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Ein würdiger Traum

Der Preis des Vertrauens
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Herzlich Willkommen!
Dieser kleine Prolog soll einen Vorgeschmack auf das bieten, was folgen mag. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass die folgenden Kapitel deutlich länger werden.
Viel Spaß

Update vom 07.03.16: Jetzt die verbesserte Version, dank meiner tollen Beta-Leserin. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Abend.
Heute gibt es ein paar Antworten auf die aufgeworfenen Fragen.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Leser, Favo-nehmern und natürlich bei den super freundlichen Kommi-schreibern.
Ein besonderer Dank geht an Finny HiNoYume, von FF.de, die einen ganz tollen Job als Beta-Leserin macht.
Liebe Grüße und viel Spaß Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Start in die neue Woche.
Viel Spaß mit dem Ende vom Anfang ;-)
Liebe Grüße und Danke an LittleMarimo und Finny HiNoYume Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Abend,

Tut mir leid, dass ich mich einen Tag verspätet habe, aber jetzt geht es weiter.
Viel Spaß und liebe Grüße

P.S. Vielen Dank an meine Beta-Leserin und den fleißigen Kommi-schreibern Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Ostermontag-Abend,
ich hoffe ihr wart alle sehr erfolgreich bei der Ostereiersuche ;-)
Vorab zwei kleine organisatorische Dinge:
1. Damit die Geschichte etwas leserfreundlicher wird, habe ich auf, Anraten meiner tollen Beta-Leserin, ab jetzt die Kapitel etwas kürzer gestaltet, damit ihr euch bis zum Ende hin konzentrieren könnt, wenn ihr am Bildschirm sitzt ;-P
2. Da ich ab Morgen für 10 Tage unterwegs bin, kann ich nicht versprechen, dass das nächste Kapite pünktlich auftaucht, aber ich werde mich wirklich bemühen...

Soooo, jetzt wieder zurück zum Inhalt. Heute werden wir die Frage lösen, wer dieses seltsame Mädchen ist. Dabei wünsche ich euch viel Spaß.
Danke euch für eure schönen Kommentare und die gute Kritik.
Vielen Dank Finny HiNoYume
Liebe Grüße Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen guten Abend,

ja ich weiß, aus dem 'später' ist dann doch der nächste Montag geworden. Aber besser spät als nie. Darum geht es jetzt auch weiter mit dem nächsten Kapietl, bei dem ich euch viel Spaß wünsche ;-)

Vielen Dank an meine treue Beta-Leserin, die Kommi-Schreiber und die Favo-Nehmer. Es freut mich so, dass diese kleine Geschichte euch erreicht ^^

Liebe Grüße Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Eine schöne gute Nacht,

Ich hatte heute so viel vor und dann machte mir das Leben einen Strich durch die Rechnung. Aber ich habe noch ganze 8 Minuten Montag, also, alles okay ;-)
Wie ihr vielleicht schon bemerkt habt, habe ich mich erneut verspätet. Das liegt daran, dass sowohl ich als auch meine Beta-Leserin mit dem neuen Semester sehr beschäftigt sind^^' Von daher wird es leider demnächst keine wöchentlichen Updates mehr geben.
Aber ich kann versprechen, dass die Geschichte weiter geht, da ich schon sehr viel weiter mit dem schreiben an sich bin.

Ich wünsche euch nun viel Spaß und bedanke mich ganz herzlich.
Alles Liebe
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen guten Abend,
Es geht wieder weiter und wie versprochen versuche ich mich an den neuen Rhytmus zu halten.

Ich wünsche euch jetzt einfach viel Spaß und bis demnächst ;-)

Liebe Grüße Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Mittwoch euch allen,

ja, ich weiß, welchen Tag wir haben und dass ich mich somit zwei Tage verspätet habe, sorry... (ich geh mich dann mal verstecken) leider braucht gute Korrekur-Arbeit ihre Zeit ( und ich hab sie leider auch immer nötig^^')
Nicht destotrotz kann ich euch weiterhin beruhigen, dass es auf jeden Fall weiter gehen wird, ob ihr wollt oder nicht und ich versuche am 2 Wochen Rhytmus festzuhalten.
Dementsprechen bedanke ich mich ganz herzlich bei meiner tollen Beta-Leserin und wünsche euch nun viel Spaß

Liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Montag-Abend,

pünktlich auf den Tag kommt heute das neue Kapitel mit Zorro's Entscheidung; was wird er wohl tun?
Ich wünsche euch ganz viel Spaß und eine gute Woche

Liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen guten Morgen,

da ich ein bisschen kränkel (da wurde ich als Frau tatsächlich von so einer furchtbaren Männergrippe erfasst o.o), bleibe ich heute schön zu Hause und update jetzt schön das neue Kapitel, ehe ich wieder brav ins Bettchen hoppse ;-)
Ich wünsche euch ganz viel Spaß und bin mal gespannt, welche Ideen der Story-Verlauf euch in den Kopf gepflanzt hat (meine tolle Beta-Leserin hatte schon ein paar tolle Möglichkeiten, wie sich die Geschichte entwickeln würde, einiges davon wird aber wohl leider nicht passieren [können])
Ich bedanke mich bei all den lieben Kommi-schreibern und Favo-Nehmern und hoffe ihr könnt das schöne Wetter der Woche genießen ;-)

Liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Start in die Woche euch allen :-)

Dank meiner tollen Beta-Leserin ind wir super im Zeitplan, sodass ich dieses Kapitel eine ganze Woche früher schon hochladen kann^^
Ich möchte mich auch für allen lieben Kommentarschreibern bedanken, mir geht das Herz immer auf, wenn ich höre, dass euch die Geschichte und meine Ideen gefallen und ich musste bei einigen eurer Ideen schon arg schmunzeln.
Viel Spaß nun und liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben,
wie durch ein kleines Wunder, kann ich euch heute schon das nächste Kapitel präsentieren, damit ihr ja nicht zu lange darüber grübeln müsst, was Zorro denn auf der Versammlung anstellen wird und ich wette, dass einige heute überrascht werden ;-)
Aufgrund der sich anbahnenden Klausurphase sind meine Beta-Leserin und ich leider die nächste Zeit sehr eingenommen, sodass ich nichts versprechen kann, aber wir bemühen uns ^^

In diesem Sinne bedanke ich mich bei euch und wünsche euch viel Spaß mit dem nachfolgenden Kapitel und einen guten Start in die Woche
Liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Montag Abend,
ich hoffe euer Tag war genauso ereignisreich wie meiner und ihr konntet das tolle Wetter genießen.
Da ich heute Morgen schon eine Klausur hinter mich bringen durfte, gönne ich mir vom Lernen jetzt eine kleine Pause und stelle das nächste Kapitel online.
Diesmal von einer ganz anderen Seite ;-)

Viel Spaß damit (allerdings erst wenn es regnet oder dunkel ist, diese eine Woche Sommer müssen wir ausnutzen ;-P)
Liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche euch einen schönen Start in die Woche.

Ohne große Umschweife präsentiere ich das neuste Kapitel und hoffe, dass ihr viel Spaß habt ;-)

Liebe Grüße und danke für die netten Kommis
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen... Mittwoch...
okay, es tut mir wirklich leid. Es war keine Absicht, das mit dem Cliffhanger und der Verspätung sind reine Zufälle (Nicht dass mir das auch nur einer von euch glauben würde ;-))
War für 2 Wochen unten in Bayern und tja, was soll ich sagen, das Internet da ist noch schlechter als bei mir aufm Dorf...
Aber genug davon.
Viel Spaß nun mit dem neuen Kapitel und der Auflösung
Liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Start in die neue Woche wünsche ich euch^^
Und ja, es ist Montag und ich bin pünktlich (Yay XD)

Wie ich blackholmes94 schon verraten habe, kommt in diesem Kapitel eine meiner Lieblingsszenen vor.
Welche denkt ihr ist es?

Ich freue mich natürlich immer über alle Leser, Favo-Nehmer und Kommentar-Schreiber. Vielen Dank!
Und ganz besonders bedanke ich mich bei meiner tollen Beta-Leserin, die auch noch unglaublich zügig arbeitet.

Viel Spaß und liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Montag Abend,

pünktlich geht es weiter ;-)
Heute finden wir heraus, was mit unserem Lieblings-Marimo passiert ist und ob sich eure Vermutungen bestätigt haben ;-)
Vielen Dank an alle, die immer so tolle Kommentare hinterlassen und natürlich an meine liebe Finny, die so super schnell korrigiert und so eine klasse Beta-Leserin ist.

Viel Spaß und liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallihallö!
Es ist Montagabend und ich habe überhaupt keine Lust mehr, was Produktives zu veranstalten.
Aber... meine tolle Beta-Leserin Finny macht zur zeit Überstunden und hält auch mich ordentlich auf Trapp, sodass ich euch heute schon das neue Kapitel präsentieren kann und ihr nicht noch eine Woche warten müsst.
(Bedankt euch also bei ihr ;-))
Danke für all die fleißigen Kommi-schreiber und Favo-Nehmer

Hoffe ihr hattet alle einen guten Start in die neue Woche.
Viel Spaß und liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallihallo,

es ist Montag und schon geht es weiter... ja gut, ich weiß, ich bin eine Woche zu spät -.- Sorry
Hatte jetzt knapp 10 Tage kein Internet. Keine einzige Mail beantwortet, nix... meine Beta-Leserin dachte schon ich wäre verschollen (dabei verlauf ich mich nur halb so oft wie Zorro ;-P)
Ich danke euch für eure lieben Kommentare und dass ihr so schon treu wartet. Ihr seid die besten!
Dafür geht es jetzt endlich weiter und endlich finden wir heraus, wer unser armes Hawky so erschreckt hat ^^

liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Samstagabend euch allen,
genau, wie haben Samstag und nicht Montag. Mein neuer Stundenplan sieht leider so aus, dass ich Montags von früh bis ganz spät Uni habe und daher ist es wohl für uns alle besser, wenn das nächste Kapitel am Wochenende hochgeladen wird. Tut mir wirklich leid, dass ich meinen Rhytmus immer wieder umändere.
Ich möchte meiner tollen Beta-Leserin Finny und allen treuen Kommentar-Schreibern ganz herzlich danken, sowei den Favo-nehmern und stillschweigenden Lesern, bin ganz überrascht wie viele sich doch für die etwas ungewöhnliche Themenmischung interessieren ;-)
Heute mal ein etwas anderes Kapitel, ich wünsche euch viel Spaß^^
Und wenn ihr am Ende fragen haben solltet, könnt ihr mich ruhig damit bewerfen ;-)
Liebe Grüße und noch ein schönes Restwochenende
eure Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen guten Abend euch allen^^
Erst einmal möchte ich mich ganz dolle bei meinen fleißigen Kommi-schreibern bedanken und natürlich auch bei meiner tollen Beta-Leserin.
Dieses Kapitel hier war eine ganz besondere Herausforderung für mich und daher bin ich umso glücklicher, dass es fertig wurde.
Zum Schluss habe ich noch eine recht ungewöhnliche Bitte. Eine treue Leserin, die ich schon echt ins Herz geschlossen habe, macht zur Zeit eine schlimme Zeit durch. Ich wäre euch sehr dankbar, wenn ihr ab und zu an sie denken würdet.
Ich danke euch und wünsche euch viel Spaß mit dem folgenden Kapitel^^
liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Yay,
es ist Samstagabend und ich präsentiere das neue Kapitel XD
Meine tolle Beta-Leserin und ich sind mega gut im Zeitplan, daher wollte ich es schon heute hochladen und nicht erst nächste Woche. Wir versuchen das auch nochmal kommenden Samstag ;-)
Ich wünsche euch viel Spaß mit unseren beiden Schwertkämpfern und noch einen schönen Abend.
Eure Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Sonntag euch allen,
Oh mein Gott es ist schon Sonntag Nachmittag und ich habe noch nichts sonnvolles geschafft o.o
Also stelle ich einfach mal das neue Kapitel on, welches dank meiner tollen Beta-Leserin schon fertig ist und wünsche euch noch ein ruhiges Restwochenende ;-)
Alles Liebe
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Sonntag-Abend euch allen,
dieses Wochenende war die pure Hektik, daher bin ich froh, dass ich es überhaupt noch schaffe, das nächste Kapitel noch heute hochzuladen.

Ich danke euch allen für eure netten Kommentare und Nachrichten ;-)
Viel Spaß und liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Sonntag-Morgen,
Ich hoffe ihr seid noch nicht erfroren und trinkt gerade einen Kaffee oder einen warmen Kakao (Also hier ist es verdammt kalt...)
Heute geht es weiter und nach einem etwas negativ gestimmten Besuch bei den Strohhüten kehren wir zurück zu unseren Lieblings-Schwertkämpfern, die nicht viel besser gelaunt sind.
Viel Spaß und mehr verrate ich nicht ;-P
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Samstag euch allen.
Ich hoffe ihr genießt das tolle Wetter (zumindest hier scheint die Sonne^^)
Heute geht es weiter mit einem ganz emotionalen Kapitel, passend zur Jahreszeit.
Nächste Woche werde ich kein Kapitel posten, da ja Weihnachten ist und dementsprechend wünsche ich euch allen bereits jetzt ein paar ganz schöne Tage umgeben von euren Liebsten und eine besinnliche Weihnachtszeit.
Denkt dran den Menschen die euch wichtig sind, dies auch zu sagen.
Und mit diesen Worten wünsche ich euch nun viel Spaß
Alles Liebe
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Sonntag Abend euch allen und frohes Neues Jahr!
Ja, es gab jetzt länger kein Update, ich entschuldige mich aufrichtig.
War in der Heimat und nach Weihnachten gab es unglaublich viel zu tun. Bin heute wieder in meine Wahlheimat zurückgekehrt und daher auch das nächste Kapitel mit dem letzten Countdown vor dem gefürchteten Ball! (Oh mein Gott o.o...)
Ich hoffe ihr hattet alle einen schönen Start ins neue Jahr und wünsche euch, dass alle eure guten Vorsätze Früchte tragen^^
Liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Sonntag euch allen,
zuerst möchte ich mich für eure Kommentare bedanken, es freut mich, dass so viele dieser Geschichte folgen^^
endlich geht es weiter und heute wird es dann endlich ernst, ihr dürft gespannt sein ;-P
Ich wünsche euch viel Spaß und zum nächsten Mal
liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Sonntag euch allen! :-)

Es tut mir sehr leid, dass es so lange gedauert hat:-(
Wie viele andere auch leide ich gerade ein bisschen unter der Klausurenphase und daher werde ich die ganzen lieben Kommis von euch erst später beantworten, wenn ich alle Klausuren hinter mir habe. Tut mir echt leid, aber ich hab sie alle gelesen und freue mich immer so, wie sehr ihr doch mitfiebert. Vielen Dank^^
Aber das nächste Kapitel wollte ich euch wirklich nicht vorenthalten und darum: Hier ist es!

Viel Spaß damit und liebe Grüße
eure Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Start in die neue Woche.
Ich möchte mich ganz herzlich bei blackholmes94, Lexischlumpf183 und LittleMarimo für euren treuen Kommentare bedanken, sowie bei meiner tollen Beta-Leserin, die immer dafür sorgt, dass ich mich beeile;-)
Heute kommt endlich der Moment auf den alle - nun ja zumindest ich - gewartet haben, der finale Tanz!
Und damit wünsche ich euch nun viel Spaß
Liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Sonntag euch allen,
jetzt, wo der große Ball vorbei ist, bewegen wir uns mit großen Schritten auf die Zielgerade zu, aber zuvor müssen unsere beide Schwertkämpfer erst einmal sicher Zuhause ankommen;-)
Ich möchte mich ganz herzlich bei allen von euch bedanken, die diese Geschichte lesen, sie favorisieren und insbesondere bei ZoRo12, MC-T, lala1314, blackholmes94 und LittleMarimo für eure lieben und herzerwärmenden Kommentare. Ihr mach mich alle so glücklich^^
Natürlich auch einen große Dank an meine Beta-Leserin Finny HiNoYume, ohne die ich nie im Leben so pünktlich abliefern würde ;-)
Ich wünsche euch allen viel Spaß und einen guten Start in die kommende Woche.
(Und für die unter euch, die den Karneval schätzen, ein herzliches, dreifaches: Alaaf, Alaaf, Alaaf! Viel Spaß morgen auf den ganzen Rosenmontagszügen (ich bin die im Hasenkostüm ;-P) und lasst euch nicht von Traktoren begraben:-P)
Alles Liebe
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben,
vielen Dank für eure Kommentare und natürlich meiner tollen Beta-Leserin, ohne euch würde das hier nur halb so viel Spaß machen^^
Im Folgenden nun eine kleine Lehrstunde, was zu viel Alkohol bewirken kann, also meine Kinder, bitte nicht Zuhause nachmachen ;-)
In diesem Sinne: viel Spaß!
liebe Grüße
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Du meine Güte!
Es ist schon Sonntagabend o.o
Hallo erstmal,
in großen Schritten nähern wir uns dem Ende (und ich werde jedes Mal emotional wenn ich mit meiner tollen Beta-Leserin kommuniziere^^') Aber noch sind wir nicht da und dementsprechend, viel Spaß mit dem nächsten Kapitel!
Ach, und natürlich ein ganz großes, herzliches Dankeschön an eure lieben Kommis, da geht mir wirklich das Herz auf :)
Alles Liebe
Sharry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben,
in riesen Schritten geht es auf's Ende zu und daher wollte ich noch einmal euch allen danken für eure Kommentare, Theorien und Ideen. Es freut mich so sehr, dass diese Geschichte einige von euch doch ein bisschen begleitet (und zum Nachdenken anregt ;-P)
Ein weiteres riesen Dankeschön geht an meine tolle Beta-Leserin, ohne die ich das hier nie geschafft hätte.
In einer alternativen Idee sollte dieses Kapitel das letzte werden, aber zum Unglück unserer beiden Schwertkämpfer, lasse ich sie noch ein bisschen leiden ^^
Und in diesem Sinne wünsche ich euch noch viel Spaß!
lG
Sharry

P.S.: Ja, ich weiß, dass es schon Montag ist, war das ganze Wochenende im schönen Schwabenland und hatte dort kein Internet, verzeiht^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Oh mein Gott!
Erst mal einen schönen Start in die Woche.
Das hier ist nun das letzte offizielle Kapitel (heißt, danach kommt "nur" noch der Epilog) und ich werde langsam unglaublich emotional.
Ich danke allen, die immer so fleißig durchhalten und mir schreiben und natürlich meiner tollen Beta-Leserin, die mich so sehr unterstützt.
Aber wir sind ja noch nicht am Ende, also erst mal viel Spaß mit dem Ende vom Anfang ;-)
LG
Sharry Komplett anzeigen

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Prolog

Prolog
 

Mit aller Kraft die sie hatte, stemmte sie sich gegen die Arme die sie festhielten.

„Nein! Wir müssen zurück! Wir können nicht ohne sie los! Sie sind noch da drin!“

Laut und panisch schrie sie, die Augen starr auf das Tor gerichtet, aus dem sie vor wenigen Sekunden gekommen waren. Mit einem kalten Knall war es wieder zugefallen, hatte die Welt dahinter verschluckt wie ein Hai seine Beute. Doch die Hände des jungen Mannes, der sie mit sich zerrte, waren stärker.

„Red‘ keinen Unsinn. Du hast doch gehört was sie gesagt haben. Wir müssen zum Schiff! Die anderen warten dort schon auf uns.“

Immer noch wehrte sie sich gegen den Griff des anderen, konnte aber nicht verhindern, dass sie sich weiter und weiter vom großen, steinernen Gebäude entfernten, welches allmählich in der Dunkelheit und dem aufkommenden Nebel verschwand. Verzweifelt packte sie ihren Kameraden an den Schultern.

„Aber…“

„Kein Aber! Du musst ihnen vertrauen. Sie haben einen Plan, da bin ich mir sicher. Je länger wir hier bleiben, desto eher sind wir in Gefahr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es hier vor Soldaten nur so wimmelt.“

Er hatte Recht, das wusste sie und trotzdem schnürte die Angst ihr die Kehle zu. Als würde er ihre Furcht spüren, lächelte er schwach.

„Du kennst die beiden doch. Die packen das schon. Aber wenn wir zurück gehen, sind wir am Ende nur im Weg. Vertrau ihnen, okay?“

Sie wehrte sich nicht mehr, hatte selbst angefangen zu laufen, auch wenn sie nicht wusste wohin, klammerte sich verzweifelt an diese eine Hand, das Adrenalin trieb ihre müden Muskeln an, rannte einfach ziellos weiter.

„Da vorne!“ rief ihr Begleiter. Aus der Schwärze der Nacht tauchten große Segel wie Gespenster auf. Leise hörte sie die Wellen des Meeres gegen den Bug des Schiffes schlagen.

„Die Sunny!“ entkam es ihren Lippen. Der Mann an ihrer Seite holte tief Luft und öffnete den Mund, doch bevor er auch nur einen Ton von sich geben konnte, wurde mit einem gedämpften Poltern eine Strickleiter über die Reling geworfen.

„Schnell, hoch mit dir!“

Wie von unsichtbaren Fäden geführt, sah sie zu, wie ihre eigenen Hände nach der Leiter griffen ohne sich jedoch richtig festzuhalten. Als hätte sie keine Kraft ließ sie zu, wie sie mehr oder weniger von ihrem Freund nach oben getragen wurde, wo sie schon zwei starke Arme in Empfang nahmen. Zitternd und stolpernd landete sie schließlich auf dem Deck der Thousand Sunny, dem Schiff der Strohhutpiraten, welches beinahe lautlos im Wasser dahinglitt, fort von dem kleinen Steg, auf dem sie vor wenigen Sekunden noch gestanden hatten. Fort von der Gefahr, der sie noch immer nicht ganz entkommen waren. Doch jetzt, hier oben, spürte sie eine vertraute Sicherheit, wusste, dass sie Zuhause war, und sehnte sich nur noch nach ihrem Bett im Inneren des Schiffes. Sie war so müde, so unglaublich müde.

Sie konnte hören, wie hinter ihr die Strickleiter wieder eingesammelt wurde, während sich die beiden Männer angestrengt unterhielten.

„Was sollen wir jetzt tun?“

„Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Wir müssen auf den Plan vertrauen.“

„Super, du hast auch einen Plan! Wie lautet der denn?“

„Keine Ahnung! Ich hab nämlich gar keinen Plan! Wir sollten so schnell wie möglich nach draußen und dann hierher zum Wasser, wo ihr uns aufsammeln würdet. Ich dachte ihr wüsstet Bescheid.“

Verzweiflung klang in der Stimme hinter ihrem Rücken, doch sie ignorierte die Worte, ignorierte alles was um sie herum geschah. Ihr Blick war auf den Boden vor ihr gerichtet, wo zwei weitere ihrer Crew auf der vom Nebel feuchten Wiese hockten, der eine der beiden war offensichtlich bewusstlos und in dicke Verbände eingepackt. Der andere bemerkte sie, erhob sich und lächelte schwach.

„Keine Sorge, er ist nur ohnmächtig. Die Wunden sind soweit gut versorgt und er ist nicht mehr in Gefahr. Ich bin mir sicher, dass er bald wieder aufwachen wird.“

„ Sollten wir es hier lebend raus schaffen, versteht sich.“ erklang eine weitere, kühle Stimme.

„Soweit ich die Situation überblicke sehe ich keine Möglichkeit, wie wir die anderen beiden aus dem Stützpunkt rausholen sollen. Geschweige denn, wie wir es schaffen könnten, vor so vielen Marinesoldaten zu flüchten. Ein Kampf wäre natürlich vollkommen sinnlos. Wir sind alle müde und erschöpft, oder schlimmeres.“ fügte die Person hinzu, während sie sich über das am Boden liegende Crewmitglied beugte.

„Keiner von uns hat eine Vorstellung, wie die Umgebung aussieht. Fremdes Gewässer in vollkommener Dunkelheit zu befahren ist keine gute Voraussetzung für eine Flucht. Und der einzige von uns, der überhaupt auch nur eine Idee hatte, die zumindest dazu geführt hat, dass wir alle hier sind und auch noch die Sunny wieder haben ohne scheinbar verfolgt zu werden, sitzt immer noch in genau diesem Stützpunkt mit mehreren tausend Marinesoldaten fest. Also, was sollen wir tun?“

Die Frage richtete sich an niemanden bestimmten, denn angesprochen wurde immer noch das bewusstlose Crewmitglied am Boden. Um sie herum wurde es still, als ihnen allen die niederschmetternde Wahrheit dieser verdammt ehrlichen Worte bewusst wurde. Sie hatten keine Chance! Zwar hatten sie es bis hierher geschafft, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Schiffe der Marine sie suchen würden. Abhauen konnten sie aber auch nicht, da sie noch nicht vollzählig waren und die Verbliebenen im Stich zu lassen kam für keinen der Anwesenden in Frage. Auch ein Kampf war vollkommen aussichtslos. Die Feinde hatten sie schon einmal gefangen genommen und zu diesem Zeitpunkt waren sie alle gesund und munter gewesen, zugegebener Weise auch unaufmerksamer, aber jetzt waren die Karten eindeutig noch schlechter für sie ausgelegt.

Fahrig glitten ihre Hände durchs vom Wind zerzauste Haar, während sie fast schon panisch eine Lösung suchte, was sollten sie nur tun? In noch nicht mal weiter Ferne war die Marinehochburg kaum mehr als ein verschwommener Schemen in der Dunkelheit, und die noch immer anhaltende Stille zeigte ihnen, dass die Verfolgung zu Wasser auf sie noch nicht aufgenommen war. Langsam blickte sie auf, nur um zu zählen, was sie schon längst wusste: sieben von ihnen waren an Bord. Nicht genug. Auf keinen Fall genug. Sie sah die einzelnen Kameraden an. Alle waren sie angeschlagen, dreckig und kraftlos. Keiner von ihnen würde eine Auseinandersetzung mit der Marine überstehen.

Aber dann würde ihnen nur ein Ausweg bleiben, mit oder ohne die anderen, sie mussten fliehen! Und mit einem Male wurde ihr zu all der Verzweiflung hinzu auch noch bewusst, dass sie für eine erfolgreiche Flucht der Crew verantwortlich war, nur sie allein konnte wissen was zu tun war, denn sie war die Navigatorin.

Langsam atmete sie ein und schloss die Augen. Eigentlich hatten sie nur diese eine Möglichkeit und unrealistische Optionen durchzugehen würde nur unnötig Zeit kosten.

„Also hört zu!“ sagte sie bestimmt und doch leise. Dankbar wurde sie von einigen Augen der Umstehenden angesehen, dankbar dafür, dass sie die Stille zerbrach, dankbar dafür, dass sie die Zügel in die Hand nahm. Noch einmal beruhigte sie still ihr schnell schlagendes Herz ehe sie ihre Entscheidung fällte.

„Ich weiß, was wir tun müssen und zwar…“
 

BOOM!
 

Die Welt um sie herum erbebte. Alles wurde schrecklich langsam und leise. Einen Moment lang drückte eine mächtige Kraft hinter ihr die Luft aus der Lunge, ließ sie nach vorne stolpern, zu Boden stürzen. Ein leises Piepsen erfüllte ihre Ohren. Ein Ringen störte ihre Gedanken. Ihr Kopf dröhnte, als wollte er explodieren. Plötzlich war die Welt um sie herum grell und laut. Unkontrollierte Hitze durchströmte ihren Körper, nahm ihr die Luft zum atmen. Sie konnte Rufe und Schreie hören, immer noch bebte der Boden und das, obwohl sie bereits auf allen Vieren kniete. Alles was sie wahrnahm, war ihr hämmerndes Herz, der hastige Atem und das unschuldig entspannte Gesicht, auf das sie hinab blickte.

Für den Bruchteil einer Sekunde war sie sich sicher, dass sie sterben würde, bis sie den Bewusstlosen ansah. Dann wurde es langsam ruhiger, doch das grelle Licht, welches lange Schatten warf, blendete sie weiterhin. Wie in Trance folgte ihr Blick ihrem eigenen langgezogenen, grotesken schwarzen Abbild, welches sich über den immer noch ohnmächtigen Kameraden erstreckte, ehe sie die Hand wahrnahm, welche ihr angeboten wurde. Zittrig stand sie auf und wandte sich um.

Ein Bild des Grauens bot sich ihr.

Der Marinestützpunkt, der Hafen, die Marineschiffe, der kleine Steg auf dem sie eben noch gelaufen war. Alles stand in Flammen! Und das Feuer breitete sich aus, schnell zerstörte es alles, was ihm im Weg war. Leckte sogar über die aufgewühlten Wellen des Meeres hinweg. Selbst die angrenzenden Berge konnten sich dem aufbäumenden Feind nicht erwehren.

Durch das Knistern der Flammen und das Zischen des verdampfenden Wassers konnte man den wehklagenden Chor sterbender Männer hören. Gespenstisch und schrecklich hörte man die hilflosen letzten Lebenszeichen dieser zum Tod Verdammten.

Wie erstarrt hielt sie sich den Mund zu, während ein tonloser Schrei aus ihrer Kehle brach.

„Da!“ rief einer ihrer Freunde neben ihr, den Arm weit ausgestreckt. Dort, auf dem höchsten Turm des in Flammen stehenden Gebäudes konnte man zwei Gestalten erkennen, hart war ihr Kontrast zum Meer aus feurigem Licht, aber sie waren es unverkennbar.

„Was machten wir denn jetzt?!“

„Wir müssen darüber!“

„Aber wie? Selbst das Meer brennt!“

Alle schrien sie durcheinander, wollten helfen, mussten helfen, nur sie stand da, und blickte zu den zweien hinauf.

Es dauerte nur einen Moment, da sah sie was sie taten.

„Achtung!“

Die anderen verstummten augenblicklich und horchten auf. Schnell wie ein Blitz! Nur wenige Meter neben dem Schiff konnte man ein lautes Platschen hören. Wie ein Pfeil war er auf sie zugerast, hatte sie nur knapp verfehlt, war ins ruhelose Meer gestürzt.

Sie spürte, wie Hände sie zur Seite drückten, konnte erneut das Geräusch von Haut auf Wasser hören. Wenige Sekunden später Freudenschreie, als ein weiterer ihrer Kameraden auf die Sunny gezogen wurde, schwer hustend, verletzt aber am leben. Doch sie konnte sich nicht umdrehen, konnte nicht helfen.

„Wo ist er?“ entkam es dem noch immer hustenden Piraten hinter ihr.

„Da oben.“ flüsterte sie. Dort stand er, die Faust wie zum Gruße gen Himmel gestreckt. Eine unvergängliche Skulptur im Flammenmeer, schimmernd wie aus Bronze. Langsam erhob sie ihren Arm, streckte ihn gerade nach oben, während Tränen ihre Wangen hinunterliefen.

Hinter sich hörte sie Schreie.

„Das kannst du nicht tun!“ rief der nasse junge Mann, der gerade auf die Beine kam und zur Reling hechtete.

„Das kannst du doch nicht tun!“ Doch seine brechende Stimme ging unter im tosenden Poltern, als das uralte Gemäuer unter der Naturgewalt des Feuers zerbrach und der Turm in sich zusammenfiel.

Wie eine Spielfigur fiel ihr Freund mit den Trümmern der Burg zu Boden, verzehrt von den wütenden Flammen.

Er hatte den Plan gehabt, hatte sie alle aus den Kerkern der Marine befreit, hatte sie alle gerettet, jeden einzelnen von ihnen. Hatte sie alle beschützt, beschützt vor den Soldaten, beschützt vor dem Tod. Hatte sie und ihre Träume beschützt mit seinem eigenen Leben.

Und nun war er tot.

Der Ausbruch - Teil 1

Der Ausbruch – Teil 1

 
 

„Und jetzt bist du schön brav, du Mistkerl!“

Wütend hatte Leutnant Sanzo den gefesselten Piraten am Kragen gepackt und schüttelte ihn unsanft. Er hatte ihn in der Hand, konnte hier und jetzt über sein Leben entscheiden und trotzdem grinste sein Gegenüber ihn süffisant an. Mit Schalk und Überheblichkeit in den Augen unterbrach dieser Abschaum keinen Moment den Blickkontakt, als wäre dieser windige Pirat derjenige, der die Situation kontrollierte und nicht der Marineoffizier. Doch wehren tat er sich nicht. Nicht dass er dazu in der Lage gewesen wäre, Hände und Füße gefesselt, gefangen in den Kerkern der Marine, dem Leutnant und den beiden Soldaten an der Türe hilflos ausgesetzt.

Aber er war immer noch nicht gebrochen, das konnte der Mann der Marine deutlich erkennen. Immer noch schaffte er es bei jedem Aufeinandertreffen den Leutnant zur Weißglut zu treiben und das ohne auch nur ein Mal klein bei zu geben. Dieser verfluchte Hund grinste und machte sich über seine Bewacher lustig. Seit sie ihn gefangen hatten, hatte er ihnen das Leben zur Hölle gemacht.

Ganz anders als der andere Pirat, der kraftlos an der gegenüberlegenden Wand hockte, ebenfalls gefesselt. Einen Moment lang betrachtete er den Piraten am Boden. Die Haare waren verfilzt und dreckig, hingen ihm tief ins Gesicht, so dass es unmöglich war zu sagen, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte. Sanzo musste zugeben, dass er wirklich miserabel aussah. Wer wusste schon ob der Pirat den nächsten Tag noch überleben würde. Am Anfang hatte auch dieser sich gewehrt, hatte sogar einmal seine Ketten gesprengt. Doch nun wirkte es so, als hätte er endlich aufgegeben. Als würde er einfach nur noch auf sein Urteil warten, wie es sich für einen vernünftigen Gefängnisinsassen auch gehörte.

Dann wurde der Offizier für seine Abgelenktheit bestraft, als der Pirat, den er immer noch am Kragen festhielt, ihm ins Gesicht spuckte, weiterhin ein breites Grinsen auf den aufgeplatzten Lippen. Mehr überrascht als alles andere starrte er einen Moment in diese grünen Augen, die keine Handlänge weit von ihm entfernt waren und böse funkelten, als wäre dieser Abschaum derjenige, der über den Verlauf ihrer Auseinandersetzung bestimmte. Mit aller Kraft, die er hatte, schleuderte er den Verbrecher auf den steinigen Boden, welcher unter der Wucht des Aufpralls Risse bekam. Mit einem Keuchen landete der Gefangene zu den Füßen des Leutnants, welcher zugleich mit einem saftigen Tritt in dessen bereits verletzte Seite nachsetzte. Scharf schnappte der Pirat am Boden nach Luft ohne jedoch einen Schmerzenslaut von sich zu geben.

„Dir werd‘ ich noch Manieren beibringen!“ Der hagere Mann im weißen Mantel holte erneut mit seinem Fuß aus, als ein gut beleibter Soldat im Türrahmen erschien und sich zwischen den beiden anderen Gefreiten hindurch quetschte.

„Leutnant Sanzo!“ Der kleine Kerl atmete schwer und selbst im Dämmerlicht der Zellen konnte man deutlich die Schweißränder unter den Armen sehen als er pflichtbewusst salutierte.

„Was?“ Unwirsch drehte sich der Angesprochene um, trat dabei nur knapp neben die gefesselten Hände des Gefangenen. Die spitzen schwarzen Schuhe klackten bei jedem Schritt. Seine kalten grauen Augen starrten durch braune Locken hinweg den Störenfried an, als hoffte er ihn mit einem Blick verbrennen zu können.

„Der Vizeadmiral schickt nach Ihnen. Sir!“

Langsam sah der Offizier zwischen seinem Opfer und dem Soldaten hin und her.

„Ist es wichtig?“, fragte er nach einer Weile mit seiner kratzigen Raucherstimme.

„Du siehst doch, dass ich gerade beschäftigt bin.“

Noch während er zu seinem Untergebenen sprach wandte er sich wieder dem Piraten am Boden zu. Legte den Kopf erst nach links, dann nach rechts, Knochen knackten. Keine Mordlust war in seinen Augen, nur blanker Hass lag auf den blassen Zügen des jungen Mannes, der durch Leid und Trauer schon um etliche Jahre älter wirkte. Er konnte diesen Piraten nicht gewinnen lassen. Nicht schon wieder. Diese Auseinandersetzung würde er gewinnen müssen. Wütend schlug er gegen die nahe Wand aus Stein, die bebend standhielt. Er wusste genau, dass er diesen Piraten brechen musste. Je schneller, desto besser.

 

Der arme Tropf in der Tür schien sichtlich eingeschüchtert von seinem Vorgesetzten. Langsam glitt sein Schweißgeruch in die kleine Zelle, erreichte auch den anderen Piraten, der am gegenüber liegende Ende an der Wand hockte und wie ein Unbeteiligter zusah. Unfähig zu helfen, Arme und Beine gefesselt. Der Körper kraftlos, der Geist erschöpft, zermürbt von den Tagen, die er gefangen und ohne Tageslicht in der feuchten Zelle hatte verbringen müssen, die mangelhafte Ernährung tat ihr übriges. Eigentlich hatte er schon längst aufgeben wollen, war zu müde um sich noch den Soldaten zu erwehren. Doch jedes Mal, wenn er einfach die Augen schließen wollte, wurde sein Zellengenosse wieder munter und legte sich erneut mit ihren Wärtern an.

Einen Moment sah er seinen Freund am Boden liegend an, sah wie die Brust sich fahrig auf und ab bewegte, konnte nicht verstehen, warum dieser Idiot nur so handelte und sich immer wieder in Gefahr brachte. Eine Sekunde lang glaubte er zu sehen wie sein bester Feind ihm zuzwinkerte, als würde ihm die Situation auch noch Spaß machen, ehe dieser wieder die Augen schloss.

Dann traf sein Blick den des Leutnants. Der Hass, der ihm nun entgegenkam machte es ihm beinahe schwer zu atmen. Er war es gewohnt, als Pirat verachtet und abgelehnt zu werden, doch die Art, wie dieser Mann ihn ansah, ließ ihn beinahe wirklich glauben, dass er den Kerker verdient hatte. So wie sein Crewmitglied, welches immer noch am Boden lag, die Augen nun eindeutig geschlossen. Doch der Koch wusste genau, dass der andere nicht ohnmächtig war. Nein, so schnell würde man Lorenor Zorro nicht ausschalten können und erst recht würde er sich nicht brechen lassen.

„Was ist nun?“, holte die gereizte Stimme des Leutnants ihn zurück in die Realität. Auch der Soldat entkam seiner Starre.

„Ja, Sir! Der Vizeadmiral sagte es sei äußerst wichtig! Es geht um den Gefangenentransport zur Gefängnisinsel in zwei Tagen.“

Rau wie Schmiergelpapier seufzte der Befehlshaber auf.

„Nun gut. Ich komme.“

Erleichtert machte der Dicke einen Schritt zurück, nickte knapp und eilte davon. Mit einem abfälligen Blick auf die Piraten wandte sich Leutnant Sanzo an die verbliebenen Soldaten.

„Kümmert euch um den Abschaum und kommt dann augenblicklich hinterher.“

„Ja, Sir!“, antworteten sie einstimmig. Der Leutnant stürmte zur Tür, blieb dann aber stehen.

„Und wieder mal kein Abendessen für die beiden.“,  knurrte er, ehe er weiter eilte.

Sekunden später hoben die folgsamen Männer den Piraten hoch und legten ihn wieder in die Ketten an der Wand zur Rechten des Smutjes. Da der ehemalige Piratenjäger ihnen nicht mithalf, schienen sie sichtlich ihre Probleme zu haben. Wie ein nasser Sack hing er kraftlos in ihren Armen, während sie versuchten seine Handgelenke an die kalte Mauer zu ketten. Doch sie beschwerten sich nicht, waren zu sehr in ihr Gespräch vertieft, als würden sie Kartoffeln schälen und nicht ihre Zeit in Gegenwart von gefährlichen Verbrechern verbringen. Wahrscheinlich waren sie froh einmal wenige Minuten ohne ihren übel gelaunten Vorgesetzten verbringen zu können.

„Also, du bist neu hierhin versetzt worden? Du kommst aus Navarone?“

Der Soldat mit dem Kinnbart kettete die Handschellen des Grünhaarigen an die Wand.

„Nein, da wollte ich eigentlich hin, aber man hat mich hierhin versetzt.“

„Echt jetzt? Seit wann macht die Verwaltung denn sowas? Hast du keine Familie?“

Einen Moment lang wurde es still um die beiden, während der Koch sich entnervt fragte, warum die Weiß-Hemden ihre Kennen-lern-Runde nicht irgendwo anders verrichten konnten. Dann schüttelte der Junge mit der Zahnlücke und den schwarzen Haaren.

„Nur mein Vater, aber der ist selber nie zu Hause.“

„Auch bei der Marine?“

„Natürlich, Kapitän Moor, er selber hat dafür gesorgt, dass ich hier hin komme und nicht zur G8, weil er sagte, dass Navarone als Ausbildung zu ruhig und die Vorgesetzten zu lasch sind.“

 „Da hat er nicht ganz unrecht, aber hier auf Senichi ist, um ehrlich zu sein, nicht wesentlich mehr Betrieb.“, meinte Kinnbart gelangweilt und kratzte sich den Kopf, wobei er beinahe diese lächerliche kappe verlor.

„ Ja, das hab ich mir auch gedacht und dann fang ich hier an und kaum zwei Tage später passiert mir das Beste, was einem für die Karriereleiter passieren kann. Erst lässt der Vizeadmiral den ganzen Schmugglerring um Colpo Carcere aufliegen und dann fängt er auch noch eigens die Strohhutpiraten! Man! Und ich war selbst dabei. Und zu allem Überfluss treffe ich dann auch noch auf den legendären Homura, den besten Schwertkämpfer der Marine. Ich bin so froh, dass ich hierhin gekommen bin!“

„Man, ich beneide deine jugendliche Begeisterung. Für mich waren das die anstrengendsten Tage, die ich je erlebt habe. Das war echt kein Zuckerschlecken und ich hab fünf Kinder, ich weiß wovon ich rede. Diese Bande hat es uns echt nicht leicht gemacht und wir mussten die gesamte Schmuggelware rein schleppen, ich hab immer noch Muskelkater.“

Schlösser klackten und Ketten klirrten, während sie lachend dem scheinbar ohnmächtigen Piraten auch die Füße fesselten.

„Wir haben noch was Zeit bis zum Abendessen. Der Vizeadmiral hat erlaubt, dass man sich auch die anderen der Strohhutbande angucken kann. Kommst du mit?“

Der andere schüttelte den Kopf.

„Nein danke, ich muss mir das nicht nochmal antun. Mir reicht es, wenn ich mich während der Arbeit mit denen beschäftigen muss. Aber ich komm bis zu den Umkleiden mit dir.“

Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss, sperrte beinahe das gesamte Licht aus. Nur das kleine Guckloch in der Tür verbannte ein bisschen die Dunkelheit. Gedämpft hörte man immer noch die Stimmen der beiden Soldaten, die sich über das Kantinenessen beschwerten.

 Erschöpft ließ Sanji den Kopf sinken. Dankbar, dass die beiden Waschweiber endlich seine Zelle verlassen hatten. Ihr Geschwafel hatte ihm bereits Kopfschmerzen beschert, ihr Gerede klang so unbedeutend in seinen Ohren. Was würde er jetzt nur für eine Zigarette geben. Schon mehrere Tage war er nun auf Entzug und obwohl es besser wurde, vermisste er den beruhigenden Geschmack des Nikotins. Wieder einen Abend ohne Nahrung, wie gerne würde er in dieser verdammten Kantine essen gehen, Beine ausstrecken und sich mit ein paar anderen unterhalten als mit dem Spinatschädel. Nun würden wieder Stunden vergehen, Stunden, in denen er nichts tun konnte, außer auf die Marinesoldaten zu warten und zu hoffen, dass in dieser Zeit keiner seiner Nakama getötet wurde. Wenn sie nicht schon längst tot waren.  

„Das hast du ja wieder mal toll hingekriegt, Marimo!“, ließ er seinen Frust am anderen aus. Dieser schien ganz interessiert seine Fesseln zu inspizieren.

„Na wenn du meinst.“

Wütend starrte der Koch der Strohhutpiraten den allzu lebendigen Grünschopf an.

„Ja, das meine ich! Du hast doch gehört was der Dicke gesagt hat. Übermorgen ist die Gefangenenübergabe. Das ist unsere einzige Möglichkeit zu fliehen. Aber anstatt dich ruhig zu stellen und Kräfte zu sammeln, legst du dich bei jeder sich bietenden Chance mit diesem verfluchten Leutnant an und schaffst es auch noch jedes Mal, dass man uns das Essen verwehrt. Warum musst du die ganze Aufmerksamkeit auf dich lenken? Sie sollten uns unterschätzen aber nur weil du ein kompletter hirnamputierter Vollidiot bist…“

„Halt mal die Luft an Gemüseschnibbler.“

Obwohl der Schwertkämpfer ihn unterbrach, würdigte er ihn immer noch keines Blickes.

„Auf keinen Fall! Du bist im Inbegriff unsere Flucht zu gefährden. Ist dir das denn egal?“

„Nein, aber…“

„Aber was? Bist du so gerne Einrichtungsgegenstand der Marine, dass du nicht mehr Pirat sein möchtest.“

Der andere antwortete nicht.

Übel gelaunt blickte der Koch zu ihm hinüber und seufzte. Er hasste es, wenn der Spinatschädel ihn nervte. Er hasste es noch mehr, wenn der Spinatschädel ohne nachzudenken handelte. Aber am allermeisten hasste er es, wenn diese Amöbe mitten im Streit aufgab. Er konnte es absolut nicht haben, wenn der andere sich einfach so besiegen ließ, dann war dieser Sieg nichts wert. So wollte er nicht gewinnen. Außerdem fing er dann wirklich an sich Sorgen zu machen. Vielleicht hatte der Leutnant sein Crewmitglied am Ende doch gebrochen.

„Okay, also dir ist das alles nicht egal, du willst unsere Flucht aber trotzdem behindern weil…?“

Die grünen Augen sahen ihn ernst an, er wirkte überhaupt nicht so, als hätte er aufgegeben, seine Worte jedoch verhießen nichts Gutes.

„Ein Fluchtversuch bei der Gefangenenübergabe wäre sinnlos.“

„Wieso?“, fragte er geschockt.

Das war der ideale Augenblick! Man würde sie alle aus den Gefängniszellen nach draußen führen um sie dort einem Marineschiff zu übergeben. Es war die beste Gelegenheit die sie hatten und nebenbei bemerkt auch die einzige. Der andere blickte zur Tür.

„Du hast es doch mitbekommen. Sie bereiten sich darauf vor. Alle Soldaten des Stützpunktes werden in höchster Alarmbereitschaft sein, denn nicht nur die Piraten werden ausgeliefert, sondern auch dieser Schmuggler-König und außerdem…“

Zoro benetzte die trockenen Lippen, er schien nervös.

„würde die ganze Crew überhaupt nicht fliehen können.“

Überrascht sah der Koch den Schwertkämpfer an.

„Wie meinst du das?“

Der Angesprochene schluckte ehe er weiter sprach.

„Nicht alle Mitglieder unserer Piratenbande sollen übergeben werden. Nur diejenigen, denen ein besonderer Strafprozess vor der Weltregierung bestimmt ist. Also Franky, Robin, ich und natürlich Ruffy. Alle anderen werden hier vom Kommandanten der G6 verurteilt, dem Vizeadmiral Hakkai.“ 

Bis auf das stetige Tropfen, welches in den hohlen Wänden der Zelle wiederhallte, wurde es still. Dem Koch fiel das Atmen schwer. Sein Blick war leer auf den grauen Boden zu seinen Füßen gerichtet. Er brauchte eine Zigarette, dringend.  Die letzten Tage hatte er so viel nachgedacht, hatte auf diesen einen Tag gehofft, hatte nicht aufgegeben und jetzt?

„Woher willst du das bitte schön wissen?“

„Ich habe einiges aufgeschnappt, was die unachtsamen Wachen haben fallen lassen. Man redet hier viel.“

Der Grünschopf klang ruhig, als wüsste er genau was kommen würde. Leise klirrten die Ketten, doch der Koch blickte nicht auf.

„Das heißt also, dass wir erledigt sind? Wir haben keine Chance mehr? Es ist vorbei?“

Einen Moment lang konnte Sanji nur die Ketten des anderen hören, die immer wieder aneinander stießen und kalt wie Eis klangen.

„Und wieder liegst du falsch.“

Der Kopf des Koches ruckte nach oben. Zorro hatte alle seine Aufmerksamkeit auf die gefesselten Hände über seinem Kopf gerichtet und wirkte nun nicht mehr ganz so trostlos wie noch vor wenigen Sekunden.

„Du hast absolut Recht, wenn du sagst, dass wir hier raus müssen, Koch. Aber natürlich können wir nicht solange warten, bis der ganze Stützpunkt sich auf eine Auseinandersetzung vorbereitet hat.“

Ein leises Klacken war zu hören und der Schwertkämpfer grinste breit.

„Ab morgen wird hier reger Betrieb herrschen und man wird mit einem Ausbruch rechnen, deshalb…“

Die Handschellen fielen auseinander.

„haben wir jetzt ein Zeitfenster von ungefähr zwei Stunden, ehe man uns nach dem Abendessen wieder besuchen wird, um abzuhauen.“

Fassungslos sah der Blondschopf dabei zu, wie der andere seine Fußketten löste, aufstand und sich ausgiebig streckte.

„Aber wie…?“

Immer noch grinsend wie ein Honigkuchenpferd kam der andere auf ihn zu, hob triumphierend einen kleinen Schlüsselbund in die Höhe und sah ihn von oben herab an.

 „Manchmal hat unsere Gewitterziege von Navigatorin doch ein paar ganz schöne Tricks auf Lager. Den ein oder anderen habe ich mir notgedrungen abgeguckt.“

Das erste Mal seit Tagen konnte der Koch sich komplett aufrichten und frei bewegen. Es tat so gut, trotz der verspannten Muskeln, trotz der angeknacksten Rippe und dem immer noch verstauchten Fußgelenks. Er genoss jedes Ziepen und Stechen, endlich war er wieder Herr seines Körpers. Dann sah er den andern an.

„Und was jetzt? Wir können doch nicht einfach ziellos durch die Basis laufen und hoffen die anderen zu finden bevor wir auffliegen. Sofern sie überhaupt noch alle leben.“

fügte er kleinlaut hinzu. Zorro, welcher ihm den Rücken zugewandt hatte um die Tür im Auge zu behalten, nickte kaum merklich.

„Sie leben noch.“ Mehr sagte er nicht.

„Und woher weißt du das denn schon wieder?“

Doch abermals antwortete der Ältere nicht sofort und Sanji spürte wie er große Lust bekam ihn am Kragen zu packen und zu schütteln, wie der Marineoffizier es vor wenigen Minuten noch getan hatte, um endlich ein paar Worte aus diesem Dickkopf rauszukriegen.

„Also?“, fragte er bestimmt ruhig.

„Ich weiß es.“

Das war‘s.

Der Koch zwang sich langsam zu atmen, aber alles was er wirklich wollte, war den anderen zu erwürgen.

„Sonst hätte das Fußvolk was davon erzählt, ich war der einzige, mit dem sie Probleme hatten, mit Ausnahme natürlich von deinem Berserker-Moment vor ein paar Tagen.“

Eine Sekunde sah Sanji den Rücken des anderen wirklich überrascht aber auch beschämt an, erinnerte sich an seinen Tiefpunkt, als die Lust nach Nikotin, die Verzweiflung um die Freunde und die Sehnsucht nach Freiheit ihn überrannt hatten. Dann wurde ihm bewusst, dass sie keine Zeit hatten sich über so was zu streiten  und um in Erinnerungen zu schwelgen, also machte er einen Schritt in Richtung Tür und legte dem anderen eine Hand auf die Schulter.

 „Also Klartext jetzt: Was machen wir?“

Langsam drehte sich der ehemalige Piratenjäger zu ihm um. Er schien tief in Gedanken versunken und angestrengt nachzudenken, eine Seite die man nur sehr selten von ihm sah und die eigentlich immer ein Grund zur Beunruhigung darstellte. Dann hob er den Blick und sah den Koch unvermittelt an ehe er sprach.

„Ich habe einen Plan.“

Er ließ sich mit jedem Wort Zeit, als würde er ganz bedacht wählen, was er sagte.

„Er ist ziemlich heikel. Aber er müsste funktionieren.“

Mit neuem Mut packte der Smutje den Unterarm des Älteren.

„Na super, rück schon raus damit, wie lautet er?“

Doch erneut reagierte der andere nicht sofort. Seine Augen waren auf seinen Unterarm und Sanjis Hand gerichtet.

„Vertraust du mir?“, fragte er leise.

„Wie bitte?“

Der Jüngere legte die Stirn in Falten und hob verwirrt die gekringelten Augenbrauen an. Selbstzweifel waren dem zukünftigen besten Schwertkämpfer der Welt doch sonst so fremd. Was verunsicherte ihn?

„Vertraust du mir, dass ich einen Plan habe um alle hier raus zu holen?“

Es war eine ernste Frage, dass war dem Koch nun bewusst. Es war kein Spiel, wie so oft zwischen den beiden, nein. Die Situation war viel zu ernst und jetzt wurde ihm bewusst, dass diese Flucht ihr einziger Weg war um zu überleben. Wenn sie geschnappt wurden, würde man sie wahrscheinlich hinrichten und wenn sie hier in der Zelle blieben würde zumindest ein großer Teil von ihnen zum Tode verurteil werden.

Er nickte.

„Klar, du hast zwar absolut keinen Orientierungssinn und den schlechtesten Geschmack in Sachen Mode, aber wenn es um unsere Crew geht vertraue ich dir hundert Prozent, Marimo. Wir werden sie beschützen!“

Endlich blickte der andere ihn wieder an. Dann nickte auch er.

„Gut, dann komm! Lass uns mal die anderen holen!“

 

Mit einem Ruck wandte sich der Ältere zur Tür und fing an die verschiedenen Schlüssel am Bund auszuprobieren. Der Koch stellte sich neben ihn und schielte durch das kleine Guckloch den Gang hinunter. Es war das erste Mal, dass er hinter die dunklen Wände der Zelle sehen konnte. Als sie damals gefangen genommen wurden, war er bewusstlos gewesen. Ein gezielter Schlag auf den Hinterkopf war schuld gewesen und hatte seinen Kamp unerwartet beendet.

Erst jetzt sah er, wie hell es auf der anderen Seite war. Ähnlich wie der Stein aus dem Wände und Boden der Zelle bestanden, war auch der Flur mit einem gräulich-gelben Stein gefliest, ebenso die Decke. Die Wände waren mit hellem Holz verkleidet, was er äußerst unklug fand angesichts der ungeschützten Kerzen, die den Gang hinunter leuchteten, anstelle von modernen Lampen. Bis auf einige Fässer, die im Flur im Weg standen, war nichts Ungewöhnliches zu sehen.

 „Was hast du denn jetzt vor?“, versuchte er es erneut und dieses Mal gab der Schwertkämpfer auch endlich ein brauchbare Antwort.

„Den Gang hinunter, den Soldaten von eben hinterher und dann in die Umkleidekabinen.“

Sanji nickte nur. Er mochte überhaupt nicht, wie der andere sich verhielt. So ernst, so nachdenklich und so verflucht unsicher. Er war noch verschwiegener als sonst und das mochte schon was heißen. Doch wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass sie sich auch selten in so einer ausweglosen Situation wie gerade befanden. Vielleicht war dies die Art des Schwertkämpfers Ruhe zu bewahren. Wahrscheinlich war er genauso nervös wie Sanji.

Ein leises Klacken bezeugte, dass Zorro endlich den passenden Schlüssel gefunden hatte. Ein kurzer Blickwechsel, dann öffnete er die Tür. Jetzt würde ihre Flucht erst wirklich beginnen.

 

Immer noch war niemand zu hören oder zu sehen. Unschlüssig schaute der Koch sich einen Moment um.

„Also, du hast gesagt, den Soldaten hinterher, also nach rechts. Hast du nicht gehört du Idiot? Rechts!“

Mit ausgestrecktem Arm zeigte er in die genau andere Richtung als die, in die Zorro unterwegs war. Sanji raufte sich die Haare, diese Flucht würde anstrengender werden als erwartet. Er schloss die Zellentür, aus der sie gerade entkommen waren und ging schnurstracks dem anderen hinterher, packte ihm am Arm und zog ihn mit sich. Mit jedem Schritt hörte er ein leises Platschen und als er zum Boden blickte, stellte er fest, dass der ganze Gang von ihrer Zelle an hinunter mit einer klaren Flüssigkeit bedeckt war, diese floss langsam den Flur hinab und schien von den Fässern zu kommen. Unwichtig! Er stürmte weiter, undichte Fässer der Marine waren gerade sein kleinstes Problem. Doch der dickköpfige Schwertkämpfer riss sich los und folgte ihm nur langsam, was wirklich entnervend war, da jederzeit ein Marinesoldat um die Ecke kommen konnte.

Der Koch eilte an einer Zelle nach der anderen vorbei. Sie alle waren rechts vom Flur und alle waren sie dunkel und leer. Hinter sich konnte er immer noch die Schritte des Grünspans hören, wodurch er zumindest wusste, dass dieser ihm noch folgte. 

„Wo soll denn dieses Umkleidezimmer sein?“

Er hatte die Frage noch nicht beendet, als er das erste Mal eine Tür in der linken Wand des Flures sah. Anders als die Zellen hatte sie kein Guckloch.

„Das muss es sein.“

Leise huschte er auf die eine Seite der Türe, während Zorro zu ihm aufholte und die andere übernahm. Eine Sekunde sahen sie sich einvernehmlich an, dann nickte der Schwertkämpfer  und drückte leiste die Klinke hinunter.

Mit einem sanften Quietschen schob er die Tür auf und offenbarte einen dunklen Raum, der offensichtlich von niemanden gerade benutzt wurde. Wie zwei Schatten glitten die beiden Piraten hinein. Zu seiner Linken hörte Sanji ein Klacken und Sekunden später wurde die Umgebung von zwei uralten Glühbirnen erhellt, eine der beiden flackerte immer wieder.

Der Raum für sich war zwar altmodisch aber groß. An der gegenüberliegenden Wand war ein opulenter Einbauschrank eingelassen. Zu ihrer linken war eine weitere Tür aus Milchglas, die wahrscheinlich zu Waschräumen führte. An der rechten Wand waren zwei Waschbecken mit Spiegel sowie ein paar Regale und ein alter Kühlschrank, der unerbittlich vor sich hin wummerte. In der Mitte stand ein gewaltiger Tisch mit ein paar bunt zusammengewürfelten Stühlen. Die verschlissene Tischdecke war unter lauter Büchern, Spielkarten und anderem Krimskrams begraben. Alles in diesem Marinestützpunkt schien alt aber funktional zu sein. Ähnlich wie der Vizeadmiral selber, nur die einfachen Soldaten konnten dies offenbar nicht wertschätzen.

Mit einem leisen Knarren zog der Schwertkämpfer die Tür hinter ihnen zu und drehte den Schlüssel um. Dann schritt er am Koch vorbei, riss eine Tür des Schrankes auf und fing an darin rumzuwühlen.

„Geh dich waschen!“, murrte er, ohne aus den Tiefen des Holzes aufzutauchen.

„Ja Mama.“, erwiderte der Smutje gereizt, ehe er in den anderen Raum eilte. Zu gerne hätte er dem anderen eine passende Antwort geliefert, aber sein Wunsch nach Körperhygiene war einfach größer. Doch den Luxus vom warmen Wasser konnte er nur kurz genießen. Sie hatten keine Zeit für einen ausschweifenden Badespaß.

Sekunden später kam auch der Schwertkämpfer hinzu, zog sich schnell aus, entfernte die verdreckten Bandagen um seinen Torso und begnügte sich, im Gegensatz zu Sanji, mit einer Katzenwäsche. Einen Moment lang beobachtete der Koch den anderen.

Auch Zorro sah ziemlich mitgenommen aus. Seine komplette linke Seite schimmerte in einem dunklen Blau, welches zu den Seiten hin sich in grün und gelb ausfaserte. Die Wunde war nur notdürftig von einem Arzt der Marine behandelt worden, einige Nähte waren aufgeplatzt und dort konnte man gelbliches Fleisch sehen, welches offensichtlich entzündet war. Der Bereich um die Rippen schien arg geschwollen und den vorsichtigen Berührungen zufolge auch sehr schmerzempfindlich. Die anderen kleineren und größeren Verletzungen, die über den muskulösen Körper verteilt waren, schienen nicht besonders problematisch.

„Wenn wir hier raus sind, solltest du Chopper mal einen Blick darauf werfen lassen.“

Der andere warf ihm einen Blick über die Schulter zu, sagte jedoch nichts, woran der Koch sich langsam gewöhnte. Die mürrische Alge schien heute noch wortkarger als sonst zu sein. Nach der notdürftigsten Reinigung, die insgesamt keine zwei Minuten in Anspruch genommen hatte, begutachtete der Koch seine zerlumpten und dreckigen Klamotten während er seinen Blondschopf trocken rubbelte.

„Zieh die auf dem Tisch an!“, befahl der andere, welcher ohne auf eine Antwort zu warten in ein kleines Zimmer neben den Duschen verschwand.  Es passte ihm ganz und gar nicht, dass der Marimo ihm sagen wollte, was er zu tun hatte. Aber wenn er so seinen müffelnden Anzug betrachtete hatte er keine andere Wahl. Wütend auf sich selbst schwor er sich, dem anderen seine herrische Art in den nächsten Tagen heimzuzahlen, sobald sie hier raus waren.

Im Hauptraum lagen auf den Stühlen tatsächlich zwei komplette Uniformen der Marinesoldaten, einschließlich Halstuch und Kappe. Sogar Stiefel, Socken und Unterwäsche waren entsprechend der Farbkombination vorrätig. Verdutzt begutachtete der Koch das Outfit ihrer Feinde, zuckte schließlich mit den Schultern und begann sich anzuziehen.

„Wozu diese Klamotten?“, fragte er den Schwertkämpfer, der nun ebenfalls hinzukam, einen sauberen Verband halbherzig um den Oberkörper gewickelt, und die andere Uniform beanspruchte.

 „Willst du etwa nackt rumlaufen? Tu dir keinen Zwang an.“, erwiderte er knapp ohne aufzublicken.

Wütend riss Sanji sich das Hemd über den Kopf, doch ehe er dem anderen eine passende Antwort entgegen schmettern konnte sprach dieser bereits weiter.

„Wir fallen viel weniger in diesen Sachen auf, als wenn wir in unseren vor Dreck und Blut triefenden Kram durch die Gegend laufen.“

Der Koch nickte widerwillig während er sich das Halstuch um den Nacken band.

„Und woher wusstest du, dass hier niemand sein würde? Der eine Typ wollte doch hierhin.“ Der Schwertkämpfer setzte sich hin um die Stiefel zu schnüren.

„Die nehmen hier ihren Tagesablauf unglaublich wichtig. Aufstehen, Aufgaben erledigen und am allerwichtigsten: Die Essenszeiten. Jetzt sind alle beim Abendessen, sonst gibt’s hier schnell Ärger.“

Sanji lachte leise. „Fast wie auf Navarone.“

„Schlimmer.“, grinste auch der andere zustimmend. Dann warf er dem Koch eine Tasche zu.

„Pack da unsere Sachen rein, wenn die jemand hier sieht, fliegen wir sofort auf.“

„Warum machst du’s nicht, Marimo?!“, widersprach er aufbrausend.

„Weil ich den Plan habe.“, antwortete der andere ohne ihn groß anzusehen, sich an den Kopf klopfend.

Vor sich hin grummelnd sammelte Sanji zügig alle Klamotten auf und entsorgte auch noch schnell die dreckigen Handtücher und Bandagen in einer dafür vorgesehenen Klappe. Je weniger Spuren sie hinterließen, desto besser. Als er wieder in den Hauptraum kam, stellte er fest, dass Zorro aus dem Krempel vom Tisch, Stift und Zettel gefischt hatte und nun wie wild darauf herum kritzelte. Einen Moment wollte er ihn unterbrechen, aber dann sah er wieder diesen konzentrierten Gesichtsausdruck und er wusste, dass er ihm gerade einfach nur vertrauen musste.

Während der Schwertkämpfer sich als Schriftsteller übte wurde der Koch doch langsam nervös. Sie waren nun schon über zehn Minuten in diesem Raum, der keine zweihundert Meter entfernt von der Zelle war, aus der sie gerade erst ausgebrochen waren und er hatte keine Ahnung was auf sie zukam. Ihm missfiel es, dass der andere ihn nicht in den Plan einweihte. Es war außerdem wirklich seltsam, dass ausgerechnet der Muskelhirni eine Strategie zusammengedacht hatte. Normalerweise war er eher der durch-die-Wand-Typ, und dann auch noch diese Klamotten, für ihn war es unmöglich zu sagen, was der Schwertkämpfer sich zusammen gereimt hatte. Ruhelos durchquerte er den Raum und ging zum immer noch hart arbeitenden Kühlschrank. Als er ihn öffnete stellte er überrascht fest, dass zwar alle möglichen Getränke vorhanden waren, aber absolut nichts, was nach fester Nahrung aussah. Einen Moment betrachtete er nachdenklich den Inhalt.

„Was machst du denn da? Wir haben keine Zeit fürs Essen, heb dir das für später auf, Kartoffelschäler!“

Überrascht drehte er sich um und knallte den Kühlschrank zu, während der andere ihm die Tasche aus der Hand riss und den halbgeöffneten Reisverschluss entnervt zuzog.

„Du bist doch der, der die Zeit mit Liebesbriefen verbringt, Spinatschädel!“

Er erwartete eine Reaktion des Schwertkämpfers, die sie sicher zum Kampf führen würde, aber zu seiner Überraschung hob Zorro nur kurz die Hand, als müsste er sich noch die passende Antwort überlegen, und dann drehte er sich einfach zum Ausgang.

„Dafür haben wir jetzt echt keine Zeit. Los komm!“

Ohne auch nur auf eine Antwort zu warten, drehte er den Schlüssel um und öffnete die Tür.

Vor ihnen standen drei Soldaten. Der Mittlere von ihnen war eindeutig irgendein Anführer, da er die Brust, auf der zwei Orden thronten, selbstbewusst rausgestreckt hatte.

„Soldaten!“, sprach er eine Spur zu laut und Sanji  rutschte das Herz in die Hose. Man hatte sie entdeckt!

„Warum sind Sie nicht beim Abendessen?“

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Panisch überlegte er eine gute Ausrede, doch bevor er den Mund aufmachen konnte stieß der Mann neben ihm mit einem lauten Klacken die Versen aneinander und salutierte.

„Tut mir leid, Sir. Ich bin heute erst aus Navarone hierhin versetzt worden, Sir. Und der Vizeadmiral hat mir die Freiheit gegeben, mir die gefangene Strohhutpiratenbande anzusehen. Mein Kamerad hier ist so nett mich hinzuführen. Ich hoffe das ist in Ordnung, Sir?“

Sanjis Kinnlade klappte auf als er den ehemaligen Piratenjäger in Marineuniform reden hörte. Seine Tonlage war deutlich höher als sonst und er klang beinahe aufgeregt, er hatte den Blick gesenkt, als wäre er ehrfürchtig. Wieder ein Talent mehr, welches er seinem Kamerad nicht zugetraut hatte. Erst der Diebstahl, dann der Plan und nun auch noch das. Konnte es Teil seiner Strategie sein?

Schnell reagierte er selber, schloss den Mund und salutierte ebenfalls. Was der Spinatschädel konnte, konnte er schon lange.

„Wir haben das Abendessen früher beendet, Sir. Um später wieder pünktlich auf unseren Posten zu sein, Sir. Tut mir leid, Sir.“

Einen Moment lang betrachtete der Ordensträger die beiden, ehe er dann leicht lächelte.

„Ich verstehe. Machen Sie weiter.“

„Aber Sir?“, meldete sich einer der beiden Soldaten zu Wort.

„Das ist doch gegen die Vorschriften.“

Doch der Anführer winkte ab.

„Vizeadmiral Hakkai liebt es seine Sammlungen zur Schau zu stellen. Lassen sie unserem Neuankömmling den Spaß. Passen Sie gut auf ihn auf…“

„ Kenren, Sir.“, antwortete Sanji ohne groß nachzudenken.

„Kenren. Gut. Nur noch eine Sache.“ 

Der Ordensträger machte einen Schritt vorwärts, direkt vor den Schwertkämpfer, der einen halben Kopf kleiner war und nicht den Kopf hob. Sanji konnte sehen, dass Zorro schwer schluckte, die Kappe tief ins Gesicht gezogen um möglichst alle grünen Haare zu verbergen.

„Ihr Halstuch, Soldat. So geht das nicht.“

Die Ohrringe des verkleideten Kadetten klimperten leicht, als der größere Mann ihm das Tuch richtete.

„Und ich weiß ja nicht, wie das in Navarone ist, aber hier tolerieren wir Auswüchse von Provokation und Rebellion nicht. Sie sollten diese Merkmale kindischer Ignoranz so schnell wie möglich entfernen.“

Der Schwertkämpfer salutierte.

„Natürlich, Sir. Sie haben Recht, Sir. Danke Ihnen, Sir!“

Der Angesprochene trat einen Schritt zurück und lächelte wohlwollend. Großzügig wie ein Kaiser winkte er.

„Schon gut, nun geht und labt euch an den Freuden der Gerechtigkeit.“

Erneut salutierend und Kopf nickend entfernte sich die beiden heimlichen Piraten, wobei Sanji den Grünschopf zwei Mal davon abhalten musste einfach in eine der Zellen zu laufen. Wie funktionierte dessen Orientierungssinn eigentlich? Die Kisten und Fässer die im Flur rum standen, vereinfachte die Sache nicht. Immer wieder hörte er, wie der andere gegen eine lief oder beim Vorbeigehen mit der Tasche eine zu Boden warf.

„Hör auf damit“, knurrte er ihn an und nahm ihm schließlich die Tasche ab, doch es half nur für einen kurzen Moment. Sanji konnte nur beten, dass Sir Ordensträger nicht misstrauisch wurde durch all den Tumult. Doch anscheinend folgte er ihnen nicht.

Nach einigen weiteren hundert Schritten blieb Zorro schließlich stehen und beendete auch seine Stolperfahrt hinter ihm. Einen Moment schloss er die Augen und entspannte sich, auch Sanji atmete erleichtert aus und ein kleines Grinsen stahl sich auf seine Lippen.

„Meine Güte, das hätte ja ganz leicht ins Auge gehen können.“

Der Schwerkämpfer nickte nur.

„Aber ich wusste gar nicht, dass du ein so guter Marinesoldat bist, Gefreiter Lorenor.“

Er erntete nur einen abwertenden Blick, dann ging der andere weiter.

„Mensch, was ist denn los mit dir? Normalerweise gehst du doch keinem Streit aus dem Weg.“, beschwerte er sich.

„Später Sanji, später versprochen, aber jetzt muss ich nachdenken.“,  kam es nur abwesend.

„Schon wieder?“ 

„Halt einfach mal die Klappe, Schnitzelklopfer!“ 

Einen Moment schwiegen sie, während Zorro anscheinend die Gefängnistüren zählte. Gegenüber einer Zelle zu ihrer Rechten war der Eingang zu einer großen dunklen Treppe, die aus dem gleichen Stein gehauen war, wie der Boden, auf dem sie liefen, aber es fehlte an Holz und Kerzen.

„Die da.“ und mit diesen Worten stürmte der Grünschopf auf eine Zelle zu und zog den Schlüsselbund aus seiner Hose.

„Was tust du denn da?“, zischte der Koch und stürzte neben den anderen Piraten und hielt Ausschau. Problemlos öffnete sich die knarrende Tür und Sanji folgte dem anderen wieder zurück in eine Zelle.

Nach dem hell erleuchteten  Flur war das Dämmerlicht in der Zelle nicht ausreichend, so dass Sanji kaum etwas erkennen konnte.

„Schon wieder ihr Landratten. Noch mal, ich will nichts essen und ich werde nichts über meine Kumpel verraten.“

Der Koch schloss zur Sicherheit die Tür, auch wenn er die Stimme sofort erkannte.

„Das hat ja auch keiner von dir verlangt.“, feixte der Schwertkämpfer.

„Aber das sind doch Zorro und Sanji.“

Endlich hatten sich seine Augen an die Dunkelheit beruhigt.

„Franky! Brook!“ Er konnte seine Freude gar nicht verbergen.

„Aber was habt ihr denn da an? Imagewechsel?“

Zorro grinste nur ehe er begann den Cyborg loszuketten, welcher sich gar nicht rühren konnte, da er rundum mit Stahlketten eingewickelt war.

„Wie kommt es eigentlich, dass du hier bist und nicht in einem Käfig aus Seestein, Brook?“ Der Koch war an der Tür stehen geblieben und beobachtete aus dem Guckloch den Flur, wobei er die nervige Kappe hochschieben musste, die ihm immer wieder im Weg war.

„Naja, niemand hier ist auf die Idee gekommen, dass ich von einer Teufelsfrucht gegessen haben könnte, sie dachten alle ich wäre ein Dämon, und da sie nicht gefragt haben…“ Das Skelett zuckte entschuldigend mit den Achseln ohne den Satz zu beenden.

Franky stand auf und reckte sich, die blauen Haare hingen ihm ins Gesicht.

„Also wie schaut’s aus? Was ist der Plan?“, fragte er und sah aufgeregt zwischen dem Koch an der Tür und Zorro hin und her, welcher gerade das andere Crewmitglied befreite. Dann richteten sich auch die beiden auf.

Einen Moment lang blickte der Schwertkämpfer jeden einzelnen Anwesenden an ehe er sprach.

„Also. Wir machen es so: Ihr drei müsst die Treppe gegenüber dieser Zelle bis nach ganz unten nehmen, dort ist der unterirdische Hafen der Basis und irgendwo da ist auch die Sunny. Die müsst ihr holen. Gerade sind noch alle beim Abendessen, deswegen sollte dort nicht so viel los sein wie sonst. Aber natürlich werden dort auch Wachen sein. Soweit klar?“

Alle nickten einstimmig. Es war eine Flucht, da gab es nicht so viel zum Diskutieren.

 „Gut, ich werde währenddessen die anderen befreien und dann zu euch stoßen.“

„Halt warte mal.“, sprach Sanji dazwischen.

„Ich gehe hier nicht ohne Robin und Nami weg, ist das klar?!“

Der Schwertkämpfer seufzte.

„Ehrlich jetzt? Koch, das ist jetzt echt nicht der richtige…“

„Nein, hör mir zu. Alleine verläufst du dich nur in diesem Irrgarten. Ich komme mit und gehe sicher, dass meinen beiden Damen nichts passiert.“

Entnervt fuhr Zorro sich durch die Haare und fing dabei seine Kappe auf, die beinahe zu Boden segelte.

„Wie sieht’s aus ihr zwei, schafft ihr das auch alleine?“

Brook nickte eifrig doch, Franky schien nicht ganz so überzeugt und zog die Stirn in Falten.  

„Sollte schon gehen, aber kämpfen wird schwierig, die Batterien sind alle.“ Mit diesen Worten öffnete er seinen eingebauten Kühlschrank.

„Und der da ist noch ganz klapprig vom Kampf.“, ergänzte er und nickte zum Skelett hinüber das entschuldigend die Hände hob.

„Kein Problem.“, warf Sanji dazwischen, bevor Zorro überhaupt etwas sagen konnte, und zog die Tasche hervor. Mit einem breiten Grinsen öffnete er den Reisverschluss und zauberte mehrere Flaschen Cola und auch eine gefüllt mit Milch herbei.

„Wir haben an alles gedacht.“

„Super!“

Während er die Flaschen seinen Crewmitgliedern reichte konnte der Koch den überraschten Blick des anderen sehen. Ja, der Mooskopf war nicht der einzige, der mitdenken konnte, dann lächelte jener doch tatsächlich. Langsam bekam Sanji es wirklich mit der Angst zu tun, der andere war ihm heute wirklich unheimlich.

„Okay, dann haben wir das ja geklärt. Wenn ihr auf der Sunny seid, nehmt nicht den Hauptausgang. Folgt der Kanalisation, die wird gerade renoviert, oder so was, weil sie nicht breit genug für die großen Kriegsschiffe der Marine ist, aber ihr solltet durch passen. Irgendwo in der Kanalisation werden die anderen auf euch warten. Klar soweit?“

Alle nickten, wobei der Koch sich immer mehr fragte, wie der andere an all diese Informationen gekommen war. Hatte er das wirklich nur durchs Zuhören sammeln können? Hatte er deshalb die Soldaten immer gereizt, damit sie möglichst viel Zeit in ihrer Zelle verbringen würden?

„Gut, hier, da steht alles nochmal drauf.“

Mit diesen Worten reichte er Brook einen der Zettel die er eben beschrieben hatte.

 „Und wenn euch Kisten oder Fässer auf dem Weg begegnen, schmeißt sie um, macht sie kaputt. Nehmt auch ein paar mit euch auf die Sunny und werft sie unterwegs hinter euch ab, okay?“

Wieder nickten die beiden.

„Aber warum…?“

„Und du Koch.“, unterbrach er dessen Einwand sofort.

„Du nimmst auch die Treppe. Zwei Etagen unter uns müssten die Zellen aus Kairōseki sein. Dort sind Ruffy, Chopper und Robin. Mit einem der Schlüssel vom Bund müsstest du die Tür öffnen können, und das hier sind die Schlüssel von den Handschellen.“ Er zog drei schwere Schlüssel hervor, an jedem prangte eine Nummer.

„Wo hast du die denn her?“, wunderte sich nicht nur das Skelett.

„Vom Leutnant natürlich. Aber egal. Koch, sag ihnen sie sollen runter in die Kanalisation. Da müsste irgendwo eine andere Treppe runter gehen, sie sollen auf keinen Fall die gleiche nehmen, die ihr runter gekommen seid. Am besten gehst du mit Ihnen. Ruffy ist mit Sicherheit schwer verletzt und ich weiß nicht wie es um die anderen beiden steht. Hier auf dem Zettel steht alles drauf. Und denkt ja an die Kisten.“

Mit jedem Wort war die Stimme des Schwertkämpfers hektischer geworden.

„Aber was ist mit…“

„Wir haben keine Zeit. Wir müssen jetzt los!“

In diesem Augenblick wurde klar, dass Zorro keine Diskussion zulassen würde. Er hatte sich etwas in den Kopf gesetzt, er hatte einen Plan um sie alle rauszuholen und in diesem Moment mussten die anderen drei einfach darauf vertrauen, dass er wusste, was er tat. Sie nickten einstimmig. Er drückte Sanji einen weiteren Zettel in die Hand und nahm ihm wieder die Tasche ab.

„Nur für den Fall!“, murmelte er dunkel.

Der Koch schloss die Tür auf und öffnete sie. Es war immer noch keine Menschenseele zu sehen. Er fragte sich wirklich, wie es sein konnte, dass man beinahe ungesehen hier langlaufen konnte. Auf der anderen Seite hatte der Schwertkämpfer vielleicht Recht, während der Nachtschicht herrschte natürlich immer die höchste Alarmbereitschaft, doch die letzten Stunden davor, waren die kurz vor Schichtende, wenn man müde wurde und nur noch etwas Vernünftiges essen wollte, ehe man zu Bett ging.

Gemeinsam mit Brook und Franky stürmte er zur Treppe hinüber und die Stufen hinab ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen. Sogar hier standen überall solche Kisten verstreut, als wäre dem Stützpunkt die Lagermöglichkeit ausgegangen. Im Rennen versuchte er zu lesen, was auf diesen komischen Zetteln stand, doch die krakelige Schrift des Schwertkämpfers, zusammen mit dem eiligen Tempo mit dem er die Stufen hinunter jagte und dem mangelnden Licht, gestalteten dies als sehr schwierig.

Nach wenigen Sekunden war ihm bewusst, dass die ersten zwei Zeilen den Plan bis zu diesem Moment enthielten, weiter kam er allerdings nicht, da er beinahe von einem Fass überrollt wurde, welches Franky hinter ihm zu Boden geschmissen hatte. Wenige Stufen vor ihm zerbarst es schließlich und ein schwarzes Pulver kam zum Vorschein.

Doch der Koch hatte keine Zeit sich damit auseinander zu setzten.

„Hier muss ich raus!“ rief er den anderen zu, winkte kurz und nahm den Ausgang. Ohne auf eine Reaktion seiner Mitstreiter zu warten jagte er den Flur hinunter. Dieser sah fast so aus, wie der, aus dem er gerade gekommen war, mit dem Unterschied, dass hier nur noch sehr wenige Kisten rumstanden. Doch die eine Seite war nicht mit Holz verkleidet, sondern gänzlich aus Metall und der Koch musste nicht raten um zu wissen um was für eines es sich handelte.

Im Gegensatz zu dem Zellentrakt wo er und die anderen drei gefangen genommen waren, gab es hier nur sehr wenige Türen, welche in das Metall eingelassen waren. Doch sie alle standen offen und entblößten den Blick auf riesige eiserne Käfige, die in die Wände eingebaut waren. Diese alte Burg schien echt nicht viele Gefangene zu haben, mit Ausnahme natürlich von ihnen selber und dieser Schmugglerbande, von der er bisher aber noch niemanden gesehen hatte.

Die ersten paar Türen, die er passiert hatte, entblößten nur karge Räume. Wie die Augen eines toten Tieres verfolgten sie den Koch, der so schnell er konnte weiter rannte, wobei sein verdammter Knöchel wieder zu pulsieren begann. Er konnte den Eingang zur Treppe kaum noch erkennen, als er endlich die erste geschlossene Tür entdeckte, doch ein Blick hinein verriet ihm sofort, dass es sich nicht um seine Freunde handelte.

Einer der Gefangenen registrierte wohl seinen Schatten im Guckloch, denn er begann augenblicklich mit Schimpfwörtern und Verwünschungen um sich zu werfen, bis er heiser wurde. Sein Krächzen und die leeren Augen des Gemäuers jagten dem Blondschopf eine Gänsehaut über den Rücken und er wünschte sich gerade wirklich sein Jackett zurück, während er sich die Kappe tiefer ins Gesicht zog und an seinem Hemdärmel zupfte. Gerade fragte er sich, ob er vielleicht in die falsche Richtung gelaufen war, als er eine weitere geschlossene Tür vorfand. Vorsichtig lugte er hinein.

Wut  und Trauer ballten sich in seinem Magen. Seine Hand lag zitternd gegen die Tür gepresst. Schwer schluckte er. Auf der anderen Seite der Tür konnte er seine drei Crewmitglieder sehen. Gegenüber vom Eingang lehnte die wunderschöne Nico Robin an der Wand. Doch ihr Anblick erfüllte den Koch mit unsagbarem Hass auf die Marinesoldaten.

Sie hatte den Kopf zur Seite gelehnt, so dass man ihr bezauberndes Gesicht unter dem dunklen Haar nicht erkennen konnte, doch sie war offensichtlich in einem schlechten Zustand. Die Hände waren hinter ihrem Rücken, wahrscheinlich gefesselt. Ihr einst wunderschönes Kleid war dreckig und durch viele Risse ruiniert. Die nackten Schultern zeigten blaue Flecken, ebenso wie Beine und Arme. Sie schien ungewöhnlich blass, was aber auch am mangelnden Licht liegen konnte.

Neben ihr lag der Kapitän der Strohhutpiraten. Er hatte die Augen geschlossen. Viel mehr konnte der Koch nicht über ihn sagen, da sein kompletter Körper eingepackt war in Bandagen, welche schon lange in dem Müll gehörten. Bis auf seine kaputte blaue Hose war er nackt aber ebenfalls gefesselt. Auch den geliebten Strohhut konnte er nirgendwo entdecken. Er hatte die Augen geschlossen und sein Brustkorb hob sich kaum merklich. Aber immerhin, er lebte.

Auf der anderen Seite vom schwarzhaarigen Jungen hockte das kleine Rentier. Er schien zu schlafen, eingerollt wie ein kleines Kätzchen, Ruffys Hand mit einem seiner kleinen, gefesselten Hufe festhaltend. Sein Fell schien ebenfalls dreckig und überall klebte getrocknetes Blut, ob es seins war konnte der Koch nicht sagen.

Mit einem langen Seufzer zog Sanji den Schlüsselbund hervor, es war wirklich Zeit, dass sie hier rauskamen.

Hinter sich konnte er Schritte hören, doch noch war keiner zu sehen. Schnell steckte er den ersten Schlüssel ins Schloss, den zweiten, den dritten, den vierten! Endlich! Er riss die Tür auf, stürmte herein und schloss sie schnell hinter sich. Ein leises Klacken bestätigte ihm, dass das Schloss wieder verriegelt war. Die Gefangenen vor ihm reagierten nicht, er selber hatte jedoch das Augenmerk auf den Flur hinter der Tür gerichtet. Die Schritte wurden nun von Stimmen begleitet, die gedämpft auf der anderen Seite der Wand waren. Mit einem Mal wurde das Guckloch kurz verdunkelt ehe es wieder aufhellte. Dann wurden die Schritte wieder leiser.

„Ach, hallo Küchenchef. Es tut gut dich zu sehen.“ Er drehte sich um.

„Robin.“

Sie saß immer noch auf dem Boden, aber nun lächelte sie schwach.

Der Ausbruch - Teil 2

Der Ausbruch – Teil 2

 

Einen Moment sah er den anderen zu, wie sie zur Treppe stürmten, dann eilte er den Gang entlang. Betend, dass er nicht doch auf einen misstrauischen Soldaten traf, ging er weiter, zerstörte weiterhin Kisten und Fässer, die im Weg waren.

Endlich erreichte er eine Treppe. Er wusste nicht, ob es die gleiche war, die die anderen zwei Etagen unter ihm runter nehmen würden, aber er entschied, sie so schnell wie möglich hochzusteigen, ehe diese verfluchten Stufen wieder verschwinden konnten. Es war nicht sein mangelnder Orientierungssinn, wie die liebestolle Küchenschabe immer wieder behauptete, es war einfach so, dass Gegenstände und Wege sich bewegten oder einfach verschwanden. Er wusste genau, wo er hin musste.

Die Stufen hinauf gestalteten sich schwieriger als gedacht, an laufen war nicht zu denken. Fluchend hielt der Schwertkämpfer seine Seite, jeder Schritt brannte und riss an den kaputten Nähten. Ihm war wirklich nicht bewusst gewesen, dass es bereits so schlimm war. Der verdammte Koch hatte Recht, sobald er hier raus kam, musste er fachgemäß versorgt werden. Falls er hier raus kam, dachte er bitter. Er hatte solange gewartet, wie er nur konnte um so viele Informationen zu sammeln wie möglich, aber mehr Zeit hatten sie nicht, mehr Zeit hatte er nicht.

Und auch, wenn er es nie zugeben würde, Zorro war dankbar, dass der Koch entschieden hatte ihm bei der Befreiung der anderen zu helfen, das ersparte ihnen wichtige Minuten. Im Falle des Falles hatte er ihm aufgeschrieben was zu tun war. Im Falle des Falles würde er auf den Koch vertrauen müssen. Vielleicht würden sie es wirklich schaffen. Vielleicht würde sein Fluchtplan tatsächlich gelingen.

Schwitzend erreichte er das Erdgeschoss, zum ersten Mal seit Tagen konnte er Tageslicht durch die gesicherten Fenster erkennen. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt und der Himmel verdunkelte sich stetig.

Mit immer schlimmer pochender Seite lief der Schwertkämpfer den Flur hinunter, als dieser sich jedoch teilte blieb er planlos stehen. Damit hatte er nicht gerechnet. Niemand hatte erwähnt, dass es zwei Wege gab. Wütend blickte er sich um, der Gang hinter ihm war leer, bis auf die zum Meer gerichteten Fenster, der Gang vor ihm hatte zusätzlich einfache Holztüren zur anderen Seite. Der Weg zu seiner Rechten hatte auf beiden Seiten Türen, jedoch viel weniger. Hier hingen auch keine Kerzen, sondern moderne Lampen, wie in anderen Marinestützpunkt auch.

Gerade wollte er einfach loslaufen, als eine Tür vor ihm aufklappte. Eine üppig bestückte Soldatin betrat die Bildfläche. Ihr dunkelrotes Haar fiel in einem langen Pferdeschwanz über ihre Schulter, wie schimmerndes Blut bedeckte es ihre Brust. Ihre Uniform schien im Großen und Ganzen zu kurz und zu eng. Sie betrachtete ihn einen Moment, ein abfälliger Ausdruck auf ihrem Gesicht. Dann seufzte sie und schlug die Tür hinter sich zu.

„Wieder ein Neuling.“ Versteinert sah der verkleidete Pirat die Frau an.

„Ihr seht alle gleich aus, wenn ihr hier ankommt, verloren und verschwitzt. Seid weder die harte Arbeit noch die große Verantwortung gewohnt, die auf euren Schultern lastet.“

Langsam kam sie auf ihn zu während sie mit herablassender Stimme sprach.

„Du wirkst aber schon was alt um gerade erst bei der Marine anzufangen.“

Er schluckte ehe er eine entnervte Miene aufsetzte.  

„ Ich bin kein Neuling, allerdings bin ich erst vor wenigen Tagen hierhin versetzt worden. Und tut mir leid, dass ich mich beeile, wenn der Vizeadmiral mir einen Befehl gibt.“

Überrascht sah sie ihn einen Moment an.

„Ich hab das Gefühl, dich schon mal irgendwo gesehen zu haben.“ flüsterte sie beinahe. Ihre braunen Augen verengten sich als würde sie Gefahr wittern. Verflucht!

Natürlich war es ein Wunder, dass ihn noch niemand erkannt hatte, schließlich prangte sein Gesicht auf einem Steckbrief. Allmählich wurde es eng. Und das auch wortwörtlich, denn sie stand direkt vor ihm und blickte zu ihm herauf. Ihr Vorbau berührte beinahe seinen Bauch.

„Hast du mal auf der G5 gearbeitet?“

Er schüttelte leicht den Kopf.

„Nein, nur in Navarone, tut mir leid.“

Sie betrachtete ihn immer noch so misstrauisch.

„Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe einen Auftrag.“

Er schritt, so zackig er konnte, an ihr vorbei.

„Warte mal.“

Seine rechte Hand klammerte sich um die verdammte Tasche. Was wollte diese blöde Kuh nur noch von ihm?

„Wo musst du denn überhaupt hin?“

Mit einem gezwungenen Lächeln drehte er sich um, ignorierte seine pulsierende Seite.

„Zum Waffenlager wo die Sachen der Strohhutpiraten und der Schmugglerbande verstaut sind.“

Ein neugieriges Blitzen erfüllte ihre Augen. „Ach, wozu das denn?“

Gereizt versuchte er ruhig zu bleiben.

„Ich soll etwas für den Vizeadmiral holen. Er will es bei der Gefangenenübergabe mitgeben. Kannst du mir zeigen wo ich lang muss?“

Plötzlich lächelte sie. Vielleicht weil er nun auch angefangen hatte sie zu duzen.

„Klar, einfach den Gang da runter, dritte Tür.“

„Danke.“

Damit eilte er den Gang hinunter.

„Warte! Hast du mir überhaupt zugehört? Das ist die falsche Richtung!“

Bevor er es überhaupt verhindern konnte, war sie neben ihm,  hatte seine freie Hand gepackt und stürmte den anderen Gang entlang. Er konnte kaum ein Grunzen verhindern, als der Ruck an seinem Arm die komplette Seite entlang riss, doch zu seinem Glück bemerkte sie es nicht. Sie schritt vor ihm her, voller Tatendrang.

„Ich bin echt froh, dass du kein Neuling bist. Die Anfänger sind oft so großspurig. Fangen hier an und denken, sie seien die Auserwählten, die die Welt verändern werden, zu gut für die niedere Arbeit eines Marinesoldaten. Aber so einer scheinst du nicht zu sein. Ach ich bin übrigens Yaone. Wie heißt du denn?“ Ihre Stimme war wie ein Wasserfall und es riss ihn regelrecht aus seinem Trott, als sie aufhörte zu sprechen. Verlegen warf er sich die Tasche über den Rücken.

„Ähm, mein Name ist Konzen.“

Sie lachte leise. „Sicher? Du hörst dich nicht sehr überzeugend an.“

Er lächelte schwach ohne darauf einzugehen. Langsam aber sicher überforderte ihn die Rolle des Kadetten.

„Ah, wir sind da. Bitteschön.“

Mit einem triumphalen Grinsen schleuderte sie die schwere Holztür vor ihnen auf und offenbarte ein beträchtliches Waffenarsenal.

„Danke.“ sagte er erneut und ging an ihr vorbei.

Sie folgte ihm zu seinem Missfallen in den Raum.

„Und was sollst du holen?“ fragte sie beinahe unschuldig während sie einzelne Schwerter vor sich genauer begutachtete.

„Darf ich nicht sagen, Geheimnis! Und Yaone…“

„Ja?“ sagte sie und richtete sich auf.

„Tut mir leid.“

Mit einem gezielten Schlag brachte er sie zu Boden, fing sie im letzten Moment auf. Einen Augenblick lang betrachtete er ihr ausdrucksloses Gesicht. Sie war jung, viel jünger als sie sich gab, sie wirkte so unschuldig. Er hatte keine Wahl. Mit einem Ruck stand er auf und hob sie hoch. Legte ihren schlappen Körper hinter einigen mit Gold gefüllten Säcken ab. Warf einen leeren Leinensack über sie. Das Gold hätte Nami gefreut, aber darüber dachte er nicht nach.

Es wurde unglaublich kalt um ihn, als er die Tasche vor sich auf einen Tisch stellte und mit schnellen Schritten die wertvollsten Schätze, die er kannte darin verpackte. Sie waren alle hier, seine drei Schwerter, die für ihn das Wichtigste waren auf der Welt, nun ja, das zweitwichtigste, Lyssops seltsame Waffe Kabuto, Namis Klima-Taktstock und Brooks Spazierstock mit der versteckten Schwertklinge. Zu seiner Überraschung fand er in einem Regal sogar Choppers Rucksack, Lyssops komische Brille, eine Geige, die möglicherweise auch dem Skelett gehörte und ein ihm nur zu gut bekannter Strohhut. Mit äußerster Vorsicht verstaute er alles zwischen den zerrissenen Lumpen, die bereits in der Tasche waren.

Entschieden schloss er den Reißverschluss und zog die nun gut gefüllte Tasche vom Tisch, dabei fiel ihm ein kleiner Gegenstand auf, den er zuvor übersehen hatte. Mit einem Grinsen steckte er den Gegenstand in die Hosentasche.

„Dämliche Kringelbraue.“

Erneut warf er einen Blick zu der versteckten Soldatin. Er würde in die Hölle kommen, davon war er schon immer ausgegangen. Wenn es tatsächlich einen Gott gab, dann hatte er, Lorenor Zorro, schon zu viele Menschen auf dem Gewissen um auf Vergebung hoffen zu können und es wurden gewiss nicht weniger. Er war kein guter Mensch, das war ihm bewusst. Er hatte zwar seine eigenen strengen Prinzipien, aber im Grunde war er nicht besser, als der Abschaum, für den ihn dieser Leutnant Sanzo hielt. Vielleicht hatte er nicht das Recht darauf glücklich zu werden, das konnte wahrlich sein, aber er würde alles dafür geben, dass die, die ihm wichtig waren, glücklich werden konnten und wenn er dafür ein Ungeheuer werden musste, dann war ihm das sowas von egal. Hauptsache er konnte sie beschützen.

Er biss die Zähne aufeinander und verließ das Waffenarsenal. Er musste sich beeilen, Lyssop und Nami fehlten noch. Er rannte los, die Tasche über der Schulter und die Hände zu Fäusten geballt. Nach wenigen Minuten wusste er jedoch nicht mehr wo er war, allerdings begegnete er auch niemandem. Plötzlich bebte die Erde unter ihm. Sekunden später konnte er ein anhaltendes Sirren vernehmen. Ein boshaftes Grinsen glitt über seine Züge.

Es hatte begonnen.

Eine Tür nach der anderen riss er auf, bis ihm bewusst wurde, dass er nicht in einem Zellen-Trakt war. Doch was er fand, war mindestens genauso gut. Mit eiligen Schritten durchquerte er den Raum.

