürchtet wird. Mein letzter erfolgreich beendeter Job ist jetzt schon fast eine ganze Woche her. Danach ging jedes Mal irgendwas schief, sodass ich die letzten Tage nicht mal mehr auf die Jagd gegangen bin. Ich bin einfach zu entmutigt.

Aber so allmählich macht sich mein leerer Geldbeutel bemerkbar.

Hunter grinst breit und zeigt mir dabei seine weißen Zähne.

„Was soll dieses Gesicht? Du hast Geldsorgen, oder?“

Ich sage nichts, nehme lieber noch einen Schluck Bier.

„Was hältst du von einer Wette?“, schlägt er vor. „Wenn ich sie als erster finde, schreibst du meine Biografie und wenn du sie vor mir findest, kriegst du die gleiche Summe der Belohnung noch einmal von mir bar auf die Hand.“

Ich muss mich zusammennehmen, um ihn nicht mit weit aufgerissenen Augen anzustarren und verschlucke mich fast an meinem Bier.

So viel Geld! Bei dieser mehr als sonnigen Aussicht hätte ich die andere Bedingung fast vergessen. „Du willst, dass ich deine Biografie schreibe?“

„Na, du willst doch Schriftsteller sein, oder? Und ich bin berühmt berüchtigt. Meine Lebensgeschichte würde sich garantiert verkaufen, wie Handfeuerwaffen auf dem Schwarzmarkt.“

Da bin ich mir zwar nicht so sicher, behalte das aber für mich. Lust auf eine Diskussion mit diesem dauergrinsenden Quälgeist habe ich heute definitiv nicht. Die allgemeine Hochstimmung, die die Höhe des versprochenen Kopfgeldes für diese entlaufene Androidin hervorgerufen hat, muss wohl irgendwie an mir vorbei gegangen sein. Scheint so, als würden selbst positive Gefühle vor einem Versager wie mir sofort Kehrt machen.

„Was ist, Varg. Kein Selbstvertrauen?“, grunzt da der grobe Kerl namens Grizzly neben mir und sein Geruch, eine Mischung aus Schweiß, Alkohol und abgestandenem Zwiebelduft, steigt mir in die Nase. Er scheint bei dem Wort „Wette“ neugierig geworden zu sein. Mit einem schnellen Blick in die Runde, stelle ich fest, dass alle in Hörweite sich unserem Gespräch interessiert zugewandt haben.

Jetzt wäre es ein Zeichen von Feigheit abzulehnen. Ich knurre etwas und halte Hunter die Hand hin. Was habe ich schon zu verlieren? Zwar verstehe ich absolut nichts von der Androiden-Jagd, aber in beiden Fällen winkt mir eine ganze Menge Kohle.

Und die kann ich wirklich dringend gebrauchen.

Noch lässt Moth, der Wirt, mich anschreiben. Aber meine Rechnung wächst und wächst mit jedem Besuch hier und vor allem seit die Erfolge ausbleiben sind meine Besuche hier im Fuchsbau häufiger geworden.

„Okay, die Wette steht.“

Hunter hebt ebenfalls die Hand, drückt aber das rechte Auge zu und mustert mich nur aus seinem linken, grünen Auge, bevor er einschlägt. „Ich hoffe, du hältst dein Wort.“

„Klar, Wettschulden sind Ehrenschulden“, erwidere ich mit Nachdruck und schlage ein.

Hunters Händedruck ist stark, meiner aber auch.

Bevor sich aus dem Handschlag ein Kräftemessen entwickeln kann, wird meine Aufmerksamkeit auf Unruhe in einer Ecke der Kneipe gelenkt, als ein Krug zu Boden fällt und dabei zu Bruch geht. Gespräche verstummen und Hälse werden verdreht.

Alle richten ihre Blicke auf einen riesigen, glatzköpfigen Typen, der sich aufdringlich über ein Mädchen zu beugen scheint, das in der hintersten Ecke einer Eckbank kauert.