„Ach Langnase, du hattest Recht. Ich verspreche, ich werde mich nie mehr über diesen langweiligen Mist beschweren, mit dem du uns immer nervst. Gib mir noch ein paar Minuten, dann hol ich dich und die Gewitterziege da raus.“

 

Mit zittrigen Händen öffnete er ihre Fesseln.

„Wie geht es dir Robin-Schätzchen?“ Sie lächelte leicht und rieb sich ihre Handgelenke.

„Jetzt, da du da bist, deutlich besser, Sanji. Ich hatte um ehrlich zu sein nicht mehr an einen Fluchtversuch geglaubt. Nicht nachdem ich gehört habe, dass nur vier von uns dem Hauptquartier übergeben werden.“

 „Woher weißt du das, Robin?“ murmelte der Koch, während er zum schlafenden Rentier hinüberglitt. Dass der Schwertkämpfer das aufgefangen hatte, war eine Sache, aber woher konnte sie diese Dinge erfahren haben? Mit vorsichtigen Bewegungen richtete sie sich auf, erst jetzt wurde dem Blondschopf bewusst, dass sie keine Schuhe mehr anhatte, die Art wie sie ihren linken Fuß entlastete, schien auch dieser verstaucht.

„Der Vizeadmiral hat es mir gesagt. Er kam nach wenigen Tagen bei uns vorbei für eine kleine Unterhaltung. Er wirkte sehr nett.“

Sanji nickte nur und rüttelte vorsichtig an den Schultern ihres jüngsten Crewmitgliedes.

„Hey, Chopper wach auf.“

Verschlafen öffneten sich die müden Knopfaugen, dann wurden sie groß.

„Lass mich in Ruhe, du fieser Marinesoldat!“

Mit beeindruckender Kraft stieß das kleine Geweih den vermeintlichen Feind von sich und der junge Arzt kam wenige Meter entfernt aufrecht zum stehen.

„Chopper, beruhig dich. Ich bin‘s, Sanji.“

Mit einem entschuldigenden Lächeln zog er die Kappe ab. Einen Moment lang wurde er einfach nur vom anderen angesehen.

„Sanji!“

Dann kam er schreiend auf ihn zugelaufen und sprang ihm in die Arme. Seine kleinen gefesselten Hufen drückten gegen seine Rippen, nahmen ihm die Luft, während er fast auf ihm saß.

„Chopper, geh runter von mir!“

Sekunden später löste er auch dem Rentier die Handschellen, wobei er zuerst den falschen Schlüssel benutzte. Der Doktor schien überglücklich, dass der Koch bei ihnen in der Zelle war, doch als dieser sich über ihren Kapitän beugte um auch dessen Hände zu befreien, wurde er wieder ernst.

„Seit wir hier sind, ist er nicht aufgewacht. Die Ärzte hier haben gute Arbeit geleistet, aber ich durfte ihn nicht versorgen und der Seestein schwächt ihn noch zusätzlich. Es ist ein Wunder, dass er noch lebt. Sie haben ihn zwei Mal operieren müssen“

Sanji nickte traurig.

„Der Mooskopf hat sowas in der Art erwähnt. Der Kampf scheint ziemlich heftig gewesen zu sein.“

Wieder verfluchte er sich, dass er sich so leicht hatte ausschalten lassen. Robin ließ sich neben ihm niedersinken, immer noch lächelte sie, aber diesmal war es nur eine Farce, selbst für den Koch offensichtlich.

„Es war wirklich schlimm. Unser Kapitän und der Schwertkämpfer haben bis zum Ende gekämpft, aber gegen diesen Vizeadmiral und seine Soldaten hatten selbst sie keine Chance.“

Es wurde ruhig um die Crewmitglieder. Alle waren sie einen Moment in ihre eigenen Gedanken versunken. Sanji hatte die Hände auf seinem Schoß zu Fäusten geballt. Die Wut über seine eigene Unfähigkeit war wie ein Fußtritt ins Gesicht.

„Du trägst keine Schuld, Küchenchef.“

Überrascht blickte er auf. Mitfühlend lag der Blick der Archäologin auf ihm.

„Wir alle waren machtlos. Es waren zu viele und sie waren zu stark.“

Er nickte erneut.  Dann atmete er tief durch.

„Nun gut, noch sind wir ja nicht verloren. Ruffy ist zwar zurzeit außer Gefecht, aber wohl nicht in Lebensgefahr, oder?“

Chopper nickte zuversichtlich.

„Ich denke, mit ein bisschen Medizin und etwas zu Essen sollte er bald wieder aufwachen:“

„Sehr gut.“

Sanji spürte neuen Mut in sich hochsteigen.

„Also, der Marimo und ich haben einen Plan.“

Alle Aufmerksamkeit lag auf ihm. Umsichtig zog er den kleinen Zettel hervor, den der Schwertkämpfer ihm in die Hand gedrückt hatte.

„nur für den Fall!“

Er fragte sich immer noch, was der Spinatschädel damit nur meinen konnte. Ein Blick auf die Zeilen bestätigte ihn nur in dem, was er schon wusste.

„Es ist überraschend simpel. Naja nicht wirklich, es war die Idee vom Säbelrassler. Franky und Brook sind dabei die Sunny zu holen. Wir müssen die nächste Treppe bis nach ganz unten in die Kanalisation nehmen, dort werden sie uns aufsammeln. Die anderen drei stoßen dann später zu uns, okay?“

Sie nickten zustimmend.

„Was ist, wenn die beiden es nicht schaffen sollten, unser Schiff sicher in die Kanalisation zu manövrieren?“

Die Frage der Schwarzhaarigen war berechtigt, doch sie brachte den Koch aus dem Konzept, denn soweit hatte er nicht nachgedacht. Eilig durchlas er die nächsten Zeilen auf dem Blatt.

„Wenn das wirklich der Fall sein sollte, sollen wir zu Fuß die Kanalisation durchqueren und uns in den angrenzenden Bergen verstecken und auf eine andere Möglichkeit warten.“

Robin lachte leise.

„Scheint nicht wirklich durchdacht zu sein.“

Panisch blickte der kleine Arzt zu ihr hinauf.

„Aber es scheint, als hätten wir keine Wahl. Uns bleibt nur diese Option. Alles oder nichts.“ fügte sie weiterhin lächelnd hinzu. Sanji nickte ernst.

„Wir haben nur diesen einen Versuch, das ist wahr. Auf den Weg nach unten sollen wir möglichst viele Kisten zerstören.“

„Kisten?“ fragte Chopper nach.

„Ja, irgendwelche Schmugglerware, was er damit bezweckt habe ich noch nicht ganz verstanden.“

„Dürfte ich den Zettel kurz haben?“

„Natürlich.“

Er reichte Robin den Papierfetzen und sah zu, wie sie schnell die Zeilen überflog. Offensichtlich hatte sie kein Problem damit, die Handschrift des Schwertkämpfers zu entziffern. Sie las anscheinend sogar das, was noch darunter stand, was Sanji selbst noch nicht geschafft hatte. Ihre Stirn zog sich in Falten und ihre Lippen bildeten eine dünne Linie. Der Koch wollte sie gerade fragen, was sie so beunruhigte, als ein Erdbeben die Zellenwände erschütterte.

„Was…?“ sprach die schöne Frau genau das aus, was sie alle dachten ohne ihre Frage zu beenden, doch der Koch war bereits aufgesprungen und zur Zellentür geeilt.

Nicht weit entfernt konnte er Stimmen und lautes Fußgetrampel hören, alles aus der Richtung, aus der er eben gekommen war. Doch die Soldaten kamen nicht näher und er konnte niemandem im Flur sehen. Und dann wurde es ihm bewusst. Was wenn auf Franky’s Zettel etwas anderes gestanden hatte als auf seinem? Was wenn dort gestanden hatte, dass sie ein Ablenkungsmanöver starten sollten, sobald sie auf der Sunny waren?

„Wir müssen jetzt los!“ rief er den anderen zu.

Mit einem Satz waren sie auf ihren Beinen und zu Sanjis Verwunderung veränderte der kleine Arzt seine Form zu der des beharrten Riesens und hob vorsichtig seinen Kapitän hoch. Erst jetzt konnte man wirklich erkennen, was Chopper alles abbekommen hatte. Doch er stand breitbeinig hinter Robin und nickte ernst.

„Wir sind startklar.“

Der Blondschopf nickte ebenfalls, zog sich die Kappe tief ins Gesicht und schloss die Tür auf. Mit einem dumpfen Knall stieß er sie auf. Jetzt waren die Soldaten besser zu hören, aber sie kamen immer noch nicht näher.

„Hier lang!“ befahl er und rannte den Gang hinunter, gefolgt von seinen Crewmitgliedern, fort von den Soldaten.

Zu ihrem Glück sollte der Schwertkämpfer wieder Recht behalten. Als der Koch um die nächste Ecke bog, konnte er am Ende eine kleine Tür sehen über der in verblassten roten Buchstaben das Wort EXIT prangte. Sie war nicht verschlossen. Sanji riss sie auf und ließ seine Kameraden vorbei. Das Treppenhaus war klein und im Gegensatz zum anderen nicht rund sondern eckig. Nur einzelne Öllampen spendeten hier noch Licht und der Stein von Stufen und Wänden schien abgewetzt und sehr alt. Doch entgegen der Voraussagungen des ehemaligen Piratenjägers war das Treppenhaus komplett leer. Wieder fragte er sich, was der Schwertkämpfer genau vorhatte, doch sein Körper war so voller Adrenalin, dass er gar nicht in Ruhe nachdenken konnte. Immer wieder sah er die Szenen der letzte Minuten, vielleicht konnten sie es wirklich alle hier raus schaffen, das war ja auch schließlich der Plan des Schwertkämpfers, oder nicht? Dann aber dachte er an die große Wunde, die dem anderen zugefügt wurde. Was wenn er sich selbst überschätzen würde? Was wenn er Hilfe brauchte um Nami, und auch um Lyssop, in Sicherheit zu bringen?

„Sanji, was ist denn?“

Überrascht blickte er zu Robin hinunter, ihm war gar nicht aufgefallen, dass er stehen geblieben war. Ernst sahen sie sich einen Moment an, dann nickte sie.

„Wir schaffen das schon.“

„Aber…“

„Tu, was du tun musst. Wir kümmern uns um den Rest!“

Mit diesen Worten rannte sie die Treppe hinunter, dem Doktor hinterher, der nicht einmal bemerkt hatte, dass die anderen zurückgefallen waren.

Sanj schluckte schwer.

„Danke Robin.“

Doch nur noch die kahlen Wände konnten ihn hören. Dann rannte er die Stufen hinauf.

Er wusste gar nicht genau, wohin er musste, aber er konnte sich fast denken, dass Nami und Lyssop nicht auf dem gleichen Flur gefangen waren, wie Franky, Brook, Zorro und er. Sonst hätten sie die beiden direkt auch befreit. Das bedeutete, dass sie mindestens eine Etage über ihnen gewesen sein mussten. Er spurtete die Treppe hinauf.

Auf einmal kamen ihm zwei Soldaten entgegen, doch sie schenkten ihm keine große Beachtung, zu eilig auf ihrem Weg nach unten. Sie hatten ihn kaum passiert, da wirbelte er herum und trat sie bewusstlos. Er hatte keine Möglichkeit sie zu verstecken, aber so konnte er wenigstens seinen drei Freunden etwas mehr Zeit verschaffen. Eine Etage später kamen ihm wieder Soldaten entgegen. Diesmal mehrere, zu viele, als dass er sie alle hätte aufhalten können. Wie eine einzige Welle stapften sie die steinernen Stufen hinunter. Einer mit besonders muskulösen Oberarmen blieb stehen und sah ihn wütend an.

„Soldat, du läufst in die falsche Richtung.“

Er schüttelte schnell den Kopf.

„Nein, Leutnat Sanzo hat mir aufgetragen, die Gefangenen zu überprüfen, meine Kollegen sichern in diesem Moment die Etage die ich gerade passiert habe.“

Der Soldat nickte nach einem Moment zustimmend ehe ein paar laute Stimmen von weiter unten ihn ablenkten. Abwesend nickte er erneut, sein Augenmerk lag jedoch längst nicht mehr auf dem verkleideten Piraten.

„Eine gute Idee, die Verbrecher im Erdgeschoss sind zwar nicht besonders gefährlich, aber nachdem der Alarm ausgelöst wurde, müssen wir besonders vorsichtig sein. Weitermachen!“

Sanji stimmte ihm kurz zu und rannte weiter. Wenigstens wusste er jetzt, wo er hin musste. Mit einem Satz sprang er die letzte Stufen hinauf, ignorierte wie immer seinen Knöchel und den Tumult der von den nach unten marschierenden Soldaten hoch wuchs, und stürzte ins Erdgeschoss. Für einen Atemzug stand er ruhig da. Ein leises Sirren erfüllte seine Ohren, vermutlich der Alarm. Der Gang vor ihm war verwüstet, die unverkennbare Spur des Schwertkämpfers. Im Lauftempo verfolgte er das Chaos.

Schließlich erreichte er eine Gabelung. Unschlüssig wägte er die beiden Möglichkeiten ab, beide Flure waren vollgestellt und in beiden Richtungen schien vorher ein Wirbelsturm gewütet zu haben. Doch dann nahm ein lauter Knall ihm die Entscheidung ab.

Er stürmte nach vorne. Er war noch nicht am Schauplatz angekommen, als er laute Stimmen hörte.

 „…dir ein mich so zu erschrecken?! Jetzt hilf mir gefälligst!“

Er bog um die nächste Ecke. Nur wenige Meter vor ihm war eine Tür aus der Verankerung gerissen und achtlos auf den Boden geschleudert. Ja, hier war er richtig.

„ Jetzt stell dich nicht so an, kannst froh sein, dass ich dich überhaupt hier raushole.“

hörte er die allzu bekannte murrende Stimme.

„Was soll das schon wieder bedeuten?“

„Nami, beruhige dich…“ erklang nun auch der Letzte im Bunde.

„Alles in Ordnung hier?“

Fast schon lässig lehnte er am Türrahmen und blickte seine übrigen Kameraden an.

Nami rieb sich gerade ihre wunden Handgelenke. Ihre Haare waren zerzaust, Rock und Top besudelt von Blut, doch es war offensichtlich nicht ihres. Ansonsten sah sie ziemlich unverletzt aus.

„Pass doch auf, du brichst mir die Arme!“

Sein Blick wanderte zum Lügenbaron, dessen Handfesseln vom Schwertkämpfer mangels Schlüssel einfach in zwei Hälften gerissen worden. Er sah schon deutlich mitgenommener aus. Die Nase war mit einem dicken Verband umwickelt, vermutlich gebrochen, er hatte viele kleine Schnittverletzungen am ganzen Körper, ähnlich wie Zorro. Ein besonders tiefer Krater lag direkt überm rechten Auge, quer durch die Augenbraue. Die beinahe schwarze Kruste warf einen dunklen Schatten über seinen Blick. Aber auch er wirkte noch sehr lebendig während er laut klagte.

„Stell dich doch nicht so an.“

Dann hatte der Grünschopf endlich die Fesseln durchrissen.

„Sanji!“ rief Nami freudig und auch Sanji war froh sie zu sehen. Ihnen ging es allen gut, ein verdammtes weiteres Mal hatte Zorro rechtbehalten. Dieser blickte ihn fast schon zornig an.

„Was tust du denn hier? Du solltest doch den anderen helfen?“

Er verschränkte die Arme.

„Und ich habe dir schon mal gesagt, ich gehe nicht, ohne zu wissen dass die graziösen Geschöpfe, über die ich zu wachen auserkoren wurde, in Sicherheit sind.“

Eine der beiden Grazien rollte mit den Augen. 

„Und was ist mir?“ rief Lyssop dazwischen.

„Ach du, ja du darfst auch mit.“

„Hey!“

„ Dazu haben wir jetzt echt keine Zeit!“ schritt der Schwertkämpfer dazwischen. Sanji fiel auf, dass der andere stark zu schwitzen schien. Atmete er nicht auch recht schwer?

„Zorro hat Recht.“ kam Nami nun auch dazu.

„Wir müssen hier weg und die anderen holen.“

Doch der Älteste von ihnen schüttelte den Kopf.

„Nein, die anderen sind hoffentlich schon in Sicherheit. Also kommt!“

Mit diesen Worten packte er die Tasche, die er neben dem Loch in der Wand abgestellt hatte und rannte los. Die anderen folgten ihm.

„Wo müssen wir hin?“ ächzte Lyssop hinter Sanji.

„Es gibt nur einen Weg.“ antwortete der Schwertkämpfer ohne ihnen wirklich eine Antwort zu liefern. Aber er schien die Wahrheit zu sagen, denn nach wenigen Minuten erreichten sie einen riesigen Innenhof.

Mittlerweile war es dunkel. Einzig und allein eine winzige Lampe in der Mitte des Platzes spendete etwas Licht, der Boden innerhalb der Lichtquelle schimmerte leicht, als hätte es bis vor kurzem noch geregnet.

„Hier nimm das!“ murrte der Grünspan und warf dem Koch die Tasche zu. Wütend fing dieser sie auf, doch dann stellte er erneut fest, wie blass der andere war und beschwerte sich nicht. Als sie über den Hof rannten schaute er sich wachsam um. Warum war niemand da?

Doch die Lösung bot sich schnell. Die Burg, die sich hinter ihnen auftat hatte nur drei Eingänge, einen Haupteingang, aus dem sie gerade gekommen waren, einer zu ihrer Rechten, wo eine lange Treppe einen Turm hinaufführte und einen zu ihrer linken, welcher vollgestellt war mit Kisten, Fässern und Säcken. Das offene Tor diente anscheinend nur noch als Abstellkammer. Dahinter konnte man laute Stimmen hören, von Soldaten, die sich gerade da durch kämpften. Die anderen stürmten vermutlich gerade aus den Kellern wieder empor, wo sie alle hingelockt worden waren.  Es gab nur ein Fenster, dass in den Innenhof blickte und dort, hinter diesem Fenster stand er und starrte sie direkt an. Der Vizeadmiral Hakkai!

Vor Ihnen lag nur noch ein riesiges stählernes Tor, welches nach oben gezogen werden musste und vermutlich mehrere Tonnen wog.  Während sie genau darauf zu rannten löste sich Zorro aus ihrer kleinen Gruppe und lief zu einem wuchtigen Koloss aus Stahl.

„Lauft durch das Tor und dann so schnell wie möglich zum Wasser. Die anderen werden euch da aufsammeln!“

Dann begann er das Ungetüm zu bewegen und das Tor ächzte unter der Last, als es einen kleinen Spalt unter sich frei gab. Hinter sich konnte Sanji Glas splittern hören und als er sich im Laufen umdrehte, sah er, wie der Vizeadmiral höchst persönlich aus dem Fenster gesprungen war, gefolgt von Leutnant Sanzo und noch zwei anderen Soldaten.

Die Lücke war nun knapp einen Meter hoch. Nami erreichte als erstes das Tor und rutschte drunter durch. Sanji war direkt hinter ihr, doch wieder zögerte er.

„Sanji, los mach schon!“

Für eine gefühlte Ewigkeit starrte er den Schwertkämpfer an, sah das Blut, dass an seiner Seite hinunter tropfte. Sah die Schweißtropfen auf seiner Stirn, das verzehrte Gesicht. Handelte bevor er nachdachte. Er ließ die Tasche fallen und rannte zum anderen.

„Lyssop!“ brüllte er. Der Angesprochene hob nur einen Daumen, packte im Laufen die Tasche vom Boden und folgte der Navigatorin.

„Was machst du da?!“ schrie der Schwertkämpfer ihn an.

„Ich kann es nicht mehr lange halten.“

„Ich weiß!“ antwortete er ebenso laut.“Ich lass dich nicht im Stich!“

Hinter ihnen konnte er immer mehr Soldaten laufen und rufen hören und auch der Vizeadmiral kam auf sie zu.

Das Tor knallte zu Boden. Keuchend ließ der Schwertkämpfer von der schweren Winde ab, die normalerweise von mehreren Dutzend Mann betrieben wurde.

„Hier.“ Überrascht blickte der Koch auf. Der andere hielt ihm fast schon wütend eine Zigarettenschachtel hin, während er schwer atmete und sich den Schweiß von der Stirn wischte. Mit zitternden Händen nahm er sie entgegen. Alles andere war in diesem Moment plötzlich unwichtig geworden. Sie hatten die Crew gerettet, hoffentlich. Mussten nun nur noch irgendwie selber fliehen, hinter ihnen eine Horde von Marinesoldaten, die sie schon im letzten Kampf nicht hatten besiegen könne. Aber alles was in diesem Moment zählte, war der lang ersehnte erste Zug an seiner geliebten Zigarette. Augenblicklich entspannte er sich.

„Kann ich mal Feuer haben?“ fragte Zorro ihn überraschend. Er wusste gar nicht, dass die Moosbirne rauchte.

„Klar.“

Verwirrt reichte er ihm sein Feuerzeug aus der Schachtel und hielt ihm auch eine Zigarette hin, doch der Schwertkämpfer ging an ihm vorbei, direkt in Richtung der Soldaten.

„Mach das Tor dicht!“

Es war ein eindeutiger Befehl. Er ließ keinen Widerspruch zu. Sanji sah ihn einen Moment von hinten an.

„Vertrau mir.“

Die magischen Worte des Tages und somit sprang er in die Luft und rammte seinen gesunden Fuß mit aller Kraft in die Winde. Er vertraute darauf, dass der Schwertkämpfer einen Plan hatte, denn gerade hatte er ihre letzte Fluchtmöglichkeit zerstört.

Vor ihm hatte der andere das Feuerzeug entzündet und hielt es ausgestreckt vor sich. Sein kalter Blick war auf den Vizeadmiral vor ihm gerichtet, welcher nur noch wenige Meter entfernt war und mit seiner Lanze zum Angriff ausholte.

„ Möge Gott euch gnädig sein.“

Beinahe sanft flüsterte Zorro, sodass der Koch ihn kaum hören konnte, dann öffnete er seine Hand und das kleine metallene Ding viel zu Boden. Wie in Zeitlupe beobachtete Sanji, wie riesige Flammen aus dem Boden empor schossen, während der Schwertkämpfer sich umdrehte, ihm am Arm packte und zum einzigen Ort lief, der nicht innerhalb von Sekunden vom Feuer eingekesselt war. Die Treppe zum Turm.

Hinter sich konnte er Männer schreien hören, das Knistern der Flammen wurde immer lauter.

„ Bleib bloß nicht stehen! Sieh nicht zurück!“ Doch zu spät.

Der komplette Innenhof stand in Flammen, überall brannten Menschen, sie schrien und krächzten. Ganz vorne konnte er den Vizeadmiral mit seiner Lanze erkennen, der verzweifelt versuchte sie zu verfolgen obwohl er selbst bereits brannte. Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Knall und eine enorme Druckwelle stieß den Koch die Stufen hinauf, schmiss ihn und seinen Freund zu Boden. Ein hohes Piepsen rang in seinen Ohren, sein Körper war unsagbar schwer, alles schien ganz langsam.

Er merkte kaum, wie er angeschrien wurde, wie der Schwertkämpfer ihm am Arm packte, ihn auf die Füße zog, seine Beine taten ihm unsagbar weh. Als er an sich hinab blickte, stellte er fest, dass Splitter aus Stein und Metall sich in seine Unter- und Oberschenkel gebohrt hatten. Blut tropfte zu Boden. Die Stufe auf der er gerade noch gestanden hatte war verschwunden, ein leeres Loch klaffte vor ihm. Dann sah er auf.

Die ganze Festung stand in Flammen. Langsam sackte das Hauptgebäude in sich zusammen. Überall hörte er Menschen schreien, klagend, leidend, sterbend. Wie in Trance wanderte sein Blick zum Schwertkämpfer, er hatte seine Kappe verloren und eine Platzwunde zierte seine Stirn. Blut lief die Wange hinab. Seine Augen waren gerötet, vermutlich durch die höllische Hitze, die dem Koch erst so allmählich bewusst wurde. Auch er war von den Splittern getroffen geworden, doch anders als Sanji, hatte es ihn überall erwischt. Sein ganzer Körper zeigte Fleischwunden auf, der rechte Unterarm war nahezu durchbohrt. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass der andere sich wahrscheinlich schützend über ihn geworfen hatte.

Mit einem Schlag kam er zurück.

„Was hast du getan?! Was passiert hier?! Was machen wir jetzt?!“

„Komm!“

War die einzige Antwort, die er erhielt. Eine Hand packte seinen Arm und zerrte ihn die Stufen hoch, soweit weg vom flammenden Inferno, wie nur irgendwie möglich, Blut tropfte seinen Arm hinab.

„Zorro?!“

Der andere sah ihn an.

„Später! Wir haben keine Zeit für Erklärungen!“

„Gibt es denn ein später?!“ schrie er, als sie das Ende der Treppe endlich erreicht hatten und auf die Plattform des Turmes eilten. Selbst hier leckten die Flammenzungen bereits an den Steinen. Der Schwertkämpfer sah ihn an.

„Ich habe getan was nötig war um alle zu beschützen.“ rechtfertigte er sich.

„Aber wie?!“

Der andere hetzte von einer Ecke des Turms zur anderen, hielt sich dabei die nun stark blutende Seite und hinkte mit jedem Schritt etwas mehr. Er amtete schwer, sein Brust hob und senkte sich zittrig.

„Du hast es doch gehört. Sie haben den Sprengstoff-Schmuggler höchstpersönlich gefangen genommen und alle Schmuggelware hier gelagert. Und rate mal woraus diese verdammte Burg besteht! Genau, aus Holz und Kalkstein, der Boden dieser Inseln ist voll davon.“

„Woher weißt du das alles?“

Doch der Schwertkämpfer reagierte nicht, er war stehen geblieben, hatte den Blick abgewandt und lächelte seltsam verträumt. Sanji eilte zu ihm und konnte durch den aufsteigenden Rauch ganz deutlich den Schatten eines kleinen Schiffs auf dem Meer erkennen.

„Sie haben es geschafft.“ flüsterte Zorro.

Der Koch sah ihn an.

„Und nun? Für uns ist es vorbei oder?“

Er meinte es so. Nicht vorwurfsvoll oder ängstlich, nein es war einfach nur eine Tatsache. Sie würden es nicht schaffen.

Langsam merkte er, wie das Adrenalin seinen Körper verließ und die Schmerzen seine Sinne berührten. Er hatte keine Ahnung, wie der Schwertkämpfer das alles angestellt hatte, aber er hatte es tatsächlich irgendwie geschafft die anderen zu befreien. Aber er hatte offensichtlich vergessen für sich selber einen Ausweg zu finden. Typisch für ihn, ganz typisch. Sie würden nicht fliehen, es war vorbei.

Der andere antwortete zunächst nicht, doch schließlich fragte er „Was ist dein Traum, Smutje?“

Verdutzt sah er den anderen an.

„Das weißt du doch, ich will den All Blue finden, aber warum…“

„Ein guter Traum. Wirklich ein wertvoller Traum. Ein Traum würdig um beschützt zu werden, ja würdig.“ murmelte der junge Mann nachdenklich. Im nächsten Moment packte der Ältere seinen Arm.

„Was tust du da?“

Der Schwertkämpfer grinste nur. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich alle hier raus holen werde.“

„Aber…“ 

„Vertraust du mir?“

Er nickte.

„Gut.“

Zorro zog ihn einen Moment ganz eng an sich. Es war fast, als würde er ihn in den Arm nehmen.

„Jetzt bist du an der Reihe. Beschützte sie! Aber werde kein Monster! Beschütze auch deinen Traum.“

Mit einem Ruck wurde Sanji herumgewirbelt. Einen Moment lang sah er nur das Gesicht des Schwertkämpfers, sah ein sanftes Lächeln auf den  blutigen Lippen, eine innere Ruhe in den strahlend grünen Augen. In diesem Moment war er wunderschön, verschwitzt und voller Blut. Der andere hatte ihm am Arm gepackt „Lebe, Sanji!“ und dann ließ er ihn los.

Die Luft um ihn herum war kalt und heiß. Dunkel und Grell. Immer wieder sah er Zorro, immer kleiner werdend und dann prallte er schließlich hart auf.

Doch der Untergrund ließ nach, langsam sank er ein. Es war kühl, fast schon kalt nach der Hitze des Feuers. Sein Körper brannte, Adrenalin durchpumpte seine Venen,  er wusste nicht, wo er war, doch er bekam keine Luft. Alles um ihn herum war dunkel und schwer. Jeder Muskel schrie und jede Wunde klagte. Wo war er?

 Wasser! Er musste unter Wasser sein! Er musste schwimmen! Starke Arme packten ihn, zerrten ihn nach oben. Er war also da, er war auch da. Ja, er hatte alle gerettet. Zum Glück.

Er durchbrach die Oberfläche. Kalte, reine Luft durchströmte seine Lunge. Er wurde getragen, konnte Stimmen hören und schließlich fiel er auf blankes Holz. Er hatte immer noch Wasser in der Lunge und hustete. Dann schaute er sich hastig um. Verschwommen nahm er war, wo er war. Es war eindeutig die Thousand Sunny und um ihn herum waren seine Freunde. 

„Wo ist er?“ fragte er gebrochen, während er immer noch Meerwasser aushustete.

„Da oben.“ hörte er eine ganz leise Stimme und dann sah er ihn. Er stand hoch oben auf dem Turm, einen Arm gen Himmel gestreckt, wie auch die zierliche Figur der Navigatorin. Beide grotesk entstellt vom Licht der Flammen.

„Nur für den Fall!“

„Das kannst du nicht tun!“ entkam es ihm, während er zur Rehling eilte, beinahe ins Wasser fiel.

 „Ein Traum würdig um beschützt zu werden.“

„Das kannst du doch nicht tun!“ schrie er. Seine eigene Stimme weit entfernt.

 „Beschütze sie!“  Er konnte das Lächeln immer noch vor sich sehen und dann zerbrach der Turm.

„Lebe, Sanji!“

Vor ihm zerfiel der Marinestützpunkt G6 und mit ihr starb er.

 

Er sah zu, wie der Koch im Meer nahe dem Piratenschiff einschlug. Er würde es schaffen, das wusste er, der andere musste es einfach schaffen. Um ihn herum wurde die Hitze immer unerträglicher. Langsam ging er zum Rand des Turmes, sah zu seinen Freunden hinab. Spürte wie sein Körper immer schwerer wurde und sich beißender Rauch in seine Wunden legte.

„Tut mir leid, Kuina. Ich konnte unseren Traum nicht verwirklichen. Aber was ist schon mein Traum im Verhältnis zu ihren?“

Es fiel ihm schwer zu atmen. Hinter sich konnte er Schreie hören. Sterbende Menschen. Ja er war ein Monster geworden. Um seine Freunde und deren Träume zu beschützen hatte er all das losgelassen, was aus ihm einen Menschen machte. Seine Ehre, seinen Stolz, seinen Traum. Er bereute es nicht, während er den Arm in den Himmel stieß, als Zeichen des Sieges, der Hoffnung, der Freundschaft.  Für sie würde er jederzeit zum Dämon werden. Um sie zu beschützen würde er alles geben, denn dies war seine Aufgabe als Crewmitglied.

Er wusste, dass er vielen guten, vielen unschuldigen Menschen gerade das Leben genommen hatte, wusste wie viel Leid es so vielen weiteren noch bereiten würde.

Er meinte die Schreie seiner Freunde zu hören, aber vielleicht war das auch nur Einbildung.

Er war nun ein Ungeheuer, er hatte das Recht verwirkt glücklich zu werden. Die Flammen leckten an seinen Schuhsohlen, umarmten seine Taille. Ein nie gefühlter Schmerz durchdrang seinen Körper, doch schreien konnte er nicht da die Hitze sich ihren Weg in seine Kehle bahnte, als plötzlich der Boden unter ihm nachgab.

Es war ein würdiger Tod für ihn, ja, nicht würdig dem eines Ehrenmannes, aber würdig eines Monsters, würdig eines Dämons. Vielleicht hätte er überlebt, wenn er nicht alles aufgegeben hätte, vielleicht wäre er dann noch er selbst, aber dann hätte er die anderen nicht beschützen können und wenn er ehrlich war, war genau das seine Pflicht geworden.

Den Aufprall auf dem Boden merkte er nicht mehr, seine eigenen Schreie und seine brennende Haut spürte er nicht mehr, die schmelzenden Ohrringe und das glühende Haar nahm er nicht mehr war.

Vor seinem inneren Auge sah er die Dinge, die ihm wichtig gewesen waren. Kein Gott konnte ihm gnädig sein, er würde nie in Frieden ruhen, aber das war egal.  Er hatte nie um Schutz gebeten, nie um Milde. Er wusste, dass er alles ertragen konnte, alles aushalten konnte, das war sein Weg gewesen. Aber sie lebten, das war alles was zählte.

Ach, was wäre gewesen, wenn…

 

 

Kapitel 1 - Der Fund

Kapitel 1- Der Fund
 

Es war dunkel.

Niemand war zu sehen und bis auf die ruhigen Wellen des Meeres, die langsam gegen das kleine Boot schlugen, war es still. Mit einem leisen Seufzen betrachtete er die kleine Insel vor sich. Er kannte sie gut und er wusste, dass sich auch in den letzten drei Monaten wenig verändert haben würde. Wie jedes Mal, wenn er hier zu Besuch kam.

Mit entschiedenen Schritten eilte er den Steg entlang. Das Holz knarzte unter seinen Schuhsohlen. Ein kalter Wind umarmte ihn, riss an Hut und Mantel. Es war ein Frühjahrswind. Er mochte die Jahreszeiten auf dieser Insel. Das einzige, was er wirklich noch ihr zugutehalten konnte. Egal was passierte, diese Insel würde immer so bleiben, wie in den letzten Jahren und mit ihr würden die Jahreszeiten kommen und gehen.

Während er am Hafen entlang ging, konnte er noch weitere kleine Boote erkennen. Hauptsächlich die von Fischern. Das ein oder andere sah fremd aus, vermutlich von seereisenden Händlern. Ein kurzer, breiter Weg aus hellen Pflastersteinen führte ihn fort vom Meer ins Innere dieser Landschaft. Trotz der Dunkelheit wusste er genau, wo er hin musste, seine Füße kannten den Weg von alleine.

Nach einigen Metern erreichte er schließlich den Rand des Dorfes. In einzelnen Häusern war manches Fenster noch hell und strahlte eine gewisse Wärme aus, ein paar Straßenlaternen spendete noch etwas Licht.

Zielstrebig passierte er den großen Marktplatz. Zu seiner nicht gerade berauschenden Verwunderung, war der Brunnen in der Mitte des Platzes ausgetrocknet. Wahrscheinlich ein kleiner Weltuntergang für das verschlafene Völkchen hier.

Nach wenigen Minuten Fußmarsch hatte er das Dorf einmal durchquert. Die einzelnen Häuser, die hier noch standen, waren die etwas Wohlhabenderen, meistens umgeben von beeindruckenden Zäunen aus Holz oder Metall. Ihm waren diese Häuser so egal wie deren Einwohner. Nicht ihnen zur Liebe war er hier, nein, ganz gewiss nicht.

Hinter dem Dorf begann das Herz der Insel. Er folgte einem verschlungenen Weg, der breit genug für ein oder auch zwei Pferde war, aber wo kein Wagen hindurch passen würde. Je weiter er ging, desto mehr wurde der Pfad von der Natur eingerahmt. Die kleinen Büsche wichen mehr und mehr den großen Bäumen, die hoch über ihn hinaus wuchsen und die Sicht auf die Sterne verdeckten. Manch einer hätte wohl Angst, wenn er alleine diese Straße nehmen musste, er hingegen genoss die Ruhe, das leise Flüstern des Waldes, den Schrei eines Vogels, das Knistern von Ästen und entfernte Pfoten, die über den Boden huschten. Er atmete tief ein und entspannte sich, wie jedes Mal, wenn er die Enge und die Steife des Dorfes verließ.

Er wusste, dass er bereits die Hälfte seines Weges zurückgelegt hatte, als er die kleine Lichtung erreichte, die im fahlen Licht des wachsenden Mondes der Welt etwas Magisches verlieh. Wie jedes Mal, wenn er hier war, blieb er einen Moment stehen und schloss die Augen. Alle Probleme der Welt schienen auf einmal verschwunden. Die Last auf seinen Schultern wurde ihm genommen. Alle dunklen Gefühle waren plötzlich ausgelöscht. Eine kleine Ewigkeit stand er so da und fragte sich im Stillen, warum er nicht einfach hier bleiben konnte. Bilder der Kindheit tauchten vor seinem inneren Auge auf. Diese Lichtung war sein Zufluchtsort gewesen, und nicht nur seiner. Er erinnerte sich daran, wie sie dort am Rande der Richtung lag und schlief, mitten im Sommer. Alles war damals so friedlich. Er hatte einfach dagestanden und sie beobachtet. Doch sobald er die Augen öffnete und die Realität wieder über ihn hereinbrach, wusste er, dass diese unnütze Sentimentalität ihn nur schwächen konnte.

Mit verschränkten Armen verließ er die Lichtung, doch sein Gang war nicht mehr so harsch, seine Schritte nicht mehr so resolut. Die sonst so hektische Welt war ein bisschen langsamer geworden.

Der Wald um ihn herum wurde allmählich wieder dünner, ließ Blumen und Gras wieder mehr Raum und in der Ferne konnte er den großen Schatten sehen, der ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

Wie ein Bote des Unglücks verschluckte der Schatten des bedrohlich aussehenden Hauses den Mond. Wieder blieb er stehen, doch diesmal, um dieses unwohle Gefühl zu verdrängen. Er ärgerte sich jedes Mal, dass er so reagierte und das, obwohl er diesen Ort so gut kannte, aber er hasste es hier zu sein. Hier, wo ihn nichts mehr hielt und trotzdem kehrte er immer wieder zurück, als hätte er keine Wahl.

Entschieden öffnete er das Tor zum Vorgarten, welches sanft zur Seite schwang und ihn einlud doch näher zu kommen. Erneut ließ er sich Zeit das große, ehrwürdige Haus einen Moment zu betrachten, ehe er weiter ging und die Klinke der schweren Tür hinunter drückte.

„Willkommen daheim“, empfing ihn eine ruhige Stimme. Die einzige Stimme, die er erwartet hatte. Allerdings erst am nächsten Morgen. Er schloss die Tür hinter sich und begutachtete den dunklen Eingangsbereich, ein schwaches Schimmern zog groteske Schatten über die wenigen Möbel im Flur. Der Ursprung schien die Küche zur Linken zu sein. Nachdem er sich seiner schweren Stiefel entledigt, sowie Hut und Mantel an die dafür vorgesehenen Haken gehangen hatte, hob er sein Schwert hoch und ging in Richtung der kleinen Lichtquelle. Im Türrahmen blieb er stehen.

Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, die kleine Kerze vor ihr legte einen sanften Schein um ihren Körper. Einen Moment betrachtete er sie ruhig.

„Warum sind Sie hier?“, fragte er tonlos. Er hatte sie nicht erwartet. Hatte nicht erwartet, sich heute schon mit ihr auseinandersetzen zu müssen. Langsam stand sie auf und drehte sich zu ihm um. Auf dem Tisch waren neben der kleinen Kerze eine leere Tasse sowie halb fertig gestrickte Handschuhe. Mit hochgezogenen Augenbrauen begutachtete er ihre Arbeit halbherzig.

„Ist der Winter nicht schon längst vorbei?“

Sie ließ die Frage unkommentiert und lächelte leicht.

„Ich weiß doch immer, wann der verlorene Sohn nach Hause kommt. Es ist schön Euch wieder zu sehen. Ihr seht erschöpft aus.“

„Dies hier ist nicht mein Zuhause, Kanan.“

Die Angesprochene öffnete den Mund doch sagte nichts, als er müde die Hand hob.

„Ich möchte heute Abend nicht mit Ihnen streiten, gehen Sie schlafen.“

Sie nickte während sich ihr Lächeln in eine ausdruckslose Miene verwandelt hatte.

„Natürlich.“

Doch anstatt an ihm vorbei, in den Tiefen des leeren Hauses zu verschwinden, wandte sie sich der kleinen Tasse zu und trug sie zur Spüle hinüber.

„Habt Ihr irgendwelche Wünsche für das Frühstück morgen?“, führte sie die Konversation fort, als wäre ihre Begegnung ein herzliches Aufeinandertreffen. Er schüttelte den Kopf, obwohl sie das gar nicht sehen konnte, während sie das Geschirr säuberte.

„Nein. Sie brauchen gar nicht hier zu sein. Kanan, wir haben das doch schon so oft durchgesprochen. Sie sind Niemandem hier verpflichtet. Gehen Sie nach Hause!“

Sie wandte sich zu ihm um, lächelte erneut.

„Und ich möchte heute Abend nicht mit Euch streiten. Geht schlafen.“

Sie war noch nie um eine Antwort verlegen gewesen und hielt seinem kalten Blick problemlos stand. Er wusste, dass er diesen einen Kampf nicht gewinnen würde. Mit einer wegwerfenden Handbewegung drehte er sich um.

„Machen Sie, was Sie wollen. Wir beide wissen, dass ich vor morgen Abend die Insel bereits wieder verlassen habe. Gute Nacht.“

„Schlaft schön“, klang ihre Stimme dem Hausherrn hinter her.

Mit einem Lächeln nahm sie Kerze und Strickwolle und verließ ebenfalls die Küche. Natürlich konnte sie nach Hause gehen, aber auch dort würde niemand auf sie warten. Außerdem hatte sie damals, als sie in dieses Haus gekommen war, sich auch erklärt die Pflichten dieser Familie zu tragen. Eine der Wichtigsten war, dass man die Verantwortung, sobald man sie einmal übernommen hatte, nicht wieder abgeben konnte. Dies war gegen die eigene Ehre und sie hatte damals die Verantwortung übernommen für ihn zu sorgen und das würde sie tun, bis an ihr Lebensende. Das hatte sie damals seiner Mutter versprochen.
 

Fast schon ein bisschen wütend stapfte er die Treppe hinauf. Obwohl es stockdüster war, wusste er, wo er hin musste. Kannte den dunklen Flur, den er hinunter ging, so gut wie sein kleines Boot. Er wusste überhaupt nicht, warum sie da war. Er hatte ihr schon so oft gesagt, dass ihre Dienste nicht mehr gebraucht wurden, da niemand mehr hier wohnte und die vier Tage im Jahr, die er hier war, brauchte er kein Herrenhaus. Nie würde er sich eingestehen, dass ihre Anwesenheit ein warmes Gefühl in ihm weckte. Dass die frisch gewaschenen weißen Laken auf seinem Bett Dankbarkeit in ihm hervorriefen. Dass das Wissen, das sie sich aufopferungsvoll um das alte Haus seiner Kindheit kümmerte ihn immer wieder rührte und beruhigte. Letzten Endes war sie der Hauptgrund, warum er immer wieder hierhin zurückkam. Sie und sein Versprechen.

Mit einem leisen Seufzen legte er sein Schwert in die dafür vorgesehene Halterung, ehe er sich schließlich auszog. Anstelle der großen Lampe hatte er nur das kleine Nachtlicht eingeschaltet, genoss das Dämmerlicht anstelle vom grellen Weiß. Er streckte sich ein paar Mal, ehe er zum großen Fenster hinüberging, sich über den kleinen Schreibtisch, den er nur selten nutzte, hinüberbeugte und frische Luft ins Zimmer ließ. Eigentlich hätte er noch ein paar wichtige Unterlagen durchgehen müssen, aber durch eine kleine Auseinandersetzung mit ein paar unbekannten Piraten hatte er sich schließlich so sehr verspätet, dass er wirklich keine Lust mehr hatte sich mit langweiligem Papierkram auseinanderzusetzen.

Während er sich seine Schlafsachen anzog, welche aus einem weißen Hemd und einer dunkelblauen Leinenhose bestanden, entdeckte er zu seiner Überraschung eine kleine Flasche Rotwein mit zugehörigem Glas auf dem kleinen Lesetisch vor dem großen Fenster, welche ihm vorher nicht aufgefallen war. Erneut fühlte er eine beinahe unwillkommene Wärme in seiner Brust, die er nie zugeben würde. Gemächlich zog er den Stuhl mit der hohen Rückenlehne zurück und ließ sich hinein fallen. Die nackten Füße warf er mit einem dumpfen Poltern auf den kleinen Tisch, welcher sich krächzend beschwerte. Die Flasche Wein und das Glas rettete er vom Runterfallen indem er sich den Wein eingoss. Eigentlich sollte ihn ärgern, dass Kanan sich dazu ermächtigt hatte, ihm einen Wein auszusuchen und ihn dann auch noch ungekühlt ins Zimmer zu stellen, wodurch er nicht die passende Temperatur hatte. Eigentlich sollte er erbost darüber sein, dass sie seine Anweisungen ignorierte und stur weiter dieses alte Haus umsorgte und auch ihn nie vergaß.

Ja, eigentlich sollte er am besten dieses Haus selber in die Luft jagen und nie mehr wieder kommen, aber er wusste, dass er das nie tun würde und daher saß er da, genoss den Wein und blickte hinaus in die dunkle Nacht, während eine frische Brise sein Zimmer besuchte. Gedankenverloren beobachtete er die Schatten der Baumwipfel, die sich hin und her wiegten und hörte das Flüstern der Bäume.

Erneut hörte er den Schrei eines Vogels, wie bereits auf seinem Weg hierher, doch diesmal klang er anders, klagend und sterbend, vermutlich war er Opfer eines Jägers geworden. Ein plötzlicher kalter Wind durchfegte den ausladenden Raum, wühlte die Vorhänge auf und riss an seiner Kleidung. Das Bettlaken hinter ihm raschelte aufgebracht und die scheinbar nur angelehnte Tür knallte laut zu. Die leere Weinflasche kippte um und rollte leise über den kalten Boden. Seine Augen folgten ihr einen Moment, ehe sie wieder die Dunkelheit durchbohrten. Dann stand er auf und schloss das Fenster.

Unheilbringende Vorboten machten ihm keine Angst, war er selber nichts anderes als das Unglück anderer auf zwei Beinen. Mit diesem amüsierenden Gedanken und einem bösen Grinsen auf den Lippen stellte er das Weinglas ab, hob die leere Flasche auf und wandte sich dann endlich seinem Bett zu. Die weichen Kissen und die sanfte Decke begrüßten ihn liebevoll. Eine der vier Nächte im Jahr wo er ausnahmsweise mal einen erholsamen Schlaf erwarten konnte…
 

„Guten Morgen!“

Schwungvoll wurde die Tür zum Büro von Frau Bosatsu aufgeworfen. Ein riesiges Tablett in der einen Hand balancierend rauschte sie hinein und schloss die Tür. Seine gegrummelte Antwort nahm sie kaum war, da sie bereits an ihm vorbeistürmte, Fenster und Türe zum Balkon öffnete und die Vorhänge zur Seite schob. Dabei warf sie das Tablett elegant auf seinen Schreibtisch und begrub die wichtigen Unterlagen, die er gerade bearbeitete, darunter.

„Kanan, ist das wirklich…“

„Wie könnt Ihr nur in diesem dunklen Zimmer sitzen. Ich habe Euch schon tausendmal gesagt, wie schlecht fehlendes Licht für die Augen ist.“

Ein wenig aufgebracht riss sie ihm die letzten Papiere aus der Hand und fegte sie auf die andere Seite des Tisches. Für ihr Alter und ihre Figur war sie wirklich behände und ihre Lebenslust jagte ihn beinahe zur Weißglut.

„Kanan, bitte…“

„Und wer arbeitet schon, bevor er was ordentliches gegessen hat? Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am…“

„Kanan!“

Mit jedem Mal war seine Stimme lauter geworden, doch erst jetzt hörte sie auf zu reden. Langsam ließ er seine Hände auf den Schreibtisch und damit unweigerlich auf das Frühstückstablett sinken.

„Erstens, ich habe keine schlechten Augen. Zweitens, ich habe keinen Hunger. Und Drittens,…“

„Ihr habt wie immer hundsmiserable Laune.“

Ihr breites Lächeln auf dem warmherzigen Gesicht, sowie der schmackhafte Geruch des frischen Kaffes stimmten ihn milde. Seufzend gab er nach, wie so oft.

„Nun gut. Ich frühstücke, während ich mir diese Sachen durchgucke und dann gehe ich runter ins Dorf. Vorm Abendessen bin ich wieder zurück. Aber Sie brauchen mir nichts bereitzustellen. Machen Sie einfach das, was Sie immer machen.“

„Natürlich, als würde ich mir von Euch auch was anderes vorschreiben lassen.“, erwiderte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, ehe sie sich zur Tür wandte.

„Ach Übrigens. Vielleicht wollt Ihr heute anstelle von diesem langweiligem Rechtskram ausnahmsweise mal die Zeitung lesen.“ Mit ernstem Unterton verließ sie den Raum.

Der Zurückgebliebene rollte mit den Augen. Sie hatte sich in all den Jahren nicht verändert, war immer noch so voller Freude und Tatendrang wie früher. Er betrachtete ihr liebevoll zubereitetes Frühstück, welches wahrscheinlich gefüllt war mit wertvollen Vitaminen und Ballaststoffen, oder wie der Kram auch immer hieß.

Mit dem Kaffee in der Hand wandte er sich vom Schreibtisch ab und betrachtete die gegenüberliegende Wand. Sie war voller Steckbriefe. Manche von ihnen waren schon sehr alt, die meisten durchgestrichen. Über die Zeit hatte er die Sammlung immer mehr erweitert, hatte die Besten unter den Besten gefunden und vor gar nicht allzu langer Zeit hatte er das wertvollste Stück hinzugefügt. Ein vielversprechendes Talent, wenn auch ein wenig grün hinter den Ohren, wortwörtlich.

Ihm vielen wieder die Worte der Haushälterin ein und mit einer hochgezogenen Augenbraue zog er die Zeitung unter einem noch beladenen Teller hervor. Er wusste nicht, warum sie ihm das geraten hatte, denn er las immer die Zeitung. Er war ein Taktiker und Stratege, wäre nie dumm genug seine Feinde nicht im Auge zu behalten, auch wenn ihm natürlich bewusst war, dass die Presse nicht immer die ehrlichsten Aussagen enthielt. Er schlug die Zeitung auf und blickte aufs Titelblatt.

Langsam ließ er die Tasse sinken, während er entgeistert auf die Fotos vor ihm starrte. Plötzlich fuhr eine Windböe durchs Fenster hinein. Die schweren Vorhänge schlugen drohend gegen die Rahmen, die Papiere hinter ihm bäumten sich auf und jagten durch den Raum. Der schwere Bürostuhl stieß gegen den großen Schreibtisch. Es lief ihm kalt den Nacken herunter, als er angestrengt den Artikel las. Der Kaffee und das Frühstück waren längst vergessen, während die unsichtbaren Hände weiter an Kleidung und Unterlagen zerrten. Ungestüm öffnete er die Zeitung und durchforstete den ausführlicheren Artikel im Inneren.

Dann stürmte er hinaus in den Flur und die Treppe hinunter, die Zeitung immer noch in der Hand. Unten angekommen stieß er beinahe mit der einzigen weiteren Person im Hause zusammen.

„Was ist denn los? Wo wollt Ihr hin?“

Er antwortete nicht, sondern stürmte zur Haustür und stopfte seine Füße in die Stiefel.

„Beruhigt Euch. Unüberlegtes Handeln führt nur zu noch mehr Problemen.“

„Ich brauch keine Glückskeksweisheiten!“, schnauzte er sie an, während er sich den Mantel überwarf.

„Aber…“

„Nein!“, brüllte er nun fast.

„Was fällt diesem verdammten Mistkerl ein?!“

Mit diesen Worten riss er die Tür auf und rannte hinaus, den Hut in der einen, die Zeitung in der anderen Hand.
 

Seufzend folgte sie ihm in den Flur und schloss die Tür. Sie hatte es befürchtet, aber verhindern konnte sie es nicht. Sie kannte ihn seit klein auf. Er war immer ein überaus überlegter und bedachter Mensch gewesen, der nie seine Emotionen zeigte sondern bewusst Kontrolle über sie ausübte und sie nur dann erlaubte, wenn sie ihm nutzen konnten.

Dieses Talent war in ihren Augen sowohl Gabe als auch Fluch, eine Mauer mit einer einzelnen Tür, die er nach Belieben öffnen und schließen konnte. Doch manchmal geschahen Dinge, die kleine Risse in dieser Mauer hinterließen und durch diese Risse rauschten die Gefühle hindurch wie lauter Wasserfälle. Und eines Tages wusste sie, dass diese Risse aufbrechen würden, ihn brechen würden, wenn er nicht vorher in der Lage sein würde seine Emotionen dauerhaft zuzulassen.

Vor vielen Jahren hatte ihn die Kraft der Trauer und der Wut beinahe zerstört, hatten ihn verändert. Seit dem hatte sie ihn nie mehr lachen, nie mehr weinen, nie mehr schreien gehört. Aber gerade hatte er geschrien. Gerade hatte er alles andere als rational gehandelt. Gerade hatte er das erste Mal seit langem aufgelebt, hatte diese Hülle ausgefüllt, wenn auch aus einem furchtbaren Grund.

Wahrscheinlich würde er die Insel sofort verlassen. Vielleicht wäre er bei heute Abend bereits tot.
 

Er hatte den Weg, für den er sonst mehrere Minuten brauchte, so schnell zurückgelegt, wie selten zuvor. Vor ihm breitete sich das erwachende Dorf aus, wirkte ruhig und friedlich, während er selber aufbrausend war, wie ein herannahender Orkan. Eilig durchquerte er die Straßen, kam am vertrockneten Brunnen vorbei und stürmte in das größte Gebäude am Marktplatz.

Das Rathaus. Auch hier war alles noch morgendlich still. Einzelne Frühaufsteher waren auf ihrem Weg zum Arbeitsplatz oder zur Kaffeemaschine, doch sobald sie ihn sahen, beeilten sie sich zügig zu verschwinden. Er jedoch wusste genau, wo er hin wollte und nahm dafür keine Umwege hin. Immer noch aufgebracht erreichte er das gewünschte Ziel und zerrte die Tür auf.

Wie erwartet war der Gesuchte schon da. Was für ein Glück, dass er heute auf der Insel war. Die Zeitung auf dem Schreibtisch und den schwarzen Tee in der Hand. Mantel und Hut lagen gefaltet über der Stuhllehne in der Ecke, während er selber in einem hochwertigen dunkelroten Anzug mit perfekt sitzender blauer Krawatte auf seinem schwarzen Ledersessel thronte. Blonde Haare waren streng zurückgekämmt, nur eine Locke ließ sich nicht bändigen und hing ihm ins Gesicht. Die grünen Augen weiteten sich wegen des plötzlichen Besuchs. Überrascht über den Neuankömmling stellte Konteradmiral Cho Jiroushin seine Tasse ab.

„Hawky!“, entfuhr es ihm freudig. Dieser jedoch stieß nur wütend die Tür zu und warf die Zeitung dem andern vors Gesicht.

„Darüber brauche ich Informationen!“, entkam es dem Gast hart.

„Mann, dir auch einen guten Morgen.“ Er lehnte sich angesäuert zurück. Der andere stand immer noch schwer atmend vor ihm.

„Jiroushin!“ Seine Stimme war dunkel und laut wie Donner, als würde es um Leben oder Tod gehen. Diesen Anblick kannte der Mann der Marine kaum von seinem guten Freund. Er wirkte beinahe verzweifelt.

„Beruhig dich erst mal. Setzt dich hin. Möchtest du was trinken? Kaffee oder Tee?“

Falkenauge schlug mit der Hand auf den Tisch.

„Ich brauche keinen Kaffee! Ich brauche dich!“ Vergesst das beinahe, er war verzweifelt.

„Okay. Ich werde dir helfen. Aber erst setzt du dich hin!“

Gelassen stand Cho auf und drückte den anderen bestimmt auf den Besucherstuhl, dieser ließ es zu, obwohl er sich ohne Probleme hätte wehren können. Dann umrundete er den Schreibtisch und nahm wieder Platz. Einen Moment lang betrachtete er den Samurai. Dieser war völlig durch den Wind. Seine Haare waren zerzaust, seine Augen groß als hätte er zu viel Koffein zu sich genommen und sein Mund zitterte leicht.

„Fangen wir nochmal von vorne an. Wobei willst du meine Hilfe?“

Der Blick seines Gegenübers sprang zwischen ihm und der Zeitung hin und her.

„Ich will die Wahrheit wissen. Darüber!“

Mit einem Finger tippte er heftig auf ein Foto der Titelgeschichte. Ernst nickte der Blonde.

„Schlimme Sache, hab’s auch schon gesehen. Ein schwarzer Tag für die Marine und das alles wegen einer einzelnen Crew.“

„Jirou. Der Artikel stinkt vor lauter Lügen und Ungereimtheiten. Ich will die Wahrheit! Ich will die Akten.“

Verwirrt blickte sein Freund auf.

„Hawky, was soll das? Du bist einer der Samurai. Du kommst an alle Unterlagen dran.“

„Nicht die. Ich will die Echten!“

Cho schluckte. „Hey. Mihawk. Du weißt ich würde alles für dich tun, aber…“

„Bitte.“ Die gelbgoldenen Augen sahen ihn ernst an.

Der Offizier seufzte: „Es geht um diesen Piraten, nicht wahr? Der, der gestorben ist.“

Der Pirat nickte.

Jiroushin ließ die Stirn auf seine Hände sinken und schüttelte den Kopf.

„Mann. Du bist immer unterwegs und dann kommst du endlich mal nach Hause, besuchst mich auch noch, während ich hier bin und alles was du willst, sind streng geheime Informationen über einen windigen Piraten, der dich töten wollte.“

„Es ist nicht so, als wenn er jemals eine ernsthafte Bedrohung dargestellt hätte.“

„Darum geht es nicht. Warum interessiert es dich so? Er ist tot, na und? Er war ein Pirat. Er ist gefangen genommen worden, das war’s.“

Falkenauge schüttelte den Kopf.

„Aber das, was in dieser Zeitung steht, ist nicht die Wahrheit und ich muss die Wahrheit wissen.“

Der Beamte wollte widersprechen, stoppte sich aber selbst, sah erst seinen Kindheitsfreund an und blickte dann aus dem Fenster.

„Na gut“, gab er klein bei, „Ich muss heute sowieso noch rüber fahren. Meinetwegen. Ich besorge dir die Unterlagen, alles ungeschwärzt. Aber dann schuldest du mir wirklich was!“

Dem Schwarzhaarigen wurde plötzlich bewusst, wie er sich aufführte, wie seine Gefühle mit ihm durchgegangen waren. Wütend auf sich selber lehnte er sich zurück und setzte einen entspannten, fast schon gelangweilten, Gesichtsausdruck auf. Wie konnte ein Mensch, den er erst einmal in seinem Leben getroffen hatte, es schaffen, ihn so aus der Fassung zu bringen und das obwohl er noch nicht einmal anwesend war?

„Danke, das wäre sehr freundlich von dir.“

Sein Gegenüber lachte leise. „Unverbesserlich.“

Ihre Blicke trafen sich kurz.

„Wie lange glaubst du, wirst du brauchen?“

Der Mann im Anzug zuckte mit den Achseln.

„Wenn ich mich beeile schaffe ich es vor Sonnenuntergang wieder hier zu sein.“

„So lange? Was machst du denn noch alles auf der Basis?“

„Das geht dich gar nichts an. Die Basis ist mein Hauptarbeitsplatz seit ich befördert wurde, hier bin ich nur noch zwei Mal die Woche und auch nur, wenn ich für die Marine nicht unterwegs bin. Also ist es selbstverständlich, dass ich da heute nochmal hin muss und auch noch anderen Kram zu erledigen habe. Außerdem herrscht da mit Sicherheit gerade der Ausnahmezustand nachdem heute Nacht die G6 untergegangen ist. Und du weißt, dass alleine die Fahrt zwei Stunden dauert, wenn nichts dazwischen kommt. Du hast mehr Glück als Verstand, dass ich heute hier bin. Außerdem, nur wegen dir komme ich heute Abend nochmal hierhin. Zeig etwas Dankbarkeit!“

Verwirrt schaute Falkenauge seinen Freund an.

„Was meinst du damit? Du wohnst doch hier.“

Nichtverstehend schüttelte Cho den Kopf. „Nein, du weißt doch, dass ich schon seit über einem Jahr mit Lirin auf Sadao lebe. Habe ich dir das nicht schon bei deinem letzten Besuch hier erzählt? Außerdem warst du doch auf der Hochzeit!“

„Ach wirklich. An diesen Teil vom Gespräch kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Im Übrigen war deine Hochzeit hier, wo deine Glucke von Mutter alles kontrollieren konnte. Aber Sadao? Warum? Du liebst dein Heimatdorf.“

„Natürlich, darum geht es doch nicht. Lirins Eltern leben auf Sadao. Außerdem fährt dort jeden Tag eine Fähre zur Basis, die Strecke dauert nur 20 Minuten und ich mag es dort. Die Menschen sind nett und keiner kennt meine Vergangenheit.“

Der Ältere grinste leicht, wobei seine Gesichtsmuskeln unangenehm ziepten.

„Ach hör mal, auch hier wirst du geachtet. Schließlich bist du ein hochdekorierter Marineoffizier.“

„Ja, und ich bin der Junge, der dem Bürgermeister den Bart abrasiert hat, der dem Bäcker den Ofen gesprengt hat und der dafür verantwortlich war, dass drei Sonntage in Folge der Markt überschwemmt wurde. Rate mal wer noch mit dran schuld war.“

Beide funkelten sie sich schelmisch an. Dann wurde der Samurai wieder ernst und auch der Offizier wirkte nachdenklich.

„Ich bin froh, dass du noch mal hier bist, Hawky. Ich weiß, das Volk von Sasaki ist nicht immer freundlich, aber nur deinem Schutz haben sie es zu verdanken, dass es hier nie Piratenangriffe gibt.“ Der Schwarzhaarige wandte den Blick ab.

„Darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Ich erfülle meine Pflicht und du deine.“

Simultan standen sie auf und gingen zur Tür.

„Aber Danke, dass du immer noch regelmäßig hierhin kommst auch wenn du jetzt umgezogen bist. Ich denke deine dauernde Anwesenheit beruhigt die Leute hier mehr als mein vierteljährliches Auftauchen.“

Jiroushin klopfte ihm auf die Schulter.

„Bis heute Abend.“

Dann schloss er die Tür hinter ihm.
 

Er atmete langsam aus. Die Emotionen brodelten immer noch in ihm, doch die kurze Auseinandersetzung mit seinem alten Kumpel hatte ihm geholfen sich wieder selbst zu kontrollieren. Hatte ihn einen Moment abgelenkt, ihn an bessere Zeiten erinnert.

Allerdings spürte er, dass er nun wieder wütender wurde. Er entschied sich um persönliche Dinge später zu kümmern und eilte bestimmten Schrittes den Flur hinunter.

Vor einer großen Doppeltür aus hellem Holz blieb er schließlich stehen und klopfte. Eine ruhige Stimme erlaubte ihm einzutreten. Vor ihm saß eine junge Dame mit hochgesteckten lila Locken in einem hochgeschlossenen Etuikleid. Ihr Kugelschreiber flog in einer atemberaubenden Geschwindigkeit über die Papiere auf ihrem Schreibtisch. Sie blickte rasch auf und sah ihn über ihre halbmondförmige Brille kurz an.

„Guten Morgen. Wenn Sie bitte einen Moment warten möchten. Der Herr Bürgermeister wird Sie jeden Moment herein bitten.“

Er nickte nur und verschränkte die Arme. Wenige Sekunden später wurde die unscheinbare Tür zu seiner Rechten geöffnet und er trat ein.

Der Bürgermeister von Sasaki war ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit langen silbergrauen Haaren, die er wie ein Wikinger zu zwei dicken Zöpfen geflochten hatte. Sein mintgrüner Anzug war farblich abgestimmt mit Schuhen und Schleifen, die die Haare festhielten. Eine silberne Brosche schmückte sein Revers. Er hielt dem Gast eine sonnengebräunte Hand hin, welcher diese höflich ergriff.

„Mihawk. Es tut gut Sie zu sehen. Willkommen daheim.“

Er nickte leicht. „Danke, Herr Koumyou. Ich freue mich wieder hier zu sein. Kommen wir nun zum Geschäftlichen.“

Der ältere Herr lächelte warm.

„Natürlich. Sie sind ein vielbeschäftigter Mann. Ich hole nur gerade die Unterlagen. Setzen Sie sich doch schon mal. Houran, sei so nett und bring unserem Gast etwas zu trinken.“

Die letzten Minuten schienen weit weg, als er sich hinsetzte und der Bärenstimme des Bürgermeisters lauschte. Die Stimme, die ihn früher über den Marktplatz gejagt hatte. Die Stimme, die früher mit seinen Eltern über seine Streiche gestritten hatte. Die Stimme, die ihm Großes prophezeit hatte. Der alte Koumyou war der einzige gewesen, der an ihn geglaubt hatte. So wie er an den jungen Mann aus dem East Blue geglaubt hatte. Aber er hatte sich geirrt.

„Also, hier sind die Berichte. Dann wollen wir doch mal sehen. Houran, wo bleibt denn der Kaffee?“

Der Bürgermeister setzte sich ihm gegenüber und lächelte ihn offen an. Dann öffnete er die Ordner vor sich und begann mit ihm über Zahlen und Statistiken zu reden. Ja es war eine ganz andere Welt als noch vor wenigen Stunden…
 

Der Samurai konnte ein herzhaftes Gähnen kaum verbergen, während er sich die Zusammenfassung der Marineeinsätze der letzten Monate durchlas. Hauptsächlich unbedeutender Kleinkram. Der alte Mann vor ihm lachte.

„Oh Mihawk. Es tut mir leid. Ich weiß, der ganze Papierkram ist nicht besonders interessant, aber hiernach haben Sie es geschafft.“

Nachdenklich blickte er von den Zeilen vor ihm auf.

„Ist was?“, fragte sein Gegenüber besorgt.

„Wann haben Sie angefangen mich mit Mihawk anzusprechen?“

Die grauen Augen weiteten sich eine Spur, er erwiderte jedoch nichts sondern klappte den Ordner zu.

„Ich denke es reicht für heute. Das Wichtigste haben wir besprochen und der Rest kann auch noch drei Monate warten.“

Der Bürgermeister stand auf und geleitete ihn zur Tür. Seine Sekretärin arbeitete dort immer noch in einem unermüdlichen Tempo. Die beiden Männer reichten einander die Hände.

„Es war schön Sie wieder zu sehen, Mihawk. Und ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen.“ Höflich nickend stimmte er dem anderen zu.

„Passen Sie auf sich auf.“

Dann schloss sich die Türe vor seiner Nase und zurück blieben Melancholie und Erinnerungen an unschuldigere Zeiten.

„Herr Mihawk.“ Er wandte sich um.

„Ja, was ist?“

Die Sekretärin reichte ihm einen Zettel.

„Frau Bosatsu hat angerufen und mich gebeten Ihnen diese Einkaufsliste mit der Bitte zu überreichen, die Sachen zu besorgen.“

Sein Blick wanderte von dem Stück Papier zur jungen Frau

„Sie hat mich darum gebeten?“

Ein Lächeln erhellte die sonst so ernsthaft wirkenden Züge der Frau, die dadurch um Jahre jünger wirkte.

„Nun ja. Es war zwar nicht als Bitte formuliert, aber ich bin mir sicher, dass sie beabsichtigt hatte, mit allem nötigen Respekt anzufragen.“

Er schüttelte den Kopf. „Mit Nichten, aber danke für die Liste.“

Mit diesen Worten verabschiedete er sich und ging wieder den langen Flur hinunter.

Als er das Zimmer des Marineabgeordneten passierte stellte er fest, dass es dunkel hinter dem Milchglas war. Vermutlich war Jiroushin schon längst unterwegs zu der nächsten Marinebasis auf Suzuno. Hoffentlich würde er an die Akten kommen.

Draußen angekommen musste Falkenauge feststellen, dass es schon weit nach Mittag war und das kleine Dorf nun von geschäftigem Treiben erfüllt wurde. Pflichtbewusst erfüllte der Samurai alle Aufträge, die auf der Liste standen, einschließlich der Abholung von bestellten Waren, sowie den Einkauf von Lebensmitteln. Überall wo er hinkam erstarben die Gespräche und Augen verfolgten ihn misstrauisch.

Es stimmte, dass diese Insel unter dem Schutz seines Namens stand, nachdem sein Vater sie im Stich gelassen hatte und die Marine oft erst verspätet reagiert hatte und das, obwohl eine Basis nicht weit entfernt war. Deswegen respektierten ihn die meisten Dorfbewohner. Dankbar waren sie allerdings nicht. Viele der jungen Leute hatten Angst vor ihm, da er als einer der sieben Samurai einen nicht ganz unbedeutenden Ruf hatte. Die Älteren erinnerten sich teilweise noch an seine Kindheit und Jugend. Er wusste nicht, was sie ihm genau entgegen brachten. Vielleicht Abscheu und Verachtung, vielleicht wollten sie aber auch nur die Distanz wahren, denn mit dem Jungen von damals hatte er nicht mehr viel gemein.

Möglicherweise waren alle Einwohner auch nur eingeschüchtert von seinem Namen. Schließlich war es sein Ururgroßvater Mihawk Yakumo gewesen, der dieses Dorf gegründet und diese Insel beschützt hatte. Und nun gehörte sie zu einer der friedlichsten und wohlhabendsten auf der gesamten Grand Line. Ihre Nähe zur Red Line und zum Sabaody Archipel hatte ihr Macht in Wirtschaft und Politik gegeben. Durch dieses Erbe war er selber immer noch in viele organisatorische Dinge involviert, auch wenn es hauptsächlich am Bürgermeister lag, dass der Stadtrat ihn nicht schon längst rausgeworfen hatte. Aber auch das wäre dem Schwertkämpfer eigentlich gleichgültig, denn er schütze diese Insel nicht wegen seines Erbes, denn darauf gab er überhaupt nichts.

Voll gepackt trat er den vertrauten Heimweg an. Die Kisten klapperten, die Taschen raschelten und der Korb mit dem Blumenstrauß in seiner rechten Armbeuge kratzte unangenehm. Jeder Schritt, den er sich weiter vom Dorf entfernte schien schwerer zu werden und das nicht, weil die Sachen ein nicht unbeträchtliches Gewicht an den Tag lehnten, sondern weil er sich immer mehr in seinen eigenen Gedanken verstrickte. Es ärgerte ihn, dass der Tod irgendeines Piraten ihn so aufwühlte. Cho hatte Recht, er war ein Pirat, solche Dinge passierten nun mal und außerdem hatte er ihn selbst töten wollen.

Aber irgendwas an diesem Jungen hatte ihn fasziniert, und irgendwann hatte er angefangen sich darauf zu verlassen. Er hatte sich darauf verlassen, dass dieser unbedeutende Junge aus dem East Blue ihn eines Tages besiegen würde und seinen Titel mit ebenso viel Ehrfurcht weitertragen und ihm noch mehr Ehre bringen würde. Dieser Titel war das Letzte, was ihm geblieben war und nun war der Junge tot.

Das Haus war ruhig als er eintrat, niemand begrüßte ihn und bis auf das Feuer im Wohnzimmerkamin, welches leise vor sich hin knisterte, war es friedlich. Durch die Fenster in der Küche konnte er die ersten orangenfarbigen Streifen am Himmel erkennen, es würde bald dunkel werden. Nachdem er alle Einkäufe auf dem Tresen und dem kleinen Küchentisch verteilt hatte und die Dinge, die notwendig gekühlt werden mussten, in den Kühlschrank verstaut hatte, sah er sich nachdenklich um.

Obwohl er noch nichts gegessen hatte, war er nicht wirklich hungrig und so begab er sich wieder in sein Büro um seine Arbeit vom Morgen wieder aufzunehmen. Es überraschte ihn kaum, dass das Zimmer unberührt war. Vom vergessenen Frühstück war nichts mehr zu sehen und alle Papiere lagen feinsäuberlich gestapelt auf dem Schreibtisch. Ein Fenster stand leicht offen und die kühle Frühlingsluft erfrischte den Raum. Das warme Tageslicht wich nach und nach der Dämmerung, während der Samurai den nötigen Papierkram erledigte und ein paar Telefonate mit Beamten der Marine führte. Sie alle schienen emotional durch den Wind, einige hatten eine heisere Stimme.

Die vergangene Nacht hatte der Marine viel Kummer bereitet. Für ihn war es allerdings eher nervend, denn seine Telefonpartner waren so unkonzentriert, dass sich der Informationsaustausch als sehr ermüdend erwies. Alles andere als professionell. Dafür, dass er eigentlich ein Pirat war, musste er sich mit ziemlich viel Schreibtischarbeit rumschlagen wie er immer wieder ernüchternd feststellen musste. Zum Glück hatte er das Wichtigste geschafft, als plötzlich seine Teleschnecke wieder Alarm schlug. Murrend nahm er den Hörer ab.

„Ja?“, meldete er sich nur kühl.

„Mann, Hawky, ich bin’s. Wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich mich jetzt auf den Weg zurück nach Sasaki mache. Sollte so kurz nach Sonnenuntergang im Rathaus sein.“

Einen Moment wurde es still in der Leitung.

„Hast du die…“

„Halt bloß die Klappe!“, wurde er unsanft unterbrochen.

„Wir sehen uns im Rathaus.“

Dann unterbrach der Konteradmiral die Verbindung. Seufzend lehnte er sich zurück und vergrub einen Moment das müde Gesicht in den Händen. Er würde die Wahrheit erfahren, zumindest das würde ihm bleiben. Dass er dem schlechten Artikel aus der Zeitung nicht glauben konnte, war ihm sofort klar gewesen.

Ein so ehrloses Verhalten passte nicht zu dem Jungen, den er damals getroffen hatte und er musste daran festhalten, dass er genauso gestorben war, wie er gelebt hatte. Das war das Einzige, was er noch hatte, was ihm noch in irgendeiner Form wichtig sein konnte. Und er verachtete sich dafür, dass ein unbedeutender Pirat ihn so aus der Form werfen konnte. Aber er wusste genau, dass es nicht erst der Tod des Jungen gewesen war.

Nachdem er ihn damals besiegt und beinahe getötet hatte, hatte er unbewusst angefangen verstärkt nach Informationen über ihn Ausschau zu halten. Natürlich hätte er sich das nie erlaubt und deswegen hätte er auch alles abgestritten. Zuerst war es auch nur unbewusst gewesen, dass er die Zeitung etwas genauer gelesen hatte, dass er bei Gesprächen mit der Marine etwas tiefer nachgefragt hatte, dass er den Steckbrief des Strohhutjungen diesem alten Freund und Krüppel gebracht hatte um mehr Details über ihn zu erfahren.

Erst später war ihm aufgefallen, dass er sich da in etwas verrannt hatte, aber da war es schon zu spät gewesen. Er hatte angefangen zusätzliche Informationen zu sammeln. Jedes Mal, wenn er auf Stützpunkten der Marine war, hatte er seinen Titel als Samurai genutzt, um an die Akten zu kommen. An die Akten, in denen die Berichte der Soldaten waren. Berichte, die viel umfänglicher und wahrheitsgemäßer waren, als jeder Zeitungsartikel sein konnte.

Aber ihm war immer bewusst gewesen, dass diese Unterlagen nicht die ganze Wahrheit enthielten, denn diese war in den geheimen Akten verborgen, auf die nur wenige Auserwählte Zugriff hatten. Einer von diesen war sein guter Kindheitsfreund, der Konteradmiral Cho Jiroushin. Unter normalen Umständen hätte er nie von diesem verlangt seine Position auszunutzen. Er wusste zu gut, wie rechtsliebend der Blondschopf war und wie sehr es an ihm nagte, wenn er sich nicht an Anweisungen hielt. Allerdings waren die Umstände auch alles andere als normal, denn der, auf den er sich verlassen hatte war verdammt nochmal tot.

Es klopfte an der Tür zum Büro und seine Haushälterin betrat das Zimmer. Sie lächelte sachte, wie sie es früher immer getan hatte, wenn er ihr Blumen gebracht hatte. Damals als er noch ein unschuldiges Kind gewesen war. Sie hatte sich kaum verändert seit damals. War immer noch so voller Leidenschaft und Tatendrang. Ein strenger Gegensatz zu ihrem äußerlichen Auftreten. Die mollige Figur wurde von einem modischen dunkelblauen Kleid bedeckt. Darüber trug sie ihre Lieblingsschürze in blassrosa mit braunen Stickereien. Die schwarzen Schuhe klackten leise über den Boden. Ihre rabenschwarzen Haare hatte sie in einen strengen Dutt gedreht, kein einzelnes Haar lag falsch. Ihr rundliches Gesicht war wie so oft dezent geschminkt, während sie kleine schimmernde Ohrstecker trug. Ein Geschenk von seiner Mutter, damals als Kanan ihres Sohnes bekam. Auch für ihn war die Haushälterin immer wie eine Mutter gewesen, aber auch das würde er wohl nie zugeben.

Schnell wandte er seinem Blick wieder den Unterlagen in seiner Hand zu und überspielte sein Starren, obwohl ihm bewusst war, dass sie es wahrscheinlich trotzdem gesehen hatte. Sie trug ein kleines Tablett mit Kaffee und kam langsam zum großen Schreibtisch aus dunklem Holz.

„Ich bin froh, dass Ihr noch hier seid“, sagte sie sanft.

Er vermied den Blickkontakt, während sie ihm die Tasse eingoss.

„Ich warte noch auf ein paar wichtige Akten. Es wird also was später, als erwartet.“

„Natürlich“, murmelte sie, „Vielleicht…“

Widerwillig sah er sie an, als sie fragend die Stimme erhob.

„Vielleicht ist es sinnvoll, wenn Ihr mit Eurer Abreise bis zum morgigen Tag warten würdet. Ich könnte ein herrliches Frühstück vorbereiten und dann…“

„Das wird wohl nicht möglich sein“, unterbrach er sie während er sich wieder seinen Blättern widmete.

„Natürlich“, antwortete sie niedergeschlagen und wandte sich zur Tür.

„Kanan.“ Sie hob den Kopf.

„Ich muss gleich nochmal in die Stadt, um die Akten abzuholen, danach komme ich noch meine Sachen abholen. Da ich heute noch keine Zeit zum Essen hatte würde ich ein nahrhaftes Abendbrot willkommen heißen.“

Aus dem Augenwinkel sah er zu, wie ihr Gesicht sich aufhellte und sie breit lächelnd das Zimmer verließ.

Kurze Zeit später folgte er ihr und stieg die Treppe hinab. Aus der Küche konnte er schon den Geruch des Kochens vernehmen, sowie die starke Stimme der Haushälterin, welche freudestrahlend vor sich hin werkelte und dabei ihre Lieblingslieder trällerte. Kopfschüttelnd verließ er das Haus.

Draußen war es schon fast ganz dunkel, einzig und allein am Rande des Horizontes leuchtete noch ein gelb-roter Streifen, welcher der letzte Zeuge eines langen Tages war. Falkenauge schritt eilig den Weg entlang Richtung Dorf. Er mochte die Zeit hier auf Sasaki nicht. Im besten Fall waren es öde Stunden vollgepackt mit langweiligem Papierkram die ihm die Zeit raubten. Im schlimmsten Fall war es so wie an diesem Tag, öde Stunden vollgepackt mit langweiligem Papierkram, dazu noch eine Haushälterin und ein Freund, die ihn immer wieder an vergangene Tage erinnerten und dann auch noch eine Hiobsbotschaft, die ihm mehr zusetzte, als er es je eingestehen konnte. Nein, er war wirklich nicht gerne auf Sasaki.

Mit diesem Gedanken rauschte er die Straßen des Dorfes hinunter, wo die Lichter und die Wärme der Restaurants ihm den Weg erhellten, die ersten Straßenlaternen flimmerten auf. Gelächter und Stimmengewirr füllten seinen Weg, erreichten aber nicht seine Gedanken während er schnurstracks auf das Rathaus zulief. Kein einziges Fenster war mehr erleuchtet. Alle Beamten hatten ihren mehr oder weniger verdienten Feierabend angetreten. Ein Ruck an der Tür gab ihm zu verstehen, dass abgeschlossen war. Missmutig starrte er auf die dunkle Glasscheibe und fragte sich, was er jetzt tun sollte. Anscheinend hatte sein ach so toller Freund ihn versetzt und nun stand er hier in einer verdammt kalten Frühlingsnacht.

„Hawky!!“

Laut brüllte eben genannter Freund nach ihm. Falkenauge drehte sich um und sah den Konteradmiral auf ihn zulaufen. Dieser kam rutschend vor ihm zum Stehen, beide Hände auf den Knien abgestützt und schwer atmend.

„Man, du bist früh!“, keuchte er wie ein Schuljunge, der zu spät zum Unterricht kam.

„Nein, du bist zu spät.“ Der Samurai verschränkte die Arme, „Hast du, was ich will?“

Die grünen Augen sahen zu ihm auf, ehe sich auch der Mann im Anzug aufrichtete und nun mit ihm auf Augenhöhe war. Für eine ewige Sekunde führten sie einen Kampf. Keiner wollte den Blickkontakt brechen.

„Bist du dir sicher, dass du das wirklich willst?“

Der Samurai blinzelte nicht einmal. „Hätte ich dich sonst gefragt?“

Seufzend zog Jiroushin eine Tragetasche von seiner Schulter und hielt sie ihm hin, doch bevor Falkenauge sie greifen konnte, zögerte der Mann der Marine.

„Dulacre.“

Es war selten, dass er seinen Namen nutzte und so angespannt wirkte, meistens lächelte er doch. Der Schwarzhaarige griff die freie Hand des anderen.

„Jiroushin, hör mir zu. Ich weiß, dass du dafür gefeuert werden könntest. Ich weiß, dass du dafür bestraft werden könntest und ich weiß, dass es das Allerschlimmste für dich ist, selbst wenn nie jemand davon erfahren wird und trotzdem habe ich dich darum gebeten.“

Sein Freund sah ihn an.

„Du weißt, dass ich alles für dich tue. Alles. Ich will nur wissen ob er es wert war!“

Der Ältere sah weg doch dann nickte er.

„Er wäre würdig gewesen. Er war der Einzige, der es wert gewesen wäre mein Nachfolger zu werden. Ich muss die Wahrheit wissen!“

Mit einem festen Griff nahm Dulacre seinem Freund die Tasche ab.

„Ich danke dir Jiroushin. Ich stehe in deiner Schuld.“

Sein Freund lächelte traurig und obwohl er den Kampf nicht so sehr liebte wie der Schwertkämpfer, schien er zu verstehen, was in dem anderen vorging.

„Erinnere mich daran, wenn meine Kollegen mich einbuchten. Dann bin ich auf dich angewiesen.“

Er packte seinen Unterarm.

„Und wenn ich das Hauptquartier stürzen muss.“

Dann lachten sie beide. Es war schön, dass ihre gemeinsamen Erinnerungen noch von beiden gelebt wurden.

„Na gut. Dann mach ich mich jetzt auf nach Hause.“

„Grüß Lirin von mir.“

„Mach ich, hoffentlich dauert es nicht wieder drei Monate bis ich was von dir höre.“

Er nickte.

„Und Hawky.“ Erneut wurde es ruhig um sie, „Mach ja weiter, hörst du.“

Falkenauge grinste bereits zum zweiten Mal an diesem Tag. „Klar. Und nächstes Mal, wenn wir uns treffen, musst du unbedingt Lirin mitbringen.“

Der Konteradmiral erhob die Hand zum Gruß und ging den Weg zurück, den er gerade erst gekommen war. Er verschwand in der Dunkelheit, als wäre er vom Meer verschluckt worden.

Der Samurai riskierte einen kurzen Blick in die Tasche, doch aufgrund der Dunkelheit konnte er nichts erkennen. Somit schmiss er sie sich über die Schulter und begab sich ebenfalls auf den Weg, der auf jeden Fall nicht sein Heimweg war. Die Leute, die immer noch draußen ihre Speisen und ihren Wein genossen, nahmen ihn kaum wahr. Er selber war in Gedanken bereits in den Akten verschwunden, hatte schon seine eigenen Überlegungen zu den Geschehnissen angestellt und wollte, dass sie wahr waren. Seine Beine fanden den Weg von alleine und zwar so schnell, dass er fast rannte. Schon längst hatte er die wohlhabenden Villen am Rande des Dorfes hinter sich gelassen. Nun, in der Dunkelheit wirkte dieser Wald schon fast wieder bedrohlich, doch für ihn entstand erneut nur diese innere Ruhe, welche seine Gedanken ein bisschen zähmte. Wie jedes Mal genoss er das Flüstern des Waldes, während sich seine Füße einen Weg durch den verschlungenen Pfad suchten.

Dann blieb er stehen, wie immer, wenn er am Rande der Lichtung angekommen war. Doch dieses Mal war alles anders.

Dort, am anderen Ende der Lichtung lag sie. Halb verborgen vom Schatten der Bäume. Ein junges Mädchen. Im Licht des fast vollen Mondes schienen ihre Haut weiß und ihr Haar silbern. Sie wirkte wie aus Porzellan. Für einen unendlichen Augenblick stand die Welt still. Für eine Ewigkeit hörte er auf zu atmen. Dann fing das Gras an aufgebracht zu raunen während die Bäume unheilvoll flüsterten. Die Tasche raschelte ungehalten. Sein Mantel wollte fliehen und sein Hut zerrte ihn fort, einzig und allein das Mädchen blieb still, als würde der Wind sie nicht erfassen.

Es war fast wie damals…

Und das brach den Zauber um den Samurai. Gereizt über diese selbstgewünschte Halluzination wandte er den Blick ab, doch als er wieder aufsah musste er feststellen, dass das Mädchen immer noch da lag. Nun gut, dann war das so. Jedem das Seine. Es war nicht seine Angelegenheit und er war kein barmherziger Samariter. Er sollte einfach gehen. Er war niemanden gegenüber verpflichtet.

Er hatte schon zwei Schritte auf seinem Weg hinter sich gebracht, aber seine Augen lagen immer noch auf dem Kind dort drüben. Es war kalt. Und selbst von der Entfernung aus konnte er erkennen, dass sie keine Schuhe trug. Unschlüssig stand er da. Was hinderte ihn daran weiterzugehen? Er hatte schon dutzende Menschen umgebracht, ach was, er hatte schon hunderte getötet, wieso also meldete sich ausgerechnet jetzt sein Gewissen?

Wütend biss er die Zähne zusammen. Ausgerechnet hier, an diesem Ort. Stillschweigend fluchend verließ er den Weg und ging langsam auf das Mädchen zu. Wenige Meter vor ihm blieb er stehen. Obwohl er angespannt war konnte er ziemlich sicher sein, dass es sich hier nicht um eine Falle handelte. Nachdenklich blickte er auf das Kind hinab. Stellte fest, dass sie kein weißes Kleidchen trug, sondern nur ein viel zu großes weißes Männerhemd. Die oberen Knöpfe waren geöffnet. Ihr Brustkorb hob und senkte sich langsam, sie lebte war aber offensichtlich nicht bei Bewusstsein. Kopfschüttelnd beugte er sich schließlich hinab. Nach einem kurzen Zögern hob er das Porzellanmädchen hoch. Es war federleicht. Das kindliche Gesicht ruhte unschuldig auf seiner Brust. Mit einem aufgebenden Seufzen ging er schließlich seinen Weg, das Mädchen im Arm und die Akten über der Schulter.

Wenige Minuten später erreichte er das Herrenhaus. Die Fenster zur Küche und zum Esszimmer waren hell erleuchtet und selbst durch die geschlossene Türe konnte man die trällernde Stimme der Haushälterin hören. Umständlich verschaffte er sich mit dem Ellenbogen zutritt. Drinnen trat er die Haustüre mit dem Fuß wieder zu.

„Ihr seid wieder da“, hörte er sofort die Begrüßung aus der Küche.

„Danke für die beeindruckende Schlussfolgerung“, murrte er nur.

„Was seid ihr denn so… oh, wer ist denn das?“

Überrascht war sie in der Küchentür stehen geblieben, in der Hand noch einen Kochtopf haltend.

„Ich habe sie im Wald gefunden. Sie ist nicht bei Bewusstsein. Ich bringe sie ins Gästezimmer. Wären Sie so gut sie auf Verletzungen zu untersuchen.“

„Selbstverständlich.“ nickte sie zustimmend. „Ich dreh nur schnell das Feuer leiser, dann komme ich nach. Das Abendessen kann warten.“

Samt Stiefeln, Hut und Mantel ging der Herr des Hauses durch den Flur und die Treppe hinauf. Das Gästezimmer war genau gegenüber von seinem Büro und auch hier war alles sauber und ordentlich, als wären die Laken erst am Morgen gewechselt geworden. Vorsichtig legte er das Mädchen auf dem Bett ab, ehe er mit der kleinen Nachttischlampe das Zimmer erhellte.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihr silbriges Haar, welches in langen Wellen ihren zierlichen Körper umspielte in Wirklichkeit grün war, so grün wie das Gras, auf dem sie vor wenigen Minuten noch gelegen hatte. Sie wirkte noch wirklich jung, aber ein Kind war sie nicht mehr, es schien, als hätte sie gerade erst die Schwelle zur Frau übertreten. Einen Moment blieb er noch vor ihr stehen, als schließlich Kanan dazu kam. Auch sie begutachtete das Mädchen nachdenklich.

„Wo habt Ihr sie gefunden? Sie ist ja fast nackt.“

„Auf der Lichtung.“

Er konnte ihren Blick auf sich spüren, doch er sagte nichts. Sie nickte nur.

„Es war gut, dass Ihr sie hergebracht habt. Da draußen hätte sie nur den Tod gefunden. Ich werde mich nun um sie kümmern.“

„In Ordnung. Ich bin in meinem Büro“, erklärte er zustimmend.

In seinem Büro hatte er die zwei Aktenbündel vor sich ausgepackt, doch er traute sich kaum sie zu öffnen. Was, wenn sie bestätigen würden, was in der Presse stand? Er schüttelte den Kopf. Nein, das war er dem anderen schuldig. Zumindest er musste die Wahrheit wissen. Entschieden öffnete er den ersten Verschluss. Der vollgestopfte Ordner platzte auf. So viel Wahrheit konnte nicht auf drei Seiten Zeitung zusammengefasst werden.

Er hatte noch nicht mal Ordnung in das Chaos gebracht, als die Wächterin des Hauses zu ihm herein kam. Milde interessiert blickte er auf.

„Und?“

„Ihr geht es gut“, sagte sie nachdenklich.

„Aber?“, hakte er nach, denn er kannte diesen Ausdruck nur zu gut.

„Es ist merkwürdig.“ Langsam legte er die Blätter in seiner Hand zur Seite und sah ihr zu, wie sie sich abwesend über den Oberarm strich.

„Was ist merkwürdig, Kanan?“

Erst jetzt sah sie ihn an. „Dieses Kind zeigt keinerlei Verletzungen!“

„Und warum ist das was Schlechtes? Ist doch gut.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Ihr versteht nicht. Sie hat sich noch nie verletzt. Sie hat keine Narben, keine Schürfungen, keine Falten, noch nicht einmal Hornhaut. Die Haut von dem Mädchen ist die eines Kleinkindes. So etwas habe ich noch nie gesehen. Selbst das Hemd, dass sie trug war perlweiß, wie frisch gekauft, und ansonsten war sie komplett nackt.“

Verwundert hielt er ihrem Blick stand. „Wie ist das möglich?“

„Ich habe keine Ahnung. Aber normal ist das nicht. Ein Mädchen in ihrem Alter müsste doch zumindest einen Pickel haben.“

„Wie alt schätzen Sie unseren Gast?“, fragte er, ohne auf ihre Aussage weiter einzugehen.

Sie zuckte mit den Achseln. „So um die 16.“

Dann wurde es still.

„Was habt Ihr jetzt vor? Werdet Ihr abreisen?“

Abweisend stand er auf und legte die Akten aufeinander.

„Nein, Sie wissen, dass das nicht geht. Das Mädchen ist nun meine Verantwortung“, antwortete er schlicht, hob die Akten hoch und ging zur Tür. Die Haushälterin trat in den Flur zurück.

„Gehen Sie schlafen“, befahl er milde. „Ich passe auf. Wenn sie aufwacht, rufe ich Sie.“

Sie nickte und wünschte ihm einen ruhigen Abend, ehe sie in den Tiefen des Hauses verschwand.

Mit einem Seufzen trug er die Unterlagen in das Gästezimmer, legte sie dort auf den kleinen Schreibtisch und ging wieder. Gemächlich ging er die Treppe hinunter und in die Küche. Dort nahm er sich den erst besten Wein sowie einen Teller voller Essen, den Kanan ihm wohl bereit gestellt hatte, und kehrte wieder um.

Im Zimmer war immer noch alles ruhig als er ankam. So nahm er sich den Stuhl vom Schreibtisch und zerrte ihn mit genügend Abstand neben das Bett, stellte seine Weinflasche und den Teller auf dem Nachttisch ab und schob die Vorhänge zur Seite, sodass das fahle Mondlicht hineinfiel. Während er die Akten neben sich auf den Boden warf, stellte er fest, dass man aus diesem Zimmer einen ganz ausgezeichneten Blick auf das Meer hatte. Nicht weiter darüber nachdenkend begann er schließlich damit die Wahrheit zu finden. Die Wahrheit, warum Lorenor Zorro gestorben war.

Kapitel 2 - Das Erwachen

Kapitel 2 - Das Erwachen
 

Es war warm. Es war weich. Es war unglaublich gemütlich. Das war das erste, was ihm langsam bewusst wurde, während er nur wehmütig dem Schlaf entglitt. Noch immer hatte er die Augen geschlossen. Er liebte diesen Moment, kurz vor dem Aufwachen. Wenn man wusste, dass ein neuer Tag beginnen würde, aber man diesen Anfang noch ein bisschen hinauszögern konnte. Selten passierte es, dass er in Ruhe ausschlafen konnte. Genau deswegen liebte er diesen Moment. Fast so sehr wie diesen entspannenden Augenblick, kurz bevor man einschlief, wenn das leise rhythmische Atmen der anderen einen beruhigenden Schlafzauber über ihn legte.

Aber er wusste, dass er nicht auf der Thousand Sunny geschlafen hatte. Zum einen war es dafür viel zu ruhig und zum anderen schlief er nicht in seiner vertrauten Koje, die er, nur fürs Protokoll, absolut ausreichend fand, sondern in einem so komfortablen Bett, wie er es selten getan hatte. Irgendwie roch es hier nach einem vertrauten Duft. Er wusste nicht genau, was es war. Der Koch hätte es wahrscheinlich sofort erkannt, dieses Kraut, aber es hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn.

Traurig musste er sich eingestehen, dass er nun wirklich wach war und dass es keinen Sinn mehr machte sich vor dem Tag zu verstecken. Seufzend öffnete er die Augen. Wo zur Hölle war er?

Alles was er sah, war eine weiße Decke mit weiß-schimmernden Applikationen, sah ziemlich edel aus. Seine Sicht war vor Schlaftrunkenheit noch sehr verschwommen und seine Sinne waren noch stumpf vor Müdigkeit.

Lavendel! Das war es. Vielleicht war er in irgendeinem teuren Nobelhotel. Dabei war er doch pleite.

„Ah. Endlich aufgewacht?“, fragte ihn eine unheilvoll bekannte Stimme aus weiter Ferne.

Langsam glitt sein Blick in die Richtung der Stimme und sein Kopf kippte leicht zur Seite. Sein Körper fühlte sich fremd an. So schwer und so leicht zugleich. Vielleicht war er unter Drogen gesetzt worden. Wieso sonst hatte er noch nicht bemerkt, dass jemand anderes anwesend war? Eine Sekunde lang betrachtete er den verschwommenen Schemen vor sich, verwundert darüber, dass seine Instinkte ihn nicht schon längst in Alarmbereitschaft gebracht hatten. Dann klärte sich das Bild langsam.

Vor ihm saß ein hochgewachsener schwarzhaariger Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose. In seiner Hand hielt er einen schwarzen Block oder so etwas in der Art. Er hatte die Beine überschlagen und balancierte auf dem Knie einen weiteren Ordner. Seine goldgelben Augen durchstachen ihn beinahe neugierig und er strich sich mit langgliedrigen Fingern über seinen Bart.

„Du!“, rief er und richtete sich ruckartig auf. Seine Hand suchte fahrig nach seinen Schwertern.

„Was machst du hier?“

Verwirrt sah ihn der Samurai an. Wo waren seine Schwerter?

„Ähm. Das ist mein Haus.“

Hektisch sah er sich um. Sein Körper war immer noch so schwer, seine Sinne immer noch getrübt. Eilig inspizierte er das Zimmer, in dem er saß. Registrierte den kleinen Schreibtisch, das geöffnete Fenster und noch viel wichtiger, die beiden Türen. Eine von ihnen könnte sein Fluchtweg sein. Aber wo waren seine Schwerter?

„Und warum hast du mich hierher gebracht?!“, spukte er aus und unterdrückte den Reiz sich an den Hals zu greifen. Seine Stimme klang krächzend und seltsam hoch, als wäre er krank und heiser, aber er durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Die Stirn runzelnd klappte der Schwarzhaarige seine Unterlagen zu und sah ihn durchdringend an.

„Was meinen Sie damit?“

„Sie?!“, entkam es ihm noch wütender.

„Sag mal. Erkennst du mich noch nicht mal?“, setzte er ruhiger hinterher. Er durfte sich nicht aus der Fassung bringen lassen. Nicht von seinem Feind. Doch dieser sah nun wirklich irritiert aus, dann schüttelte er den Kopf.

„Ich glaube nicht, dass wir uns kennen.“

Für einen kleinen Moment setzte sein Herz aus. Verletzt wandte er den Blick ab. Stockend atmete er ein und aus. Es war unmöglich seine Enttäuschung zu verbergen. Er wusste, dass er damals ziemlich schwach gewesen war und kaum einen würdigen Gegner für den besten Schwertkämpfer der Welt dargestellt haben konnte. Aber irgendwie hatte er gehofft, hatte sogar geglaubt, dass der andere etwas in ihm gesehen hatte. Schließlich hatte er doch damals sein Leben verschont. Hatte ihm ein ewiges Zeichen seiner Niederlage zugefügt. Damit er sich jeden Tag daran erinnern würde. Daran erinnern würde, wer er gewesen war und wer er werden könnte. Alleine diese Anerkennung des anderen hatte es ihm ermöglicht, seine eigenen Grenzen wieder und wieder zu überwinden. Hatte ihm Mut gegeben, wenn er sich den nächsten Schritt nicht zugetraut hatte. Hatte ihm Bestätigung gegeben, wenn er an sich selbst gezweifelt hatte. Und nun stellte sich heraus, dass der andere nicht einmal mehr wusste, wer er war?

„Du hast unseren Kampf also vergessen?“, fragte er tonlos und ohne seinen Gesprächspartner anzusehen. Wieso traf es ihn so schwer? Wieso war er nicht in der Lage sich zusammenzureißen?

Aus dem Augenwinkel konnte er das erneute Kopfschütteln des anderen wahrnehmen.

„Es tut mir wirklich leid. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich an einen Gegner wie Sie erinnern würde. Ich denke nicht, dass wir je miteinander gekämpft haben. Vielleicht verwechseln Sie mich.“ Seine Stimme war freundlich, mit einer höflichen Note versehen. Ganz anders als damals.

„Dann sag mir, Falkenauge.“, flüsterte er. „Warst es nicht du, der mir diese Verletzung zugefügt hat?!“, zischte er eine Spur zu laut, während er sein Hemd zur Seite gerissen hatte und den oberen Teil seiner Narbe entblößte. Das konnte der andere doch gar nicht vergessen haben. Er wäre damals beinahe gestorben und würde auf ewig die Spur ihres Kampfes tragen.

Der Ältere schien jedoch nur leicht zu erröten und wandte den Blick ab.

„Ich muss mich erneut entschuldigen, aber…“ Er zögerte einen Moment. „aber ich kann dort keine Wunde erkennen.“

„Willst du mich eigentlich verarschen?!“, brüllte er nun und starrte selbst an sich hinab um sich und den anderen vom Gegenteil zu überzeugen. Aber da war keine Narbe. Nein. Da war keine Narbe. Absolut keine Narbe.

„Aber was…?“, flüsterte er. „Was hast du mit mir angestellt?!“

Falkenauge betrachtete ihn nun beunruhigt. „Ich verstehe nicht…“

„Bleib weg von mir!“, unterbrach er diesen, als dieser vorsichtig aufgestanden war und eine Hand nach ihm ausstreckte. Dabei rutschte er ruckartig von ihm weg, ohne allerdings die Größe des Bettes beachtet zu haben. Plötzlich griff seine Hand ins Leere und er verlor den Halt. Polternd stürzte er zu Boden. Stöhnend und fluchend versuchte er sich aus dem Laken zu befreien.

„Oh mein Gott. Ist Ihnen etwas…?“

„Bleib mir ja vom Hals, du Mist…“ Wieder blieben ihm die Worte im Halse stecken, als er es endlich geschafft hatte sich auf allen Vieren aufzurichten. Sein Blick war auf ein großes Fenster vor ihm gefallen. Vor ihm kniete ein verstört dreinblickendes Mädchen. Es folgte seinem Blick, während ihr Gesichtsausdruck von verstört zu panisch wechselte. Langsam hob er eine Hand. Das Kind spiegelte seine Bewegung.

„Aber das ist doch nicht möglich.“, flüsterte er. Das Mädchen vor ihm wirkte kränklich blass. Dünne, schwache Ärmchen stützten den zierlichen Oberkörper. Das viel zu große Männerhemd bedeckte einen zerbrechlichen, kleinen Körper.  Der Ausschnitt und die geöffneten Knöpfe gaben ihm den Blick auf zwei kleine Brüste und einen ansonsten nackten Körper. Das Gesicht des Mädchens wirkte, bis auf die offensichtliche Angst in den kindlich großen Augen, unschuldig jung. Die grünen Augen waren weit aufgerissen, als hätte es den Tod höchstpersönlich gesehen. Lange ebenso grüne Haare fielen in wilden Wellen über Schultern und Rücken. Zwei Strähnen hingen ihr genau vors Gesicht, versperrten ihr leicht die Sicht.  

Fahrig strich er die Haare im Blickfeld zur Seite. Erneut handelte das Mädchen auf der anderen Seite des Fensters simultan. Wie in Trance streckte er seine Hand nach dem Kind aus, sah zu, wie sie höchst verunsichert genau dasselbe tat. Schließlich berührte er das Glas und sah zu ihr auf. Schwer schluckend stellte er das Unvermeidbare fest. Er sah nicht durch ein großes Fenster hindurch, er blickte in einen Spiegel!
 

Fassungslos betrachtete Falkenauge die junge Frau vor sich. Außer seiner Schwester hatte er selten ein Mädchen so fluchen gehört und sie hier benahm sich wirklich eigenartig. Was hatte er sich da ins Haus geholt?

Nachdem sie unelegant vom Bett gefallen war, war er sofort zu ihr gestürzt, doch ihr seltsames Verhalten hatte ihn inne halten lassen. Angespannt beobachtete er, wie sie sich selbst, offensichtlich konfus, im Spiegel betrachtete. Er hörte ihr leises, heiseres Flüstern, sah ihren wilden, beinahe irren Blick. Langsam schritt er näher, die Hände beruhigend erhoben, als würde er ein wildes Tier zähmen wollen. Als sie sein Ebenbild in der Reflektion sah, drehte sie sich sprunghaft um und fixierte ihn feindselig.

„Was hast du mit mir gemacht?“

Ihre Stimme war nur ein Hauch, als hätte sie Angst etwas zu zerbrechen, wenn sie lauter sprechen würde. Sie war mittlerweile zum Nachttisch gekrabbelt, offenbar fehlte ihr die Kraft aufzustehen. Hilflos sah er zu ihr hinunter.

„So glauben Sie mir doch. Ich habe nicht die Spur einer Ahnung woher Sie mich kennen. Ich habe Sie gestern zum ersten Mal in meinem Leben gesehen. Sie lagen bewusstlos im Wald mit nichts an außer diesem… diesem Hemd da.“

Sie schüttelte nur den Kopf und betrachtete ihre zierlichen Hände. Verzweifelt strich er sich durchs Haar.

„Hören Sie. Vielleicht sollten wir noch mal von vorne anfangen. Also, wie Sie ja anscheinend wissen, bin ich Mihawk Dulacre, allgemein bekannt unter dem Namen Falkenauge. Und Sie sind…?“

Sie schlug seine Hand kraftlos weg und sah ihn einfach nur an. Kurz biss sie sich wie ein störrisches Kind auf die Unterlippe, dann nickte sie eher zu sich selbst als zu ihm. Klar trafen ihn diese großen grünen Augen und beinahe sanft kamen die Worte über ihre Lippen.

„Mein Name ist Lorenor Zorro!“
 

Für einen Moment stand die Welt still, während Falkenauge die junge Frau am Boden ansah. Ernst blickte sie zurück, ein kleines Funkeln in den Augen, ein spöttisches Grinsen im Gesicht. Dann lachte er laut auf. Hohl und kalt hallte seine Stimme durch den Raum, während sich sein Lächeln in eine Grimasse verwandelte.

„Es tut mir leid, meine Verehrteste.“, spukte er jedes Wort vor ihre Füße. „Aber ich kenne Lorenor Zorro. Er ist ein vielversprechender, arroganter, junger Schwertkämpfer und vor allem ist er ein Mann!“  

Sie hatte den Mund geöffnet, doch er unterbrach sie mit einer ungehaltenen Handbewegung.

„Außerdem…“, fügte er beinahe tonlos hinzu. „ist Lorenor Zorro tot!“

Das Mädchen vor ihm erstarrte mit offenem Mund. Er konnte zusehen, wie ihre großen kindlichen Augen allmählich blass und leer wurden. Für eine Sekunde schien sie in weiter Ferne, während ihr Blick gläsern wurde.

„Das Feuer“, flüsterte sie.

Doch sie sprach nicht mit ihm. Es schien, als hätte sie ihn ganz vergessen. Doch nur für einen Moment.

Bevor er überhaupt realisieren konnte, was gerade in ihr vorging, hatte sie sich ruckartig mit beiden Händen übers Bett geworfen und hechtete auf die Tür zu. Die Beine gaben unter ihr nach und sie konnte sich noch gerade so an der Türklinke festhalten, ehe sie ganz zu Boden stürzte.

„Hey, was soll das?“, entkam es ihm verwirrt, während er zu ihr eilte um ihr aufzuhelfen. Doch erneut schlug sie seine Hände weg, klammerte sich an Klinke und Stuhllehne während sie ihren Halt wieder fand.

„Ich muss hier weg! Die anderen denken ich bin tot. Ich muss zu ihnen!“

Damit belastete sie prüfend ihre Füße wieder und drückte die Klinke hinunter.

„Wie bitte? Wer denn und wohin?“

Hektisch wirbelte sie zu ihm herum, fiel dabei beinahe wieder zu Boden.

„Ich muss zu meiner Crew, natürlich! Sie müssen irgendwo in der Nähe der Senichi-Inseln sein. Da muss ich hin.“

Sie wollte sich wieder der Tür zuwenden, doch er griff sie am Handgelenk und hielt sie fest.

„Jetzt mal Pause für einen Moment. Die Senichi-Inseln?“

Wütend starrte das Mädchen auf seine Hand, ehe sie ihn mit einem eisigen Blick durchbohrte. Sie zerrte an ihrem Arm, aber natürlich konnte sie sich aus seinem Griff nicht befreien.

„Weil der Marinestützpunkt, auf dem wir gefangen waren, dort war. Sie konnten fliehen, aber weit dürften sie noch nicht gekommen sein. Und jetzt lass mich los!“

„Noch eine Frage?“

Kalt traf grün auf gelb, er musste überprüfen, was sie da von sich gab. Konnte es überhaupt möglich sein? Das Gebrabbel des Mädchens machte kaum Sinn, außer wenn sie die Wahrheit sagte. Aber woher sollte sie die Einzelheiten wissen? Woher sollte sie wissen, dass der Zeitungsbericht absoluter Schwachsinn war?

„Wie sind die Strohhüte daraus gekommen?“

Einen Moment wurde es ruhig, dann antwortete sie mit belegter Stimme.

„Na, weil ich den Stützpunkt in die Luft gejagt habe, einschließlich aller Soldaten, damit meine Freunde abhauen konnten!“

Überrascht starrte er das Mädchen an. Für einen Moment lockerte sich sein Griff, was sie sofort ausnutzte, um sich zu befreien und aus der Tür zu stürzen. Er jedoch betrachtete die Akten auf dem Stuhl. Woher konnte sie das wissen?! Die Zeitung sprach von einem Unfall, den die Strohhutbande zu verantworten hatten um zu fliehen, wobei sie ihren Schwertkämpfer als Abtrünnigen zurück gelassen hatte.

Im nächsten Atemzug jagte er ihr hinterher und konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie die Treppe hinunter gefallen wäre.  Mit einem Arm hielt er ihre schlanke Taille und schüttelte sie leicht.

„Woher wissen Sie das?!“ Seine Stimme war lauter, als es ihm lieb war „Woher wissen Sie die Wahrheit?!“

Sie drückte beide Hände gegen ihn um sich zu befreien, war jedoch viel zu schwach.

„Weil ich Lorenor Zorro bin!“

„Das ist unmöglich!“, knurrte er ohne sich von ihren Händen stören zu lassen.

„Ist es nicht! Und jetzt lass mich verdammt noch mal runter!“, antwortete sie bissig.

„Lorenor Zorro ist tot! Außerdem ist es unmöglich so schnell von den Senichi-Inseln nach hier zu kommen!“

Einen Moment hielt sie inne. „Wie meinst du das?“

Er hielt ihrem harten Blick mühelos stand „Der Ausbruch war vorgestern Abend.“

„Ja und?“

„Selbst das schnellste Marineschiff bräuchte ohne Unterbrechung mindestens einen ganzen Monat!“ Sie erstarrte. „Aber das… aber das ist nicht möglich.“

„Das sag ich doch!“

Und dann riss sie sich los und stolperte die Treppe hinunter. Die letzten Stufen konnte sie sich nicht mehr halten und fiel zu Boden.

„Was zur Hölle soll das?!“, rief er ihr hinterher und rannte ebenfalls die Stufen hinab. Was hatte er sich da nur nach Hause geholt?

„Das ist mir egal.“, flüsterte das Mädchen und setzte sich zitternd auf. „Und wenn ich die ganze Grand Line überqueren muss, ich finde die anderen.“

Mit verschränkten Armen beobachtete er die Grünhaarige dabei, wie sie sich zitternd am Geländer hochzog und immer noch bebend aufstand. Ihre Knie und Handflächen waren aufgeschürft, doch sie hatte einen verbissenen, unnachgiebigen Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie würde nicht aufgeben. Er musterte sie nachdenklich, konnte sehen, dass sie es kaum bis zur Tür schaffen würde, trotzdem setzte sie schwankend einen Fuß vor den anderen. Kopfschüttelnd ging er ihr hinterher, griff ihr erneut um die Hüfte und hob sie hoch.

„Was machst du da?! Lass mich sofort wieder runter! Ich schwör dir, ich bring dich um!“

Mit einem bösen Grinsen ging er wieder die Treppe hoch, sich nebenbei wundernd, wo seine Haushälterin abgeblieben war.

„Erstens, von einem halben Hemd lasse ich mir keine Befehle erteilen und Zweitens, das würde ich aber gern mal sehen.“

Entschiedenen Schrittes ging er den Flur zurück und ignorierte gekonnt das sich sträubende Mädchen in seinen Armen. Im Raum angekommen warf er sie beinahe unsanft zurück aufs Bett, schloss die Tür und zog sich den Stuhl heran.

Nachdem er die Akten zu Boden geschmissen hatte, drehte er den Stuhl mit der Lehne zum Bett, setzte sich falschrum drauf und stützte die Arme auf der Lehne ab.  Das Mädchen blitzte ihn böse an.

„Und jetzt die Wahrheit, kleine Lady.“

Das Mädchen legte den Kopf leicht schräg und die Stirn in Falten, ihr Blick war absolut feindselig.

„Glaub du doch, was du willst. Soll mir egal sein, aber ich muss hier weg.“

Doch sie versuchte nicht erneut zu flüchten. Wahrscheinlich war ihr bewusst, dass sie keine Chance gegen ihn hatte. Er schüttelte nur leicht den Kopf.

„Mal angenommen du sagst die Wahrheit: Wie willst du, in deiner jetzigen Verfassung, es ganz alleine bis zum untergegangenen Stützpunkt schaffen? Ganz abgesehen davon, dass die Strohhüte bis dahin schon über alle Berge sein werden.“

Sie verschränkte trotzig die Arme.

„Das kann dir doch sowas von egal sein. Ich habe nicht um deine Hilfe gebeten, also kann es dir nur recht sein, wenn ich verschwinde!“

Schon wieder. Schon wieder schaffte es diese… dieses Kind ihn zu reizen, ihn aus der Reserve zu locken. Betont langsam atmete er aus.

„Du könntest schon ein bisschen Dankbarkeit zeigen. Immerhin habe ich dich gestern mitgenommen, ohne mich wärest du jetzt tot.“

„Sag mal, bist du so dumm oder willst du es einfach nicht begreifen?“

Ihr dreister, verbaler Angriff  trieb ihn nun wirklich zur Weißglut, doch ihre nächsten Worte zerdrückten die Flammen augenblicklich.

„Es interessiert mich einen Dreck, was du getan oder nicht getan hast und ob du mich vor dem Tod gerettet hast oder nicht. Ich bin bereits gestorben, kapiert?!“

Mit jedem Wort fing sie mehr an zu zittern. „Und meine Freunde sind in Gefahr, während ich hier bin und sie nicht beschützen  kann. Sie halten mich für tot und im günstigsten Falle ist ihnen noch nicht das gleiche Schicksal widerfahren.“

Er wusste nicht, was er tun sollte. Dieses Mädchen vor ihm, ja dieses Mädchen vor ihm.

„Du bist es also wirklich.“, sagte er schlussendlich.

Sie stockte ehe sie wegsah. „Du glaubst mir?“

Er betrachtete sie genauer, versuchte das zierliche Ding, welches mit aufgeschürften Händen und einer wilden Mähne in einem viel zu großen Hemd auf dem Bett hockte, mit dem blutenden Schwertkämpfer von damals zu vergleichen, mit dem Schwertkämpfer, der selbst schwer verletzt noch kämpfen wollte, mit dem Schwertkämpfer, der aus Ehre bereit war zu sterben. Der wusste, dass Narben auf dem Rücken eine Schande waren.

„Ich bin noch nicht wirklich überzeugt. Aber woher sonst solltest du wissen, was in den Akten steht?“

Verwirrt sahen ihn die grünen Augen an. „Was für Akten?“

„In den Akten, wo die Berichte über den Ausbruch und den Fall der G6 enthalten sind. Natürlich sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen, aber es ist immer noch besser als alles, was in der Zeitung steht.“ Mit diesen Worten fischte er den Artikel vom Boden und warf ihn dem angeblichen verzauberten Piraten hin.

„Was ist mit dir passiert? Wie kommst du hierher?“

Die junge Frau griff zittrig nach der Zeitung.

„Ich habe keine Ahnung“, murmelte sie abwesend, während sie hastig die Zeilen vor sich verschlang.

„Das stimmt nicht“, flüsterte sie zornig, immer noch den Artikel am Durchlesen. Dann schlug sie die Zeitung auf und überflog eilig den Hauptartikel. Aufgebracht warf sie schließlich das Papier zu Boden.

„Das stimmt alles nicht!“, beteuerte sie dem Samurai. „Ich würde nie meine Crew verraten um mich mit diesen Schmuggler-Typen einzulassen. Und sie haben mich nicht zurück gelassen. Ich habe sie weggeschickt!“

Er hörte diese Verzweiflung in der Stimme, eine Verzweiflung die ihm nur zu gut bekannt vorkam.

„Ich weiß.“, antwortete er schlicht. Doch das reichte anscheinend aus, um den anderen zu beruhigen.

„Woher?“

„Na, aus den Akten.“  

Nun fischte er die beiden Akten vom Boden. Nachdem er die ganze Nacht die Unterlagen durchgearbeitet hatte, war er in der frühen Morgenstunde endlich in der Lage gewesen, aus den brüchigen Augenzeugenberichten und technischen Angaben einen verständlichen Zusammenhang zu bilden. Allerdings fehlten noch viele kleinere Details, die das Geschöpf vor ihm vielleicht zur Verfügung stellen konnte. Er ließ sie vor die blutigen Knie des anderen fallen.  

„Das sollte man desinfizieren“, murmelte er nur, wurde aber erneut von seinem Gast einfach ignoriert, während das Mädchen die Papiere kurz durchlas.

„Woher hat die Marine solche Informationen?“

Der Schwarzhaarige verschränkte ebenfalls die Arme und lehnte sich etwas zurück.

„Der Vizeadmiral Hakkai hat überlebt. Er und noch zwei oder drei weitere Soldaten, darunter auch einer von seinen Leutnants. Bis auf Hakkai selber, schweben alle noch in Lebensgefahr von den Verbrennungen. Das ist allerdings der Stand von gestern Abend, vielleicht sind sie mittlerweile alle tot“, fügte er kühl hinzu.

Der Strubbelkopf konzentrierte sich immer noch auf die Unterlagen. Dunkle Schatten lagen über dem Gesicht, immer noch zitterte sie.

„Ich muss hier weg“, wiederholte sie.

„Jetzt warte mal“, seufzte Falkenauge auf und nahm ihr einfach die Unterlagen weg. Als sie danach greifen wollte, packte er beide Handgelenke mit einer Hand und zwang sie dazu, ihn anzusehen.

„Ich will erst mal wissen, was mit dir passiert ist und wie du hier hingekommen bist.“

Die Augen seines Gegenübers schimmerten leicht, ansonsten zeigte ihr ausdrucksloses Gesicht keinerlei Emotionen.

„Um das ein für alle Mal klar zu stellen. Ich habe keine Ahnung, wo ‚hier‘ ist und wie ich hierhin gekommen bin. Das Letzte, an das ich mich erinnere ist, wie ich im Feuer verbrannt bin und dieser verdammte Turm eingestürzt ist. Und plötzlich bin ich hier und sehe so aus!“

Dabei machte sie eine seltsame Kopfbewegung um auf ihren Körper zu verweisen.

„Du hast also keine Ahnung?“, fragte er noch einmal nach.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Aber das ist unwichtig, ich muss…“

„Was musst du?“, unterbrach er das Mädchen vor sich, ohne sie loszulassen.

„Sieh dich doch mal an. Du kannst kaum laufen, geschweige denn dich alleine auf See begeben. Du bist tot, ehe du den Strand erreicht hast. Du wirst es nie im Leben zu deiner Crew schaffen. Und wenn du es doch irgendwie schaffen solltest die Senichi-Inseln und die Überbleibsel der G6 zu erreichen, dann werden die anderen schon längst über alle Berge sein, weil sie nicht wissen, dass du überlebt haben könntest.“

„Und was soll ich deiner Meinung nach tun, oh, du bester Stratege aller Zeiten?!“

Dieser Schimmer in den grünen Augen wurde wilder, als stünde sie kurz davor in Tränen auszubrechen. Auch ihre Stimme wurde ein bisschen höher.

„Ich hab doch nichts anderes als meine Freunde. Das hier ist nicht mein Körper, nicht mein Leben. Ich bin gestorben verdammt normal. Ich habe in meinen tollen Fluchtplan nicht mit eingerechnet, dass ich als schwächliches Mädchen im Haus meines Feindes aufwachen würde, okay?“

Er ließ ihre Hände los. Das Mädchen errötete leicht und blickte beschämt zur Seite. Sie schien offensichtlich am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu stehen. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

„Verfluchte Scheiße“, flüsterte sie. „Ich hatte mir vorgenommen dich zu besiegen, das nächste Mal wenn ich auf dich treffen sollte. Und nun? Jetzt kann ich noch nicht mal meine Freunde beschützen.“  

Immer noch beobachtete er da seinen Fund, während die Räder hinter seiner Stirn arbeiteten.

„Du hast sie beschützt“, meinte er schließlich. „Soweit ich weiß, sind sie alle am Leben und wohlauf.“

„Wirklich?“

Er nickte. „Allerdings weiß ich auch nicht mehr als das, was hier in den Akten steht und den Mist aus der Zeitung.“

Als sein Gast immer noch nicht in der Lage war ihn anzusehen, stand er seufzend auf.

„Jetzt hör mal gut zu, Lorenor Zorro.“

Endlich galt die Aufmerksamkeit des grünhaarigen Lockenkopfes wieder ihm.

„Ich glaube dir.“

Einen Moment zögerte er, ehe er weitersprach, nicht sicher, warum er das überhaupt tat.

„Und deswegen machen wir das jetzt so. Du wirst dich jetzt erst mal ausruhen, vielleicht eine Dusche nehmen und diese Schürfungen desinfizieren.“

Dabei winkte er zur hellen Türe auf der anderen Seite des Bettes.

„Meine Haushälterin, Frau Bosatsu wird dir was Vernünftiges zum Anziehen besorgen und dir was zu essen machen.“

Der andere wollte ihn unterbrechen, doch das ließ er nicht zu.

„Ich werde derweil ins Dorf gehen und Informationen über deine Crew einholen. Wenn wir wissen, wo sie sind, sehen wir weiter. In Ordnung?“

Der Mund des Piratenmädchens stand immer noch offen, doch nach einer Weile nickte sie.

„Gut, dann mache ich mich jetzt auf den Weg.“

„Warte.“

Er wandte sich um. „Was ist?“

Das unglückliche Geschöpf auf dem Bett blickte nicht zu ihm auf, sondern knetete die Laken eindringlich.

„Wieso tust du das? Du weißt, dass es mein Ziel ist, dich zu besiegen, zu töten, trotzdem hilfst du mir. Warum?“

Er lächelte leicht. „Bild dir darauf nichts ein Lorenor Zorro. Die Ehre meiner Familie gebietet es mir, die Verantwortung zu tragen, die ich übernommen habe. Als ich dich gestern Abend mit in mein Haus genommen habe, wurde ich für dich verantwortlich.“

Langsam hob sein ungebetener Gast den Kopf.

„Dann entbinde ich dich hiermit von deiner Verantwortung. Du stehst in keiner Pflicht und ich will nicht noch tiefer in deiner Schuld stehen.“

Ein sanftes Lachen rang sich durch seine Kehle. „Tut mir leid, mein junger Freund. Du bist weder in der Position noch hast du die Wahl. Wenn ich dich in diesem Zustand gehen lassen würde, würde ich meine Ahnen verraten. Allerdings hast du Recht. Du stehst in meiner Schuld.“

Ein böses Grinsen umspielte seine Lippen, als der andere ihn fast etwas geschockt anstarrte. Natürlich waren ihm seine Ahnen vollkommen unwichtig, aber es gab andere, die er nicht verraten wollte.  

„Wenn du deine Schuld begleichen willst, Lorenor Zorro, dann erwarte ich bei deiner Ehre als Schwertkämpfer, dass ich dich bei meiner Rückkehr hier wieder antreffe. Ansonsten werde ich dich verfolgen und das beenden, was die Götter anscheinend nicht geschafft haben.“  

Er mochte es, dieses perplexe Gesicht. Der andere brachte nicht einmal einen Ton raus. Siegessicher ging er zur Tür.

„Ach ja“, fügte er hinzu. „Kanan ist ein guter Mensch. Behandle sie mit Respekt!“

Dann schloss er die Tür.

Ein leises Puff hinter ihm, gab ihm zu verstehen, dass sein Gast ein Kissen gegen die Tür geworfen hatte. Mit einem zufriedenen Lächeln ging er den Flur entlang. Dieser Tag versprach interessant zu werden.

„Oh, Ihr seid wach?“, hörte er die vertraute Stimme seines ehemaligen Kindermädchens.

„Kanan“, begrüßte er sie, während er die Treppe hinunter kam. Sie hing gerade einen langen Mantel neben den seinen und zog sich ihre Schuhe aus. Darunter trug sie ein langes braunes Kleid mit Rüschenkragen. Im Eingang stand ein großer Korb mit Holz.

„Unser Gast ist aufgewacht“, sprach er weiter, nahm den Korb und trug ihn zur Feuerstelle im Wohnzimmer.

Sie folgte ihm. „Werdet Ihr nun gehen?“

Er nickte. „Ja.“

Dann begann er die Scheite zu stapeln. Ihre helfenden Hände lehnte er ab.

„Ich werde wahrscheinlich erst spät heute Abend zurückkommen Bis dahin gebe ich unseren Gast in Ihre Obhut. Sorgen Sie dafür, dass sie was anderes zum Anziehen bekommt und was Ordentliches isst.“

„Natürlich. Es wird mir eine Freude sein, für das Mädchen zu sorgen. Das arme Ding muss ja ganz Schreckliches durchgemacht haben.“

Dem konnte er innerlich zwar nur zustimmen, allerdings war ihm auch nicht der fröhliche Unterton der Haushälterin entgangen die gar nicht so unglücklich wirkte. Er richtete sich auf und reichte ihr den leeren Korb.

„Trotz ihrer Größe sollten Sie Umsicht walten lassen. Ich glaube unser neues Haustier ist ein Angstbeißer.“

„Keine Sorge“, strahlte sie und krempelte sich die Ärmel hoch.

„Ich habe sieben Kinder großgezogen und eines davon wart Ihr. Mich bringt niemand so schnell aus der Fassung. Ich komme schon klar. Nun geht schon, geht“, drängte sie ihn zur Tür, sodass er sich gerade noch anziehen konnte, ehe sie ihn schon rausgeschmissen hatte.

Während er vor seinem eigenen Heim stand, wurde ihm bewusst, dass er noch die Sachen vom Vortag anhatte. Aber nun gut, ändern konnte er das jetzt auch nicht mehr.

Kapitel 3 - Die Erkenntnis

Kapitel 3 – Die Erkenntnis

 

 

Unwohl sah er sich um. Leise, zornige Tränen tropften seine Wangen hinab und er konnte sie einfach nicht aufhalten. Hass und Verzweiflung stiegen in ihm hoch, während die Hilflosigkeit seinen Stolz zerfraß. Was war nur los mit ihm? Wieso konnte er nicht klar denken? Wieso war er nur so aufgewühlt?

Vom Bett aus betrachtete er sein Spiegelbild. Er hatte keine Ahnung, was passiert war und wieso er nun aussah, wie er aussah, aber eins war sicher: Der Samurai hatte Recht. In diesem Körper und mit der mangelnden Kraft würde er keine zwei Tage in der Wildnis überleben.

Langsam begutachtete er den Raum, in dem er sich aufhielt, versuchte für einen flüchtigen Moment sich zu beruhigen, sich abzulenken. Das Zimmer war fünfeckig und recht großzügig. Zur Rechten des Bettes war die Tür, die zum Flur führte, davor stand der Stuhl auf dem vor kurzen noch der Samurai gesessen hatte. Direkt daneben war ein kleiner Nachttisch mit Lampe und leerer Weinflasche, eine Schande, dass sie leer war. Zwei Fensterseiten gaben Sicht auf die Rückseite des Hauses, den Garten und das angrenzende Meer. Unter einem stand ein kleiner Schreibtisch. Daneben war der mannshohe Spiegel aus dem ihn immer noch diese großen grünen Augen verfolgten.

Auf der linken Seite des Bettes war der Zwilling vom Nachttisch, jedoch ohne Weinflasche. Dahinter war eine zweite Tür, die vermutlich zum Badezimmer führte. Zwischen dieser und dem Spiegel stand eine kleine Kommode aus hellem Holz. Der ganze Raum wirkte ziemlich freundlich und einladend durch das viele Licht. Aber auch sehr nobel. Der Pirat fragte sich allmählich, aus was für einer blasierten Familie sein Gastgeber stammte. Doch die kreisenden Gedanken ließen sich nicht ablenken.

Er hasste sich für die Hilflosigkeit, die er in sich fühlte, während seine dünnen Ärmchen seine Knie umschlungen und er die Tränen im Hemdsärmel vergrub. Der Körper eines Mädchens. Im Hause des Mannes den er eines Tages besiegen wollte, dessen Titel er haben wollte. Und obwohl er sich ganz genau an die furchtbaren letzten Sekunden seines Lebens erinnerte, atmete er jetzt und sein Herz schlug in dem kleinen Brustkorb. Er verstand die Welt nicht mehr.

Mit einem lauten Knall schlug plötzlich die Tür auf und ein Wirbelsturm rauschte hinein.

„Och, mein Kind. Du bist wach. Na endlich. Ich habe mir schon solche Sorgen gemacht.“

Der Wirbelsturm entpuppte sich als großgewachsene kräftige Frau.  

„Frau Bosatsu?“, fragte er ungewollt zaghaft. Noch im gleichen Moment verfluchte er sein zerbrechliches Stimmchen. Entsetzt blickte sie zu ihm herab.

„Aber nein, mein Schätzchen, für dich Kanan.“  Irgendwie erinnerte sie ihn an jemanden.

„Und jetzt mach dir keine Sorgen mehr. Du gehst jetzt schön duschen und ich mach dir was zu essen, in Ordnung?“ Eine aufgeregte Röte krabbelte über das Gesicht der Haushälterin und irgendwie musste er an den liebestollen Koch denken. Der verdammte Koch, hoffentlich war er in Ordnung.

Er spürte, wie seine winzigen Hände wieder anfingen zu zittern. Bevor er sie in seinem Schoß verstecken konnte, griff die Haushälterin jedoch nach ihnen und betrachtete die leichten Schürfwunden mit einem zornigen Gesichtsausdruck.

„Du armes Ding. Du musst ganz Furchtbares durchgemacht haben.“

Langsam strich sie mit einem Finger über seine Wange, berührte die getrockneten Tränenspuren. Er wollte zurückweichen, aber er konnte sich nicht bewegen. Sie lächelte liebevoll, während er hin- und hergerissen war zwischen Flucht und Kampf.

Gerade hatte er entschieden, sie mit ein paar passenden Worten in ihre Schranken zu weisen, da sprach sie bereits weiter.

„Aber jetzt ist alles gut. Dir wird nichts mehr geschehen. Der Hausherr und ich geben auf dich Acht.“

Und dann nahm sie ihn in den Arm. Sein Atem stockte, als er warm aber stark an die Brust dieser Unbekannten gedrückt wurde. Sein Instinkt wusste sofort, dass es keinen Sinn machen würde sich mit seinen schwächlichen Händen  zu wehren. Diese Frau schien zwar keine Kämpferin zu sein, aber ihr ganzer Körper strotze nur so vor Muskeln und Energie. In hektischen Gedankengängen überlegte er, ob es möglich sein würde, sich zumindest verbal zu wehren. Er wollte diese Berührung nicht, gleichwohl wusste er, dass es nur gut gemeint war. Wie, wenn Chopper sich an ihn klammerte oder Ruffy ihn vor lauter Freude von den Beinen riss. Es war gut gemeint. Die Schwarzhaarige spürte offenbar, dass das Mädchen in ihren Armen erstarrt war, denn sie lehnte sich zurück, behielt ihre Hände aber auf den zerbrechlichen Schultern.

„Warum?“, fragte er sie.

„Warum was? Mein Kind?“ Ihr Lächeln irritierte ihn. Warum war sie so freundlich zu ihm? Warum hatte sie keine Angst vor ihm? Warum handelte diese fremde Frau so vertraut?

„Warum sind Sie so nett zu mir? Ich könnte ein Massenmörder und Verbrecher sein. Ich könnte eine Gefahr für Sie darstellen. Warum helfen Sie mir?“

Sie lachte leise aber herzlich. Dann wurde ihr Blick ernst.

„Und selbst wenn, jetzt bist du hier. Die Vergangenheit ist vergangen. Ab jetzt beschützen wir dich.“

Mit diesen Worten richtete sie sich auf. Eine ihm schwach vertraute Wärme berührte sein Innerstes. Nein, sie war nicht ganz so wie der Koch, aber an wen erinnerte sie ihn? Was waren das für Worte? Warum sagte sie so etwas zu ihm? Sie kannte ihn doch nicht! Sie wusste doch nicht wer er war, was er war!

„Wie lautet dein Name, meine Süße?“ Der Spitzname brachte ihn aus der Fassung. So wurde er noch nie in seinem Leben betitelt. Seine Augenbraue zuckte kurz.

Gereizt antwortete er. „Mein Name ist Loren…“

„Loreen!“ Was für ein schöner Name und so passend“, unterbrach sie ihn, nun wieder breit lächelnd und Liebe ausstrahlend. Er wollte sie korrigieren, doch die Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund bevor er seinen überhaupt öffnen konnte.

„Nun gut, liebe Loreen, wir sollten den Tag beginnen. Komm, ich helfe dir ins Bad.“

„Nein!“, widersprach er ihr eine Spur zu laut. Auf ihren fast schon geschockten Gesichtsausdruck hin setzte er kleinlaut hinzu.

„Nein, nein. Das ist wirklich freundlich von Ihnen, aber ich schaff das schon alleine.“

Diese Frau mit dem breiten Lächeln und den kräftigen Oberarmen machte ihm mehr Angst als die Seehexe von Navigatorin.

Sie nickte verständnisvoll, wie eine liebevolle Mutter. „Ich verstehe. Dann lasse ich dich jetzt allein. Aber keine Sorge. Ich bring dir was Richtiges zum Anziehen. Wir wollen ja nicht, dass die Nachbarn auf falsche Gedanken kommen.“

Sie zwinkerte, während sie zur Tür hinaus ging und ergänzte: „Auch wenn wir natürlich gar keine Nachbarn haben.“ Mit einem leisen Klicken schloss sie die Tür.

Zurück blieb der verwirrte Pirat. Diese Frau war besonders. Sie war warm und herzlich, gleichzeitig so voller Leben und seine Vergangenheit interessierte sie überhaupt nicht. Außerdem hörte sie nicht zu und schien vor nichts Angst zu haben. Er wusste nur zu gut, an wen sie ihn erinnerte. Er hoffte, dass er am Leben war, dass er wohlauf war.

Ab jetzt beschützen wir dich.

Kopfschüttelt warf er seine wackeligen Beine über die Bettkannte.

In dem Moment wurde die Tür wieder aufgerissen.

„Das habe ich ganz vergessen!“, rief die hereineilende Haushälterin panisch. In ihrer hochgerissenen Hand hielt sie eine kleine Sprühflasche sowie weiße Wattebäusche.

„Das müssen wir desinfizieren.“

Im nächsten Moment hatte sie schon sein linkes Handgelenk gepackt.

„Nein, das ist wirklich nicht-Au!“ Überrascht blickte er auf seine brennende Handfläche. Es tat wirklich weh. Seit wann tat ihm Desinfizieren weh?!

„Nichts da, mein Kind. Wenn wir jetzt handeln bist du in ein paar Tagen so gut wie neu. Aber wenn da eine Infektion reinkommt, kann das ganz üble Folgen haben.“

Er hielt still, während sie die Wunden reinigte und beschwerte sich nicht. Dabei sprach sie wie ein Wasserfall. Sie fragte ihn, was er essen wollte und ob er auf irgendetwas allergisch reagierte. Sie erzählte ihm vom Wochenmarkt und dem unhöflichen Fischverkäufer. Sie sprach von ihren häuslichen Pflichten und dass alle ihre Kinder schon vor Jahren ausgezogen waren. Er lauschte ihren Geschichten nur halbherzig, allerdings war ihm nicht entgangen, dass sie ihm keine unangenehmen Fragen stellte und ihre Finger zwar sehr bestimmt aber auch überaus sanft arbeiteten, ähnlich wie es Chopper immer getan hatte.

„So, das wäre es dann“, sagte sie lächelnd. Er nickte nur und bedankte sich kleinlaut. Plötzlich schnippte sie ihm leicht gegen die Stirn.

„Mach doch nicht so ein Gesicht. Es wird alles gut. Versprochen.“

Er sah sie einfach nur an. Sie verwirrte ihn, aber sie schien auch wirklich liebenswert, wie eine warmherzige Mutter.  

Erneut zwinkerte sie und verließ das Zimmer. „Ich bring dir gleich was zum Anziehen, meine Liebe.“ Und schloss die Tür hinter sich.

Sein Blick verharrte einen Moment auf der geschlossenen Türe und rutschte dann hinunter zum Kissen, welches er eben aufgebracht nach dem Samurai geworfen hatte.

Ein bisschen verzweifelt hielt er sich den schmerzenden Kopf. Er wusste wirklich nicht, was er tun sollte. Irgendwie musste er seinen Crewmitgliedern mitteilen, dass er wohlauf war, dass er lebte. Doch dann betrachtete er seine kleinen aufgeschürften Hände.

War er denn wirklich wohlauf?

Er wusste, dass Falkenauge Recht hatte. Dieser Körper war zerbrechlich und schwach. Mit diesem Körper würde er seine Freunde nicht beschützen können. Verdammt noch mal! Er würde nicht mal sich selbst beschützen können.

Wieso war er am Leben? Wieso war er in diesem verflucht schwächlichen Körper? Wieso war er hier? Es wäre besser gewesen, wenn er einfach gestorben wäre!

Wütend schlug er in die Matratze vor sich. Einmal, zwei Mal, immer öfters, doch es brachte nichts, es brachte überhaupt nichts. Er vermisste sie. Er wollte nichts mehr, als jetzt bei ihnen sein und diese Schwäche zuzugeben machte ihn noch wütender.

Energisch schüttelte er den Kopf und atmete bestimmt langsam.

Er musste sich beruhigen, das wusste er. In seiner jetzigen Situation hatte er keine andere Wahl, als darauf zu warten, dass der Samurai mit neuen Informationen zurückkommen würde. Bis dahin musste er Kräfte sammeln und sich einen Plan überlegen. So wie er es im Gefängnis gemacht hatte. Er konnte das ein zweites Mal schaffen.

Leicht schwankend stand er schließlich auf. Seine Beine waren schwer und müde. Jetzt, als das Adrenalin seinen Körper verlassen hatte, merkte er umso deutlicher, wie erschöpft er sich anfühlte. Zittrig ging er ums Bett herum, hielt sich dabei erst am Stuhl und dann am Schreibtisch fest. Er war entsetzt, wie schwach er sich fühlte. Er kannte dieses kraftlose und ausgelaugte Gefühl nicht. Selbst nach einem Kampf, selbst schwer verletzt hatte er sich noch nie so erschlagen gefühlt. Als ob seine Muskeln nur aus dünnen Fäden bestehen würden. Warum war es so anstrengend einen so kleinen Körper zu bewegen?

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er die Badezimmertür erreicht und stürzte hinein. Er war nicht wirklich überrascht, dass dieses Zimmer ebenfalls pompös ausgestattet war. Eine elegant freistehende, cremefarbene Badewanne bildete den luxuriösen Mittelpunkt. Eine Wand wurde vollständig von einem Spiegel ausgefüllt, die anderen zwei von Fenstern. Helle Vorhänge versperrten die Sicht nach draußen, ließen aber das Licht hinein. Ein Teil des Bades war durch Glaswände abgetrennt. Dahinter lag die Dusche, welche genug Platz bot für vier oder fünf Leute. Neben dem Waschbecken war ein weiterer Vorhang zur Seite gezogen, der als Sichtschutz dienen konnte. Selbst die Toilette, im gleichen Stil gehalten wie Badewanne und Wachbecken, wirkte wie ein Möchtegernthron. Von der Decke leuchtete ein fein geschwungener Kronleuchter, welcher sich im weißen Marmor spiegelte. Seine Füße standen auf einem weichen Teppich, doch ansonsten war der Raum kalt, als wäre er lange nicht mehr benutzt worden und das, obwohl frische weiße Handtücher vorrätig waren und es auch hier sanft nach Lavendel roch.

Er rümpfte die Nase, sein Gastgeber schien ja ein verheimlichtes Königskind zu sein, aber sein Stil war das ganz und gar nicht. Alles war etwas zu protzig für ihn. Er passte nicht in diese Welt und diese Welt konnte ihm mit all ihrer Angeberei nicht beeindrucken. All dieser falsche Prunk konnte die herzliche Atmosphäre an Bord der Thousand Sunny nicht ersetzen.

Er beobachte sein Spiegelbild dabei, wie es das Hemd aufknöpfte, welches dann schließlich zu Boden fiel. Vorsichtig wanderte er seinem Spiegelbild entgegen. Nahm sich erneut die Zeit seinen neuen Körper zu begutachten. Er musste versuchen zu akzeptieren, was geschehen war und das Beste daraus zu machen. Normalerweise fiel ihm sowas immer ziemlich leicht. Normalerweise ärgerte er sich nicht über schlechte Umstände und normalerweise quälte er sich nicht mit Was-wäre-wenn-Fragen. Normalerweise passte er sich einfach der neuen Situation an und ging seinen Weg weiter. Aber das hier war alles andere als normal. Denn egal was bisher geschehen war, auf sich selbst und seinen Körper hatte er sich immer verlassen können. Damit war es nun vorbei.

Das war ihm schon das erste Mal bewusst geworden, als er diesen neuen Körper gesehen hatte, aber nun wurde es umso offensichtlicher. In einfachen Worten war er nun eine junge Frau, ein Mädchen, welches er selber als zu jung zum Flirten jedweder Art einschätzen würde. Definitiv wirkte sie viel jünger als er tatsächlich war. Innerlich fluchend korrigierte er sich, er selber wirkte deutlich jünger und war absolut niemand, den man als Bedrohung wahrnehmen würde.

Misstrauisch inspizierte er die dünnen Arme und Beine, im Kampf wäre er nicht nur kräftetechnisch unterlegen. Er zog leicht an den langen grünen Haaren, auch die könnten sich in einem Kampf deutlich als Nachteil herausstellen. Dann umfasste er die kleinen Brüste. Obwohl sie eindeutig nicht so groß waren, wie die von Nami oder Robin, war er sich sicher, dass auch sie im Kampf ein Hindernis darstellen würden. Von seinen altvertrauten Narben oder den hart erarbeiteten Schwielen war nichts mehr zu sehen. Ganz im Gegenteil, mit Ausnahme der lächerlichen Schürfwunden, sah kein Zentimeter dieses Körpers so aus, als hätte er jemals arbeiten oder trainieren müssen.

Nein, dieser Körper war nicht zum Kampf geeignet. Mit diesem Körper würde er nie der beste Schwertkämpfer der Welt werden können.

Als Mädchen werde ich immer schwächer als ein Mann sein.

Leise hallten diese Worte in seinem Kopf wieder.

Ich wollte immer nur der stärkste Kämpfer der Welt werden, aber ich werde eine Frau.

Kraftlos schlug er gegen den Spiegel. Erst jetzt verstand er wirklich ihre Angst, ihre Wut, ihre Trauer. Erst jetzt spürte er dieselbe Hilflosigkeit, während sich langsam wieder diese verfluchten Tränen in seinen Augen ansammelten. Sie hatte Recht, sie hatte damals schon gewusst, was er erst jetzt erkannte.

Vergiss es, egal ob Mann oder Frau, für mich wirst du immer eine würdige Gegnerin bleiben.  

Ja, das hatte er geglaubt, er hatte das wirklich geglaubt. Aber damals hatte er ja auch nicht erahnen können, wie er sich entwickeln würde, wie stark er werden würde, wie weit er gehen konnte. Doch nun stand er wieder ganz am Anfang und im Gegensatz zu ihr, hatte er nicht seit seiner Kindheit in diesem Körper trainiert. Er war viel zu schwach.

Erneut schlug er gegen diesen Spiegel, welcher unter seiner normalen Kraft längst zerbrochen wäre, aber nun tat nur seine Hand weh.

Eines Tages, wenn ich dich besiegt habe, werde ich auf gar keinen Fall sagen, dass war nur eine Frau, sondern ich werde stolz auf meine Kampftechnik und meine Geschicklichkeit sein und dafür trainiere ich so hart, Kuina!

Langsam blickte er in diese grünen Augen, während einsame Tränen seine Wangen hinunter tropften. Wer war er denn, wenn er nicht Lorenor Zorro, der zukünftige beste Schwertkämpfer der Welt, war, nicht dieser ehemalige Piratenjäger sein konnte? Fluchend versuchte er wiederum diesen verhassten Tränen Einhalt zu gebieten. Lag es daran, dass er nun eine Frau war, dass er sie nicht aufhalten konnte? Weinten Frauen einfach viel schneller als Männer?

Das mochte zwar für Nami und auch Vivi stimmen, aber sowohl Kuina als auch Robin hatte er nur ganz selten weinen sehen, nur dann, wenn sie am Rande eines Abgrundes standen.

Vielleicht erforderte die Kontrolle über die eigenen Gefühle mehr Disziplin als Frau. Wenn das stimmte, musste er sofort damit anfangen, seinen Geist zu stählern. Bei so vielen Schwächen musste er jede vermeidbare eliminieren.

Versprich mir eins, einer von uns beiden wird eines Tages der beste Schwertkämpfer auf der ganzen Welt!

Nein! Er hatte nicht jahrelang trainiert, jahrelang gekämpft, jahrelang an ihrem gemeinsamen Traum festgehalten, um nun einfach nur Schwächen auszugleichen. Er hatte Kuina damals gesagt, dass es nicht darauf ankommen würde, ob man ein Mann oder eine Frau war. Jeder hatte die Möglichkeit, sein Ziel zu erreichen.

Aber sie war nun tot. Sie konnte ihr Versprechen nicht mehr erfüllen, also hatte er gar keine andere Wahl. Egal ob als Lorenor Zorro oder als großäugiges Mädchen, er würde der beste Schwertkämpfer der Welt werden.

Er hatte gar keine andere Wahl und Kuina würde ihn auslachen, wenn er sich von so einer kleinen Hürde aufhalten lassen würde. Er musste weiterkämpfen.

Entschieden und von neuer Energie gepackt eilte er zur Dusche. Seine Beine waren immer noch schwer, sodass er sich an der Glaswand abstützen musste. Aber diese Müdigkeit konnte seinen neugewonnenen Mut nicht bremsen. Er würde einen Weg finden und er würde auch wieder zu seiner Crew zurückkommen. Mit neugeschöpfter Kraft drehte er das Wasser auf. Eine halbe Sekunde später rettete er sich mit einem mädchenhaften Schrei vor dem eiskalten Schauer.

Ja, irgendwie würde er einen Weg finden müssen, nur nicht jetzt, jetzt musste er nur den Regler wärmer einstellen!
 

Die Sonne schien warm gegen seinen Rücken, während er mit großen Schritten durch das Dorf marschierte. Es schien beinahe wie ein erster Sommertag, fast schon erstaunlich, wenn er bedachte, wie kalt es am vergangenen Abend gewesen war. Den ganzen Weg schon versuchte er sich dieses blöde Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. Aber immer wieder, wenn er nicht darüber nachdachte, wenn seine Gedanken zu dem Schwertkämpfer im Mädchenoutfit in seinem Haus wanderten, schlich es sich zurück auf seine Lippen. Dieser Morgen war eindeutig sehr interessant gewesen. Und das Beste an der ganzen Situation, wenn man mal davon absah, dass sein kleiner Lieblingskonkurrent überlebt hatte, war, dass er nichts davon hatte kommen sehen. Es war das erste Mal seit Jahren, dass er den Verlauf eines jeden Tages in seinem Leben nicht genau erahnen konnte. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass eine Person ihn aus dem Konzept brachte. Das letzte Mal, als ihm das passiert war, war auch genau dieser Mistkerl schuld daran gewesen.

Sein unbeabsichtigt federnder Gang führte ihm geradewegs in das altbekannte Rathaus. Es war wesentlich mehr los, als am Vortag, was allerdings auch daran liegen konnte, dass er nicht zu so früher Stunde unterwegs war. Viele der Leute, hauptsächlich Frauen im mittleren Alter, beäugten ihn argwöhnisch, doch diese ihm nicht unvertrauten Blicke ließen ihn ziemlich kalt.

Von fast schon guter Laune getragen stürmte er erneut in das Büro seines Freundes, nun ja, er versuchte es zumindest. Die Tür war verschlossen. Verwirrt und ein bisschen verärgert ruckelte er an der Klinke, doch die Tür gab nicht nach. Wieso schloss sein Freund ihn aus?

„Herr Mihawk? Was tun Sie hier?“

Überrascht drehte er sich um. Vor ihm stand die wirklich sehr attraktive, junge Sekretärin des Bürgermeisters. Ihr üppiger Busen wurde von einem Berg aus Akten zusammengepresst, den sie vor sich hintrug. Ansonsten sah sie, wie am Vortag, makellos aus, mit jeder Haarsträhne am richtigen Platz. Etwas überrumpelt deutete er nur auf die verschlossene Tür hinter sich und murmelte ein paar unzusammenhängende Worte. Diese Frau erinnerte ihn immer wieder an einen gewissen Samurai und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Sie nickte nur verständnisvoll.

„Es tut mir sehr leid. Herr Konteradmiral Cho ist heute nicht anwesend. Wie Sie wissen, arbeitet er nur an zwei Tagen in der Woche hier. Heute ist er auf dem Stützpunkt Suzuno.“

„Ich muss mit ihm reden“, stellte er ohne weitere Erläuterung fest.

„Natürlich, wenn Sie mir folgen würden.“

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern stolzierte von dannen Ihre hohen Absätze klackten über den gefliesten Boden und ihr gerader Rücken zeigte keine Spur von einer möglichen Last, die sie trug. Mangels einer besseren Idee folgte er ihr.

Im Vorzimmer des Bürgermeisters blieb sie schließlich stehen, balancierte die Unterlagen geschickt auf einem Arm und bedeutete ihm zu warten. Kurzfristig verschwand sie im Büro ihres Vorgesetzten, nur um dann wenige Sekunden später ohne den Papierkram aufzutauchen, eifrig ihr Kleid am gerade zupfen. Elegant nahm sie auf ihrem Stuhl Platz, als wäre es ein Thron und setzte ihre Brille wie ein Diadem auf ihre Hochsteckfrisur. Ihre Miene glich immer noch der einer wohlerzogenen Adelsdame, während noch nichteimal die Spur eines Lächelns ihr Gesicht erhellte.

„Im Konferenzzimmer befindet sich eine Teleschnecke. Wenn Sie so freundlich wären dort zu warten, werde ich Sie mit Konteradmiral Cho verbinden.“

Dabei machte sie eine höfliche, wenn auch irgendwie herablassende Handbewegung zu seiner Linken. Wie von Zauberhand öffneten sich die Flügeltüren und gaben den Blick auf ein kleines, aber gut hergerichtetes Zimmer frei. Er bedankte sich und folgte ihrer Aufforderung.

Hinter ihm schlugen die Türen wieder zu. Irgendwie war sie ihm unheimlich, diese Houran.

Sekunden später beschwerte sich eben benannte Teleschnecke auch schon. Die große, braun gemusterte Schnecke stand auf einem kleinen Schreibtisch neben dem Konferenztisch und schrie ihn beinahe flehend an. Sie war deutlich lauter als seine eigene im Büro und außerdem an ein Faxgerät angeschlossen.

Mit einem leisen „Gotcha“ nahm er den Hörer ab.

„Cho“, kam es trocken von der anderen Seite des Telefonats.

„Hey, Jirou, ich bin‘s.“

„Hawky!“, lautete die überraschte Antwort.

„Mann, warum bist du immer noch… weißt du was? Ich will es gar nicht wissen. Was ist los?“

Der genervte Gesichtsausdruck seines Kindheitsfreundes wurde überaus passend von der Schnecke wiedergegeben.

„Ich brauche deine Hilfe.“

Sein Gesprächspartner seufzte hörbar auf. „Hör mal. Ich weiß nicht ob es dir bewusst ist, aber manche von uns müssen arbeiten, um ihr Geld zu verdienen.“

„Jirou, es ist wirklich wichtig.“

„Hawky, so was kann…“

„Es geht nicht um das von gestern.“

Er biss sich auf die Unterlippe. Er musste vorsichtiger sein, mit dem was er sagte. Ihm war bewusst, dass die meisten Marineferngespräche überwacht wurden und das Codewort Geld bestätigte dies nur.

„Ich habe heute absolut keine Zeit für sowas.“

Falkenauge starrte die Teleschnecke an, unsicher wie er reagieren sollte. Sein alter Freund hörte sich wirklich gestresst an.

„Oh Gott! Na gut, was willst du?“

Innerlich atmete er auf. „Ich brauche Informationen.“

„Worüber?“

„Die Strohhutbande.“  

Der Konteradmiral wurde wieder ruhig, sekundenlang kam kein Ton über die Leitung.

„Hallo?“, fragte der Samurai nach.

„Hawky. Bist du sicher, dass du das tun willst? Du steigerst dich da in was hinein.“

„Aber…“

„Nein, hör mir zu. Der Kerl ist tot! Ich weiß, dass du in ihm irgendetwas gesehen hast, aber es ist vorbei. Du musst mit dieser Besessenheit aufhören, das habe ich dir damals gesagt, als du mit seinem Steckbrief ankamst und das sage ich dir jetzt nochmal. Es wird dich nicht…“

„Jirou! Es ist alles in Ordnung.“

„Was redest du denn da? Du bist immer noch Zuhause! Du warst die letzten 20 Jahre nie länger als einen Tag da. Und nur wegen einem verdammten Piraten steigerst du dich in etwas herein, das dein Untergang sein könnte!“

„Bist du fertig?“, fragte er sachlich.

„Ja, ich glaube schon“, murrte der andere.

„Gut, dann hörst du mir mal zu. Alles was ich von dir möchte, sind Informationen über den Verbleib der Strohhüte. Als einer der sieben Samurai muss ich doch meinen Pflichten gegenüber der Marine nachkommen, vor allem wenn es um Piraten geht.“

„Hawky, bist du sicher…?“

„Bitte, tu mir den Gefallen, noch einen Letzten.“

Leise lachte der Mann am anderen Ende der Leitung auf.

„Erstens, seit wann scherst du dich um deine Pflichten? Zweitens, du hast mich bestimmt schon hundert Mal um den „letzten Gefallen“ gebeten.“

Falkenauge wusste, dass der andere nachgeben würde, immer, wenn er dies ansprach, knickte er schließlich ein.

„Nun gut. Ich hab jetzt echt keine Zeit mehr. Bist du später noch zu Hause?“

„Wenn es sich ergibt.“

„Okay, dann ruf ich dich heute Abend an.“

„Dan… da legt der einfach auf!“  
 

Leise tapsten seine nassen Füße über den kalten Boden bis zum nächsten Stück Teppich. Nach dem warmen Wasser ging es ihm deutlich besser. Sein Körper war nicht mehr so träge, seine Gedanken nicht mehr so verworren. Ja, irgendwie würde er sich mit diesem Körper schon anfreunden. Mit neuer Energie schlang er eines der großen Handtücher um sich.  

Doch die blöden nassen Haare waren ihm immer noch im Weg. Konzentriert griff er nach einem zweiten Handtuch und band es sich als eine Art Turban um den Kopf, wie er es manchmal bei Nami und Robin gesehen hatte. Aber irgendwie hatte er den Dreh noch nicht raus. Alle paar Meter zerfiel der Turm auf seinen Kopf wieder in seine Einzelteile. Wütend biss er sich auf die Unterlippe, etwas was er sonst nie tun würde. Genug war genug!

Entschieden eilte er zum Waschbecken und zog die Schubladen auf. Doch er fand nicht, wonach er suchte. Seufzend errichtete er sein Kunstwerk erneut und verließ das Badezimmer.

An der Kommode angekommen, riss er erneut alle Schubladen auf und durchwühlte deren Inhalte, warf kleine Parfümflaschen um, zerrte ordentlich gefaltete Bettlaken hervor und ließ sie achtlos auf dem Boden liegen. Endlich fand er einen hölzernen Griff und zog die kleine Waffe triumphierend hervor. Doch zu seiner Enttäuschung, war es weder eine Schere, noch ein Briefmesser, sondern nur eine uralte Nagelfeile. Wütend warf er sie gegen die nächstbeste Wand, wo sie stecken blieb.

Er musste diese nervigen Haare los werden, so schnell wie möglich und dann musste er sich ein geeignetes Schwert besorgen. Im Zweifel würde das auch anders herum funktionieren.

Aber eines war sicher, die Haare mussten ab. Nur weil er jetzt den Körper eines verwöhnten Prinzesschens hatte, musste er noch lange nicht so aussehen. Vernünftige Haare und geeignete Kleidung würden da schon helfen.

Das Schlachtfeld an der Kommode ignorierend wandte er sich dem Bett zu. Die Haushälterin hatte Wort gehalten und ihm neue Kleidung hingelegt. Doch es stellte sich als reichlich schwierig heraus diesen verfluchten BH anzuziehen. Im Ausziehen hatte er ja schon seine Erfahrungen gesammelt, aber er hatte keine Ahnung, wie die Frauen dieser Welt diese verflixten Haken schließen konnten. Nach einigen Minuten Gezerre und Gezwicke, wobei das Handtuch schon längst zu Boden gesegelt war und er zweimal beinahe hingefallen war weil er sich in einem der Bettlaken verheddert hatte, schaffte er es endlich und stellte fest, dass dieses kleine Ding überraschend gut saß und ihn kaum in seiner Bewegung einschränkte. Vielleicht würde das in einem Kampf ein kleiner Vorteil sein, dachte er, während er die Arme in alle möglichen Richtungen streckte um sich von der Flexibilität zu überzeugen. Die Unterhose war zum Glück keine Herausforderung, aber irgendwie fand er es sehr seltsam, als er sie anzog, schließlich war da nichts, überhaupt nichts!

Schließlich wandte er sich leise seufzend dem Rest zu. Es schien ein blaues T-Shirt mit komischen Halsausschnitt zu sein, aber wo war die Hose? Verwirrt hob er das Hemd hoch. Dann ließ er es fallen und schluckte schwer. Das sollte wohl ein Witz sein? Das konnte diese Frau doch nicht ernst meinen?

Nein, das würde er ganz bestimmt nicht anziehen, eher würde er komplett nackt durch die Gegend laufen. In diesem Moment klopfte es an der Tür.

„Loreen, Süße. Ich bin’s. Darf ich reinkommen?“, fragte die Haushälterin während sie bereits die Tür öffnete.

„Ich wollte nur gerade die schmutzige Wäsche holen kommen. Ach die Unterwäsche steht dir ja ganz prächtig. Da bin ich froh, dass alles passt. Was ist denn hier passiert? Ach, auch egal, viel wichtiger ist, wie sieht es denn mit dem Kleid aus?“

Er öffnete den Mund um ihr ganz genau zu erklären, dass er nie im Leben dieses Ding anziehen würde und dass er im Übrigen nicht Loreen hieß, da rauschte sie schon an ihm vorbei ins Badezimmer und sprach ungehalten weiter.

„Ich wusste ja nicht, ob du sowas magst, aber das war heute Morgen das einzige in deiner Größe was ich Zuhause finden konnte. Aber keine Sorge, ich habe meine Tochter schon gebeten ein paar Klamotten von ihren Kindern vorbei zu bringen.“

Schon tauchte sie wieder aus dem anderen Raum auf und begann das Chaos um die Kommode herum zu beseitigen, ohne überhaupt darauf einzugehen.

„Die sind ja auch alle schon groß, ich denke, das wird kein Problem darstellen. Soll ich dir beim anziehen helfen?“

Danach zog sie die Nagelfeile aus der Wand  und hob noch das letzte Handtuch vom Boden.

„Nein, ich…“

„Na komm, dreh dich um.“

„Aber warten Sie doch einen…“

„Halt bitte für einen Moment still. So, nur noch der Reisverschluss. Perfekt!“

Wehrlos stolperte er ein paar Meter nach vorne und hielt sich am Schreibtisch fest.

„Was soll das?“, fragte er fast schon panisch während er das Kleid hinab gestikulierte. Doch sie lächelte ihn nur unglaublich herzlich an. Was tat sie ihm da an?!

„Es steht dir so gut, Loreen.“

Leise rannte plötzlich eine Träne ihre Wange hinunter. Etwas überfordert starrte er sie an. Was war denn jetzt kaputt gegangen? Vor einer Sekunde hatte sie noch gelächelt und nun zitterte ihre Unterlippe gefährlich.

„Aber, aber Frau Bo..“

„Ich hab doch gesagt, du sollst mich Kanan nennen, sonst fühle ich mich so alt!“, unterbrach sie ihn erneut und wischte sich energisch die Träne weg.

„Tut mir leid, mein Kind. Es ist nur… ich freu mich halt so, dass du zu Besuch bist. All diese Jahre war dieses große Haus leer und der Hausherr war immer schlecht gelaunt, wenn er denn mal da war. Aber jetzt bist du da, ein freundlicher kleiner Gast und er lächelt wieder. Ich bin so glücklich.“

Sie nahm ihn in eine feste Umarmung aus der er sich nicht hätte befreien können. Doch er wehrte sich auch nicht. Er hatte irgendwie Mitleid mit dieser Frau. Ihre Einsamkeit war unverkennbar und das, wo sie doch immer so viel Freundlichkeit und Wärme ausstrahlte. Er kannte diese Einsamkeit, kannte diesen Schmerz. Nach wenigen Sekunden hob er widerstrebend seine eigenen Hände und klopfte ihr ein paar Mal auf den Rücken, nicht sicher, wie er auf ihren Gefühlsausbruch reagieren sollte.

Sie allerdings griff plötzlich in sein Haar.

„Mein Gott, du bist ja noch klatschnass. Am besten flechten wir dein Haar hoch, nicht war meine Hübsche?“  

Auf sein wohl argwöhnisches Gesicht lächelte sie sanft herab und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

„Du kannst gar nicht flechten oder?“

Er schüttelte nur stumm den Kopf. Wenn ihm nicht bald etwas einfiel, würde sie ihn vollends entmannen. „Keine Umstände, die sollen eh…“

„Nun gut“, unterbrach sie ihn unbeschwert, ließ von dem Mädchen ab und hob die fallen gelassenen Sachen wieder auf.

„Ich hab leider keine Schuhe in deiner Größe gefunden, aber ein paar Haussandalen. Ich hol sie dir schnell und dann gehen wir ins Wohnzimmer und ich kümmere mich für dich. Danach gibt’s essen. Klingt das gut oder was?“

Mit dem Versuch eines sarkastischen Lächelns nickte er und ließ sich von ihr am Handgelenk aus dem Zimmer ziehen. Es machte überhaupt keinen Sinn ihr Wiederworte zu geben, sie hörte ja so oder so nicht zu. Seine kleinen Füße konnten kaum mit ihren großen Schritten mithalten, sodass er immer wieder stolperte, doch sie schien das voller Energie gar nicht wahrzunehmen und stürmte mit ihm im Schlepptau die Treppe hinunter. Dort trennte sie sich kurz von ihm, um die Wäsche wegzubringen, während er sich die Zeit damit vertrieb, die Sandalen anzuziehen. Im nächsten Moment riss sie ihn wieder mit sich, wobei er eine Sandale verlor.

„Keine Sorge, die hol ich dir. Setz dich erst mal hin.“

Etwas überrumpelt hockte er sich auf ein großes dunkles Sofa. Gerade vermisste er die Ruhe seiner Dusche. Diese Frau war mit ihren Stimmungsschwankungen eindeutig zu viel für ihn.

Das Wohnzimmer selber glich eher einer Bibliothek. Weiches Licht erhellte den Raum, doch der große Kamin selbst war kalt. Sekunden später kam die Haushälterin wieder und zog ihm die Sandale an.

„So. Wenn ich das Fräulein bitten dürfte“, sagte sie breit lächelnd und bedeutete ihm mit einer Handbewegung an, sich auf dem Boden niederzulassen. Immer noch verwirrt leistete er ihr folge. Mittlerweile fragte er sich, in was für einem seltsamen Traum er wohl gefangen war. Er fühlte, wie sich die ältere Frau hinter ihn setzte.

„Wenn es ziept sag Bescheid“, flüsterte sie beinahe sanft, ehe sie anfing seine Haare zu durchkämmen.

Nach einer Weile begann sie wieder ausgelassen zu reden. Sie erklärte ihm, wie er sein Haar anders waschen müsste, da sie noch Reste von Shampoo finden konnte. Sie fragte ihn nach seinen Lieblingsfarben und ob es Klamotten gab, die er gerne trug. Als er ihr antwortete, dass er gute Kampfkleidung brauchte, lachte sie herzhaft. Sie erzählte ihm vom Dorf und von ihren drei Kindern, sowie von den glücklicheren Zeiten der Familie Mihawk. Dann wechselte sie wieder das Thema aufs Kochen und fragte ihn unwichtige Dinge. Er antwortete höflich auf ihre Fragen und entschied sich nicht zu beschweren, während sie sein langes Haar durchkämmte.

Irgendwann fragte er sie dummerweise, ob es nicht sinnvoller wäre, die Mähne einfach abzuschneiden. Neben einem leichten Stoß mit der Bürste zwischen die Schulterblätter, konnte er sich eine Schimpfparade abholen, dass tausende Frauen für solche Haare töten würden. Er ließ dies unkommentiert, während sie weiter rummoserte. Natürlich interessierte es ihn einen Dreck, die Haare würden abkommen, egal, ob diese Frau das mochte oder nicht. Er überlegte gerade ihr einfach die Wahrheit zu sagen, es wäre mit Sicherheit lustig ihr Gesicht zu sehen, außerdem hatte er wirklich keine Lust weiterhin ihre Puppe zu spielen, als sie unerwartet das Thema wechselte.

„Es ist so lange her, dass ich jemandem die Haare geflochten habe. Ich glaube das letzte Mal bei Sharak. Sie war so ein hübsches Mädchen.“

Ein Kloß hatte sich wieder in ihrem Hals gebildet, dass konnte er ganz deutlich hören, während sie an einzelnen Haarsträhnen zupfte.

„Sharak?“, fragte er unüberlegt nach.

„Ach, sie war das älteste Kind des Hauses. Aber das ist schon lange Zeit her. Ein wirklich aufgewecktes Mädchen. Du erinnerst mich sehr an sie.“

„Dabei kennen Sie mich kaum“, rutschte es ihm beinahe etwas vorlaut heraus. Doch wieder lachte sie nur.

In diesem Moment hörte er vom Flur her das Knarren einer Tür, die dann wieder zuschlug.

„Kanan, wo sind Sie? Ich hab ein paar Sachen zu… Oh.“  Im Türrahmen stand der Hausherr höchst persönlich und blickte zu den beiden Frauen hinab.

„Stör ich?“

Kapitel 4 - Das Pendant

Kapitel 4 – Das Pendant
 

Belustigt konnte er zusehen, wie die blasse Gesichtsfarbe seines Gastes in ein feuriges Rot wechselte, während der kleine Grünschnabel zu flüchten versuchte. Der Pirat scheiterte jedoch kläglich, da er von den starken Unterschenkeln der Haushälterin eingeklemmt wurde, welche immer noch an seinen Haaren rumzupfte.

„Aber Loreen, du musst schon still halten, sonst reiß ich dir noch deine schönen Haare aus.“

Erst dann schenkte das ehemalige Kindermädchen ihm ihre Aufmerksamkeit.

„Willkommen daheim. Ich hoffe Ihr wart erfolgreich bei was auch immer Ihr getan habt. Falls Ihr hungrig seid. Das Essen von gestern ist im Kühlschrank und wartet nur darauf gegessen zu werden.“

Sein Augenmerk lag aber immer noch auf dem Mädchen.

„Loreen?“, entkam es ihm mit einem leichten Grinsen. Sein kleiner Lieblingsfeind blitzte ihn wütend vom Boden aus an.

„Natürlich, so heißt sie. Sagt bloß, Ihr habt sie nicht nach ihrem Namen gefragt? Manchmal seid Ihr so unhöflich.“

Das Mädchen zu ihren Füßen hatte versucht sie zu unterbrechen, war aber klanglos gescheitert. Der empörte Gesichtsausdruck erheiterte ihn ungemein. Schmunzelt versuchte er sich das Lachen zu verkneifen.

„Grins nicht so, du Idiot!“, fauchte ihn sein Gast an, doch das machte es für ihn nur noch schwerer seine Gesichtszüge zu kontrollieren.

„Aber Kind!“, entfuhr es Kanan entsetzt. „Eine Dame benutzt solche Worte nicht!“

„Ich kann noch ganz andere…“

„Kanan“, unterbrach der Herr des Hauses die beiden Frauen. Obwohl er nicht laut sprach brachte sein dunkler Unterton sie zum Verstummen. Eine Sache, die er ebenfalls für sehr angenehm empfand, neben dem zornigen Blick seines Wildfangs.

„Ich würde mich gerne mit unserem Gast unterhalten.“

„Natürlich!“, antwortete sie freudestrahlend und rutschte auf dem Sofa zur Seite um ihm Platz zu machen.

„Oder wollt Ihr dabei schon was essen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Kanan, ich würde gerne alleine mit…“ Er unterbrach sich selber und suchte einen Moment nach den passenden Worten. Der andere mochte seine Gründe dafür haben, dass er Kanan nicht die Wahrheit über sich gesagt hatte, er selber fühlte sich jedoch durch diese Maskerade äußerst unterhalten, „mit der jungen Dame sprechen.“

„Oh, aber natürlich.“

„Junge Dame?!“, entkam es dem Mädchen ungehalten, das mit hochrotem Kopf aufsprang.

Überrascht sah die Haushälterin zu dem verzauberten Piraten auf, welcher vor Wut schwer atmete. Falkenauge jedoch betrachtete sein Gegenüber unbeeindruckt mit hochgezogenen Augenbrauen.

Er versuchte das Bild von Lorenor Zorro mit diesem Mädchen zu vereinbaren. Doch bis auf diese kalten harten Augen hatten diese beiden Menschen wenig gemein. Seine Erinnerungen zeigten ihm einen jungen Krieger, dessen Körper von hartem Training und eisernen Willen gestählt war. Ein junges Talent in der Kunst des Schwertkampfes, dem aber noch die eigene Arroganz im Weg stand. Die junge Frau vor ihm wirkte ganz anders. Dieser zierliche Körper war der einer jungen Dame, die nie hatte arbeiten müssen. Die hochgesteckten Haare gaben dem zarten Gesicht etwas reifes, etwas stolzes, doch ansonsten stand vor ihm ein unschuldiges Kind.

Aber wenn er in diese Augen sah, wusste er, dass beide Personen ein und dieselbe waren.

„Kanan, wenn Sie so freundlich wären“, wandte er sich nun wieder der anderen Dame zu.

Diese war bereits aufgestanden.

„Natürlich“, murmelte sie ehe sie ihrem Gast hinunter sah.

„Okay, meine Süße. Jetzt siehst du wie eine richtige Dame aus. Ich gehe jetzt in die Küche und wenn was ist, brauchst du mich einfach nur zu rufen.“ Dann beugte sie sich hinab und flüsterte dem Mädchen noch was ins Ohr, worauf dieses doch nur die Stirn in Falten legte.

„Nun gut, dann gehe ich mal das Essen aufwärmen.“, trällerte sie ausgelassen und tänzelte am Samurai vorbei.

„Benehmt Euch! Sonst werde ich sauer.“

Er verschränkte die Arme. „Keine Sorge, unser Gast kann sich wehren!“

„Ich bin nicht dein Gast!“

„Süß, wie du versuchst bedrohlich auszusehen.“, feixte er böse und ging auf den Piraten zu. Das Mädchen wich keinen Schritt zurück. Lorenor ballte wütend die Fäuste, zum Kampf bereit. Er blickte hinab.

„Also, kleine Lady, was mach ich nur mit dir?“

Zu seiner Unterhaltung biss der Angesprochene sich nur zornig auf die Unterlippe ohne etwas zu erwidern. Allerdings rechnete er dem Piraten an, dass er sich ansonsten nicht gerührt hatte und weiterhin beinahe mit Verachtung zu ihm herauf starrte.

„Das Kleid steht dir, Loreen.“, kommentierte er dann schließlich schlicht, nachdem sie sich mehrere Sekunden einfach nur gegenüber gestanden hatten und keiner von ihnen klein bei geben wollte. Der andere machte nur eine verwerfliche Geste ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.

„Klappe! Deine Haushälterin ist nicht in der Lage mal für einen Moment den Mund zu halten!“

Ein Grinsen schlich dem Samurai wieder über die Lippen.

„Und trotzdem wiedersprichst du ihr nicht?“

Sein Gegenüber senkte beschämt den Kopf.

„Es ist ja nicht so, als ob sie mich zu Wort kommen lassen würde.“

Er lachte leise.

„Das stimmt wohl. Es ist schwer sie zu übertönen.“

Das Kind vor ihm verschränkte die Arme.

„Also was willst du?“

Es war doch überraschend wie abwertend ein so zartes Stimmchen klingen konnte. Ja, diese Frau war unverkennbar Lorenor Zorro. Ein Wolf im Schafspelz.

Gelassen ließ er sich in den ausladenden Sessel, gegenüber dem Sofa, fallen und warf ein Bein über das andere. Dabei ließ er den anderen keine Sekunde aus den Augen und fuhr sich grinsend über den Bart.

„Du bist ziemlich vorlaut für einen Gast.“

„Und noch einmal. Ich bin nur noch dein Gast, weil du mich praktisch dazu gezwungen hast hierzubleiben. Ansonsten wäre ich schon längst weg.“

Nach einem Moment der Stille hockte sich das Mädchen ebenfalls auf das Sofa. Falkenauge konnte allerdings ganz genau die angespannte Körperhaltung erkennen. Sein Gast traute ihm ganz und gar nicht.

„Du solltest dich erst einmal entspannen, Lorenor. Es ist nicht so, als ob du mit einem Angriff rechnen müsstest.“

Wieder sicherten ihm seine Worte den fixierten Blick des anderen. Er schien wirklich sauer.

„Und warum bist du so entspannt? Du weißt genau, dass ich deinen Titel will.“

Ein höhnisches Lachen entkam ungewollt seinen Lippen.

„Oh bitte. Als hättest du je eine Gefahr für mich dargestellt.“

Das hatte gesessen.

Er konnte sehen, wie seine unbedachten Worte den anderen Schwertkämpfer hart trafen, die Gesichtszüge einen Moment entglitten, ehe sich der andere fangen konnte und den Kopf senkte.

Der Samurai ärgerte sich ein bisschen über sich selber. Schon wieder hatte der andere ihn dazu gebracht, dass er Dinge sagte, die er für sich behalten wollte. Und nun saß der andere da wie ein Häufchen Elend. Gut gemacht, wirklich ganz toll hinbekommen. Mit einem leisen Seufzen legte er die Hände auf den Knien ab und lockerte seine Schultern. Er musste sich wirklich zusammenreißen, wenn er in der Nähe des anderen war.

„Auf der anderen Seite muss ich ja gestehen, dass du mich doch ein wenig beeindruckt hast.“

Langsam sahen ihn diese grünen Augen an, immer noch lag ein gewisser Trotz in diesem Blick.

„Welcher Mann kann schon von sich behaupten, ganz alleine einen gesamten Stützpunkt der Marine zerstört zu haben? Wenn die Marine wüsste, dass du noch am Leben bist, hättest du jetzt gewaltige Feinde.“

Der Angesprochene verschränkte wieder die Arme, doch ein bisschen der Feindseligkeit schien verschwunden zu sein. Sehr gut. Der Taktiker in ihm wusste, dass man nur mit Honig Fliegen fangen konnte.

„Die Marine ist schon länger mein Feind. Außerdem war ich nur aufgrund von einigen Zufällen dazu in der Lage. Wäre nicht auch die ganze Schmuggelware auf der Basis gewesen, hätte mein Fluchtversuch nichts gebracht.“

„Mag schon sein.“, murmelte der Ältere und lehnte sich zurück, zufrieden darüber, dass er den anderen in ein Gespräch verwickeln konnte. „Auf der anderen Seite besteht unser ganzes Leben aus seltsamen Zufällen und ungeplanten Umständen. Ansonsten würden wir beide heute wohl nicht hier sitzen.“

Der andere wollte etwas erwidern, doch der Schwarzhaarige sprach ungehindert weiter. „Aber es macht einen guten Strategen aus, solche Unbekannten in einen effizienten Plan mit einzubauen. Und nur ein guter Stratege kann auch ein guter Kämpfer sein. Besonders in der Schwertkunst.“

Zu seiner Überraschung hob das Mädchen nur fragend eine Augenbraue an.

„Sag mal. Willst du mir gerade eine Theoriestunde geben? Dann lass es bitte sein. So tief bin ich noch nicht gesunken, dass ich mir von dir Kampftipps abholen muss.“

Für eine Sekunde schloss der Samurai die Augen.

Der andere hatte Recht. Was war nur los mit ihm? Er war ins Plaudern gekommen. Er plauderte nie. Es war absolut unnötig und meist nicht zielführend. Wieso sprach er mit dem anderen über sowas? Außerdem lag ihm nichts ferner, als den anderen zu unterweisen. Das würde sowohl gegen seinen Stolz als auch gegen seine Ehre sprechen. Zum Glück schien das auch dem Jungspund bewusst zu sein.

„Um noch mal aufs eigentliche Thema zurückzukommen…“, holte ihn die nun etwas gelangweilte Stimme seines Gesprächspartners wieder in die Gegenwart, „Hast du Informationen sammeln können?“

Er öffnete die Augen und sah die junge Frau vor sich an.

„Ach ja“, murmelte er nun irgendwie lustlos und erhob sich. Irgendwas hatte ihm seine gute Laune geraubt und er war sich nicht sicher was. Also schleppte er seine schweren Füße in den Flur.

„Bleib nur sitzen.“, fügte er hinzu. Aus der Küche konnte er nun wieder die fröhliche Stimme der Haushälterin hören, die anscheinend mehr sang als arbeitete.
 

Ein bisschen verloren saß er nun alleine in dem großen dunklen Raum, während der Samurai in den Flur verschwunden war. Es war wirklich eine seltsame Situation. Zum wiederholten Male an diesem Tag verfolgte er die nicht abwegige Idee, dass er sich vielleicht nur in einem sehr real wirkenden Traum aufhalten könnte. Es war immerhin möglich, dass er durch die Mangelernährung und die entzündete Wunde nun in einem Fiebertraum gefangen war. Tatsächlich fand er diese Überlegung sehr wahrscheinlich. Zumindest wahrscheinlicher, als dass sein wahnwitziger Fluchtplan wirklich aufgehen würde und er danach in dem Körper einer kleinen Madame steckte, welche rein zufällig von seinem größten Konkurrenten der Welt gefunden wurde. Nein, je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er. Die Frage war nur, wie er wieder aufwachen würde.

Sein Blick lag verstohlen auf dem Türrahmen, während er langsam die Hand hob und sich in den Oberarm zwickte. Es tat weh! Aber das war es dann auch schon. Er war immer noch in diesem Körper, immer noch an diesem Ort. Verdammt!! Wie gern wäre er wieder zurück in der Gefängniszelle. Sein einziger Trost war das Wissen, dass zumindest seine Freunde in Sicherheit waren.

Sekunden später tauchte der andere Schwertkämpfer wieder auf, eine schwarze Stofftasche in der einen und die Zeitung in der anderen Hand.

„Hier“, knurrte Falkenauge beinahe tonlos. Irgendwie hatte seine komplette Körperhaltung sich innerhalb weniger Augenblicke verändert. Er wirkte nicht mehr ruhig und überheblich, sondern entnervt und gereizt. Jetzt war er ihm auf einmal viel sympathischer. Mit einer groben Handbewegung kippte er die Tasche vor sich auf den Tisch aus. Heraus vielen in etwa ein Dutzend unterschiedlicher Bücher. Verwirrt blickte Zorro zu seinem Gegenüber auf.

„Was soll das? Du hast doch gesagt, du wolltest mir Informationen über meine Crew bringen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass noch kein Buch über uns verfasst wurde.“

Jetzt war es an dem Schwarzhaarigen, eine Augenbraue hochzuziehen. Dann warf er ein bisschen zermürbt die Zeitung auf den Bücherhaufen.

„Du bist ganz schön undankbar“, wiederholte er gereizt.

Das Mädchen grinste. „Es war dein Plan. Gib nicht mir die Schuld dafür.“

Wieder traf grün auf gelb und keiner der beiden wollte nachgeben.

„Mann, du kostest einen wirklich ganz schön Nerven.“

„Na, vielleicht wirst du einfach nur alt und bist nicht mehr so viel gewohnt. Du bist ja auch nicht mehr der Jüngste. Wie viele Jahre hast du auf dem Buckel? 50?“
 

Bevor er überhaupt wusste, was er tat, war er über den Tisch gesprungen. Beide Knie rammte er in die Sofakissen, zur Linken und zur Rechten des zierlichen Körpers. Mit der linken Hand hatte er die Rückenlehne gepackt und mit der Rechten schlug er zu.

Das Sofa kippte polternd nach hinten um.

Kein Haarbreit war mehr zwischen seiner Faust und dem unschuldig dreinblickenden Gesicht.

„Und du nimmst den Mund ziemlich voll für so ein halbes Hemd“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Nur im letzten Moment hatte er sich davon abhalten können wirklich zuzuschlagen. Ansonsten, da war er sich sicher, wäre sein Gast jetzt tot.

„Was ist mit dir passiert?“, fragte die Frau ihn, immer noch mit verschränkten Armen, und schlug die Beine übereinander, welche sanft seinen Oberschenkel streiften.

„Was meinst du?“, knurrte er. Einzelne Strähnen hatten sich aus der Flechtfrisur gelöst und standen wild in alle Richtungen ab. Ansonsten war sein Gast die Ruhe selbst. Im Gegensatz zu ihm. Sein Herz raste und er war so wütend, dass er dem anderen am liebsten kräftig durchschütteln wollte. Wie ein Pendel hing seine Kette über der Brust des anderen. Mit dieser Waffe hatte er ihn damals besiegt und weniger Energie aufgebracht als in diesem Augenblick. Dann glitt ein böses Lächeln über die kindlichen Züge. Die Frau unter ihm wirkte plötzlich doch um einiges gefährlicher, als der blutverschmierte Pirat der er eigentlich war.

„Ich bringe dich anscheinend wirklich aus der Fassung.“

„Wie bitte?!“, zischte er wütend. Doch leugnen konnte er nicht, was er soeben getan hatte.

„Als wir uns auf dem East Blue trafen, warst du die Ruhe weg. Du hast mich belehrt und egal was ich getan habe, ich konnte dich nicht beeindrucken. Noch nicht einmal Ruffy war für dich interessant. Du warst regelrecht gelangweilt. Jede deiner Handlungen war überlegt und sinnvoll. Als Stratege verachtest du kopfloses Handeln und nutzt es zu deinem Vorteil.“

Überrascht legte sich langsam sein Zorn. Der andere schien ihn damals innerhalb weniger Minuten durchschaut zu haben.

„Aber sieh dich jetzt mal an. Du bist leicht reizbar und kaum in der Lage, deine Gefühle zu kontrollieren. Ein falsches Wort von mir und du handelst, bevor du denkst. Wo ist der ach so große Schwertkämpfer? Wo ist der Stratege? Ich mag zwar im falschen Körper stecken, aber du bist derjenige, der nicht mehr weiß, wer er ist.“

Er hatte die Hand immer noch erhoben, für eine Ewigkeit starrte er den anderen an. Kühl und klar waren diese grünen Augen. Er hatte keine Angst vor ihm.

Weder vor seiner Stärke noch vor seinem Blick. Alle Menschen wichen ihm aus. Selbst Kanan und Jirou beugten sich letzten Endes seinem Willen und sei es nur, um ihn zu beschützen. Er aber war anders.

Und irgendwie hatte dieser Mann es geschafft hinter seine Mauer zu schlüpfen. Ein Wort von ihm reichte aus, um die Welt des Samurais auf den Kopf zu stellen. Woher nahm er sich dieses Recht?

„Was ist denn hier los?!“ Panisch erklang die Stimme der Haushälterin.

„Was tut Ihr?!“

Schon war sie herbei gestürmt. Er selbst ließ seinen Arm sinken und richtete sich auf.

„Es ist alles…“

Er wollte gerade seinem Herausforderer die Hand anbieten, als die kräftige Frau ihn energisch zur Seite schubste.

„Mein armes Ding! Hast du dir wehgetan?“

Ungestüm zog sie den Piraten an sich. Dieser versuchte vergebens sich zu wehren.

„Nein, Kanan. Mir geht es…“

„Und Ihr!“ Sie beachtete ihren Schützling überhaupt nicht, „Ich hab Euch doch gesagt, dass Ihr Euch benehmen sollt. Was ist nur in Euch gefahren?!“

Wie vom Donner gerührt stand er da. Das letzte Mal, dass sie ihn so angeschrien hatte lag schon mindestens drei Jahrzehnte zurück. Plötzlich fühlte er sich wieder wie der kleine Junge, der den Obststand zerstört hatte. Betreten wandte er den Blick ab und richtete das Sofa wieder auf.

„Jetzt redet gefälligst!“, fuhr sie ihn fast schon schrill an, „Einen Gast so zu behandeln. Eure Mutter würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie sehen würde, wie ihr einziger Sohn mit einer Dame…“

„Kanan.“

Überrascht über die plötzliche Hilfe des anderen hob er langsam den Blick, als die laute Stimme der Haushälterin versagte. Ihr Name war nicht mehr als ein Hauch gewesen. Auch sie wandte den Blick nun vom Hausherrn ab und betrachtete das Mädchen vor ihr.

„Regen Sie sich bitte nicht so auf. Es ist alles in Ordnung.“

„Aber, aber…“ Die Stimme der gestandenen Frau wurde zittrig, als würde sie kurz vor den Tränen stehen.

„So behandelt ein Ehrenmann einfach keine Dame!“

Einen Herzschlag wurde es ganz still im Raum, als hätte jemand die gesamte Welt einfach angehalten. Dann erhellte ein sanftes Lachen den Raum. Wie gelähmt betrachtete der Samurai die junge Frau, die sein bester Feind war. Er lachte herzlich und hielt sich dabei den Bauch. Die Strähnen grünes Haar, die sich aus der Frisur befreit hatten, hingen ihm wild ins Gesicht und das blaue Kleid formte seltsame knittrige Falten. Aber so wie er lachte, schien er der glücklichste Mensch auf Erden zu sein.

„Aber Loreen, was ist denn bitte so witzig?“, erklang die Stimme der Schwarzhaarigen besorgt.

„Es ist nichts“, brachte das Mädchen immer noch lachend hervor. Langsam beruhigte der Grünschopf sich, „Es ist nur diese ganze makabre Situation. Meine ganze Welt steht Kopf und der Streit gerade, war das erste Normale, was mir heute passiert ist.“

Wieder lachte das Kind laut auf. Doch Mihawk konnte sehen, wie die Augen eine Spur glasiger wurden, die Stimmt eine Spur zittriger.

„Kanan, bitte seien Sie so freundlich, das Esszimmer vorzubereiten.“

Er wusste, dass die Haushälterin widersprechen wollte, aber ein Blick reichte aus um sie zum Gehen zu bewegen.

Langsam machte er ein paar Schritte auf den verfluchten Piraten zu, der immer noch lachte, mittlerweile jedoch mit höherer Stimmlage.

„Ich bin nicht der einzige, der sich verloren hat, oder?“, fragte er ruhig.

Der andere schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen, während das Lachen allmählich umschwang.

„Es ist nur“, flüsterte Lorenor beinahe, „ich vermisse sie so!“

Und dann glitten die Tränen ungehindert die zarten Wangen hinunter.

„Und ich weiß ganz genau, dass selbst wenn ich sie wieder finde“, Falkenauge blickte auf den jungen Schwertkämpfer hinab, der sich verzweifelt versuchte die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, „ich werde sie nicht beschützen können. Nicht so.“

Unsicher hob er die Hände. Er war nicht gut mit Gefühlen, weder mit seinen eigenen, noch den von anderen. Er wusste nur, wie man sie gegen den Feind benutzte.

„Außerdem muss ich in diesem verdammten Frauenkörper die ganze Zeit heulen. Und das dann auch noch ausgerechnet vor dir! Ich heule sonst nie! Alle diese Gefühle scheinen einfach zu explodieren, wer soll da denn noch klar denken können?!“

Hilflos sah er den anderen an. Er spürte so etwas wie Mitleid in sich aufkeimen. Unbeholfen legte er dem Mädchen eine Hand auf die Schulter.

„Sieh es so, Lorenor: Du wolltest mir bis zum nächsten Aufeinandertreffen beweisen wie sehr du dich verändert hast. Und ich gebe zu, mit so einer Veränderung hätte ich nicht gerechnet.“

Eine kleine Faust boxte ihn wütend gegen die Brust.

„Das ist nicht lustig, du Mistkerl!“

Reflexartig hielt er die Hand fest und zog sie an sich. Wie seine Mutter es früher bei ihm gemacht hatte, schloss er das Kind in seine Arme ein und legte sein Kinn auf dem bebenden Kopf ab.

„Ich weiß.“

Für gut zehn Sekunden regte sich das Mädchen in seinen Armen nicht und er bezweifelte schon, richtig gehandelt zu haben, als er plötzlich spürte wie die Schultern anfingen zu zittern. Dann krallten sich die kleinen Hände in sein Hemd und der Pirat schluchzte laut auf.

Er wusste nicht, wie lange er seinen Lieblingsfeind so im Arm hielt. Immer noch weinte er und immer noch bebte der kleine Körper. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Hätte jemand ihm vor wenigen Tagen erzählt, dass er den weinenden Lorenor Zorro in seinen Händen halten würde, hätte er denjenigen erst ausgelacht und dann sauber geköpft. Doch nun stand er hier und hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Heute Morgen hatte er sich noch darauf gefreut, dass er nicht wusste, wie der Tag verlaufen würde. Nun hätte er nur zu gerne eine brauchbare Bedienungsanleitung.

Das letzte Mal, dass er jemand Weinenden im Arm gehalten hatte, lag nun auch schon etliche Jahre zurück. Aber damals war er selber auch tot traurig gewesen. Seit diesem Tag hatte er sich vorgenommen, nie mehr unüberlegt zu handeln und das hatte all die Jahre auch gut geklappt, bis heute, naja gestern.

Nach langen Minuten, die auch nur wenige Sekunden hätten sein können, löste sich der Grünschopf aus seinen Armen. Mit verweintem Gesicht und beschämt roten Wangen hatte er den Kopf gesenkt. Die Haare standen nun in alle Richtungen ab, die dünnen Arme umschlossen drängend den kleinen Brustkorb. Es war offensichtlich, dass der Pirat um Fassung rang und sich für sein Verhalten gerade selber verachtete.

Er kannte diesen Gesichtsausdruck. Milde lächelnd legte er seine Hand auf die grünen Haare. Erschrocken blickte der andere auf. Mit Gedanken bei seiner Mutter suchte er die Worte, die diese wohl damals gesprochen hätte.

„Wir gehen jetzt erst mal was essen und danach wenden wir uns wieder dem Geschäftlichen zu.“

Sein junger Gast nickte zaghaft, wohl dankbar, dass er das soeben Geschehene nicht thematisierte.

Gemächlich verließen sie das Kaminzimmer.

„Ich bin ganz beeindruckt, wie du in der Lage warst, Kanan zu unterbrechen“, versuchte er die Stimmung zu lockern, während er dem Piraten den Weg wies.

„Nun ja“, antwortete jener schließlich mit leicht kratziger Stimme, „du hattest ja bereits erwähnt, dass man sie nicht übertönen kann.“

Der Samurai lachte leise. „Und nur so nebenbei.“ Die geröteten Augen sahen ihn von der Seite her an, „Kanan sagt immer, dass Frauen überaus launisch werden können, wenn sie hungrig sind. Daher nimm‘s dir nicht zu schwer und iss demnächst einfach mehr. Wahrscheinlich bist du einfach nur hungrig.“

„Du hast leicht reden“, zischte das Mädchen abwertend. „Du hast dich ja auch gerade nicht absolut lächerlich gemacht.“

Er lachte erneut leise. „Das ist wohl war.“ Damit öffnete er die Tür zum Salon.