Ich erinnere mich, dass sie mir schon aufgefallen ist, als ich die Kneipe einige Stunden zuvor betreten habe. Normalerweise kenne ich die Gesichter der Gäste in diesem Schuppen – zur Hälfte grobschlächtige, wenig gepflegte Kerle mit Alkoholfahne, die meisten davon Kopfgeldjäger wie ich; die andere Hälfte setzt sich zusammen aus Bettlern, die nach etwas Wärme und Gesellschaft suchen, Ehemännern auf der Flucht vor ihrem Hausdrachen und Prostituierten.

„Was'n los? Biste nich dazu hier, um'n bisschen Spaß zu ham?“, fragt der hässliche Hüne, der sich so weit über das Mädchen gebeugt hat, dass er mit seinem Gesicht fast an ihrem klebt.

Nachdem ich sie eingehend gemustert habe, bin ich mir sicher, dass sie keine Prostituierte ist.

Sie trägt zwar eine kurze olivfarbene Puffhose und zeigt daher viel Bein, aber ihre Brust ist zuverlässig verdeckt von einem blassrosa Lederblouson, unter dem eine weiße Bluse hervorlugt. Dazu trägt sie feste Lederstiefel, eine weiße Ballonmütze, deren Krempe sie tief ins Gesicht gezogen hat, und ihr langes braunes Haar fällt ihr ins Gesicht und über den Rücken.

Sie ist schmal gebaut und wirkt nicht älter als vielleicht achtzehn.

Soweit ich das aus der Entfernung beurteilen kann, ist sie ungeschminkt. Nur ihre Lippen strahlen tiefrot und ihre Wangen sind ebenfalls gerötet. Sie fühlt sich offensichtlich nicht wohl in ihrer Haut und ich frage mich, was sie überhaupt an einem Ort wie diesem zu suchen hat.

Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat, aber ohne lange zu zögern, stoße ich mich vom Tresen hinter mir ab und gehe langsam zu den beiden hinüber. Ich habe keinen besonderen Grund dafür. Es passt mir nur nicht, wie der Kerl sich hier aufführt.

„Was'n los, Süße? Gefall ich dir nich? Muss ich mich vorher rasieren?“, grinst der Kerl und reibt sich mit der Hand über das stoppelige Kinn.

Das Mädchen denkt nicht daran zu antworten. Sie hat die Lippen fest auf einander gepresst, hält dem Blick des Mannes jedoch stand ohne mit der Wimper zu zucken.

Ich sehe wie sie langsam die rechte Hand hebt.

„Oder has du vielleich'n Freund?“, grinst der Kerl. „Ister hier?“

Er dreht sich um und sieht sich theatralisch in der Kneipe um. „Wenn dir die Kleine gehört, sachet jetz' oder ich nehm' sie mir!“

Vereinzelte Lacher im Publikum der immer noch schaulustigen Gäste. Niemand kommt auch nur auf die Idee, dem Mädchen aus seiner verzwickten Lage zu helfen.

Als niemand auf seine Aufforderung reagiert, wendet er sich wieder dem Mädchen zu.

„Tja, da hasse dir aber einen angelacht. So'n Waschlappen, der hat dich gar nich verdient“, grunzt er und streckt seine Pranke nach ihr aus. Ich habe die Eckbank fast erreicht, aber sie ist schneller.

Ihre Hand schnellt nach vorne und sein Kopf fliegt herum, als seine Wange von einer schallenden Ohrfeige getroffen wird. Polternd taumelt er zu Boden und nimmt dabei alle Gläser und Krüge mit, die noch auf dem Tisch gestanden haben und sich jetzt klirrend mit ihm auf dem Boden verteilen und seine Kleidung mit ihrem Inhalt tränken.

Gelächter erfüllt den Raum. Die Leute scheinen sich kaum einkriegen zu können.

Kein Wunder. Einen Riese, der von einem zarten Mädchen gefällt wird, sieht man auch nicht alle Tage. Ich verkneife mir ein Grinsen und beobachte das Mädchen mit verblüfftem Interesse, als es aus der Eckbank schlüpft und zum Ausgang eilt.

„Nicht so schnell, du kleines Miststück“, grollt die Stimme des plötzlich nüchternen Riesen, als der sich langsam und bedrohlich aufrappelt. Das Mädchen geht unbeirrt weiter auf die Tür zu.