„Allerdings denke ich, dass du dich unter diesen doch etwas ungewöhnlichen Umständen noch ganz gut gehalten hast.“

Er ignorierte den herablassenden, ärgerlichen Blick gekonnt und bot seinem Gast einen Stuhl an. Auf die großen, beinahe besorgten Augen erwiderte er nur murrend.

„Kanan wird mich eigenhändig erwürgen, wenn ich dich nicht wie einen Gast behandle. Also, wenn du so freundlich wärest, meine Dame.“, spukte er die letzte Worte beinahe aus.

Eben genannte kam wie aufs Stichwort hineingestürmt. Eine große Platte mit duftendem Gemüse im Arm. Mit einem leisen Seufzer glitt das Mädchen auf den Platz und ließ zu, dass der Samurai, den Stuhl wieder an den Tisch rückte.

„Damit ist also eindeutig, wer in diesem Haus die Hosen anhat“, murmelte der Pirat so leise, dass nur der Schwarzhaarige ihn hören konnte, während Kanan sich daran machte das Essen zu verteilen.

„Mag sein“, blitzte Falkenauge seinen Wildfang an. „Du jedenfalls nicht!“ und grinste böse. Bevor der Jüngere kontern konnte, war die Haushälterin schon zu ihm gestürmt.

„Och nein, Kind. Deine Haare. Warte, das mach ich dir gerade.“

Der Junge in Mädchengestalt beugte sich nach vorne um den flinken Händen zu entgehen.

„Das ist wirklich nicht…“

„Red‘ bitte keinen Unsinn, Loreen. Eine Lady muss zu Tisch immer ausgezeichnet aussehen. So bitte, schon fertig.“ Sie lächelte freudestrahlend, „Und nach dem Abendessen bringe ich dir bei, wie man Haare flechtet. Der Zopf steht dir wirklich ausgezeichnet. Findet Ihr nicht auch?“

Der Samurai verschluckte sich fast an seinem Wein, den er dringend brauchte, als er angesprochen wurde. Sein Blick ruhte eine Sekunde auf der jungen Frau.

„Ja, sieht wirklich sehr hübsch aus“, murmelte er mehr in sein Glas, als zur Haushälterin.

Diese schien jedoch zufrieden mit der Antwort und fuhr damit fort die Teller der Anwesenden zu beladen. Mit einem breiten Grinsen setzte sie sich dem Mädchen mit den grünen Haaren gegenüber, während der Samurai am Kopfende saß.

„Ein richtig familiäres Mittagessen. Wie schön!“

Kapitel 5 - Das Abendessen

Kapitel 5 – Das Abendessen
 

Er lächelte sachte auf die Worte der Frau. Sie schien so glücklich über die Anwesenheit von Falkenauge und ihm, dass er es einfach nicht übers Herz brachte, ihr die Wahrheit zu sagen.

Wieso berührte diese Frau ihn so? Wieso glaubte er, dass er sie vor der Wahrheit beschützen musste? Und wieso verdammt noch mal erfüllte ihn die Anwesenheit des Schwarzhaarigen mit einer solchen Energie?

Allmählich kam ihm der Duft von Speisen in die Nase und erst jetzt bemerkte er, wie hungrig er war.

Sein reichlich gefüllter Teller ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Wahrheit konnte wirklich bis nach dem Essen warten.

Er wollte sich gerade auf die herrlich angerichteten Speisen stürzen, als er etwas perplex die anderen beiden am Tisch begutachtete. Die ihm gegenübersitzende Haushälterin hatte die Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und die Stirn gegen die gefalteten Hände gelehnt. Im Schatten konnte er ganz deutlich sehen, wie ihr Mund sich in tonlosen Worten bewegte. Falkenauge zu seiner Rechten hatte ebenfalls die Augen geschlossen, während die Hände gefaltet in seinen Schoß lagen.

Für einen Moment lag Zorros Augenmerk auf der kreuzförmigen Kette des Samurais. Der Raum war von einer warmen Ruhe erfüllt, während er den anderen Anwesenden beim Beten zusah. Er musste gestehen, noch nie so etwas gesehen zu haben. Seine Mutter hatte ihm gelehrt, dass man in guter Gesellschaft erst auf die älteste Dame wartete. Sie würde zuerst essen. Aber seitdem er das Dojo verlassen hatte, war er meist allein unterwegs gewesen. Später in der Crew endete fast jedes Essen in einem Gelage. Noch nie hatte er an einem Tisch gesessen, wo man gemeinsam saß, aber niemand sprach oder aß, sondern einem Gott dankte, an den er nicht glaubte.

Sein Blick ruhte immer noch auf dem Kreuz. Er wusste, dass dort eine kleine Waffe drin enthalten war. Eine Waffe, die durch ihren Anwender tödlicher sein konnte, als das größte Schwert.

Nach einigen Sekunden erwachten beide aus ihrer Starre und als wäre nie etwas gewesen, fingen sie an sich über das Mahl herzumachen.

„Greif zu, Loreen. Ehe der Herr dir noch alles weg isst!“

Überrascht blickte er auf, nur um sich im nächsten Moment darüber zu ärgern, dass er auf diesen Namen reagiert hatte. Er nickte nur sachte und griff nach Gabel und Messer. Es war wirklich ungewöhnlich für ihn, wie die beiden sich benahmen. Niemand stürmte aufs Essen, beide waren entspannt und legten vorzügliche Manieren an den Tag. Nach kurzem Zögern siegte schließlich doch der Hunger.

Es war herrlich! Seine letzte Nahrungsaufnahme lag nun schon mehrere Tage zurück und das war nur dieser furchtbare Gefängnisfraß gewesen. Beinahe ungestüm versuchte er alles zu probieren. Allerdings merkte er schon nach kurzer Zeit, dass er ein ungewohntes Völlegefühl verspürte. Währenddessen hatte die Haushälterin eine zwanglose Konversation mit dem anderen Schwertkämpfer aufgebaut und sprach über belanglose Dinge. Dieser antwortete meist in knappen Sätzen ohne unnötige Worte. Zorro spürte, dass dessen Blick immer wieder auf ihm lag, doch er versuchte das zu ignorieren. Ihm fiel auch auf, dass er unbewusst angefangen hatte, die Bewegungen der Haushälterin zu imitieren um sich angemessen zu verhalten. Sofort legte er Gabel und Messer weg. Manieren interessierten ihn nicht.

Er konnte hören, wie der Samurai ein leises Auflachen in seinem Wein ertränkte. Das brachte Kanan dazu, ihre Erzählungen über da letzte Winterfest zu unterbrechen.

„Aber Kind, was ist denn los? Hast du schon keinen Hunger mehr oder schmeckt es dir etwa nicht? Ich kann dir gerne etwas anderes kochen. Sag mir einfach was du möchtest. Wir haben alles da und wenn nicht, geh ich schnell zum Markt und kauf was du möchtest. Hättest du gerne Fisch? Oder ernährst du dich vegetarisch? Das ist auch überhaupt kein Problem. Ich wollte mich immer schon mal in der fleischlosen Küche üben. Meine älteste Tochter lebt seit ihrem zweiten Kind komplett ohne tierische Produkte und sagt, es sei toll. Nun sag schon. Was ist denn los Loreen?“

„Wenn Sie die Lady zu Wort kommen lassen würden, wüssten Sie vielleicht, dass unser Gast nur durstig ist.“ Die ruhige Stimme Falkenauges stoppte die Haushälterin. Diese sprang entsetzt auf.

„Oh, natürlich. Wie unhöflich von mir. Was möchtest du trinken? Wasser, Wein. Ich habe auch ein paar ganz ausgezeichnete Säfte. Frisch gepresst von Tamuro, den Obsthändler. Oder lieber…“

„Kanan“, mischte sich erneut der Samurai ein, ohne auch nur im Entferntesten auf seinen Gast einzugehen, der schon mehrfach versucht hatte sich zu äußern, dessen zartes Stimmchen jedoch nur zu leicht übertönt wurde, „Bringen Sie uns Wein. Wir werden jetzt im Kaminzimmer unsere Unterhaltung von eben fortsetzen.“

Überrascht sah Zorro dabei zu, wie der andere aufgestanden war. Seine ganze Aura hatte sich geändert, seine gelben Augen waren zusammengekniffen und ernst. In diesem Moment war er wieder genau der Mann, den der Grünschopf damals kennen gelernt hatte. Der beste Schwertkämpfer der Welt.

Ohne zu überlegen stand er ebenfalls auf.

„Was? Aber wir sind doch noch nicht mit dem Essen fertig.“ Die großgewachsene Frau sah etwas unglücklich aus.

„Vielen Dank für das Essen, es war sehr lecker“, bedankte er sich und eilte zur Tür. Er wollte nun endlich wissen, was der andere herausgefunden hatte. Der Schwarzhaarige war hinter ihm, ehe er das Wohnzimmer erreicht hatte.

„Wein schon am Nachmittag. Ich befürchte jemand hier hat ein Alkoholproblem“, stichelte er leise, während er sich wieder auf das Sofa setzte. Falkenauge fuhr sich durch die Haare und ließ sich erneut ihm gegenüber auf den Sessel fallen.

„Ich glaube, der Wein ist gerade meine einzige Lösung“, meinte dieser nur und sah ihn durch seine Hände hinweg an. Zorro hatte das Gefühl, dass er den anderen zur Weißglut trieb und irgendwie fand er das gar nicht so schlecht. Er war ihm vielleicht im Kampf unterlegen, aber hier waren sie sich ebenbürtig.

Er beugte sich vor und griff nach der Zeitung auf dem Bücherhaufen.

„Über die Strohhüte steht dort nichts, allerdings dürften dich die Steckbriefe interessieren“, stellte der andere nur ruhig fest, während er seine Ellenbogen auf den Knien abstützte. Mit fast schon zitternder Hand zog Zorro den Stapel Steckbriefe hervor. Schnell blätterte er ihn durch. Die meisten Bilder kamen ihm grob bekannt vor, interessierte ihn jedoch nicht. Dann stockte er.

Breit grinsend strahlte ihn sein Kapitän an. Er spürte wie die Emotionen in diesem Körper es ihm wieder schwer machten. Er nahm den Steckbrief des Gummijungens und legte den unbedeutenden Rest zurück auf den Tisch.

Die neue Summe konnte sich deutlich sehen lassen. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Ruffy war nun einer der gefährlichsten Supernovae, das gefiel ihm.

„Da du ja offiziell tot bist, ist es nur nachvollziehbar, dass man deinen Kapitän in die Verantwortung zieht.“

Er nickte nur, weiterhin gebannt von dem breiten Grinsen seines jungen Freundes.

„Du hast kein Problem damit?“

Verwirrt sah er den anderen fragend an „Warum sollte ich? Er ist mein Käpt‘n.“

Überrascht legte der Samurai den Kopf schräg. „Warum?“

Nun war Zorro wirklich verwirrt. „Was meinst du damit? Na, weil er mein Kapitän ist.“

„Nein, ich meine warum… ach lassen wir das.“ Seufzend hielt der Schwarzhaarige sich den Kopf.

„Aber das heißt im Klartext, dass du nichts Neues weißt, oder?“, fragte Zorro nun nach.

„Nein. Meine Quelle hat mir zu verstehen gegeben, dass manche Soldaten der Marine tatsächlich noch ihren Kopf zum Arbeiten einsetzen müssen. Er wird sich melden, sobald er Zeit hat.“

Er nickte nur. „Und worüber wolltest du dann mit mir sprechen?“, fragte er und griff nach einem der Bücher. „Was hat es hiermit auf sich?“

Nachdenklich las er den Titel Reinkarnation und ihre Erscheinungsformen.

„Ich dachte mir, dass wir, während wir auf Neuigkeiten warten, die Zeit nutzen könnten um herauszufinden, was mit dir passiert ist. Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit dich wieder zurück zu verwandeln“, antwortete Falkenauge ruhig und nahm sich ebenfalls ein Buch, „Diese Insel hier mag zwar klein sein, aber durch die vielen Händler ist die Bibliothek ausgezeichnet. Eine der besten der Welt würde ich meinen.“

„Du redest wieder zu viel“, kommentierte der ehemalige Piratenjäger tonlos und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Buch in seinen Händen, „Ich glaube kaum, dass das was bringt. Ich hab von sowas noch nie gehört.“

„Und da du ja zu den gebildetsten Wissenschaftlern der Welt gehörst, ist dein Wissen mit der absoluten Wahrheit gleichzusetzen, was?“ Mit einem Funkeln im Blick starrten sie einander über ihre Bücher hinweg an.

„Es sei denn natürlich, dass du gar nicht mehr Lorenor Zorro werden möchtest, dann bring ich die Bücher gleich wieder zurück.“ Ein böses Grinsen verdunkelte die Gesichtszüge des Samurais, der sich vorlehnte um ihm das Buch abzunehmen.

„Nein!“, rief er zu laut und eine Spur zu panisch während er das Buch gegen seine Brust drückte. Lachend lehnte sich der Schwarzhaarige zurück. In diesem Moment kam die Haushälterin herein.

„Ich wusste nicht, welchen Wein Ihr gerne hättet, also habe ich drei verschiedene geholt.“ Sie wandte sich dem Hausherrn zu.

„Was für Wein trinkst du gerne Loreno… ich meine Loreen?“

Kurz sahen sie einander an, dann steckte Zorro seine Nase wieder in das Buch und zuckte mit den Achseln.

„Mir egal. Ich kenn‘ mich damit nicht aus. Solange er hochprozentig ist, ist es mir recht.“

Der Ältere lachte laut auf während Kanan ihn entsetzt tadelte.

„Liebes, sowas kannst du doch nicht sagen. Ein Wein wird nicht wertvoll durch seinen Alkoholgehalt, sondern durch…“

„Kanan. Das ist vergebene Liebesmüh. Unser Gast hat offensichtlich keine Ahnung, wenn es um einen guten Wein geht. Ich vermute, ein herber Rotwein ist die richtige Wahl.“

Aus dem Augenwinkel beobachte er, wie die Haushälterin den Kopf schüttelte.

„Bis auf Euch und Eurem Vater mag kein Mensch diese herben Weine. Ich denke, eine junge Dame bevorzugt eher einen fein süßlichen…“

„Bloß nichts Süßes!“, unterbrach er sie. Überrascht sah sie ihn an.

„Aber Loreen!“ Wieder lachte der Hausherr.

„Wusste‘ ich’s doch!“
 

Mit einem selbstgerechten Grinsen nahm er seinem alten Kindermädchen die bevorzugte Weinflasche ab.

„Das wäre es dann auch Kanan. Bitte seien Sie so gut und überlassen Sie uns unserer Arbeit.“

Wütend funkelte ihn die Dame an, doch sie nickte nur schnippisch: „Natürlich. Ich habe ja auch noch genug Arbeit in der Küche!“ und verließ mit hoch erhobenem Kopf das Zimmer. Das Mädchen auf dem Sofa lachte leise hinter dem Buchrücken, während er sich erhob und zwei Gläser holte.

Nachdem er diese reichlich gefüllt hatte, reichte er eines seinem Gast.

Der Tag schritt nun allmählich voran, während beide Schwertkämpfer in fast völliger Ruhe die Seiten der Bücher durchforsteten. Es dauerte nicht besonders lange, bis die erste Flasche Wein gelehrt wurde und die zweite folgte zugleich. Nur die nötigsten Worte wurden gewechselt, während der Bücherhaufen vor ihnen langsam schrumpfte.

Falkenauge musste gestehen, dass er das fast so langweilig fand, wie die Sitzungen beim Bürgermeister und er hatte noch nichts gefunden, was auch nur im Entferntesten mit der Situation des Piraten vergleichbar war. Entnervt legte er das Buch zur Seite und ergriff das Nächste. Dies stellte sich als interessanter heraus. Aber auch hier fehlten die meisten Parallelen.

„Sag mal, Mihawk.“ Überrascht blickte er auf, als der andere das Wort erhob. Den Blick starr auf die Zeilen vor sich gerichtet, offensichtlich nicht lesend, sprach der Pirat weiter. „Ich kapiere immer noch nicht, warum du das tust. Kanan sagt, dass du nie länger als einen Tag hier bleibst. Warum also tust du das für mich?“

Er erwiderte nichts, sondern betrachtete die verschlungenen Buchstaben vor sich. Nach einer Weile konnte er das Umblättern von Seiten hören. Der andere hatte keine Antwort von ihm erwartet. Nicht dass er ein Antwort hatte.

Er selbst fragte sich seit diesem Morgen dasselbe. Warum war er noch hier? Warum half er dem anderen? Er wusste es nicht. Genauso wenig, wie er wusste, warum der andere ihn so aus der Reserve locken konnte, ohne dass er auch nur ein Wort sagte.

Er spürte noch immer diese unterschwellige Anspannung in seinem Körper. Eine Kraft die er nur selten verspürte, doch er wusste genau was es war und das ärgerte ihn.

Er gierte nach einem Kampf.

Das Wissen, dass der Jungspund alleine in der Lage gewesen war eine gesamte Festung zu zerstören, auch noch als verletzter Gefangener, hatte ihn neugierig gemacht. Wie stark war der andere wohl geworden?

Aber das würde er nie herausfinden. Zumindest solange nicht, wie der andere in diesem Körper steckte. Vielleicht war es das. Vielleicht hatte er sich so sehr darauf gefreut endlich einen würdigen Gegner zu haben. Vielleicht wollte er ihn zurückbekommen, wenn irgendwie möglich.

„Hier ist auch nichts Nützliches drin“, stöhnte sein Gegenüber auf und warf das Buch neben sich aufs Sofa, „Oh Mann, es wird schon dunkel. Deine Quelle lässt sich ja ganz schön Zeit.“

„Was wirst du denn nun so redselig, Lorenor?“, murmelte er nur und überflog weiterhin die gedruckten Buchstaben.

„Ich langweile mich.“

„Dann mach dich nützlich“, antwortete er ohne groß nachzudenken. Die Inhalte dieses Buches könnten hilfreich sein. Der andere antwortete nicht und so las er weiter. Jetzt, da der Grünschnabel endlich den Mund hielt konnte er sich vollkommen auf das Buch konzentrieren. Es handelte ausnahmslos von Patienten, die eine Nahtoderfahrung gemacht hatten und gerettet wurden. Jedoch wiesen alle von ihnen ein gleiches Merkmal auf. Sie wussten weder wer oder wo sie waren. Im Gegenteil. Sie alle erinnerten sich zumindest Bruchstückhaft an ein anderes Leben und bestanden darauf, jemand anderes zu sein. Manche von ihnen gaben an alte Männer zu sein, die nun im Körper eines Kindes waren. Andere beteuerten, dass sie in Wahrheit dem anderen Geschlecht zugehörig waren. Während bei manchen dieses Benehmen als Wahnvorstellungen abgetan werden konnte und sich nach wenigen Tagen verflüchtigte, erinnerten sich andere so detailliert, dass man schließlich Personen und Orte aus diesem anderen Leben identifizieren konnte.

Beim Zusammenführen von Patienten und den Menschen, die sie angeblich aus einem früheren Leben kannten, waren einige von ihnen in der Lage, intime Unterhaltungen und Erinnerungen aufzuzählen, die sie nicht wissen konnten. Doch das Interessante war, dass der Mensch, an dessen Leben sich die Patienten erinnerten, in jedem Fall verstorben war. Meistens zum Zeitpunkt während die Patienten nicht bei Bewusstsein waren.

„Hey, ich hab vielleicht was gefunden“, murmelte er abwesend. Nach einigen Sekunden bemerkte er, dass er keine Antwort erhielt.

„Hörst du mir eigentlich zu?“ Ärgerlich blickte er auf. Er war alleine.

„Lorenor. Wo zum Teufel bist du?“, fuhr er wütend auf. Ein ihm nur zu bekanntes Kichern kam vom Flur her. Überrascht stellte er fest, dass nicht nur das Mädchen sondern auch die leeren Weinflaschen und Gläser verschwunden waren.

Mit dem Buch unterm Arm folgte er den leisen Stimmen. Sie führten ihn in die Küche. Dort saß die Haushälterin am Küchentisch und zerrieb Kräuter. Am Spülbecken stand der Grünhaarige und arbeitete fleißig.

„Vielen Dank nochmal, Loreen. Ich bin es gar nicht gewohnt, Hilfe zu bekommen.“

Das Mädchen lachte leise. „Ich hatte eh nichts zu tun. Und während ich vom Kochen keine Ahnung habe, so habe ich doch immerhin Erfahrung im Teller abtrocknen.“

„Was machst du denn hier?“, brachte er sich in die Unterhaltung ein. Sein Gast sah ihn überrascht an.

„Du hast doch gesagt ich soll mich nützlich machen. Was beschwerst du dich denn jetzt?“

Er zuckte mit den Achseln. „Ich meinte du sollst dir noch ein Buch vornehmen.“

„Es war keines mehr da!“, zischte sie zurück.

„Hey. Kein Streit in der Küche“, stellte sich die Haushälterin dazwischen, „Wenn Ihr streiten wollt, meinetwegen, geht ins Wohnzimmer oder den Saloon. Aber die Küche ist ein Ort der Liebe, der Warmherzigkeit. Hier gibt es viel Arbeit aber niemals Streit.“

„Man, das hätte der Koch nicht schmalziger sagen können!“ Sich die Hände abtrocknend ging der Grünschopf an der hochgewachsenen Frau vorbei.

„Welcher Koch?“, fragte diese verwirrt.

„Der Koch, der noch nicht mal beim Geschirrspülen die Klappe halten kann“, zuckte das Mädchen mit den Achseln und vergrub die Hände in den Falten des Kleides, „Kommst du, Falkenauge? Du hast doch gehört, wir können uns im Wohnzimmer weiter streiten.“

Perplex starrte er seinem Wildfang hinterher. Der Pirat würde ihn noch in den Wahnsinn treiben. Die Frau neben ihm lachte leicht auf.

„Sie ist Euch ebenbürtig.“

„Wie bitte?“, wandte er sich ihr zu, doch Kanan lächelte nur.

„Sie ist wie Eure Schwester. Selbstbewusst und mutig. Sie bringt Euch in Rage.“

„Schwachsinn.“ Er schüttelte den Kopf, „Sie ist ganz anders. Sharak war stark, eine Kriegerin.“

„Mag schon sein, aber Ihr könnt es nicht verleugnen. Ihr mögt sie.“

„Ich hab sie zum fressen gern“, knurrte er ironisch und folgte seinem Gast ins Kaminzimmer. Doch er konnte nicht leugnen, dass sein ruhiger, rationaler Verstand immer wieder aussetzte, wenn Lorenor auf der Bildfläche erschien. Dieser hockte wieder auf dem Sofa und durchblätterte die Zeitung. Das Kleid unordentlich zwischen den Knien zusammengeknüllt.

Für den Samurai war es offensichtlich, dass der andere etwas aus der Küche entwendet hatte, aber er beachtete es nicht weiter, da er stark bezweifelte, dass der Pirat so dumm wäre, ihn mit einem Küchenmesser anzugreifen.

„Also, du hast was gefunden?“, fragte der Grünspan ernst ohne aufzublicken. Falkenauge stützte sich auf der Sofalehne hinter dem anderen ab und reichte ihm ein Buch hinunter, sein Blick immer noch auf den Stoffbalg gerichtet, leicht neugierig geworden.

„Sind zumindest ziemlich ähnliche Fälle.“ Er drehte sich mit dem Rücken gegen die Lehne und wartete, während der andere die Seiten durchblätterte. Wenn dieser doch so töricht sein sollte, ihn anzugreifen, wäre nun der geeignete Augenblick.

„Der Name des Autors sagt mir was“, erklärte er nach wenigen Minuten, „Ich glaube er ist ein Forscher im Dienste der Marine. Wenn du willst, könnte ich ein Treffen arrangieren. Vielleicht weiß er ja, was zu…“

„Das kannst du dir sparen“, unterbrach ihn die sanfte Stimme unhöflich. Mit einem lauten Klatschen wurde das Buch auf den Tisch geworfen.

„Wie meinst du das?“, fragte er, ohne sich umzudrehen. Seine Hände krallten sich jedoch etwas fester in die Lehne. Er konnte spüren wie der Pirat sich zurücklehnte, sein Hinterkopf streichelte beinahe seinen linken Unterarm.

„Das hat alles nichts mit mir zu tun“, stellte der andere schlicht fest.

„Ich finde schon, dass da markante Parallelen…“

„Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass jemand gestorben ist.“

„Aber du steckst doch auch in einem anderen Körper, vielleicht ist es der Körper irgendeines Mädchens und du…“

„Nein. Im Gegensatz zu diesen Patienten erinnere ich mich genau daran, wie ich gestorben bin. Außerdem hätte dieser Körper mit Sicherheit irgendwelche Spuren davon getragen, wenn der eigentliche Besitzer eine Nahtoderfahrung gemacht hätte.“

Seufzend stieß er sich ab und wanderte zum Kamin hinüber, „Vielleicht sollten wir uns trotzdem mit dem Forscher…“

„Nein!“ Wurde er bestimmt unterbrochen. Wütend hob er die Hände.

„Lass mich doch mal ausreden! Warum, verdammt nochmal nicht? Willst du keine Lösung finden?“ Der andere fing an zu sprechen, doch er ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Willst du für immer in diesem Körper bleiben? Willst du nicht mehr Lorenor Zorro sein? Willst du mich nicht besiegen?!“ Hart und laut hallte seine Stimme zwischen ihnen.

Die junge Frau vor ihm antwortete nicht, sondern stand betont langsam auf und drehte sich zu ihm um. Die Arme verschränkt kam sein Feind langsam auf ihn zu. Das Gesicht war ruhig, die Augen klar auf ihn gerichtet. Es war ihm unmöglich zu sagen, was in dem anderen vorging. Noch nie zuvor hatte ihn jemand so angesehen. Diese Augen waren nicht die eines Kindes, auch nicht die eines jungen Mannes, sondern die eines Menschen, der schon viel erlebt und gesehen hatte.

Wie konnte ein so junger Mensch ihn so überlegen ansehen?

Sich den Flechtzopf über die Schulter werfend lehnte nun der Pirat sich gegen die Sofalehne und sah ihn an.

„Ich bin Lorenor Zorro und werde eines Tages der beste Schwertkämpfer der Welt sein. Ganz gleich, ob als Zorro oder als Loreen.“

Die Bestimmtheit seiner Worte traf ihn unvorbereitet. Selten hatte er so viel Sicherheit in einer Stimme gehört.

Er schüttelte nur den Kopf.

„Dein Selbstvertrauen in allen Ehren, Lorenor. Aber sieh dich doch mal an! Du kannst in diesem Körper nicht dein Ziel erreichen.“

„Und trotzdem werde ich es!“

„Willst du es nicht begreifen?! Eine Frau wie die, die du jetzt bist, wird immer schwächer als ein Mann sein. Sie sind uns physisch unterlegen, Lorenor! Deshalb musst du wieder du werden!“

„Und wenn es nicht geht?!“ Wütend hatte der andere einen Schritt auf ihn zu getan.

„Glaubst du, ich will so sein? Glaubst du, ich wäre nicht lieber ich und bei meiner Crew?!“ Der Pirat machte noch einen Schritt auf ihn zu und wirkte plötzlich ziemlich bedrohlich für so eine zierliche Frau.

„Zwei von den Büchern, die ich gelesen habe, enthielten genau das, was du gefunden hast. Ein weiteres Buch handelte von einem Mann, der immer wieder gewaltsam zu Tode kam und dann als Junge wiedergeboren wurde. Aber das hat nichts mit mir zu tun. Nichts davon ähnelt meinem Zustand. Ich glaube nicht, dass es so etwas gibt! Ich weiß nicht, warum ich hier bin und ich kann nicht ändern was mit mir passiert ist. Aber ich werde das Beste daraus machen.“ Nun stand er direkt vor ihm, „Ich weiß, dass Frauen Männern physisch unterlegen sind, aber das wird mich nicht aufhalten. Ich werde im Notfall auch als Frau einen Weg finden dich zu besiegen und das noch bevor du aus Altersschwäche auseinanderfällst.“

Für einen Moment war die Spannung zwischen ihnen greifbar, eine falsche Bewegung würde zum Kampf führen.

„Sag mal“, zerbrach er schließlich die Stille „für wie alt hältst du mich eigentlich?“ Der Pirat lachte auf.

„Du warst schon alt, als ich noch ein Kind war, also würde ich sagen…“

„Du bist immer noch ein Kind. Ein Rookie, der mir das Leben erklären will! Das ich nicht lache!“ Einen Moment wurde es ruhig zwischen ihnen beiden.

„Nun gut.“ Der andere blickte zu ihm auf.

„Dann hast du ja ein ambitioniertes Ziel vor dir.“ Der Pirat grinste.

„Es ist mein Traum und ich werde ihn erreichen.“

Falkenauge lachte leise: „Und wieder weiß ich nicht, ob falscher Stolz oder Dummheit dich leitet, aber eins ist sicher.“

„Und was?“

Er wollte schon die unbedachten Worte aussprechen, besann sich dann jedoch eines besseren und schüttelte nur den Kopf.

„Dafür bist du noch zu klein“, sagte er und ging böse lachend an dem Mädchen vorbei.

„Was soll die Scheiße?“, hörte er seinen Wildfang fluchen.

„Komm, Lorenor. Ich hab noch ein paar ausgezeichnete Weine im Keller.“

Kapitel 6 - Die Wahrheit

Kapitel 6 – Die Wahrheit
 

-Mihawk-

Es war schon spät.

Kanan hatte sich schon vor mindestens zwei Weinflaschen zu Bett verabschiedet. Der verfluchte Schwertkämpfer lag auf dem Teppich im Kaminzimmer und las die Zeitung. Er selber hatte noch einmal sämtliche Bücher aus der Bibliothek durchgearbeitet. So schnell würde er nicht aufgeben, doch er hatte erneut nichts Hilfreiches finden können. Die vergangene, schlaflose Nacht zollte nun ihren Tribut und mit müden Gedanken legte er das letzte, hilflose Buch zurück auf den Stapel.

Mit einem Seufzen beugte er sich vor und goss den letzten Tropfen Wein in das leere Glass des Mädchens. Der Pirat bedankte sich mit einem kurzen Blick und schlug die Zeitung zu.

„Mann, deine Quelle lässt ganz schön auf sich warten“, beschwerte er sich zum bestimmt zehnten Mal.

„Ich denke nicht, dass Jirou sich heute noch meldet.“

„Verdammt.“ Das Mädchen rollte entnervt mit den Augen und drehte sich auf den Rücken.

„Ihr habt verdammt viele Bücher hier“, kommentierte der Grünschopf zusammenhanglos. Dulacre vermutete, dass ihm der Alkohol langsam zu Kopf stieg.

„Hast du die denn alle gelesen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Das sind hauptsächlich Bücher von meinem Vater. Er war ein richtiger Bücherwurm und hat alles gelesen was ihm in den Weg kam.“

„War?“, fragte sein Gast nach, „Ist er tot?“ Beinahe unbeschwert klang die Frage.

„Nein, ich hab ihn nur schon Jahre nicht mehr gesehen. Keine Ahnung wie er heute ist.“

„Achso, also hast du dein Talent zum Schwertkampf nicht von der Leseratte geerbt?“, plapperte Lorenor ungehalten weiter. Müde hob der Samurai die Zeitung auf und legte sie neben die Bücher. Es hatte keinen Sinn mehr.

„Doch, habe ich. Mein Vater war ein ausgezeichneter Schwertkämpfer. Er liebte Schwerter, Bücher und Strategiespiele, sodass er sich mit nichts anderem beschäftigte. Meine Mutter verstand sich eher auf alles, was mit Kunst und Musik zu tun hatte.“

Ein zustimmender Laut ertönte von dem anderen, der sich schwerfällig aufrichtete und die Bücher genauer inspizierte.

„Wir sollten zu Bett gehen.“

Die junge Frau schüttelte ausschweifend den Kopf, wobei die Haare nur so wild umher wirbelten und der Zopf sich vollends löste.

„Nö, keine Lust. Ich bin noch gar nicht müde.“ Langsam stand er auf.

„Du bist betrunken, Lorenor. Ich bring dich jetzt zu Bett.“ Überraschend gewandt entzog sich das Mädchen seinem Griff und griff nach einem der Bücher.

„Ich bin nie betrunken. Hab‘s schon hundert Mal versucht, hat nie geklappt.“

Mit dem nächsten Versuch hatte er ihn.

„Mag schon sein, aber jetzt kommst du mit ins Bett.“

Trotz lauter Proteste packte er ihn und hob den zierlichen Körper hoch. Mit einer Hand versuchte er den kleinen Händen das Buch zu entreißen, aber der Pirat klammerte sich verzweifelt daran.

„Nein, das will ich lesen.“ Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

„Meinetwegen“, murrte er, „Aber erst morgen. Jetzt wird geschlafen.“

Der andere wandte wütend den Blick ab.

„Ich kann selber laufen.“

„Und dann fällst du mir wieder die Treppe runter.“

Der Pirat in seinen Armen verschränkte die seinen.

„Du bist ziemlich blöd, weißt du das?“

„Wenn du mir es noch oft genug sagst, werde ich es mir merken.“ Langsam ging er die Stufen hinauf.

„Sag mal, Falkenauge…“

„Bist du immer so geschwätzig, wenn du betrunken bist, Lorenor?“ Der Pirat lachte leise auf.

„Keine Ahnung, ich war noch nie betrunken und hätte ich gewusst, dass ein-zwei Gläser Wein ausreichen würden, hätte ich den schon früher mal probiert.“

„Es liegt nicht am Wein, sondern daran, dass ein halbes Hemd wie du nichts verträgt.“

Der andere nickte beinahe nachdenklich.

„Kann schon sein, aber dafür war er lecker.“ Kopfschüttelnd öffnete der Samurai die Tür zum Gästezimmer.

„Also, was wolltest du fragen?“ Er mochte die zwanglosen Unterhaltungen mit Betrunkenen. Man konnte Dinge erfahren, die vielleicht geheim waren, doch der andere würde sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern können.

„Ach ja. Warum bist du so wenig hier? Kanan ist doch total nett.“ Lachend warf er den anderen auf sein Bett. Mit einem leisen Puff und geweiteten Augen landete der Pirat auf dem Laken und lachte dann belustigt auf. Er selber sah das Mädchen nachdenklich an.

„Es liegt nicht an Kanan.“ Der Pirat kniete sich auf.

„Woran dann?“

Er wandte den Blick ab und begann die Vorhänge zu schließen.

„Das hier ist der Ort meiner Kindheit, Lorenor.“ Er konnte das Nicken des anderen in den spiegelnden Fensterscheiben sehen.

„Also nicht so die besten Erinnerungen?“

„Doch, doch“, meinte er abwesend, „Aber davon ist nicht mehr viel geblieben. Nur noch Kanan.“

„Und wo bist du dann, wenn du nicht hier bist?“

„Du bist ganz schön neugierig, Loreno… was machst du da?“, beschämt drehte er sich wieder um. Der andere saß halb nackt auf dem Bett und versuchte gerade, den BH zu lösen.

„Jetzt stell dich nicht so an. Ich hoffe wirklich, dass ich nicht die erste Frau bin, die du nackt siehst. Ansonsten tust du mir in deinem Alter wirklich leid.“

„Ich bin nicht so alt, wie du denkst!“, wütend starrte er den anderen an.

„Jaja, könnte dann bitte der nicht so alte Herr sich her bequemen und diesen verdammten Verschluss öffnen? Langsam schneiden diese Bänder ein.“

Er konnte nicht verhindern, dass er errötete als er langsam hinter den anderen trat.

„Ich bin viel unterwegs. Außerdem habe ich einen neuen Ort gefunden, wo ich meine Ruhe habe“, murmelte er schließlich und kehrte dem anderen wieder den Rücken zu.

„Vielen Dank“, flüsterte das Kind, „Einen Ort ohne Erinnerungen?“

Er nickte, ohne dass der andere es sehen konnte.

„Hört sich traurig an.“

„Ich glaube, du würdest es dort mögen.“ Das Mädchen lachte.

„Weil du mich ja so gut kennst.“

„Na, mit dem Wein lag ich immerhin richtig.“

Da er keine Antwort erhielt, drehte er sich erneut um. Zu seiner Überraschung lag der andere einfach nur da. Mit nicht mehr an, als dem Hemd mit dem er ihn gefunden hatte. Kopfschüttelnd warf er die Decke über den bereits schlafenden Jungspund. Eine Sekunde lang betrachtete er das Buch, was der andere unbedingt hatte lesen wollen. Es war ein uraltes Sammlerstück seines Vaters. Es waren die letzten Überreste einer alten Kultur, die schon vor Jahrzehnten, wenn nicht sogar Jahrhunderten, ausgerottet war und bis auf wenige Wissenschaftler von Ohara, war niemand mehr in der Lage gewesen, diese Schrift zu lesen. Der andere musste wirklich betrunken gewesen sein. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?
 

Leise schloss er die Tür hinter sich und begab sich erneut ins Wohnzimmer, um das Chaos zu beseitigen. Zurückblickend war es wirklich ein ereignisreicher Tag gewesen, doch konnte er die Lust nach einem Kampf selbst jetzt immer noch schmecken. Ein Geschmack, für den er sich schon lange zu alt geglaubt hatte. Zu erfahren geglaubt hatte. Er hatte sich seine Hörner schon vor Ewigkeiten abgestoßen. Mittlerweile fand er einen Kampf im besten Falle noch interessant, meistens nur notwendig und das kleinere Übel.

Doch der Junge in Mädchengestalt brachte sein Blut in Wallungen, wie es bisher nur wenige geschafft hatten. Zuletzt sein rothaarige Freund, bevor dieser sich entschieden hatte, zum Krüppel zu mutieren. Mit einem Schulterzucken kippte er sich das vergessene Glas Wein des anderen den Rachen hinunter. Ein guter Wein, nicht der beste, aber dennoch äußerst zufriedenstellend.

Zu seiner Überraschung fand er in den Tiefen der Sofaritzen eine Schere. Das also hatte der andere aus der Küche mitgehen lassen und dann vergessen. Dulacre musste nicht groß nachdenken, um die Hintergründe zu erahnen. Mit Sicherheit war der junge Pirat nicht so töricht, ihn damit bedrohen zu wollen. Grinsend brachte er das kleine Werkzeug zurück an seinen Platz. Auf die Auseinandersetzung zwischen den beiden Damen des Hauses freute er sich bereits jetzt schon.

Nachdem er alle Spuren des Tages entfernt hatte, entschied er sich selbst auch dazu, zu Bett zu gehen. Eigentlich hatte er noch ein bisschen Schreibarbeit erledigen wollen, aber wenn er ehrlich war, hatte er zum einen keine Lust und zum anderen war es nicht mehr notwendig, dass er noch mehr Zeit damit totschlug. Nein, insgeheim freute er sich wirklich auf eine weitere Nacht in seinem Bett und auf einen weiteren unvorhersehbaren Tag.
 

Und dieser begann ausgesprochen früh. Doch da er nicht viel Schlaf brauchte, störte es ihn nicht. Er saß bereits munter am Schreibtisch am Werkeln, holte Dinge auf, die er schon Jahre vor sich hin geschoben hatte und nahm einen Schluck vom starken Kaffee in der Hand, als er plötzlich von der Haushälterin gerufen wurde. Ihm war es gar nicht bewusst gewesen, dass auch sie schon unterwegs war, allerdings überraschte es ihn nicht.

Sich die Tasse schnappend, folgte er ihrer Aufforderung. Da sie nicht zu ihm ins Zimmer gekommen war, ging er davon aus, dass sie Besuch hatten und er konnte sich auch schon denken, wer es war.
 

„Guten Morgen, mein werter Jiroushin.“ Eben dieser stand im Eingangsbereich des Hauses und zog sich seine schweren Stiefel aus. Der Samurai viel der makabre Kontrast des weißen Mantels auf, der neben seinem eigenen Schwarzen hing.

„Mann, Hawky. Du bist ja überaus gut gelaunt. Hab ich was verpasst?“

Mit einem Grinsen lehnte sich die Haushälterin in den Türrahmen zur Küche.

„Ich bin mir fast sicher, dass das an unserem…“

„Kanan!“, unterbrach er sie etwas ungehalten und eine Spur zu laut, „Bringen Sie unserem Gast etwas zu Trinken. Jriou, wollen wir ins Esszimmer gehen? Da sind wir ungestört.“ Der Marineoffizier zuckte mit den Schultern.

„Ist ja nicht so, als ob außer uns sonst noch jemand hier wäre“, und folgte seinem Kindheitsfreund in den Speiseraum.

„Du hast mich ja gestern ganz schön versetzt“, entkam es Falkenauge desinteressiert, während er sich auf seinen Platz am Kopfende setzte und die Arme abweisend verschränkte.

„Hättest ja wenigstens Bescheid sagen können“, meinte er noch, bevor er sich den Rest seines – mittlerweile nur noch lauwarmen – Kaffees hinunterkippte.

Sein Freund warf sich neben ihn auf den erstbesten Stuhl und ließ seinen Kopf auf die Tischplatte fallen.

„Stell dich nicht so an. Ich hatte meine eigenen Sorgen“, murrte der Konteradmiral nur niedergeschmettert gegen das Holz.

„Probleme mit der Frau?“, fragte er halbwegs mitfühlend nach, während die Tür aufging und die hochgewachsene Frau mit Kaffee und Plätzchen hereinkam.

„Ich wünschte, das wär’s nur“, kam die klagende Antwort des Blonden, der sich nun langsam aufraffte und sich an seine Tasse klammerte. Seine müden Augen folgten der Haushälterin, die wohl spürte, dass ihre Anwesenheit nicht unbedingt erwünscht war und das Zimmer zügig verließ.

„So schlimm?“

„Nein, noch viel schlimmer! Ich war erst so spät zu Hause, dass Lirin mich gar nicht mehr rein lassen wollte! Ich musste auf der Couch pennen, weil sie so wütend war. Und dann wache ich heute auf, freu mich auf ein schönes Frühstück mit ihr und sie ist schon weg.“

Er trank seinen Kaffee in einem Schluck aus und warf seinen Kopf wieder auf den Tisch.

„Und warum warst du so spät zu Hause?“, stellte er gelangweilt die Frage, die der andere von ihm hören wollte.

Warum hatte der andere nicht einfach angerufen und ihm die Informationen mitgeteilt, die er wissen wollte? Stattdessen musste er sich jetzt mit einem depressiven Marineoffizier auseinandersetzen. Als hätte er nicht schon genug am Hals mit seinem grünhaarigen Wildfang.

„Im Stützpunkt sind alle am Durchdrehen. Seit die G6 gestürzt wurde, wollen alle herausfinden, was passiert ist. Einige der Piraten drehen jetzt völlig am Rad und versuchen nun ebenfalls Stützpunkte zu zerstören und all das nur, weil dein Schwertkampfwunderknabe einen auf ‚tragischen Held‘ machen wollte.“

„Ich dachte, ihr wüsstet schon, was passiert ist. Die Fallakten waren ziemlich umfangreich. Was für Informationen könnten der Marine denn noch fehlen?“ Langsam beugte er sich vor und betrachtete seinen Freund. Dieser legte sein Haupt auf die Seite und sah ihn zermürbt an.

„Naja, zum einen weiß niemand, woher der Piratenjäger sich so gut in diesem Stützpunkt auskannte. Wie du sicherlich gelesen hast, wurden er und Schwarzfuß Sanji in Kadettenuniform gesichtet. Keiner weiß, wie sie das angestellt haben und dann ist da noch die Sache mit den Ohrringen…“

„Es ist aber schon erbärmlich, dass sie nicht erkannt wurden. Wozu gibt es denn Steckbriefe, wenn diese nicht angesehen werden?“

Wütend knallte der Mann der Marine eine Hand auf den Tisch. Geschirr und Plätzchen klapperten aufgebracht.

„Manchmal erschreckst du mich, Dulacre. Hunderte gute Männer sind gestorben, einen qualvollen und schrecklichen Tod. Und alles was dir einfällt ist zu sagen, dass sie die Steckbriefe genauer hätten kontrollieren müssen?!“

Der Samurai lehnte sich wieder zurück.

„Reg dich nicht so auf, Jiroushin. Es ist nun mal eine Tatsache, dass der erfolgreiche Fluchtversuch der Strohhutbande nicht auf deren besondere Fachkenntnisse zurückzuführen ist. Das sind einfache Piraten. Noch nicht einmal überdurchschnittlich gefährlich. Wir zwei wissen, dass jeder von uns beiden alleine mit der ganzen Crew zu Recht kommen würde. Auch zumindest Hakkai hätte als Vizeadmiral keine besonderen Schwierigkeiten mit denen haben sollen. Laut den Berichten von Enies Lobby und Gecko Moria ist noch nicht mal der Strohhut selber in der Lage, Haki einzusetzen, geschweige denn einer seiner Untergebenen.

Der einzige Grund, warum Lorenor Zorro in der Lage gewesen war, den Stützpunkt zu vernichten, war der, dass die Marine ihn und den Rest der Crew unterschätzt hat. Sieh es ein, Jirou, die meisten Soldaten heutzutage sind aus einem anderen Holz geschnitzt wie du und Vater. Der Untergang der G6 hatte nichts mit den Piraten zu tun, sondern einzig und allein mit der schlampigen Arbeit der Marine.“

Sein Freund war wütend aufgesprungen. Donnernd fiel der Stuhl zu Boden.

„Wie kannst du das so ruhig sagen?! Du verteidigst immer noch diesen Mistkerl? Er war ein Monster, Dulacre! Ein Monster! Er hat all diese unschuldigen Menschen getötet, für eine Handvoll Verbrecher! Und du nimmst ihn in Schutz und gibst lieber der Gerechtigkeit die Schuld?! Bei deiner Einstellung ist es wirklich gut, dass du nicht mehr bei der Marine bist!“

Gelangweilt wartete er ab, bis sein Freund seinen Frust rausgeschrien hatte. Genau aus diesem Grund bevorzugte er die Einsamkeit von Kuraigana.

„Da magst du Recht haben und es gibt mit Sicherheit noch eintausend weitere gute Gründe. Das ändert jedoch nichts daran, dass es ein Armutszeugnis der Marine ist, die Schuld bei den Strohhüten zu suchen und nicht bei sich selber. Dann könntet ihr wenigstens etwas daraus lernen.“

Er hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da packte der andere ihm am Kragen. Unbeeindruckt sah er auf die Hand, die ihn festhielt.

„Was denn, was denn? Ich habe dich selten so aufgebracht gesehen. Normalerweise willst du doch nie kämpfen. Das ist ja auch der Grund, warum Lirin der Boss im Haus ist, oder?“

Der andere starrte ihn immer noch zornentbrannt an, sagte jedoch nichts.

„Gib‘s zu, Jirou. Du weißt, dass ich Recht habe. Ich weiß nur nicht, warum du dich so künstlich aufregst. Die verkalkte Verwaltung der Marine hat sich in den letzten Jahren kaum verändert, allmählich müsstest du dran gewöhnt sein.“

Der Konteradmiral ließ ihn los.

„Du bist wirklich ein Arschloch!“ Er nickte.

„Man tut was man kann.“

„Ich hab gerade richtig Lust, dir die Fresse zu polieren, weißt du das?“ Wieder nickte er nur, ohne jedoch aufzustehen.

„Meinetwegen gerne. Der letzte gute Kampf ist schon zu lange her. Wenn du deinen Degen dabei hast, können wir sofort loslegen. Allerdings wissen wir aus besseren Zeiten, dass du immer noch keine Chance gegen mich hast.“

Er liebte es, wie ihn diese grünen Augen anblitzten, fast schon so wütend, wie die eines anderen gewissen jemands.

„Wer weiß. Du hast dich die letzten Jahre auf die faule Haut gelegt. Ich dagegen habe jede Woche mein Probetraining und Nataku taucht auch ab und an auf. Ich denke, dass ich besser in Schuss bin als du.“ Die Stimme des anderen war immer noch unterschwellig von Wut erfüllt, aber immerhin ließ er ihn los.

„Nataku? Du sprichst noch mit dem?“, meinte Mihawk tonlos und richtete seinen zerknitterten Kragen, stolz darauf, wie elegant er das Thema gewechselt hatte.

„Ja, wir sind Kollegen.“

„Was für eine Begründung. Wenn es danach gehen würde, müssten dieser wahnsinnige Don Flamingo und ich beste Freunde sein.“

„Könnt ihr euch nicht leiser streiten?“

Beide Männer erstarrten, als eine dritte Person mit murrender Stimme den Raum betrat.

Falkenauge betrachtete den Piraten, dieser hielt sich den strubbligen Kopf und hatte tiefe Ringe unter den Augen. Er trug nur Hemd und Sandalen, wovon eine jedoch nicht richtig geschlossen war. Er sah wirklich furchtbar aus. Das bleiche Gesicht war schmerzhaft verzogen und jeder Schritt wirkte anstrengend und zittrig. Der andere hatte ganz offensichtlich einen Kater.

„Du solltest was trinken.“

„Ach ‘ne“, antwortete der andere sarkastisch, „Aber ich glaube nicht, dass ich Kanan jetzt ertragen kann.“

„Mann, Dulacre!“, fuhr der Marineoffizier mit ungewohnt hoher Stimme dazwischen. Unbeeindruckt schien der Pirat den anderen zu registrieren.

„Wer ist das und warum bist du so unhöflich und stellst uns nicht vor?“ Der verfluchte Pirat hob den Kopf desinteressiert und sah die beiden Männer nachdenkend an.

„Hey“, sagte Lorenor nach einem Moment gedehnt, „Nicht so laut. Mir dröhnt der Schädel.“

„Ich hab dir gesagt, dass du nicht zu viel Wein trinken sollst“, antwortete der Samurai und ignorierte seinen Freund getrost.

„Ja, aber du hast mir nicht gesagt, dass Betrunken sein so negative Folgen haben kann.“

Das Mädchen ließ sich schwerfällig auf einen Stuhl sinken und griff nach einer Tasse.

„Ein vernünftiger Mensch hört auf, wenn er merkt, dass er zu viel getrunken hat“, erinnerte er seinen Gast, doch dieser winkte entnervt ab.

„Ich war vorher noch nie betrunken, woher… ach lassen wir das, ich kann mich jetzt nicht mit dir streiten.“ Die zittrige Hand griff nach der Kaffeekanne.

„Vielleicht solltest du lieber Wasser zu dir nehmen.“

Wie ein Roboter drehte sich der Kopf des Grünschopfes in seine Richtung.

„Noch einmal. Ich, Kopfschmerzen. Küche, Kanan. Ich, Kaffee.“

Der Samurai schüttelte nur den Kopf. Es war sinnlos diese Diskussion zu führen.

In diesem Moment erinnerte er sich wieder an seinen anderen Gast, welcher gerade wieder seinen Stuhl hingestellt hatte und sich gegenüber von dem Mädchen niederließ. Alle Wut war offensichtlich aus seinem Körper verschwunden, zu perplex wirkte er über das unerwartete Auftauchen des anderen Gastes.

„Nun gut. Also Jirou, das ist…“ Einen Moment blickte er den Piraten an, der vor wenigen Sekunden noch Thema ihrer Auseinandersetzung gewesen war.

„Hawky, du hast doch nicht etwa ihren Namen vergessen?“, fuhr sein Freund ihn entsetzt an.

„Nein, hat er nicht. Er weiß nur nicht, wie er mich vorstellen soll“, antwortete das Mädchen eine Spur entnervt. Gereizt vergrub Falkenauge das Gesicht in den Händen.

„Du machst es mir auch nicht gerade leicht. Also, Jirou, das ist Loreen. Und dir, meine liebe Loreen...“ Die grünen Augen sahen ihn müde aber trotzdem ziemlich tödlich an, „Möchte ich meinen Kindheitsfreund, Cho Jiroushin, vorstellen.“ Der Blonde verbeugte sich im Sitzen.

„Es freut mich außerordentlich, Lady Loreen.“

Das Mädchen sah ihn jedoch nur gelangweilt an, dann weiteten sich einen Moment Lorenors Augen.

„Konteradmiral Cho, der friedvolle Krieger“, sagte er schließlich, beinahe fassungslos.

„Du kennst ihn?“, fragte Falkenauge überrascht.

„Offensichtlich“, blubberte der Pirat in seine Tasse.

„Woher kennen wir uns?“, fragte nun auch der Marineoffizier.

„Sie waren auf der Marinebasis von Shelltown, als ich dort …“ Einen Moment stutzte der Grünschopf, als würde er sich seiner Situation bewusst.

„Aber woher weißt du, wer er ist?“, versuchte Falkenauge seinem Gast zur Hilfe zu kommen.

„Ich bin nicht total ungebildet, klar?“, bedankte dieser sich sofort, „ Konteradmiral Cho Jiroushin, der Admiral mit der wenigsten Kampferfahrung aller Ordensträger in der Marine und das, obwohl kein Mensch auf der Welt mit seiner Fechtkunst mithalten kann. Trotzdem wird er, vor allem für sein taktisches Vorgehen, bevorzugt in Krisengebieten eingesetzt, wo man eine blutige Auseinandersetzung vermeiden möchte. Gerüchten zufolge beendet er die Hälfte seiner Kämpfe noch bevor sie begonnen haben, dadurch, dass er den Gegner zur Aufgabe überredet.“

Verblüfft blickten sich die beiden Männer einen Moment an, während das Mädchen eine weitere Tasse des schwarzen Gebräus vernichtete.

„Woher weißt du das alles?“ Der Grünschopf sah den Marineoffizier direkt an und ignorierte die Frage des Schwarzhaarigen.

„Sie gehören zu den fünf besten Schwertkämpfern der Welt, auch wenn Sie den Degen bevorzugen. Natürlich weiß ich, wer Sie sind.“ Abrupt stand die junge Frau auf, anscheinend sich plötzlich bewusst über sein peinliches Verhalten, „Und jetzt werde ich Kanan darum bitten, irgendetwas gegen diese Kopfschmerzen zu unternehmen, mir wird langsam echt schlecht.“ Hart knallte die Tür hinter dem Wildfang zu, während beide Männer ihm immer noch verdutzt nachsahen.

„Was war das denn?“

„Mein Untergang“, kommentierte der Samurai nur und nahm sich den letzten Rest Kaffee.

„Warte mal.“ Plötzlich sah der andere ihn durchdringend an. „Sie ist es!“

Geschockt verschluckte Falkenauge sich. Wie hatte der andere es rausfinden können? Wer würde auf so eine wahnwitzige Idee kommen. War es, weil der andere sich verplappert hatte? Verdammt!

„Wie bitte was?“, gab er sich ahnungslos und verfluchte sich gleichzeitig dafür, die Fassung verloren zu haben.

„Sie ist der Grund, warum du noch hier bist!“ Und das ganze Adrenalin verabschiedete sich.

„Ja, das stimmt“, murmelte er nun beinahe enttäuscht. Wieder sprang der andere auf.

„Hawky, bist du wahnsinnig! Die ist doch noch fast ein Kind! Kannst du dir nicht jemanden in deinem Alter suchen? Was sagt Kanan denn? Sie wird das doch kaum gutheißen können.“

„Wovon redest du denn da?“

„Mein Gott, hast du als Pirat deinen letzten Rest Anstand verloren? Und streite es ja nicht ab. Sie trägt sogar noch dein Hemd! Mein Gott, was ist nur aus dir geworden?“

Ein schales Lachen ertönte von der Tür.

„Keine Sorge, verehrter Konteradmiral Cho. Falkenauge ist weder mein Typ, noch meine Altersklasse. Außerdem ist das noch nicht mal sein Hemd.“

Langsam wurde es dem Samurai echt zu bunt, als der andere mit einem Glas Wasser wieder in der Tür erschienen war, immer noch nur in Hemd und Sandalen. Was hatten nur alle mit seinem Alter?

„Wolltest du nicht was gegen deine Kopfschmerzen tun?“

„Kanan hat mir eine Tablette gegeben, die sollte jeden Moment wirken“, meinte das Mädchen nur und gesellte sich wieder an den Tisch, „Aber da ich stark davon ausgehe, dass dieser Mann deine Informationsquelle ist, möchte ich so wenig wie möglich verpassen.“

Die Idiotie des anderen bereitete mittlerweile ihm Kopfschmerzen. Wenn der sich weiter so benahm, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Jirou sie durchschauen würde.

Doch zu seinem großen Erstaunen, lächelte die Frau nur sanft und nahm einen Schluck Wasser, als wäre auch ihm bewusst geworden, dass sie sich auf dünnen Eis bewegten. Die Aura zu seiner Rechten verwandelte sich komplett. Der übel gelaunte Morgenmuffel fuhr sich verlegen durch die langen, wilden Haare und versprühte plötzlich einen unschuldigen Charme. Mit einem Male saß neben ihm eine junge Frau, naiv und herzerwärmend zugleich.

Unsicher und mit leicht geröteten Wangen richtete der Grünschopf sich das Hemd und wich dem Blick des Marinesoldaten aus.

Eben dieser sah das Mädchen mit großen Augen an. Er war jetzt schon verloren, das war Dulacre bereits bewusst. Nicht nur war sein Kindheitsfreund gutmütig und ein Kavalier, der sich immer um das Wohl des zärtlichen Geschlechts sorgte, er war außerdem absolut leichtgläubig und ließ sich nur zu gerne von einem Fräulein um den Finger wickeln. Den dubiosen Auftritt des verzauberten Piraten von vorher hatte Jirou schon längst vergessen, zu sehr faszinierte ihn das grünhaarige Mädchen.

Am liebsten hätte Mihawk ihm einen Ellenbogen in die Seite gestoßen und gefragt, wer denn nun der Pädophile sei, aber noch mehr wollte er wissen, ob sein ungebetener Gast mit seiner Farce tatsächlich durchkommen würde.

Wie im Traum beobachtete er, wie der Pirat den Flottenadmiral scheu anlächelte. Ein Lächeln, welches von Selbstzweifel, bis einen geheimen Flirt hin, alles beinhalten konnte. Woher konnte der das?

„Ich bin auf der Suche nach Informationen über den Verbleib der Strohhutpiraten. Können Sie mir da weiterhelfen? “ Dem Samurai klappte die Kinnlade herunter. Diese höflichen Worte hätte er nie erwarten können.

„Selbstverständlich“, entfuhr es Jirou augenblicklich, „Ich werde Ihnen gerne helfen.“

„Vielen Dank, Konteradmiral Cho.“

„Nein, nein. Einfach nur Jiroushin, das reicht, meine Liebe.“ Vor ihm reichte sein Freund seinem Feind die Hand, welcher sie dankend umschloss.

„Hab ich was verpasst?!“, fragte er aufgebracht. Das ging ihm doch eindeutig zu schnell und zu weit. Die Anwesenden starrten ihn an.

Er war aufgesprungen und hatte den Stuhl nach hinten gestoßen, ohne es überhaupt bemerkt zu haben. Mit geballten Fäusten hatte er auf den Tisch geschlagen, worauf das Glas Wasser bedrohlich zitterte, während die Tassen wild klirrten.

„Du machst mich ja lächerlich!“ Seine Gäste tauschten einen verwirrten Blick und ließen einander los.

„Keine Sorge, das schaffst du auch schon alleine“, kommentierte sein Wildfang mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Hawky, was ist denn los mit dir?“

Erst jetzt wurde ihm bewusst, was er getan hatte. Mit hochrotem Kopf sank er zurück auf seinen Stuhl. Ja, was war nur los mit ihm? Er war die Ruhe in Person! Er war ein eiskalter Stratege, dem weder ein Gewissen noch Emotionen etwas anhaben konnten. Selbst sein aufbrausender Freund hatte ihn höchstens belustigt. Was hatte ihn also gerade so die Kontrolle verlieren lassen?

„Nun gut, Jiroushin, was muss ich wissen?“

Aus weiter Ferne beobachtete er, wie der Admiral eine große alte Karte aus den Tiefen seines Anzugs hervorzauberte und vor ihnen auf dem Tisch ausbreitete. Lorenor hatte derweil alles Geschirr auf einen angrenzenden Beistelltisch verfrachtet.

Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?
 

-Zorro-

Innerlich atmete er erleichtert aus. Der verfluchte Idiot von Samurai hatte beinahe seine Scharade zerstört. Wenn er eins von den Frauen an Bord gelernt hatte, dann, dass man als Dame immer einen Joker hatte.

Hilflosigkeit! Und Brüste…aber in erster Linie die Hilflosigkeit!

Er hatte nie verstanden, wie das Prinzip funktionierte, weil er auch nie auf den Köder angesprungen war. Aber alle anderen Männer um ihn herum wurden zu Helden, wenn Nami sich den Absatz brach oder Robin einen schweren Korb trug. Ein Lächeln hier, ein Zwinkern da und die Männer würden für die Damen Berge versetzen. Allen voran Nami hatte diesen Trumpf oft ausgespielt, vor allem natürlich bei dem liebestollen Koch. Alleine dieser Gedanke hatte ihn auf die Idee gebracht. Cho Jiroushin war ein Mann der Marine, ein absoluter Gerechtigkeits-Fanatiker, soweit er wusste. Wenn dieser Typ herausfinden würde, wer er war, würde der sich wahrscheinlich höchstpersönlich für die Basis der Senichi-Inseln bedanken wollen und in seiner derzeitigen Verfassung würde Zorro keinen Kampf überstehen.

Aber als ahnungsloses, schwaches Mädchen würde er keine Bedrohung darstellen und der Konteradmiral würde ihm leichter sein Vertrauen schenken. Offensichtlich war der Ehrenmann genauso wehrlos gegenüber den Waffen einer Frau, wie die liebestolle Kringelbraue, worüber Zorro eigentlich gar nicht nachdenken wollte, während er genau das zu seinem Vorteil nutzte. Nicht gerade ehrenhaft, aber auf die hatte er in den letzten Tagen ja schon oft genug verzichtet. Die Gewitterziege hatte offenbar echt einen schlechten Einfluss auf ihn.

Sein Kopf klärte sich langsam und endlich konnte er wieder vernünftig denken. Nein, wenn er zu seiner Crew zurückwollte, durfte er hier nicht scheitern. Er musste erst einmal überleben, dann würde er weiter sehen.

Einen Moment lang betrachtete er den Mann am Kopfende, dieser schien weit weg und in seinen eigenen Gedanken. Die gelbgoldenen Augen hatten den stechenden Blick auf die Tischmitte gerichtet, ohne jedoch wirklich etwas zu sehen. Eine gewisse Neugierde erwachte in ihm. Er wollte wissen, was mit dem anderen los war. Es überraschte ihn wirklich, wie seltsam sich der beste Schwertkämpfer der Welt benahm. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder dem Konteradmiral zu.

Für eine Sekunde studierte er die große Karte vor ihm, er hatte keine Ahnung, was sie bedeuten sollte, er hatte noch nie viel mit Karten anfangen können.

Langsam hob er den Blick und sah den Blondschopf an. Dieser lächelte freundlich, doch ein unterschwelliger Zorn war deutlich sichtbar.

„Bist du sicher Loreen, dass du die Strohhüte finden willst? Das sind alles Monster!“

Ein ungewolltes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Wenn der andere nur wüsste, mit wem er sich gerade unterhielt.

„Vielleicht“, meinte er nur schlichtweg, „Erst einmal möchte ich nur wissen, wo sie sich in etwa befinden.“

Der Marineoffizier sah ihn ernst an.

„Warum, wenn ich fragen darf? Was hat ein einfaches Mädchen wie du, mit diesen Piraten zu schaffen?“ Ein kaltes Lachen unterbrach ihre Unterhaltung. Falkenauge war wieder anwesend.

„Jirou glaub‘ mir. Loreen ist alles andere, als ein einfaches Mädchen. Nur deshalb sind wir alle hier.“

Zorro rollte, entnervt von so viel Theatralik, die Augen.

„Nun gut, wollen wir zum Thema zurückkommen, meine Herren?“

Die Männer tauschten einen Blick aus.

„Gerne“, antwortete Cho schließlich. Dann zog er ein paar hölzerne Spielfiguren aus der Hosentasche.

Einen kleinen Turm stellte er auf eine Inselgruppe.

„Das hier ist die ehemalige Basis G6 von den Senichi-Inseln. Bis auf ein paar Ruinen wurde sie vollständig zerstört.“ Die Stimme des Admirals war dunkel. Abgrundtiefer Hass erfüllte ihn. Doch er ging nicht weiter drauf ein sondern setzte ein kleines Boot wenige Zentimeter neben den Turm.

„Das hier sind die Piraten.“ Zorro konnte nicht verhindern, dass er sich ein bisschen gerader aufsetze. Die Kopfschmerzen waren nun vollkommen verschwunden.

„Das sieht so aus, als wären sie nicht weit gekommen“, murmelte er unbedacht.

„Lass dich nicht täuschen, Loreen. Sie sind seit ihrer Flucht stetig unterwegs.“

Er setzte ein zweites und ein drittes Boot auf der Karte ab.

„Das hier müsste in etwa ihr Kurs sein. Ich vermute, dass sie in zirka einem Monat und ein paar Tagen hier ankommen würden.“ Er legte ein viertes Boot ab.

„Das ist doch Sarue“, mischte sich der Samurai ein.

„Sarue?“ fragte der Pirat nach, ohne dass er die Karte wirklich verstand. Der Mann der Marine nickte.

„Es ist eine Nachbarinsel von Sasaki. Man braucht keine zwei Stunden bis dahin.“ Mit diesen Worten setzte er einen kleinen Reiter fast neben das vierte Boot.

„Und hier sind wir.“

„Mit anderen Worten also“, führte der Schwarzhaarige den Gedanken seines Freundes fort, „Rätst du uns zu warten, bis die Piraten auf Sarue ankommen?“

Der Mann im Anzug nickte.

„Die Gegend, in der sich die Piraten jetzt befinden, ist nur sehr schwer zu befahren. Ohne Log-Port fast unmöglich. Wenn ihr sie wirklich treffen wollt, würde ich an eurer Stelle solange warten, bis sie in der Nähe sind. Wenn sie denn bis dahin überleben.“

Nachdenklich betrachtete der junge Schwertkämpfer die Karte mit den Spielfiguren.

„Wenn ihr so genau wisst, wo sich die Strohhutbande aufhält, warum greift ihr sie nicht einfach an?“ Ihm wurde eiskalt bei dem Gedanken, dass die Marine vielleicht schon seit längerer Zeit jeden ihrer Schritte verfolgt hatte. Vielleicht waren sie so in der Lage gewesen, sie damals zu überraschen.

Cho schüttelte den Kopf.

„So einfach ist das nicht, meine Dame. Die Marine ist eine hochkomplexe Verwaltung mit strikten Regeln und Gesetzen. Jeder Übergriff muss sorgsam geplant und genehmigt werden, um mögliche Fehlentscheidungen zu vermeiden.“

Verblüfft sah er den anderen an.

„Ernsthaft jetzt? Glaubt denn auch nur einer bei euch, dass irgendwelche Piraten sich an diesen Bürokratiemist halten?“ Diese grenzenlose Blödheit der Marine machte es unmöglich, die Maske des naiven Mädchens weiter zu tragen. Wenn sie die Möglichkeit hatte, zahllose Verbrecher hochzunehmen, warum tat sie das nicht einfach, anstatt zu riskieren, dass daraus tickende Zeitbomben würden?

„Darum geht es nicht“, widersprach der Konteradmiral vehement, „Es geht um die Gerechtigkeit. Nur weil die Piraten gegen Gesetze verstoßen, heißt das nicht, dass wir willkürlich handeln dürfen. Außerdem wurde die Marine durch den Sturz der G6 in diesem Teil der Grand Line bedeutend geschwächt. In diesem Abschnitt des Gewässers ist zurzeit alles auf Notfallmaßnahme ausgerichtet. Unnötige Handlungen können wir uns nicht leisten.“

Zorro wollte etwas erwidern, der Samurai war jedoch schneller.

„Gehe ich Recht in der Annahme, dass die Marine vorhat, die Strohhutpiraten auf Sarue zu stellen?“ Überrascht sah er den Schwarzhaarigen an.

„Du weißt, dass ich über geheime Pläne der Marine nicht reden darf, vor allem nicht mit Zivilisten. Wir haben überdies ganz andere Probleme, weswegen schon einige meiner Vorgesetzten zum Hauptquartier bestellt wurden.“

Nachdenklich richtete Falkenauge seinen Blick wieder auf die Karte.

„Was für Probleme, Jiroushin?“

Aus den Augenwinkeln konnte Zorro erkennen, wie der Konteradmiral sich wütend die Hand vor den Mund schlug.

„Auch das ist geheim!“, antwortete er schnell. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen.

„Loreen! Was machst du da? So kannst du doch nicht mit zwei Herren am Tisch sitzen. Sieh dich doch an!“ Wütend erklang die laute Stimme der Haushälterin. Im Nu war sie herbeigestürmt und griff ihn am Arm. Erfolglos versuchte er sich zu wehren.

„Kanan…“

„Nichts da! Solange du in diesem Haus lebst, wirst du dich auch angemessen benehmen. Du musst dich einer Mihawk würdig verhalten.“

„Ich bin aber gar keine Mihawk!“, protestierte er lauthals auf, während sie ihn zur Tür zog. Zu seinem Ärgernis konnte er hören wie Falkenauge leise kicherte.

„Und jetzt verabschiede dich brav und dann ab unter die Dusche mit dir.“
 

-Mihawk-

Laut knallte die Tür hinter den beiden Frauen zu und er konnte das Auflachen nicht verhindern. Es erheiterte ihn ungemein, wenn der andere von Kanan zu Recht gestutzt wurde und sie versuchte, eine Dame aus ihm zu machen.

„Was belustigt dich denn so?“ Erst jetzt wurde ihm die Anwesenheit des anderen wieder bewusst.

„Ich habe dich ja schon ewig nicht mehr lachen gehört.“

Ein bisschen zu überstürzt lehnte er sich in seinem Stuhl wieder zurück und verschränkte die Arme.

„Ich habe keine Ahnung wovon du sprichst. Erklär mir lieber, was in der Marine vorgeht.“

Sein Freund schüttelte den Kopf.

„Wie gesagt, Top Secret. Aber wer ist das Mädchen? Wo kommt sie her und vor allem: Was tut sie hier?“

Überrascht sah er den anderen an. Er hatte keine Ahnung, wie er sich da wieder rausreden sollte. Nach wenigen Sekunden zuckte der Blonde mit den Achseln und begann die Karte und die Spielfiguren einzusammeln.

„Es ist schon seltsam, wie vertraut ihr einander seid. Sie scheint keine Angst vor dir zu haben. Ich habe selten jemanden so mit dir reden gehört wie sie.“

Langsam wandte er den Blick ab, erneut ohne etwas zu erwidern.

„Etwas an ihr ist besonders. Ich habe das Gefühl, als wäre sie dir ein würdiger Gegner.“

„Was redest du denn da?“, murmelte er schwach, „Sieh sie dir doch mal an. Sie ist ein Kind. Ein Schwerthieb von mir und sie war einmal. Wie kannst du sowas ebenbürtig nennen?“

Jirou schüttelte den Kopf.

„Du weißt genau, was ich meine. Mag sein, dass sie keine Kriegerin ist, aber sie ist wohl die erste, die mit deinem Dickkopf mithalten kann.“ Ein Zeigefinger des anderen schnippte ihm gegen die Stirn.

„Was soll das?“, entkam es ihm mürrisch.

„Ihr redet alle so einen Schwachsinn. Dieser Grünschnabel kann mir nicht im Mindesten das Wasser reichen.“

„Wir?“, wiederholte sein Freund mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Kanan sieht es also auch so?“

Die Unterhaltung gefiel ihm nicht mehr. Entschieden stand er auf.

„Läufst du jetzt davon?“, versuchte der andere ihn zu reizen.

„Ich laufe nie vor etwas davon. Aber dieses Gespräch langweilt mich.“

Lachend stand nun auch der andere auf.

„Du warst schon immer ein schlechter Verlierer.“

„Ich habe noch nie verloren.“

Der Marineoffizier erwiderte nichts, sondern zog eine altertümliche Taschenuhr hervor.

„Ich muss jetzt wieder zur Arbeit. Aber beim nächsten Mal will ich alles über deinen kleinen Wildfang erfahren.“

„Jaja, jetzt hau endlich ab.“ Er geleitete seinen Freund zur Tür.

„Wie lange wirst du denn noch hier bleiben?“ Diese Frage überrumpelte ihn und bevor er seine Gedanken ordnen konnte antwortete er bereits.

„Na, bis die Strohhüte auf Sarue sind.“

Mit großen Augen sah ihn der andere an, während er sich seinen Mantel anzog.

„Ach so? Nun gut, dann sehen wir uns ja demnächst. Tschau.“

Machtlos sah er zu, wie die Haustür hinter Jirou zuschlug. Konnte er nicht einmal seine Klappe halten?! Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Kapitel 7 - Die Vereinbarung

Kapitel 7 – Die Vereinbarung

 

-Zorro-

Das Wasser hatte ihm gut getan. Zwar dröhnte sein Kopf nicht mehr, aber sein Körper war noch immer verspannt und ungelenk. Er würde nie wieder zulassen, dass dieser verfluchte Alkohol ihn in so einen Zustand versetzten konnte. Das war absolut töricht. Er musste in diesem Körper deutlich besser aufpassen.

Mit langsamen Bewegungen trocknete er sich ab. Kanan hatte das Zimmer schon vor längerem verlassen, um ihm passende Klamotten zu holen. Er hoffte sehr, dass diese sich zum Kampf besser eignen mochten, schließlich wusste er jetzt, wo er hin musste.

„Lorenor?“ Erklang die gedämpfte Stimme des Samurais aus dem Nebenzimmer. Anscheinend war der Konteradmiral aufgebrochen.

„Ich bin hier“, antwortete er teilnahmslos. Er mochte es zwar den anderen zu reizen, allerdings wusste er genau, in was für einer Position er sich befand. Er hatte es nur der Gnade des anderen zu verdanken, dass er noch lebte. Und nun schon zum zweiten Mal. Was für eine Schande. Allerdings würde er die Gastfreundschaft des anderen nicht weiter ausreizen, ihm nicht noch mehr schuldig sein. Jetzt, da er einen Plan hatte, wusste er, was er tun musste.

„Du bist ja nackt!“, entkam es dem anderen gereizt.

„Stell dich nicht so an, du hast mich gestern Abend schon nackt gesehen.“

Was hatte der andere nur damit? So eine zu gute Erziehung konnte schon ziemlich nervig sein.

„Du erinnerst dich noch daran?“

Er grinste, während er das Handtuch zur Seite legte und sich umdrehte. Der gestandene Mann vor ihm errötete und wandte den Blick ab.

„Natürlich.“

„Du solltest dir was anziehen“, antwortete der Herr des Hauses ohne ihn anzusehen. Lachend ging er splitterfasernackt an ihm vorbei.

„Du meine Güte. Wenn ich in meinem Körper wäre, wäre es dir wahrscheinlich gleichgültig, ob ich nackt rumlaufen würde oder nicht.“ Im Schlafzimmer wieder angekommen begann er sich anzuziehen. Die Sache mit dem BH klappte nun schon deutlich besser, als noch am Vortag, was auch daran liegen mochte, dass er seine kleinen Finger immer besser unter Kontrolle hatte.

„Und?“, ertönte die Stimme des Schwarzhaarigen, der sich in den Türrahmen lehnte und die Arme verschränkt, „Was hast du jetzt vor?“

„Ist das nicht offensichtlich?“, fragte Zorro nach und zog sich weiter an, innerlich wieder die langen Haare verfluchend, „Ich mach mich so schnell wie möglich auf den Weg zu den anderen und warne sie vor, dass wir auf Sarue angegriffen werden.“

„Ein schlechter Plan“, kommentierte der andere schnaubend, „Wie schon gesagt, wirst du es in deinem Zustand nicht schaffen, sie lebend zu erreichen. Außerdem gehe ich davon aus, dass du noch nicht einmal weißt, wie man ein Boot navigiert. Du scheinst auch keine Ahnung von Karten zu haben. Es wäre eine viel sinnvollere Strategie, erst einmal Kräfte zu sammeln und dann auf Sarue zu ihnen zu stoßen. Die Marine würde mit einem weiteren Angreifer nicht rechnen und müsste sich neu formieren. Diese Taktik wäre deutlich klüger und viel erfolgsversprechender“, erklärte der Samurai herablassend, jedoch ohne jegliche Freundlichkeit. Es war keine Einladung, sondern eine Strategie, so einfach war das.

Wütend krallte er die Hände in das Hemd, das er gerade anziehen wollte. Natürlich hatte er schon selbst darüber nachgedacht, aber das würde bedeuten, dass er noch länger an diesem Ort bleiben musste. An diesem Ort, genau vor der Nase des Samurais, mit all seinen lächerlichen Schwächen.

„Du hast Recht“, presste er schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, weiterhin mit dem Rücken zum Samurai, während ihn die verfluchte Wahrheit einholte und ihm bewusst wurde, dass er keine Wahl hatte, „Du hast Recht. Ich bin immer noch zu schwach, meine Crew zu beschützen. Ich konnte sie nur mit verdammt viel Glück befreien und bin dabei selber gestorben. In diesem Körper bin ich noch einmal um ein Vielfaches im Nachteil. Ich habe nur noch eine Möglichkeit.“ Zitternd drehte er sich zu dem anderen herum, nur in Unterwäsche und mit zusammengeballten Fäusten. Die Verachtung, die er gerade gegenüber sich selbst verspürte, war unerträglich. Jetzt würde er alles aufgeben. Einen Moment biss er sich auf die Unterlippe, ehe er schließlich den anderen ansah. Dann ließ er sich auf seine Knie fallen, stemmte die Hände auf den Boden und verbeugte sich.

„Mihawk Falkenauge Dulacre. Bitte unterweise mich in der Kunst des Schwertkampfes.“

Einen Moment wurde es ruhig im Raum, während beide Schwertkämpfer aufhörten zu atmen, der eine angespannt, der andere überrascht.
 

-Mihawk-

Für einen unendlichen Moment betrachtete Falkenauge den anderen, als er dessen Worte in sich aufnahm, als er verstand, was der andere von ihm wollte, was der andere wagte, von ihm zu verlangen.

Mit blankem Hohn in der Stimme lachte der Samurai auf.

„Ich bin enttäuscht von dir, Lorenor Zorro. Was ist aus deinem Stolz und deiner Ehre geworden mit denen du gestern Abend noch geprahlt hast?“ Der Grünhaarige verharrte in seiner erbärmlichen Haltung. Am liebsten würde er mit voller Wucht auf diese schwächlichen Schultern treten.

„Ich gab dir Unterkunft und Nahrung, weil ich dich für würdig gehalten habe, weil du mich neugierig gemacht hattest. Ich war sogar bereit dir zu deinem ursprünglichen Körper zu verhelfen. Ich dachte, du verdienst meine Hilfe. Aber jetzt beweist du mir, dass ich falsch lag. Dich von deinem Feind trainieren lassen. Damit entwürdigst du nicht nur dich, sondern auch mich.“

Mit langen Schritten ging der beste Schwertkämpfer der Welt um, die am Boden kniende Enttäuschung, herum zum Ausgang.

„Ich habe keine andere Wahl!“, entkam es dem Piraten laut, die kindliche Stimme leicht zittrig, „Meinen Stolz verwarf ich, als ich meiner Crew zur Flucht verhalf. Meine Ehre verriet ich, als ich den Stützpunkt mit allen Soldaten vernichtete. Und meine Würde gab ich auf, als ich mich deiner Gnade hingab. Ich bin bereit alles zu tun, um meine Freunde zu beschützen, egal wie tief ich dafür sinken muss.“

„Das interessiert mich nicht mehr“, entgegnete Falkenauge und öffnete die Tür. Hinter ihm schlug Zorro die Faust auf den Boden.

„Heute saßen zwei der stärksten Schwertkämpfer der Welt mit mir an einem Tisch und ich weiß, dass ich keinen von ihnen besiegen konnte, selbst in meinem eigenen Körper nicht. Als Homura mir gegenüberstand, konnte ich nichts ausrichten. Ein Schwerthieb von ihm und meine komplette Seite war aufgeschlitzt. Nur sein Haki konnte ich gerade so überstehen. Hätte er gewollt, wäre ich noch in diesem Moment gestorben. Das nächste Mal, wenn ich ihn treffe, muss ich ihn besiegen, ansonsten werde ich dir nie gegenüberstehen können. Ich muss meine Würde und meinen Stolz zurückholen. Ich muss stärker werden! Ansonsten werde ich meine Crew nicht mehr beschützen können.“

Er blieb stehen.

„Homura?“, fragte er unvermittelt, „Du hast gegen ihn gekämpft? Und überlebt?“

Der andere antwortete nicht. Langsam drehte der Samurai sich um.

„Du weißt, was Haki ist und merkst, wenn der Anwender es nutzt?“

Erneut entgegnete der andere nichts, sondern starrte weiterhin zu Boden.

„Du bist durch den Haki-Angriff nicht ohnmächtig geworden und warst trotz der Verletzung in der Lage, einen gesamten Stützpunkt zu zerstören?“

Langsam verschränkte er wieder die Arme, doch der andere blieb stumm.

„Was bist du, Lorenor Zorro? Hat mein Freund am Ende Recht und du bist eine tragische Heldenfigur oder doch nur reine Zeitverschwendung?“

Immer noch schwieg der andere und kauerte auf dem Boden.

„Mach den Mund auf, Lorenor Zorro! Steh auf! Antworte mir!“

Mit leisen Bewegungen richtete sich das Mädchen auf und rieb sich den Unterarm. Die Knöchel der rechten Hand waren aufgeschürft. Dann sprach der Pirat mit einem abfälligen Unterton.

„Tse. Ich bin kein Held, so viel ist sicher. Aber dein Freund hat Recht mit dem, was er sagt.“ Erst dann sahen die grünen Augen den stechenden Blick des Samurais an, „Ich bin ein Monster!“
 

Vor ihm stand ein Mädchen in Unterwäsche. Die nassen grünen Haare umgarnten in wilden Locken den zierlichen Körper. Das Gesicht war angespannt, der Kiefer zusammengepresst, die Knöchel aufgeschürft.

„Ein Monster?“, wiederholte Falkenauge fragend.

„So siehst du dich selber?“ Der andere sagte nichts.

„Glaubst du das wirklich oder bettelst du nur um Bestätigung?“

Der Grünhaarige lachte kalt auf: „Wenn ich das tun würde, könnte ich nie der beste Schwertkämpfer der Welt werden. Ich weiß, wer und was ich bin. So kann kein Feind mein Unwissen gegen mich verwenden.“

Nachdenklich betrachtete der beste Schwertkämpfer der Welt den Piraten. Dann lachte er.

„Du bist schon ein seltsamer Mann, Lorenor.“ Der andere blieb stumm, „Aber du glaubst doch nicht wirklich, dass du in einem Monat stark genug werden könntest, um mich zu besiegen, oder?“

„Ich muss nur stark genug werden, um mich selbst zu beschützen. Und dann werde ich stark genug, um meine Freunde zu beschützen und irgendwann bin ich dann stark genug, um dich zu besiegen.“  

Falkenauge grinste leicht: „Du bist schon ein kleiner Sturkopf, nicht wahr?“

Einen Moment sahen sie einander an. Dann seufzte er.

„Nun gut. Mein Haus, meine Regeln. Wenn du zustimmst dich dem zu beugen, Lorenor, dann werde ich dich trainieren.“ Sein Gegenüber nickte abrupt.

„Ich unterstelle mich deinen Entscheidungen“, knurrte er angespannt und ohne jegliches Zögern.

„Sehr gut.“ Falkenauge drehte sich zur Tür, „Zieh dich an. Kanan wird dafür sorgen, dass du bis heute Abend bessere Kampfklamotten hast, bis dahin müssen diese ausreichen. Ich werde dir eine geeignete Waffe besorgen, denn deine Schwerter sind anscheinend bei deiner Crew, wenn ich nicht irre.“ Der andere nickte nur.

„Ich erwarte, dass dein Training auch theoretisch erfolgt. Du hast so viel aufzuholen. Wir werden natürlich weiterhin nach einer Lösung für deinen Körper suchen. Mir bleibt nur noch eine Frage.“ Er sah den anderen über die Schulter hinweg an.

„Wenn du weißt, dass es Haki gibt und du sogar über die Anwendung nicht ganz in Unkenntnis bist, warum hast du es bisher nie eingesetzt? Oder es zumindest trainiert, selbst wenn du es noch nicht richtig beherrschen kannst? Außer natürlich, du besitzt diese Fähigkeit überhaupt nicht.“

Der Pirat griff nach der Kleidung, die er zuvor fallen gelassen hatte. Seine kindliche Stimme war unerwartet rau.

„Ich… Ich weiß nicht…“  

Der Samurai wusste, dass der andere nicht die Wahrheit sagte, doch er entschied es dabei zu lassen.

„Nun gut, ich erwarte dich in einer Stunde unten. Kanan soll dir beibringen wie man diese Haare aus dem Weg schafft.“

„Wäre es nicht besser, sie einfach abzuschneiden?“

Falkenauge lachte leise auf.

„Zu deiner Information, Lorenor. Die beste Schwertkämpferin der Welt hatte mindestens so langes Haar wie du, und war sogar in der Lage es als Waffe einzusetzen, indem sie es wie eine Peitsche nutzte. Die Haare werden erst zu deiner Schwäche, wenn du sie als Ausrede nutzt. Aber letzten Endes soll es mir egal sein. Schneid sie ab, wenn du es einfacher haben willst“, fügte er hämisch hinzu.

„Wer war diese Frau?“, fragte der andere ungehalten und ignorierte die letzten Worte getrost.

„Meine Schwester!“ Damit schloss er die Tür hinter sich.
 

Langsam atmete er auf und lehnte sich gegen die Wand des Flures.

Wieso nur? Wieso war dieser Pirat seiner Schwester so ähnlich und gleichzeitig so anders? Er war bereit gewesen alles, was aus ihm einen ehrbaren Schwertkämpfer machte, aufzugeben, nur für seine Crew.

Nein, gestand er sich innerlich ein. Lorenor Zorro war nicht wie Sharak. Der Jungspund war fast so, wie Dulacre selber. Wie Dulacre damals gerne gewesen wäre. Damals war er selbst nicht stark genug gewesen, alles aufzugeben. Um seine Freunde zu retten, hatte er damals die Ketten der Marine gewählt, doch er hatte sich nicht getraut, sie damals zu befreien und dafür zu sterben. Und dieser Pirat war sogar noch weiter gegangen. Es musste viel Überwindung kosten, vor ihm seinen Stolz wegzuwerfen. Doch Falkenauge hatte das gar nicht gesehen. Er war wütend geworden. Wütend darüber, dass der andere sein Talent nicht sah. Wütend darüber, dass dieser Pirat seinen eigenen Traum und sogar sein Leben wegwarf um seine Freunde zu beschützen. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass das, was er als Schwäche abgetan hatte, in Wahrheit eine Stärke war, die er selber in dem Alter noch nicht hatte.  

Langsam verstand er es. Vielleicht war es ja das. Vielleicht war diese Einsicht der Grund gewesen, warum er dem anderen helfen wollte. Weil er diese Stärke heimlich bewunderte.

Und vielleicht war auch das der Grund, warum der andere ihn so leicht reizen konnte. Weil er eine Stärke hatte, die er selber in diesem Alter noch nicht hatte und gerne gehabt hätte. Dafür verachtete und bewunderte er ihn zugleich.

Ungerne gestand er sich ein, dass sowohl Kanan als auch Jirou möglicherweise richtig lagen. Lorenor Zorro war ihm ebenbürtig und wenn der andere zu seiner Generation gehören würde, hätte es sogar sein können, dass er seinen Titel heute gar nicht tragen würde.

„Was tut Ihr hier?“ Im Flur stand die Haushälterin.

„Kanan“, murmelte er nur entkräftet.

„Ist alles in Ordnung mit Euch?“ Sie wirkte ernsthaft besorgt. Er nickte nur.

„Jaja, es ist nichts.“

„Ihr wirkt erschöpft und wütend. Ist es etwa wegen Loreen?“

Langsam sah er sie an.

„Sie hat keine Angst.“  Damit raffte er sich auf und ging in sein Bürozimmer, „Ich wünsche, nicht gestört zu werden.“ Er brauchte Ruhe. Er musste erst mal einen klaren Kopf bekommen. Dabei war er nicht der einzige.
 

-Zorro-

Die Tür klickte leise, als sie ins Schloss fiel und alle Anspannung brach zusammen. Er konnte nicht verhindern, dass die Beine unter ihm nachgaben. Neben dem Bett hockte er schließlich auf dem Boden, während die verhassten Tränen ihren Lauf nahmen.

Ich bin enttäuscht von dir, Lorenor.

Was musste er noch tun? Wie viel konnte er noch ertragen?

Damit entwürdigst du nicht nur dich, sondern auch mich.

Er hatte sich selbst gedemütigt und erniedrigt. Doch er wusste, dass er noch nicht aufgeben konnte, nicht solange es noch einen Weg gab seine Freunde zu beschützen.

Falkenauge hatte Recht. Er war noch schwach, er war noch unerfahren und sein falscher Stolz würde ihn den Kopf kosten. Nur wenn er das alles aufgab und vom Besten der Besten bereit war zu lernen, nur dann konnte er weiterhin einen Wert für seine Crew haben.

Er hatte die Wut in der Stimme des anderen gehört, hatte den Zorn in dessen Augen gespürt. Wahrscheinlich hatte er in diesem Moment alle Anerkennung, die der andere je für ihn empfunden hatte, zerstört. Langsam schüttelte er den Kopf. Erneut war er auf die Gnade des anderen angewiesen. Erneut hatte er sich selbst verraten.

Was bist du, Lorenor Zorro?

Und trotzdem…trotzdem zweifelte er keine Sekunde daran, was er war. Solange er einen Traum hatte und Freunde, die es wert waren, beschützt zu werden, wusste er, wer er war. Es war ihm egal, was der andere von ihm hielt. Solange das Training ihn stärker machen würde, würde er alles ertragen. Für seine Freunde.

Du bist schon ein seltsamer Mann.

Diese Worte waren anders gewesen. Nicht feindselig oder verachtungsvoll. Wenn er ehrlich war, hatte er das Gefühl, dass der andere ihn in diesem Augenblick das erste Mal wirklich gesehen hatte. Hinter der Maske aus falschem Stolz und einem blutigen Kopftuch, hinter der Maske aus arroganter Sicherheit und grünen Locken. Er hatte ihn erkannt!

Langsam zog er sich wieder nach oben und wischte die Tränen weg. Selbstmitleid würde ihn nicht weiter bringen. Die Müdigkeit des Morgens war längst vergessen.

Entschlossen zog er sich das schwarze Hemd an. Es war enganliegend und ein bisschen zu lang. Doch das Problem konnte er mit dem bereit liegenden Gürtel ohne Probleme lösen. Auch die blaue Hose, die bis zu den Waden ging, passte wie angegossen. Es war noch nicht perfekt, aber damit würde er kämpfen können.

Leise klopfte es an die Tür.

„Herein“, murmelte er, nicht scharf auf eine erneute Auseinandersetzung mit dem erfahrenen Schwertkämpfer, doch zu seinem Glück kam nur die Haushälterin ins Zimmer.

„Hey Loreen. Ist alles in Ordnung? Hast du etwa geweint?“

„Es ist alles in Ordnung.“ Wie sollte er ihr nur je die Wahrheit sagen? Diese Frau behandelte ihn wie ihren eigenen Sohn. Nein, korrigierte er sich bitter, wie ihre eigene Tochter. Sie war gut. Sie verdiente die Wahrheit, aber er wollte sie nicht verletzten, das hatte sie nicht verdient.

„War der Herr wieder unhöflich? Es tut mir leid, ich dachte ich hätte ihn besser erzogen.“

Er schüttelte den Kopf und verdrängte seine Gedanken.

„Es liegt nicht an Ihrer Erziehung. Glauben Sie mir das. Er und ich sind… ach, was weiß ich.“

„Ihr seid euch ähnlich.“ Zorro lachte auf.

„Das glaube ich kaum.“ Langsam begann er, sich die Haare zu kämmen, eine echte Geduldsübung. Wie sollte er sie jetzt noch abschneiden, ohne vor Falkenauge als Weichei dazustehen? Die Frau hinter ihm kam auf ihn zu.

„Nun ja, ich habe ihn gerade auf dem Flur getroffen und er sah mindestens genauso fertig aus wie du.“

Zorro entschied sich, dies unkommentiert zu lassen.

„Kanan?“

„Ja, meine Hübsche, was hast du?“ Erneut ignorierte er ihren Spitznamen für ihn. „Bringen Sie mir bei, was sie Sharak beigebracht haben! Ich muss kämpfen. Zeigen Sie mir, wie ich mich dafür am besten kleide und was ich mit meinen Haaren anstellen muss!“

Die Haushälterin sah ihn erst überrascht, dann ernst an.

„Kind, bist du dir sicher, dass…“

Er griff nach ihrer Hand. Er hatte keine Wahl. Er brauchte Hilfe, wenn er in diesem Körper das Training des Samurais überstehen wollte.

„Ich bitte Sie. Falkenauge wird mich sonst nie für würdig erachten, aber als Mann kann er mir nicht helfen. Sie sind meine letzte Chance. Ich brauche Sie!“

Nach einer Sekunde nickte sie.

„Nun gut. Dann machen wir aus dir mal eine Kriegerin, Loreen.“
 

-Mihawk-

Langsam verfolgte er mit den Augen die Zeilen der Zeitung. Heute enthielt sie wieder einigen Mist. Unnötiger Klatsch und Tratsch. Nichts was ihn interessierte. Nur eine Seite relativ weit vorne enthielt Informationen über die Gefallenen der G6. Es schien, als wären die Untersuchungen tatsächlich vorüber. Jedoch konnte er kaum nennenswerte Neuigkeiten in dem Artikel entdecken. Nicht, dass es ihn verwunderte. Die Zeitung hatte entschieden, ein Lügenmärchen über die Flucht der Strohhutpiraten zu erzählen, sodass der Tod des Schwertkämpfers nichts Rühmliches mehr an sich hatte, sondern nur noch Verachtung erweckte. Aber es war offensichtlich, dass selbst die Marine nicht wusste, wie es dazu gekommen war.

Wie du sicherlich gelesen hast, wurden er und Schwarzfuß Sanji in Kadettenuniform gesichtet. Keiner weiß, wie sie das angestellt haben und dann ist da noch die Sache mit den Ohrringen…

Die Worte des Konteradmirals waberten durch seinen Kopf. Was konnte an Ohrringen so interessant sein? Kurzentschlossen packte er seine Teleschnecke und wählte die altbekannte Nummer. Immer noch konnte er nicht glauben, was mit ihm los war. Die Auseinandersetzung mit dem Grünschopf hatte ihm zum Rande seiner Vernunft gebracht. Etwas, was er nie für möglich gehalten hatte.

„Cho“, erklang es von der anderen Seite.

„Hey, ich bin‘s noch mal“, begrüßte er formlos.

„Mann, Hawky. Sag bloß, du hast bereits wieder Sehnsucht nach mir? Ich war doch bis eben noch bei dir.“

Die Stimme des anderen war erschöpft. Wahrscheinlich freute er sich schon auf den wohlverdienten Feierabend.

„Was hast du damit gemeint?“

„Womit? Drück dich etwas klarer aus.“

Wütend schüttelte er den Kopf. Was war nur los mit ihm?

„Du hast mir erzählt, dass die Marine nicht genau wusste, wie Lorenor Zorro gehandelt hat und dann wolltest du noch irgendetwas über Ohrringe sagen. Was war das?“

„Du bist echt wahnsinnig, Hawky“, murrte der andere, „Oder weißt du etwa was?“

„Wie meinst du das? Ich hab eben nur die Liste der Gefallenen in der Zeitung gelesen und hab mich an unser Gespräch erinnert.“

Sein Freund seufzte hörbar.

„Es könnte sein, dass Lorenor Zorro noch am Leben ist.“

Sein Atem stockte. Woher wusste die Marine das?

„Wie kommt ihr darauf? Hat nicht Hakkai höchstpersönlich ausgesagt, dass er mit dem, in Flammen stehenden, Turm gefallen ist?“

Der Marineoffizier antwortete erst nach einigen Sekunden: „Man konnte von jedem verstorbenen Überreste finden. Durch die hochentwickelte Technik der Marine und den Blutproben, die wir von jedem Soldaten und jedem Gefangenen gesammelt haben, konnte die Leiche anhand der genommenen Gewebeproben von den Überresten identifiziert werden. Selbst die komplette Schmugglerbande.“

Der andere stockte für einen Moment. Falkenauge war ausnahmsweise tatsächlich von dem Verwaltungsapparat überrascht. Dass die Medizin schon so weit fortgeschritten war, erschreckte ihn ein wenig. Auf der anderen Seite fragte er sich, ob man auch von ihm Blutproben hatte. Diese Möglichkeit missfiel ihm außerordentlich.

„Und warum erzählst du mir das? Was hat das mit Lorenor zu tun?“

„Ganz einfach“, antwortete der andere gereizt, „Obwohl der Piratenjäger der einzige war, der sich im Bereich des Turmes aufhielt, konnte man keinerlei menschliche Überreste finden.“

„Wahrscheinlich ist alles verbrannt“, mutmaßte er bewusst falsch.

„Nein, es bleibt immer etwas zurück. Man hat sogar eine kleine Spur Gold gefunden, vermutlich von seinen Ohrringen, aber nichts von ihm, bis auf ein paar unbedeutende Blutspuren.“

„Aber wenn man seine geschmolzenen Ohrringe und Blut von ihm gefunden hat, dann war er da. Ich mein, wenn bereits Gold schmilzt, überlebt das kein Mensch.“

„Warum bist du so versessen darauf, dass er tot ist. Müsstest nicht gerade du daran glauben, dass er überlebt hat?“

Falkenauge verstummte für einen Augenblick. Er wusste ja, dass der andere am Leben war und das obwohl dieser in den Flammen verbrannt war.

„Ich will mir keine unnötigen Hoffnungen machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er überlebt hat, ist so unglaublich gering. Verschwindend gering. Wenn er überlebt hätte, wäre er jetzt bei seiner Crew, oder nicht? Und da er nicht da ist, gehe ich davon aus, dass er tot ist. Das sollte die Marine auch.“

In der Leitung wurde es lange Zeit ruhig.

„Vielleicht hast du Recht, Hawky.“

„Natürlich habe ich das.“

Cho lachte leise auf: „Aber sag mal, Hawky. Wo wir gerade bei Mysterien sind: Was ist denn jetzt mit dieser geheimnisvollen Loreen, die plötzlich bei dir aufgetaucht ist. Wer ist sie?“

„Wie es aussieht, meine Schülerin.“

„Warte, echt jetzt?“

„Apropos. Ich glaube, ich habe jetzt die erste Trainingseinheit mit ihr.“

Der andere stutzte hörbar.

„Okay. Da ich ja jetzt deine Neugierde gestillt habe, können wir beide uns wohl auch wieder an die Arbeit machen.“

Mit einem kurzen Abschiedsgruß beendeten sie ihr Ferngespräch. Ja, jetzt wo er darüber nachdachte, war er schon reichlich spät dran. Mit zügigen Schritten verließ er seinen Arbeitsraum und begab sich die Treppe hinab. Doch weder im Ess- noch im Kaminzimmer konnte er den anderen finden. Sich am Kopf kratzend betrat er die Küche, wo er nur die Haushälterin vorfand.

„Kanan, haben Sie Loreen gesehen?“, fragte er unverwandt. Sie zeigte ihm weiterhin nur den Rücken.

„Ja, sie ist im Trainingsraum. Sie war sehr bestimmt darüber, eine gute Kriegerin zu werden.“

„Hmm…“, antwortete er nur.

„Herr“ Er blieb stehen und sah sie an, während sie weiter ihrer Arbeit nachging, „Sie ist ein guter Mensch. Behandelt sie bitte fair, auch im Kampf.“

„Ein Kampf ist nie fair.“ Damit ging er. Rechts an der Treppe vorbei, durch die schwere Eisentür. Lange war er nicht mehr hier gewesen. Der große Umkleideraum mit den angrenzenden Duschen wirkte unbenutzt, doch die gegenüberliegende Tür lehnte nur an.

Wie ein Geist glitt er in den dahinter liegenden Raum. Der Ort seiner Kindheit, seines täglichen Trainings. Fast in der Mitte des weitläufigen Raumes stand sein neuer Schüler. Die Augen konzentriert geschlossen ging er im langsamen Tempo die verschiedenen Kampfpositionen durch. Dann atmete er hart aus und schlug zu. Die darauf folgende Bewegung war wieder fließend, ehe der nächste Angriff erfolgte.

Ob der Jungspund ihn bemerkt hatte oder nicht, blieb abzuwarten, auf jeden Fall nutzte er den Moment, den anderen zu beobachten. Immerhin schien er die notwendigsten Grundlagen zu beherrschen.

Nach einigen Minuten entschied er einzuschreiten.

„Deine Abläufe sind schon ganz brauchbar.“

Ruckartig öffneten sich die grünen Augen und sahen ihn an.

„Zumindest für einen Mann.“

Im nächsten Moment stand er vor ihm. Sein Gegenüber wich einen Schritt zurück. Nicht besonders schnell für sein Empfinden, aber es hätte auch langsamer sein können.

„Allerdings vergisst du, dass du jetzt eine Frau bist.“

Er schlug zu. Der Pirat blockte den Angriff mit beiden Unterarmen, doch hatte Lorenor die aufgewendete Kraft unterschätzt, hart schlug er mit einem Knie auf den Boden auf und konnte seine Position kaum halten. Überrascht keuchte das Mädchen auf.

„Eine Frau hat gegenüber dem Mann im Kampf fast nur Nachteile.“ Nun schlug er mit der anderen Faust zu. Wieder entschied der andere sich dazu, den Schlag abzufangen.

„Allerdings hat sie auch eine Stärke“, knurrte er nun schon und schlug erneut zu. Dieses Mal wich der andere endlich aus.

„Ihre Schnelligkeit.“

Mit zwei Schritten brachte der Jüngere eine vernünftige Distanz zwischen sie. Sein rechter Unterarm war gerötet. Falkenauge grinste böse, seine Augen jedoch waren kalt und gelangweilt.  

„Du verteidigst wie ein Mann, der davon ausgehen kann, dass er allein durch die Muskelkraft überlegen ist. Das ist dein Fehler.“

Lorenor starrte wütend zurück.

„Bis vorgestern war ich der ja auch noch.“

Missbilligend verwarf er die Unterbrechung.

„Aber das war schon damals dein Fehler. Du verlässt dich auf die reine Kraft deines Oberkörpers.“ Sein Schüler kniff die Augen zusammen, offensichtlich konnte er nicht genau folgen. Er seufzte. Sein neuer Schüler mochte zwar Talent haben, aber der Hellste schien er nicht zu sein. Ein weiterer Punkt, den er auf seiner langen Trainingsliste hinzufügen konnte. Strategie entwickeln, anstatt einfach nur nach vorne zu preschen.

„Nun gut, zwei Sätze zur Theorie. Welche Vorteile hat der Mann? Er ist stärker, größer, schwerer. Alle diese Dinge kann er im Kampf gut für sich nutzen. Aber genau das behindert ihn auch, er wird langsam und schwerfällig. Nehmen wir diesen Blonden aus deiner Crew.“

„Der Koch?“

„Genau. Ich gehe davon aus, dass er dir kräftetechnisch eindeutig unterlegen ist.“ Das Mädchen grinste.

„Und trotzdem wirst du ihn nicht besiegen.“ Das Grinsen verschwand.

„Wieso?“

„Ganz einfach“, flüsterte er kühl, „Du bist zu langsam.“ Mit diesen Worten griff er ihn an. Den ersten Schlag parierte der andere, dem zweiten konnte er ausweichen.

„Deine Oberkörperhaltung ist durchschnittlich, aber deine Beine…“ In diesem Moment ließ er sich fallen und kickte den anderen zu Boden, „sind viel zu plump.“ Er richtete sich wieder auf und sah zum anderen hinab.

„Du beherrschst die Grundlagen des Kämpfens. Hast aber den Fehler gemacht, dich rein auf deine Kraft zu verlassen. In dem Moment, wo du einem Gegner gegenüberstehst, der stärker ist als du, hast du verloren. Du musst schneller werden, gewandter werden, wie ein Tänzer, Lorenor. Als Frau mehr denn je. Du wirst schneller ermüden, als jeder Mann. Das bedeutet, jeder deiner Angriffe muss tödlich und effektiv sein. Deine Verteidigung muss hauptsächlich aus Ausweichen bestehen, denn ein Schlag könnte deine dünnen Knochen brechen. Du musst einen Kampf innerhalb von Sekunden für dich entscheiden, sonst wirst du verlieren.“ Wieder griff er an und der andere sprang auf.

„Setz deine Deckung höher an. Ich bin größer, ich werde von oben angreifen.“ Er gab dem Jungspund keine Pause.

„Deine Angriffe sind zu niedrig. Wo willst du mich treffen? Meine Vitalpunkte sind weiter oben!“ Nach zwei Sekunden lag der andere wieder am Boden. Doch beschweren tat er sich nicht, sondern stand wieder auf. Die aufgeschürften Handknöchel fingen an zu bluten. Dem Grünschopf schien das jedoch nicht zu interessieren. Er ging in Kampfposition. Ein verbissener Ausdruck auf dem jungen Gesicht.

„Los, greif an! Beeindrucke mich!“

Das ließ der andere sich nicht zwei Mal sagen. Mit einem katzenartigen Sprung kam er auf ihn zu, wich dann jedoch nach links aus und setzte dazu an, über ihn hinweg zu springen. Beinahe gelangweilt griff er das Bein des anderen und riss ihn zu Boden. Er setzte sofort nach und trat mit dem Fuß direkt neben den Kopf des anderen.

„Eine dumme Idee! Ich bin fast zwei Meter groß. Mich von oben anzugreifen wird dir nicht gelingen. Du musst von unten kontern. Dort wo sich dein Schwerpunkt befindet und nicht meiner. Denk mal nach, bevor du handelst.“

Der andere atmete schwer.

„Brauchst du schon eine Pause?“, murrte er abwertend. Doch das Mädchen schüttelte nur den Kopf und rieb sich den Schweiß von der Stirn, während er aufstand und wieder in Position ging.

Einen Moment begutachtete er seinen Wildfang, dann schritt er auf ihn zu. Fließend folgte sein Schüler seinen Bewegungen und glitt zurück. Überrascht blieb Falkenauge stehen. Das war gar nicht so schlecht. Zumindest deutlich besser als davor. Die Körperhaltung war gut, nicht perfekt aber ausbaufähig. Sie hatten viel Arbeit vor sich.

Er verschränkte die Arme.

„Nun gut. Jetzt, wo wir uns warm gemacht haben, kann das Training ja beginnen. Bist du bereit?“ Der Grünschopf nickte nur.

„Okay, wir fangen mit was Leichtem an. Keiner deiner Füße darf den Boden länger als eine Sekunde berühren und nicht zweimal hintereinander auf der gleichen Stelle aufkommen. Kapiert?“ Wieder nickte der andere.

„Dann los!“

Im nächsten Moment fegte er bereits die Beine des anderen weg.

„Was hab ich gesagt?“ Er konnte die Wut in den Augen des anderen sehen, doch es störte ihn nicht.

„Glaub ja nicht, dass ich mit dir zart umgehen werde, Lorenor. Und jetzt lauf!“

Er würde es nicht zugeben. Aber es machte ihm Spaß, den anderen zu reizen. Mal sehen, wie lange der aushalten würde.

Kapitel 8 - Das Märchen

Kapitel 8 – Das Märchen

 

-Mihawk-

„Schneller!“, keifte er und kickte den anderen zu Boden.

Zum ersten Mal seit Trainingsanfang war sein Schüler in der Lage sich rechtzeitig mit den Händen abzufangen und wieder aufzuspringen. Das Mädchen atmete schwer und Schweiß rann die Schläfen hinab. Doch Lorenor beschwerte sich nicht. Seit Stunden nun schon hüpfte er von einem Bein aufs andere durch den gesamten Raum. Es sah ziemlich lächerlich aus, das wusste Falkenauge, aber er musste diese lahmen Beine ans Arbeiten kriegen.

Immer wieder war der andere zu langsam. Immer wieder bestrafte er den Jungspund dafür. Nach außen hin gab er sich unbeeindruckt, eher schon enttäuscht. Aber wenn er ganz ehrlich war, überraschte ihn der andere.

Seine Idee war gewesen, den Frischling solange zu malträtieren, bis dieser ohnmächtig umkippen würde. Er wollte ihm sofort zeigen, dass jeder Tag bei ihm die Hölle werden würde. Allerdings war er davon ausgegangen, dass der andere schon vor knapp zwei Stunden an seine Grenzen hätte kommen müssen. Vor allem wenn man bedachte, dass der Pirat am Vortag kaum laufen konnte. Doch immer wieder stand das Mädchen auf. Immer wieder korrigierte er die falsche Körperhaltung, hart und unnachgiebig, und immer wieder machte der andere weiter. Schweiß und Blut tropften bereits zu Boden, der Brustkorb hob sich fahrig, doch Lorenor hörte nicht auf.

Irgendwann wurde ihm bewusst, dass der andere nicht aufgeben würde. Er würde kämpfen, wahrscheinlich bis er tot zusammenbrechen würde. Das stellte ihn unzufrieden. Zum einen war es nicht sonderlich hilfreich, wenn der andere im Training umkommen würde, zum anderen konnte er ihn nicht vollends an seine Grenzen bringen.

Mittlerweile zitterte der andere schon und sein Gesicht war von einer angestrengten Röte kränklich bleich geworden. Er verschränkte die Arme.

„Das reicht für heute. Geh dich duschen und zieh dir was anderes an, du stinkst.“

Der andere setzte beide Füße auf den Boden, die Knie schienen gefährlich weich.

Der Pirat atmete beinahe unregelmäßig, aber kein Laut kam über seine bebenden Lippen.

„Wehe du wirst mir ohnmächtig, dann war’s das mit dem Training.“

Er wandte sich zum Gehen, nachdem der andere nicht antworte, sondern ihn einfach nur anstarrte. Erst als er in der Umkleide angekommen war, hörte er einen leisen Aufprall. Grinsend ging er. Der Körper seines Wildfangs war schwach, aber dieser Wille war außergewöhnlich. Es versprach interessant zu werden.
 

-Zorro-

Er hörte die Stimme Mihawks von weit weg. Die Worte hallten in seinen Kopf nach und erst langsam verstand er was der andere sagte. Sein Körper brannte. Er konnte sich nicht erinnern, je solche Schmerzen durch ein paar banale Übungen erfahren zu haben. Mit verschwommenem Blick versuchte er die Stimme zu orten. Inzwischen hatten die schwarzen Punkte vor seinen Augen die Mehrheit seines Sichtfeldes eingenommen, sodass er halb blind versuchte, sein Gegenüber zu erblicken. Dann schloss sich die Tür.

Seine Beine gaben nach und er fiel zu Boden. Hektisch atmete er, doch er bekam kaum genug Luft. Flach lag er auf dem Rücken und sah zur, nun zur langsam erkennbaren Decke herauf. Sein Blick klärte sich nach und nach, während das Blut wieder seinen Kopf mit Sauerstoff versorgen konnte. Mihawks Worte waberten immer noch in seinem Kopf. Zeigte ihm all seine Schwächen und Fehler. Es stimmte, die meisten Fehler waren nicht in diesem Körper begründet, sondern in seiner Kampfhaltung.

Trotzdem wirst du ihn nicht besiegen

Ihm wurde kalt, während das Blut durch seinen zitternden Körper pumpte. Natürlich glichen die Kabbeleien mit der Kringelbraue nie einem wirklichen Kampf. Aber dennoch erschütterte es ihn, dass die Küchenschabe ihm mehr als ebenbürtig sein sollte, alleine deswegen, weil er zu langsam war. Er hatte letzten Endes immer geglaubt, dass er der bessere Krieger wäre, dass er aus einem richtigen Kampf als eindeutiger Sieger herausgehen würde. Allmählich glitt ihm ein Grinsen übers Gesicht. Er hatte ein neues Ziel. Er musste den Blondschopf überwinden, denn nur dann würde er auch seine eigenen Mängel überwinden.

Schwerfällig drehte er sich auf den Bauch. Sein Körper tat ihm überall weh und jede Bewegung erforderte höchste Anstrengung. Die kleinen Brüste drückten gegen seinen Brustkorb und erschwerten das Atmen zusätzlich.

Allmählich schaffte er sich wieder aufzurichten und langsam taumelte er in das Umkleidezimmer. Wie erwartet hatte Falkenauge diesen Raum bereits verlassen. Unterschwellig hoffte er, diesen in irgendeiner Form beeindruckt zu haben. Er wollte ihn nicht noch mehr enttäuschen, nicht nachdem dieser sein Leben verschont hatte. Er wollte beweisen, dass dies keine Fehlentscheidung war, dass er keine Zeitverschwendung war.

Mit zittrigen Händen löste er erst den Zopf, nur um ihn dann wieder neu zusammenzubinden. Dann entledigte er sich mit vorsichtigen Bewegungen seiner Klamotten und schlurfte in die Dusche.

Das warme Wasser war angenehm, während es auf die bebenden Muskeln aufschlug. Er lehnte einfach nur gegen die Wand und beobachtete die Tropfen auf seiner Haut, die so ungewohnt glatt war. Die nächsten vier Wochen würden die Hölle werden. Aber, und das machte ihn eigentlich unglaublich froh, er würde weiter kommen. Er hatte seit Thriller Bark das unbändige Verlangen stärker zu werden, hatte aber das Gefühl gehabt, auf der Stelle zu treten und nun wusste er, dass er das wortwörtlich auch getan hatte.

Wenn er seinen eigenen Körper hätte, wäre er hellauf begeistert, allerdings hätte er sich dann wohl nicht soweit erniedrigt, den besten Schwertkämpfer der Welt um Hilfe zu bitten.

Er brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis er wieder in den Umkleideraum ging und sich langsam anzog. Er war so erschöpft, dass er sich noch nicht einmal über das knielange schwarze Kleid aufregen konnte, sondern einfach nur froh war, dass es weich und leicht zu tragen war. Nachdem er endlich auch die Sandalen angezogen hatte, was eine echte Herausforderung war, da er seine Finger kaum kontrollieren konnte, blieb er erst noch einen Moment sitzen. Er wollte sich nicht gleich wieder vor dem anderen lächerlich machen, also wartete er ab, bis sein Körper sich vollends beruhigt hatte.

Entschieden stand er auf und folgte dem Schatten des Samurais.

Diesen sollte er in der Küche finden, wo er sich beinahe ärgerlich mit Kanan unterhielt. Schon von weiter weg hörte er ihre laute und seine tiefe Stimme. Er hatte die Küchentür noch nicht erreicht, da wusste er, dass er selbst wohl das Thema ihrer Diskussion war.

„Sie ist ein Kind! Eure Methoden sind zu grob!“, fauchte das ehemalige Kindermädchen außer sich.

„Weder ist sie ein Kind, noch will sie wie eines behandelt werden. Sie kam zu mir. Sie bat mich um Hilfe. Wenn sie meinen Weg nicht aushält, ist sie kein würdiger Kämpfer!“

Auch der Herr des Hauses wirkte gereizt, während seine Stimme bestimmt aber mit einer bedrohlichen Note versehen war. Als würde er es für höchst unangemessen halten, dass die Haushälterin sich einmischte. Diese war jedoch noch lange nicht fertig.

„Eure Wut über den Tod dieses Piraten lasst Ihr an Loreen aus. Das ist alles andere als ehrenhaft. Sie ist ein guter Mensch und Ihr behandelt sie wie einen Verbrecher!“

Nun wurde der Samurai anscheinend doch wütend.

„Wie ein Verbrecher? Ich habe sie in dieses Haus geholt. Ich übernehme die Verantwortung, vollends. Ich behandele sie so, wie sie es verdient. Sie ist keine Dame, sondern ein Schwertkämpfer. Hören Sie auf sich in Sachen einzumischen, die Sie nichts angehen!“

Wütend wurde eine Hand auf den Tisch geknallt.

„Es geht mich sehr wohl was an. Jedes Mal, wenn Ihr in der Nähe seid, weint sie am Ende. Was hat sie Euch getan? Auf der anderen Seite beschützt Ihr sie, als wäre dieses Kind Euer Besitz. Ich begreife nicht, was nur mit Euch los ist. Seit Sharaks und Taruchies Tod habe ich Euch nicht mehr so aufgebracht erlebt wie in den letzten Tagen.“

„Genug!“ Die Stimme des Samurais war so gefährlich wie Zorro sie noch nie zuvor gehört hatte. „Sie gehen zu weit! Ich will nichts darüber hören. Zweifeln Sie nicht meine Entscheidungen an.“

Der Pirat hatte gerade die Tür geöffnet, als der Samurai beinahe gegen ihn lief. Wieder spürte er diese unbändige Wut, die der andere ihm entgegen brachte, als er einen Moment verachtungsvoll zu ihm hinab starrte, dann eilte dieser an ihm vorbei und stapfte die Treppe hinauf.

„Wir sind für heute fertig!“ Hart knallte die Tür zum Büro hinter ihm zu.

Verwundert sah er Falkenauge nach. Es schien, als würde dieser ihn wirklich hassen, dafür, dass er sie beide entwürdigt hatte. Er senkte den Kopf und ballte die Fäuste. Im nächsten Moment spürte er die warmen Arme der Haushälterin.

„Geht es dir gut, mein Kind?“ Er nickte nur.

Sie konnte nicht verstehen, was in Falkenauge vorging. Sie dachte, er wäre über Zorros Tod wütend. Er aber wusste genau, dass Falkenauge über seine beschämende Schwäche erzürnt war. Darüber, dass er ihm Schande bereitet hatte. Er konnte ihn verstehen. Er wusste genau, dass er das Verhalten des anderen verdiente und deshalb würde er sich nicht beschweren. Die einzige Möglichkeit die er hatte war, wieder stärker zu werden. Stark genug um sich seine Ehre zurückzuholen. Das war sein einziger Weg.

„Er hat Recht“, flüsterte er schließlich, „Seien Sie nicht sauer auf ihn. Ich will weder wie ein Kind, noch wie eine Dame behandelt werden.“  

Die hochgewachsene Frau sah ihn besorgt an:

„Ich möchte nur nicht, dass du verletzt wirst.“

Er lächelte schwach:

„Er würde meinen Stolz verletzen, wenn er das Training nicht ernst meinen würde. Es ist gut so. Nur so werde ich besser.“

Kanan nickte.

„Wenn das so ist, stehe ich natürlich nicht im Weg. Aber es schmerzt mich, dich so zu sehen. Komm. Du isst jetzt was Vernünftiges und danach helf‘ ich dir nochmal bei deinen Haaren.“
 

-Mihawk-

Seufzend schloss er die Akte. Im fahlen Dämmerlicht hatten die Buchstaben angefangen zu verschwimmen, doch in seiner Wut vor nicht allzu langer Zeit hatte er vergessen, das Licht anzumachen und nun wollte er nicht aufstehen. Diese Kanan kannte ihn wirklich zu gut. Es ärgerte ihn, wie viel sie über ihn wusste und wie sehr sie meinte, sich einmischen zu dürfen.

Im Stillschweigen befürchtete er auch, dass ihre Zuneigung zu dem verfluchten Piraten für sie nur Kummer bedeuten würde und tief im Inneren wollte er ihr zusätzliches Leid ersparen. Schließlich waren sie und Jirou das einzige Gute, was aus seiner Kindheit geblieben war. Vielleicht war er auch ein bisschen eifersüchtig, dass sie Lorenor so umsorgte, einen Menschen, den sie kaum kannte.

Eben diesen hatte er am heutigen Tage ziemlich hart zugesetzt, das wusste er. Vielleicht sollte er… ach, was sollte all das? Der Pirat war selbst schuld.

Nicht schon wieder! Schon wieder waren seine Gedanken zu dem Jungspund geglitten. Seit der andere hier war, lungerte er immer wieder in seinem Kopf rum, als hätte er nicht auch andere Dinge, die ihn beschäftigen sollten. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Mit sich selbst unzufrieden stand er auf und verließ das Zimmer. Es hatte ja eh alles keinen Sinn mehr.

Zu seiner Überraschung war die Küche leer und dunkel. Weder Kanan noch der Gast des Hauses waren anwesend. Diesen fand er schließlich im Wohnzimmer. Die Deckenlampe war hell erleuchtet, da es draußen schon beinahe dunkel war. Sein Wildfang lag in seinem schwarzen Kleidchen auf dem Sofa und hatte ihn noch nicht bemerkt. Er hatte ein Buch auf die Armlehne gelegt und schien konzentriert zu lesen, seine überkreuzten Unterschenkel waren angewinkelt und wippten in einem unbestimmten Takt auf und ab. Die offenen Haare waren wie ein See über Mädchen und Sofa ausgebreitet. Es war ein so unschuldiges Bild, schwer vorstellbar das dieses Kind vor ihm der Dämon vom East Blue sein sollte.

„Du liest?“

Langsam ging er hinterm Sofa vorbei und lehnte sich neben den kalten Kamin. Die grünen Augen blickten ihn an, erneut hatte er das Gefühl, dass sie schon reif und weise wirkten.

„Offensichtlich.“ Dann las der andere weiter.

„Ziemlich unhöflich“, reizte er ihn gezielt, doch das Mädchen biss sich nur auf die Unterlippe und versuchte weiter zu lesen.

„Was? Bist du etwa eingeschnappt wegen der Trainingseinheit? Oder liegt es daran, dass ich dich nicht wie ein Fräulein behandeln möchte?“

Starr hatte der andere seinen Blick auf die Seiten vor ihm gerichtet, doch lesen tat er nicht mehr. Warum wehrte er sich denn nicht? Am Vorabend hätte er dafür eine passende Antwort erhalten. So gemein war er ihm gegenüber doch gar nicht gewesen.

„Was ist los? Kein fieser Konter? Kein abwertender Kommentar? Habe ich das Monster etwa schon gezähmt?“

„Ich habe schon verstanden“, antwortete der andere bissig ohne aufzusehen. Langsam verschränkte er die Arme. Es schien, als hätte er etwas verpasst.

„Was hast du verstanden?“

Der Grünschopf ließ angespannt den Blick durchs Zimmer wandern, ohne ihn dabei zu beachten, ein verbissener Ausdruck lag auf dem jungen Gesicht.

„Nun gut, wenn du es also aus meinem Mund hören willst. Ich weiß, dass du mich für meine Schwäche bestrafen willst, dass du mich für mein beschämendes Verhalten vorführst.“ Überrascht blickte er den anderen an. Wovon redete der? Doch der sprach kalt weiter.

„Ich akzeptiere das. Sei ruhig wütend auf mich, sei zornig. Ich halte das aus und werde mir deinen Respekt wieder verdienen!“

„Wie naiv bist du denn?“ Plötzlich sah der andere ihn an, während ihm ein leises Lachen entkam.

„Es dreht sich nicht alles um dich, Lorenor.“  

Es war beinahe putzig den anderen so zu sehen. So geschlagen. Er glaubte wirklich, dass er ihn kennen würde. Dabei verstand er gar nichts, überhaupt nichts.

„Ich habe deine Bitte akzeptiert. Ich bin weder wütend noch zornig. Unnötige Gefühle wären in jedem Kampf und auch in jeder Übung nur hinderlich.“

Sein Wildfang wich seinem Blick aus und errötete.

„Du bist wirklich noch ein Kind“, grinste er böse und schritt zu seinem altvertrauten Sessel. Im Vorbeigehen streifte er mit der Hand den Kopf des anderen sanft, worauf dieser sich wütend aufsetzte und seine Finger wegschlug. Seine Bewegung war überraschend fließend und schnell, anscheinend konnte er seine Anforderung auch ins alltägliche Leben integrieren, interessant.

„Scheinbar bist du doch nicht so erschöpft von deiner ersten Trainingseinheit.“

„Ich erhole mich schnell“, murrte der Grünschopf nur.

„Gut, dann werden wir ab morgen mit der richtigen Arbeit anfangen können. Nicht das du dich langweilst.“

Der Pirat hielt seinem Blick stand und schien wirklich nicht beeindruckt, während er das kleine Buch auf seinen Schoß zog.

„Meinetwegen gerne“,  und wandte sich wieder dem Lesen zu.

Das Verhalten des anderen verwirrte ihn. Nicht nur schenkte er ihm kaum Aufmerksamkeit, sondern zusätzlich interessierte er sich mehr für das Buch in seinen Händen, als für ihn. Er hatte den anderen gar nicht als jemanden belesenen eingestuft.

„Was liest du da?“, fragte er schließlich, nachdem der Pirat ihn immer noch ignorierte. War das seine Rache dafür, dass er dachte er würde ihn schikanieren?

„Das hier“, murmelte der andere nur und hob das Buch hoch ohne mit dem Lesen aufzuhören. Unglaubwürdig starrte er das Buch an. Machte der andere sich etwa über ihn lustig? Es war das Buch, welches der andere im betrunkenen Zustand hatte lesen wollen.

„Wie bitte?“, fragte er wütend nach.

„Du hast doch gesagt, dass ich auch Theorie lernen müsste. Ich dachte es wäre eine gute Idee, zumal ich die Bücher noch nie gelesen habe.“

Mit einem Ruck lehnte er sich nach vorne und drückte das Buch nach unten, sodass der andere ihn ansehen musste.

„Du kannst das lesen?“

Wütend schlug der Pirat seine Hand weg.

„Ich bin nicht so ungebildet wie du immer meinst. Nur weil ich nicht aus einem reichen Elternhaus komme, heißt das nicht, dass ich nicht lesen kann. Gestern hat es dich noch nicht so überrascht.“ Er wollte ihn unterbrechen, doch gereizt zischte das Mädchen weiter, „Meine Mutter lehrte mich es sehr früh und sie erzählte mir auch immer die Geschichten von Hakuryuu. Wie jedem Kind des East Blues.“

Mehr als verwirrt sah er ihn an.

„Hakuryuu?“

Langsam lächelte das Mädchen, beinahe verträumt.

„Natürlich. Seine Geschichten sind der Grund, warum ich schon als kleiner Junge Schwertkämpfer werden wollte. Du hast all diese tollen Bücher hier und hast sie nie gelesen? Und das als Schwertkämpfer?“

Ernst packte er das dünne Handgelenk.

„Du kannst das da lesen?!“

Erst jetzt schien der andere ihn wirklich wahrzunehmen.

„Du nicht?“, fragte er schließlich.

„Natürlich nicht. Niemand kann das mehr lesen. Die wohl letzten drei Menschen waren Forscher auf Ohara. Und wie du von Nico Robin sicherlich weißt, existiert Ohara schon lange nicht mehr.“

Ungläubig starrte der Grünschopf auf das Buch vor sich.

„Woher kannst du das?“ Der andere sah ihn wieder an. Lorenor sagte nichts.

„Deine Mutter hat es dir beigebracht?“ Er nickte langsam.

„Du sprichst diese Sprache?“ Wieder nickte der andere.

„Unglaublich.“ Langsam ließ er sich zurück sinken. Er verschränkte die Arme und sah den anderen nachdenklich an. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

„Ich dachte, du wärest im East Blue aufgewachsen.“

„Bin ich auch.“ Er sah einen Moment weg.

„Aber du bist nicht da geboren oder?“ Der Pirat zuckte mit den Achseln.

„Keine Ahnung. Daran kann ich mich nicht erinnern.“, meinte er gereizt, „Ist doch egal.“

„Ist es nicht!“, widersprach er leise, jedoch ohne Zorn, „Ist dir nicht bewusst, dass du vermutlich der letzte Mensch bist, der diese Bücher lesen kann.“

Lorenor lachte leise:

„Was redest du da? Meine Mutter hat mir diese Sprache beigebracht. Es wird noch viele andere geben, die sie sprechen.“

Er schüttelte den Kopf:

„Weißt du überhaupt, wie diese Sprache heißt?“

Der Grünschopf zuckte erneut mit den Achseln.

„Es war die Sprache, die meine Mutter sprach. Und sie erzählte mir die Geschichten der alten Helden und vom Schwertkämpfer Hakuryuu. Das ist alles, was ich weiß.“

Einen Moment sah er den anderen nur an.

„Du bist schon ein seltsamer Mann. Dir ist noch nicht einmal bewusst, was du da für ein Erbe trägst.“

Der andere schüttelte nur den Kopf und senkte ihn dann nachdenklich.

„Du willst mir also sagen, dass niemand diese Geschichten hier kennt?“, fragte er und tippte aufs Buch.

Er lachte. „Manchmal bist du echt schwer von Begriff.“

Die grünen Augen betrachteten die verschlungenen Zeichen als würde er sie das erste Mal wirklich erkennen. Dann lächelte er sanft.

„Was hast du?“

Der Jungspund sah ihn an und schüttelte den Kopf, doch das Lächeln wich nicht. Er wirkte glücklich.

Nach einer Sekunde stand Dulacre auf und verließ das Zimmer. Er wunderte sich über das soeben erfahrene. Konnte es ein Zufall sein? Das Kind eines Kriegervolkes? Es würde außerordentlich gut passen.

Als er mit Wein und Gläsern zurückkam, hatte der andere wieder angefangen zu lesen. Doch er blickte auf, als er sich wieder niederließ.

„Woher hast du denn diese Bücher, wenn sie niemand lesen kann?“

Er zuckte mit den Schultern und goss ihm und seinem Gast den Wein ein.

„Mein Vater hat sie auf einer seiner vielen Reisen mitgebracht. Er sagte, sie seien ein Vermögen wert.“

Der Grünschopf nickte nur.

„Und du kennst diese Geschichten?“

„Nur flüchtig. Es sind keine wirklichen Geschichten, sondern Lehren der Schwertkunst. Da meine Mutter jedoch keine Ahnung vom Schwertkampf hatte, hat sie mir immer nur die Geschichte über das Leben des Hakuryuu erzählt und die Geschichten der anderen Helden“

„Dann erzähl sie mir. Die Geschichte von deinem Helden.“

Der andere sah ihn verwirrt an. „Welcher Held denn?“

„Na dieser Hakuryuu, von dem du gesprochen hast. Der Held, wegen dem du Schwertkämpfer wurdest.“

Lorenor schüttelt den Kopf. „Hakuryuu war kein Held, wie die anderen. Er war der erste wahre Schwertkämpfer.“

Leicht gereizt nahm Dulacre einen tiefen Schluck aus seinem Wein.

„Woher soll ich das denn wissen? Nun erzähl schon.“
 

-Zorro-

Er war verwirrt. All diese Dinge.

Heute Morgen erst hatte er erfahren, wo seine Freunde waren. Dann hatte er diese Auseinandersetzung mit seinem neuen Lehrmeister. Das Training war fast zu viel für ihn gewesen und nun hatte er vielleicht Dinge über sich erfahren, von denen er nichts gewusst hatte. Vielleicht war seine Mutter doch nicht das herzlose Wesen, für die er sie immer gehalten hatte.

Wer hätte geglaubt, dass die Dinge sich so entwickeln würden.  

„Also, kommt heute noch etwas?“, fragte ihn der Samurai genervt.

„Ich bin nicht gut im Geschichten erzählen.“

Der Schwarzhaarige seufzte:

„Fang einfach an. Wenn es mich langweilt werde ich dir schon Bescheid geben.“

Zorro grinste.

„So kann nur jemand sprechen, der Hakuryuu nicht kennt.“

Langsam nahm er das Weinglas in die Hand und schwenkte es ruhig hin und her. Er strich sich eine Strähne hinters Ohr.

„Meine Mutter begann die Gesichte immer so: Vor vielen Jahrhunderten regierte ein weiser und starker König das Reich Alciel. Wie sein Vater vor ihm und dessen Vater zuvor führte er sein Volk mit höchster Hingabe und eisernen Willen. Über die Generationen hinweg waren die Söhne und Töchter Alciels zu starken Kriegern herangewachsen, wofür sie auf der ganzen Welt sowohl geachtet, als auch gefürchtet wurden. Ein Status den keiner der Kämpfer bedauerte.“

„Und wo ist jetzt dein Nicht-Held?“, unterbrach ihn der andere mit gelangweiltem Ton, „Diese Märchen der Krieger-Völker kennt doch jeder.“

„Mag sein. Ich kenne nur diese.“

„Na gut, mach weiter. Aber komm mal langsam zum Punkt.“

Wütend trank er den Wein. Wie sollte man etwas erzählen, wenn man dauernd unterbrochen wurde?

„Also gut, halt den Mund und hör zu.“

Der andere nickte sachte.

„Der König und seine besten Krieger brachten dem Volk über die Jahre immer mehr Ruhm. Doch mit der Zeit musste er erkennen, dass er seinem Volk kein ehrenhafter Herrscher sein konnte. Denn das Wichtigste konnte er ihnen nicht schenken. Einen Erben. Während der König langsam älter wurde, wurden die Kämpfer unruhig, denn wer sonst könnte dieses Volk führen, als einer mit königlichem Blut?

Doch wie das Schicksal es nun mal wollte, sollte der König einen Sohn bekommen. Nur anders als gedacht. In einer der zahllosen Schlachten, die sein Volk führte, wurde unter anderem eine junge Kriegerin getötet. Die Zeit vergaß ihren Namen, sodass sie fortan als Ni bezeichnet wurde, was Mutter bedeutet. Denn wie der König erfahren sollte, hinterließ sie einen Säugling. Da niemand wusste wer der Vater des Kindes war, entschloss sich der König. den Jungen als den seinen anzunehmen, um das tapfere Opfer von Ni zu ehren. Er nannte ihn Hakuryuu in Erinnerung an den Drachen.“

„Was für ein Drache?“ setzte der andere wieder ein.

„Der Drache Hakuryuu. Die Sage besagt, dass er das Volk Alciels aus seinen Schuppen formte.  

Der junge Prinz entwickelte sich prächtig und sein Name wurde mit Stolz von den Kämpfern vernommen. Doch die anfängliche Euphorie über den Thronfolger schwächte ab und schwang um in Verunsicherung. Schließlich war auch Hakuryuu kein Königsblut. Woher sollte man also wissen, ob er würdig war, der neue König zu werden?“

„Da es ja nur auf die Abstammung ankommt, was?“

„Noch einmal und ich hör auf und stopf dir mit dem Buch dein vorlautes Maul, ich schwör’s dir!

Also wo war ich? Ach ja, Der König wurde von seinen treusten Freunden und Kriegskameraden auf die Sorge des Volkes aufmerksam gemacht und man entschied eine Lösung zu finden, die den jungen Prinzen für würdig erklären würde. Mit schweren Herzen rief der König seinen Sohn zu sich und erklärte ihm, warum er sich beweisen musste. Dann fragte er seinen Sohn, ob dieser überhaupt König werden wollte. Als dieser geehrt zustimmte, wurde ihm seine Aufgabe übertragen.

Um ein würdiger Krieger zu werden, war es in Alciel Brauch, dass man einen der dreizehn Wege nahm. Dabei handelt es sich um dreizehn verschiedene Ausbildungen in der Kampfkunst. Jede gefährlicher und schwieriger als die andere, doch jede einzelne reichte aus, um einen hervorragenden Krieger zu formen, der mit fast jeder Waffe umgehen konnte. Nur der Königssohn war auserkoren den dreizehnten Weg zu gehen, welcher ein hohes Maß an Geduld und Ruhe erforderte. Doch da Hakuryuu sich würdiger als alle seine Vorfahren beweisen musste, sollte er jeden einzelnen Lehrpfad folgen und so der perfekte Krieger werden. Erst wenn er das erreicht hatte, würde das Volk ihn als seinen neuen König anerkennen. Somit brach der junge Prinz auf zu den einzelnen Weisen, um ihre Kunst des Kämpfens zu lernen.

Die Jahre zogen ins Land und der König wurde alt.

Eines Tages stand sein gewählter Sohn vor ihm, nun ein erwachsener Mann. In der Hand hielt er das heilige Schwert, welches aus den Fangzähnen des Drachen geschmiedet worden war. Die Waffe eines Helden, der Beweis dafür, dass er nicht nur alle dreizehn Pfade gegangen war, sondern auch die dreizehn Heldentaten erfüllt hatte, die die Lehrmeister ihm aufgetragen hatten. Stolz und Überglücklich über den Erfolg seines Sohnes ließ sein Vater ihn krönen.

Das Volk feierte seinen neuen Helden. Mit ihm sollte ein neues Zeitalter anbrechen.  Doch Hakuryuu erkannte schon bald, dass er zwar der beste Krieger der Welt war, aber nicht König sein konnte. Es gab keinen Kampf, den er nicht gewann. Keinen Krieg in dem er nicht siegte. Auf dem Schlachtfeld war er Gott, doch unter der Krone verlor er sich selbst. Das Volk, welches ihn liebte, erreichte ihn nicht. Er sah sie, doch alles was er erkannte, waren Menschen, die nicht wie er waren. Selbst sein Vater konnte ihn nicht berühren. Sie waren Krieger, ja. Aber er, er war ein Schwertkämpfer. Ein Diener des Drachen. Als König konnte er seinen Durst nach Kampf nicht genügend stillen.

Hakuryuu verzweifelte an der Last der Krone, sodass er eines Nachts sein Schwert nahm und seinen Vater ermordete. Danach wickelte er sein Schwert in den blutgetränkten Mantel seines Vaters und verließ Alciel auf ewig. Ohne König und voller führungsloser Krieger zerfiel das Reich innerhalb weniger Jahre. Die anderen Völker schlossen sich zusammen und entschieden jeden Nachfahren Alciels zu vernichten. Auf dass das Blut des Drachen ausgelöscht würde.

So wurde aus dem Helden Hakuryuu der Verräter seines eigenen Volkes.

Doch niemand fand Hakuryuu. Dieser wandelte durch die Welt. Auf der Suche nach würdigen Menschen. Über die Zeit fand er dreizehn Schüler. Einem jeden lehrte er zwölf Pfade. Nie aber den dreizehnten.

Als er alt und müde wurde, befahl er seinen Schülern ihm den besten Schmied der Welt zu bringen. Ein buckliger Mann kam. Hakuryuu reichte ihm sein Heldenschwert und befahl ihm daraus zwölf Schwerter zu schmieden. Das größte und stärkste reichte er seinem ältesten Schüler. Am Ende stand der Jüngste. Bis auf ihn wurden alle Schüler in die Welt geschickt, um die Kunst des Schwertkampfes zu lehren. Der Jüngste war erzürnt darüber, dass sein Meister ihn dafür nicht würdig genug gehalten hatte. Doch Hakuryuu nahm ihn mit sich, zu einem geheimen Ort und dort lehrte er ihm den dreizehnten Weg. Erst da erkannte der jüngste Schüler, dass es nicht auf die Waffe, sondern auf den Kämpfer ankam.

Hakuryuu starb und die Welt vergaß ihn so wie das Königreich Alciel. Die zwölf Schüler mit den Schwertern, die aus dem Heldenschwert geschmiedet wurden, gingen in die Geschichte ein, als die zwölf ersten Schwertkämpfer. Der Jüngste jedoch versuchte das Erbe seines Meisters weiterzugeben. Er fand jedoch niemanden der würdig war. Rastlos durchforstete er die Welt, während all seine Kameraden nach und nach im Kampf fielen und die zwölf Schwerter vom Winde verteilt wurden.

Irgendwann war er der letzte der einst dreizehn Schüler, doch er hatte immer noch keinen würdigen Nachfolger gefunden. Also setzte er sich eines Tages auf den höchsten Gipfel der Welt und schrieb alles nieder, was ihn sein Lehrmeister gelehrt hatte. Er schrieb die dreizehn Wege auf und er schrieb über die Kämpfe, die sein Meister erlebt hatte. Er schrieb über die dreizehn Heldentaten, die sein Lehrmeister vollbracht hatte und er schrieb über das Land Alciel. Nach dreizehn Jahren und zehn Tagen hatte er das Werk vollbracht und stieg wieder hinab in die Welt. Doch die Welt hatte vergessen und so starb der jüngste Schüler ohne dass die Zeit je seinen Namen erfuhr.

So erzählt es die Sage des Schwertkämpfers Hakuryuu.“
 

-Mihawk-

Lange war es still im Raum, während beide Anwesenden das kleine Buch im Schoß des Piraten betrachteten.

„Eine gute Geschichte“, murmelte er schließlich, „Und diese Geschichte steht in diesem Buch?“

Die grünen Augen sahen ihn an und dann nickte er. Mit einer fließenden Bewegung stand das Mädchen auf und ging zu dem großen Regal hinüber.

„Dein Vater hatte Recht, als er sagte, dass diese vierzehn Bücher unglaublich wertvoll seien. Denn während das erste Buch nur die Geschichte Alciels und Hakuryuus erzählt, sind diese anderen Bücher die Schlüssel.“ Ehrfürchtig klang der andere.

„Wie meinst du das? Ich dachte es sei nur eine Geschichte.“

Der Grünschopf lachte leise:

„Ich weiß nicht, was von der Geschichte wahr ist und ob es Hakuryuu wirklich gab, aber was ich weiß ist, dass dies die dreizehn Bücher sind, die der jüngste Schüler niederschrieb. Es muss so sein!“ Lorenor fuhr zu ihm herum. Die Haare stiegen aufgeregt in die Luft.

„Dort in diesen Büchern stehen die ersten Lehren der Schwertkunst! Alles was uns bis heute gelehrt wurde, geht auf das zurück, was in diesen Büchern steht. Die Geschichten um Hakuryuu mögen erfunden sein, aber irgendwer hat sich die Zeit genommen, die Lehren der Schwertkunst aufzuschreiben.“ Die Wangen des Mädchens waren leicht gerötet, die Augen groß und voller Leben.

Langsam erhob er sich auch und ging zum anderen herüber. Schließlich stand er direkt vor dem Mädchen und betrachtete die verschlungenen Schriftzeichen auf den Büchern, die er nicht lesen konnte. Er hatte langsam das Gefühl, dass sich die einzelnen Fragmente des Puzzles zusammenfügten. Dann sah er zu dem Piraten vor sich hinab, der seinem Blick mühelos standhielt.

Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Plötzlich wurde die Tür zum Wohnzimmer aufgerissen.

„Ach, da seid ihr beide. Ich hab mir schon Sorgen gemacht.“

Der Grünschopf wandte sich der Haushälterin zu, doch er selbst nahm sie kaum war. Immer noch lag sein Blick auf diesem Mädchen. Er wusste nicht, warum Lorenor Zorro hier war oder wie es dazu kam, aber gerade in diesem Moment war er glücklich. Noch nie hatte er bei einem anderen dieses Feuer gespürt. Es ging über die reine Freude am Kampf hinaus. Er hatte den einen Menschen auf der ganzen Welt gefunden, der würdig war, seinen Titel zu tragen.

„Loreen!“ Das Mädchen sah ihn an. „Ich erwarte dich morgen früh, vor Sonnenaufgang im Trainingsraum. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Mit einem breiten Grinsen nickte sein Wildfang.

Er würde ihn trainieren. Und er würde stolz auf ihn werden!

Kapitel 9 - Die Versammlung

Kapitel 9 – Die Versammlung

 

-Zorro-

Schwer atmend hockte er mit allen Vieren auf dem Boden.

„Steh auf!“, befahl die Stimme seines Lehrmeisters kalt.

Sein ganzer Körper brannte. Der Muskelkater vom Morgen war längst begraben unter den neuen Schmerzen. Zitternd erhob er sich. Eine Strähne hatte sich gelöst und hing ihm störend im Gesicht, doch er konnte keine unnötige Energie dafür verschwenden sie wegzuschieben. Sein Herzschlag pumpte erbarmungslos das Blut durch seinen Körper. Vor seinen Augen wurde die Welt immer wieder dunkel, während er auf den anderen starrte, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte. Schwarze Flecken tanzten höhnisch in seinem Blickfeld.

„Was siehst du mich an? Konzentrier dich!“

Im nächsten Moment gaben seine Beine wieder nach. Kraftlos kniete er auf dem Boden. Er konnte nicht mehr! Die Schritte des anderen dröhnten in seinen Ohren. Er brauchte lange diesmal, bis er sich wieder aufraffen konnte. Schwankend stand er da. Er wusste, dass der andere direkt hinter ihm stand.

„Es reicht für heute“, stellte der Samuai kühl fest.

„Nein!“, knurrte er schwach. Er würde nicht aufgeben!

Der Samurai lachte leise. Für ihn klang es wie blanker Hohn.

„Lorenor, du kannst kaum noch stehen. Es ist in Ordnung. Deine Leistung war nicht schlecht.“

Er riss sich unbeholfen von der Hand auf seiner Schulter los und stolperte nach vorne.

„Nein!“ Mehr konnte er nicht mehr sagen.

Bebend ging er wieder in Position und fuhr fort. Der andere sagte nichts mehr, doch er konnte seine Gegenwart weiterhin in seinem Rücken spüren. Nein, er würde nicht aufgeben!
 

-Mihawk-

Er musste gestehen, dass der andere ihn beeindruckte.

Seit den frühen Stunden hatte er den jungen Schwertkämpfer im großen, kalten Trainingsraum an dessen Grenzen gebracht. Doch es war der andere, der sich selbst immer wieder darüber hinaus kämpfte. Er hatte sich genau überlegt, was der andere erreichen musste, um jeden Tag Fortschritte zu machen und aufgrund des Vortages hatte er geglaubt, dass sie den ganzen Tag brauchen würden, um den Piraten soweit zu bringen. Aber sein Wildfang hatte ihn Lügen gestraft. Innerhalb weniger Stunden hatte er das Ziel erreicht und war einfach weiter gegangen.

Er hatte geglaubt, die körperlichen Grenzen einer Frau gut einschätzen zu können und da dieses Mädchen im Kampf nicht geübt war, hatte er sich keine großen Hoffnungen gemacht. Doch der Jungspund übertraf seine Erwartungen bei weitem. Immer wieder fragte er sich, wie stark der andere in Wirklichkeit sein konnte, wenn schon sein Wille alleine ausreichte, um diesen Körper zu Höchstleistungen zu bringen.

Natürlich waren seine kämpferischen Leistungen lange noch nicht die eines großen Schwertkämpfers und trotzdem konnte er nicht verhindern, dass der andere in ihm immer wieder die Lust des Kämpfens weckte. Er ärgerte sich selbst darüber.

Weiterhin beobachtete er den anderen und kommentierte was er falsch machte. Das gefiel ihm an dem Jungen am besten. Zwar verstand dieser nicht immer auf Anhieb was er wollte, sodass er oft ganz simple Vergleiche ziehen musste, aber sobald der Grünschopf begriff, setzte er die Anweisung sofort um und war in der Lage sie ohne Wiederholung zu vereinnahmen. Er lernte schnell und er war verbissen genug, um sich darauf nichts einzubilden.

Mit jeder verstrichenen Minute schienen die Bewegungen des anderen ihn jedoch zu bestätigen. Der Fluss und die Geschmeidigkeit wurden immer zittriger und abgehakter. Lorenor hatte sein Limit schon lange erreicht, ab jetzt würde er in dieser Einheit keinen Fortschritt mehr erzielen können, im schlimmsten Fall würde er sich selber behindern. Doch das wollte oder konnte der Grünschopf einfach nicht sehen.

Entschieden trat er hinter ihn und griff ihm fest am Oberarm.

„Es ist genug!“

Der Pirat schüttelte den Kopf und wollte sich losreißen, doch er hielt ihn ohne Mühe fest, während sich seine Finger etwas härter in das Fleisch bohrten um seine Position zu unterstreichen.

„Dies war kein Vorschlag, Lorenor. Du bist am Ende. Jede weitere Sekunde wäre nur noch Zeitverschwendung!“

„Ich kann noch…“

„Du kannst jetzt unter die Dusche gehen! Widersprich mir nicht. Mein Haus, meine Regeln, verstanden?“

Er ließ den anderen los und wandte sich zum Gehen. Ihm missfiel das Verhalten des anderen sehr. Natürlich mochte jeder Lehrer einen ehrgeizigen Schüler, aber es sollte nicht seine Aufgabe sein, sich um die Gesundheit des Jungen zu sorgen. Dieser musste selber erkennen, wenn er seine Grenzen erreicht hatte. Er verließ den Raum ohne sich noch einmal nach dem anderen umzudrehen. Wenn dieser nun der Ansicht war, mit seinem Training fortzufahren und darüber ohnmächtig werden sollte, war das nicht sein Problem. Während er den Flur entlang marschierte hörte er laut und deutlich die trällernde Stimme der Haushälterin, die das Esszimmer putzte. Sie war wie immer fleißig und er fragte sich beiläufig, ob sie wirklich die ganze Zeit nichts anderes tat außer kochen und putzen. Konnten zwei Menschen so viel Arbeit darstellen?

Er selbst wusste gar nicht so recht, was er tun sollte. Er hatte tatsächlich keinerlei Papierkram mehr nachzuholen, was, seitdem er sich mit diesem Mist rumschlagen musste, noch nie vorgekommen war. Hunger hatte er keinen und lesen schien ihm gerade zu umständlich. Sein Leben war manchmal wirklich überaus langweilig. Eigentlich hatte ihn das nie gestört, aber seit dem er die vierundzwanzig-Stunden-Betreuung für den Piraten mimte, wusste er gar nichts mehr mit sich anzufangen, wenn der andere mal nicht seine Aufmerksamkeit benötigte. Schon ziemlich armselig für einen erwachsenen Mann…

Unmotiviert überlegte er in sein altvertrautes Arbeitszimmer zu schlendern, als es an der Haustür klopfte. Er konnte das dumpfe Pochen kaum über die Stimme der Haushälterin hinweg hören und war leicht überrascht. Ob es erneut Jirou war? Wer sonst sollte ihn besuchen kommen? Vielleicht war es aber auch ein Kind Kanans, die manchmal unerwartet auftauchte.

Er zog sein Hemd gerade und richtete die Weste. Man musste ihm ja nicht gerade ansehen, dass er gerade aus einer Trainingseinheit kam. Auf dem Weg zur Haustür fuhr er sich noch durchs Haar, welches nicht so glatt anlag wie er mochte, ehe er den unerwarteten Gast begrüßte.

Vor ihm stand Houran, die Sekretärin des Bürgermeisters. Im Licht der untergehenden Sonne strahlte sie etwas Königliches aus.

Ihre lila Haare waren wie immer kunstvoll hochgesteckt, große Monde hingen von ihren Ohren hinab und streichelten den Kragen ihres eng anliegenden Wintermantels, der bis zum Boden reichte.

Wie immer erwiderte sie überaus erhaben seinen Blick und reichte ihm die Hand zum Gruß.

„Was verschafft mir die Ehre?“, fragte er etwas überrumpelt, ohne sie hineinzubitten.

Sie legte den Kopf leicht schief, wobei ihre Ohrringe klirrten, die Augen weiterhin beinahe herablassend auf ihn gerichtet.

„Herr Koumyou schickt mich.“ Mit diesen kühlen Worten zog sie einen mintgrünen Umschlag aus den Tiefen ihres Mantels und hielt ihn hoch.

„Es war ihm so wichtig, dass Sie diesen Brief noch heute erhalten, dass er mich eigens losgeschickt hat.“ Ihre eiskalte Stimme machte deutlich, dass sie Botengänge absolut nicht unter ihrer Zuständigkeit verbucht hatte und diese Aufgabe somit unter ihrer Würde war. Dankend nahm er den Umschlag an.  

„Und worum handelt es sich, wenn ich fragen darf?“

„Dürfen Sie“, antwortete sie knapp, „Aber ich wurde nicht über den Inhalt dieser Nachricht informiert.“ Es war offensichtlich, dass sie dies noch mehr verärgerte.

„Nun gut, da Sie ja nun den Brief erhalten haben, empfehle ich mich. Es warten noch andere, wichtigere Aufträge auf mich.“

Sie wartete seine Antwort erst gar nicht ab, sondern drehte sich abrupt um und schritt von dannen. Ihre hochhackigen Schuhe hatten unter dem Weg durch den Wald schon sehr gelitten und ein Absatz war schiefgetreten, weshalb ihr hochnäsiger Gang etwas Entenhaftes bekam. Mit einem leisen Schmunzeln sah er ihr nach, wie sie im Dämmerlicht verschwand, ehe er die Tür schloss.

Erst im Arbeitszimmer öffnete er den Umschlag.

Wenn der Brief so wichtig war, konnte es sich gut um geheime Informationen handeln, die nicht unbedingt für die neugierige Nase der Haushälterin bestimmt waren. Eine einzelne blassgrüne Karte fiel hinaus und der Geruch von Minze erfüllte innerhalb weniger Sekunden den Raum. Das sah nicht nach streng geheimen Informationen aus. Für eine gefühlte Ewigkeit starrte er auf das gefaltete Papier, ihm wurde langsam schlecht und er hoffte sehr, dass es einfach nur an dem Duft der Karte lag. Mit einem Ruck stand er auf und eilte zur Tür.

„Kanan!“
 

-Zorro-

Er betrachtete seinen nassen, geschundenen Körper vor dem Spiegel. Er musste um so vieles stärker werden! Der Samurai machte ihn furchtbar wütend.

Wieso hatte er die Einheit beenden müssen?

Er wusste, dass sein Körper ziemlich erschöpft war und dass all seine Muskeln zum Zerreißen verausgabt waren, aber das war der Grund, warum er weiter machen musste. Er musste diesen Körper zu einer Leistung zwingen, die seiner würdig war!

Er hasste, dass der andere ihn so einschränkte. Wenn er nicht richtig trainierte, wie sollte er dann innerhalb von vier Wochen gut genug werden? Wollte der andere ihn bestrafen?

Mit zitternden Händen trocknete er sich ab. Er war wirklich müde und erschöpft, aber das durfte er sich nicht anmerken lassen. Er musste sich vorsichtiger bewegen, als ihm lieb war. Viele Körperstellen waren berührungsempfindlich, besonders die Haut unterhalb der Brüste und unter den Armen. Kanan hatte ihm extra einen guten Sport-BH besorgt, trotzdem hatte er geschafft sich die gesamte Haut wund zu schürfen. Mit einem Seufzen zog er einfach nur den Pullover über und fragte sich dabei, wo die Haushälterin die ganzen Klamotten herzauberte. Er hatte noch nichts zweimal angezogen. Aber eigentlich interessierte ihn das nicht.

Wieder betrachtete er sich im Spiegel, dieser Körper wirkte immer noch so fremd. Die letzten drei Jahre hatte er nicht so oft seinen Körper begutachtet, wie die letzten drei Tage.

Er griff nach den langen grünen Haaren. Wie sollten die bitte eine Waffe werden können? Er konnte sie kaum flechten. Immer wieder fiel eine Strähne aus seinen bebenden Fingern und schließlich gab er einfach auf. Er war keine Frau, er würde so etwas eh nie brauchen.

Mittlerweile empfand er diesen Körper als noch störender, als sowieso schon. Nicht nur im Kampf hatte er mit unsagbaren Hürden zu kämpfen, auch im alltäglichen Leben war er mehr als überfordert. Jede Bewegung war anders, aktivierte andere Muskeln, fühlte sich anders an. Vom Intimbereich mal ganz zu schweigen, bei jedem Schritt, jedes Mal, wenn er sich anzog und natürlich jedes Mal, wenn er auf Toilette musste. Er glaubte nicht, dass er sich je an diesen Körper gewöhnen würde.

Kopfschüttelnd vertrieb er die sich kreisenden Gedanken und beseitigte die störenden Haarsträhnen durch ein Haarband.

Er lehnte die Schultern zurück und verließ das Zimmer. Schon im Flur konnte er die gereizte Stimme des Samurais, sowie die aufgeregte Stimme der Haushälterin hören. Diese Situation erinnerte ihn doch arg an den Vortag. Er bog um die Ecke der Treppe und sah beide dort stehen. Doch in dem Moment wo Kanan ihn sah, kam sie direkt auf ihn zugestürmt und nahm beide seiner Hände freudestrahlend in ihre.

„Ich hab schon eine Idee, meine Liebe. Altrosa, das ist absolut deine Farbe, du wirst schon sehen!“

„Wie bitte?“

Doch sie reagierte gar nicht auf ihn sondern brauste bereits zur Haustür und schlug sie hinter sich zu.

„Ich hoffe doch sehr, dass sie nicht über meine Kampfkleidung spricht. Sie mag mich zwar wie ihre Spielpuppe behandeln, aber rosa zieh ich auf keinen Fall an.“  

Der Samurai schien äußerst unglücklich und schürzte mit verschränkten Armen die Lippen.

„Wir haben eine Planänderung. Das Training fällt morgen aus.“

Wütend starrte er den anderen an.

„Was? Wieso? Ich hab doch getan, was du wolltest und aufgehört! Ich kann noch mehr leisten, wenn es das ist. So einfach geb‘ ich nicht auf!“

Falkenauge schüttelte den Kopf:

„Es hat nichts mit deiner Leistung zu tun. Du kannst dich bei Jirou bedanken.“

„Der Konteradmiral? Was hat der damit zu tun?“, fragte er verwirrt. Der Schwarzhaarige fuhr sich entnervt durch die Haare.

„Anscheinend hat er dem Bürgermeister dieser Insel von dir erzählt.“

„Und?“

Sein Gegenüber hielt ihm ein grünes Kärtchen hin, das einen seltsamen Geruch verströmte, den er nicht zuordnen konnte. Langsam nahm er es entgegen.

„Der Bürgermeister hat erfahren, dass ich doch für ein paar Tage länger hier bleibe und hat mich zur Hauptversammlung der Inselvereinigung als Stellvertreter für Sasaki eingeladen.“

Er zuckte mit den Achseln während er das Geschreibsel überblickte. „Ja und? Was hat das mit Jiroushin oder mit meinem Training zu…“

Er stockte.

„Genau“, antwortete der Samurai grob, „Lady Loreen soll mich doch bitte begleiten.“  

Zorro lachte leicht und wedelte mit der Karte hin und her. „Nun ja, es ist halt eine Einladung, da muss man ja dann nicht hingehen.“

Der andere sah ihn einfach nur stur an.

„Okay, also man muss dann da hingehen?“

Falkenauge nickte:

„Aufgrund unserer Nähe zum Sabaody Archipel und Mary Joa erwarten die Führungskräfte, dass man zumindest als Zuschauer anwesend ist, wenn man eingeladen wird. Die meisten Gäste empfinden es eher als Ehre und nicht als eine nervige Pflicht.“

Einen Moment wollte er widersprechen, aber wenn selbst Mihawk Falkenauge Dulacre dieser Einladung Folge leistete, hatte er wohl keine Wahl.

„Also was heißt das für uns?“

„Das heißt, dass wir morgen früh uns zur Insel Sadao aufmachen und hoffentlich vor Mitternacht wieder zurück sind.“ Es war offensichtlich, dass er kein Interesse an dieser Veranstaltung hatte.

„Und was würde passieren, wenn wir einfach nicht hingehen? Kriegst du deinen Titel als Samurai aberkannt oder sowas?“

Der Schwarzhaarige lachte leise, aber kühl:

„Nein, aber Koumyou wäre sehr enttäuscht.“

Seine Tonwahl ließ keine weitere Diskussion zu.

„Aber keine Sorge, ein Tag ohne Training wird dich nicht umbringen und falls wir früh genug zurück sind, können wir ja sonst eine Nachtschicht einlegen.“

Überrascht sah er den anderen an. Das klang ja fast so, als würde er sich auf das Training freuen. Ein heimliches Grinsen verdunkelte seine Züge, doch dann wurde ihm etwas anderes bewusst.

„Warte mal. Was meinte Kanan dann mit altrosa?“

Der Samurai zuckte mit den Schultern.

„Vermutlich dein Kleid. Du weißt doch, wie gerne sie dir Sachen zum Anziehen raussucht.“

Langsam wurde ihm schlecht, lag es an dem seltsamen Duft der Karte?

„Du hast gesagt, deine Mutter hat dich gebildet? Ich hoffe also, du wirst in der Lage sein, dich der Gesellschaft angemessen zu verhalten“, sprach der beste Schwertkämpfer der Welt kalt, „Besonders, da du ja jetzt eine Dame bist.“

Seine Knie gaben nach. Ihm war übel. Seine Gedanken waren immer noch bei dem Wort altrosa stehen geblieben. Falkenauge lachte leicht.

„Stell dich nicht so an. Ein Tag außerhalb dieses Hauses sollte eine willkommene Abwechslung für dich darstellen.“

Mühevoll erhob er sich wieder.

„Was hast du vor?“

Er sah den anderen nicht an.

„Ich gehe wieder trainieren!“ Grob packte Falkenauge ihn.

„Ich dachte wir hätten das bereits besprochen. Es wäre jetzt sinnlos. Geh lesen oder ruh dich aus. Glaub mir, selbst wenn du morgen nicht kämpfst, so wird es doch ein anstrengender Tag werden.“
 

-Mihawk-

„Nun komm, Lorenor. So schwer kann es doch nicht sein, ein Kleid anzuziehen.“

Sie waren noch gut in der Zeit, aber er wurde langsam ungeduldig. Sein Wildfang ließ ganz schön auf sich warten. Dieser Tag versprach eine reine Qual zu werden. Ungeduldig drückte er die Tür zum Gästezimmer auf, doch er konnte Widerstand fühlen. Der andere blockierte die Tür.

„Kannst du bitte Kanan holen?“, fragte der Pirat ungewöhnlich leise.

„Was ist denn los?“

„Es ist nichts, hol einfach Kanan!“ Seine Stimme war leicht gereizt, aber auch zaghaft. Eine beunruhigende Mischung.

Verwirrt rief er nach der Haushälterin. Vielleicht handelte es sich um weibliche Probleme, da wollte er sich wirklich nicht mit befassen. Das ehemalige Kindermädchen kam auf sein Rufen auch sofort und verschwand in dem Raum, der ihm verwehrt blieb. Er konnte einen leisen Aufschrei hören, gefolgt von eiligen Worten. Nur Sekunden später kam die Haushälterin wieder aus dem Zimmer und blitzte ihn wütend an. In der Hand das rosafarbene Kleid.

„Was ist denn mit ihr?“

Doch sie eilte nur an ihm vorbei.

„Es kann noch was dauern. Eure Ungeduld wird es nicht beschleunigen.“ Sie klang überaus erbost. Doch diesmal wusste er sicher, dass er nicht der Grund sein konnte. Mit einem leisen Grinsen ging er zurück in sein Schlafzimmer, um sein Schwert zu holen, bevor er sich im Wohnzimmer auf seinem Lieblingssessel niederließ und wartete. Er nutzte den Moment, um die Zeitung zu überfliegen.

Der Morgen war noch jung, aber sie hatten ja auch noch einen guten Weg vor sich.

Schließlich hörte er, wie endlich die Türe aufging. Kanan kam gefolgt von dem Grünschopf herein. Überrascht ließ er die Zeitung sinken. Das Mädchen trug ein hochgeschlossenes dunkelblaues Kleid mit langen Ärmeln. Eine silberne Kette mit einem einzelnen leuchten grünen Stein schmückte das schlichte Kleid. Das gleichfarbige Haar fiel offen über die Schultern, einzig und allein ein paar Strähnen wurden von einer silbernen Brosche zurückgehalten. Offensichtlich hatte Kanan ihren Gast auch dezent geschminkt. Dieser wirkte nun weniger wie ein unschuldiges Mädchen, sondern mehr wie eine junge Dame.

„Du siehst schön aus“, entkam es ihm schließlich auf den fordernden Blick des ehemaligen Kindermädchens. Der Pirat hatte den Blick gesenkt, es schien als wäre ihm das alles sehr unangenehm.

„Da siehst du. Sogar ihm gefällt es“, stimmte ihm die Haushälterin zu.

„Wir sollten dann auch los.“

Er erhob sich und folgte den beiden Damen in den Flur. Die ältere Frau holte aus der Küche einen silbergrauen Mantel und legte ihn dem Kind um.

„Wo haben Sie das alles nur her?“, murmelte er, während er selbst Mantel und Hut anzog und sein geliebtes Black Sword auf den Rücken schnallte.

Die Schwarzhaarige grinste ihn breit an.

„Natürlich bin ich, nachdem ich erfahren hatte, dass unser Gast länger bleibt, sofort einkaufen gefahren. Eine Dame muss genug Auswahl haben.“

Der Grünschopf hatte weiterhin den Kopf gesenkt und beteiligte sich am Gespräch nicht.

„So geben Sie also mein Geld aus?“

„Also zum einen ist es das Geld Eurer Familie und außerdem, was soll ich denn sonst den ganzen Tag tun?“

„Sollten wir nicht langsam los?“, meldete sich nun endlich der Pirat kleinlaut zu Wort.

„Du hast Recht, sonst kommen wir noch zu spät.“

Die Haushälterin begleitete sie bis zur Türe.

„Nun gut, dann viel Spaß ihr beiden und habt eine gute Reise.“

Ein spöttisches Lachen entglitt seiner Kehle, nachdem die Haustür zugefallen war.

„Sie tut so, als ob wir zu den heißen Quellen fahren würden.“

Der andere reagierte nicht.

„Wo bleibst du denn, Lorenor?“, fragend wandte er sich um.

Der Pirat im Kleid folgte ihm nur langsam durch den Wald.

„Bist du mal in Schuhen mit Absatz gelaufen? Es ist verdammt schwierig!“  

Seufzend wartete er, bis das Mädchen ihn eingeholt hatte, dann setzte er ihren Weg in einem gemäßigten Tempo fort.

„Du scheinst auf deine alten Tage weich zu werden“, kommentierte der Pirat böse.

Er ignorierte die Anspielung auf sein Alter und schritt einfach weiter. Doch sein Augenmerk lag doch mehr auf der Frau an seiner Seite, als er zugeben würde. Der junge Mann im Körper einer Frau sah sich aufmerksam um. Die großen grünen Augen begutachtete die Welt, als wäre er das erste Mal in seinem Leben außerhalb von steinernen Wänden. Nun ja, so falsch war der Gedanke gar nicht.

Sie passierten die Lichtung, auf der er den anderen vor wenigen Tagen gefunden hatte. Wenig später erreichten sie das Dorf. Der Jungspund war immer noch still, doch der Mund war leicht geöffnet, während die Haare im kalten Wind wehten.

„Hier bist du aufgewachsen?“, fragte er schließlich.

„Ja, dies ist das Dorf meiner Kindheit.“

„Es wirkt so ruhig.“

Langsam überquerten sie den Marktplatz.

„Es ist noch früh, zur Mittagszeit ist hier wesentlich mehr los.“

Unerwartet blieb seine Begleitung stehen. Er folgte seinem starren Blick. Vor ihnen lag das Meer, friedlich in den ersten Sonnenstrahlen.

„Wie gelangen wir nach Sadao?“, fragte die Stimme des Mädchens schließlich. Er erkannte allerdings, dass der junge Pirat seine eigentlichen Gedanken verbergen wollte.

„Natürlich per Schiff“, erklärte er und deutete auf den kurzen Steg, an dessen Ende sein Eigentum den Wellen trotzte.

„Das Sargboot“, entkam es dem Piraten. Nach wenigen Metern hatten sie das Boot erreicht.

„Mach es dir bequem. Ich kümmere mich um den Rest.“
 

-Zorro-

„Setz dich ruhig“, erklang die Stimme des Samurais hinter ihm.

Dieses Boot rief in ihm noch mehr Erinnerungen wach, als ihm lieb war. Damals hatte alles angefangen. Es war ihm beinahe unheimlich sich auf diesem Thron, als einzige Sitzmöglichkeit, niederzulassen. Nur kurze Zeit später gesellte sich der andere Schwertkämpfer zu ihm. Er verschränkte die Arme und stellte sich neben ihn. Das Schiff setzte sich in Bewegung. Er wollte aufstehen, doch Falkenauge legte ihm eine Hand auf die Schulter. Die Fahrt verging ohne dass auch nur einer von ihnen ein Wort wechselte. Nach einer Weile wurden ihm seine eigenen Gedanken jedoch zu wild.

„Sag mal, was passiert denn auf dieser Versammlung?“, fragte er ohne aufzusehen. Sein Blick folgte weiterhin der aufgehenden Sonne. Der Schwarzhaarige seufzte.

„Nichts Wichtiges. Nur Möchtegern-Politik. Hör es dir an, lächle nett und versuch nicht einzuschlafen.“

„Ist das dein Rat für mich oder für dich selbst?“, fragte er mit einem spöttischen Unterton nach.

„Sowohl als auch“, antwortete der andere tonlos, „Aber noch eine Kleinigkeit“, fügte Falkenauge  hinzu, „Dank Jirou werden vermutlich die Anwesenden davon ausgehen, dass wir uns sehr vertraut sind. Wenn du mich mit Falkenauge ansprichst, könnten manche misstrauisch werden, zumal mich hauptsächlich Piraten so nennen.“

Zweifelnd sah er den Mann neben sich an.

„Glaub ja nicht, dass ich dich mit mein Herr oder sowas anspreche, wie Kanan.“

Die gelben Augen blitzten belustigt auf.

„Auch keine schlechte Idee, allerdings würde das wohl nicht weniger merkwürdig erscheinen. Nenn mich ab jetzt Dulacre.“

Einen Moment wurde es ruhig, er verschränkte die Arme.

„Das hört sich fast so an, als wären wir keine Feinde mehr“, flüsterte er, unsicher ob der andere sich über ihn lustig machte.

„Nein, da hast du Recht“, erwiderte dieser, jedoch ohne Spott oder Hohn in der Stimme.

„Aber da ich dich bereits nackt und betrunken gesehen habe, könnte man auch sagen, dass wir fast so etwas wie Bekannte sind.“

„Ja, das könnte man sagen, Dulacre.“

Dann konnte er die Insel vor sich ausmachen.

Es war so seltsam, dieser Moment, dieser Ort. Er war ein Pirat. War sein Leben lang ein Außenseiter. Einer, bei dem man die Straßenseite wechselte, wenn man ihn sah. Ein Mann, der in anderen Panik oder Abscheu hervorrief. Nun aber saß er hier in diesem Kleid, frisiert und geschminkt auf dem Weg zu einer Versammlung zu der er eingeladen wurde. Es war kein Leben, das er führen wollte.

Doch er würde mitspielen, so wie er dem Konteradmiral etwas vorgemacht hatte. Nur so würde er zurzeit überleben. Als der Hafen in Sicht kam rief er sich Namis allerliebstes Lächeln in Erinnerung und imitierte dies. Er stand tief in der Schuld des Samurais, und wenn er nur ein bisschen dadurch begleichen konnte, dass er ihn heute gut dastehen ließ, dann war es das wert. Allerdings waren die Schuhe eine echte Bestrafung.  

„Was tust du da?“, murrte Falkenauge neben ihm.

„Ich bereite mich darauf vor, mich wie ein Fräulein zu verhalten“, knurrte er abfällig zurück.

Zu seiner Überraschung fing der Samurai lauthals an zu lachen, ließ seine Schulter los und hielt sich den Bauch. „Wenn du die Leute gleich so anfletschst, laufen die schreiend davon!“

„Halt die Klappe!“ Böse sah er zu dem anderen auf, doch dieser grinste nur breit.

„Dieser Blick steht dir schon viel besser.“  

Mittlerweile konnte er die ersten Personen ausmachen, die scheinbar auf sie warteten. Falkenauge griff wieder seine Schulter, er versuchte nicht auszuweichen. Wie viel lieber wäre er jetzt im Trainingsraum. Diese Scharade gehörte nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Wenn er nur wüsste, wie der andere das Boot lenkte, dann wäre es vielleicht eine Möglichkeit, um zu seinen Freunden zu kommen. Aber den Gedanken verwarf er sogleich wieder. Er wusste, dass der Plan, den Falkenauge vorgeschlagen hatte, der Vernünftigste war.

„Wie hast du das denn eigentlich mit Jirou hinbekommen?“

„Was meinst du?“

Der Samurai grinste:

„Als er da war, hast du dich plötzlich total verändert und ihn einfach um den Finger gewickelt, als wärest du eine Meisterin in der Kunst des Verführens. Ich hab dich gar nicht wieder erkannt.“

Zorro wurde nachdenklich. Der andere hatte Recht. Es war ihm ganz leicht gefallen.

„Ich hab einfach reagiert. Ich hab gedacht: Wie würde Nami wohl handeln? Und hab dann einfach geredet.“

Der Schwarzhaarige antwortete nicht mehr, sondern starrte stur auf den Strand, dort waren ein großer Mann und eine etwas kleinere Frau nun deutlich zu erkennen.

Der Mann im dunkelblauen Anzug winkte ihnen großzügig zu, dann stieß die Frau neben ihm den Ellenbogen in seine Seite und tadelte ihn mit erhobenem Zeigefinger. Das Sargboot erreichte währenddessen den Landesteg und Falkenauge sprang elegant über die kurze Distanz hinweg und sicherte augenblicklich das Boot. Er selber blieb sitzen wie schon beim Ablegen. Die beiden, die sie bereits erwartet hatten, kamen mit großen Schritten auf sie zu. Der Samurai hatte derweil seine Arbeit erledigt und reichte ihm die Hand. Ihm gefiel das alles sowas von überhaupt nicht. Aber er würde sich anpassen müssen, außerdem war er in diesen Schuhen wirklich auf Hilfe angewiesen.

„Mihawk! Was für eine Freude Sie zu sehen. Vielen Dank, dass Sie meiner Einladung nachgekommen sind, obwohl es so kurzfristig war.“

Der große Mann mit den Wikingerzöpfen erreichte sie freudestrahlend.

„Wenn ich vorstellen darf. Meine bessere Hälfte, Koumyou Seira.“

Die Frau an seiner Seite verbeugte sich sachte, ehe Falkenauge ihre Hand nahm.

„Ich freue mich, Sie wiederzusehen. Es ist lange her.“

Sie nickte:

„In der Tat, Herr Mihawk.“

Ihr strenger Dutt aus silbergrauem Haar, sowie der schwere schwarze Mantel und ihre kühle Stimme gaben Zorro eine Gänsehaut. Diese Frau hatte die Zügel in der Hand. In diesem Moment riss der Mann mit der Bärenstimme ihn an sich.

„Und Sie müssen Loreen sein. Ich war ja so gespannt Sie kennen zu lernen, Cho hat ja so viel…“

„Tenkai!“, keifte die Frau neben ihm wütend und schlug ihm auf die Finger, „Benimm dich, so kannst du doch keine Dame ansprechen. Du verschreckst sie ja!“

Energisch zog sie ihren Mann zurück und verneigte sich.

„Es tut mir leid, junge Dame. Mein Mann mag zwar der Bürgermeister Sasakis sein, aber trotzdem muss man ihn immer wieder daran erinnern.“

Zorro lächelte leicht gezwungen und neigte ebenfalls den Kopf. Diese Frau erinnerte ihn irgendwie an Kanan.

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich freue mich, hier zu sein und bedanke mich herzlich für Ihre Einladung.“

Unerwartet spürte er den starken Arm Falkenauges um seine Schultern, doch er widerstand dem Drang weg zu weichen.

„Wenn ich vorstellen darf: Lady Loreen. Sie ist zurzeit mein Gast, wie Sie sicherlich von Konteradmiral Cho erfahren haben“, sprach er mit ruhiger Stimme. Diese Situation war wirklich seltsam.
 

Mit langsamen Schritten ging die kleine Gruppe den Steg entlang. Der Bürgermeister nutzte die Zeit, um Falkenauge in die wichtigsten Themen einzuführen, die in der Versammlung besprochen werden würden. Dabei bedankte er sich immer wieder, dass sie der Einladung gefolgt waren, da er als Bürgermeister von Sasaki nur wenig Einfluss auf die anderen Inseln habe.

„Sie wissen aber, dass Loreen und ich nur als Zuschauer hier sind?“

„Natürlich, natürlich“, antwortete der ältere Mann sofort und klopfte dem Samurai auf den Unterarm, „Aber alleine Ihre Anwesenheit als Samurai kann Sasakis Position entsprechende Unterstützung bieten.“

„Das heißt, Sie wollen gar nicht am Frauenkaffee teilnehmen?“, sprach ihn unvermittelt die Frau des Bürgermeisters an. Zorro hatte keine Ahnung wovon sie sprach.

„Ähm…“ Alle Augen lagen nun auf ihm, was es nicht gerade einfacher machte. „Also, wenn möglich, würde ich sehr gerne an der Versammlung teilnehmen, natürlich nur als Zuschauer. Überschneidet sich das mit dem Kaffee?“  

Die Dame nahm seine Hand.

„So ein engagiertes und wissbegieriges Mädchen.“

„Aha, ähm danke?“ Irgendwas, was er gesagt hatte, musste wohl richtig gewesen sein.

„Tenkai, ich finde die Idee unseres Gastes prächtig. Ich denke, ich werde auch an der Versammlung teilnehmen.“

„Ach, wirklich Schatz?“, kommentierte der großgewachsene Mann mit gespielter Begeisterung, „Das ist ja ganz ausgezeichnet.“
 

Kurze Zeit später stand Zorro in einem Pulk von Menschen, die alle wild umher redeten.

Falkenauge hatte er schon kurz nach ihrer Ankunft aus den Augen verloren, als Frau Koumyou ihn mit sich geschleppt hatte. Sie stellte ihm alle möglichen Leute vor. Dorfpolitiker, Unternehmer und unbedeutendere Persönlichkeiten der Marine. Er konnte sich keinen einzigen Namen merken. Sie alle fragten wenig und redeten viel, meistens über Geld und wirtschaftliche Faktoren, die es heute zu besprechen galt. Hauptsächlich Männer waren anwesend, was seiner Begleitung offensichtlich gut gefiel, als sie ihm den Mantel abnahm und ihren eigenen ebenfalls weg hing.

„Alle Aufmerksamkeit wird auf uns ruhen, Schätzchen“, erklärte sie hocherfreut. Ihr mintgrünes Kleid mit blauen Applikationen schimmerte bei jeder Bewegung, „Und wir sehen aus, als hätten wir uns farblich abgestimmt“, entkam es ihr noch feuriger, während sie seine Hand griff, „Meine Freundinnen sind jetzt alle beim Kaffee, aber Sie hatten Recht, Loreen. Das hier macht so viel mehr Spaß.“

Er nickte nur, denn für ihn war die Situation eher zum Schreien. Seine Füße taten ihm bereits jetzt weh und er fühlte sich fast wie eine preisgekrönte Milchkuh, so wie einige der Umstehenden ihn begutachteten. Hilflos blickte er sich suchend nach dem Samurai um, doch er konnte ihn nirgends ausmachen. Dieser Tag schien eine reine Folter zu werden.

„Loreen!“ Zu seiner Rechten schälte sich plötzlich ein hochgewachsener Blondschopf in braunem Anzug aus der Menge.

„Jiroushin.“

Endlich jemand, den er kannte. Wer hätte gedacht, dass er jemals so erleichtert sein würde, wenn er jemanden aus der Marine treffen würde.

Der Konteradmiral gesellte sich zu ihnen und verneigte sich vor der Frau des Bürgermeisters ehe er sich wieder ihm zuwandte.  

„Freut mich, dich zu sehen“, sagte er und reichte ihm seine Hand. Etwas überrumpelt schüttelte der Pirat die Hand des Marinemanns.

„Ich freue mich auch. Aber ich habe dich gar nicht hier erwartet. Vertrittst du die Marine?“ Der Blondschopf schüttelte den Kopf.

„Nein, nein. Ich bin zusammen mit unserer Bürgermeisterin als Vertreter für Sadao hier.“

Er deutete auf eine kahlköpfige Person in einem feuerroten Anzug. Für eine Sekunde versuchte Zorro hinter dem Glatzkopf eine Frau zu erhaschen, doch dann erkannte er, dass dieser Glatzkopf selber eine Frau war. Diese wandte sich zu ihnen um und kam dann eilig auf sie zu. Sie schien noch recht jung zu sein, doch auffällig waren ihre Augen. Eines dunkelblau, das andere leuchtend rot.

„Herr Cho. Wenn ich bitten dürfte. Wir sind spät dran.“ Erst dann schien sie ihn und die Frau des Bürgermeisters neben ihm zu bemerken und verbeugte sich rasch.

„Frau Koumyou, eine Ehre Sie hier zu sehen.“

Ein lauter Gongschlag brachte das herrschende Gerede zum Erliegen.

„Meine Damen und Herren. Bitte begeben Sie sich zu ihren Plätzen.“

„Komm Loreen.“ Schon packte die ältere Dame ihn am Handgelenk und zog ihn mit sich. Über seine eigenen Füße stolpernd folgte er ihr.

„Wo gehen wir hin?“

Sie blieb nicht stehen.

„Egal. Hauptsache wir sitzen nicht in der Nähe von dieser blöden Schnepfe Mifa!“

Dann erreichten sie den Versammlungsraum, einen großen Saal mit einem riesigen Runden Tisch, wo locker dreißig Mann sitzen konnten. Dahinter waren noch mehrere Reihen Zuschauerränge.

„Meinen Sie die Bürgermeisterin von Sadao?“, fragte er, während Frau Koumyou ihn auf einen Stuhl in der zweiten Reihe drückte. Sie warf sich neben ihn.

„Genau. Eine furchtbar unhöfliche Person. Aber das hab ich nie gesagt!“, sagte sie und beugte sich so nahe zu ihm, dass er den Geruch von Minze vernehmen konnte. Ihre dunklen Augen waren ernst.

„Was ich hier erzähle, muss unter uns bleiben, meine Liebe.“

Er nickte zügig, während sich die Stühle um sie herum füllten. Dann flüsterte die Dame in sein Ohr, ohne dass er gefragt hatte:

„Sie ist nur durch ihre Familie in dieser Position und sie ist allen Vertretern Sasakis gegenüber total unfreundlich.“

„Aha…“, murmelte er etwas unwohl, da es langsam um sie herum ruhig wurde.

„Ja, und das nur, weil Sasaki mit Abstand den meisten Einfluss hat. Ich meine, wir sind ja auch schließlich das Bindeglied zum Sabaody Archipel und somit zur Neuen Welt!“  

„Aber kommt Jiroushin nicht aus Sasaki?“

Warum hatte er gefragt? Verdammt. Und hatte der Bürgermeister eben nicht noch gesagt, wie unbedeutend Sasaki war? Das hörte sich aber nun doch ganz anders an.

„Das stimmt, aber er hat die Tante von Mifa geheiratet, daher gehört er zur Familie. Woher kennen Sie Herrn Cho eigentlich?“

Ihr bohrender Blick war ihm deutlich zu neugierig.

„Über Fal...Dulacre. Sie sind Kindheitsfreunde, soweit ich weiß.“

„Wenn ich um Ruhe bitten dürfte“, erklang eine herrische Stimme.

Zorro, und zum Glück auch die Frau neben ihm, richteten ihre Aufmerksamkeit auf die große Tafel in der Mitte. Am anderen Ende saß ein uralter schrumpeliger Mann mit Ziegenbart und Sonnenbrille.

„Das ist Rishou Eizen. Er ist vom Marinehauptquartier und der Moderator dieser Versammlung. Er gehört zu den einflussreichsten Politikern der Welt und alleine mit ihm an einem Tisch zu sitzen bedeutet einen Sprung auf dem Karrierebrett“, flüsterte die Frau des Bürgermeisters.

Dieser saß direkt neben eben jenem wichtigen Mann. Zu anderen Seite des Bürgermeisters saß Falkenauge, dessen Hut höflich an der Stuhllehne hing, während er selber einen interessierten Gesichtsausdruck aufgelegt hatte. Sein Schwert lehnte an der Wand wie ein unbeteiligter Zuhörer. Es war ihm befremdlich, wie wichtig der eigentliche Pirat anscheinend in der Politik war. Nicht nur, dass er eingeladen wurde, sondern auch sein Sitzplatz unterstrich, dass er deutlich mehr war, als ein Pirat.

Auch der Kommentar des Bürgermeisters schien nur minimal untertrieben. Die Vertreter Sasakis schienen hier eine ganz einflussreiche Rolle zu spielen. Zur linken des Politikers saß ein junger Mann, der ein Goldfischglas auf dem Kopf trug. Er wirkte ziemlich blasiert mit seiner braunen Tolle, die wie ein schiefer Turm aufgerichtet war.

„Und wer ist der Mann zu seiner Rechten?“, fragte er nun leise seine Sitznachbarin. Diese sah ihn erschrocken an.

„Nicht hingucken!“

Dann zog sie ihm am Ohr zu sich und flüsterte so leise, dass er kaum ein Wort verstehen konnte.

„Das ist Sankt Hazel. Er ist ein Weltaristokrat! Er nimmt immer an der Hauptversammlung teil und das, obwohl er taub ist. Was natürlich niemand weiß.“

Energisch hielt sie weiterhin sein Ohr. „Deswegen darf man ihn auf gar keinen Fall ansehen. Ihm ist egal, was hier diskutiert wird. Es geht ihm nur darum, so zu tun, als würde er am weltlichen Geschehen teilnehmen. Noch nie hat er wirklich mitgemacht, nur einmal hat er einen Mann töten lassen. Egal was er macht, sitzen bleiben und nicht zu ihm gucken, ansonsten könnte man sein nächster Sklave werden.“

Er nickte stumm, etwas erschrocken, dass ein so ärmliches Hemdlein diese Frau in Panik versetzen konnte.

Der Alte in der Mitte erhob das Wort.

„Wir wollen somit beginnen. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich. Zu aller erst bitte ich Sie unserem Gast die gebührende Ehre zukommen zu lassen.“

Wie auf Kommando standen alle Anwesenden auf und verbeugten sich vor dem Mann im Taucheranzug. Schnell folgte er den Bewegungen der anderen, die alle irgendetwas Komisches murmelten wie ein Gebet. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, dass sogar Falkenauge aufgestanden war und den Kopf minimal gesenkt hatte. Selbst der uralte Politiker hatte sich verbeugt. Einige andere knieten sogar auf dem Boden und drückten ihre Stirn gegen den kalten Stein. Nach gefühlten fünf Minuten nickte der Weltaristokrat mit einem herablassenden Wink. Erst danach richteten sich die anderen auf und nahmen wieder Platz.

Die Sonnenbrille räusperte sich.

„Vielen Dank, dass Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beehrt, mein Herr!“

Das Fischglas reagierte gar nicht.

„Ergänzend möchte ich einen weiteren Gast begrüßen. Willkommen Mihawk Dulacre, Sohn des Mihawk Gat und einer der sieben Samurai der Meere.“

Höflicher Applaus erfüllte den Raum während der Angesprochene leicht den Kopf senkte zum Dank.

„Das erste Mal seit über 25 Jahren dürfen wir einen Nachfahren Mihawk Yakumos in unseren Reihen willkommen heißen. Dem Mann, der unsere Inseln besiedelt und unsere Gemeinschaft gegründet hat.“

Nun wurde der Applaus doch etwas wärmer, ehe der Moderator mit einer Handbewegung für Ruhe sorgte.

„Nun denn, jetzt da wir die Formalien geklärt haben, möchten wir uns dem nächsten Punkt auf der Tagesordnung widmen. Das Thema Fischfang wurde ja bei unserer letzten Zusammenkunft schon angesprochen, da in den Statistiken ein herber Rückgang zu verzeichnen war. Herr Ginkaku hat weitere Informationen für uns.“

Ein bärtiger Mann mit schütterem Haar erhob sich und fing an zu sprechen, doch Zorros Aufmerksamkeit war bereits verflogen. Er hatte erwartet, dass es hier um wichtige politische Dinge ging, nachdem der Samurai, die Haushälterin und alle anderen hier so getan hatten, als würde es hier um Leben oder Tod gehen. Er hatte erwartet, dass es um politische weltbewegende Entscheidungen gehen würde, nachdem erst irgendein einflussreicher Politiker hier aufgetaucht war und dann auch noch einem Mann im Fischglas von allen gehuldigt wurde. Doch am Ende ging es hier um Fischfang?! Seine Gedanken schweiften ab.

Kapitel 10 - Der Streit

Kapitel 10 – Der Streit

 

-Zorro-

Langsam ließ er seinen Blick durch die Menge gleiten, während verschiedene Leute sich zu Wort meldeten. Jiroushin saß einige Plätze vom Samurai entfernt, direkt neben seiner glatzköpfigen Bürgermeisterin, die nun in diesem Moment aufstand und mit harten Worten und knappen Sätzen ihre Meinung kundtat. Der Konteradmiral hatte einen höflichen Gesichtsausdruck aufgesetzt, doch er schien leicht erzürnt, ganz im Gegensatz zum Samurai, der eher gelangweilt als alles andere wirkte. Das konnte er schon eher nachvollziehen. Vielleicht hätte er doch zu diesem Frauenkaffee gehen sollen anstatt sich hier öde Vorträge von alten Männern anzuhören.

Moment mal! Nein, lieber langweilige Reden über Fische als Klatsch und Tratsch mit Frauen, die am Ende seine Haare flechten wollten. Wenn er sich anstrengte, könnte er möglicherweise mit offenen Augen schlafen, das wäre doch gar keine schlechte Idee.

In diesem Moment erweckte ein entstehender Tumult seine Aufmerksamkeit. Mehrere Leute am Runden Tisch vor ihm waren aufgestanden, ihre Stimmen wurden immer lauter und versuchten sich zu übertönen.

„… keine Lösung. Wir haben das schon die letzten vier Sitzungen besprochen“, knurrte ein junger Mann im perfekt sitzenden Nadelstreifenanzug und pochte auf den Tisch.

Die Bürgermeistern Mifa unterbrach ihn grob:

„Nur weil Sie sich den Kopf nicht zerbrechen wollen, heißt das nicht, dass es keine Mittel und Wege gibt.“

Die einzige andere Frau am Tisch, die neben dem Weltaristokraten saß, erhob sich und es wurde etwas ruhiger. Ihre dunklen mandelförmigen Augen lagen auf den Unterlagen, die sie in der Hand hielt.

„Laut unseren Verträgen ist es mir rechtlich nicht ersichtlich, wie wir unseren Vertragspartnern weitere Voraussetzungen aufbürden wollen. Die vertraglichen Vereinbarungen sind eindeutig.“

Nun wurde es nur noch lauter. Der einzige am Tisch, der weiterhin noch kein Wort gesagt hatte, war Falkenauge, der genauso gut hätte schlafen können, so desinteressiert blickte er drein. Der Bürgermeister an seiner Seite hatte sich mittlerweile aus dem Tumult zurückgezogen, da ein vernünftiger Wortwechsel nicht mehr möglich schien.

„Was ist denn das Problem?“, fragte Zorro nun erneut die Dame neben sich.

Die Frau des Bürgermeisters seufzte schwer.

„Es ist ein altbekanntes Problem, dass wir hier haben. Durch unsere Nähe sowohl zum Sabaody Archipel als auch zur Weltregierung unterliegt unsere Wirtschaft starken Einflüssen. Die Weltregierung zum einen kontrolliert unsere Firmen unglaublich genau, da sie großen Einfluss auf die restliche Handelspolitik auf der ganzen Welt haben. Über das Sabaody Archipel auf der anderen Seite erhalten wir unsere meisten Wirtschaftspartner. Doch dadurch, dass dort viele Gesetze…“, sie zögerte einen Moment, ehe sie weiter flüsterte, „Sagen wir einfach, auf dem Archipel ist mehr erlaubt als überall sonst auf der Welt. Und wir sitzen in der Zwickmühle.“

Er verstand das Problem immer noch nicht.

„Wieso?“ Für ihn hörte sich das so an, als ob diese Inseln großen wirtschaftlichen Einfluss hatten. Es gab schlimmeres, worüber man sich aufregen konnte, keine florierende Wirtschaft zum Beispiel, verhungernde Menschen, Kriege.