„Das eben war doch nie im Leben ein normaler Schlag!“, knurrt der Riese. Erst jetzt bemerke ich, dass er auf der Stirn eine Tätowierung in Form eines Insekts hat. Es hat zwei Flügel, sechs Beine und einen plumpen Leib. Vermutlich soll es eine Schmeißfliege darstellen.

Aber wer würde sich so etwas schon tätowieren?

„So hart kann ein Püppchen wie du doch niemals zuschlagen. So viel Kraft kannst du doch gar nicht in diesen dünnen Ärmchen haben. Wer bist du? Oder besser: was?“

Das Mädchen erstarrt mit der Hand am Türknauf.

Auf dem Gesicht des Riesen breitet sich ein Grinsen aus und ich verstehe, warum sie so schnell wie möglich weg von ihm wollte. Wenn er grinst, hat sein Gesicht Ähnlichkeit mit einem Friedhofsacker, auf dem die Grabsteine kreuz und quer durcheinander stehen und entfernt ist ein Geruch von Verwesung wahrnehmbar.

„Ins Schwarze getroffen, was? Du bist eine Androidin, oder?“

Dieses Wort lässt die Leute im ganzen Laden die Luft anhalten und diejenigen, die der Tür und damit dem Mädchen am nächsten sind, weichen sogar zurück. Eine verständliche Reaktion.

Seit die Regierung das Militär die sämtlichen Labore der Stadt nach Androiden durchsuchen lässt, hört man in den Nachrichten immer wieder von entlaufenen Androiden, die wie aus dem Nichts auftauchen und alles in Schutt und Asche legen. Das gelingt ihnen so gut, weil sie oft sehr menschlich wirken sollen. Deshalb brechen die Leute regelmäßig in Panik aus, wenn sie glauben, einen Androiden vor sich zu haben, und es kommt zu großen Schlägereien, weil diese Stadt vor Kopfgeldjägern nur so überquillt, die es auf einen Fang mit möglichst hoher Belohnung abgesehen haben. Meistens stellen sich die vermeintlichen Androiden allerdings als ganz normale Leute heraus, häufig aber leider erst, wenn sie schon bewusstlos und schwer verletzt am Boden liegen.

Ich habe noch nie einen Androiden aus der Nähe gesehen, aber ich habe starke Zweifel, dass dieses Mädchen vor mir eine solche Kampfmaschine ist. Außerdem würde ich ihr das Schicksal der falschen Androiden gerne ersparen, wenn ich kann.

Ich halte mich weiter bereit, während ich beobachte, wie das Mädchen seinen Kopf in Richtung des Riesen dreht und seinen Blick eben so fest wie zuvor erwidert. „Nein, ich bin ein Mensch und mein Name ist Mink.“

Mink?, denke ich und höre entfernt etwas in mir Nachklingen.

Ich beschließe, mir diesen Namen zu merken.

„Erzähl doch keinen Scheiß!“, ruft da eine Frau dazwischen, die tatsächlich nach einer Prostituierten aussieht. In sicherer Entfernung zu dem Mädchen beugt sie sich in ihrem weit ausgeschnittenen Kleid vor, sodass alle Umstehenden ihr volles Dekolleté bewundern können, stemmt die Fäuste in die Hüften und erklärt: „Ich hab gesehen, wie du, als die in den Nachrichten von dieser Androidin geredet haben, deine Mütze tiefer ins Gesicht gezogen hast. Du sahst aus, als würdest du dich am liebsten unsichtbar machen. Findest du das nicht auch verdächtig?“

Jetzt haben sich wirklich alle Blicke auf Mink gerichtet und ich wäre jede Wette eingegangen, dass das nicht nur für menschliche Augen gilt. Auch sämtliche Ratten und Fliegen, die sich in den Ritzen und Fugen der Wände verstecken, müssen sie angestarrt haben, bis sich schließlich der Riese mit dem Fliegentattoo in Bewegung setzt.

„Komm schon, Mink. Gib doch zu, dass du wie das gesuchte Androiden-Mädchen bist, und wir bringen dich zumindest lebendig zu den Behörden.“

Ich bilde mir ein, einen Schatten des Zweifels über ihr Gesicht huschen zu sehen, aber dann stürzt der Kerl sich schon auf sie und alles geht unglaublich schnell.



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