„Die Weltregierung verbietet uns jegliche Unterstützung von rechtswidrigen Firmen, aber wenn wir nicht mit den Unternehmen des Archipels zusammenarbeiten und ihnen nicht weiterhin Ware liefern, würde unsere Industriestärke um über 80% Einbuße hinnehmen müssen. Doch diese stellen ihre eigenen Produkte hauptsächlich durch Sklavenarbeit her. Solange wir deren Produkte kaufen, unterstützten wir also die Sklaverei. Es ist ein Teufelskreis“, murmelte sie bedrückt,

„Bisher haben wir versucht unsere Handelspartner durch vertragliche Bedingungen von dem erhöhten Einsatz von Sklaven abzubringen, aber wie gesagt, sie befinden sich im rechtsfreien Raum. Wir können nicht wirklich was dagegen tun. Am Ende sind wir die Verlierer.“

Immer noch verstand Zorro nicht wirklich. Er verstand sich nicht auf Marktwirtschaft und wusste nicht, warum man Dinge von jemandem kaufte, die man nicht haben wollte.

„Und wenn man einfach Produkte bei anderen kaufen würde? Man könnte ja weiterhin an die Menschen vom Sabaody Archipel verkaufen, das ist ja kein Verbrechen, aber einfach von anderen, nicht straftätigen Firmen die Produkte erwerben, oder etwa nicht?“

Die Frau des Bürgermeisters starrte ihn einen Moment durchdringend an. Er hatte halt keine Ahnung, weder von Politik noch von der Handelswelt und erst recht nicht von rechtlichen Fragen. Aber warum hatte er auch den Mund aufmachen müssen? Falkenauge hatte ihn gewarnt. Hatte ihm gesagt, dass er nur zuschauen sollte und nun würde er es doch noch ins Peinliche ziehen. Er war ja so gut in solchen Sachen.

Eigentlich wollte er durch seine Anwesenheit die Schuld bei dem anderen Schwertkämpfer senken, aber wenn Frau Koumyou ihn für ungebildet hielt, würde er das wohl kaum schaffen.

Die Frau im grünen Kleid war aufgestanden. Es wurde immer besser, jetzt würde sie ihn vor allen Anwesenden lächerlich machen.

„Eine fabelhafte Idee!“  

Augenblicklich wurde es still, als sie ihre Stimme erhob. Alle starrten sie an, einschließlich des Mannes im Fischglas. Nun gut, viel schlimmer konnte es jetzt auch nicht mehr kommen.

„Frau Koumyou. Haben Sie als Zuschauerin etwas beizutragen?“, fragte der halbtote Gesprächsführer am entfernten Ende des Tisches zynisch. Doch davon ließ sie sich nicht beirren.

„Diese junge Frau hier hat in bescheidenen Worten eine mögliche Lösung für unser Problem dargeboten. Während wir unnötig verschachtelte Wege der Rechtswissenschaften in Kauf genommen haben, war sie gradlinig in der Lage, das zu erkennen, was unsere besten Wirtschaftsforscher nicht sehen konnten.“

Alle starrten ihn an. Doch, es konnte schlimmer kommen.

Was hatte er gerade getan?

Er verstand kaum ein Wort von dem, was diese Frau von sich gab. Ihm wurde abwechselnd kalt und heiß, er hatte keine Ahnung von dem was sie sagte. Er verstand ja noch nicht einmal das eigentliche Problem der Inseln.

„Möchte die junge Dame uns ihre Idee mitteilen?“, fragte das Fossil noch eine Spur kälter.

Er schüttelte schnell und etwas panisch den Kopf, einige Männer hinter ihm lachten, doch sie verstummten urplötzlich. Ihm wurde bewusst, dass der Blick des Samurais auf sie gerichtet war. Zu seiner Überraschung lächelte die immer noch stehende Frau neben ihm nur leicht.

„Wie Sie sehen ist meine Begleitung, Lady Loreen, zu gut erzogen um vor der Anwesenheit so hochrangiger Persönlichkeiten wie Ihnen das Wort zu ergreifen. Erlaubt mir, die Gedanken der jungen Dame Ihnen vorzutragen.“

Alle Blicke richteten sich nun auf den alten Mann. Dieser wandte sich dem Weltaristokraten zu, der bis dato seine eigenen Fingernägel begutachtete. Ein bisher unbemerkter Schrank von einem Kerl der hinter ihm stand beugte sich zu ihm herab und nickte dann schließlich dem Moderator zu. Offensichtlich war der Taucher zu wichtig, um selbst mit ihnen zu kommunizieren.

„In Ordnung. Treten Sie bitte hervor und erzählen Sie uns was die junge Dame für eine besondere Idee hatte.“

Mit großen Schritten ging die Frau im grünen Kleid zum Tisch und verbeugte sich knapp.

„Vielen Dank. Die junge Dame heißt im Übrigen Lady Loreen. Möglicherweise möchten Sie diesen Namen in Erinnerung behalten. Die Idee ist sowohl simpel als auch genial. Sie werden mir in wenigen Sekunden zustimmen.“ Und dann begann sie zu sprechen.

Die Rede, die sie führte, erinnerte Zorro kaum an die einfachen Worte, die er gedankenlos von sich gegeben hatte und unzählige Begriffe verstand er nicht. Doch alles was ihm plötzlich bewusst war, waren diese stechenden gelben Augen, die nur auf ihm ruhten.
 

-Mihawk-

Er war erstarrt, als Seira Koumyou aufgestanden war und alle Aufmerksamkeit im Raum auf den verfluchten Piraten gerichtet hatte. Was hatte dieses unachtsame Kind nun wieder angestellt? Nur mit halbem Ohr verfolgte er die minutenlange Ausführung der Rednerin während sein Blick auf seinem Wildfang lag.

Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Seine Sorgen wurden von unerwartetem Applaus unterbrochen und er wandte sich wieder der Frau des Bürgermeisters zu, die selbstbewusst lächelte. Ein altbekannter Geschäftsführer war unerwartet aufgestanden.

„Das ist unüberlegter Mumpitz. Mir scheint, weder Sie noch ihre junge Begleitung haben Fachwissen über die Komplexität eines Unternehmens. Als könnten wir einfach unsere Handelspartner wechseln und bedenken Sie die Mehrkosten. Wenn Sie so etwas…“

Er verstummte auf Geheiß des Moderators, die Angegriffene widersprach jedoch wortgewandt.

„Natürlich sind diese Gedankengänge noch nicht ausgereift, dafür war im Eifer des Gefechts noch keine Zeit und trotzdem erscheint mir diese Idee als umsetzbarer, als alles, was Sie und Ihre Wirtschaftshunde bisher entworfen haben.“

„Es reicht.“

Die monotone Stimme des Fossils brachte alle zum Verstummen.

„Ich habe genug gehört. Meine werte Dame, setzen Sie sich wieder.“

Über das fiese Grinsen des Unternehmers hinweg, begab sich Frau Koumyou wieder auf ihren Platz. Erst dann erhob Eizen wieder das Wort und richtete es an Frau Rihaku, die stumm neben dem Weltaristokraten saß und aussah, als würde sie nur darauf warten, von einem Künstler gemalt zu werden.

„Überprüfen Sie die Verträge und alle Handelsrechte darauf, ob eine Umsetzung dieses unkonventionellen Einfalls möglich ist ohne dass einer unserer Vertragspartner eine Klage erheben könnte.“

Die Angesprochene nickte. Zufrieden faltete der Wortführer die Hände.

„Damit ist dieser Tagespunkt für heute abgeschlossen. Sie alle werden schnellstmöglich über das Ergebnis unserer Nachforschungen informiert.“

Der Geschäftsführer öffnete empört den Mund:

„Diese Diskussion ist noch nicht beigelegt!“ Kalt lächelte der Mann neben dem Weltaristokraten.

„Doch, das ist sie. Nächstes Thema: Die Verbindung der fünf großen Inseln Sasaki, Sadao, Suzono, Saure und Suzuki durch einen Seezug. Kosten und Nutzen im Vergleich.“

Die angespannte Stimmung legte sich schnell und so sank Dulacres Aufmerksamkeit wieder auf einen ungeahnten Tiefpunkt, während sein Blick weiterhin auf seinem Wildfang lag.

„Geistreich und gewitzt.“

„Wie bitte?“, wandte er sich fragend an den Bürgermeister, der lächelnd neben ihm saß.

„Ihr Gast. Sie mag zwar noch jung und etwas naiv sein, aber das scheint sie durch Weltoffenheit und Gewitztheit auszugleichen. Wahrlich eine faszinierende junge Frau und ein guter Fang würde ich meinen“, murmelte der Ältere leise und klopfte ihm auf den Unterarm.

„Wie meinen Sie das?“, fragte er zu schnell und fast auch schon laut genug, um von den anderen gehört zu werden, „Ich bin nicht… wir sind nicht…“  stammelte er und spürte wie das Blut in seinen Kopf schoss.

„Keine Sorge. Geben Sie einfach nur gut auf Ihren Gast Acht. Hier gibt es einige gierige Augen und wer weiß, am Ende findet sie vielleicht jemanden, der sie nicht so feindlich ansieht.“

„Ich habe keine Ahnung wovon…“

Koumyou lehnte sich gegen sein Ohr. „Dulacre, wir wissen beide, dass dir das Mädchen wichtig ist, so wie du über sie wachst. Aber wenn du sie wie einen Fußabtreter behandelst, wird sie dich verlassen. Frauen möchten wie Damen behandelt werden.“

„Wie bitte?“ Mit polterndem Stuhl war er aufgestanden. Alle starrten ihn an.

„Herr Mihawk. Möchten Sie etwas beitragen?“, wurde er höflich vom Moderator angefragt.

Zu seinem Glück stand Jiroushin ebenfalls auf, ehe er auch nur erahnen konnte, in welches Gespräch er sich eingebracht hatte.

„Ich stimme Herrn Mihawk zu. Dieses Konzept ist viel zu kurzfristig gedacht. Bitte denken Sie auch an die Generationen, die nach uns kommen, sollen sie für unsere Gier nach Luxus büßen?“

Der Konteradmiral sprach weiter, sodass die Aufmerksamkeit auf diesem lag und er selbst nur schnell seinen Stuhl aufhob und wieder Platz nahm, während er seinen heruntergefallenen Hut auf den Tisch legte.

Der Bürgermeister zu seiner Linken verbarg ein Lächeln hinter seinen gefalteten Händen.

„Es ist ganz anders!“, zischte er den Älteren an.

„Jaja, das sagen sie immer“, antwortete dieser nur ruhig.

„Nein wirklich! Sie ist keine typische Dame, die erobert werden will. Wer hat Ihnen sowas erzählt?“

Sein Gesprächspartner zuckte mit den Achseln.

„Unser lieber Herr Cho war sehr gesprächig. Aber nur weil eine Dame sagt, dass sie nicht umworben werden will, heißt das noch lange nicht, dass das auch die Wahrheit ist.“

Schon lange hatten die beiden das Gespräch der Versammlung gedanklich verlassen. Er schüttelte den Kopf und schaute zu dem Mädchen herab, welches aufmerksam der Frau des Bürgermeisters lauschte und dabei den Redner im Blick hielt.

„Und selbst wenn…“, seufzte er schließlich, „Sie wird mich so oder so verlassen.“

Dessen konnte er sich zum Glück sicher sein. Schließlich suchte der andere seine Freunde, seine Familie, und er war nur das Kindermädchen…
 

Die Versammlung ging noch mehrere Stunden, ehe der Moderator mit der Sonnenbrille sie auf Geheiß des Weltaristokraten beendete, obwohl die meisten Anwesenden noch mitten in einer Diskussion über eine Steuererhöhung steckten. Der mächtigste Mann des Raumes war wenige Sekunden später bereits verschwunden. Erst dann erhoben sich auch die Übrigen.

Überraschend viele Unternehmer wandten sich ihm zu. Dulacre hatte geglaubt, dass sie ihm alle aus dem Weg gehen würden, doch manche bedankten sich begeistert für sein beherztes Eingreifen in der Diskussion, an die er sich nicht mal mehr erinnern konnte.

Der Bürgermeister an seiner Seite verstrickte ihn immer wieder in mehr oder minder interessante Unterhaltungen. Offensichtlich hoch erfreut darüber, einen Samurai an seiner Seite zu haben. Nur langsam kamen sie durch die Menge.

„Mir scheint unsere Damen sind gute Freunde geworden“, neckte der Bürgermeister und deute nach vorne. Genau in diesem Moment erhellte ein sanftes Lachen den vollen Raum und die umliegenden Gespräche über Geld und Macht wurden leiser.

Dort in der Mitte, umgeben von dutzenden Menschen, stand die junge Frau im dunkelblauen Kleid mit einem etwas unbeholfenen Lächeln, während ein Mann mit Brille ihre Hand in seine nahm und begeistert auf sie einredete. Sie antwortete leise, so dass alle Umstehenden noch ruhiger wurden. Der ungehobelte Piratenjäger schien eine unglaubliche Wirkung auf die frevelhaften Wichtigtuer zu haben.

Mit großen Schritten bahnte Dulacre sich einen Weg durch die Anzugträger, die sofort abweisend zur Seite wischen, sobald sie ihn erkannten. Je näher er kam, desto besser konnte er die Stimme seines Gastes vernehmen.

„…freut mich außerordentlich. Ich muss noch viel lernen, aber Ihr Lob bedeutet mir viel.“

„Loreen.“

Einige sahen überrascht und erbost zu ihm auf, während er sich in ihre unterhaltsame Runde mischte. Als Pirat war er in ihrer Mitte letzten Endes nicht willkommen. Titel des Samurais hin oder her.

„Dulacre!“, begrüßte ihn der verzauberte Pirat aber besonders freudestrahlend und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. Er spielte seine Rolle fast zu gut.

„Darf ich dir Herrn Souzin vorstellen? Er ist Bürgermeister von der Insel Sarue.“

Der Brillenträger reichte ihm die Hand mit einem leichten Zittern. Seine angegrauten schwarzen Haare und die eng zusammenstehenden Augen gaben ihm etwas Ernstes.

„Sie haben eine außergewöhnliche Gattin, mein Herr.“

Er schüttelte die Hand des Anderen eine Spur zu stark, doch die Frau an seiner Seite lachte nur, wenn auch höher als für gewöhnlich.

„Nein, Sie missverstehen Herr Souzin. Ich bin nur…“ Hastig brach der Pirat ab.

„Sie ist meine Begleitung und Sie haben Recht. Sie ist eine wahre Bereicherung.“  

Nun brachte sich Frau Koumyou ein.

„Shoun, du solltest die beiden unbedingt mal nach Sarue einladen.“

Der wohl vertraute Bürgermeister nickte. „Eine gute Idee, Seira.“

„Bring mich hier aus. Meine Füße sterben gleich ab“, hörte der Samurai plötzlich die leise Stimme seines Wildfangs nahe seinem Ohr. Er nickte kaum merklich mit einem heimlichen Grinsen.

„Sie sollten auch zum jährlichen Ball kommen“, fügte die Brillenschlange hinzu, während der Mann mit den Wikinger-Zöpfen sich neben Falkenauge stellte und ihm auf die Schulter klopfte.

„Das war ein gutes Zusammenkommen, wo viel Fortschritt erzielt wurde.“

„Das ist wohl richtig.“

Die Menge teilte sich blitzartig, als Rishou Eizen das Wort ergriff. Sein dunkler Anzug und seine lichtundurchlässige Sonnenbrille wirkten wie ein Magnet. Alle Augen waren auf den Versammlungsführer gerichtet.

„Sie haben mich sehr beeindruckt, Frau Koumyou. Wortgewandt und diplomatisch. Ich hoffe die politische Bühne wird in Zukunft noch mehr von Ihnen sehen.“

Die Angesprochene verneigte sich dankend, biss sich jedoch auf die Lippe um sich eine bissige Antwort zu verkneifen.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit zu dem unerwarteten Mittelpunkt der Hauptversammlung.

„Auch Sie haben mich beeindruckt, junge Dame. Es scheint ganz so, als ob Frau Koumyou Recht behalten sollte. Lady Loreen. Ein Name, den man sich merken sollte. Geistesgegenwärtig und geschickt haben Sie bemerkt, was wir alle übersehen haben. Mich interessiert Ihre Geschichte, mein Kind. Leider fehlt mir heute die Zeit um sie zu hören, aber ich denke, die Gelegenheit wird sich noch ergeben.“

Er nickte knapp als Zeichen der Wertschätzung, ehe er nun den Samurai ansah.

„Erst verstand ich nicht, warum Sie dieses Jahr teilnehmen wollten und auch noch einen Gast mitbrachten. Ich gestehe jedoch wahrlich, dass ich Sie unterschätzt habe. Sie sind ein würdiger Nachfolger Ihres Vaters und es ist gutzuheißen, dass sie über den Titel des Samurais den Weg zurück zur Gerechtigkeit gefunden haben.“ Wieder nickte er, „Ich empfehle mich.“

Dann ging er, ohne auch nur einem von ihnen die Möglichkeit zur Antwort zu geben. Einen Moment wurde es ruhig um sie.

„Nun, mein werter Herr Mihawk. Bleiben Sie und Lady Loreen auch hier über Nacht? Würden Sie uns gerne zum Essen begleiten?“, ergriff die Frau des Bürgermeisters als erste das Wort.

Die Hand seines Gastes lag immer noch auf seinem Unterarm. Er spürte deutlich, wie der andere seine Füße etwas entlastete. In sich hinein grinsend schüttelte er höflich den Kopf.

„Vielen Dank für Ihre Einladung, Frau Koumyou, aber wir werden doch lieber den Heimweg antreten. Morgen erwartet uns noch viel Arbeit.“

Das ältere Ehepaar begleitete sie bis zum Ausgang, ehe sie sich in Richtung Stadtzentrum aufmachten. Er selbst half seinem Gast in den Mantel und schlenderte langsam mit dem Piraten zum Hafen. Mittlerweile hatten sie die anderen Versammlungsteilnehmer hinter sich gelassen. Der Himmel hatte schon ein tiefes Orange angenommen. Sie hatten den ganzen Tag in diesem stickigen Raum verbracht.

„Meine Füße bringen mich um“, murrte der Grünschopf schließlich. Leise lachte Dulacre und bot dem anderen wieder seinen Arm an, was dieser zu seiner Überraschung auch jetzt noch akzeptierte, obwohl niemand mehr in ihrer Umgebung war.

„Ich befürchte, ich muss mich bei dir bedanken. Dafür, dass du diesen grausigen Tag durchgestanden hast“, lachte er erneut.

„Ach, so schlimm war er gar nicht“, murmelte der andere kleinlaut.

Verwundert blickte er zu dem Mädchen hinab, während sie den Hafen entlang gingen.

„Wie meinst du das? Stunden lang auf einem Stuhl sitzen und unnötigen Fachsimpelleien zuzuhören fandst du toll?“

Lorenor schüttelte den Kopf sachte.

„Nein, das nicht.“ Doch der Jungspund lächelte sanft.

„Und was dann?“, fragte er ohne den Blick abzuwenden.

„Ach, es ist nichts“, sagte dieser schließlich als sie den Steg zu seinem Schiff erreichten.

„Und warum grinst du dann wie ein Honigkuchenpferd?“

„Tu ich gar nicht!“, widersprach das Mädchen, „Es ist nur…Sie waren nett.“

Überrascht zog er die Augenbrauen hoch.

„Sie waren nett? Die meisten Menschen sind freundlich wenn man sich kennenlernt. Das nennt man höfliche Etikette.“

Doch die junge Frau an seinem Arm blickte nur aufs brennende Meer hinaus.

„Willst du mir etwa sagen, du kennst keinen freundlichen Umgang?“

„Doch“, antwortete der Pirat schließlich, „Aber ich bin nicht gerade der Typ Mensch, den man gerne zu einem Kaffekränzchen einlädt.“

Er blieb stehen und sah den anderen an. Zum Glück hatten sie bereits das Sargboot erreicht.

„Setz dich schon mal, ich komme sofort“, murmelte er tonlos.

Während er die Taue löste, glitt ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Die Worte des anderen waren trotz all dem Sarkasmus erbarmungslos ehrlich, aber auch sehr einsam. Doch nun verstand er den Piraten deutlich besser. Natürlich, mit einer Mutter die nur in fremden Zungen sprach und diesen grünen Haaren mochten die anderen Einwohner ihn als Sonderling abgetan haben. Später hatte er als Piratenjäger sich den Ruf als Dämon des East Blues erschaffen.

Sein Anblick hatte vermutlich ausgereicht um Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Der Seitenwechsel zur Piraterie war sicherlich nicht förderlich. Im Gegenteil. Zu Angst und Schrecken waren Verachtung und Hass hinzugekommen. Ein solcher Mensch konnte von anderen nicht viel Wärme erwarten.

Doch heute hatten die Anwesenden seinen Gedanken Wertschätzung und Respekt entgegen gebracht. Sie waren höflich und freundlich zu dem Piraten, obwohl sie ihn nicht kannten. Das musste für ihn ganz unwirklich erscheinen.

Wie traurig musste so ein Leben sein? Er selber war wohlbehütet als Mihawk aufgewachsen. Erst als er stark genug geworden war, hatte er die abschätzenden Blicke selbst gewählt. Der andere hatte unter diesen Blicken stark werden müssen.

Seufzend sprang er auf das kleine Boot. Dieser Jungspund warf ihn immer wieder aus seiner Komfortzone. Doch das Schicksal war ihm gnädig. Die Schuhe lagen achtlos auf dem Boden, während das Mädchen mit angewinkelten Beinen auf seinem Thron hockte und die Augen geschlossen hatte.

Lorenor Zorro, der ehemalige Piratenjäger und Dämon des East Blue, schlief.
 

Es war schon dunkel, als sie Sasaki erreichten.

Der gefährliche Pirat hatte beinahe die ganze Fahrt über geschlafen. Erst vor wenigen Sekunden war er aufgewacht und hatte leise grummelnd angefangen sich die Schuhe wieder anzuziehen. Dulacre hatte seinen Begleiter lange betrachtet, ehe dieser aufgewacht war. Nun hatte er seine Aufmerksamkeit auf das naheliegende Land gerichtet. Immer noch spukten die Worte des anderen in seinem Kopf und er wusste einfach nicht, was er darauf antworten sollte. Doch auch der Grünschopf sagte nichts, sondern versuchte weiterhin sich die Schuhe anzuziehen, was ihm offensichtlich nicht gelang.

„Na aufgewacht, Prinzessin?“, fragte er schließlich, ohne den anderen jedoch anzusehen.

„Ach, halt die Klappe“, grummelte der Pirat entnervt, „Das ganze Gerede auf deinem Treffen hat mich halt zu Tode gelangweilt. Kein Wunder, dass ich eingeschlafen bin.“

„Ach, das klang eben noch ganz anders“, neckte er den Jüngeren. Sein Gast grummelte nur leise weiter vor sich hin, während sie anlegten. Wie zuvor am Morgen überbrückte er den kleinen Spalt zum Steg mit Leichtigkeit und sicherte sein Schiff.

„Na komm, Lorenor. Oder willst du die ganze Nacht hier verbringen?“

Der Angesprochene hockte immer noch auf seinem Thron und versuchte die Schuhe anzukriegen.

„Ich hab’s gleich“, knurrte das Mädchen, doch selbst in der Dunkelheit konnte er erkennen, dass das heute nichts mehr werden würde. Seufzend ging er zurück aufs Boot und griff nach einem Schuh, sowie dem linken Fuß des Kindes. Augenblicklich riss der Jüngere seinen Fuß weg, doch die blutigen Blasen hatte Falkenauge bereits gesehen. Kopfschüttelnd stand er auf.

„Du hast es immer noch nicht gelernt.“

Ohne die Widerworte des anderen abzuwarten hob er ihn einfach hoch.

„Was soll das? Lass mich runter!“, wütete das Mädchen in seinen Armen und versuchte sich mit abgehakten Bewegungen aus seinen Händen zu strampeln.

„Stell dich nicht so an“, meinte er nur und schritt Richtung Dorf, „Du musst noch so viel lernen, Lorenor.“

Wütend verschränkte das Mädchen an seiner Brust die Arme.

„Was hat das damit zu tun?“

Die Straßen des Dorfes waren noch gut besucht. Viele Einwohner genossen den Feierabend in einem Restaurant oder bei einem schönen Spaziergang. Manche betrachteten sie, doch niemand sagte etwas.

„Der Lehrmeister deines Dojos wird dir mit Sicherheit beigebracht haben, wie man eine Waffe pflegt und warum.“

Der Pirat nickte, die Stirn in Falten gelegt.

„Natürlich. Eine Waffe, die das Leben beschützen soll, muss auch für diese wertvolle Aufgabe gepflegt werden.“

Dulacre nickte:

„Eine Ansicht, die ich voll und ganz unterstütze. Jedes Schwert muss mit Respekt behandelt werden. So wie die Waffe einem dient, so dient man der Waffe.“

Dann sah er den anderen ernst an, ohne seinen Weg zu unterbrechen. „Und welche Waffe ist die wichtigste?“

Sein Schüler legte verwirrt den Kopf schief.

„Die, die ich führe?“

Er schüttelte den Kopf.

„Da haben wir auch schon deinen Irrglauben. Die wichtigste Waffe ist nicht die, die du führst, sondern du selbst!“

„Das macht keinen Sinn“, meinte der Grünschopf verwirrt.

„Nur weil du es nicht verstehst“, antwortete er beinahe sanft, während sie den Weg durch das Dorf fortsetzten.

„Hör zu. Dein Körper ist deine wichtigste Waffe und dein höchstes Gut. Es geht nicht nur darum, deinen Körper zu trainieren und zu stählen. Du magst deine Schwerter noch so gut pflegen, deinen Körper können sie nicht ersetzen. Diese Lektion musst du wohl noch lernen.“

Der Pirat in seinem Arm schnaubte verächtlich.

„Wegen ein paar Blasen machst du so einen Aufstand? Nur mal so nebenbei, in meinem Alter macht ein bisschen Muskelkater nichts. Wer weiß, wie das bei einem Greis wie dir ist.“

Mittlerweile hatten sie den Rand des Dorfes erreicht.  

„Spuck nur weiter vorlaute Töne, Lorenor. Solange du diese Lehre nicht begriffen hast, wirst du nie ein Meister der Schwertkunst.“

„Ach, halt die Klappe!“ Doch der Jungspund wehrte sich nicht mehr und betrachtete einfach nur noch stur die Dunkelheit um sie herum. In eisigem Schweigen führten sie ihren Weg durch den Wald fort. Die Frau in seinen Armen war leicht wie eine Feder und wenn Lorenor nicht so böse gucken würde, wäre er wahrlich schön anzusehen, im fahlen Licht des fast vollen Mondes.

Vor ihnen lag die Lichtung, wo er den anderen gefunden hatte.

Ihr Disput vor wenigen Sekunden war nicht mehr wichtig, während ihm ein Lächeln über die Lippen glitt. Wie immer an diesem Ort erfüllte ihn eine dankbare Ruhe. Vor wenigen Tagen hatte der Mann in seinen Armen und in Gestalt einer Frau sein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt.

„Hier hat alles begonnen“, murmelte er.

„Hä?“, fragte der Grünschopf unelegant zu ihm auf.

„Hier habe ich dich gefunden. Friedlich schlafend. Wer hätte ahnen können, dass in diesem Körper so ein Teufelskerl steckt“, lachte er leise, „Und Kanan nimmt dich immer noch in Schutz“, fügte er hinzu und ging weiter. Der junge Pirat sagte nichts sondern sah nur auf die Lichtung.

„Die Frau des Bürgermeisters erinnert mich sehr an Kanan“, flüsterte er irgendwann abwesend und zusammenhanglos.

Wieder lachte er auf. „Das mag daran liegen, dass Seira die jüngste Tochter Kanans ist.“

„Wirklich? Wie alt ist Kanan denn überhaupt.“

Er zuckte mit den Achseln während sich vor ihnen das große Herrenhaus erhob. „Keine Ahnung. Alles was ich weiß, ist dass sie bereits meine Mutter aufzog und dass ihre älteste Tochter zu der Zeit bereits verheiratet war. Aber ist ja auch egal. Sie war immer schon da und wahrscheinlich wird sie uns alle überleben.“

Sie hatten das Haus beinahe erreicht.

„Es war ein guter Tag“, sagte er und öffnete die Türe ohne den Piraten loszulassen.

„Lass mich runter“, befahl eben dieser.

Laut lachend ignorierte er dies und trat seine Stiefel aus.

„Das ist nicht zum Lachen“, motzte das Kind griesgrämig ohne sich allerdings zu wehren. Wahrscheinlich hatte er sich in seine Rolle ergeben. Zumindest für den Augenblick.

Im Flur war es dunkel.

„Kanan scheint nicht mehr hier zu sein“, stellte er ruhig fest und ging langsam über den kühlen Fußboden.

„Vielleicht ist sie schon im Bett?“, mutmaßte der Grünschopf nachdenklich.

„Nein. Wenn sie hier wäre, hätte sie uns längst gehört. Sie ist besser als jeder Wachhund.“ Er zuckte mit den Schultern und stapfte die Stufen hoch.

„Aber wo ist sie dann?“ Die grünen Augen blitzten in der Dunkelheit.

„Höre ich da etwa Sorge?“, neckte er seinen Wildfang. Dieser biss sich nur wütend auf die Lippe.

„Sie ist wahrscheinlich im Haus der Koumyous und passt auf die Katzen auf.“

Mit dem Ellenbogen drückte er die Klinke zum Gästezimmer hinunter. Hier roch es wie immer angenehm nach Lavendel und ein geöffnetes Fenster ließ frischen Wind hinein.

Mit einem leisen Grinsen warf er seine Begleitung auf das Bett, wie an dem Abend, an dem der andere betrunken war. Doch diesmal landete er nicht lachend auf den weichen Laken sondern schloss nur angespannt die Augen und löste die Brosche aus den Haaren. Einen Moment beobachtete er, wie der Pirat sich die langen Haare über die Schulte legte, ehe er zum Fenster hinüber ging und es schloss. Im dunklen Glas spiegelte sich der Grünschopf, der hilflos versuchte den Reisverschluss des Kleidrückens zu öffnen.

Er lachte leise:

„Brauchst du Hilfe, Lorenor?“

„Ach halt den Mund. Ich schaff das schon alleine“, knurrte sein Lieblingsfeind, was bei seiner sanften Stimme ihn eher belustigte. Mit einem gespielten Seufzen lehnte er sein geliebtes Schwert gegen die Wand und stellte sich hinter den anderen. Dieser versuchte seinen Händen zu entgleiten, natürlich ohne Erfolg.

„Stell dich doch jetzt nicht so an. Ich hab dich bereits nackt gesehen und schon mehrmals getragen.“

„Das ist ja gerade das Peinliche. Ich bin keine Dame, verstanden? Und jetzt geh einfach!“

Der andere schien noch gereizter als sonst. Bildete er es sich ein, oder zitterten die zarten Schultern unter seinem Griff ein bisschen?

„Ich weiß, wer du bist, Lorenor, keine Sorge“, antwortete er schließlich mit einer Bestimmtheit die ihm im ersten Moment gar nicht so bewusst war. Irgendwas an dem Piraten war anders als sonst.

Schämte er sich so sehr, dass er ihn getragen hatte? War er wirklich so stolz, dass er jede Hilfe als Verrat an sich selbst und dem anderen empfand? Kopfschüttelnd zog er den Reißverschluss ganz hinunter.

„So siehst du, war das so schlimm…?“ Er stoppte. Die Haut an Schultern und Nacken, die er nun erkennen konnte, schimmerte seltsam. Grob packte er nach dem oberen Kleidzipfel. Der Grünschopf versuchte sich von ihm loszureißen, doch er war schneller. Mihawk griff dem jungen Schwertkämpfer an der Schulter und riss die eine Kleidhälfte so unsanft zur Seite, dass die Naht am Reißverschluss leicht riss.

„Zieh es aus!“, knurrte er. Der Grünschopf befreite sich aus seinem Griff und stolperte vom Bett.

„Jetzt mach keine Szene draus“, antwortete das Mädchen gereizt und hielt sich mit einer Hand das Kleid hoch, während er sich mit der anderen Hand am Spiegel festhielt.

„Es ist nichts und wenn…“

Zieh das Kleid aus!

Er konnte die Wut in sich spüren, konnte spüren, wie er wieder kurz davor war, die Kontrolle zu verlieren.

Sofort!

Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme dunkel und hasserfüllt wurde. Er konnte nicht verhindern, dass seine, noch immer nach der Frau, ausgestreckte Hand zitterte und er konnte nicht verhindern, dass der andere ihn mit einem so ausdruckslosen Gesicht anschaute. Dann sah Lorenor zur Seite und ließ das Kleid los. Sanft fiel es erst von den Schultern und dann die Brust und Oberarme hinab. Zaghaft zupfte Zorro an den Hemdsärmeln und dann glitt der Stoff ganz zu Boden, ließ den Piraten in nichts außer Unterwäsche.

„Schon wieder!“, knurrte er, während er den anderen zornig anstarrte.

„Du verstehst es einfach nicht!“

Er sah den nackten Rücken des anderen im Spiegel. Sah sein eigenes vor Wut verzerrtes Gesicht. Doch alles was er wirklich sah, war der zierliche Körper seines Schülers. Schultern, Arme, Brust, Bauch, Beine, egal wo er hinsah, alles war gerötet oder blutunterlaufen. Die gesamte Haut schimmerte in einem sich abwechselnden Meers aus Farben, von Gelb zu Grün über Blau zu Violett. Deutlich konnte er seinen eigenen Handabdruck am rechten Oberarm erkennen, dort wo seine Fingernägel sich in die Haut gedrückt hatten, war sie beinahe Schwarz. Da wo die Träger des Sportbustiers lagen, waren tiefe Schürfwunden in den Schultern eingebrannt.

Der Pirat hatte nicht wegen der Farbe willen ein anderes Kleid anziehen wollen, wurde ihm mit einem Schlag bewusst. Der andere hatte sich nicht wegen den Schuhen so langsam durch den Wald fortbewegt und das Sträuben aus seinem Griff hatte nichts mit falschem Stolz zu tun.

Mit einer leichten Röte auf den Wangen hatte Lorenor seinen Blick stur auf den Boden gerichtet.

„Ich weiß! Ich bin schwach! Es ist so beschämend, aber ab morgen werde ich noch härter…“

„Halt den Mund!“

Er war lauter geworden, als er wollte. Überrascht starrte der andere ihn an, doch er schüttelte nur den Kopf, immer und immer wieder.

„Ich kann dich nicht mehr trainieren!“, meinte er schließlich, viel leiser als zuvor.

„Was? Wieso?!“

Die hohe Stimme seines Schülers war entsetzt.

„Weil du es nicht begreifen willst!“, schrie er nun hilflos. Die Augen des Kindes wurden groß.

„Es geht nicht um deine Stärke oder um deinen Willen zu kämpfen!“

Wieder schüttelte er stumm den Kopf, nicht in der Lage auszudrücken, was er sagen wollte.

„Ich kann niemanden trainieren, der sich selbst aufgegeben hat!“

„Aber, ich will doch gar nicht…“

Mit erhobener Hand unterbrach er den schwachen Einwand des anderen.

„Und noch einmal, ich rede nicht von deinem Kampfeswillen. Ich rede von dir! Denn es ist offensichtlich, dass du dir selbst nichts mehr wert bist!“

Geschockt sah der andere ihn an, den Mund leicht geöffnet.

„Du bist unglaublich stark, Lorenor. Stärker als je ein Mensch, den ich in deinem Alter kennen gelernt habe und genau das wird dein Untergang sein.“

„Ich verstehe nicht…“

Kalt lachte er:

„Nein, das ist mir nun auch klar geworden. Du verstehst es einfach nicht. In deinem Wahn alle zu beschützen. In deinem Stolz allen Ehre zu bringen. In deiner Verzweiflung nach Anerkennung. Du siehst es nicht!“

Lange sah er das Kind vor sich an, erlaubte ihm nicht zu sprechen.

„Weißt du noch? Du dachtest ich sei wütend auf dich, weil du mich um Hilfe gebeten hast und ich habe dir gesagt, es sei nicht so. Ich habe gelogen!“

Erneut wollte der Pirat etwas sagen, doch er unterbrach ihn.

„Seit diesem einen Morgen bin ich so unglaublich wütend auf dich. Es zerreißt mich beinahe, dass du es nicht kapieren kannst. Dass du es nicht sehen kannst und dann bist du auch noch so unverschämt und sagst, es sei nichts. Du verstehst es einfach nicht und dafür hasse ich dich!“

„Was verstehe ich nicht? Weswegen bist du so wütend? Erklär es mir, erklär mir, warum du mich anschreist!“, widersprach der andere ihm, nun ebenfalls mit erhobener Stimme, „Sag mir, warum du mich hasst!“

Für eine unendliche Sekunde wurde es still im Raum, während sie einander anstarrten und keiner nachgeben wollte.

„Weil du gestorben bist!“, entfuhr es ihm leise.

„Weil du für die anderen dein Leben gelassen hast! Weil du nicht an dich selbst gedacht hast!“

Mit jedem Wort wurde er lauter.

„Weil du deinen eigenen Wert nicht erkennst! Weil du alle anderen beschützt aber nicht dich selbst! Weil du mich dazu zwingst, dich zu beschützen!“

Einen Moment lang setzte sein eigener Herzschlag aus.

„Du siehst nicht, was du all diesen Menschen bedeutest, deiner Crew, Kanan, sogar mir! Es ist für dich einfacher dich selbst aufzugeben, als dir von anderen helfen zu lassen. Als würde es deiner verfluchten Ehre etwas abtun, wenn du jemandem erlauben würdest, etwas von deiner Last abzunehmen. Durch deinen starken Willen alles alleine schaffen zu wollen hast du nicht nur alles verraten, was dich zum Menschen macht, nein du hast auch noch all deine Freunde und mich verraten!“

„Ich weiß.“

Überrascht sah er zu dem Piraten hinüber, der zitternd die Hände zu Fäusten geballt hatte.

„Ich weiß, dass ich meine Menschlichkeit aufgegeben habe. Aber wenn es ein Monster braucht, um meine Freunde zu retten, werde ich das gerne sein!“

Wütend schlug er gegen die Wand. Mörtel und Staub rieselte zu Boden.

„Nein! Verdammt nochmal! Der einzige, der das Monster sieht, bist du!“

Aufgebracht fuhr er sich durch die Haare.

„Ich hab mich noch nie mit einer so emotional verkrüppelten Person unterhalten wie mit dir, Lorenor“, knurrte er hilflos, „Sag mir, willst du es nicht sehen oder kannst du es nur nicht?“

Der Pirat blieb stumm.

„Lorenor, wieso bist du für die anderen gestorben? Damals im East Blue gab es nichts Wichtigeres für dich, als deinen Traum zu erfüllen. Wieso hast du ihn aufgegeben?“

Die grünen Augen sahen ihn nicht an. Langsam drehte das Mädchen sich um und sah zum Fenster hinaus. Nun konnte er deutlich die Blutergüsse zwischen den Schulterblättern sehen.

„Die Dinge haben sich verändert“, seufzte der Grünschopf schließlich.

„Damals hatte ich nur meinen Traum, wofür ich bereit gewesen wäre zu sterben. Aber was ist mein einer Traum gegen acht andere, großartige, würdige Träume?“ Dann sah er ihn wieder an, „Wie soll ich der beste Schwertkämpfer der Welt werden, wenn ich nicht einmal meinen Kapitän und die Crew beschützen kann? Sie haben mir mit ihrem Leben vertraut, es schien mir nicht zu viel, dafür mit meinem zu bezahlen.“ Mit jedem Wort wuchs das Lächeln im kindlichen Gesicht, „Und wenn diese Einstellung mein Untergang sein soll, dann soll es so kommen.“

„Und was ist mit deiner Crew?“, fragte Falkenauge ihn ruhig, „Es ist bewundernswert, deine Stärke, wirklich. Aber hast du nicht einmal daran gedacht, wie sich jeder andere aus deiner Crew fühlt, wenn er dir nicht helfen darf, wenn er dich nicht beschützen darf? Du sagst sie vertrauen dir, aber du hast ihnen nie gezeigt, dass du ihnen vertraust. Du vertraust ihnen genug, um sich selbst zu beschützen, aber offensichtlich nicht genug, um dir beizustehen. Du bist stolz auf dich, auf deine Stärke, und eines Tages, wenn du wieder bei deiner Crew bist und ihr diese Geschichte euren Nachfolgern erzählt, wirst du der unangefochtene Held sein.

Aber was ist mit deinen Freunden? Was ist mit den Menschen die gerade um dich trauern? Die sich selbst dafür die Schuld geben, dass du gestorben bist, dass sie dich nicht beschützen konnten? Sie verstehen nicht, warum du ihnen nicht erlaubt hast, dich zu beschützen.“

Langsam verschwand das Lächeln des anderen wieder.

„Schon damals auf dem East Blue musste ich dich beschützen. Ich musste dir das Recht auf Leben geben, da du es dir selber nicht erlauben wolltest. Ich nahm mir diese Verantwortung, weil ich stärker bin und du Respekt vor mir hast. Eine Verantwortung, die ich mir nie aussuchen wollte. Aber ich habe dich nicht beschützt vor irgendwem anders, sondern nur vor dir selbst. Vor deiner eigenen Selbstaufgabe, weil du anscheinend keinen Selbsterhaltungstrieb besitzt. Offensichtlich weißt du nicht, wie man sich selbst schützt.“

Nun sah der andere ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Langsam verschränkte er selbst die Arme.

„Ich weiß immer noch nicht, was mit dir passiert ist und wie du hier hergekommen bist, aber ich weiß, warum du zu mir geschickt wurdest.“

Langsam kam er auf den anderen zu, der ihn mit großen Augen ansah. Nach einer Ewigkeit fasste er seinen Entschluss.

„Ich werde dich weiter trainieren, aber unter einer Bedingung.“

Der Pirat nickte.

„Solange, bist du wieder bei deiner Crew bist, bist du wieder in deinem Körper bist, solange werde ich da sein.“

Ernst griff er den anderen am Unterarm.

„Lorenor, lass mich dich beschützen!“

Kapitel 11 - Das Vertrauen

Kapitel 11 – Das Vertrauen

 

-Sanji-

„Sanji!“ Mit brechender Stimme kam die junge Navigatorin hereingestürmt. Ihr Haar war zerzaust, ihre Lippen bebten.

„Was ist los?“ Leichte Panik erfüllte ihn, während er den Lappen auf den nächstbesten Tisch warf und zu ihr eilte.

„Werden wir angegriffen?“

Sie schüttelte den Kopf, leise Tränen tropften ihre Wangen hinab.

„Er ist aufgewacht!“

Alle Anspannung fiel in diesem Moment von ihm ab, als er die weinende junge Frau in seine Arme nahm. Für einen Moment lachten sie beide und Glück erfüllte die leere Aquarien-Bar, doch dann wurde er wieder ernst.

„Ich danke dir. Du solltest jetzt ins Bett gehen. Versuch etwas zu schlafen.“

Nami schüttelte wieder den Kopf.

„Sanji, du musst das nicht tun. Wenn du willst, spreche ich mit Ruffy.“

Erneut drückte er sie an sich. Nahm all ihre Kraft in sich auf.

„Nein, meine liebe Nami. Ich muss mit ihm reden. Das ist meine Aufgabe.“

Mit glasigen Augen sah sie ihn an.

„Es ist jetzt meine Aufgabe“, flüsterte er und ließ zu, wie sie eine einsame Träne auffing und dann mit zusammengepressten Lippen nickte.

Noch einmal atmete er tief ein, griff für einen Moment ihre Hand und ging dann zur Tür hinaus. Die Dunkelheit umarmte ihn herzlich und die Kälte fraß sich in seine Seele, während er mit jedem hinkenden Schritt dem Unausweichlichen entgegen ging. Seine Wunden verheilten gut, zumindest die körperlichen, doch Chopper hatte ihm verboten für die nächsten Wochen zu kämpfen. Er hatte nur zu gut gewusst, dass diese Worte nicht ihm gegolten hatten, aber natürlich hatte er nichts gesagt. Der junge Arzt hielt sich so tapfer, er hatte es ihm nicht noch schwerer machen wollen. Vor dem Krankenzimmer blieb er schließlich stehen. Die letzten Tage waren die reinste Hölle gewesen. Doch er fragte sich allmählich, ob er je wieder aus diesem Alptraum erwachen würde. Schwach klopfte er gegen das starke Holz und trat ein.

Auf der Bettkannte saß sein Käpt’n, eingewickelt in Verbände und mit tiefen Ringen unter den Augen, aber wach und lebendig.

„Chopper, was ist denn jetzt los?“, fragte er wibbelig.

Doch der kleine Schiffsarzt saß nur auf seinem Schemel und bearbeitet unablässig mit seinem Mörser ein paar Kräuter. Er konnte seinem Freund nicht in die Augen sehen.

„Hey, Sanji!“, erkannte ihn nun der Schwarzhaarige, „Super. Ich hab Hunger!“

Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Noch war Ruffy glücklich, noch unbeschwert. Er war bewusstlos gewesen, bis jetzt. Bis jetzt war er unschuldig und fröhlich. Und es war seine furchtbare Aufgabe dies zu ändern.

Er hob nur einen Arm: „Später, Ruffy“, und war froh, wie stark sich seine Stimme anhörte.

„Chopper, möchtest du nicht für ein paar Minuten zu Nami in die Küche gehen und eine heiße Schokolade trinken, während ich mich mit unserem Kapitän unterhalte?“

Das Rentier nickte nur und sprang den Stuhl hinunter. Beim Vorbeirennen konnte der Smutje ganz deutlich die Tränenspuren sehen. Hoffentlich konnte Nami ihn etwas trösten. Sanft schloss er die Tür zur Küche hinter dem jüngsten Crewmitglied.

„Sag mal, Sanji. Was ist denn los? Nami war eben auch total seltsam und Chopper wollte nicht mit mir reden.“ Ruffys Stimme war immer noch lustig angeheitert. Er verstand offensichtlich nicht was los war.

„Wie lange war ich denn bewusstlos? Was hab ich denn alles verpasst?“

Langsam ließ Sanji sich auf den Schemel sinken und saß nun genau gegenüber von dem Gummijungen.

„Ruffy.“ Allmählich wurde der andere ernst. „Woran erinnerst du dich noch?“

Der Strohhut sah ihn verwirrt an. Dann warf er die Arme in die Luft und verschränkte sie nachdenklich hinter seinem Kopf.

„Lass mal nachdenken“, murmelte er, „Ah!“ Grinsend schwang er sich wieder nach vorne, „Wir waren auf dieser tollen Insel mit dem leckeren Fleisch. Zorro und ich haben das Lagerfeuer gemacht und Lysop ist total ausgerastet, weil wir irgendwelche Steine benutzt haben, die explodiert sind. Das war richtig lustig! Die Splitter haben Zorro und Lysop voll erwischt“, lachte er leise und dem Koch wurde es richtig schwer ums Herz.

Diese glücklichen, unschuldigen Momente hatte er durch die furchtbaren Folgetage beinahe vergessen. Doch dann wurde die Stimme seines Kapitäns ernst.

„Und dann waren diese ganzen Marinetypen da. Die haben uns angegriffen.“ Er senkte den Kopf. „Sie waren so stark. Vor allem der Kerl mit dem Mantel. Der hat mich einfach weggeschleudert, ohne mich auch nur zu berühren.“ Dann sah der Jüngere ihn grinsend an. „Aber ihr habt es gepackt! Ich weiß nicht wie, aber ihr habt mich rausgeholt. Das ist echt super, wie stark ihr alle geworden seid.“

Sanji wandte den Blick ab. Wie sollte er nur stark genug sein? Wie sollte er seinen Kapitän beschützen können?

„Nein, Ruffy“, murmelte er und schüttelte den Kopf, „Wir haben nicht gesiegt.“

Er konnte ihn nicht ansehen.

„Wie meinst du das?“, fragte Ruffy mit einem leisen Lachen, „Wer hat uns denn dann gerettet?“

„Niemand, Ruffy. Wir sind gefangen genommen worden.“ Er hatte keine Wahl.

„Du warst von Anfang an ohnmächtig und hast nichts mitbekommen, aber nahe der Insel wo wir waren, gab es eine Marinebasis.“ Er konnte seinem Freund ansehen, dass dieser verwirrt war.

„Ja, aber jetzt sind wir doch alle auf der Sunny. Also seid ihr ausgebrochen und habt mich mitgenommen? Das ist aber nett!“

Er wollte aufschreien!

Selbst jetzt glaubte dieser naive Junge noch, dass alles in bester Ordnung war.

„Ruffy hör mir zu.“ Er packte den anderem am Arm, so dass dieser ihn ansehen musste.

„Ja, Sanji. Ich höre dir zu“, sagte er ganz simpel. Für ihn war alles so einfach.

„Du hast Recht. Wir sind da raus gekommen. Zorro…“ Er stoppte und schüttelte den Kopf erneut. „Zorro hatte einen Plan und hat uns alle rausgeholt.“

Wieder grinste der Jüngere.

„Natürlich! Zorro schafft doch alles. Schließlich wird er eines Tages der beste Schwertkämpfer der Welt!“

Verdammt!

Wie in Zeitlupe spürte er diese eine nasse Perle seine Wange hinuntergleiten.

Beschütze auch deinen Traum!

Er konnte sehen wie die Augen seines Kapitäns eine Spur größer wurden und er ihn ungläubig ansah.

Lebe Sanji!

Unglaublich vorsichtig, als hätte er Angst den anderen wie ein Glas zu zerbrechen, legte er seine Hände auf dessen Schultern.

„Ruffy, Zorro ist tot!“
 

-Nami-

Ein qualvoller, lauter Schrei durchhallte die kalten Räume des Piratenschiffes. Niemand schlief mehr, schon vorher nicht. Sie alle konnten es hören. Sie alle konnten die Schmerzen spüren.

Nami wandte sich zur Tür, auf deren andere Seite ihr Kapitän litt, um die erneuten Tränen vor dem jüngsten Crewmitglied zu verbergen. Zum Glück war die einzig andere Frau an Bord vor wenigen Minuten zu ihnen gestoßen und hielt den kleinen Arzt auf ihrem Schoß, das warme Getränk auf dem Tisch schon längst vergessen.
 

-Chopper-

Chopper weinte.

Zum ersten Mal seit sie geflohen waren, zum ersten Mal seit sie die G6 hinter sich gelassen hatten, weinte er. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte seine ganze Aufmerksamkeit darauf gelegen, sich um Ruffy zu kümmern. Er hatte nicht nachgedacht, hatte nicht gefühlt, hatte einfach nur funktioniert.

Nun war Zorro tot.

Obwohl er in den warmen Armen seiner Freundin saß und obwohl seine Freunde da waren.

Chopper war alleine.

Chopper hatte Zorro verloren und er hatte ihm noch nicht einmal danken können.

Er hatte ihm nicht dafür danken können, dass er für ihn da gewesen war, dass er ihn beschützt hatte, dass er ihm Mut gemacht hatte, dass er einfach Zorro gewesen war.

Und nun war er alleine.

Er konnte Ruffys Schrei immer noch in seinen Ohren hören. Dann wurde es dunkel um ihn.
 

-Nami-

„Unser Doktor ist ohnmächtig geworden.“

Die Stimme der Archäologin war sanft und gezwungen ruhig.

„Das ist auch kein Wunder. Seit dem Angriff hat er sich die ganze Zeit um unseren Kapitän gekümmert und kaum geschlafen. Ich denke, er ist sehr erschöpft.“

Die Navigatorin nickte nur.

„Wir sind alle sehr erschöpft“, flüsterte Robin weiter.

„Robin?“ Langsam sah Nami ihre Freundin an. „Was machen wir jetzt?“

Sie schüttelte den Kopf und stand auf.

„Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Diese Entscheidung obliegt unserem Kapitän.“

Die Jüngere nickte und kämpfte erneut mit den Tränen.

„Aber wir können jetzt unseren jungen Freund hier ins Bett bringen, damit er zumindest ein paar ruhige Stunden Schlaf erhält. Die hat er sich verdient.“

Ihr Weg zum Jungenschlafsaal war ruhig. Einzig und alleine Ruffys wehklagende Stimme konnte man auf Deck wie ein geisterhaftes Klagen vernehmen. Im Zimmer selber war es ruhig und dunkel. Doch die drei anderen Anwesenden waren wach. Keiner von ihnen sagte etwas als die Archäologin das Rentier in seine Koje legte.

„Ihr solltet alle versuchen etwas zu schlafen. Die nächsten Tage werden gewiss nicht einfacher“, riet sie sanft mit brutaler Ehrlichkeit. Der Kanonier stieß entnervt die Luft aus seinen Wangen.

„Als könnte auch nur einer von uns schlafen.“ Seine Nase war immer noch geschwollen. Sein Gesicht immer noch zerkratzt von tausenden kleinen Wunden.

„Versucht es zumindest“, murmelte die ältere Frau und ging wieder.

Vor der Tür konnte Nami ganz deutlich sehen, wie ihre Freundin die Augen schloss und sich zwang, langsam zu atmen. Ja, Robin gab sich so stark, aber auch sie trauerte, wie sie alle. Mitfühlend legte sie eine Hand auf den kalten Unterarm der anderen und lächelte traurig.

„Ist okay, Robin. Wir sind unter uns. Du musst jetzt nicht stark sein. Okay? Heute Nacht bin ich die Starke, denn morgen wird Ruffy dich brauchen. Morgen musst du wieder stark sein, okay?“

Die Schwarzhaarige ging zwei Schritte und hielt sich selbst, als würde sie frieren, während sie zum kühlen Mond hinauf starrte. Ganz langsam, wie in Zeitlupe glitten die Tränen ihr Gesicht hinab. Nami folgte ihr und legte von hinten beide Arme um sie. Irgendwann gaben die Beine der Älteren nach und sie glitt zu Boden, während sie laut aufschluchzte. Mit einer Hand hielt sie sich am Geländer fest und ließ zu, dass ihre Freundin sie weiterhin hielt.

„Wieso nur?“, flüsterte sie irgendwann leise.

Nami schüttelte nur leicht den Kopf und schmiegte sich noch etwas fester an ihre zitternde Freundin.
 

-Sanji-

Der nächste Morgen kam, ohne dass die Crew, mit Ausnahme des jungen Arztes, auch nur ein Auge zugemacht hatte. Es sollte ein guter Morgen sein. Der Kapitän würde wieder dem Frühstück beiwohnen, aber so richtig freuen konnte sich niemand und niemand hatte wirklich großen Hunger.

Zu aller Überraschung war der Gummijunge jedoch eifrig dabei, die Speisen auf dem Tisch zu vertilgen. Am Anfang traute sich niemand, etwas dagegen zu sagen, doch sie alle waren verwirrt und auch besorgt.

„Ruffy“, murmelte Nami schließlich, „Was machen wir jetzt?“

Das eh schon ruhige Frühstück wurde totenstill. Der Koch, welcher am Herd lehnte und das Treiben von weiter weg beobachtete, biss sich auf die Unterlippe. Er wusste was jetzt kommen würde.

Der Strohhut zuckte mit den Achseln.

„Wir segeln weiter!“

Alle starrten ihn entsetzt an.

„Ruffy!“, schrie unvermittelt das kleine Rentier, „Wie kannst du nur so etwas sagen?!“

Sofort schossen die Wasserfälle wieder seine Wangen hinab und das Skelett legte mitfühlend einen knöchernen Arm um ihn.

„Ganz einfach, weil ich der Käpt’n bin“, grinste der Gummijunge und aß ungehindert weiter. Wütend schlug die Navigatorin auf den Tisch.

„Ruffy!“

Ihre Stimme war etwas höher als sonst. Doch nicht sie, sondern Robin sprach das Thema an, was sich keiner traute. Schwer lagen ihre dunklen Augen auf dem schwarzhaarigen Jungen.

„Und was ist mit Zorro?“ Es war selten, dass sie seinen Namen nutzte. „Wie sollen wir ihn gebührend ehren? Unser Kanonier hat seine Schwerter mitgebracht. Sollten wir vielleicht auf der nächsten Insel ein Grab aufstellen oder eine Feuerbestattung der Schwerter?“

Ruffy sah nicht mal auf.

„Nein, wir machen gar nichts“, murmelte er nur kurz und griff nach dem nächsten Teller. Entgeistert fingen die anderen an wild auf ihn einzureden. Einzig und allein Sanji blieb ruhig an seinem Platz stehen und sah seinem Freund kopfschüttelnd zu. Die gesamte Nacht hatten sie miteinander gestritten und er verstand den anderen einfach nicht.

Plötzlich stand Ruffy auf, den Strohhut tief ins Gesicht gezogen.

„Jetzt hört mal her“, erklang er tief und ein bisschen wütend, „Wir ehren Zorro nicht und er bekommt auch kein Grab. Wir segeln weiter und nehmen Kurs auf die Fischmenscheninsel.“

„Aber…“, wollte der Cyborg wiedersprechen doch Ruffy grinste.

„Zorro weiß, dass wir dahin wollen, also bin ich mir sicher, dass er da wieder zu uns stoßen wird. Und bis dahin bewahren wir seine Schwerter für ihn auf.“

„Willst du es einfach nicht begreifen?“

Es war nicht Nami, die verzweifelt aufgesprungen war, auch nicht Lysop oder Chopper.

Nein, es war Robin.

„Er kommt nicht wieder!“, rief sie und machte eine ausholende Handbewegung,

„Zorro ist tot, er ist für uns alle gestorben. Es ist vorbei!“

Das Grinsen des Strohhutjungens wurde noch eine Spur breiter. „Nein. Ganz und gar nicht. Zorro lebt! Ich weiß es!“

Niemand wusste, was er darauf sagen sollte, doch schließlich ergriff Sanji das Wort.

„Ruffy. Ich weiß, dass du es nicht wahrhaben willst. Aber wir haben alle gesehen, wie er in den Flammen umgekommen ist.“

Alle sahen ihn an. Seit der Flucht hatte er nicht mehr darüber gesprochen.

Nur Ruffy hatte ihm den Rücken zugewandt.

„Und selbst wenn er durch irgendein Wunder das Feuer überlebt haben sollte, er war schwer verletzt und konnte kaum noch stehen am Ende.“

Doch sein Kapitän schüttelte nur den Kopf:

„Und trotzdem lebt er!“

Nun wurde Sanji doch wütend. Seine schmerzenden Beine ignorierend ging er zu dem Jungen und zwang ihn, sich umzudrehen.

„Er stand vor mir und sagte mir, dass ich jetzt dran sei. Dass es jetzt meine Aufgabe sei, euch zu beschützen. Warum sollte er mir das sagen, wenn er noch eine Möglichkeit zu Überleben gesehen hätte?“

Er hatte es den anderen nicht gesagt, so wie er ihnen nichts von Thriller Bark erzählt hatte. Er war beide Male am nächsten dabei gewesen. Er wusste, wann es vorbei war.

„Aber das ist doch ganz klar“ Ruffy legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Er meinte, bis er zurückkommt, denn er wird zurückkommen.“

Sanji wollte etwas erwidern, doch Ruffy winkte ab und verließ den Raum. Niemand folgte ihm.
 

-Ruffy-

Tief einatmend verließ er die bedrückte Crew in der schweigsamen Kombüse. Spürte ihren Schmerz, ihre Trauer, konnte es nicht mehr aushalten.

Er verstand, was Sanji sagte und er hatte geweint, er hatte geschrien. Aber tief im Inneren war er sich ganz sicher, dass sein Schwertkämpfer noch am Leben war. Er musste darauf vertrauen. Er musste an den anderen Glauben, auch wenn es hundert Jahre dauern würde. Zorro würde zurückkommen und er musste solange an ihn glauben. Das war er ihm schuldig.

Er saß auf seinem Lieblingsplatz und starrte auf die Weiten des Meeres hinaus.

„Irgendwo da draußen bist du, Zorro. Das weiß ich.“

Und dann schrie er den Namen seines ersten Crewmitgliedes so laut er konnte in den Wind.

Lorenor Zorro musste einfach leben!
 

-Mihawk-

Es war früh am Morgen, als er aufwachte.

Die Nacht war kurz gewesen, doch er war nicht müde. Mit leisem Grauen erinnerte er sich an den vorigen Abend. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so wütend gewesen war, so aufgebracht war, aber er wusste, dass die Dinge sich von nun an ändern würden. Er hatte eine Entscheidung getroffen, eine Entscheidung die er nie hatte treffen wollen. Er würde auf diesen Jungen aufpassen.

Gedankenverloren stand er unter der Dusche. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Nie hätte er geglaubt, dass die Dinge sich so entwickeln würden. Nie hätte er erwartet, dass ihm ein fremder Mensch noch einmal so wichtig werden könnte. Nie hätte er gehofft, dass er je wieder jemanden beschützen wollte. Seufzend betrachtete er sich selbst im Spiegel. Er erkannte sich selbst kaum wieder und dabei war er noch genau der Gleiche.

Ein höhnisches Lachen entglitt seinen Lippen. Er wollte den einen Menschen beschützen, der ihn eines Tages besiegen sollte. Was war nur aus ihm geworden?

Aber er wusste genau, warum er so handelte. Er dachte an seine Schwester. Er dachte an seine alte Crew. Beides hatte er verloren. Diesen Jungen würde er nicht verlieren. Nicht solange er, Dulacre, dies verhindern konnte.

Aber das Gespräch vom vergangenen Abend würde ab jetzt alles unnötig verkomplizieren. Leider Gottes würde das alles jetzt nur noch anstrengender. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Er musste sich eine Lösung überlegen, aber nicht jetzt. Jetzt musste er erst einmal einen guten, starken Kaffee trinken.

Den Kopf immer noch irgendwo anders, zog er sich langsam an, fuhr sich durchs Haar und strich im Vorbeigehen über sein geliebtes Schwert. Sein treuer Begleiter. Sein bester Freund.

Das Haus war ruhig. Kanan war wahrscheinlich noch nicht da und der junge Pirat versteckte sich vermutlich noch im Land der Träume.

Laut klopfte er beim Gästezimmer an.

„Lorenor, du hast lang genug gepennt. Aufstehen!“

Doch er erhielt keine Antwort.

„Lorenor?“, fragte er etwas missmutig nach. Erneut erfolglos.

Der Kämpfer in ihm schaltete auf Alarmbereitschaft um. Er griff die Klinke und trat ein.

Das Zimmer war leer, das Bett noch ungemacht, die Badezimmertür stand weit offen. Bis auf das helle Licht des Morgens war der Raum dunkel. Ein Fenster war leicht geöffnet und eine frische Meeresbrise wehte hinein. Dann sah er ihn, draußen.

Der verzauberte Pirat stand im Garten des Hauses, mit nichts weiter bekleidet als seinem dünnen Nachthemd, und sah augenscheinlich aufs weite Meer hinaus.

Schnell ging Dulacre die Treppe hinunter, am Trainingsraum vorbei und trat hinaus in den Garten.

Sein Gast stand immer noch im taufrischen Gras. Das Haar wehte im Wind und das weiße Kleidchen riss an seinen Beinen. Die Wunden und blauen Flecken schimmerten immer noch, sahen aber schon deutlich besser aus, als am Vorabend. Das Mädchen schien in tiefen Gedanken gefangen zu sein.

„Lorenor…“, murmelte er und ging mit nackten Füßen auf den Piraten zu.

Dieser hatte ihn offenbar gehört, denn er drehte sich halb zu ihm um. Die großen grünen Augen wirkten dunkel und leer. Erst nach einer Sekunde schien der andere ihn zu sehen.

„Was tust du hier?“, fragte er seinen Wildfang, der wieder zum Meer hinaus sah und leicht den Kopf schüttelte.

„Lass uns reingehen. Ich brauche meine Kaffee.“

Ja, seit dem Vorabend war nichts mehr wie davor. Er wartete, bis das Kind bei ihm war und legte seinen Arm um ihn.

Doch zu seiner Überraschung schnaubte der Pirat höhnisch.

„Du meine Güte. Was hast du denn gefressen? Seit gestern bist du total daneben.“

Er zog den Arm wieder zurück.

„Warst du nicht derjenige, der geheult hat?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.

„Ich muss mich mit weiblichen Hormonen auseinandersetzen. Was ist deine Ausrede?“

Er seufzte.

„Du, du bist meine Ausrede und meine persönliche Hölle.“

Der Grünschopf grinste:

„Selbst Schuld.“

Mit langsamen Schritten gingen sie ins Haus.

„Was hast du überhaupt da draußen gemacht? Wenn Kanan dich gesehen hätte, wäre sie durchgedreht.“

Lorenor sah nur auf seine wunden Füße hinab und antwortete nicht.

„Können wir heute mit dem Training weiter machen?“, fragte er stattdessen todernst.

„Hast du gestern nicht zugehört?“, murrte er nur und hielt seinem Wildfang die Tür auf. Zorro verschränkte die Arme und erwiderte immer noch absolut ernst seinen Blick.

„Doch. Ich habe verstanden“, sagte er glasklar, „Aber die erste Woche ist schon bald um und ich bin noch nicht soweit, um wieder ein Schwert in den Händen zu halten. Von einem richtigen Kampf ganz zu schweigen.“

Falkenauge schritt an dem Grünschopf vorbei und blieb dann überrascht stehen, als dieser sich verbeugte.

„Ich verspreche, besser auf mich aufzupassen, also bitte, trainiere mich weiter!“

Er betrachtete den anderen für eine Weile.

„Heute nicht.“

„Was?!“, rief das Mädchen aufgebracht.

„Beruhig dich, Lorenor“, entkam es ihm gelangweilt, während er den Gang zur Küche hinunter ging. Er brauchte seinen Kaffee. Es war eindeutig noch zu früh, um sich mit so viel Starrsinn auseinanderzusetzen. Kleine Füße folgten ihn schwer stampfend.

„Deine Wunden heilen ja wirklich so schnell, wie du behauptet hast. Wir werden morgen mit dem Training fortfahren. Heute ruhst du dich noch aus.“

Die wütende Frau öffnete aufgebracht den Mund, doch er sah sein Gegenüber kühl an.

„Wenn du mir jetzt widersprichst, beweist du nur wieder, dass du noch nicht verstanden hast, was ich versuche dir beizubringen, Lorenor. Ein begriffsstutziger Schüler ist Zeitverschwendung.“

Grinsend beobachte er, wie der kleine Mund wieder zuklappte.

„Na, du scheinst ja doch lernfähig.“

In diesem Moment konnten sie hören, wie die Haustür laut aufgeknallt wurde.

„Hallo! Ich bin wieder da!“, hallte die energiegeladene Stimme der Haushälterin durch den Flur.

„Oh nein…“, stöhnte der Samurai auf,  „Nicht vor meinem Kaffee“, litt er.

„Das habe ich gehört, Ihr unsensibler Klotz.“

Das Mädchen lachte leise:

„Hört sich seltsam an, wenn sie dich beleidigt.“  

Im nächsten Moment kam die Haushälterin mit einem Berg von Kisten und Kartons.

„Oh mein Gott“, entkam es dem jungen Schwertkämpfer und er hüpfte zur Seite ehe er erschlagen wurde.

„Kann ich Ihnen was abnehmen?“

„Nicht nötig, mein Kind“, lächelte sie sanft.

„Hier! Nehmt das!“, befahl sie dann herrisch und drückte ihre Last dem einzigen Mann im Raum in die Arme.

„Am besten alles in die Abstellkammer bringen. Ich kümmere mich gleich drum.“

„Aber was…“

„Keine Widerrede“, unterbrach sie ihn sofort, „Ich mach Euch derweil Kaffee, ehe Ihr die Küche in die Luft jagt.“

Womit hatte er das verdient?

Leise vor sich hin murrend brachte er den Kram weg, ohne zu wissen, was es war. Nicht, dass es ihn wirklich interessierte. Danach kam er wieder in die Küche, wo schon der herrliche Duft der gerösteten Bohnen seine Nase füllte. Der Grünschopf saß auf dem kleinen Stuhl an der Seite und flocht sich umständlich die Haare, ein Glas Orangensaft vor ihm auf dem Tisch. Das ehemalige Kindermädchen war derweil am Frühstück vorbereiten und ergoss wie immer einen Wasserfall an Wörtern über jeden, der nicht schnell genug weglaufen konnte.

„… und Seira war so begeistert von dir, meine Liebe. Sie hat heute Morgen nur von dir geschwärmt.“

„Aha, danke, schätze ich?“, murmelte der Pirat nur. Offensichtlich kämpfte er mehr mit der Herausforderung seiner Haare, als dass er der Haushälterin zuhörte. Diese hatte aber bereits ihr nächstes Opfer gefunden, Mihawk.

„Tenkai hat mir erzählt, dass Ihr ihn tatkräftig auf der Versammlung unterstützt habt. Ich bin so stolz auf Euch. Euren Vater hätte das sicherlich auch gefreut.“

Dulacre nahm ihr die Tasse aus der Hand und zog nur eine Augenbraue hoch.

„Ich glaube kaum, dass das meinen Vater in irgendeiner Form interessieren würde, sonst wäre er in den letzten 25 Jahren noch einmal auf Sasaki gewesen.“  

Im Raum wurde es ruhig. Eine unangenehme Stille waberte zwischen ihnen.

„Uah!“ Laut polternd viel der verzauberte Pirat vom Stuhl. Die Hände hoffnungslos in den Haaren verfangen.

„Oh nein. Loreen!“, rief Kanan entsetzt und rannte zu dem Grünschopf, „Hast du dir wehgetan? Bist du verletzt?“

Stöhnend richtete das Kind sich auf.

„Das einzig Verletzte ist mein angeknackster Stolz.“ Entnervt befreite der Jungspund seine Finger aus den Haarknäueln.

„Ich geb‘s auf. Ich bin zu blöd dafür. Geben Sie mir eine Schere, die kommen ab.“

„Auf gar keinen Fall! Für so schöne Haare würden hunderte…“

„Mädchen töten! Ich weiß, ich weiß. Aber…“

Leise grinsend verfolgte er den Streit der beiden Frauen, während die Haushälterin den Gast des Hauses wieder auf den Stuhl drückte und sich nun an dessen Haare gab. Die beiden fuhren immer weiter fort, als würde es um etwas wirklich Wichtiges geben, dabei wurde es nur immer lächerlicher und er konnte einfach nicht verhindern, dass er irgendwann laut auflachen musste. Die Zankerei verstarb als er in seinen Morgenkaffee prustete. Beide Frauen sahen ihn verwundert an.

„Was habt Ihr denn?“

„Machen Sie sich nichts draus. Der ist schon seit gestern Abend so komisch“, antwortete der Jungspund an seiner Stelle.  

„Wenn die Damen dann fertig wären, würde ich es begrüßen, wenn du dich anziehen gehen würdest, Loreen. Wir haben heute noch viel vor.“ Schnell dirigierte er das Thema in eine bessere Richtung.

„Wieso?“, fragte das Mädchen misstrauisch und er rechnete dem anderen wohlwollend an, dass er nicht direkt nach einer Unterrichtseinheit gefragt hatte. Vielleicht drang er doch allmählich zu diesem Starrkopf durch.

„Wir werden heute nach Sarue fahren.“

Damit ging er zur Tür.

„Allerdings nur, wenn du in der Lage bist, etwas anzuziehen, was nicht so ganz nach Obdachloser aussieht. Und morgen werden wir dein Training wieder aufnehmen. Ich hol jetzt die Zeitung“, murrte er und setzte seine Worte in die Tat um.

Als er wieder kam, war nur noch die Haushälterin im Raum. Wieder schlich sich ein Grinsen auf die Lippen.

„Scheint, als hätte ich unseren Gast endlich im Griff“, murmelte er selbstgefällig und griff wieder nach seiner Tasse.

„Wer’s glaubt“, kommentierte Kanan, die ihm einen Teller mit Obst reichte, „Ich habe doch eher das Gefühl, dass dieses Mädchen Euch ganz schön um den Finger gewickelt hat.“ Er erwiderte über die Zeitung hinweg genervt ihren neckenden Blick.

„Wovon reden Sie?“

Doch die Frau klaubte sich nur grinsend eine Weintraube von seinem Teller und steckte sie genüsslich in ihren Mund.

„Ich wünsche Euch auf jeden Fall viel Spaß auf Sarue. Loreen hat auch schon das perfekte Kleid für einen Ausflug.“

Er rollte nur mit den Augen. „Wir fahren da nicht zum Vergnügen hin.“

„Natürlich nicht. Für sowas hat der feine Herr natürlich keine Zeit. Dann viel Spaß bei Eurem Arbeitsausflug, oder was auch immer Ihr da treibt.“ Sie wandte sich zum Gehen.

„Kanan“, murmelte er, ohne sie anzusehen.

„Ja?“ Die Buchstaben der Zeitung verschwommen vor seinem unkonzentrierten Auge.

„Was meinen Sie damit?“

„Womit?“, fragte sie unschuldig.

„Mit dem um den Finger wickeln“, murmelte er und wurde mit jedem Wort leiser.

„Ach, Dulacre.“ Überrascht sah er auf. Seit seiner frühesten Kindheit hatte sie ihn nicht mehr so angesprochen.

„Ich weiß ja, dass ihr ein emotionaler Krüppel seid, aber selbst Euch muss es aufgefallen sein.“

„Was denn?“

Leicht lächelnd kam sie auf ihn zu und strich ihm liebevoll über die Wange, wie es nur eine Mutter tun konnte.

„Ihr sorgt Euch um das Mädchen. Ihr kümmert Euch um sie. Ihr streitet mit ihr. Ihr unterhaltet Euch mit Ihr. Aber am aller wichtigsten. Ihr lacht wieder!“

Kapitel 12 - Die Überfahrt

Kapitel 12 – Die Überfahrt

 

-Zorro-

„Wie weit bist du, Süße?“, hörte er die ihm nur allzu bekannte Stimme.  

„Fast fertig“, log er und sah hilflos die Schuhe vor sich an. Das Kleid, der BH, die Haare, mit all diesen Dingen konnte er sich irgendwie abfinden. Musste er sich mit abfinden. Aber diese Schuhe.  

Das Blut vom Vortag hatte sie von innen beinahe komplett schwarz gefärbt. Er hasste diese Schmerzempfindlichkeit seines neuen Körpers.

Damals, als er sich selbst die Füße abhacken wollte, hatte es weniger wehgetan, als jetzt diese Schuhe. Unglücklich betrachtete er die unschuldig aussehenden Folterwerkzeuge.

Es überraschte ihn kaum, dass die Tür aufschwang und die Haushälterin hereinkam.

„Das Kleid steht dir wirklich gut. Allerdings sollten wir den Ausschnitt mit einem Schal bedecken, wegen den ganzen blauen Flecken. Unten habe ich noch… Oh, Kind.“

Er hatte gar nichts gesagt, doch es war auch nicht nötig. Die Augen des ehemaligen Kindermädchens glitten von seinen wunden Füßen zu den ruinierten Schuhen und zurück. Dann nickte sie ernst, verschwand für einen Augenblick, ehe sie innerhalb weniger Sekunden wieder auftauchte und ein einfaches Paar flacher Schuhe hervorzauberte.

„Zum Glück hab ich eben noch diese Ballerinas gekauft. Seira hatte mir schon mitgeteilt, dass du die Schuhe gestern nicht unbedingt bequem fandest. Die hier sollten besser passen. Aber auf jeden Fall musst du eine Strumpfhose anziehen.“

„Eine was?“

Sie lachte nur.

„Komm, zier dich nicht. Wir müssen uns beeilen, sonst wird der junge Herr noch ungeduldig.“

„Was soll an dem denn jung sein?“

Doch er wehrte sich nicht, sondern gehorchte der Haushälterin nur. Das war einfacher, als mit ihr zu diskutieren. Am Ende würde sie eh ihren Dickkopf durchsetzen. Nach einigen Minuten Kämpfen und Zerren stolperte er aus dem Zimmer.

„Warte, deine Haare mein Kind.“

„Nicht nötig! Danke nochmal, habt einen schönen Tag.“

So schnell er konnte hechtete er die Treppe hinunter und zum Flur. In der Küche traf er den zeitungslesenden Samurai an.

„Nun komm schon! Bevor die noch auf die Idee kommt, mich wieder zu schminken.“

Mit leichter Verwunderung sah der Schwarzhaarige auf und betrachtete ihn für einen Augenblick ausdruckslos.

„Hast du was auf den Ohren? Lass uns abhauen!“

Ohne abzuwarten packte er den Arm des anderen und zerrte ihn wieder in den Flur.

„Loreen, warte doch. Deine Haare!“, tönte es vom Treppenabsatz.

„Ganz bestimmt nicht!“, brüllte er zur Antwort und jagte zur Tür hinaus.

„Jetzt komm, Falkenauge!“

„Jetzt kreisch hier nicht so rum, du Nervensäge. Außerdem habe ich dir gesagt, dass du mich Dulacre nennen sollst!“, bekam er eine gereizte Antwort. Überrascht wandte er sich um.

Mit gelangweiltem Gähnen folgte ihm der andere nun langsam und zog sich noch den seltsamen Hut auf. Mantel und Schwert wie immer anwesend.

Leise vor sich hin murrend wartete er, bis der Samurai zu ihm aufgeholt hatte.

„Also, was ist der wahre Plan?“

„Hmm?“, fragend blickte der Ältere mit einem Auge zu ihm hinab.

„Kanan mag ja glauben, dass wir nach Sarue fahren, aber jetzt mal raus mit der Sprache: Was machen wir wirklich?“

Der Schwarzhaarige verschränkte unschuldig die Arme hinterm Kopf.

„Wie gesagt, wir fahren nach Sarue.“

„Du kannst es jetzt sein lassen, Falkenauge. Was hast du wirklich vor?“

Bevor er reagieren konnte, drückte sich eine Hand unglaublich feste in seine Schulter.

„Ein letztes Mal“, knurrte der Samurai so nahe an seinem Ohr, dass er wegzuckte,

„Wir fahren nach Sarue und du nennst mich ab jetzt Dulacre, du unerzogenes Balg.“  

Verwirrt sah Zorro zu dem anderen Schwertkämpfer auf.

„Was hast du denn jetzt schon wieder? Was ist an deinem Namen denn schon so toll? Du nennst mich doch auch immer nur Lorenor. Und warum verschwendest du einen kompletten Trainingstag um so ‘ne blöde Insel zu besuchen?“

Falkenauge ließ ihn los und schritt an ihm vorbei.

„Du bist wirklich eine Plage. Du treibst mich echt noch zur Weißglut.“

Dann seufzte der Samurai. „Ich weiß nie, ob du so dumm daher redest um mich zu nerven oder ob du einfach nur so begriffsstutzig bist.“

Wütend folgte er ihm. „Hey! Du…“

„Ich erkläre es dir noch einmal. Danach erwarte ich, dass du deine paar grauen Zellen mal benutzt um selber nachzudenken.“

Sie hatten schon beinahe die Lichtung erreicht. In diesem Moment bemerkte er zum ersten Mal die singenden Vögel und spürte eine leichte sommerliche Wärme, die immer wieder vom frischen Wind fortgetragen wurde. Eigentlich war es doch ein schöner Tag um an der frischen Luft zu sein.

„Wie gesagt, werden wir erst morgen mit deiner Ausbildung fortfahren können“, fuhr der Samurai schließlich fort und wartete, bis  er selber zu dem Schwarzhaarigen aufgeholt hatte.

„Deswegen nutzen wir heute, um uns ein Bild von der Insel zu machen, auf der die Strohhüte ankommen werden. Schließlich planen wir einen Hinterhalt.“

Ein gemeiner Unterton und ein fieses Grinsen schlichen sich auf die sonst so kühlen Züge.

„Es wäre sinnvoll, wenn wir uns die Vorteile zu Nutzen machen können.“

„Ganz der Stratege, was?“, kommentierte er und sah zum anderen herauf.

„Und dafür fahren wir extra dahin? Ganz schön aufwendig.“

„Es gibt noch einen anderen Grund.“

„Aha“, erwiderte er nur, während vor ihnen das Dorf auftauchte.

„Es könnte sein, dass es dort jemanden gibt, der dir helfen könnte, wieder deine ursprüngliche Gestalt zu erhalten.“

Er spürte wie sich plötzlich eine innere Anspannung in ihm aufbaute.

„Wirklich?“

Falkenauge nickte.

„Ich hatte ihn ganz vergessen, aber als du dich gestern mit dem Bürgermeister von Sarue unterhalten hast, erinnerte ich mich wieder an diesen komischen Kauz. Banri oder so war sein Name. Ihm gehört die städtische Bibliothek und wenn jemand über Inkarnation und Wiedergeburt Bescheid wissen kann, dann wohl er.“
 

In Schweigen gehüllt gingen sie nebeneinander die Straßen des Dorfes hinab, jeder in seinen eigenen Gedanken gefangen. Um sie herum herrschte bunter Trubel. Leute auf dem Weg zur Arbeit, andere errichteten ihre Stände vor den Hauseingängen. Kinder liefen laut lachend zur Schule. Die Dorfbewohner wirkten glücklich.

Doch Zorro entfiel nicht, dass sie alle plötzlich verstummten und die Straßenseite wechselten, sobald ihr Blick auf die zwei Piraten fiel. Er kannte diese argwöhnischen Augen nur zu gut, doch zum ersten Mal seit Jahren waren sie ihm wieder unangenehm.

„Es liegt nicht an dir“, hörte er die ruhige Stimme des Samurais.

Da bemerkte er es auch. Die Blicke waren gar nicht auf ihn gerichtet, sondern alle auf den Mann mit den Augen eines Falken. Jetzt erkannte er auch, dass Furcht und ein bisschen Verachtung in den Gesichtern der Bewohner stand. Die Menschen, mit denen der Schwertkämpfer aufgewachsen war, wollten ihn nicht bei sich haben. Er kannte diese Blicke. Sie hatten ihn nie viel gestört. Aber hier und jetzt empfand er sie als furchtbar. Selbst die Sonne, die warme Strahlen über den Platz warf, konnte daran nichts ändern. Er blinzelte durch das Licht hindurch und sah den anderen mit großen Augen an.

„Ist es dir egal?“, murmelte er schließlich.

Wieder sah der Schwertkämpfer zu ihm hinab. Ein sanftes Lächeln umspielte seine markanten Züge und er strich sich überlegend über den Bart.

„Ich bin nicht wegen den Dorfbewohnern hier. Ihre Gedanken interessieren mich nicht.“

Zorro senkte wieder den Kopf.

„Warum willst du, dass ich dich Dulacre nenne?“, fragte er unvermittelt.

Der Samurai lachte leise:

„Das hab ich dir doch gestern erklärt, du Grünschnabel.“

Er verschränkte die Arme, während ein warmer Wind an seinem Halstuch zog.

„Ja, aber das war doch nur für zufällige Mithörer.“

„Du bist echt langsam im Kopf, mein lieber Lorenor“, sagte der andere mit einem Grinsen im Gesicht und legte seine Hand auf die grünen Haare, nur um sie zurückzuziehen, bevor er sich wehren konnte.

„Mein Gott, das Gras auf deinem Schädel brennt ja förmlich.“

„Was soll das?“, fuhr er den Samurai an, doch dieser hatte bereits, ohne auf ihn zu warten, die Straßenseite gewechselt und eilte zu einem kleinen Stand.

„Jetzt hör mir wenigstens zu, wenn ich dich anschreie!“, rief Zorro wütend und folgte dem Schwarzhaarigen. Er konnte seinen Gedankengängen einfach nicht folgen.

Dieser unterhielt sich immer noch mit der Verkäuferin. Als er ihn erreicht hatte bedankte Mihawk sich gerade.

„Hier“, grinste er ihn an und stülpte ihm einen weißen Hut auf den Kopf.

„Bevor daraus noch Heu wird.“

Zornig funkelte er Falkenauge an.

„Der Hut steht Ihnen ausgezeichnet, junge Dame“, sprach nun die Verkäuferin freundlich.

Er sah sie beinahe entsetzt an. Für einen Moment wollte er ihr mit dem Hut den vorlauten Mund stopfen, aber mit seinen schwächlichen Ärmchen würde er wahrscheinlich scheitern. Dann fing er sich schnell und verbeugte sich leicht.

„Vielen Dank. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen, Dulacre“, endete er mit einem bedrohlichen Unterton.

„Für dich doch alles, meine liebe Loreen“, erwiderte der Samurai ebenso bedrohlich, „Und nun komm, sonst verpassen wir noch die Fähre.“

„Fähre?“, fragte er noch, da hatte der andere schon sein Handgelenk ergriffen und eilte die Straße hinunter.

„Weißt du, wie das aussieht?“, knurrte er und versuchte seine Hand wegzuziehen. Doch natürlich schaffte er das nicht.

„Ich mag ihn“, sagte der andere plötzlich ohne ihn anzusehen, als die erste Meeresbrise sie erreichte.

„Lo-re-nor. Ich mag den Klang des Namens, deshalb.“

Der Samurai eilte immer noch Richtung Hafen, den Blick starr auf das Meer gerichtet. „Und Falkenauge mag ich nicht.“

Dann ließ der Ältere ihn los und ging einfach weiter, dem Meer entgegen.

„Ich mag Falkenauge“, flüsterte Zorro beinahe ungehört und wusste, dass die goldenen Augen seiner Begleitung auf ihm ruhten.

„Falkenauge heißt kämpfen, siegen, stärker werden, nie aufgeben.“

Einen Moment hörte man nur den Wind reden.

„Da vorne ist die Fähre mit der wir nach Sarue kommen“, lenkte der Samurai das Thema ab und griff wieder seine Hand. Erneut fielen ihm ein paar nicht allzu schöne Worte ein. Doch dieses Mal hielt er einfach nur seinen Hut fest und folgte dem anderen.

Vorne am Steg stand ein älterer Herr, der ihnen eilig zuwinkte.

„Beeilen Sie sich, wenn Sie noch an Bord wollen. Wir müssen ablegen, wenn wir pünktlich in Sarue ankommen möchten“, rief er ihnen zu, während er bereits damit anfing die ausgeklappte Brücke zu entsichern. Als sie nur noch wenige Meter von ihm entfernt waren, stutzte er.

„Aber das ist doch der junge Herr Dulacre. Ich habe Sie schon Jahrzehnte nicht mehr gesehen.“ Der alte Mann verbeugte sich knapp und unterbrach seine Aufbruchsarbeiten. „Das letzte Mal haben Sie die Fähre mit Fräulein Sharak genutzt. Damals reichten Sie mir kaum bis zur Schulter und mussten immer die ganzen Einkaufstaschen ihrer wunderschönen Schwester schleppen. Das ist ja schon ewig her und nun sind Sie erwachsen und in Begleitung einer hübschen Dame“, plapperte er in Erinnerungen schwelgend weiter.

Zorro sah zum Samurai hinauf, der den Alten nicht mal eines Blickes würdigte.

„Ja“, antwortete er kalt und bedeutete dem Mädchen bereits an Bord zu gehen.

Der Fährmann verbeugte sich rasch.

„Ich entschuldige mich für meine unbedachten Worte. Ihr Verlust tut mir aufrichtig leid. Ihre Schwester und die Werte Frau Mihawk waren eine Bereicherung für alle Inselbewohner.“

Der Pirat nutzte die hölzerne Brücke um vom Steg auf die Fähre zu gelangen. Direkt hinter sich konnte er die verschränkten Arme des Älteren spüren, der die Worte des alten Mannes mit keiner Antwort wertschätzte.

An Bord waren einige Leute, viele von ihnen schienen geschäftlich unterwegs zu sein. Anzugträger und Händler teilten sich die einfachen Bänke und unterhielten sich angeregt über das Wetter und die Nachrichten aus der Zeitung. Sobald ihr Blick auf die Neuankömmlinge fiel, verstummten sie einen Augenblick, ehe sie noch aufgeregter miteinander tuschelten.

Ihre neugierigen Mienen gingen Zorro bereits jetzt schon so dermaßen auf die Nerven, dass er an allen vorbei, bis ans Ende des Schiffes ging. Dort standen nur noch zwei Bänke, welche nicht mehr vom Schutz des Daches gesichert waren und dementsprechend arg mitgenommen aussahen. Sie waren spiegelverkehrt angerichtet, sodass man aufs Meer hinaussehen konnte.

Der verzauberte Pirat warf sich auf die erstbeste Bank und bereute bereits jetzt schon, sich nicht doch noch die Zeit genommen zu haben, einen Mantel oder so mitzunehmen. Der Seewind war kühl und der knochige Körper zitterte innerhalb von wenigen Sekunden unter dem dünnen Stoff des Kleides. Verärgert über sich selber hielt er sich die schwachen Ärmchen. Er war lächerlich.

Der Samurai lehnte sich neben ihn an eine der Säulen, die das Dach der Fähre hielten, und zog wieder die Zeitung aus den Tiefen seines Umhangs. Während der Wind an den raschelnden Blättern riss, las Falkenauge unbeirrt weiter. Nach einer Weile seufzte er leise auf.

Zorro starrte währenddessen stur aufs Meer und ignorierte seinen frierenden Körper. Früh am heutigen Morgen war er aufgeschreckt, weil er sich sicher gewesen war, dass sein Kapitän nach ihm gerufen hätte. Das war natürlich Unsinn. Nicht mehr als ein verzweifelter Traum und so beobachtete er beinahe sehnsüchtig die Wellen. Er hätte sich nie träumen lassen, dass die blauen Wogen in ihm so viel Wehmut erwecken konnten.

Mit einem Mal bedeckte etwas Warmes seine Schultern und ehe er sich versah, umhüllte ihn der schwere Umhang des Samurais.

„Was…?“ entkam es ihm entrüstet. Mihawk seufzte erneut.

„Dein Zähneklappern stört beim Zeitung lesen. Denk das nächste Mal dran, dir einen Mantel mitzunehmen, wenn du so leicht frierst“, murrte der Ältere ruhig, ohne aufzublicken.

„Ich habe nicht um deine Hilfe gebeten“, knurrte der Grünschopf wütend, während er sich den Hut festhielt.

„Doch, hast du. Auf Knien, wenn ich dich erinnern darf“, antwortete Falkenauge gelassen und blätterte in seiner Zeitung, ehe er wieder aufseufzte.

„Was hast du denn nun schon wieder?“, hakte Zorro nach und sah zu dem anderen hinauf, welcher etwas ärgerlich die Zeitung zusammenfaltete.

„Die Presse hat mal wieder zu viel Freizeit“, murmelte dieser bloß und verschränke die Arme. Offensichtlich wollte er nicht näher darauf eingehen.

Da es den Piraten auch nicht wirklich interessierte, verschränkte er ebenfalls die Arme und grub die zittrigen Hände tief in den warmen Stoff des Mantels.

So vergingen einige Minuten der Überfahrt in einvernehmlichem Schweigen, nur gestört von den Gesprächsfetzen der anderen Mitreisenden, die ab und an zu den beiden Schwertkämpfern hinüber schwappten. Die Unterhaltungen wirkten sehr oberflächlich und nicht wenige schienen sich über das ungleiche Paar am Schiffsende zu ereifern.

Zorro versuchte die meist dreisten Mutmaßungen zu ignorieren, aber es fiel ihm sichtlich schwer, sodass er mit dem Gedanken spielte, sich Mihawks Schwert zu borgen und den Gaffern mal eine Lektion zu erteilen. Allerdings befürchtete er, dass er das Black Sword nicht wirklich führen konnte. Aber er hatte noch nie ein Schwert gebraucht, nur um andere in ihre Schranken zu weisen. Notfalls würden auch ein paar einfache Worte, versüßt mit einer ordentlichen Kopfnuss, ausreichen.

Mit aufgeplusterten Wangen stand er auf und hatte sich schon einen passenden Kommentar zurechtgelegt, als der Samurai auf ihn zu kam.

„Lass sie reden, Lorenor“, sagte er ruhig und legte ihm eine Hand auf die Schulter, ehe er weiterging und sich auf der Reling abstützte, „Die meisten Menschen hier haben nur ihr eintöniges Leben und das, was in der Zeitung steht, zum Erzählen. Verschwende keine unnötige Energie an sie. Du wirst sie wahrscheinlich doch eh nie wieder sehen.“

Der Grünschopf verschränkte die Arme und betrachtete das Schwert auf dem Rücken des anderen, ehe er antwortete.

„Aber es sind doch deine Landsleute oder nicht? Sie sollten nicht so über dich reden. Schließlich werden sie durch deinen Namen geschützt.“

Falkenauge legte den Kopf in den Nacken.

„Die Erziehung fremder Leute ist weder meine Aufgabe noch meine Verantwortung. Der Name meiner Familie schützt diese Insel. Mir sind die Inselbewohner gleichgültig.“

„Trotzdem steht dein Name am Hafenschild und nicht der deines Vaters“, murmelte Zorro und lehnte sich mit dem Rücken neben den Samurai an die Reling. Er konnte sehen, wie einige Köpfe sich schnell umdrehten, als er unter Deck guckte.

„Sag mal“, entkam es ihm schließlich, während er den viel zu langen Mantel noch etwas enger um sich drückte und den Hut abnahm, ehe dieser noch die Fliege machen konnte, „Mir ist aufgefallen, dass du und dein Vater ganz untypische Namen für diese Gegend hier haben. Ich meine, er hieß doch Gat, oder? Und du heißt Dulacre. Das ist ganz anders als der Name deiner Schwester Sharak oder deine Mutter. Warte, wie war noch einmal ihr Name?“

„Das ist es, von all den Dingen, die du mich fragen könntest, was dich interessiert?“ fragte Mihawk mit einem kurzen Seitenblick. Er stützte seine Unterarme auf das verblasste Holz und sah auf die immer kleiner werdende Insel. Es wurde still um sie.

„Taruchie“, murmelte er schließlich, „Taruchie war der Name meiner Mutter.“

Zorro nickte, mehr zu sich selbst, als zu dem anderen.

„Warum ist dein Name so anders?“

Der Samurai seufzte:

„Ich trage den Namen meines Vaters Großvaters. Meine Schwester trug den Namen unserer Großmutter mütterlicherseits. Mihawk ist der Familienname meiner Mutter. Sie lernte meinen Vater kennen, als er hier auf der Marinebasis stationiert war. Sie verliebten sich und er nahm ihren Namen an. Auch ein Weg um seine Karriere voran zu bringen. Er wollte aber, dass ich in seine Fußstapfen trete, deswegen heiße ich so.“

Die zierlichen Finger des Piraten fuhren entlang der Nähte des Hutes, während er nachdachte. Er hatte geglaubt, so viel über den besten Schwertkämpfer der Welt zu wissen. Schließlich war es sein Titel, den er jagte. Aber im Endeffekt wusste er nichts. Überhaupt nichts.

„Also müsste dein Vater ziemlich stolz auf dich sein. Schließlich bist du ja der beste Schwertkämpfer der Welt und die Schwertkunst war doch eines seiner Steckenpferde, wenn ich mich nicht irre.“

Wieder glitt sein Blick über die Reihen der Mitreisenden, deren Gespräche so laut waren, dass die ruhig gewechselten Worte der Schwertkämpfer sie nicht erreichen konnten.

Der Samurai lachte kurz auf.

„Wohl eher nicht“, meinte er bitter.

„Wie meinst du das?“, hakte Zorro nach. Er wäre verdammt stolz, wenn sein Sprössling je eine solche Leistung erbringen sollte.

„Ach, Lorenor.“ Der langgezogene Seufzer des Samurais übertönte kaum den Meereswind.

Eben genannter nahm das als Antwort auf und so fragte er nicht weiter nach. Sein Blick lag auf der gut verarbeiteten Krempe des Hutes.

„Jeder mochte Sharak.“ Er sagte nichts, als der andere sprach. „Sie war wunderschön, intelligent und immer gut gelaunt. Ein richtiges Wunderkind.“ Die Stimme des Samurais war leise, tief in Gedanken. „Und sie war eine unglaublich gute Schwertkämpferin.“

„Hmm“, murrte Zorro zustimmend.

Dulacre seufzte erneut und legte seinen Kopf auf seinen Händen ab, als wäre dieser unglaublich schwer geworden.

„Sie war sechs Jahre älter als ich und interessierte sich einen Dreck für Politik. Sie las nicht gerne und konnte ziemlich unhöflich werden. Aber wenn man ihr ein Schwert in die Hand gab, war sie unschlagbar. Als ich elf war, besiegte sie meinen Vater mit Leichtigkeit und danach immer mehr namhafte Krieger der Marine. Sie war wohl der ganze Stolz der Familie. Wie gerne wäre ich so talentiert wie sie gewesen. Aber ich konnte nicht ansatzweise mit ihr mithalten. Sie war alles für meinen Vater.“

„Aha.“ Mehr konnte der Grünschopf nicht sagen. Denn für ihn klang dieses Mädel äußerst unsympathisch. Menschen denen alles in die Wiege gelegt und der Rest in den Arsch gestopft wurde konnte er noch nie leiden.

„Ich liebte meine Schwester.“ Überrumpelt starrte Zorro zum Samurai hinüber.

„Was? Wieso?“ Er hatte es ausgesprochen, ehe er nachgedacht hatte. Doch Falkenauge schien seinen Sarkasmus nicht zu stören.

„Obwohl sie stark war und immer eine dicke Lippe riskierte, so war sie doch auch unglaublich naiv, was das wahre Leben anging. Ich weiß nicht, wie oft sie weinte, weil sie irgendein Typ verlassen hatte. Sie hat nie kapiert, warum es meinem Vater so wichtig war, uns so früh wie möglich in die Marine einzubringen. Ich glaube, sie hat noch nicht einmal das Prinzip der Piraterie verstanden. Die Vorstellung, dass Menschen böswillig andere beraubten und töteten, war für sie nicht möglich.“ Wieder seufzte der Schwarzhaarige.

„Deswegen musste ich sie als jüngerer Bruder beschützen. Es war doch meine Aufgabe, dass sie glücklich war. Jeder Mistkerl, der ihr wehgetan hatte, musste dafür bezahlen. Denn obwohl sie mit dem Schwert in der Hand ein wahrer Albtraum war, war sie außerhalb des Trainingsraums ein unschuldiges Mädchen. Ich denke nicht, dass sie in den Tretmühlen der Marine überlebt hätte. Sie war letzten Endes viel zu weich. Unglaublich stark, aber ihr fehlte der letzte Funke, den anderen wirklich zu erledigen.“

Zorro sagte nichts. Diese Worte waren ihm vertrauter, als ihm lieb war. Er verstand genau, was Falkenauge für dessen Schwester empfunden hatte. Es war mehr, als der Wunsch oder die Pflicht, seine Schwester zu beschützen. Er hatte einfach gar keine andere Wahl, als dies zu tun, als immer für sie da zu sein. Ja, er verstand das nur zu gut.

„Mein Vater war unglaublich stolz auf sie. Denn obwohl sie ihm so unähnlich war, konnte ihr doch niemand im Kampf das Wasser reichen.“

„Und du? War dein Vater stolz auf dich?“

Es musste schwer sein, immer den starken, den überlegten, den absolut unnahbaren Strategen darzustellen. Der Pirat vermutete, dass der Samurai noch nie mit jemandem darüber gesprochen hatte.

Ein Leben ohne Freunde war schon verdammt einsam.

„Nicht wirklich. Ich denke, ich war der kleine Störenfried. Mit Jirou habe ich in meiner Kindheit unglaublich viel Unsinn angestellt und die Politik interessierte mich ebenso wenig wie meine Schwester. Als ich sieben war, weigerte mein Vater sich, mich weiter zu trainieren, da er in mir einen hoffnungslosen Fall sah. Ich war nicht gut genug.“

„Und ab dann hast du alleine trainiert?“, fragte er nach.

„Oh nein!“, lachte der Ältere, „Ich wollte aufhören. Mir war es egal, was meine Eltern dachten. Eigentlich wollte ich als Kind immer Priester werden.“

Das Mädchen konnte nicht verhindern, dass die Kinnlade zu Boden klappte.

„Echt jetzt?“

„Ja klar. Ein einfaches, bescheidenes Leben, ohne all diesen politischen Zwang und diesen falschen Prunk. Namen tragen keine Bedeutung und außer dir selbst bist du nur Gott verpflichtet. Außerdem gibt es Wein umsonst. Das hörte sich schon gut an.“

Der Mann schüttelte den Kopf.

„Aber Sharak bat mich immer wieder mit ihr zu trainieren, was ich ihr natürlich nicht abschlagen konnte. Mir war nicht bewusst, dass sie im Grunde nur mich trainieren wollte.“

Mihawk seufzte wieder.

„Wenn sie nicht gewesen wäre, wäre ich heute nicht der beste Schwertkämpfer der Welt. Aber wenn sie nicht gestorben wäre, dann wohl auch nicht.“

Vor der Fähre konnte Zorro die Umrisse einer Insel ausmachen.

„Wie ist sie gestorben?“, fragte er die Frage, die er eigentlich von Anfang an hatte stellen wollen. Wie konnte ein so starker Mensch sterben?

„Piraten“, antwortete der Samurai schlicht, „Ich sollte meine Mutter zu einer der Versammlungen begleiten und hatte absolut keine Lust dazu. Meine Schwester war so freundlich für mich einzuspringen. Sie wurden von einem Kriegsschiff  mitgenommen und auf dem Weg zum Sabaody Archipel angegriffen. Niemand hat überlebt.“

„Wann?“, fragte er tonlos.

„Als sie achtzehn war. Es war knapp einen Monat nach ihrer Verlobung.“

In diesem Moment ertönte ein lauter Gong, der das Holz zum Vibrieren brachte.

Die darauf folgende Durchsage wies sie daraufhin, dass sie in kurzer Zeit anlegen würden und dass alle Reisenden bis zu diesem Moment sitzen bleiben sollten.

Der Samurai erwachte aus seiner abwesenden Haltung und räusperte sich.

„Du solltest dich setzen“, murmelte er, hockte sich ebenfalls auf eine der Bänke und schlug die Beine übereinander.
 

Eine Stunde später schlenderte das ungleiche Paar über den überfüllten Markt von Sarue. Der verzauberte Pirat nun eingepackt in einen dicken weißen Mantel, passend zum Hut natürlich. Vor wenigen Minuten hatten sie die Bücherei mit der enttäuschenden Neuigkeit verlassen, dass der Mann, den Mihawk aufsuchen wollte, Banri war sein Name, schon seit über einem Jahrzehnt tot war.

Um die Überfahrt nun wenigstens ein bisschen zu nutzen, nahmen sie sich ausgiebig Zeit um die Insel möglichst genau unter die Lupe zu nehmen.

Allerdings kam auch das dem Grünschopf ziemlich unnötig vor, denn der Samurai schien sich hier perfekt auszukennen.

„Wir sollten zurück fahren“, murrte er, „Dann können wir wenigstens noch etwas trainieren.“

Falkenauge auf der anderen Seite schien den Ausflug wirklich zu genießen. Als wollte er die dunklen Erinnerungen von vorher ausblenden.

„Jetzt stell dich doch mal nicht so an. Die Sonne scheint, es ist ein guter Tag. Denk doch nicht immer nur an dein Training, ich weiß schon ganz genau, was ich tue. Vertrau mir.“

„Ja sicher“, grummelte Zorro ironisch und wunderte sich, was der andere sonst noch hier wollte.

Im nächsten Moment packte ihn eine Hand grob an der Schulter.

„Du lebst ja tatsächlich noch, Lorenor Zorro!“

Kapitel 13 - Der Neuling

Kapitel 13 – Der Neuling
 

-Mihawk-

„Du lebst ja tatsächlich noch, Lorenor Zorro!“

Er wirbelte herum.

Der Name des Piraten rang in seinen Ohren wie ein lautes Alarmsignal.

Wer hatte ihn enttarnt?

Vor ihnen stand ein junger Mann, möglicherweise nur vier bis fünf Jahre älter als der verwunschene Grünschopf an seiner Seite.

Der Neuankömmling hatte eine muskulöse, schokobraune Hand nach dem Mädchen in Weiß ausgestreckt. Seine braunen Augen lugten neugierig zwischen schwarzen Locken hervor und die vollen Lippen waren zu einem breiten Grinsen verzogen. Er trug seltsam eng anliegende Klamotten, wie sie Sportler manchmal trugen. Eine Kappe war tief ins Gesicht gezogen.

„Wer bist du?“, fragte Dulacre kühl.

Noch war er sich nicht sicher, ob sein Gegenüber wirklich ein Feind war und da sie mitten auf dem Markplatz standen, wäre es von Vorteil, wenn sie das vorliegende Problem ohne viel Aufsehen lösen könnten.

Der Jüngling lachte leise:

„Sieh einer an. Der junge Mihawk Dulacre ist ein richtiger Mann geworden. Aber in der Wahl deiner Freunde hast du dich kein Stück verbessert.“

Der kleine Seitenhieb brachte ihn nicht wirklich aus der Ruhe.

„Du sprichst ganz schön unhöflich mit einem der sieben Samurai. Wer glaubst du, wer du bist?“ Seine Worte waren entspannt, doch ein kleiner, drohender Unterton hatte sich eingeschlichen.

Wieder lachte der Dunkelhäutige, doch das Mädchen sprach zuerst:

„Wie machst du das?“, fragte Lorenor beinahe heiser.

Etwas verwirrt blickte Falkenauge zu seiner Begleitung hinab, dieser starrte den Fremden entsetzt an.

„Was bist du?“

Erneut lachte der andere.

„Deine Frage, Lorenor Zorro, sollte doch eher lauten; was sind wir?“

Es war offensichtlich, dass den scharfen, gelben Augen des Samurais etwas entging, was die beiden anderen ohne Probleme wahrnahmen, aber was?

„Als ich hörte, dass Mihawk Junior mit einem hübschen Mädchen im Schlepptau nach Banri gefragt hat, bin ich wirklich neugierig geworden, und das Bild in der Zeitung hat mir dann auch noch den Mund wässrig gemacht. Deswegen wollte ich dich mal in Natura sehen, aber ich kann meinen eigenen Augen kaum glauben.“ Das Grinsen wurde noch breiter.

„Was geht hier vor?“, versuchte Mihawk es erneut, erfolglos.

„Dulacre“, flüsterte die junge Frau atemlos, „Wie sah dieser Banri aus?“

Nun war er richtig verwirrt. Es passierte selten, dass seine Strategien nicht aufgingen, noch seltener passierte es, dass er komplizierten Gedankengängen nicht folgen konnte. Aber es war ihm noch nie passiert, dass er absolut keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging.

„Mihawk!“, knurrte Lorenor erneut.

Dieser schüttelte den Kopf.

„Ich verstehe nicht, wovon du redest, aber wie dem auch sei, Banri hatte rotes, schütteres Haar mit einer Halbglatze. Er war so durchschnittlich groß mit breiten Schultern und einem Bierbauch. Er wirkte etwas teigig. Wieso?“

„Er ist es.“ Die Stimme des Mädchens war nur ein Hauch.

Der Samurai verstand kein Wort. „Was redest du denn da? Du hast doch selbst gehört, dass er gestorben ist.“

„Ja, das stimmt“, bestärkte ihn ausgerechnet der Fremde, „Vor zwölf Jahren. Ein ganz furchtbarer Unfall, ganz furchtbar. Ich hab gehört, er wollte einem Freund bei der Überfahrt von Baumwolldecken helfen, welche sich wohl entzündet haben. Das komplette Schiff ist verbrannt, ehe es sinken konnte. Ein ganz furchtbarer Tod“, sagte Schokolippe ernst, ehe er wieder grinste, „Allerdings weiß ich das nur von den Eingeborenen, ich selber wohne ja erst seit sieben Jahren hier.“

Das alles machte für Dulacre überhaupt keinen Sinn, doch sein Wildfang schien genau zu wissen, was hier vor sich ging.

Wie ein Wirbelsturm rauschte das Mädchen zum muskulösen Fremden, packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich herunter.

Der weiße Hut segelte sanft zu Boden.

„Ich will jetzt wissen, wie du das machst, Banri!“ Die zarte Stimme klang bedrohlicher als eine Waffe an der Schläfe.

„Lass ihn los!“, zischte Mihawk und verfluchte das unbeherrschte Verhalten des anderen, doch dieser ignorierte ihn getrost.

„Jetzt beruhige dich, Lorenor Zorro“, sagte der angebliche Banri, „Dann wäre ich möglicherweise sogar bereit dir deine Fragen zu beantworten. Wenn du mich loslässt, versteht sich.“

Augenblicklich lösten sich die kleinen Hände vom verknitterten Kragen.

„Na dann, schieß los!“, knurrte das Mädchen, immer noch zum Mord bereit. Der Fremde sah sich langsam um, ehe er sich umwandte.

„Nicht hier, folge mir!“ Und dann schritt er von dannen. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern verfolgte der Grünschopf ihn.

„Jetzt warte mal“, mahnte Mihawk und packte den Jungspund an der Schulter, „Das könnte eine Falle sein.“

Die grünen Augen sahen ihn wild an. „Und wenn schon!“, dann folgte das Mädchen dem Schwarzen.

Leise vor sich hin fluchend, hob Dulacre den Hut auf und folgte seinem Schützling.

Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Vor einem großen Gebäude am Ende des Marktplatzes blieben sie stehen.

„Wenn du mir bitte folgen würdest“, bat der Fremde und öffnete die Tür.

Sowohl Lorenor, als auch Mihawk machten Anstalten, das Haus zu betreten, doch der junge Mann stellte sich in den Weg.

„Ahahah.“  Tadelnd erhob er den Zeigefinger. „Lorenor Zorro ja, Mihawk Junior ähm, nein.“

„Was?“, entkam es dem Samurai atemlos. Dann wandte er sich der jungen Frau zu. „Hör zu, es wäre kopflos ihm jetzt einfach Folge zu leisten. Ich bin wirklich dagegen. Das ist doch ganz offensichtlich eine Falle.“

Es überraschte ihn, wie klar diese grünen Augen ihn ansahen.

„Ich weiß. Aber dennoch muss ich es versuchen. Das hier ist meine einzige Chance!“

Der Pirat griff nach seiner Hand, sein Blick immer noch todernst.

„Vertrau mir“, wiederholte er die Worte des Samurais von vor wenigen Minuten, jedoch viel ernster als dieser sie gemeint hatte.

Dulacre seufzte. Ja, seit dem Vorabend hatte sich wirklich viel verändert, zumindest für ihn.

Sich ergebend stülpte er den Hut wieder über die grünen Haare.

„Wenn du in einer Stunde nicht raus bist, sprenge ich das Haus in die Luft.“

Erst später, nachdem die Tür hinter der zierlichen Silhouette zugefallen war, merkte er, wie verzweifelt sich diese Worte angehört hatten. Ratlos stand er vor dem großen Gebäude.

Und was jetzt?
 

-Zorro-

Der Flur war dunkel, doch das Zimmer, welches er danach betrat war hell erleuchtet. Zorro fand, dass es absolut kitschig eingerichtet war und dabei sah es auch noch ziemlich altertümlich aus.

„Setz dich, setz dich“, sagte der Mann hinter ihm. „Möchtest du was trinken?“

Der Pirat schüttelte den Kopf und ließ sich auf dem, am wenigsten dekorierten, Stuhl nieder. Da es hier unglaublich warm war, zog er ziemlich zügig den Mantel aus.

„Willkommen in meinem Haus. Ich bin hier eingezogen, nachdem der alte Banri und seine Frau verstorben sind.“ Mit einem breiten Grinsen, warf sich sein Gegenüber auf das Sofa. „Ein bisschen viel rosa, aber ansonsten ganz nett hier, findest du nicht?“

„Hören wir auf mit den Spielchen. Du bist Banri, ganz egal, wie du dich jetzt auch nennen magst“, murrte Zorro und beobachtete den anderen dabei, wie er eine Flasche Cola öffnete.

„Toutaku heiße ich. Nett, dass du fragst“, antwortete der andere und grinste unbeirrt weiter, ehe er einen großen Schluck seines Getränks nahm.

„Ich wusste, dass es irgendwann soweit sein würde“, sagte er schließlich deutlich ruhiger und ohne dieses gespielte Grinsen. Zorro hob eine Augenbraue an.

„Das was so sein würde?“

„Na, dass ich einen Neuling treffen würde. Jemanden der keine Ahnung hat, was mit ihm passiert ist. Als ich in der Zeitung von deinem Tod gelesen habe, hab ich mir nicht wirklich was dabei gedacht. Ein gemeiner Pirat weniger auf der Welt. Aber anscheinend habe ich mich da geirrt.“

Nach außen hin war Zorro die Ernsthaftigkeit in Person, hatte den kühlen Blick auf seinen Gastgeber gerichtet und wartete beinahe entspannt ab. Doch innerlich bebte er, sein Herz raste, nur mit immenser Körperbeherrschung schaffte er es, nicht zu schwitzen. Das war in diesem Körper um ein vielfaches schwerer, doch Angstschweiß war eine Schwäche, die er sich nicht eingestehen wollte.

„Ein Neuling?“, fragte er stattdessen, „Soll das heißen, es gibt mehr von…von uns?“

„Ich habe mittlerweile vier andere getroffen und bin mir ziemlich sicher, dass auch mein Großvater zu uns gehörte und dann natürlich noch dich heute.“

Mit zittrigen Händen nahm der Grünschopf den Hut ab und fuhr sich durchs Haar.

„Also verstehe ich das richtig, es gibt auf der Welt einige Menschen, denen sowas wie uns wiederfahren ist?“

„Oh je, wir gehören wohl zu der richtig hellen Sorte“, lachte der Mann ironisch, „Genauso ist es. Und irgendwann lernt man jemanden kennen, der noch nicht weiß, was mit ihm passiert ist und es liegt an uns, einander zu helfen. Ich sag dir ganz ehrlich, ich halte nicht viel von Piraten, und dass deine Crew dich zurückgelassen hat gönne ich dir von ganzem Herzen, aber der Rest. Nein, das wünsche ich niemandem. Wir sind jetzt auf der anderen Seite und hier sind wir alle gleich.“

Zorro sah den anderen an. Sah den wabernden Schatten, der hinter dem dunkelhäutigen Jungen immer wieder klarer wurde und dann wieder verschwamm.

„Ist allen das Gleiche passiert wie uns?“, fragte er, ohne den Worten des anderen große Beachtung zu schenken.

„Na, so ziemlich. Im letzten kommt es drauf an, dass von unseren ursprünglichen Körpern nichts mehr übrig bleibt. Das geht auf verschiedenen Wegen.“ Der andere zuckte mit den Achseln und trank einen weiteren Schluck.

„Warum ausgerechnet wir?“, fragte Zorro, mehr sich selbst, als den Mann, der möglicherweise die Antwort kannte.

„Das kann ich dir auch nicht so genau sagen. Vermutlich haben wir besondere Vorfahren oder haben alle den gleichen blöden Fehler in unserem Leben gemacht, aus denen wir lernen sollen. Wer weiß das schon. Im Grunde ist das doch auch egal, wichtig ist nur, dass wir eine zweite Chance bekommen haben.“

Die lockere Art des anderen sollte ihn beruhigen, ihn entspannen, aber in Wahrheit machte es ihn nur noch nervöser.

„Das heißt also, du kannst meine wahre Gestalt sehen, so wie ich deine?“

Sein Gegenüber nickte.

„Und gibt es eine Möglichkeit, meinen alten Körper zurückzubekommen?“

Endlich stellte er die Frage laut, die ihn nun schon seit Tagen beschäftigte und vielleicht gab es sogar eine Antwort.

Banri, oder Toutaku oder wie auch immer er hieß, schluckte schwer, ehe er sich ernst vorlehnte.

„Okay, Lorenor Zorro, jetzt hör‘ mir mal ganz genau zu. Wenn du willst, sag ich dir alles was ich weiß. Und ich hab über die vergangenen zwölf Jahre echt schon eine Menge gelernt und das ein oder andere Wissen bringe ich noch aus meinem alten Leben mit. Aber zwei Dinge. Zum einen: Nur du kannst dir selbst helfen. Zum anderen: Niemand darf hiervon je was erfahren!“

Auch der Pirat beugte sich nun vor, folgte jedem Wort des anderen auf geheime Informationen hin. „Wieso? Mihawk weiß doch schon wer ich bin.“

Der Junge machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Natürlich. Es ist fast unmöglich sein anderes Gesicht vor allen Menschen ein Leben lang zu bewahren. Das Mädchen, was ihr in der Bibliothek kennengelernt habt, sie ist meine, also Banris, Tochter. Ich habe extra gewartet bis meine Frau verstorben ist, ehe ich wiederkam, aber meine Kleine hat keine zwei Wochen gebraucht um herauszufinden wer ich bin. Aber das wie und das warum, wenn du das jemanden verrätst ist es nicht nur unmöglich für dich, deine alte Gestalt wieder zu erlangen, du bringst uns alle anderen auch noch in Gefahr.“

Zorro stutzte:

„Wieso das denn?“

„Was glaubst du, wie lange die Marine es zulässt, dass Wiederauferstandene wild durch die Gegend laufen? Natürlich wollen sie wissen, warum wir wieder am Leben sind und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir uns alle in Laboren wiederfinden. Dass dein Tod für Schlagzeilen gesorgt hat und du nun kaum eine Woche später als Lady Loreen wieder in der Zeitung stehst, ist schon unpassend genug. Wenn die Leute die richtigen Schlüsse ziehen, wird es wirklich gefährlich für uns alle.“ Er seufzte. „Außerdem wird es für dich so schon schwierig genug, deine andere Gestalt zu erreichen. Wenn die Leute um dich herum die ganze Wahrheit erfahren, wird es unmöglich, weil sie dir falsche Ideen in den Kopf setzen, was du zu tun haben könntest und damit deinen Weg behindern werden.“

Langsam atmete das Mädchen ein und aus.

„Das heißt, es gibt also eine Möglichkeit, dass ich wieder ich werde?“ Er konnte sich ein erleichtertes Lächeln nicht verkneifen.

„Ist das alles, was du dir gemerkt hast?“ rief der andere aufgebracht und warf ein Kissen nach ihm. „Und was heißt hier wieder ich? Es ist nicht so, dass du im falschen Körper steckst, du bist jetzt genauso sehr Loreen wie Zorro, kapiert?“

„Nein.“

„Oh je, ich glaube, wir haben noch einen langen Tag vor uns“, seufzte sein Gastgeber.

„Also gut“, sagte Zorro nach einer Weile bestimmt, „Ich gebe dir mein Wort darauf, dass die zwischen uns gewechselten Worte niemand anderes zu hören bekommt, außer jemand, der so ist, wie wir. Sag mir, was ich wissen muss! Zeig mir, wie ich wieder Lorenor Zorro werde!“

Der Schokobär schüttelte den Kopf.

„Nur, um das Klar zu stellen: Ich kann dir alles sagen, ich kann dir zeigen, wie ich wieder Banri werde. Aber wie du deine andere Gestalt wieder erlangst, das kannst nur du herausfinden.“

„Aber…“

„Kein Aber, es ist nun mal bei jedem von uns anders. Jeder von uns muss was anderes lernen und erst wenn wir das verstanden haben, können wir wählen, wer wir sind. Ich kenne eine Dame, die schon vor 30 Jahren gestorben ist und immer noch nicht in der Lage ist, die Gestalt zu wechseln. Aber kommt Zeit kommt Rat…“ Erneut lächelte er, dann nahm er Zorros zierliche Frauenhand in seine.

„Davon solltest du dich aber jetzt nicht entmutigen lassen. Du lebst und das aus einem bestimmten und nur dir erkennbaren Grund. Diesen musst du finden. Und da alle Wiedergeborenen sind wie eine große, über die ganze Welt verstreute Familie, bist du auf deinem Weg nicht allein. Wir sollten uns jetzt also mit den Details befassen, ehe dein komischer Babysitter wirklich auf die Idee kommt, das Haus in die Luft zu jagen.“
 

-Mihawk-

Mürrisch starrte er auf seine halbleere Kaffeetasse.

Die Sonne hatte den Zenit längst passiert und der Tag schritt allmählich voran.

Eine Stunde lang hatte er den Markt durchforstet, hatte unnötigen Krimskrams gekauft und sich selbst dafür gescholten, dass er sich so um den anderen sorgte.

Nach dieser Stunde hatte er geschlagene zehn Minuten vor der Eingangstür gestanden und sie niedergestarrt. Mit jedem Herzschlag hatte er sich geschworen, jetzt seine Warnung in die Tat umzusetzen, ohne es schlussendlich zu tun.

Vom Inneren des Gebäudes hatte er nichts, aber absolut gar nichts spüren können, das auch nur irgendwie mit Gefahr zu tun hatte. Er würde sich nicht die Blöße geben, reinzustürmen, während die beiden seltsamen Gestalten eine Tasse Tee tranken. So weit war es noch nicht mit ihm gekommen.

Erneut hatte er eine Runde über den Markt gedreht, war nervigen Reportern ausgewichen, die, aus welchen scheinheiligen Gründen auch immer, mit ihm reden wollten und hatte dann zufällig den Bürgermeister Sarues getroffen und sich mit ihm unterhalten.

Er hatte ihm nach den Todesumständen des alten Banris gefragt und wer der dunkelhäutige Junge gewesen sei. Toutaku war sein Name, ein absoluter Musterbürger. Im Gegensatz zum alten, kratzbürstigen Bibliothekar Banri konnte er mit Büchern nicht viel anfangen und blieb auch dem Trinken fern. Als Hinzugezogener hatte er einen leichten Akzent aber die Leute mochten ihn. Er arbeitete hart und kümmerte sich seit seiner Ankunft wohlwollend um die Tochter Banris, die kurz nach dessen Tod auch noch den ihrer Mutter ganz alleine verkraften musste.

Der Bürgermeister bedankte sich bei ihm für sein beherztes Eingreifen während der Versammlung am Vortag und fragte ihn nach Lady Loreen. Die Erklärung, sie hätten sich für eine ausschweifende Einkaufstour getrennt, nahm er mit einem zittrigen Lachen hin.

Sie unterhielten sich noch über einige andere Belanglosigkeiten, der mögliche Bau des Seezuges, wie es Kanan ging, der jährliche Marineball und darüber, dass die Zeitung ein paar schöne Schnappschüsse von der Versammlung veröffentlicht hatte.

Diese ärgerten den Samurai unglaublich. Denn natürlich wurde dort auch hinterfragt, wer die Neue an seiner Seite war. Außerdem hielt er es nicht für so sonderlich klug, wenn die Aufmerksamkeit der ganzen Welt durch solchen Klatsch und Tratsch auf dem verzauberten Piraten lag. Seine Hintergrundgeschichte war ja doch ein bisschen dünn, schließlich hatte Lady Loreen noch nicht einmal einen Nachnamen.

Nachdem er sich von dem Bürgermeister verabschiedet hatte, war er erneut über den Marktplatz geeilt, hatte erneut unnütz Geld ausgegeben, ehe er sich schließlich in einem alten Café, schräg gegenüber dem verdächtigen Haus niedergelassen hatte. Mittlerweile hatte er bereits die dritte Tasse bestellt und ärgerte sich über alles und jeden.

Lorenor, Toutaku/Banri, sich selbst, die Leute auf Sarue, ja sogar über die verdammten Einkäufe, die er getätigt hatte. Was war nur los mit ihm?

Dieser Kerl, der seiner Schwester so ähnlich war, nun in diesem schwächlichen Körper, der den Schutz anderer brauchte. Ein Schwertkämpfer mit viel Talent und Ehrgeiz, dem aber ganz grundlegende Eigenschaften eines guten Kämpfers fehlten.

Sein damaliger Meister mochte ihn viel gelehrt haben, mochte das Potential in ihm gesehen haben, aber er war nicht in der Lage gewesen, diese vielen kleinen Risse unter der Oberfläche zu flicken. Nun waren sie alle aufgerissen.

Und er, Dulacre, musste nun zusehen, wie er das wieder repariert bekam.

Warum tat er sich das an? Warum wollte er dem anderen helfen?

Weil er mein Freund ist!

Überrascht hob der Samurai den Kopf; war das die Stimme seines Kindheitsfreundes gewesen?

Natürlich, aber nur in seinem Kopf, nur in seinen Gedanken.

Damals, als er die Marine verlassen hatte, war Jirou mit ihm gegangen, gegen all seine eigenen Ansichten und Prioritäten. Jirou hatte ihn begleitet, hatte mit ihm eine starke, wirklich tolle Crew aufgebaut, hatte ihn immer unterstützt und auf die Frage, warum er alles aufgegeben hatte, war seine Antwort immer die gleiche gewesen.

Weil er mein Freund ist!

So einfach.

Kopfschüttelnd leerte er seine Tasse.

Das war nun auch schon ewig her. Jirou war mittlerweile ein angesehener Konteradmiral der Marine mit einer lupenreinen Akte. Er selbst war einer der sieben Samurai und gehörte somit zu den legalen Piraten, wie sie im Volksmund ironischer Weise auch hießen. Den Rest seiner ehemaligen Crew hatte er seit jenem Tag auch nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er wusste, dass ein paar von ihnen das Freibeuterleben nicht aufgegeben hatten. Manche von ihnen hatten dafür auch büßen müssen. Wieder andere hatten sich in der Welt verstreut und führten jetzt ein mehr oder weniger anständiges Leben.

Er hatte versucht, sie alle zu beschützen, nicht nur weil sie seine Crew, seine Untergebenen waren. Nein, sie alle waren Freunde gewesen.

Jetzt war nur noch Jirou übrig. Jirou und dieses arrogante Kind von wegen Schwertkämpfer.

Die trüben Schatten der Vergangenheit hinter sich lassend, stand Dulacre auf, legte genügend Geld auf den kleinen Tisch und verließ das Café. Er konnte förmlich hören, wie die verbliebenen Gäste und Bedienungen aufatmeten, als hinter ihm die Tür zufiel.

Jetzt würde er seinen Wildfang einsammeln gehen. Sie hatten genug Zeit verplempert!

Doch weit kam er nicht. Gerade hatte er die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich die Tür von ganz alleine öffnete.

Heraus kam der Fremde, wie zuvor breit grinsend, gefolgt von Lady Loreen. Das Mädchen hatte den Kopf gesenkt, das Gesicht war etwas blass und die Augen wirkten seltsam leer und nachdenklich. Ähnlich wie am so weit entfernt scheinenden Morgen. Die Krempe des weißen Huts war leicht zerknittert unter den zittrigen Fingern, der Mantel lag lose auf den Schultern, jeder Schritt war langsam und schwer.

„Also, wie gesagt, du solltest dir das jetzt noch mal alles ganz in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Versuch dich selbst nicht unter Druck zu setzen, dann wird’s leichter und wenn was ist, du weißt ja, wo du mich findest“, lachte Toutaku und gab Lorenor einen leichten Klaps auf die Schulter. Der Mantel fiel zu Boden und gab den Blick auf das hellgelbe Kleid mit dem weißen Halstuch frei. Wie einzelne Sonnenstrahlen, wehte der Stoff im Wind.

Der Grünschopf schien das alles gar nicht wahrzunehmen.

Es war ähnlich, wie damals, als der Junge das erste Mal im Körper des Mädchens zu sich gekommen war.

„Hey, was ist los? Geht es dir gut?“ Mit großen Schritten war er herbeigeeilt. Starrte auf die junge Frau hinab. Nur ganz langsam hob sich der Kopf mit der grünen Mähne, als würde das Mädchen ihn zum ersten Mal sehen.

„Keinen Stress, Mihawk Junior. Es ist alles in Ordnung“, lachte der Jüngling mit dem breiten Grinsen, beugte sich hinab um den Mantel aufzuheben und legte ihn wieder auf die Schultern des verfluchten Piraten.

„Dich habe ich nicht gefragt“, antwortete Dulacre bemüht kontrolliert. Lachend schüttelte der Dunkelhäutige den Kopf.

„Das ist ganz normal, mir ging es damals ähnlich. Gib ihm ein bisschen Zeit. Es ist nicht so einfach, mit allem Geschehenen klar zu kommen“, grinste er breit.

Der Samurai ignorierte den Redner gekonnt und griff seinen Schützling sanft an den Schultern.

„Hey, ist alles okay mit dir?“

Für eine Sekunde reagierte Lorenor überhaupt nicht, dann schien es, als würde er ihn wirklich erkennen. Die Pupillen wurden einen Moment groß und dann klärte sich der Blick langsam.

„Hey“, murmelte er ruhig ehe er sich wirklich gefasst hatte.

„Ähm, ja, es ist alles in Ordnung.“

„Wirklich?“, hakte der Ältere nach. Der Grünschopf seufzte.

„Ja, hör auf mich anzusehen wie ein kleines Kind. Du bist ja schlimmer als Chopper!“

Ja, der nervige Jungspund war wieder zurück.

„Ihr solltet jetzt nach Hause gehen“, grinste Toutaku weiterhin.
 

Der Weg über den Marktplatz und die Straße hinunter zum Hafen war ruhig und lang. Nicht weil um sie herum nicht viel Trubel war oder weil der Weg besonders lang war, sondern weil das eingebildete Kind neben ihm sich nicht so verhielt, wie er es gewohnt war.

Keine unverschämten Fragen, keine dreisten Kommentare, im Grunde sprach er überhaupt nicht.

Während sie auf die Fähre warteten, klammerten sich die dünnen Finger in den weißen Mantel und der Kopf war nachdenklich gesenkt.

Lorenor Zorro war in seiner eigenen Welt, weit weg von Sarue und Sasaki, weit weg von Dulacre, vermutlich sogar weit weg von seiner Crew.

Als das kleine Schiff anlegte, tummelten sich viele Mitreisende um die ausgeklappte Brücke, trauten sich jedoch nicht an Bord, da der Übergang vom Samurai und seiner Begleitung blockiert wurde.

Da der Pirat keine Anstalten machte, sich zu bewegen, musste Falkenauge ihn schließlich auf die Fähre hieven, was sich recht schwierig anstellte, mit all den Taschen und Kartons, die er mit sich rumschleppte. Warum hatte er nur so viel eingekauft?

An Bord ging das stille Mädchen wieder ganz zum Ende und setzte sich auf den gleichen Platz wie auch auf der Hinreise. Unzufrieden mit der Situation folgte Falkenauge seiner Begleitung und ließ sich neben ihr nieder.

Erst als die Fähre ihren Weg aufgenommen hatte, sah er Lorenor an.

„Also? Alles in Ordnung?“

Die grünen Augen sahen kalt zurück, beinahe entnervt.

„Das hast du mich schon mal gefragt und ich hab ja gesagt. Wer benutzt jetzt seine grauen Zellen nicht?“

Oh ja, er war wieder da. Überfordert strich sich Falkenauge über den Bart.

„Dann mach doch mal endlich den Mund auf und erklär, was passiert ist. Seit du dich mit diesem Toutaku unterhalten hast, hast du wohl deine Fähigkeit zu sprechen verloren.“

Der Pirat rollte mit den Augen.

„Jetzt spuck‘s schon aus. Wusste dieser Typ etwas? Was ist mit dir passiert und wie kriegst du deinen alten Körper wieder?“

Der Junge antwortete nicht sofort, sondern sah der Insel beim kleiner werden zu, ehe er seufzte.

„Ich kann’s dir nicht sagen.“

„Wie bitte?“, entkam es Dulacre entrüstet, „Wieso das denn?“

Erneut seufzte der Grünschopf.

„Es geht dich eigentlich nichts an.“ Wütend holte der Samurai Luft, um dem anderem genau zu erklären, warum ihn das sehr wohl was anging, als Lorenor weiter sprach. „Aber glaub mir einfach, dass ich es dir nicht sagen darf, wenn ich je wieder ich werden möchte.“

Mihawk hielt einen Moment den Atem an, ehe er sich wieder zurücklehnte.

„Das heißt also, es gibt einen Weg?“ Und plötzlich lächelte das Mädchen ganz breit.

„Ja!“ Ein Fortschritt.

„Und du kennst den Weg?“, hakte er nicht überzeugt nach.

„Ähm, so halbwegs.“

„Was soll das denn schon wieder heißen? Entweder du weißt, was du tun musst, oder du weißt es nicht! Was kann daran so schwer sein?“

„Naja… es ist kompliziert.“

Der Samurai vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

„Für dich vielleicht, sag mir, was dieser Banri/Toutaku-Mischling dir erzählt hat und ich erklär es dir.“

„Hast du mir nicht zugehört?“

„Hast du dir nicht zugehört? Du redest wirres Zeug. Wir sollten umkehren und dann befrage ich ihn nochmal. Du hast anscheinend keine Ahnung, wie sowas geht.“

Nun war es der Grünschopf, der ihn entrüstet ansah.

„Jetzt halt doch mal die Klappe. Du hast doch keine Ahnung. Ich weiß schon was ich mache. Lass mich doch in Ruhe! Außerdem ist das hier immer noch mein Körper. Ich bin nicht dein Spielzeug!“ Er war aufgesprungen und laut geworden.

Das Hintergrundrauschen der anderen Unterhaltungen war verstummt und alle Mitreisenden starrten zu den beiden Schwertkämpfern den Gang hinunter.

 

Kapitel 14 - Der Weg

Kapitel 14 – Der Weg
 

-Mihawk-

Kopfschmerzen.

Einfach nur Kopfschmerzen.

Und er wusste noch nicht einmal warum. Eigentlich hatte er einen guten Tag gehabt.

Er war früh aufgestanden, hatte einen wohlschmeckenden Kaffee getrunken, war mit seinem Schützling nach Sarue gefahren, wo dieser anscheinend einen möglicherweise funktionierenden Weg gefunden hatte, um vielleicht wieder ein Mann zu werden. Und auf dem Rückweg hatte er sich mit mehr Menschen über sein Liebensleben unterhalten als in den letzten zehn Jahren.

Naja, auf Letzteres hätte er nur zu gerne verzichtet, aber es war nun mal so gekommen.

Als sie wieder Zuhause gewesen waren, hatte Lorenor sich entschuldigt, um ein paar Stunden zu meditieren.

Dementsprechend war er früh schlafen gegangen, nachdem er alle Einkäufe verstaut hatte.

Eigentlich sollte heute somit ein gut gelaunter, ausgeschlafener Dulacre im Arbeitszimmer sitzen.

Aber uneigentlich hatte er nun mal Kopfschmerzen.

Am frühen Morgen wurde ein Paket mit Unterlagen über die vergangene Versammlung geliefert und da er höchstwahrscheinlich noch drei Wochen hier auf Sasaki bleiben musste, wäre es besser, wenn er das direkt erledigte.

Den Hefter über den Fischfang hatte er desinteressiert direkt wieder weggelegt.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Kanan war wie immer überpünktlich.

„Sie können rein kommen“, rief er ohne aufzublicken.

Eine Sekunde passierte überhaupt nichts, dann pochte es erneut. Verwirrt blickte er auf. Erneut pochte es, dumpf, wie Holz gegen Holz.

Im nächsten Moment knallte die Tür mit voller Wucht gegen die Wand. Im Türrahmen wankte der verfluchte Pirat mit einem vollbeladenen Tablett. Geschirr klapperte bedrohlich und es sah aus, als würde er jeden Moment das Gleichgewicht verlieren.

„Was machst du da?“, rief der Samurai entgeistert und hechtete zum Grünschopf, ehe dieser den kompletten Kaffee über den Boden schütten konnte. Mit einer Hand fing er das Tablett auf, mit der anderen das Mädchen. „Was soll das werden, wenn du fertig bist?“

„Du bist doch der Idiot, der nicht die Tür öffnet! Da bring ich dir extra das Frühstück auf diesem Monstertablett hoch und du kommst noch nicht einmal auf die Idee mir die Tür so öffnen“, keifte das Mädchen zurück und befreite sich aus seinem Arm.

„Wo bleibst du überhaupt? Du hast doch gesagt, dass wir heute weitertrainieren würden. Ich warte seit über einer Stunde unten darauf, dass du auftauchst!“, setzte der Pirat wütend hinterher.

Dulacre wandte sich mit dem Tablett in der Hand um und setzte es relativ sanft auf dem Tisch ab.

„Jetzt beruhig dich doch erst mal wieder. Woher soll ich wissen, dass du nicht wieder meditieren willst. Eine Trainingsmethode von der ich, offen gesagt, nicht viel halte“, unterbrach er die Tirade und schenkte sich etwas Kaffee ein. Eine zweite Tasse hielt er seinem Gast hin.

„Außerdem habe ich noch eine Frage bezüglich dessen, was gestern vorgefallen ist.“

„Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nicht darüber reden werde“, murrte das Mädchen, schlug die Tür zu und nahm ihm die Tasse ab.

„Hör mir doch erst mal zu“, entgegnete Falkenauge mit pochendem Kopf, „Ich sehe ein, dass du mir nicht erklären kannst, was mit dir passiert ist und wie du wieder deinen alten Körper erlangen kannst, weil das deine Rückverwandlung behindert. Ich will nur wissen, warum du so durch den Wind warst, nachdem du mit Banri, beziehungsweise Toutaku, gesprochen hast.“ Langsam ließ er sich wieder auf seinem Sessel nieder und zog sich die neue Zeitung heran. „Dass du auch nie abwarten kannst, ehe du losbrüllst. Diese unbesonnene Eigenschaft solltest du dir dringlichst abgewöhnen.“

„Ach, halt doch die Klappe“, knurrte Lorenor und hielt sich die Tasse an die Lippen.

Bis auf die bösen Worte wirkte der Pirat wie das unschuldige Mädchen vom Lande. Auf nackten Füßen trug er eine knielange, enge schwarze Hose. Der Bund war verdeckt von einem weiten blauen Oberteil, welches bis zu den Ellenbogen ging. Drei lachende Sonnen prangten auf der Brust. Die Haarpracht war zu zwei Zöpfen geflochten, die wild umher tanzten.

Und der Pirat sollte Recht behalten. Bis auf ein paar Blasen und Schürfungen an Zehen und Fußrücken schienen die Verletzungen komplett verheilt. Die Haut wirkte glatt und weich, als hätte sie nie gelitten.

„Also?“, fragte der Samurai nach, während er die Zeitung aufschlug, „Was hat dich so verstört?“

Der Grünschopf antwortete nicht sofort, sondern trank erst mal in Ruhe seine Tasse leer, ehe er sich nachschenkte.

„Er hat mir viel erklärt und erzählt.“ Der Jüngere seufzte leise. „Und dann musste ich die letzten Minuten meines alten Lebens noch einmal erleben.“

Überrascht sah Dulacre auf.

„Aber darauf hätte ich wirklich gut verzichten können.“ Das Mädchen lächelte eine Spur zu breit und wandte sich dann ab. Die Stimme war etwas zu fröhlich, die Augen etwas zu sehr zusammengekniffen.

Der Samurai seufzte leise, ein heikles Thema, das er da angeschnitten hatte.

„Aber das ist doch…“ Er folgte den Augen des Grünschopfs. Der Pirat hatte seine Steckbriefsammlung entdeckt.

„Du siehst“, sprach Mihawk mit einem leisen Grinsen in der Stimme, „Ich habe unseren Kampf von damals wirklich nicht vergessen.“

Das Abbild Lorenors, blutüberströmt, blickte böse grinsend auf sie hinab.

„Also deswegen warst du gestern die ganze Zeit so abwesend?“, fragte er beiläufig ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Wen würde es nicht mitnehmen, wenn man einem Fremden von so einem Ereignis berichten musste? All das noch einmal fühlen musste?

„Nein“, sagte sein Gegenüber kühl und ging auf sein eigenes Bild zu.

Die Unterhaltung schien wieder einmal beendet, sodass der Schwarzhaarige sich nun der Zeitung zuwandte und seinem Gast die Möglichkeit gab, sich mit seinem Steckbrief auseinanderzusetzen.

Viel schien in der Welt zu passieren, denn die Zeitung war verdächtig dick, doch das meiste davon schien aus Unwichtigkeiten zu bestehen. Fast die Hälfte der Blätter hatte er umgeschlagen als eine seltsame Überschrift seinen Blick fing.

Weiß ist das neue Schwarz

„Er hat mir das Leben gerettet.“

„Bitte was?“ Abgelenkt schaute er auf, als das Stimmchen seines Schützlings durch den Raum glitt.

Der Pirat hielt sich mit der rechten Hand den linken Oberarm und sah weiterhin sein Foto an der Wand an.

„Ich weiß, ich hätte über meinen Tod nachdenken sollen. Darüber ob es einen Grund gab, warum ich gestorben bin, warum ich jetzt hier bin. Aber alles, woran ich denken konnte, waren meine Freunde.“

Langsam wandte er sich dem Samurai zu. Seltsam ernst und unerwartet ehrlich war sein Gesichtsausdruck.

„Ruffy hat mir damals das Leben gerettet, ohne, dass es mir bewusst war. Und er hat nicht nur mein Leben gerettet. Vor Ruffy wusste ich gar nicht, wie alleine ich gewesen war.“

Allmählich sahen ihn diese großen, grünen Augen an. Als wäre Dulacre der einzige, dem Lorenor die Wahrheit sagen konnte.

„Sie sind meine Freunde, sie sind meine Familie. Vom absolut nervigen Koch bis zur ruhigen Robin. Ist es falsch, dass ich sie beschützen will? Dass ich keinen meiner Freunde verlieren will?“ Es war eine ernste Frage. Der Pirat hinterfragte seine Tat, er hinterfragte sein Opfer.

Er fragte sich, ob er einen Fehler begangen hatte, ob er falsch gehandelt hatte, ob er sein eigenes Leben hätte retten sollen.

Lorenor, lass mich dich beschützen

Dulacre war aufgestanden. Dieser Gesichtsausdruck war ihm so vertraut.

Bitte, lasst sie am Leben, ich tue alles was ihr wollt

Er überbrückte die Distanz zwischen den beiden mit Leichtigkeit. Dieses Gefühl kannte er nur zu gut.

Sie sind doch meine Freunde

Behutsam legte er eine Hand auf die Schulter des anderen. Diese Zweifel waren auch einst die seinen gewesen.

„Nein, ich verstehe dich. Ich würde auch alles für meine Freunde tun.“

Das Mädchen lachte, offensichtlich peinlich berührt über dieses emotionale Geständnis, und entzog sich Dulacres Berührung.

„Da kann Jirou sich ja ganz schön glücklich schätzen.“

Auch Falkenauge lachte leicht, spürte wie ungesagte Worte zwischen ihnen eine ungewollte Spannung erzeugten. Wusste, dass das, was zwischen ihnen waberte, dem anderen kaum bewusst war, ihm dafür umso mehr.

„Wir sollten jetzt mit dem Training beginnen. Nicht, dass du noch mehr unnötige Zeit vergeudest.“

Er nahm seinem Gast die Tasse ab und stellte das Geschirr auf das Tablett. Das Frühstück blieb unberührt, wie so oft. Mit einem Blick auf die Bilder unter der seltsamen Schlagzeile, schlug er die Zeitung zu.

„Ich erwarte dich in zehn Minuten unten.“

Doch der Pirat hatte das Zimmer schon längst verlassen.
 

-Zorro-

„Ha..Ah…“

„Stell dich nicht so an! Noch mal!“

Schweiß tropfte auf die Fliesen zwischen seinen Fingern mit denen er sich abstützte, einzelne Haarsträhnen klebten an seinen Wangen, doch ihm fehlte die Kraft, sie wegzustreichen.

Mit bebenden Muskeln stand er wieder auf. Biss sich trotzig auf die Unterlippe. Schwer atmete er.

„Sind wir schon am Ende, Lorenor?“

Er schüttelte den Kopf und machte weiter.

Wie viel Zeit vergangen war konnte er nicht sagen. Wie oft er zu Boden gefallen war, wusste er nicht. Wie lange Falkenauge ihn schon so anstarrte, interessierte ihn nicht.

Irgendwie hatte er das Gefühl, dass seine Trainingseinheiten immer gleich abliefen. Er hasste es, dass er sich hier abmurkste und beinahe an seinem eigenen Atem erstickte, während der Samurai ihn einfach nur herablassend betrachtete, ohne sich auch nur einmal zu bewegen.

Seit Stunden stand er da, gegen die Wand gelehnt und sah ihn einfach nur an.

Am liebsten würde er ihm diesen kalten Ausdruck vom Gesicht runter schlagen. Nicht, dass er dazu in der Lage gewesen wäre.

„Hab ich gesagt, dass du langsamer werden darfst? Beweg dich!“, schimpfte sein gegenwärtiges Objekt des Hasses.

„Würde dir… ha ...auch …nicht schaden…“, knurrte er zwischen den brennenden Atemzügen.

„Wie war das?“

Plötzlich stand der andere direkt vor ihm. Eine Hand gegen seinen eh schon schmerzenden Hals gedrückt, die andere Hand gegen die Wand in seinem Rücken gepresst. Wo kam denn diese Wand auf einmal her?

Die verbliebene Luft wurde aus seinen Lungen gepresst. Seine Füße pendelten über den Boden. Einzelne Haarsträhnen wehten noch im Luftzug.

Mit einem diabolischen Grinsen starrte der Samurai zu ihm hinab. Ganz langsam hob er ihn immer höher, ohne, dass er sich wirklich wehren konnte.

Selbst für ein wütendes Wort fehlte ihm die Luft.

Mittlerweile hing er gefühlte drei Meter über dem Boden und konnte nichts anderes tun, als hilflos zu dem anderen hinunter zu sehen.

Seine müden Hände hob er hoch und drückte sie gegen die starken Finger, die ihn festhielten. Natürlich ohne, dass er sie auch nur eine Haaresbreite bewegen konnte.

„Ach, hat die arme Zorroline etwa ein Problem?“ Noch nie hatte er die Stimme des anderen so böse erlebt.

Der erste Schock legte sich langsam und ihm war bewusst, dass der andere weder aus unkontrollierten Gefühlen handelte, noch ihn irgendwie bestrafen wollte. Nein, es war wohl eine Lektion. Eine Übung für das echte Leben, den wahren Kampf, mit einem richtigen Gegner.

Er zwang sich ruhig zu bleiben, während sein Körper immer mehr nach Sauerstoff schrie.

Also, seine Hände waren nutzlos. Die Hand des Samurais war zu stark, sein Gesicht zu weit weg. Sich zu winden würde nichts bringen, der andere hatte ihn fest an die Wand geschnallt.

Einen Moment schloss Zorro seine Augen, ignorierte den Kommentar des anderen. Dies war sein Augenblick.

Er hörte, wie der andere erneut anfing zu reden.

Jetzt!

Mit beiden nackten Füßen stieß er sich von der Wand ab. Das linke Bein wollte er um den Nacken des anderen schlingen, während er den rechten Fuß in seine Nase rammen wollte.

„Was willst du denn damit…Ah“

Mit voller Kraft biss er die Hand des anderen.  Die Beine waren nur eine Ablenkung gewesen, um das Kinn unter die ihn haltende Hand zu rutschen. Zum Glück hatte er als Frau eine so glatte Haut.

Den Moment, den der andere verschwendete, um ihn überrascht anzusehen, nutzte er, um den linken Fuß Richtung Kiefer zu stoßen. Während die gelben Augen dorthin blitzten rammte er gleichzeitig die linke Hand vor den Ellenbogen des anderen und das rechte Knie in die Armbeuge.

Er fiel zu Boden.

Auf allen Vieren landete er, stieß sich mit beiden Füßen von der Wand hinter ihm ab und warf sich zwischen den langen Beinen des Samurais hindurch.  

Im nächsten Moment rollte er sich ab und kam in Kampfstellung wieder zu stehen.

Erst jetzt erlaubte er sich zum ersten Mal wieder zu atmen und konnte auch ein schwaches Grinsen nicht verhindern.

Wie in Zeitlupe drehte sich sein Lehrmeister um.

Ein fast schon zufriedener Ausdruck auf seinem Gesicht.

„Das war gut.“ Die ersten lobenden Worte, die er je während dem Training von sich gegeben hatte.

„Ich meine, natürlich war mir klar, was du vorhattest und keiner deiner Angriffe hätte im Endeffekt genug Kraft gehabt um mich dazu bewegen zu können, den Griff um deinen Hals auch nur ein bisschen zu lockern. Aber du warst innovativ. Hast relativ schnell deine unterlegene Stellung eingesehen und dir einen Fluchtplan überlegt. Ich glaube, das war das erste Mal, dass du deinen Körper wirklich richtig eingesetzt hast.“

Wie Schwefelsäure ätzten die Worte das Grinsen von seinen Lippen. Nein, er hatte nicht wirklich damit gerechnet, den anderen verletzten zu können, aber als dieser ihn fallen gelassen hatte, hatte er dann doch für einen Moment lang geglaubt, dass er es geschafft hatte.

„Nur eine Frage hab ich noch.“

Noch war der Kampf nicht vorüber, er behielt die Spannung in seinen erschöpften Muskeln.

„Selbstverständlich hatte ich gehofft, dass du den offensichtlichen Fluchtweg nehmen würdest. Aber was hättest du denn getan, wenn ich die Beine nicht so breit gestellt hätte?“

Er konnte spüren, wie diese Falkenaugen ihn förmlich unter die Haut gingen.

„Ich wäre nach oben gegangen“, antwortete er schlicht und zum ersten Mal, konnte er einen perplexen Ausdruck auf dem Gesicht des besten Schwertkämpfers der Welt erkennen.

„Wie nach oben? Hast du etwa bereits vergessen, was ich dir ganz am Anfang gesagt habe? Wo nach oben willst du hin?“

Wieder musste er grinsen. Mit dieser Antwort hatte der andere wohl tatsächlich nicht gerechnet, das gefiel ihm.

„Nun ja, nach oben“, meinte er nur und deutete auf die Lendengegend des Samurais.

Für einen Moment sah der andere ihn einfach nur an, folgte dann seinem Blick und schaute wieder auf.

Plötzlich fing er lauthals an zu lachen und schlug sich selbst mit einer Hand auf den Oberschenkel.

„Wirklich keine schlechte Idee und das obwohl du selbst ein Mann bist“, presste er zwischen zwei Lachern hervor.

„Naja, du hast doch gesagt, ich soll das einsetzen, was ich habe. Ich habe nur die Waffen einer Frau zum Kämpfen und das Wissen eines Mannes, wo es wirklich weh tut.“ Zorro verstand jetzt nicht wirklich, was daran so lustig sein sollte, aber Dulacre lachte immer noch.

„Du bist schon ein seltsamer Mann“, murmelte dieser, während er sich langsam beruhigte.

„Hach…“ Laut atmete der Samurai einmal ein und aus. Dann wurde seine Miene wieder todernst. „Nun gut. Ich bin zufrieden. Wiederhol bitte die Übung vom Anfang nochmal für eine halbe Stunde und dann sind wir fertig für heute.“

„Ich kann noch länger. Komm schon!“

Falkenauge seufzte, während er auf ihn zukam und auf Schulterhöhe stehen blieb.

„Also Erstens: In diesem Zusammenhang gerade, war deine Aussage alles andere als angebracht. Und Zweitens: Was hatten wir noch einmal besprochen? Wer ist hier der Lehrer und wer der Schüler? Ich dachte wir hatten ausgemacht, dass ich bestimme, wie lange du aushalten kannst, bis du selber in der Lage bist auf deinen Körper Rücksicht zu nehmen.“

Nach einer Sekunde nickte Zorro.

„Okay, eine halbe Stunde, dann hör ich auf.“

„Fein gemacht“, lobte ihn der andere und ging zum Ausgang.

„Hast du mich gerade wie einen Hund gelobt?“, fragte er und drehte sich um.

Der Samurai hatte nur die Hand erhoben ohne stehen zu bleiben.

„Ich hab dich als Streuner von der Straße aufgelesen, dir Essen gegeben und einen Namen. Ich finde, ich mach mich schon ganz gut als Herrchen.“

„Halt die Klappe!“, rief er ihm hinterher, während die Tür zuknallte und nur das schallende Lachen des Älteren zu ihm rüber hallte.

„Was für ein Mistkerl.“
 

Ehe er schließlich den Trainingsraum verlassen konnte, war jedoch mehr als eine Stunde vergangen.

Zum einen war er natürlich sehr erschöpft, was er aber nie zugeben würde, zum anderen hatte Kanan ihm ein rotes Kleid mit nur einem Träger und mit trägerlosem BH raus gelegt.

Wieso bitte?

Reichte es nicht schon, dass er Kleider trug?

Er war völlig überfordert damit gewesen und hatte sich beim Anziehen gefühlt zehn Mal hingelegt.

Das einzige Gute an dem Fetzen war, dass er nicht besonders lang war, weswegen er schwarze Leggings drunter hatte. Egal was er auch tat, die Haushälterin gab sich die beste Mühe, ihn immer schick raus zu putzen.

Wenn es nicht so peinlich wäre, würde er es ja sogar recht lustig finden. Immerhin hatte er in den vergangenen Tagen vermutlich mehr verschiedene Klamotten angehabt als in seinem kompletten Leben und selbst die garstige Navigatorin an Bord der Thousand Sunny würde ihn um seine Auswahl beneiden, aber diesen Gedanken drängte er schnell aus seinem Kopf. Auch war er dankbar, dass Kanan seinen Wunsch akzeptiert hatte und sich von den Farben pink, rosa und wie sie nicht alle hießen, fernhielt. Dafür hatte er versprechen müssen, dass er nicht in einer Kamikaze-Aktion auf die Idee kommen würde, sich die Haare abzuschneiden und klaglos anziehen würde, was sie ihm rauslegte. Dieses Versprechen bereute er immer wieder aufs Neue.

Den Gedanken über eine praktische Kurzhaarfrisur hatte er allerdings eh mittlerweile aufgegeben, da Dulacre ihm einen blöden Spruch gesteckt hatte, dass er es sich ja nur einfacher machen wollte.

Also hatte er die Monsterhaarbürste in einer und ein rotes Haargummi in der anderen Hand.

Die flachen roten Schuhe hob er hoch und trug sie mit raus.

Eigentlich ziemlich dumm von ihm, wenn er so drüber nachdachte. Vermutlich hatten sie den ganzen Tag trainiert und es war schon Abend, dann hätte er gleich Schlafsachen anziehen können.

Es war nicht so, als dass er gerne darin durch die Gegend lief, aber wenn er einem BH aus dem Weg gehen konnte, würde er das auch machen.

Im Flur stelle er jedoch fest, dass Tageslicht durch die Fenster fiel.

Nun gut, dann war es halt doch noch nicht Abend.

Hunger hatte er trotzdem.

Also machte er sich auf in die Küche, wenig verwundert darüber, dort Kanan anzutreffen.

Sie hatte ihn noch nicht bemerkt, als er sich einen der Äpfel von der Theke klaubte und auf einen der Stühle setzte.

„Vielen Dank, dass Sie mir immer die Klamotten rauslegen“, brach er dann die Stille.

„Huch.“ Überrascht wandte sie sich um.

„Ach guten Morgen, Loreen. Ich dachte du wärest nach dem Training zu Bett gegangen.“

„Morgen?“, fragte er verwirrt.

„Natürlich, ihr habt die ganze Nacht durchgemacht. Ich hab mir schon Sorgen gemacht, aber ich soll mich ja nicht einmischen“, sagte sie mit einem leicht zickigen Unterton, während sie ihm eine Platte Spiegeleier vorsetzte. Wo sie die jetzt plötzlich herhatte, konnte er gar nicht sagen.

Während er sich über das Abendessen oder auch Frühstück her machte, wollte Kanan sich an seine Haare begeben, was er für unnötig hielt, da er sie alle sehr ordentlich aus dem Weg gekämmt hatte.

Glücklicherweise schellte aus den Tiefen des Hauses eine Teleschnecke und die Haushälterin folgte dem Geräusch augenblicklich.

So geschah es, dass er zum ersten Mal seit seiner Ankunft in diesem Haushalt in Ruhe für sich alleine Essen konnte. Wie sehr er sich jetzt einen Sake wünschte. Dieser mit der blauen Aufschrift, der so schweineteuer war, auf den hatte er gerade unglaublich Lust. Aber als er damals mit dem Samurai im Weinkeller gewesen war, hatte er auch nur solchen vorgefunden.

Mit einem verstohlenen Blick auf die Küchentür stand er auf und ging zur Vorratskammer. Anders als auf der Thousand Sunny, war hier die Tür nicht verschlossen. Sein Glück. Leise grinsend öffnete er die Tür und fand sich im Schlaraffenland höchstpersönlich wieder.

Doch so sehr er sich auch umsah – und er sah in alle Töpfe, Kartons und Schubladen, die er finden konnte – er konnte keinen Sake finden.

Als er die polternden Schritte der Haushälterin hörte, verließ er den Raum und stopfte sich noch das restliche Ei in die Hungerluke.

Als Kanan auftauchte, wirkte sie alles andere als glücklich. Wütend riss sie ihm den leeren Teller weg und warf ihn in die Spüle. Ein Wunder, dass er nicht zerbrach.

„Ähm, Kanan, was haben Sie denn?“, fragte er, unsicher, ob er die Antwort wirklich hören wollte.

Überrascht drehte sie sich um.

„Ach.“ Laut aufseufzend warf sie beide schaumbedeckten Hände in die Luft. „Es ist nichts.“

Doch die Art, wie sie vor sich rummosernd versuchte das Muster vom Teller zu spülen, sagte ihm was anderes.

Nun gut, eigentlich wäre ja dann alles in Ordnung. Eigentlich konnte er jetzt gehen. Er hatte gefragt, mehr konnte man doch wirklich nicht von ihm verlangen.

Verdammt, wann war er nur so weich geworden?

„Sind Sie sich sicher?“

Fehler Nummer eins.

„Ach Kind. Ich will dich nicht damit belasten, dass mein Lieferant die Waren für Morgen bereits heute geliefert hat. Dabei habe ich heute überhaupt keine Zeit, die Sachen zu holen und der Herr ist bereits unterwegs nach Suzuno und ich kann ihn nicht erreichen.“

Suzuno…Suzuno… Was war da nochmal?

„Natürlich kann ich dich nicht darum bitten, die Einkäufe für mich abzuholen. Dafür sind es viel zu viele und du bist wahrscheinlich viel zu erschöpft vom Training, um den langen Weg bis ins Dorf zu gehen. Du musst hundemüde sein.“

War da nicht die Marinebasis, wo der Konteradmiral arbeitete?

„Außerdem wäre es dem Herrn vermutlich gar nicht recht, wenn du so ganz alleine unterwegs wärest. Wir sollten ihn vorher um Erlaubnis bitten, findest du nicht?“

Wie bitte?

„Kanan, natürlich kann ich die Sachen für Sie abholen. Das würde ich sehr gerne machen.“

Fehler Nummer zwei.

Im nächsten Moment hatten die schaumigen Arme der Haushälterin ihn bereits umarmt.

„Och Loreen, was würde ich nur ohne dich machen? Das ist wirklich zu freundlich von dir. Ich ruf den Lieferanten gleich an, dass du kommst.“

Dann rauschte sie zur Tür heraus.

„Ich glaube, ich wurde heute reingelegt“, murmelte er in den leeren Raum.

Wenige Minuten später schlüpfte er in die roten Schuhe und zog sich eine Jacke über. Den Apfel vom Frühstück verstaute er in einer der Jackentaschen.  

„Bist du sicher, dass du die Wegbeschreibung verstanden hast?“, hakte die Haushälterin erneut nach.

„Ja doch. Bis später.“ Und damit eilte er zur Tür hinaus, ins Licht der aufgehenden Sonne.

So schwer konnte es ja nicht sein, den einzigen Weg ins Dorf zu finden, oder?

Tja, das war dann wohl Fehler Nummer drei.
 

-Mihawk-

Er war etwas verärgert. Nicht viel, aber doch genug um die ganze Marinebasis in die Luft zu jagen, wenn nicht sein Kindheitsfreund dort arbeiten würde.

Er war den ganzen Weg hierhergekommen, auf Bitten Jirous Vorgesetztem.

Hatte über eine Stunde gewartet, nur um dann gesagt zu bekommen, dass sein Termin verschoben worden war.

Er hatte dem Bediensteten nicht mehr zu Ende zugehört und hatte sich sofort auf den Rückweg begeben. Sowas ließ er nicht mit sich machen. Er hatte einen halben Tag unnütz vergeudet und hatte nicht bis zum Ende der Trainingseinheit bleiben können. Für nichts und wieder nichts!

Es war schon früher Nachmittag, als er endlich wieder den Hafen von Sasaki erreichte.

Mit eiligen Schritten ging er den altbekannten Weg, vorbei an großen und kleinen Häusern, an arbeitenden Menschen und spielenden Kindern, vorbei an Bäumen und Büschen, vorbei an der ruhigen Lichtung, bis er schließlich vor dem alten Herrenhaus ankam.

Er hatte Hunger und war verstimmt. Er hatte noch keine Möglichkeit gehabt, die heutige Zeitung zu lesen. Bei seinem Aufbruch, war sie noch nicht geliefert worden und er hatte die leise Sorge, bereits neue Fotos von Lady Loreen darauf abgedruckt zu sehen.

Langsam meldeten sich auch seine Kopfschmerzen vom vergangenen Tages wieder.

Energielos stieß er die Tür auf und begab sich hinein.

„Loreen, bist du das, Süße? Ich hab mir schon… oh.“ Kanan war aus der Küche in den Flur gestürmt, ehe er die Haustür schließen konnte. Ihre dunklen Augen waren geweitet, ihr Gesicht blass vor Sorge.

„Ihr seid es“, stellte sie nur leise fest.

„Kanan.“ Sie sah ihn verunsichert an. „Was ist mit unserem Gast?“

Innerhalb einer halben Sekunde hatte er die Situation erfasst.

Sein ehemaliges Kindermädchen sah ihn ernst an.

„Sie ist weg.“

Langsam ließ er die Worte sacken. Drei kleine Worte, ziemlich simpel in ihrer Bedeutung. Keine komplizierte Auslegung notwendig. Warum also, hatte er das Gefühl, die Aussage nicht zu verstehen?

„Was meinen Sie mit weg?“

In diesem Moment fing die Haushälterin bitterlich an zu weinen.

„Sie wollte mir doch nur einen Gefallen tun“, schluchzte sie in ein übergroßes blau-gelb gepunktetes Taschentuch, dass sie aus dem Nichts hervorzauberte.

„Jetzt beruhigen Sie sich und sagen mir erst einmal, was hier los ist!“

Wieder schluchzte sie auf.

„Sie wollte Waren für mich bei Shoun abholen gehen, aber das war vor knapp vier Stunden und sie ist seitdem nicht wieder aufgetaucht. Ich hab schon im Laden und auch schon bei Tenkai im Büro angerufen. Keiner hat sie heute Morgen im Dorf gesehen. Ihr ist mit Sicherheit was ganz Schreckliches passiert, aber ich konnte sie ja nicht suchen gehen, was wenn sie zurückkommen würde und vor verschlossener Türe steht?“

Große Krokodilstränen liefen die rundlichen Wangen hinab. Hunderte Gedanken jagten durch Falkenauges Kopf.

Wo war Lorenor hin?

Den einzigen offensichtlichen Weg zum Dorf hatte er anscheinend nicht genommen, sonst hätten ihn entweder die Bewohner angetroffen oder Dulacre selbst hätte ihn auf seinem Rückweg aufgesammelt.

Zum Hafen war er also nicht unterwegs gewesen.

Bis auf ein paar einzelne Momente hatte er den anderen doch keinen Augenblick aus den Augen gelassen, was konnte er schon groß als Flucht geplant haben?

Aber halt, er war mehrere Stunden mit dem verzauberten Banri alleine gewesen, was wenn sie sich zusammen was ausgedacht hatten?

Warte! Moment mal! Wozu brauchte Lorenor überhaupt einen Fluchtplan? Er war kein Gefangener, er war sein Gast. Schließlich war es der Pirat gewesen, der ihn um Hilfe gebeten hatte und nicht umgekehrt. Wenn er gehen wollte, waren alle Türen weit geöffnet.

Das ließ aber nur noch zwei Möglichkeiten zu:

Entweder er hatte sich unterwegs verletzt und wollte dann eine Abkürzung querfeldein zurück zum Haus nehmen, die er nicht zum Ende geschafft hatte, oder aber er war entführt worden.

Dulacre schluckte. Letzteres war wahrscheinlicher, schließlich hatte er dem Jungspund noch nicht einmal eine Waffe gegeben und das Mädchen würde wohl kaum einen Gegner darstellen.

„Hallo, mein Herr?“

Verwirrt sah er auf die Haushälterin hinab, deren Worte nur langsam zu ihm durchdrangen und die besorgt zu ihm aufsah.

Nickend legte er eine Hand auf ihre Schulter.

„Sie bleiben hier, für den Fall dass sie zurückkommt.“

„Und was macht Ihr?“

Er drehte sich zur Tür, deren Knauf er immer noch fest umschlossen hielt.

„Ich werde sie suchen gehen.“ Er riss die Tür auf. „Wenn ich bis heute Abend nicht mit ihr zurück sein sollte, verständigen Sie bitte Herrn Koumyou und Jirou. Sie sollen die Sache aber auf jeden Fall diskret behandeln.“

Kanan nickte.

„Und wie gebe ich Euch Bescheid, falls sie wieder zurückkommt?“

Er überlegte nur kurz.

„Rufen Sie ebenfalls Herrn Koumyou an, er soll einen Boten nach mir suchen lassen, so groß ist die Insel ja nicht.“ Er war bereits hinausgestürmt.

„Und Herr“, rief ihm Kanan hinterher, „Was werdet Ihr tun, wenn Ihr sie bis heute Abend nicht findet?“

Er sah nicht zurück.

„Ich werde sie finden!“

Wütend jagte er in den Wald. Da war er einmal für ein paar Stunden weg und schon passierte sowas. Wer auch immer es gewagt hatte, seinen Schützling zu entführen, würde es schon bald bereuen.

Er war sich fast sicher, dass diese Übeltäter noch auf der Insel sein mussten. Es gab neben dem Hafen nur sehr wenige, schlecht befahrbare Anlegestellen, sodass sie vermutlich auf die Dunkelheit warten würden, um ihre Geisel unerkannt wegzubringen.

Er hatte doch gewusst, dass diese verdammte Paparazzineugierde auf die junge Frau noch gefährlich werden konnte.

Verdammt! Lorenor, wo steckst du nur?!

Kapitel 15 - Die Bilder

Kapitel 15 – Die Bilder

 

-Mihawk-

Links! Rechts!

Atmen!

Ja, das wäre zwischendurch gar keine schlechte Idee.

Stopp!

Wütend blieb er stehen. Wütend auf sich selbst.

Dann atmete er erst einmal aus.

Dulacre stand mitten im Wald von Sasaki. Seit etwa einer halben Stunde folgte er den verschlungenen Wurzelpfaden in die Tiefen der Insel. Seit etwa einer halben Stunde ärgerte er sich über die Sorge, die ihn plagte.

Vor gar nicht einmal so langer Zeit war er über die Grand Line gereist, war von der Welt und ihren Krankheiten so gelangweilt gewesen, dass er aufgehört hatte, nach einem Sinn zu suchen.

Zu dieser Zeit, war er seinem Alter weit voraus gewesen, denn nichts, absolut nichts war in der Lage gewesen ihn zu erschüttern. Ein Blick in die Zeitung und er hatte gewusst, welche Entwicklungen die Welt in den nächsten Jahren durchmachen würde. Denn er hatte bereits genug erlebt für die nächsten zehn Leben.

Die Welt hatte ihm nichts mehr bieten können, hatte ihn nicht mehr überraschen können.

Zumindest hatte er das geglaubt.

Und dann war Lorenor Zorro aufgetaucht. Aus dem Nichts erschien der arrogante Grünschnabel mitten im schwächsten Meer der Welt. Er hatte nicht damit rechnen können, dass ausgerechnet im East Blue ein so vielversprechendes Talent heranwachsen würde. Er hatte nicht damit rechnen können, dass ausgerechnet in jenem Moment ein ungeschliffener Diamant vor seine Füße rollen würde.

Aber das, was ihn damals aufgeweckt hatte, was die Grundfeste seiner Welt in ihren Tiefen zum Erbeben brachte, war nicht das Talent des Jungen, oder die Schwertfertigkeit des Dämonen des East Blues gewesen.

Nein, das, was die Glut in seinem Herzen zu neuem Feuer angefacht hatte, war die Gesinnung des anderen gewesen. Die Einstellung sich selbst und der Schwertkunst gegenüber. Der Junge aus dem East Blue war der erste gewesen, der erste Mensch, der seine Ansicht teilte, ohne dass sie sich je vorher begegnet waren.

In jener Sekunde, als der andere sich mit ausgestreckten Armen zu ihm umgedreht hatte, breit lächelnd, respektvoll und fordernd zugleich, in genau diesem Augenblick waren die Ketten der Rationalität von ihm abgefallen.

Als hätte jemand vor seinem inneren Auge die Filter weggenommen, sah er die Welt plötzlich wieder in Farbe, ein leuchtendes Grün der Hoffnung. Eine Hoffnung auf eine Zukunft.

Auf einmal war da etwas, war da jemand, der eine Unberechenbarkeit in sein Leben brachte. Alle Konstanten seines Lebens waren in dieser Sekunde erschüttert worden, durch das Licht eines einzigen Kindes.

Er war wegen einem uninteressanten Auftrag in den East Blue gekommen, hatte diese öde Aufgabe seinen faden Alltag unterbrechen lassen. Sie war es nicht mal wert gewesen, sie als nervig zu empfinden, doch vor Langeweile hatte sie ihn nicht bewahren können.

Aber als er den East Blue verlassen hatte, war er ein anderer Mann gewesen, als wäre er in diesem Aufeinandertreffen mit dem Schwertkämpfer der Strohhutpiraten, was man noch nicht einmal als einen richtigen Kampf bezeichnen konnte, wiedergeboren worden.

Seit jenem Tag hatte diese trostlose Welt wieder Farbe bekommen, hatte das Feuer seines Herzens wieder Zündstoff bekommen.

Er hatte wieder geatmet, er hatte wieder gelebt.

Nur wegen eines Jungens, der die Seele der Schwertkunst verstanden hatte, ohne überhaupt zu wissen, dass sie da war.

Dulacre selbst war nicht bewusst gewesen, was der junge Mann in ihm erweckt hatte. Er selbst hatte nur zu gerne die Anzeichen ignoriert, hatte ignoriert, wie er immer mehr Hoffnung, Vertrauen und auch Glauben in den anderen steckte.

Er hatte darauf gebaut, dass der andere nicht aufhören würde zu wachsen, bis er ihn eines Tages würde besiegen können.

Und dann war dieser Bastard einfach gestorben!

Der einzige, der ihn vielleicht je verstehen würde, der ihn vielleicht je besiegen konnte, war einfach gestorben und hatte ihn zurückgelassen in dieser farblosen Welt.

Doch es war schlimmer, als vorher, denn nun wusste er, wie das Leben schmecken konnte.

Bevor er jedoch in seinem Selbstmitleid der Einsamkeit versinken konnte, war da dieses Mädchen aufgetaucht, dieses Mädchen, dessen Körper er mit seinem kleinen Finger töten konnte, aber dessen Willen er wohl nie brechen könnte.

Dieses Mädchen war Lorenor.

Dieses Mädchen hatte erneut diesen kleinen Funken in ihm erweckt, hatte dann selbst sein Feuer immer mehr geschürt, sodass es ihm nun unmöglich war, diese Flammen wieder zu ersticken.

Nachdem er Lorenor im East Blue getroffen hatte, konnte er Farben sehen, nun konnte er diese Farben selber gestalten.

Dieses Kind, weise und naiv zugleich, hatte etwas in ihm verändert, ohne es auch nur selbst zu merken. Hatte ihn aufgeweckt, aus seinem jahrelangen Schlaf. Hatte ihn befreit, aus seinen kalten Ketten. Hatte die Gefühle, die tief in ihm vergraben waren, frei gelassen.

Hatte ihm etwas gegeben, was man sich nicht nehmen konnte.

Hatte ihm genommen, was er nie haben wollte: Seine Einsamkeit.

Dulacre wollte nicht mehr alleine sein, in dieser Welt.

Er hatte so viel verloren, so viel aufgegeben, so viel loslassen müssen. Seine Schwester, seine Crew, seine Freunde.

Das einzige, was diese gottverdammte Welt ihm geschenkt hatte, war dieser nervtötende Junge.

Dieser Junge, der wohl der einzige war, der ihn je verstehen konnte.

Er wusste nicht, welches Wunder oder welcher Fluch dafür verantwortlich war, dass Lorenor Zorro nach dessen Tod in seinem Leben aufgetaucht war. Doch er wusste, dass, wenn es nicht genauso gekommen wäre, er immer noch in dieser Einsamkeit gefangen wäre. Mit nichts mehr als der verzweifelten Hoffnung, dass ihn vielleicht eines Tages irgendwer besiegen würde. Dass er noch einmal einen guten Kampf führen würde.

Aus diesem Grund war es für ihn ganz einfach geworden.

Er würde Lorenor Zorro beschützen.

Er würde nicht loslassen, was der andere ihm gegeben hatte und er würde nicht zulassen, dass er ihn verlieren würde.

Der Junge aus dem East Blue würde sich eines Tages seinen Titel holen, da war er sich ganz sicher und bis zu diesem Zeitpunkt würde er auf ihn aufpassen.

Er würde diesen würdigen Traum des anderen wahren.

Niemand durfte ihm seine Zukunft stehlen!

Allmählich verstand er, was sein rothaariger Freund ihm damals hatte erklären wollen.

Erst jetzt konnte er sehen, was dieser unbesonnene Trunkenbold schon vor so vielen Jahren gewusst hatte.

Diese Gedanken rasten ihm durch den Kopf. Es waren gute Gedanken, klare Gedanken.

Dulacre hatte seine Gefühlswelt geordnet. Er verstand nun, warum er handelte, wie er handelte.

Aber er empfand sein eigenes Verhalten nicht für angebracht.

Emotionen hin oder her. Wenn er es nicht schaffen würde, einen kühlen Kopf zu bewahren, würde er sein schärfstes Schwert einbüßen, seinen Verstand.

Also atmete er erneut tief durch und sah sich um.

Der Weg zum Strand war leer gewesen. Keine auffälligen Fußabdrücke oder anderweitige Spuren.

Die Klippen, an denen man möglicherweise als guter Seemann ankern konnte, waren verlassen gewesen und auch hier war die Natur ungestört gewesen.

Daher durchforstete er nun den Wald. Leise eilte er zwischen Wurzeln und Moos vorwärts, ohne dass seine eleganten Schritte auch nur ein Geräusch machten.

Er rief den anderen nicht, denn dadurch würde er nur die Aufmerksamkeit der Entführer auf sich ziehen.

Doch das, was ihn am meisten sorgte war, dass er niemanden im Wald wahrnehmen konnte. Jemand, der Lorenor überwältigen konnte, selbst wenn dieser eine Frau war, konnte gar nicht so schwach sein. Mal ganz abgesehen davon, dass er auch seinen Schützling nicht spüren konnte.

Er hatte vorher noch nie genau darauf geachtet, aber hatte er seine Präsens je wahrnehmen können?

Damals im East Blue mit Sicherheit, aber seit dessen Tod? Dulacre war sich da unsicher, immerhin hatte er dessen stechenden Blick immer bemerkt.

Diese Überlegungen ignorierend schlich er weiter wie eine Katze durchs Unterholz.

Viel Zeit konnte seit seinem Aufbruch noch nicht vergangen sein, aber mit jedem Schritt wuchs seine Gewissheit, dass der andere, auf welchem Weg auch immer, die Insel verlassen haben musste.

Vor seinem inneren Auge wurde das grüne Licht der Hoffnung schwächer.

Mit einem Mal hallte ein tiefes Grollen durch den Wald.

Mit panischen Augen blieb er stehen.

Das war’s dann wohl mit seinem Raubtierverhalten.

Innerlich schollt er sich dafür, dass er sich vor seinem Aufbruch nicht doch noch einen Moment Zeit genommen hatte. Bis auf die Tasse Kaffee am Morgen des bereits vergangenen Tages, hatte er noch nicht die Möglichkeit gehabt, etwas an Nahrung aufzunehmen.

Nun rechnete sein Körper mit ihm ab.

„Mann, das war ja laut. Ruffy bist du das?“

Hektisch wirbelte Falkenauge herum.

Hinter ihm stolperte eine unverkennbare Gestalt aus dem Dickicht.

Überrascht und doch leicht lächelnd stand Lady Loreen vor ihm in einem roten Kleid mit schwarzer Jacke, wie aus dem Ei gepellt.

„Wo kommst du denn her?“, entkam es dem Samurai atemlos.

„Du warst das? Meine Güte, das hätte…“

„Was ist passiert?“, unterbrach er das unwichtige Gebrabbel des Jüngeren, während er die kurze Distanz zwischen ihnen überbrückte. Verwirrt sah ihn der Pirat an.

„Was soll denn passiert sein? Ich soll nur ein paar Sachen für Kanan abholen, deswegen bin ich hier.“

Ungläubig sah Dulacre den anderen an.

„Aber das war doch vor über vier Stunden!“ Er verstand nicht, was hier vor sich ging.

„Ja, die Wegbeschreibung von Kanan war aber auch schlecht“, murrte der andere recht knittrig.

Mit dem Tempo eines Wasserfalls verließ das Adrenalin den Körper des Älteren, der sich leicht verzweifelt den Hut abnahm und durchs Haar strich.

„Du willst mir also erklären“, setzte er kopfschüttelnd an, „dass du es geschafft hast, dich zu verlaufen, obwohl es vom Haus nur zwei Wege gibt, einen zum Strand und einen ins Dorf hinein?“

Wütend stemmte die Frau vor ihm die Hände in die Hüften, eine wirklich weibliche Pose, wie ihm nebenbei auffiel.

„Ich hab mich nicht verlaufen. Wie gesagt, Kanan hat mir nicht…“

„Du musst doch nur geradeaus gehen, Lorenor! Was kann an so einer Wegbeschreibung schwer sein? Ich fass es ja nicht!“ Fassungslos wandte er sich um, atmete tief durch. „Weißt du eigentlich, was Kanan sich für Sorgen macht? Sie dachte du wärest entführt worden, oder schlimmeres.“

„Was?“, kam es belustigt von seinem Wildfang, „Warum sollte mich jemand entführen? Die würden mich nach drei Minuten wieder laufen lassen.“ Lorenors leises Lachen erfüllte den Wald. „Wenn ich sie solange am Leben lassen würde.“

Immer noch den Kopf schüttelnd stemmte der Schwarzhaarige die linke Hand gegen einen Baum, diese unbesonnene Arroganz gepaart mit kindlicher Naivität war zu viel für ihn.

„Du machst mich echt fertig.“ Erneut grummelte sein Magen wie eine aufgebrachte Gewitterwolke. „Wegen deinem mangelhaften Orientierungssinn eile ich hier völlig sinnlos durch den Wald.“

„Na, immerhin hab ich dich gefunden.“

„Du hast mich gefunden?!“ Wütend wirbelte er herum.

„Hier.“ Ein ungewohnt sanftes Lächeln hatte sich auf die Lippen des verzauberten Piraten gestohlen, während er ihm einen märchenhaft roten Apfel hinhielt.

Allein der Anblick des schönen Obststücks löste bei seinem Magen schon wieder eine Rebellion aus. Wütend starrte Dulacre auf den Verräter hinab.

„Jetzt nimm ihn schon, bester Schwertkämpfer der Welt.“ Er war sich nicht ganz sicher, ob der andere ihn besänftigen wollte oder sich lustig über ihn machte. Da der Hunger mittlerweile aber groß genug war, griff er schließlich nach dem Objekt der Begierde und biss hinein.

Ein Apfel hatte noch nie so gut geschmeckt.

„Danke“, murmelte er im Ton einer Beleidigung.

„Bitte“, antwortete der Jüngere, immer noch grinsend.

„Was bist du nur so gut gelaunt? Bist du nicht Stunden durch den Wald geirrt und müsstest noch genervter sein als ich?“, fragte er zwischen zwei Bissen.

„Warum musstest du nach Suzuno?“, antwortete der andere mit einer Gegenfrage ohne ihm wirklich zuzuhören. Lorenor hatte sich bereits wieder umgedreht und war drauf und dran im Dickicht erneut verloren zu gehen.

„Wo willst du bitteschön hin? Das Haus ist da lang.“

Er packte den anderen an der Schulter und deutete in die andere Richtung.

Herablassend sahen ihn diese verfluchten grünen Augen an.

„Wärest du bitte so freundlich, meine Frage zu beantworten? Außerdem muss ich erst noch ins Dorf, Kanans Ware abholen.“

Mit einem lauten Knall schlugen die Überreste des Apfels gegen einen nicht weit entfernten Baum, durchbrachen ihn wie ein Kugelgeschoss und flogen durch zwei weitere. Von der Kraft des Aufpralls wankten alle drei Getroffenen bedrohlich, ehe sie schließlich kraftlos umkippten. Für einen Moment bebte die Erde, als die drei Riesen zu Boden gingen.

Endlich stand eine gewisse Überraschung auf diesem kindlichen Gesicht und endlich hielt Lorenor mal seinen vorlauten Mund. Doch wirklich glücklich war Dulacre darüber nicht, schließlich war er gerade derjenige, der schon wieder emotional wurde.

Aber immerhin hatte er jetzt erst mal die Aufmerksamkeit von seinem Wildfang.

„Wärest du so freundlich mir einfach mal zuzuhören? Unglaublich, dass ich dir das immer wieder sagen muss, ich bin nicht dein Vater, kapiert?!“ Der Zorn in seiner Stimme war genug um den aufsteigenden Widerspruch des Kindes im Keime zu ersticken.

„Also Erstens: Das Dorf ist westlich von hier, das heißt, du gehst trotzdem in die falsche Richtung. Zweitens: Ich hab dir vorher eine Frage gestellt, also bevor du mir etwas vorwirfst, halt dich selber dran und Drittens… Verdammt, ich bin so genervt von dir, dass ich den Rest vergessen habe.“

Er war todernst, als er das sagte und ihm war wirklich nicht nach Scherzen zumute, aber selbst er konnte nicht verhindern, dass er leicht grinsen musste, als sich der verschreckte Gesichtsausdruck des Piraten in ein Lachen verwandelte.

„Komm, wir gehen.“ Dulacre packte den anderen recht grob am Oberarm und dirigierte ihn Richtung Dorf, nicht, dass er ihn wieder verlieren würde. Der andere wehrte sich kaum und versuchte mit seinen Schritten mitzuhalten.

„Okay, ich hatte einen Termin auf der Marinebasis von Suzuno. Jetzt bist du dran.“
 

-Zorro-

Der Weg zum Dorf dauerte maximal zehn Minuten und Zorro fragte sich mehr und mehr, wie er es geschafft hatte vier Stunden in einem Wald zu verbringen, der offensichtlich nicht größer war, als ein Kriegsschiff. Aber es war ein guter Morgen, mit einer sommerlichen Wärme und obwohl er müde war von der vergangenen Nacht, genoss er doch das Gefühl seines Körpers nach dem Training. Jede Bewegung brachte seine Muskeln erneut zum Arbeiten, jeder Atemzug ließ ihn wissen, dass er stärker wurde. Er liebte dieses Gefühl. Dieses Training hatte ihn bereits unglaublich weit gebracht, ohne dass er seinen eigenen Körper hatte bestrafen müssen für seine Schwäche. Er war dankbar. Seit dem vergangen Tag auf Sarue machte er endlich Fortschritte.

Während seine kleinen Füße versuchten mit den langen Beinen des Samurais Schritt zu halten, unterhielten sie sich ruhig über die vergangenen Tage und über das, was vor ihnen lag, in diesen drei Wochen.

Als sie zwischen den ersten Häusern auftauchten, wurden sie auch schon von dem geschäftigen Gewusel des Dorfes begrüßt. Arbeitende Menschen, rennende Kinder, laute Tiere und andere Geräusche füllten die Gassen. Verkäufer preisten ihre Waren an und die ersten Leute genossen ihre Mittagspause in der Sonne.

Der kleine Brunnen in der Mitte des Marktes war augenscheinlich repariert worden, denn fröhliche Kinder spielten in durchnässten Klamotten zwischen den Wasserstrahlen, während aufgebrachte Mütter ihnen hinterherjagten.

Erneut fielen Zorro die Blicke der anderen auf, doch diesmal war er sich ziemlich sicher, dass sie auf ihm lagen. Unwohl strich er sich eine Strähne zur Seite, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte. Feindseligkeit konnte er zwar nicht vernehmen, aber trotzdem hatte er das Gefühl, als würden die hinter vorgehaltener Hand gesprochenen Worte über ihn urteilen.

„Sieht aus, als wärest du eine kleine Berühmtheit geworden“, mutmaßte der Samurai und versteckte sein kaum merkliches Grinsen unter dem Schatten seines Hutes.

„Was meinst du damit?“ Verwirrt sah er den anderen an.

„Du liest nicht gerne Zeitung, oder?“, antwortete dieser mit einer Gegenfrage, doch er sprach direkt weiter ohne auf eine Antwort zu warten, „Eine weitere Unaufmerksamkeit, die du ablegen solltest. Es ist nie verkehrt zu wissen, was in der Welt passiert.“

Erneut versuchte er den anderen zu unterbrechen, ohne Erfolg.

„Dann wäre dir vielleicht auch aufgefallen, dass in den vergangenen zwei Tagen ganze Fotocollagen von dir in der Zeitung zu sehen waren“, sprach der andere unbeeindruckt weiter.

„Wie bitte?“ Das konnte doch nicht wahr sein. Der andere musste sich gerade einen Scherz mit ihm erlauben. Warum um Himmelswillen sollte irgendwer Fotos von ihm machen und dann auch noch in die Zeitung stellen?

„Wieso das denn?“

Falkenauge zuckte mit den Achseln, während sie in eine Seitenstraße am Ende des Marktplatzes einbogen und bereits das Ladenschild des Verkäufers erblicken konnten.

„Ich vermute, dein Auftritt auf der Versammlung hat für Aufsehen gesorgt. Nicht nur dein unerwartetes Eingreifen während der Versammlung sorgte dafür. Auch deine Erscheinung neben der Frau des Bürgermeisters war für viele vermutlich ein beeindruckender Anblick.“

Erst jetzt erinnerte sich Zorro daran, dass auch der alte Banri von so etwas gesprochen hatte, aber er hatte gedacht, dass es eher ein unbedeutender Schnappschuss während der Versammlung gewesen war, nicht mehr.

„Natürlich macht ein unbekanntes, hübsches Gesicht umgeben von einflussreichen Menschen wie Eizen die Leute neugierig. Dementsprechend wurde auch unser Besuch auf Sarue bildreich dokumentiert. Mir scheint, als würde die Presse dringend versuchen die Aufmerksamkeit der Leute von etwas abzulenken und ein unschuldiges Mädchen wie du im Hause eines brutalen Samurai kommt da gerade recht.“

„Na ganz super“, murmelte Zorro nur als sie den Laden erreichten und hinein gingen.

Nicht nur, dass er sich irgendwie mit seinem neuen Körper arrangieren musste, nein, jetzt würde es noch ganze Bilderreihen geben, die das verfolgen würden. Womit hatte er das verdient?

„Guten Tag Herr Mihawk“, erklang eine raue, wenngleich freundliche Stimme. Der vom alter gebeugte Ladenbesitzer kam aus einem kleinen Raum hinter der Kassentheke. Als er Zorros Blick erwiderte, wurden seine Augen groß.

„Oh, Lady Loreen!“, rief er freudestrahlend, „Ihnen geht es gut. Kanan hat hier schon mehrmals angerufen. Ist alles in Ordnung?“ Von Erleichterung überschwemmt eilte der alte Mann zu ihm und nahm seine kleinen Hände in die seinen. „Ich hätte mir nie verziehen, wenn einer jungen Frau wie Ihnen etwas passiert wäre, nur weil ich die Ware falsch bestellt habe.“

Zorro war überrascht von dieser Warmherzigkeit und Sorge eines Fremden, eines Menschen, dem es doch egal sein konnte, wenn ihm etwas passierte. Auf der anderen Seite konnte er sich vorstellen, dass man Kanan nicht unbedingt als Feind haben wollte und noch weniger Falkenauge. Spätestens seit er an der Seite des Samurais in der Zeitung aufgetaucht war, war es wahrscheinlich, dass die Dorfbewohner ihre Vermutungen anstellen würden. Er wohnte im Haus des Schwertkämpfers, dessen Vorfahren diese Inselgruppe bevölkert hatten und besuchte mit diesem die verschiedenen umliegenden Inseln, obwohl dieser normalerweise nicht mehr Zeit als nötig in seinem Elternhaus verbrachte. Natürlich würden die Leute eins und eins zusammen zählen und zu ihren Schlüssen kommen.

Wenn er so darüber nachdachte, war er also entweder die verschollene Tochter oder die neue Flamme. Am liebsten würde er sich irgendwo übergeben gehen.
 

Wenige Minuten und einen Anruf beim Herrenhaus später verließen die beiden Schwertkämpfer wieder den kleinen Laden. Bis auf einen Korb mit Blumen trug Zorro nichts. Als gut erzogener Gentleman war es anscheinend unbedingt nötig, dass Dulacre den ganzen anderen Rest alleine trug.

Mit einem Seitenblick auf den Samurai fragte sich der ehemalige Piratenjäger erneut, wie die Haushälterin von ihm erwartet hatte, das alles zu tragen. In seinem eigentlichen Körper wäre es vermutlich keine große Herausforderung gewesen, aber als schmächtiges Mädchen…

Mittlerweile schien die Mittagssonne so stark, dass er entschied, die Jacke auszuziehen und über den Korb zu hängen. In ruhigen Schritten hatten sie sich auf den Rückweg begeben und diesmal sah Zorro sie auch. Manche versteckt mit Sonnenbrillen und hinter Zeitungen, andere ziemlich offensichtlich und ohne jede Scham: Reporter, sechs oder sieben an der Zahl.

„Was wollen die?“, murmelte er so leise, dass nur der Samurai neben ihm seine Worte hören konnte. Dieser lachte.

„Fotos machen. Das ist ihr Job.“

„Ja, aber warum sind denn so viele hier?“ Er bildete sich ein, das Klicken ihrer Kameras zu hören, dabei konnte er diese noch nicht einmal sehen.

„Eine der Presse-Zentralen liegt auf dem Sabaody Archipel, dementsprechend wimmelt es hier immer von deren Mitarbeitern und wie gesagt, ich vermute, dass du sie neugierig gemacht hast.“ Die Stimme seiner Begleitung war gelassen, doch er konnte spüren, dass dies auch den anderen nervte.

In diesem Moment unterbrach eine klagende Stimme das Dorf.

Nahe dem Brunnen saß ein kleiner Junge mit kurzen lila Locken auf dem Boden und weinte herzzerreißend. Nun ja, oder eben nervtötend, je nachdem wie man so etwas sah.

Doch das Kind richtete alle Blicke auf sich und hörte nicht auf zu weinen.

Nach einem Moment seufzte Dulacre neben ihm frustriert.

„Ich hasse weinende Kinder“, murrte er übertrieben angefressen, „Sie sind so nervig.“ Zorro konnte ihm nur zustimmen. Er verstand auch nicht, warum Mini-Menschen immer so viel heulen mussten. Auf der anderen Seite war er vielleicht nicht derjenige, der urteilen durfte, wenn er an die letzten Tage dachte.

Mittlerweile waren die beiden Schwertkämpfer die einzigen, die noch ihrer Wege gingen, alle anderen starrten auf den Jungen, doch niemand schien sich ihm anzunehmen.

„Bring ihn doch bitte einer zum Schweigen“, klagte der Samurai, nun noch theatralischer als zuvor, „Mach was, Lorenor! Ich krieg Kopfschmerzen.“

„Was erwartest du von mir? Soll ich einen kleinen Jungen um die Ecke bringen, nur damit du keine Kopfschmerzen hast?“, knurrte er zurück.

„Mir egal. Wenn er dann ruhig ist.“

Auf ihrem Weg musste das ungleiche Paar direkt an dem schreienden Kind vorbei, das immer noch von anderen angestarrt wurde, ohne dass jemand half.

„Halt den Mund, Bengel“, bellte Falkenauges Stimme den Jungen an, während dieser mit seinen scharfen Augen auf ihn hinab starrte. Für einen Moment hörte der drei-Käse-hoch wirklich auf zu weinen und sah ihn einfach nur an, dann verzog sich sein Gesicht in eine ängstliche Grimasse und er schrie nur noch mehr.

Zorro seufzte:

„Das hast du ja wirklich toll hinbekommen.“

Die umher stehenden Leute beäugten sie misstrauisch. Womit hatte er das verdient?

Erneut seufzend schritt der verwunschene Pirat um seinen Gastgeber herum und stellte sich mit verschränkten Armen von den Jungen.

„Er hat schon Recht. Männer sollten nicht weinen, weißt du?“, sprach er ruhig und kalt aus.

Nun sah der Junge ihn an, wirkte nicht mehr so verängstigt, nun, da eine Frau mit ihm sprach.

„Aber… aber…“, versuchte er zwischen Schluchzern zu widersprechen.

Zorro wartete nicht darauf, dass der andere seinen Satz zu Ende brachte, sondern erhob gebieterisch die freie Hand, während am anderen Arm noch der Korb baumelte.

„Wenn du etwas sagen willst, steh auf und sag es mir. Vom Rumsitzen und heulen wird es auch nicht besser.“ Wieder seufzte er als der Junge versuchte, die Tränen zu verhindern. Immerhin versuchte er es. Langsam schüttelte Zorro den Kopf, dieser Junge war wie Chopper, verdammt, was vermisste er diesen kleinen Arzt. Er ging etwas in die Knie und reichte dem Jungen seine freie Hand.

„Na komm. Steh auf!“

Nach einem Moment ergriff das Kind seine Hand mit seinen rotztriefenden Fingern und zog sich hoch. Als er stand, zog er noch einmal die Nase hoch und schaffte es dann tatsächlich ihn anzugrinsen.

„Gut, und nun sag mir, was passiert ist.“

Unauffällig wischte er seine seltsam feuchte Hand an der Jacke ab.

Der Junge setzte an zu reden, doch eine laute Stimme ließ den Marktplatz zusammenzucken.

„Kon! Was tust du denn hier?“

Eine Frau mit ebenso lila Locken wie der Junge, in einem engen schwarzen Kleid, eilte den Markt hinunter.

„Mama!“, rief der angesprochene Junge und lief auf sie zu. In ihrem Armen brabbelte er irgendetwas ganz aufgebracht vor sich hin und verdrückte sich zwei Tränchen.

„Das ist Houran, die Sekretärin von Herrn Koumyou“, murmelte Dulacre überrascht, während er ein paar Kisten von einem Arm auf den anderen lagerte, „Ich wusste gar nicht, dass sie schon Kinder hat.“

Eben genannte schollt gerade ihren Sohn, für sein weinerliches Verhalten. Dann erblickte sie die beiden Schwertkämpfer, griff ihren Schreihals an der Hand und kam auf sie zugeeilt.

Wenige Schritte vor ihnen blieb sie stehen und verbeugte sich tief, wobei der Blick auf ihr tiefes Dekolleté nur schwer zu vermeiden war, selbst für Zorro.

„Ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten, die Sie meines Sohnes wegen hatten, Herr Mihawk.“ Dann wandte sie sich dem Piraten zu und verbeugte sich noch tiefer. „Und ich bedanke mich für Ihre Freundlichkeit, Lady Loreen. Mein Sohn hat sich beim Spielen verletzt, aber natürlich ist das noch lange kein Grund zum Weinen. Es tut mir leid, dass ich nicht früher da war, aber ich bin noch am Arbeiten.“

Zorro schüttelte den Kopf und heftete seine Augen gezielt auf ihre Lockenpracht anstatt weiter unten nach etwas zu suchen.

„Es ist doch alles in Ordnung. Ich hoffe, die Verletzung ist nicht schlimm.“

„Natürlich nicht. Kon, bedanke dich.“

Wie auf Knopfdruck verbeugte sich der Junge.

„Vielen Dank.“

Dann verabschiedeten sich die beiden und gingen. Auch die beiden Schwertkämpfer folgten ihren Weg.

„Das war seltsam“, murmelte Zorro.

„Ja, aber ich bin mir sicher, dass da schöne Bilder bei rauskommen.“

Der Pirat wirbelte herum, als er die feixenden Worte des Samurais hörte. Diese grinste äußerst böse zwischen seinen Kisten.

„Warte mal. Hast du das mit Absicht gemacht? Dich so beschwert? Damit ich mich um den Jungen kümmere?!“

Dulacre wanderte immer noch breit grinsend an ihm vorbei.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, Lady Loreen.“

„Du kannst mich mal!“

Laut lachend schritt der Samurai weiter.

Den ganzen Rückweg über fluchte das Mädchen schlimmer als jeder Seemann, während der hochgewachsene Mann leise vor sich hin summte.

Im Haus angekommen wurden sie von einer höchst aufgelösten Kanan empfangen, die sich auf Zorro warf und ihn beinahe mit ihrem mütterlichen Busen erdrückte, während sie Freudentränen weinte.

Die drei Anwesenden verbrachten über eine Stunde in der Küche. Kanan räumte die Waren ein und erklärte dabei lauthals, wie glücklich sie war, dass Zorro nichts passiert war. Falkenauge las die aktuelle Zeitung und ignorierte die beiden Damen gekonnt. Denn auch der Pirat beschwerte sich äußerst lauthals, während er die Zeitung der Vortage durchblätterte und die verschiedenen Bilder und Artikel betrachtete, die sich hauptsächlich mit seiner Beziehung zum Samurai und seinen Klamotten beschäftigten. Aber die Zeitung hatte ihm schon einen Titel verpasst, der anscheinend von seiner Umgebung schon stark benutzt wurde: Lady Loreen

Irgendwann unterbrach der Samurai seine Schimpftirade und schlug ihm eine weitere Trainingseinheit vor, die er natürlich nicht ausschlagen konnte.

Sie hatten sich gerade auf den Weg zum Trainingsraum gemacht, als die Haushälterin ihnen hinterherrief:

„Herr, ein Anruf von Suzuno kam während ihrer Abwesenheit, es ging um…“

„Ignorieren Sie es. Ich habe jetzt keine Zeit mehr dafür.“

Und damit begann die nächste Unterrichtseinheit.

Kapitel 16 - Das Schwert

Kapitel 16 – Das Schwert
 

-Mihawk-

„Jetzt warte doch.“ Genervt folgte er dem anderen, der bereits den Flur hinunter stürmte.

„Nein, wir haben schon viel zu viel Zeit verschwendet“, antwortete die gebieterische, weibliche Stimme seines Gastes, der nicht daran dachte, stehen zu bleiben.

Dulacre seufzte. Seitdem er auf dem Rückweg das Wort Training in den Mund genommen hatte, war der andere im Tunnelblick gefangen und die gemütliche Stimmung des Abends war verloren gegangen.

„Solange du diesen Fummel anhast, gehst du mir nicht in den Trainingsraum.“

Der Pirat machte immer noch keinerlei Anstalten, stehen zu bleiben.

„Hast du mich gehört, Lorenor? Dein Training geht erst weiter, wenn du dich umgezogen hast! Kanan wird es nicht recht sein, wenn du damit kämpfen willst. Und mir ist es nicht recht, wenn du in unangemessener Kleidung den Trainingsraum betrittst.“

Sein Wildfang wirbelte wütend herum, das schwarze Kleid tanzte um die schlanken Beine, das offene Haar wehte wie im Wind. Mit klackenden Schritten rauschte das Mädchen auf ihn zu.

„Ich hatte gedacht, dass unsere Vereinbarung beinhaltet, dass du mit mir trainierst, während ich hier bin, und nicht, dass du mich auf jedes verdammte Treffen schleppst, zudem du eingeladen wirst. Hätte ich das gewusst, wäre ich nie drauf eingegangen“, fauchte der Grünhaarige ihn wütend an, die Hände auf den Hüften.

„Also Erstens: Du hast mich um Hilfe gebeten. Zweitens:…“

„Hör mir auf mit deinem bescheuerten Erstens, Zweitens. Damit vergeuden wir nur noch mehr Zeit“, unterbrach ihn der Pirat grob.

Langsam atmete Dulacre ein und aus, bemüht nicht wütend zu werden, was wirklich nicht einfach war.

„Geh dich einfach umziehen!“, knurrte er und zeigte mit erhobenem Zeigefinger die Treppe hinauf.

„Du hast mir gar nichts zu befehlen!“, antwortete die Frau zickig und kam einen Schritt auf ihn zu. Durch die recht hohen Absätze war der Abstand ihrer beiden zornigen Gesichter nicht so weit wie sonst, als sie nun direkt voreinander standen. Die Spannung war greifbar.

In ihm brodelte es so stark, dass er nicht sicher war, ob er sich dieses Mal rechtzeitig beherrschen konnte. Wie schaffte es dieser Junge immer wieder, dass er am Ende derjenige war, der die Kontrolle verlieren würde? Wieso hatte dieser Junge so viel Macht über ihn?

Dabei brauchte er doch noch nicht einmal seinen kleinen Finger, wenn er den anderen jetzt töten wollen würde.

Unerwartet drehte der Samurai sich um und ging langsam zur Haustür zurück.

„Was hast du vor?“, zischte das Mädchen.

Doch Dulacre antwortete nicht, sondern zog sich wieder seine Stiefel an, mühsam kontrolliert.

„Was tust du da? Haust du etwa ab?“ Die Stimme des Piraten war etwas höher und lauter als gewöhnlich, doch immer noch weigerte sich der Ältere zu reagieren.

„Dulacre!“

Langsam richtete er sich auf und sah seinen Gast an.

Das grüne Haar schien vor Energie aufgeladen, die Augen weit aufgerissen, der Mund noch geöffnet.

„Es ist genug“, sprach der Samurai leise, „Gestern und heute Morgen waren gute Einheiten, der Tag war lang. Ich denke es ist für uns beide besser, wenn wir es damit belassen.“

„Nein! Du hast gesagt…“

„Ich ertrage deinen Starrsinn nicht länger!“

Plötzlich war es ganz still um die beiden Schwertkämpfer.

„Was? Aber…“

„Ich bin müde, Lorenor. Mach, was du willst. Ich werde dich heute Abend nicht mit meiner Anwesenheit belästigen.“

Damit öffnete der Schwarzhaarige die Tür. Er hatte die vergangenen Nächte wenig und schlecht geschlafen. Tagsüber zermarterte er sich den Kopf, hauptsächlich über den anderen und dessen Fortschritte, manchmal auch über dessen steigende Beliebtheit in der Zeitung, woran er selbst nicht ganz unschuldig war und natürlich über dessen Möglichkeiten wieder ein Mann zu werden. Die unerwartete Einladung vom Bürgermeister der Insel und seiner Frau zum Abendessen hatte für zusätzliche Unruhe gesorgt. All diese mehr oder weniger alltäglichen Probleme verdrängten aber nicht die Gewissheit, dass im Weltgeschehen etwas vor sich ging, das er noch nicht ganz erfassen konnte. Doch anstatt diesem Unbekannten auf den Grund zu gehen, stritt er sich mit dem undankbaren Jungspund. Er war zu alt dafür.

Er war zu müde, um dem anderen eine solche Macht zu geben. Er musste sich beruhigen, bevor er von seiner eigenen Macht Gebrauch machen würde.

Wie erwartet, war der Pirat entweder zu stur oder zu überrascht um zu reagieren, sodass er gehen konnte, ohne aufgehalten zu werden.

Erst Stunden später wurde ihm bewusst, dass er in jenem Moment aufgegeben hatte. Das war wohl der erste Kampf seit Ewigkeiten, den er verloren hatte.
 

-Zorro-

Zorro stand vor der geschlossenen Haustür, fassungslos. Er verstand nicht, was gerade passiert war.

Falkenauge war tatsächlich einfach gegangen.

Mit einem Male wurde ihm bewusst, dass er ganz alleine in diesem viel zu großen, fremden Herrenhaus war. Sein erster Gedanke war, dem anderen hinterher zu jagen, doch war ihm nur zu schnell bewusst, dass dies keine gute Idee darstellen würde.

Langsam strich er sich über den Oberarm. Er war es nicht gewohnt, dass jemand aus einer Auseinandersetzung floh, erst recht nicht der Samurai. Und nun stand er hier, all diese Gefühle in sich aufgewühlt. Der verfluchte Koch war nie einem Streit ausgewichen, hatte ihn nie so im Regen stehen lassen.

Verdammt!

Wütend auf sich selber, eilte er die Stufen der Treppe hoch, stolperte dabei beinahe über seine eigenen Füße und verlor beide Schuhe, ehe er oben angekommen war. Auf nackten Sohlen ging er weiter in sein Zimmer.

Falkenauge hatte Recht gehabt, es war ein langer Tag gewesen, ein anstrengender Tag, ein guter Tag.

Früh am Morgen hatten sie mit dem Training angefangen, einzig und allein die unerwartete Einladung zum Abendessen hatte sie kurz gestört, jedoch nicht lange genug, um wirklich erwähnt zu werden.

Am späten Nachmittag hatten sie die Einheit dann beendet, damit Kanan genug Zeit hatte um ihn herzurichten. Mittlerweile hatte er sich mehr oder weniger seinem Schicksaal ergeben und ließ ihr freie Hand. Es war ja nicht so, als ob er wirklich etwas daran ändern konnte.

Der Abend bei Familie Koumyou war dann überraschender Weise sehr angenehm gewesen. Das Essen war gut gewesen und das ältere Ehepaar schien ihnen äußerst wohl gesonnen. Natürlich hatte Zorro ein paar Themen nicht besonders gemocht, die Zeitungsartikel zum Beispiel, aber hauptsächlich hatten sie sich über aktuelle Geschehnisse aus aller Welt unterhalten, Dinge die ihn doch sehr interessierten.

Der Rückweg war eher lustig gewesen. Die beiden Schwertkämpfer hatten einander aufgezogen und viel gelacht. Die Idee einer weiteren Nachteinheit hatte ihn aber erinnern lassen. Erinnern lassen, warum er hier war, wer er war und warum er so hart trainierte.

Verdammt!

Falkenauge war der Mann den er besiegen wollte, der Mann dessen Titel er wollte. Wie hatte er glauben können, dass sie wirklich Freunde sein konnten? Welten trennten sie voneinander und schlussendlich war selbst eine Lehrer-Schüler-Beziehung  mehr als sie wirklich einander bieten konnten. Er war so wütend auf sich deswegen.

Nein, das war es nicht, wie er sich eingestehen musste. Er war nicht wütend auf sich, weil er anfing, dem anderen zu vertrauen oder gar zu mögen.

Er hatte vergessen.

Für ein paar Stunden, wenige Stunden, hatte er vergessen, warum er auf dieser Insel war, warum er trainierte, warum er kämpfte.

Er hatte sie vergessen. Seine Crew.

Er hatte ihn vergessen. Seinen Kapitän.

Während er im Kerzenlicht mit fremden Menschen Wein getrunken hatte, erzählt hatte, gelacht hatte, trauerten seine Freunde vielleicht noch um ihn. Waren vermutlich noch verwundet und verletzbar durch seine fehlende Kraft. Und er witzelte mit seinem größten Feind über Belanglosigkeiten.

Verdammt!

Lange sah er sich im großen Spiegel an. Sah sein so verhasstes Spiegelbild. Das Kleid fiel zu Boden, gefolgt von der Unterwäsche. Langsam legte er die goldene Kette ab, zog die glitzernden Ohrringe aus den frisch gestochenen Ohrlöchern, verharrte einen Moment an seinem linken Ohr, und streifte den Armreif ab.

Nackt stand er vor dem Spiegel und schlug mit aller Kraft zu.
 

-Sanji-

Als die Tür knarzte, blickte er auf.

Es war schon dunkel, er hatte nicht damit gerechnet, jetzt noch einen der anderen zu sehen. Schließlich waren sie alle müde und erschöpft. Weniger von den gut verheilenden Wunden, als von den Nachtwachen und dunklen Träumen.

Ihm ging es ganz ähnlich, und so blieb er lieber auf, als erneut den gesamten Männerschlafraum mit seinen Schreien aufzuwecken, wenn er wiedermal verbrannte oder jemand anderen verbrennen ließ.

Zu seiner Überraschung war es der junge Arzt, der hinein getapst kam.

„Hey, Chopper. Alles okay?“ Sanjis Stimme klang normal, so normal er es eben hinbekam, angesichts der Umstände, dass er zu wenig schlief und zu viel rauchte, wodurch alle seine Worte einen ungewollt rauen Klang bekamen.

Die Knopfaugen sahen ihn leicht verwirrt an, erst jetzt schien dem Rentier bewusst zu werden, dass er nicht alleine im Raum war.

„Ach, ähm, ich wollte nur nochmal schnell überprüfen, was ich auf der nächsten Insel noch alles einkaufen muss. Die Verbände werden langsam mau“, murmelte das jüngste Crewmitglied und wich seinem Blick aus.

„So spät noch? Das kann doch ruhig bis morgen warten. Am besten holst du dir erst mal eine ordentliche Mütze Schlaf“, entgegnete Sanji schlicht und wandte sich wieder seinem Kochbuch zu.

„Die anderen sind eh noch wach und unterhalten sich, da kann ich so oder so nicht schlafen.“ Choppers Antwort war noch leiser als zuvor, ehe er hinter der Tür des Krankenzimmers verschwand.

Der Koch sah beim Klicken des Schlosses kurz auf, versuchte sich jedoch erneut auf seine Aufgabe zu konzentrieren.

Die letzten Tage waren für ihn unglaublich anstrengend gewesen. Fast jedes Mal, wenn er und Ruffy sich außerhalb der Mahlzeiten über den Weg liefen, endete es in einer Auseinandersetzung.

Die übertrieben gute Laune seines Kapitäns war für ihn unerträglich. Er konnte nicht verstehen, wieso sein Freund die Augen vor der Wahrheit so fest verschließen konnte. Doch jeder Streit, jedes logisches Argument war fruchtlos.

Immer wenn er auf das Geschehene zu sprechen kam, sahen ihn die großen dunklen Augen des Gummijungen einfach nur an, bevor Sekunden später wieder ein fröhliches Grinsen die kindlichen Züge erhellte. Ruffy wollte oder konnte nicht verstehen, dass Zorro tot war.

Robin hatte schon das ein oder andere Mal anklingen lassen, dass dieses Verleugnen auch eine Art der Trauerbewältigung sein konnte und dass Sanji seinem Kapitän einfach mehr Zeit geben sollte. Schließlich hatte Ruffy erst vor wenigen Tagen vom Tod seines ersten Maats erfahren.

Aber diese Rücksicht konnte Sanji nicht walten lassen. Wenn es hier nur um ihn gehen würde, wäre es vielleicht möglich, wäre er vielleicht in der Lage, über das typische Dauergrinsen seines Freundes hinwegzusehen. Aber es ging nicht nur um ihn.

Das hirnrissige Gerede des Schwarzhaarigen über die baldige Rückkehr des Schwertkämpfers tat ihnen allen weh, erlaubte keinem von ihnen in Ruhe zu trauern, abzuschließen. Es wäre einfacher gewesen, wenn sie sich in einem ehrfürchtigen Ritual von ihrem Freund hätten verabschieden können, wie damals bei ihrer geliebten Flying Lamb. Doch die Schwerter des Marimos standen unschuldig zwischen Sofa und Teleschnecke, wo Lysop sie damals aus pragmatischen Gründen verstaut hatte. Jeder, der in den Speiseraum kam, musste sie unweigerlich bemerken, musste unweigerlich an ihren Verlust denken und ihr Kapitän machte es nicht besser.

Seine eigene Schrift verschwamm vor seinen Augen. Seine Konzentration war schon lange verflogen. Was sollte er nur machen?

Wenn er Robin Folge leisten würde, würde Ruffys Verhalten dem Rest der Crew weiterhin zusetzen, aber wie sollte er Ruffy aus diesem Irrsinn aufwecken, ohne ihm gleichzeitig unendlich weh zu tun?

„Sanji?“

Langsam hob er den Kopf. Chopper stand im Türrahmen, offensichtlich verunsichert.

Der Blondschopf seufzte. Erst jetzt verstand er, was er schon viel früher hätte merken müssen, verstehen müssen. Er hatte es eben doch noch selber gedacht.

Der junge Arzt war nicht noch auf, weil die anderen sich unterhielten. Er war aus dem Jungenschlafzimmer geflohen, wegen dem Thema der Unterhaltung. Er suchte irgendwo nach Schutz und Sanji war so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er den kleinen Hilferuf seines Freundes gar nicht wahrgenommen hatte.

Normalerweise wäre Chopper nicht zu ihm, sondern zu einem anderen gewissen jemand gegangen, doch dieser war nun ja nicht mehr da.

„Was hast du, Chopper?“, fragte er sanft und legte die Lesebrille zur Seite.

Der Arzt stand immer noch im Türrahmen und sagte nichts, während er betreten zu Boden starrte.

Schließlich stand Sanji auf und ging rüber zum übergroßen Kühlschrank.

„Es sind noch ein paar Erdbeeren übrig, möchtest du sie dir mit mir teilen?“

„Oh ja!“

Der Koch lächelte. Er wusste nicht, wie ausgerechnet der Marimo so einfach einen Zugang zu ihrem jüngsten Crewmitglied gefunden hatte, während er selbst immer die Hilfe von Süßigkeiten brauchte.

Einen Moment später ließ er sich mit einer riesigen Schüssel gezuckerter Erdbeeren in Sahnecreme und zwei Löffeln wieder auf seinem Platz nieder. Chopper saß ihm bereits erwartungsvoll gegenüber.

Für einige Minuten genossen sie die süßen Beeren in einvernehmlichem Schweigen, doch mit der Zeit konnte Sanji sehen, wie die kleinen Knopfaugen immer glasiger wurden.

„Also, was ist los?“, eröffnete er erneut das Gespräch.

Sein junger Freund schüttelte nur den Kopf und stopfte sich einen weiteren Löffel Nachtisch in den Mund.

„Chopper, wenn es dir nicht…“

„Er mag keine Erdbeeren.“

Sanji verstummte. Er wusste sofort, von wem der andere sprach. Es gab nur einen Menschen auf der großen weiten Welt, den er kannte, der jeglichem Süßen nichts abgewinnen konnte.

Er schüttelte leicht den Kopf.

„Nein, er konnte die wirklich wichtigen Schätze der Welt nie wertschätzen“, stimmte er leise zu und steckte sich einen dieser kleinen Schätze in den Mund.

„Wir haben uns mal zusammen ein Eis gekauft. Er hat ewig lange bei der Auswahl der Sorten gebraucht, weil ihm nichts schmeckte. Hat sich am Ende für Pfefferminz entschieden.“ Die Worte des Rentiers waren unsagbar hoffnungsvoll, während er von dieser schönen Erinnerung erzählte, von der Sanji nichts wusste.

„Glaubst du…“, murmelte Chopper ohne ihn anzusehen, „Könnte es vielleicht sein, dass Ruffy Recht hat?“

Müde schloss der Koch für einen Moment die Augen. Was sollte er auf so eine Frage antworten? Wer wollte bei diesem flehenden Blick nicht einfach nur das Blaue vom Himmel beschwören? Am liebsten würde er seinen jungen Freund in den Arm nehmen und ihm versprechen, dass der verdammte Marimo eines Tages wieder vor ihnen stehen würde.

„Chopper…“, seufzte er.

„Könnte es nicht wirklich sein“, begann dieser verzweifelt, „dass Zorro überlebt hat? Ich meine, er ist so stark. Wenn, dann schafft es Zorro.“

„Ach, Chopper…“

„Und wahrscheinlich“, die Stimme des Rentiers zitterte mittlerweile vor verschluckten Tränen, „hat er sich einfach nur verlaufen und ist auf dem falschen Schiff gelandet. Vermutlich ist er jetzt irgendwo im North Blue und denkt, er hätte die Fischmenscheninsel schon gefunden.“

Sanji legte den Löffel weg.

„Das könnte doch sein, oder Sanji?“ Seine Stimme brach, während einzelne Tränen im Fell versickerten.

Der Blondschopf biss sich auf die Unterlippe.

„Nein, Chopper.“ Was hasste er sich in diesem Moment. „Nein, das ist nicht möglich. Zorro ist tot.“

„Aber Ruffy sagt doch…“

„Ruffy war ohnmächtig“, unterbrach er den schwachen Einwand, „Chopper, du hast es mit deinen eigenen Augen gesehen. Du hast gesehen, wie er mit dem Turm gefallen ist.“

Seine Stimme wurde noch rauer und er gierte nach seinem Nikotin.

„Ja, aber vielleicht hat er es doch geschafft. Schließlich hat man… ihn nicht gefunden.“

Diese pure Verzweiflung nach einem dünnen Faden Hoffnung.

„Was sagt dir denn dein Fachwissen, Chopper? Er hatte eine klaffende, entzündete Wunde die komplette Seite hoch, einen hohen Blutverlust, vermutlich ein Schleudertrauma, unglaublich viele Fleischwunden, möglicherweise eine Rauchvergiftung und dann noch das Feuer und der einstürzende Turm. Er konnte kaum noch stehen, geschweige denn Laufen. Sag mir, Doktor, kann das jemand, selbst wenn sein Name Lorenor Zorro ist, überleben?“

Chopper antwortete nicht und das war auch gar nicht nötig. Sanji hatte das Gesicht des anderen gesehen, sah es jede Nacht in seinen Träumen. Wenn Zorro noch einen Weg zum Überleben gesehen hätte, hätte er ihn damals nicht so angesehen.

„Es tut weh, Chopper. Ich weiß. Aber die Wahrheit zu verneinen macht es nicht besser.“

„Aber Ruffy…“

„Ruffy ist noch nicht soweit, um zu trauern. Er klammert sich an den letzten Rest Hoffnung. Aber er war nicht dabei, Chopper. Er weiß nicht, wie schwer Zorro verletzt war.“

Der kleine Arzt blickte traurig zu Boden.

„Ich wünsche mir so, dass er irgendwie doch überlebt hat.“

„Ich mir auch…“
 

-Mihawk-

Als er das Haus betrat, war es ruhig. Die dunklen Schatten begrüßten ihn schweigend.

Leise zog er Mantel und Stiefel aus, erst dann fiel ihm der schwache Lichtschimmer, aus dem Wohnzimmer kommend, auf.

Im Türrahmen blieb er stehen. Auf dem Sofa lag Lorenor, offensichtlich am Schlafen. Mittlerweile trug er nicht mehr das lange Abendkleid, sondern ein übergroßes, schwarzes, trägerloses Top und eine dunkelgraue, lange Hose. Ein nackter Fuß lag halb stehend auf dem Boden, ebenso wie eine Hand. Die andere Hand lag zwischen den Seiten eines Buches, der Kopf ruhte müde auf dem Unterarm, während die zum Zopf geflochtenen Haare über die Schulter hinweg zu Boden pendelten.

„Willkommen daheim, Herr“, grüßte ihn eine sanfte Stimme hinter ihm.

Er wandte sich nicht um, sondern betrachtete weiterhin seinen Gast.

„Sie hat die ganze Nacht auf Euch gewartet“, murmelte Kanan und gesellte sich zu ihm an den Türrahmen, „Ich konnte sie nicht dazu bewegen, ins Bett zu gehen.“

Dulacre schüttelte den Kopf und wandte sich ab.

„Na, wenn sie meint.“ Und ging zur Treppe.

„Herr?“ Die Stimme der Haushälterin ließ ihn inne halten. „Ist Euch bewusst, was dieser junge Mensch durchmacht?“

Langsam sah er sie an. „Natürlich.“

Sie hielt seinem Blick stand.

„Es muss furchtbar sein, so ganz allein unter Fremden, hilflos und deren Wohlwollen ausgesetzt. Die Freunde zu vermissen und ihnen nicht nah sein zu können. Nicht einen Moment aufgeben zu dürfen, nicht einen Moment schwach sein zu dürfen.“

„Kanan…“

„Seit wann seid Ihr so schwach, dass ihr einen verzweifelten Menschen nicht aushalten könnt?“ Diese Anklage traf ihn unvorbereitet.

„Ich bin nicht schwach!“

Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Ich weiß nicht, worüber ihr gestritten habt und es wird langsam zur Gewohnheit, dass ich dieses Kind weinend antreffe, aber sie hat den Abend hier auf Euch gewartet, um sich zu entschuldigen. Sie ist nicht weggelaufen, während Ihr Euch die Nacht irgendwo rumtreibt.“

„Sie tun ja gerade so, als ob es meine Schuld wäre. Ich schulde Loreno…ihr nichts, verstanden? Sie bat mich um Hilfe, deswegen bin ich nur noch hier. Nur aus Gutmütigkeit habe ich diese verfluchte Insel noch nicht verlassen. Es gibt nichts, aber auch überhaupt nichts, das mich verpflichtet, auf dieses Kind aufzupassen und wenn Loreen sich nicht benehmen kann, muss ich mir das nicht antun.“ Wütend zischte er sie an. Wie konnte sie sich nur erlauben, ihn für seine Entscheidung belehren zu wollen?

„Keine Verpflichtungen? Und was ist mit Eurer Ehre als Mihawk? Ihr habt sie aufgenommen, somit tragt Ihr die Verantwortung für dieses Mädchen. Ganz gleich, wer sie ist.“

Er antwortete nicht.

„Ihr habt versprochen, sie zu trainieren. Ihr habt versprochen, sie zu beschützen. Anscheinend sind Eure Versprechen nichts mehr wert. Es scheint, als hätte ich in meiner Erziehung versagt, aber ich hatte doch zumindest geglaubt, dass Eure Schwester mehr Erfolg darin gehabt hätte, Euch zu einem ehrhaften Schwertkämpfer auszubilden.“

„Halten Sie Sharak daraus!“

„Nein! Mir ist bewusst, wie schwer es für Euch sein muss, wieder hier zu sein, wieder in diesem Haus zu leben. All diese Erinnerungen sind hier begraben. Aber verflucht noch eins, diese Erinnerungen sind vorbei! Eure Schwester und Eure Mutter sind tot. Was ist Vergangenheit. Aber dieses Kind lebt und kann nur mit Eurer Hilfe nach Hause gelangen. Und Ihr lebt! Mein Gott, ich habe Euch noch nie so lebendig erlebt, wie in den letzten Tagen.“ Die Haushälterin atmete schwer aus. „Ihr glaubt zwar, dass dieses Kind auf Euch angewiesen ist, aber vergesst ja nicht, dass auch Ihr auf Loreen angewiesen seid. Ich gehe jetzt die Scherben aufräumen und dann schlafen.“ Wütend stapfte sie an ihm vorbei.

„Wieso mischen Sie sich ein? Woher wollen Sie das alles wissen?“, fragte er sie recht überrumpelt, doch sie wandte sich nicht um.

„Ach bitte, ich lebte hier schon lange, bevor Ihr geboren wurdet. Es gibt nichts, was ich nicht weiß.“
 

-Zorro-

„Aufstehen!“ Kalt begrüßten ihn die harten Worte.

Verschlafen öffnete er die Augen. Er war im Gästezimmer. Vor ihm stand der verschwommene Schatten des Samurais.

„In zehn Minuten unten im Trainingsraum. Komm nicht zu spät!“ Mit diesen herzlichen Worten verschwand der andere zugleich wieder.

Aber immerhin war Zorro jetzt wach. Etwas verwirrt sah er sich im Gästezimmer um. Er war sich sicher, im Wohnzimmer eingeschlafen zu sein, nachdem er Ewigkeiten auf den Samurai gewartet hatte.

Der vergangene Abend war wirklich verwirrend für ihn gewesen. Dass der andere bei einem kleinen Streit schon Reißaus nehmen würde, hatte er nicht für möglich gehalten. Eine Sekunde betrachtete er seine linke Hand, doch die vielen kleinen Schnitte waren bereits gut verheilt. Er musste weiter machen, er durfte nicht aufgeben, er musste kämpfen.

Seine Alarmglocken schrillten. Was würde ihn nun erwarten? Was hatte Falkenauge mit ihm vor?

Punkt auf die Sekunde stolperte er in den Trainingsraum.

Wie erwartet, stand der andere schon da, ihm den Rücken zugewandt.

„Du machst gute Fortschritte.“ Kühl hallten die Worte im Raum wider, machten deutlich, dass dies kein Kompliment sein sollte. Eine beunruhigende Spannung lag in der Luft. „Daher fangen wir heute mit dem echten Training an.“

Im nächsten Moment wich Zorro zur Seite, als ein silbernes Geschoss gezielt auf ihn zuraste. Er konnte genau spüren, wie der Luftzug seine Wange aufriss. Noch im selben Atemzug riss er seine Hand nach oben und packte zu.

Das, was der Samurai nach ihm geworfen hatte, war ein Schwert. Bebend pulsierte es gegen seine Finger als er es festhielt. Im Spiegelbild der Klinge konnte er den blutigen Riss auf seiner Wange sehen, während einzelne Blutstropfen wie schwere Tränen hinab liefen.

„Dieses Schwert“, sicherte sich der Ältere wieder seine Aufmerksamkeit, „heißt Josei und ist eines der zwölf Drachenschwerter.“

Gebannt starrte Zorro auf die Waffe in seiner Hand. Noch nie in seinem Leben hatte er ein solches Schwert gehalten. Er konnte seine Macht förmlich spüren, während die Energie von Klinge und Griff durch seine Finger hindurch, den Arm hinab strahlte.

Er wusste, dass diese Waffe kein gewöhnliches Schwert war.

Langsam betrachtete er den Griff unter seinen dünnen Fingern. Die leuchtend rote Seide war beinahe heiß unter seiner Haut und schien sich leise zu winden, während das nicht minder leuchtende Blau der Rauten versuchte eine beruhigende Kühle auszubreiten. Es schien, als würde das Schwert mit sich selbst um Kontrolle kämpfen, während es förmlich vor Zorn brodelte.

„Josei ist eines von den sogenannten Zwillings-Drachenschwertern. Gegen seinen Bruder, Dansei, hast du ja bereits gekämpft, wenn ich mich recht erinnere.“

Überrascht sah er den Samurai an. Doch dann erinnerte er sich an die unglaubliche Kraft, die so konträr zu der Energie in seiner Hand war.

„Homura“, murmelte er, während er an das Katana mit blauer Seide und roten Rauten dachte, dessen scharfe Klinge ihn vor gar nicht allzu langer Zeit einmal komplett aufgeschlitzt hatte.

„Korrekt“, antwortete der Samurai kühl, „Während Dansei nur für ruhige Hände geeignet ist und jegliche Wut vermeiden will, ist Josei ein äußerst herrisches Schwert. Es ist unmöglich dieses Schwert zu kontrollieren, wenn man ihm nicht vollkommen vertraut und sich seinem Willen beugt. Diese Klinge giert nach Blut und ist äußerst gefährlich. Allerdings sollte das für dich nicht unbedingt etwas Ungewöhnliches sein, schließlich gehört dir das Kitetsu der dritten Generation. Du solltest jedoch nicht davon ausgehen, dass dein Kitetsu auch nur ansatzweise mit einem Drachenschwert vergleichbar ist.“

Für eine Sekunde starrten sie einander an.

„Warum erzählst du mir das alles?“, fragte er zweifelnd.

Der Samurai seufzte: „Denk doch einmal nach; als Schwertkämpfer brauchst du eine Waffe. Dieses Schwert übergebe ich heute in deinen Besitz. Sobald du es gemeistert hast, wird es dir gehören. Aber merke dir, dass es nicht für deinen Drei-Schwerter-Stil geeignet ist. Josei erträgt keine anderen Götter neben sich.“

Zorro schluckte. Nachdem gestrigen Streit hatte er schon damit gerechnet, dass der andere ihn rauswerfen würde und nun wollte er ihm eines der mächtigsten Schwerter der Welt geben, einfach so?

„Willst du mich verarschen?“

„Also ich hatte da doch mit etwas mehr Dankbarkeit gerechnet“, antwortete Dulacre kühl.

„Verstehe ich es richtig, dass du mir einfach so eines der zwölf Drachenschwerter schenkst?“ Er konnte es kaum glauben.

„Falsch.“

Es wäre ja auch nur zu schön gewesen.

„Du scheinst mir nicht zuzuhören, Lorenor. Ich kann dir dieses Schwert nicht schenken. Josei entscheidet selbst, wer es besitzen darf und wer nicht. Wenn du es meistern kannst, darfst du es behalten, ansonsten nicht, da es dich töten würde.“

Mit einem Grinsen betrachtete Zorro seine neue Waffe.

„Ich mag Herausforderungen“, murmelte er und wischte sich das Blut von der Wange.

In diesem Moment öffnete sich die Tür, eine selten ruhige Kanan kam herein. Verwirrt sahen die beiden Schwertkämpfer zu ihr hinüber. Bisher hatte sie noch nie das Training gestört.

„Mein Herr? Es ist wichtig.“ Ihre Stimme war ungewöhnlich leise.

Der Samurai nickte.

„Wiederhole die Übungen von gestern Vormittag nun mit dem Schwert. Wenn du merkst, dass es zu schwierig ist, gehe zurück zu den Grundpositionen. Überfordere dich nicht. Genauigkeit und Präzession gehen vor Schnelligkeit. Ich bin gleich wieder zurück.“

Im Vorbeigehen reichte der Ältere ihm noch die Scheide seiner neuen Waffe.

Sie war in einem feurigen Rot gehalten, welches zum besseren Halt mit blauer Seide verziert wurde.

Dulacre hatte bereits den Raum verlassen, doch Kanan stand immer noch da und starrte ihn beinahe fassungslos an.

„Josei“, flüsterte sie den Namen des Schwertes beinahe mit Ehrfurcht.

Der Grünhaarige drehte sich zu ihr und sah sie fragend an.

„Sie kennen dieses Schwert?“ Er hatte sie nicht für eine Kriegerin gehalten.

Sie nickte.

„Natürlich, es gehörte der jungen Herrin.“
 

-Mihawk-

Er wunderte sich, wo die Haushälterin blieb.

Wenn es so wichtig war, dass sie sogar ihre Trainingseinheit unterbrach, konnte sie wenigstens den Anstand besitzen, ihm zu sagen, was denn so dringend sein musste.

Sie war doch diejenige gewesen, die ihm zu diesem Schritt gedrängt hatte und nun würde er die ersten Schritte seines Schülers zu einem wahrhaftigen Schwertmeister verpassen. Seine Geduld wurde bereits jetzt auf die Probe gestellt und er betete für Kanan, dass sie einen guten Grund hatte.

Mit nackten Füßen stampfte er den Flur hinunter, während er seine Haare zurückstrich. Gerade richtete er seinen Kragen, eine unnötige Angewohnheit, die er immer nach dem Training vollzog, als er stehen blieb.

Ungläubig starrte er zur Haustür, während die Welt alle Farbe verlor.

Als würde eine längst vergessene Erinnerung gegenwärtig, sah er, wie die Vergangenheit wieder Realität wurde.

„Was willst du hier?“

Kapitel 17 - Die Einladung

Kapitel 17 – Die Einladung

 

-Mihawk-

„Was willst du hier?“

Ungläubig starrte er den unwillkommenen Gast an. Kaum in der Lage zu atmen.

Der Mann der Marine zog gerade seine schweren Stiefel aus. Den weißen Mantel trug er immer noch auf seinen stolzen Schultern.

„Dulacre“, antwortete der andere äußerst fröhlich. Als er sich aufrichtete, warf er elegant den langen dunkelblauen Pferdeschwanz zurück und grinste ihn an. „So begrüßt man doch nicht seinen Schwager.“

Er hasste diese Stimme, er hasste diesen Mann.

Mit verschränkten Armen sah er zu diesem Teil seiner Erinnerung hinab. Dankbar, dass er durch die Jahre nun erwachsen war und doch ein paar wenige Zentimeter größer war, als der andere, dessen Alter sich nur durch die ein oder andere silbrige Strähne verriet.

„Nataku, wir sind nicht verschwägert“, stellte er kühl fest, „Du bist weder meine Familie noch Sohn dieses Hauses. Also, was willst du hier?“

„Ganz schön unhöflich. Dabei dachte ich immer, dass wir trotzdem Brüder sind.“

Er ging auf diesen Satz nicht ein, konnte die Falle nur zu gut wittern.

„Ich habe nichts mit dir zu besprechen, also bitte geh wieder und stehl‘ mir nicht weiter meine Zeit.“

Nataku grinste immer noch, verschränkte nun ebenfalls die Arme, wobei seine linke Hand beinahe liebevoll an seinem so unscheinbaren Schwert vorbei strich.

„Jiroushin begrüßt mich nie so grob, wenn ich ihn treffe. Hat er dir erzählt, dass wir des Öfteren zusammen trainieren? Er ist wirklich gut geworden, auch wenn ich mir wünschen würde, dass er den Degen nicht so bevorzugen würde. Eine Verschwendung seines Talents, findest du nicht?“

Sein unwillkommener Gast redete mit ihm, wie mit einem alten Freund.

„Nataku. Ich habe keine Zeit um mit dir zu plaudern. Entweder du erklärst mir jetzt den Grund deines Besuches oder du gehst den Weg zurück, den du soeben gekommen bist.“

„Ich hab’s verstanden“, antwortete sein Gegenüber und hob beruhigend die Hände, „Du hast jetzt endlich eine Freundin und möchtest natürlich so viel Zeit mit ihr verbringen, wie möglich. Schon kapiert.“

„Deswegen bist du also hier, wegen einem Mädchen. Mein Vater schickt dich, nicht wahr? Ich habe seit knapp zwanzig Jahren mit keinem von euch beiden mehr geredet und nur wegen ein paar sinnfreier Zeitungsartikel stehst du jetzt plötzlich auf der Türschwelle? Dann kannst du auch gleich wieder gehen.“ Er wandte sich um. „Ich habe dir nichts mehr zu sagen. Einen schönen Tag noch.“

„Dulacre, jetzt warte doch.“ Der andere war ihm hinterher gegangen. An der Treppe blieben sie stehen. „Ich bin nicht nur wegen diesem Mädchen hier.“

Seufzend drehte Falkenauge sich zu ihm um.

„Ein letztes Mal, was willst du hier?“

„Ich bin hier, weil du deinen Termin gestern auf Suzuno nicht wahrgenommen hast.“

Der Schwarzhaarige schnaubte.

„Ich habe meinen Termin nicht wahrgenommen? Ich war vorgestern zu vereinbarter Zeit da. Wenn die werten Herren dann keine Zeit haben, ist das nicht mein Problem.“

„Na, wie dem auch sei. Deswegen wurde ich vorbei geschickt.“

„Warum du und nicht Jiroushin? Er ist doch dort Festangestellter, im Gegensatz zu dir.“

„Es war Gats Vorschlag. Er bat mich, sicher zu gehen, dass diese Lady Loreen nicht wegen deinem Namen hinter dir her ist.“

Ein schauriges Lachen erfüllte das alte Herrenhaus.

„Ausgerechnet mein Vater? Also, nicht, dass es dich oder ihn in irgendeiner Form betreffen würde, aber ich kann euch beiden versichern, dass Loreen weder wegen meinem Namen noch wegen dem Geld der Familie hier anwesend ist, verstanden? Und jetzt, da wir das geklärt hätten, möchte ich gerne den offiziellen Grund deiner Anwesenheit erfahren.“

Für eine Sekunde starrten sich die beiden Männer an.

„Vielleicht sollten wir dafür den Flur ver…“

„Jetzt rede endlich oder ich werf‘ dich eigenhändig raus.“

Verwundert weiteten sich die silbernen Augen.

„Ich bin ganz überrascht. Du warst doch eigentlich nie der aufbrausende Typ Mensch, Dulacre.“

Der jüngere der beiden wollte schon etwas erwidern, da hob der Mann der Marine bereits beschwichtigend die Hände.

„Ist ja schon gut. Dann eben hier. Wie du ja weißt…“

„Homura?“

Dulacre wirbelte herum, während sein Herz einen Schlag aussetzte. Im Schatten der Treppe stand sein Wildfang. Die grünen Augen weit aufgerissen, in der einen Hand das Schwert seiner Schwester, die andere griff plötzlich krampfhaft nach dem Hemd an der Seite, der Mund ungläubig geöffnet und blanke Panik lag auf dem Gesicht, welches trotz des makelhaften, blutigen Schnitts an der Wange unschuldig rein wirkte.

Auch Nataku schien äußerst überrascht.

„Josei“, flüsterte er ungläubig, den Blick auf das Schwert in der Hand des Mädchens fixiert.

Das war’s!

Zu seiner Linken, sein verhasster beinahe Schwager, der ihm damals die Schuld am Tod seiner Schwester gegeben hatte.  

Zu seiner Rechten, der verfluchte Pirat, dem er sich angenommen hatte und dem er das Schwert seiner Schwester gegeben hatte.

Nur einer der beiden wusste, dass sich die ungleichen Schwertkämpfer bereits gegenüber gestanden hatten, in einem ungleichen Kampf, der schlussendlich darin endete, dass der Schwächere gestorben war. Zweifelsohne peitschen genau diese Gedanken durch den Starrkopf des Mädchens.

„Du hast ihr Sharaks Schwert gegeben?“ Es war eine einfache Frage, tonlos, emotionslos. Er erwartete keine Antwort auf das Offensichtliche. „Sie sind also eine Schwertkämpferin mit nicht zu verachtendem Talent, Lady Loreen?“, wandte er sich nun direkt an den Neuankömmling.

Doch Lorenor antwortete nicht. Gebannt starrte er den anderen an, unfähig zu reagieren. Der Samurai musste handeln. Wenn Nataku herausfinden sollte, wer das Mädchen in Wirklichkeit war, würde es wohl oder übel zum Kampf kommen. Einen Kampf, den der Pirat bereits verloren hatte. Einen Kampf, in den Dulacre nicht eingreifen konnte, ohne seinen Titel als Samurai aufzugeben. Einen Kampf in den er nicht eingreifen durfte. Er musste diesen Kampf verhindern.

„Du solltest die Antwort kennen“, antwortete er barsch auf die Frage des ungebetenen Gast, ehe er sich vor den Piraten stellte. Mit beiden Händen packte er die schmächtigen Schultern, hoffte dadurch seine Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen.

„Wir hatten doch abgesprochen, dass du die Übungen von gestern wiederholen sollst. Geh zurück in den Trainingsraum.“

Langsam sahen ihn die grünen Augen an, dann nickte sein Schüler sachte. Ein Glück, alles war noch einmal gut gegangen.

„Halt, einen Moment bitte. Ich bin wegen euch beiden hier.“

Oder auch nicht.

Seinen Schützling halb hinter seinem Rücken versteckend, wandte er sich erneut dem Eindringling entgegen.

„Wieso? Was könntest du schon von Loreen wollen?“

Die Worte waren drohender gewesen, als er beabsichtigt hatte, aber den Grund dafür würde der andere höchstwahrscheinlich missinterpretierten, so dass es ihn letzten Endes nicht interessierte.

„Schon gut. Ich fasse mich kurz.“ Zum wiederholten Male hatte Nataku beide Hände beruhigend erhoben, doch sein Blick lugte immer wieder zum vertrauten Schwert in der Hand des Mädchens hinab.

„Dein Vater ist gesundheitlich zurzeit ziemlich angeschlagen, deswegen kann er die lange Reise von der G2 bis hier zum Sabaody Archipel nicht durchführen. Darum soll ich dir diese Einladung übergeben.“ Er zog einen weißen Umschlag mit blauer Aufschrift aus den Tiefen seines Mantels. „Ich muss dir ja nicht erzählen, wie wichtig es für den Namen deiner Familie und den Schutz dieser Insel ist, dass ein Mihawk auf dieser Veranstaltung vertreten ist. Ebenso wäre es nicht gerade schädlich für deinen Titel als Samurai. “

Dulacres Augen weiteten sich eine Spur, als er den Umschlag betrachtete und die versteckte Mahnung des anderen vernahm. Doch Nataku sprach ungehindert weiter, während Wut und leichte Panik sich in ihm breit machten.

„Des Weiteren habe ich hier eine Einladung für die werte Lady Loreen.“

„Wie bitte?“ Der Samurai konnte seinen Zorn kaum verbergen, als sein Gegenüber einen zweiten Umschlag hervorholte. „Aus welchem Grund?“

„Nun ja, die Drahtzieher innerhalb der Marine scheinen zum einen sehr interessiert an der jungen Loreen seitdem ein gewisser Herr Eizen sie kennengelernt hat und zum anderen geht es ihnen natürlich darum, einen Samurai unter Kontrolle zu halten.“

„Unter Kontrolle zu halten?“ Zur Überraschung des Schwarzhaarigen mischte sich das Mädchen hinter ihm plötzlich ein. Der Blick war kalt und berechnend, doch die im Hemd verkrampfte Hand zitterte leicht, die Stimme kaum mehr als ein Hauch.

„Was hat das zu bedeuten?“

Nataku zuckte mit den Achseln.

„Die Kurzfassung ist, dass einige meiner Vorgesetzten nicht besonders amüsiert waren, über dein Fernbleiben zum vereinbarten Treffen. Dazu kommt, dass du der Bitte, schnellst möglichst nach Mary Joa zu reisen, nicht nachgekommen bist. Die obersten Bosse, sprich die fünf Weisen, haben die Sorge, dass ihr Vorzeigesamurai ihnen nicht mehr Folge leisten könnte. Und es scheint reiner Zufall zu sein, dass deine rebellische Haltung zeitgleich mit dem Erscheinen von dieser jungen Dame begonnen hat.“

„Loreen hat da nichts zu suchen.“

„Dulacre, du verstehst nicht.“ Die Stimme des Älteren wurde überraschend ernst. „Die Marine verliert ihr Vertrauen in dich. Alles was du aufgebaut hast, die vielen guten Worte, die dein Vater damals für dich und für Jiroushin eingelegt hat, alles verliert ihren Wert, wegen diesem Mädchen.“

Der Samurai spürte die Drohung, die hinter diesen Worten lag. Die Gerechtigkeit wollte ihn jetzt einfordern, nicht wegen einer drohenden Gefahr, sondern einfach nur, um ihre Macht zu demonstrieren.

„Loreen wird diese Einladung nicht annehmen.“ Die junge Frau hinter ihm atmete hörbar ein. Der ungebetene Gast seufzte.

„Ich hatte befürchtet, dass du das sagen würdest, und nicht nur ich. Deswegen habe ich folgende Botschaft für dich von den fünf Weisen: Solltest du oder Lady Loreen nicht teilnehmen, wird dir der Titel als Samurai augenblicklich aberkannt und die Schutzwirkung deines Namens wird aufgehoben.“

Nun war die Drohung ausgesprochen, die eben nur angedeutet wurde.

Falkenauge konnte förmlich spüren, wie die Ketten an seinen Gliedern zogen.

Eigentlich hatte er keine Wahl, eigentlich musste er annehmen, warum also zögerte er? Warum also überlegte er ernsthaft, seinen Titel aufzugeben? Er wollte nicht kontrolliert werden, er wollte niemandem diese Macht geben. Damals hatte er keine Wahl gehabt, er hatte sie beschützen müssen, seine Crew, Jirou, Kanan. Aber gerade hatte er einen Hauch von Freiheit wieder kennen gelernt. Was wäre denn, wenn er kein Samurai mehr wäre? Was wäre, wenn er frei wäre? Wäre es wirklich so…

„Ich bedanke mich herzlich für diese Einladung, Herr Homura. Bitte übermitteln Sie Ihren Vorgesetzten meine Hochachtung und dass ich mich geehrt fühle eingeladen zu werden.“

Ein kleiner Schatten hatte sich an Dulacre vorbei geschlichen und verbeugte sich nun tief vor dem Fremden.
 

-Zorro-

Sein Herz raste. Sein Kopf war wie leergefegt, das Schwert in seiner Hand zitterte vor Anspannung.

Alles was er sah, waren seine eigenen nackten Füße. Alles, was er hörte, waren seine eigenen lauten Atemzüge. Ein einzelner Blutstropfen fiel von seiner Wange hinab auf den kalten Boden.

In seinem Hinterkopf hämmerte eine tobende Stimme auf ihn ein, wie er es wagen konnte, sich vor solch einem Mann zu verbeugen, wie er es wagen konnte, seinen Stolz und seine Ehre so zu verraten.

Doch die Stimme kam kaum gegen die Furcht in ihm an. Er wusste genau, wie stark der andere war und wie wenig nötig sein würde um ihn zu töten. Aber nicht der Mann vor ihm erfüllte ihn mit Furcht, sondern der Samurai in seinem Rücken. Zorro hatte das ungute Gefühl, dass Falkenauge die Beherrschung verlieren könnte.

Er musste überleben. Er musste alles tun, um zu seiner Crew zurück zu kommen. Eine Auseinandersetzung mit den fünf Weisen höchstpersönlich konnte er sich nicht leisten!

Er musste diese Situation so schnell wie möglich entschärfen, er musste handeln.

Doch er sah nur den dunklen Boden und hörte sein Blut durch seinen Körper rauschen.

Im nächsten Moment packte ihn eine Hand von hinten, doch Homura sprach zuerst.

„Mir scheint Dulacre, dass deine junge Freundin hier besser versteht, worum es geht, als du. Ich danke Ihnen, Lady Loreen, und freue mich schon darauf, Sie bald wieder zu sehen.“

„Nataku, warte!“, knurrte der Samurai in Zorros Rücken, „Du rennst mir jetzt nicht einfach davon.“

„Eben wolltest du noch, dass ich gehe, jetzt willst du, dass ich bleibe. Entscheide dich. Willst du ein Samurai bleiben oder nicht?“ Erst erfüllte unbeschwerte Heiterkeit die Stimme des Marinemannes, doch die letzte Frage wurde plötzlich kalt und ernst.

Falkenauge drückte sich an ihm vorbei, doch Zorro hielt ihn instinktiv am Unterarm fest, während Homura schon wieder auf dem Weg zur Tür war, die Einladungen in der Hand am hin und her wedeln.

„Dulacre und ich werden diese Einladungen annehmen, bitte richten Sie das den fünf Weisen aus.“

Wild starrten ihn plötzlich diese gelben Augen an, doch er ließ nicht los.

„Loreno…“

„Eine gute Entscheidung, Lady Loreen. Ich empfehle mich.“ Mit diesen Worten ließ der Mann der Marine die zwei Umschläge los. Sanft wie Federn segelten sie zu Boden.

„Nataku!“, murrte der Samurai und folgte dem anderen zur Tür, die Hand seines Gastes ignorierend. „Das hier ist meine Entscheidung und nicht ihre.“

Die silbernen Augen erwiderten den Blick des Samurais ernst. Dann zog sich der Fremde die Stiefel wieder an.

„Dulacre. Im besten Willen. Lady Loreen hat Recht. Diese Einladung auszuschlagen ist keine Option für dich und auch nicht für deinen Gast. Sieh‘ es ein, du hast dich damals der Marine verpflichtet um gewisse Vorteile zu erlangen, also trage nun auch die Konsequenzen.“ Einen Moment betrachtete er Zorro eingehend, erfasste jeden Winkel seines Körpers, von der geschnittenen Hand bis zu dem Riss in der Wange, ehe er erneut den Samurai ansah. „Außerdem rate ich dir, ein so hübsches Mädchen mit mehr Respekt zu behandeln. Solche Verletzungen sollten eine junge Dame nicht zieren. Wenn du nicht vorsichtig bist, könnte ein anderer deiner Blume einen schöneren Garten bieten.“ Er zwinkerte böse. „Bis bald.“ Damit ging er.

Im nächsten Moment packten zwei feste Hände Zorro an den Schultern und unglaublich nah war auf einmal das Gesicht des Samurais, während er selber noch versuchte die letzten Worte des ungebetenen Gastes zu verstehen.

„Was fällt dir ein, du arroganter Nichtsnutz?! Hast du eine Ahnung, was du gerade getan hast?!“ Mihawk brüllte ihn direkt an und schüttelte ihn dabei so fest, dass er den Halt unter den Füßen verlor. Was hasste er seine Schwäche.

Aber er sah den anderen einfach nur kühl an.

„Wer benutzt jetzt seine Gehirnzellen nicht? Du hast es doch gehört, sie wollen dir deinen Samurai-Titel aberkennen, nur weil du nicht auf so eine blöde Veranstaltung willst. Das ist ja wohl die unehrenhafteste Möglichkeit, die mir einfällt. Also gehen wir dahin, was ist schon dabei? Schlimmer als das Abendessen beim Bürgermeister wird’s schon nicht werden.“

Doch der Samurai schien wirklich wütend.

„Und woher nimmst du dir das Recht, solche Entscheidungen für mich zu treffen, du missratener Schüler?“

„Für einen Piraten kannst du wirklich nicht gut fluchen, weißt du das?“

„Lorenor, das hier ist ernst!“

Die Hände an seinen Schultern klammerten sich so fest, dass er förmlich spüren konnte, wie das Blut abgedrückt wurde. Wenn der andere das noch ein paar Minuten durchhalten würde, würde das Schwert halten ganz schön knifflig werden.

„Was stellst du dich so an? Es ist nur eine verfluchte Marineversammlung, was ist schon dabei? Willst du wirklich dafür deinen Titel aufgeben? Ob es dir nun passt oder nicht, Homura hat verdammt nochmal Recht. Du hast einen Vertrag mit der Marine und warum hast du überhaupt…“, Zorro stockte, „Hat Homura da die Wahrheit gesagt? Wegen mir?“

Er versuchte die Worte, denen er kaum zugehört hatte, zu begreifen. Warum sollte der Samurai wegen ihm seine Pflichten vernachlässigen?

Für eine gefühlte Ewigkeit starrte der andere ihn an, sein Griff immer noch fest genug, um seine Knochen brechen zu lassen. Dann erst schien er zu atmen und ließ ihn endlich los.

„Mach dich nicht lächerlich, Lorenor. Das hier hat kaum etwas mit dir zu tun. Du langweilst mich einfach weniger, als diese verkalkten Beamten. Ich bin ein Mihawk, ich tanze nach niemandes Pfeife und das sollten sich jene Herrschaften auch erst gar nicht einbilden.“

Zorro konnte ihm kaum zuhören. Das Blut pumpte so stark durch seine Adern, dass ihm die Hände zitternden. Laut hörte er seinen Herzschlag in seinen Ohren.

„Aber darum geht es hier gar nicht“, knurrte der andere plötzlich und packte ihn erneut genauso grob, wie vorher an den Schultern, nun tat es jedoch deutlich mehr weh. Klappernd viel das Schwert zu Boden.

„Hast du eine Ahnung, in was du uns da reingeritten hast?“

„Natürlich nicht!“, antwortete Zorro etwas lauter, „Woher denn auch? Du brüllst ja hier nur rum. Und jetzt lass mich verdammt nochmal los, oder willst du mir die Arme abreißen?“

Erst in diesem Augenblick schien der Ältere zu merken, was er da tat. Etwas überstürzt ließ er von ihm ab.

„Ich… Es tut mir leid“, stotterte Dulacre etwas untypisch für den sonst so redegewandten Schwertkämpfer, doch das konnte dem Grünschopf gerade nur sowas von so egal sein.

„Ja, lass stecken“, murmelte er und bückte sich nach dem Schwert. Seine Finger bebten immer noch. Wie sollte er mit dieser Zerbrechlichkeit je einen ernsthaften Kampf überstehen?

„Sag mir lieber, weswegen du dich so künstlich aufregst. Kanan hat nicht übertrieben, als sie sagte, dass du diesen Kerl nicht leiden kannst.“

Er konnte den Blick des anderen auf sich spüren, als dieser nachzudenken schien. Offensichtlich war er wieder mal in seiner eigenen Welt, sodass der Pirat sich seufzend an ihm vorbei drückte und die weißen Umschläge aufsammeln ging.

„Wo steckt Kanan überhaupt?“, fragte er eher sich selbst, als den anderen.

Hinter sich konnte er Fußtritte hören und es überraschte ihn nicht, dass der Samurai vor ihm stand, als er sich wieder aufrichtete.

„Du hast Recht“, sprach der Ältere aus.

„Ach, bitte sag das noch mal. Ich glaube ich habe dich nicht verstanden.“ Zorro konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während der Schwarzhaarige nur mit den Augen rollte.

„Die Dinge sind nun so, wie sie sind. Die fünf Weisen haben uns ja nicht wirklich eine Wahl gelassen.“

„Endlich hast du es auch verstanden.“

„Jetzt halt mal deinen vorlauten Mund und hör mir zu.“

Schon wieder lag ihm eine passende Antwort auf den Lippen, doch diesmal konnte er sie sich gerade noch schenken.

„Wir müssen sachlich bleiben und das Beste aus dieser Situation machen. Ich nehme an, du kannst tanzen.“

Etwas überrumpelt blieben ihm die Worte im Hals stecken.

„Was?“

Nun sah Dulacre ihn überaus herablassend an. Es war etwas schockierend, wie einfach er wieder zu diesem unnahbaren Samurai werden konnte, wo er doch noch vor wenigen Sekunden ihm beinahe die Schultern gebrochen hatte.

„Nun ja, du hast doch die Einladung angenommen. Und da du ja so auf deine gute Erziehung pochst, bin ich davon ausgegangen, dass du natürlich auch in der Lage bist, auf einem Ball die strenge Etikette zu wahren und sämtliche Standardtänze absolvieren kannst.“

Es dauerte gefühlte Stunden bis er verstand, was der andere sagte.

„Ein Ball?“, entkam es ihm ungläubig. Der Ältere nickte.

„Genau. Der alljährliche Marineball. Das größte Spektakel, was die Weltbühne zu bieten hat. Alles was Rang und Namen hat, oder sich wenigstens einbildet wichtig zu sein, versucht zu dieser Veranstaltung eingeladen zu werden. Weltaristokraten, Politiker, wichtige Adels- und Königsfamilien, sowie Abgeordnete und Vertreter der Marine machen sich an diesem einen Abend zum Affen. Berühmtheiten und Sternchen, alles kopflose Idioten, die glauben, dass diese Nacht ihr Leben verändern würde. Selbstredend zählen nur die feinsten und teuersten Gewänder als angemessene Garderobe und wen interessiert es, falls an diesem Abend der ein oder andere nicht ganz lupenreine Deal geschlossen wird? Schließlich ist es ja eine Feier unter Edelmännern.“

Zorro schluckte. Alleine bei der Vorstellung wurde ihm schon schlecht. „Vielleicht sollten wir einfach krankfeiern.“

Nun beugte sich der Samurai wieder so tief zu ihm hinab, dass er in sein bärtiges Kinn beißen konnte.

„Das hättest du dir vorher überlegen sollen, Lorenor. Sobald die Einladung einmal angenommen wurde, ist nur noch der Tod eine passable Entschuldigung zu fehlen. Der Hochadel lässt dich eigenhändig hinrichten, wenn du fehlen solltest.“

Zorro entkam ein zittriges Lachen. „Das ist ein Scherz oder? Nur weil man nicht auf so einen Ball geht? Die kennen vermutlich noch nicht einmal unsere Namen.“

Dulacre seufzte.

„Du kapierst es nicht. Diese Weltaristokraten finden solche Veranstaltungen wichtiger, als jeden Kriegsrat, und ihr Wort ist Gesetz in dieser Welt. Nicht jeder kann wie ein Pirat einfach die Autorität ignorieren.“

Er wusste gar nicht, was er darauf sagen sollte.

„Also, ich kann nicht tanzen“, meinte er schließlich.

„Das habe ich mir schon fast gedacht“, kommentierte der andere nur und lehnte sich wieder zurück.

„Aber deswegen regst du dich so auf? Dann ist es halt ein nerviger Ball, wo wir hin müssen. Wir haben auch diese Versammlung überlebt ohne groß in Schwierigkeiten zu kommen, das sollte auch schief gehen, oder?“

Falkenauge drehte sich von ihm weg.

„Oh ja, natürlich. Ich gehe mit einem verzauberten Piraten, der zurzeit vielleicht sogar der meist gehasste der gesamten Marine ist, auf einen Ball, wo es nur so von Soldaten und Admirälen wimmelt, die dir gerne das Herz aus der Brust reißen würden, wenn sie wüssten, dass du noch lebst. Hakkai wird höchstwahrscheinlich auch da sein, mal ganz nebenbei.“

Der andere hatte da einen guten Punk, das musste sich der Pirat eingestehen.

„Und wenn wir davon mal absehen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass niemand die Figur Lady Loreen hinterfragt, äußerst gering ist, müssen wir ja auch noch irgendwie diesen Abend überstehen. Dieser Ball dient schließlich nicht nur der Unterhaltung der Weltaristokraten. Ein falscher Tanzpartner könnte weitreichende Folgen haben.“

Nun schienen sie dem wahren Problem endlich näher zu kommen.

„Wie meinst du das?“ Langsam folgte er dem Älteren in die Küche, wo dieser sich seufzend auf einem Stuhl niederließ.

„Setzt dich, Lorenor. Ich werde dir alles in Ruhe erklären, lass mich nur vorher die Einladung lesen. Vielleicht kannst du noch Kanan holen. Wir werden viel besprechen müssen.“
 

Kurze Zeit später saßen alle drei Bewohner des Herrenhauses in der Küche und Kanan schenkte allen Tee ein. Sie schien als einzige freudig aufgeregt über diesen Ball. Mit blitzschnellen Fingern hatte sie sich die Einladung von Zorro geschnappt und sie eilig durchgelesen, bevor sie das hellblaue Kärtchen wieder im weißen Umschlag versteckte.

Das verzauberte Mädchen hockte auf seinem Schemel und hielt die Tasse fest umklammert.

„Also, was hat es jetzt auf sich mit diesem Ball?“

Der Samurai saß dem Mädchen gegenüber, seine eigene Einladung in der Hand.

„Der Ursprung dieses Balls liegt schon Ewigkeiten zurück. Es ging damals darum, würdige Partner für den Hochadel zu finden, als dessen Existenz durch einige Krankheiten und Seuchen bedroht wurde. Zu diesem Zwecke suchten sich die männlichen Weltaristokraten von allen anwesenden Frauen eine passende Braut.“

Die grünen Augen wurden tellergroß. „Nein?“

„Beruhige dich. Wie gesagt, das war der Ursprung von vor über hundert Jahren. Natürlich hat sich alles weiterentwickelt.“

Das Mädchen atmete langsam aus.

„Nun ja, trotzdem kann es gut sein, dass du am Ende dieses Abends verlobt sein wirst“, mischte sich Kanan ein, „Ich muss jetzt los. Es gibt so viel zu organisieren und ich muss sofort meine Schwester anrufen. Fangt schon mal ohne mich mit den Tanzstunden an, Kinder.“

Die beiden Schwertkämpfer sahen sich an.

„Das war ein Witz, oder?“

„Nein, absolut nicht. Aber du wolltest ja unbedingt diese Einladungen annehmen.“

Kapitel 18 - Die Pause

Kapitel 18 – Die Pause

 

-Zorro-

„Muskeln anspannen. Nein, nein, nein! So nicht. Wenn du dich nicht anstrengst, können wir das auch gleich wieder sein lassen. Noch mal von vorne.“

Schweiß rann Zorros Stirn hinunter, seine Beine brannten vor Anstrengung und seine Arme waren schwer wie Blei.

„Nun komm schon, so schwer kann das doch nicht sein. Alles, was ich von dir will ist, dass du im Takt bleibst.“

Die herrische Stimme versuchte ihm aufgebracht das Zählen bis vier beizubringen, während emsige Hände in einem steten Rhythmus klatschend die Musik übertönten.

„Kopf nach oben, Loreen und gerade. Hör mit diesem Wippen auf, wir sind hier nicht auf einer Hühnerfarm.“

Ein leises, abfälliges Lachen erklang über ihm.

„Oh, wischt Euch das Grinsen vom Gesicht. Ihr tanzt lange nicht so gut, wie Ihr glaubt. Außerdem, wo habt Ihr Eure Hände? Wo ist das Feuer? Wo ist die Romantik?“

„Ich geb dir gleich Romantik“, knurrte Zorro so leise, dass nur der Samurai ihn hören konnte, der darauf erneut ein böses Lachen unterdrückte und seine Hand noch etwas fester packte.

„Was habe ich gerade gesagt? Die Hände, Herr. Loreen, Beine strecken, elegant und leichtfüßig, nicht wie eine watschelnde Ente.“

„Haben Sie mal versucht in diesen Schuhen zu tanzen?“, fauchte er die ältere Dame an, während die Hand des Samurais tatsächlich zwei Millimeter tiefer rutschte.

„Beschwer dich nicht, Schätzchen. Wir haben nur wenige Tage Zeit und noch so viel Arbeit vor uns. Ich bin schockiert, dass eine junge Dame wie du nicht einmal die einfachsten Schritte beherrscht.“

Die Haushälterin zeterte noch weiter, doch Zorros Fokus lag wieder auf seinen Füßen, während er sich erneut fragte, womit er das alles nur verdient hatte. Das hatte man nun davon, wenn man mal an andere dachte. Es sollte ihm gleichgültig sein, dass Falkenauges Titel als Samurai auf dem Spiel stand. Was kümmerte es ihm, wenn der andere seinen Vertrag mit der Marine nicht einhalten würde?

Das Einzige, was ihm wichtig sein sollte war, wie er zu seiner Crew zurückkommen sollte.

Aber auf der anderen Seite schuldete er es dem anderen. Oh ja, und wie viel er dem anderen schuldete. Allerdings sprengten diese Tanzstunden doch so langsam den Rahmen. Außerdem schmerzten seine Füße in diesen unglaublich hohen Absatzschuhen so sehr, dass er sie am liebsten abschneiden wollte. Wieso taten Frauen sich sowas freiwillig an?

Das einzig Gute an dieser Sache war, dass er dadurch nicht mehr ganz so mickrig neben dem Samurai wirkte. Trotzdem würde er nur auf dessen Brust starren, wenn er nicht zu sehr mit seinen Füßen beschäftigt wäre.

„Ich denke, es reicht für heute, Kanan.“ Die überraschend sanfte Stimme des Samurais von weiter oben weckte ihn aus seinem Tunnelblick, während er verzweifelt versuchte, den Rhythmus zu halten, ohne auf die Quadratlatschen des Älteren zu treten.

Ein zutiefst enttäuschtes Seufzen übertönte die Musik, bevor diese verstummte. Augenblicklich ließ Zorro den anderen los und wankte ein paar Schritte zurück. Seine Beine gaben unter ihm nach und er fiel unelegant auf seinen Hintern. Er war beinahe überrascht, wie schmerzhaft dieser lachhafte Sturz war und musste trauriger Weise zugeben, dass er sich mit Sicherheit blaue Flecken holen würde.

Kanan seufzte erneut und Mihawk sah ihn nur herablassend und ein bisschen mitleidig an.

„Nun gut, ich muss mich eh noch mit meiner Tochter kurzschließen, wegen dem Kleid.“ Ihre Stimme klang nicht ganz unbegeistert. Offensichtlich freute sie sich auf diese Aufgabe.

„Für welche Farbe wurde Loreen denn ausgewählt?“

Zorro sah erschöpft zwischen den beiden hin und her, ohne sich an dem Gespräch beteiligen zu wollen. Gerade vermisste er die ach so verhassten mörderischen Trainingseinheiten mit dem Samurai.

Missbilligend verschränkte die Haushälterin die Arme.

„Herr, Ihr wisst, dass wir das Euch nicht sagen dürfen.“

„Und wie soll ich sie dann erkennen?“ Der Samurai schien alles andere als glücklich. „Ich brauche zumindest einen kleinen Hinweis, wenn ich Loreen wohlbehalten durch diesen Abend manövrieren soll.“

Doch die Dame des Hauses schüttelte nur den Kopf und machte sich auf den Weg zur Tür.

„Und riskieren, dass mir irgend so ein Weltaristokrat den Kopf abschlägt? Ganz geschweige von der Überraschung. Nein, nein, nein. Kein Hinweis, nichts da.“ Entschieden öffnete sie die Tür.

„Ein wahrer Gentleman erkennt seine Begleitung auch, wenn sie verhüllt ist. Loreen, morgen früh machen wir dann die erste Anprobe. Es wäre vorteilhaft, wenn dazu dein Körper dann nicht mit blauen Flecken übersät wäre. Gerüchte über häusliche Gewalt ziemt sich nicht im Hause Mihawk.“ Mit diesen Worten schlug sie die Tür hinter sich zu.

„Nun sag mir schon die verfluchte Farbe, Lorenor“, murrte der Ältere müde, während nun er die Arme verschränkte und deutlich missmutiger aussah, als noch vor wenigen Minuten.

Zorro zuckte mit den Achseln.

„Glaubst du ehrlich, dass sie mir irgendwas sagt? Alles was ich weiß ist, dass die Schuhe noch zwei Zentimeter mehr Absatz bekommen und ich jetzt schon kaum das Gleichgewicht halten kann.“

Er war viel zu müde, um sich mit der gereizten Gemütslage des Samurais auseinanderzusetzen. Seit den frühen Morgenstunden schon hatten sie trainiert. Aber nicht die Schwertkunst, die er so dringend lernen musste, sondern verfluchte Standardtänze. Einen nach dem anderen. Trotzdem fehlten ihnen noch über die Hälfte und die meisten Schritte hatte er bereits wieder vergessen.

Während er nun auf dem Boden hockte, sah er dem Schwarzhaarigen zu, wie dieser sich wiederholt seufzend durch die Haare fuhr, ehe er seine Weste auszog und sich ihm gegenüber in den Schneidersitz sinken ließ. Die gold-gelben Augen erwiderten seinen Blick für einen Moment, bevor der andere sich dran machte, seine schwarzen Lackschuhe auszuziehen.

Irgendetwas war anders seit ein paar Tagen, da war sich Zorro sicher, doch was konnte er nicht sagen und wenn er ehrlich war, hatte er weder Interesse noch Nerven, die er an ein klärendes Gespräch mit dem Samurai verschwenden wollte. Dafür hatte ihn die Tanzstunde zu sehr ausgelaugt.

Während er den Bewegungen des anderen mit seinen Augen folgte, versuchte er die Situation zu verstehen, in der er sich befand, doch egal, wie er es drehte und wendete, es gab keinen Ausweg. Bereits am vergangenen Abend hatte Kanan die offizielle Annahme der Einladungen an das Hauptquartier versandt, nachdem die drei Bewohner des Herrenhauses sich stundenlang über den jährlichen Ball der Marine unterhalten hatten.

Immer noch konnte Zorro kaum begreifen, wie viele verschiedene Regeln und Gebote es zu beachten galt und in was er sich wieder hineingeritten hatte.

„Also, Lorenor“, holte ihn die Stimme des anderen plötzlich zurück aus seinen Gedanken, „Bist du bereit für eine weitere richtige Trainingseinheit oder hat dich das Tanzen schon zu sehr verausgabt?“

Ein böses Schmunzeln glitt über die dünnen Lippen des Samurais und augenblicklich löste sich das auf, was da zwischen ihnen waberte und der andere wurde wieder zum altbekannten Mistkerl, den Zorro schätzen gelernt hatte.

In diesem Moment verschwand die Erschöpfung komplett und Zorro wollte schon aufspringen, doch die Folterwerkzeuge an seinen Füßen rissen ihn wieder zu Boden. Hart schlug er auf, Gesicht zuerst.

Ein leises, fast schon hämisches, Lachen seines Lehrmeisters hallte von den Wänden, während dieser aufstand, zu ihm kam und ihn mit Leichtigkeit einfach hochhob, immer noch breit grinsend, als wäre ihm eine gemeingefährliche Idee gekommen.

Wieder wackelig auf seinen eigenen zwei Füßen, nickte Zorro schließlich und überprüfte schnell, ob seine Nase so aussah, wie sie sich anfühlte, allerdings schien sie heile.

„Gib mir nur eine Sekunde diese Schuhe loszuwerden und dann können wir loslegen.“

Doch Mihawk verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich denke Kanan hat Recht.“

Der Pirat zuckte unsicher zusammen. So eine Aussage konnte nichts Gutes heißen.

„Du bist wirklich noch sehr unbeholfen auf diesen Schuhen. Ich denke du solltest sie solange tragen, bis es für dich ganz selbstverständlich ist.“

Dieser Blick des anderen war eine pure Herausforderung.

„Aber ich trag die scheiß Teile doch schon den ganzen Morgen. Mir tun die Füße bereits jetzt schon weh und wie soll ich denn überhaupt damit kämpfen? Ich kann mich kaum um mich selbst drehen.“

Das konnte doch nur ein Witz des anderen sein.

Doch es war offensichtlich kein Scherz.

„Du sagst es doch selber, Lorenor. Jeder einzelne deiner Schritte ist äußerst ungelenk in diesen Schuhen und im Tanzen bist du auch nicht gerade ein Naturtalent. Es wird dir vermutlich leichter fallen, dich an die Absätze zu gewöhnen, wenn du etwas Vertrautes machst, wie das Trainieren mit dem Schwert zum Beispiel.“

Zorro rollte mit den Augen.

„Erzähl nicht so einen Mist. Du willst mich doch nur zum Deppen machen.“

Aber er behielt die Schuhe an, wankte ein paar Schritte Richtung Wand und bückte sich nach seinem neuen Schwert. Es erbebte unter seinen Fingern, während er es schwankend hochhob. Er konnte spüren, wie die Kraft des Schwertes ihn durchströmte, er konnte die Gier nach einen Kampf spüren, die Gier nach Schweiß und Blut.

Vorsichtig drehte er sich zu dem Samurai um, dieser stand unbewaffnet vor ihm und war dennoch unangefochten der Sieger eines noch nicht mal begonnenen Kampfes.

Erneut nickte Zorro und ging in die Ausgangsposition, suchte neuen Halt, da sein Schwerpunkt nun verlagert war.

Mihawk verschränkte die Arme erneut und sah ihn einfach nur an. Das überlegene Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden, verdrängt von Ernsthaftigkeit und Rationalität. Dieses Training würde genauso hart werden, wie die davor, oder sogar noch schlimmer.

„Und los!“

Wie in Trance ging er die grundlegenden Bewegungsabläufe mit seinem Schwert in der Hand durch, bewusst langsam und bedacht auf die neue Schwierigkeit. Er musste seinen Körper wieder einmal neu kennen lernen, bevor er zu den komplizierteren Übungen übergehen würde und dazu waren nun einmal die Grundstellungen am besten geeignet. Jene, die er schon seit seiner frühesten Kindheit immer wieder geübt hatte. Jene, deren teilweise fehlerhafte Ausübung er Jahre beibehalten hatte und die der Samurai erst vor wenigen Tagen bei ihm verbessert hatte.

Von weit her konnte er den bohrenden Blick des anderen spüren. Aber solange dieser ihn nicht korrigierte oder ihn in seinen Bewegungen unterbrach, würde er einfach nur dem Fluss folgen, er spürte wie eine innere Ruhe ihn vereinnahmte.

Seine Gedanken waren dabei kaum auf seinen Körper gerichtet. Wie selbstverständlich taten seine Muskeln, was er von ihnen verlangte, es war mehr eine meditative Übung, sodass sein Kopf sich schon längst mit anderen Problemen befasste.

Immer und immer wieder dachte er an seine Crew, an seine Freunde, seine Familie, während er die Arme senkte, einen Schritt zur Seite machte, die Knie durchdrückte.

Immer wieder bestärkte er sich in seinem Ziel darin, dass er zurück zu den anderen musste, dass die Zeit zügig voran eilte und er noch so viel zu lernen hatte. Dass er kaum mehr zwanzig Tage hatte, bis er wieder zu seinen Freunden stoßen würde, bis er wieder ein Pirat sein würde.

Doch bis dahin lag noch ein langer Weg vor ihm. Nicht nur, dass er noch immer nicht herausgefunden hatte, was er lernen musste, ehe er wieder er selbst werden konnte, nein, er hatte es auch noch irgendwie geschafft zu diesem verfluchten Ball eingeladen zu werden.

Und das war auch eigentlich sein größtes Problem.

Er machte sich relativ wenig Sorgen darüber, dass er irgendwann wieder seinen ursprünglichen Körper erhalten würde und bis dahin musste er einfach nur hart genug trainieren, damit er einen Wert für seine Crew haben konnte und in der Lage sein würde, sie zu beschützen.

Tatsächlich zweifelte er nicht einen Augenblick, daran, dass sie ihn selbst als Frau wieder zu sich nehmen würden. Auch wenn er vermied, sich den Blick des Koches vorzustellen. Es würde alles etwas komplizierter werden, aber darum würde er sich Gedanken machen, wenn es soweit war.

Nein, sein eigentliches Problem war dieser Ball.

Mihawks Stimme durchschnitt die Stille, korrigierte einen wackeligen Ausfallschritt von ihm, doch erreichte seine innere Ruhe kaum, während er sich immer noch das Hirn über diese Veranstaltung zermarterte.

Vieles hatte er nun schon verstanden, aber einiges noch immer nicht.

Langsam ging er noch einmal das Gespräch des vergangenen Abends durch.

Dulacre hatte ihm erklärt, dass es sich um einen wenig originellen Maskenball handeln würde. Männer würden ganz simple Masken, nur um die Augen herum, tragen. Schwarz, wenn sie bereits vergeben waren, rot, wenn nicht. Die Kleiderordnung war für Männer überdies einfach. Schwarzer Anzug oder die Uniform der Marine.

Natürlich war es nicht ganz so einfach für die Frauen, wie Zorro wehleidig feststellen musste. Zum einen wurde den weiblichen Gästen, die noch nicht verheiratet waren eine feste Farbe zugeteilt, nach denen ihre Robe ausgesucht werden musste. Zum anderen gab es auch für die Maske strenge Regeln.

Die Farbe des Kleides war eine Aussage über den Stand in der Gesellschaft, die Maske gab einen Hinweis darauf, wie gebunden die Frau war. Eine wirklich seltsame Regel, wie Zorro fand, entweder man war vergeben, oder eben nicht.

Die Hände des Samurais drückten sachte gegen seine Schultern, forderten ihn zu mehr Spannung auf, ernste Worte ermahnten seine Körperhaltung.

Wenn Zorro alles richtig verstanden hatte, war eine Frau mit vollständig verdeckten Gesicht und Haaren jungfräulich, eine Frau mit nur verdeckten Augen war bereits verlobt. Verheiratete Damen trugen meist nur einen Schleier oder entsprechend der Männer nur schwarze Masken. Ihr Kleid musste schwarz sein. Alles dazwischen wurde durch mehr oder weniger verdeckende Masken abgebildet. Dies sollte den Männern die Auswahl einer Frau ermöglichen, ohne sich vom äußeren Schein blenden zu lassen.

Denn obwohl der Hochadel selbst sich nicht mehr dazu herabließ an diesem Abend nach passenden Fortpflanzungsopfern zu suchen, nutzten viele Männer der besseren Gesellschaft diesen Abend, um eine Gattin zu finden.

„Konzentrier dich, Lorenor!“ Plötzlich war er wieder da, nachdem sein linkes Bein ihm den Dienst versagt hatte und er sich beinahe sein Schwert in das rechte Knie gerammt hatte.

Der Ältere sah ihn missbilligend an.

„Wo bist du nur mit deinem Kopf? Ich habe dich selten so abwesend erlebt.“

Doch Zorro konnte seine Gedanken nicht ordnen.

„Was waren es noch mal für drei Möglichkeiten?“, fragte er den anderen, immer noch bei dem Ball, auf den er nicht hin wollte.

Der Samurai verschränkte die Arme.

„Wovon redest du, Lorenor?“

Der Grünschopf ließ das Schwert sinken. Die Vorstellung, dass er auf diesem Ball… Er konnte es gar nicht begreifen. Wieso sollte jemand fremdes so viel Macht über ihn besitzen? Wieso sollte er sich solchen Regeln beugen? Nur weil jemand mit ihm tanzte?

„Am Ende des Balls, um was darf der Mann die Frau bitten?“ Seine kindliche Stimme war so rau, doch er konnte den anderen nicht ansehen. Dulacre seufzte.

„Da bist du also.“

Der Schwarzhaarige wirkte sehr müde, während er ein paar Schritte auf ihn zu machte und ihm beinahe sanft das Schwert aus den Händen nahm.

„Einen Kuss, eine Nacht oder ein Leben.“ Er seufzte erneut. „Wir sollten es für den Moment gut sein lassen.“

Doch Zorro schüttelte den Kopf.

„Nein, ich muss noch stärker werden. Wir werden eh noch viel zu viel Zeit mit Tanzen und Anproben verschwenden. Ich will jede Minute nutzen.“

Fassungslos sah er zu, wie der Samurai mit dem Kopf schüttelte.

„Du bist nicht konzentriert genug.“

„Ich werde mich jetzt konzentrieren!“ Wieso machte der andere es ihm immer so schwer?

„Lorenor“, sprach der andere ihn an, „Wir machen jetzt eine Pause, wo wir was essen, nochmal den Ball durchgehen und danach trainieren wir weiter, in Ordnung?“

Wieso wollte der andere immer Pausen machen? Wieso unterbrach er das Training immer so schnell?

„Nein, ich weiß nicht, warum du…“

„Lorenor!“

Er stockte. Mittlerweile wusste er, dass diese Stimmlage des anderen wahrhaft Gefahr bedeuten konnte und Kanan hatte ihm an jenem Abend erklärt, dass Dulacre es nicht gut leiden konnte, wenn ihm jemand wiedersprach und er in solchen Situationen normalerweise sein Gegenüber einfach erledigte, wenn er ihm überdrüssig wurde. Der Grund, warum er grundsätzlich jeglicher politischer Veranstaltung auswich. Sie hatte ihm gesagt, dass die Kontrolle, die der andere ihm gegenüber immer wieder ausübte, ihn wieder und wieder an seine Grenzen brachte.

Das hieß, wenn er jetzt weiter gehen würde, würde der andere entweder wieder fliehen, um ihn nicht in Gefahr zu bringen, oder er würde ihn angreifen, wie am ersten Abend. Doch ob er sich dieses Mal rechtzeitig stoppen konnte, vermochte Zorro nicht zu sagen.

Es schockierte ihn etwas, dass ausgerechnet Falkenauge, der kühle Stratege, der ruhige Samurai, sich so leicht von ihm, einen Anfänger aus dem East Blue, einem unerzogenen Kind, aus der Kontrolle bringen ließ, während weder leidende noch wütende Menschen ihn berühren konnten.

Es war wahrscheinlich ganz ähnlich wie mit Ruffy und ihm.

Er seufzte.

Das nahm sein Gegenüber als Zeichen der Einwilligung auf, denn er drehte sich herum und schritt Richtung Ausgang, hob auf halbem Wege noch die Schwertscheide auf.

Dann blieb er unvermittelt stehen. Nach einer Sekunde drehte sich der Samurai zu ihm um und hielt ihm Josei entgegen.

„Hier, nimm es“, sagte er überraschend gelassen, „schließlich wird es eines Tages dir gehören.“

Zorro stockte mitten im Gehen, während er eine Sekunde vergaß zu atmen.

Der Beste Schwertkämpfer der Welt und Ruffy, der König der Piraten. Das wäre doch ein Spitzenteam.

Jemand der an ihn glaubte, jemand der wirklich an ihn glaubte, das war ihm erst einmal passiert.

Im nächsten Moment hatte er sich wieder gefangen und nahm dem anderen das Schwert ab. Er konnte beinahe fühlen, wie die Schwingungen von Kampfeslust ihn begrüßten.

Während er dem Älteren folgte und das Schwert mit der blauen Seide über seine Schulter legte, wurde ihm wieder bewusst, dass er nicht nur seine Freunde vermisste, sondern auch seine treusten Weggefährten. Hoffentlich hatte seine Crew sie nicht einfach verbrannt oder weggeschmissen. Der zickigen Berghexe traute er zu, sie für teures Geld verkauft zu haben.

Er konnte es kaum erwarten, wieder bei ihnen zu sein, bei ihnen allen.
 

In der Küche angekommen lugten beide Schwertkämpfer fast schon verstohlen in den Kühlschrank, doch die Haushälterin war ihnen bereits zuvorgekommen. Zwei Teller mit jeweils einem Namensschild – nun gut, auf Falkenauges stand Herr – waren schon parat gestellt. Ebenso eine Flasche Wein lag zwischen den Tellern.

„Ach, der darf doch nicht so gekühlt werden“, murrte der Herr des Hauses, während er Teller und Flasche aus der Kühlung holte, „Egal wie sehr ich mich bemühe, sie versteht nie, bei welcher Temperatur ein guter Wein gelagert werden muss.“

„Stell dich nicht so an“, entgegnete Zorro nur unbarmherzig und schlug die Tür des Kühlschranks zu, „Immerhin kocht sie für uns, wäscht unsere Wäsche und kümmert sich um alle anderen häuslichen Angelegenheiten.“

Der Pirat ließ sich auf dem erstbesten Schemel nieder, während Dulacre zur Anrichte rüber ging und sich die aktuelle Tageszeitung rüber zog.

„Dafür wird sie auch bezahlt“, murmelte der Herr des Hauses nur und verschwand hinter raschelndem Papier.

„Hey“, entkam es Zorro etwas entnervt zwischen zwei Bissen.

„Was denn?“, antwortete der Samurai nicht minder genervt.

„Ich dachte wir machen die Pause, um was zu essen und damit du mich in die letzten Einzelheiten über diesen verfluchten Ball einweihst. Nicht damit du wie ein uralter Opa die Zeitung liest.“

Ganz langsam, als hätte Zorro ihm das Essen geklaut, ließ der Ältere seine Lektüre sinken und sah ihn über die obersten Zeilen hinweg mörderisch an.

„Ich bin kein Opa.“ Mit diesen Worten vergrub der Samurai seinen Kopf wieder hinter der Zeitung.

„Das ist nicht das Thema“, knurrte Zorro, „Und natürlich bist du kein Opa, du hast ja noch nicht einmal eine Freundin, geschweige denn Enkelkinder.“

Erneut lugten die gelben Augen böse über die gedruckten Zeilen, doch der verwunschene Pirat konnte sein Grinsen nicht unterdrücken, wohlwissend, dass der andere ihn jeden Moment anspringen konnte, wie ein Jäger seine Beute.

Zu seiner Überraschung jedoch, lächelte der Schwarzhaarige gelassen, als er sich von der Anrichte abstieß und die Zeitung neben Zorros Teller auf den Tisch legte.

„Nun ja, diesen Artikeln zur Folge habe ich nicht nur eine Freundin, sondern eine ziemlich heiße Affäre.“

„Affäre würde bedeuten, du hättest zwei…“ Seine trockene Antwort blieb ihm im Halse stecken, als er sein weibliches Selbst auf einigen schwarz-weißen Fotos in verschiedenen Situationen sah. Sogar das schwarze Kleid vom Abendessen mit dem Bürgermeister war abgebildet, mit Hinweisen darauf, wo man es günstig kaufen konnte. Unter einem anderen Bild, welches die beiden Schwertkämpfer dabei zeigte, wie sie mit Kanans Waren über den Markt schlenderten, wurde ihre Beziehung genauestens hinterfragt.

„Was soll das?“, flüsterte er entsetzt.

Mit einem leisen Lachen ließ der Samurai sich ihm gegenüber nieder.

„Ich hab dir ja gesagt, dass die Medien auf dich aufmerksam geworden sind und nach dem Ball wirst du wahrscheinlich zur A-Prominenz gehören.“ Wieder lachte der Samurai. „Natürlich nur, wenn du den Ball überlebst.“

„Hör mal, das ist überhaupt nicht lustig! Was ist mit meinen Bildrechten?“ Zorro war aufgesprungen und starrte den anderen wütend an.

„Ich bin überrascht, dass ein Pirat wie du weiß, was Bildrechte sind“, antwortete der andere unbeeindruckt, ehe er ernst wurde, „Allerdings glaube ich auch, dass die Presse von der Marine zur Zeit etwas unter Druck gesetzt wird. Selten war die Zeitung so voller unwichtiger Neuigkeiten. Ich vermute, dass man versucht etwas unter den Tisch zu kehren, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern.“

„Ja, schön und gut“, murmelte Zorro und schlug die Zeitung zu, bevor er sich seine Fotos erneut ansehen musste, „Aber wir weichen wieder vom Thema ab: Der Ball!“

Der ernste Blick des Samurais wurde etwas entspannter und er erhob sich erneut, um die nun leergefegten Teller in die Spüle zu tragen. Allerdings machte er keine Anstalten sie auch abzuwaschen.

„Was hast du denn nicht kapiert, Lorenor? So schwer ist das doch nicht.“

Der Grünschopf rollte mit den Augen, während er sich daran begab, das Geschirr zu spülen. Dem Älteren drückte er dabei ganz ungalant das Handtuch zum Abtrocknen in die Hände.

„Erklär mir nochmal, wie das abläuft, wenn wir da aufschlagen.“ Sein Blick lag auf den aufsteigenden Seifenblasen.

Dulacre seufzte neben ihm, nahm aber folgsam die erste nasse Gabel an.

„Das heißt, du hast überhaupt nichts verstanden. Also noch einmal, wir werden getrennt abgeholt. Damit ich dich auch ja nicht vorher sehe. Ich werde das Haus bereits am späten Nachmittag verlassen und vor dem Ball noch einigen Sitzungen beiwohnen.“ Seine Stimme konnte kaum gelangweilter klingen.

„Dich hingegen wird eine spezielle Kutsche einsammeln und zum Festsaal bringen, dessen genauer Ort natürlich vorher nicht veröffentlicht wird.“

„Warum?“, fragte er, die Hände tief im Schaum vergraben.

„Es ist eine unsinnige, uralte Tradition zum Schutz der Anwesenden, wie so vieles“, antwortete der andere desinteressiert, „Wie dem auch sei, der Anfang vom Ball ist ja noch ziemlich harmlos. Nachdem alle Frauen eingetroffen sind und ihnen ein fester Platz zugewiesen wurde, gesellen wir Männer uns dazu und dürfen uns eine Frau zum Eröffnungstanz aussuchen.“

„Und woher weiß ich, wo ich sitzen muss?“

Der Samurai seufzte. „Lorenor, stell es dir wie eine ganz lange Reihe von Stühlen vor, du musst einfach nur wissen, wer links und rechts von dir sitzt, so schwer wird es schon nicht werden. Nachdem ihr alle sitzt, kommen wir Männer wie bei der langweiligsten Reise nach Jerusalem nacheinander herein und stellen uns jeweils vor einer Dame auf.“

„Mir gefällt nicht, wie du das Wir Männer betonst.“

„Ich kann nun mal auch nichts dafür, aber ob es dir passt oder nicht, du bist jetzt eine Frau, also wirst du an diesem Abend auch ein Kleid anhaben und dich verdammt nochmal wie ein Fräulein verhalten.“

Zorro seufzte leise, während der Abfluss laut schlabbernde Geräusche von sich gab und das letzte dreckige Wasser verschluckte.

„Soweit hatte ich die Sache eigentlich schon kapiert, aber das mit dem Auffordern verstehe ich nicht so ganz“, meinte er nur und trocknete seine Hände ab.

„Es ist ganz einfach Lorenor. Ein Mann steht vor einer sitzenden Frau und hat die Wahl: Auffordern oder nicht, wenn er sie nicht auffordert oder sie seine Aufforderung ablehnt, geht er zur nächsten Dame zu seiner linken. Beim spätestens dritten Mal muss ein Mann eine Frau auffordern und eine Frau darf auch nur maximal zwei Aufforderungen ablehnen, sodass nach drei Runden ein jeder einen Tanzpartner hat, verstanden?“

Langsam ließ Zorro sich noch einmal die Worte durch den Kopf gehen, doch jedes Auffordern verwirrte ihn etwas mehr. Nach Sekunden nickte er.

„Und warum ist dieser Eröffnungstanz so wichtig, ist doch egal mit wem ich den tanze, oder nicht?“

„Grundsätzlich schon“, meinte Dulacre nur und ging wieder hinüber zum Küchentisch, wo er sich hinsetzte und wieder die Zeitung aufschlug, „Allerdings hat der erste Tanzpartner einer Dame einen Vorteil gegenüber den anderen Anwesenden. Wie ich dir gestern schon gesagt habe, musst du während des ganzen Abends spätestens die dritte Einladung zu einem Tanz annehmen und du darfst nie länger als drei Tänze am Stück den gleichen Partner haben, soweit alles logisch?“

Das grünhaarige Mädchen hüpfte rücklings auf die Anrichte und ließ die Beine baumeln. „Doch, doch. Ich finde es zwar nicht logisch, warum sich alles um die Zahl Drei drehen muss, aber ich kann noch folgen.“

„Gut“, murmelte sein Lehrmeister ohne von seiner Zeitung aufzusehen, „Also, der Ball wird ziemlich lange gehen und man tanzt natürlich nicht die ganze Zeit, zumindest habe ich das nie getan. Zwischendurch sitzt oder steht man bei gutem Wein und kleinen Häppchen zusammen und unterhält sich über mehr oder weniger wichtige Geschehnisse aus der Welt, während man von inoffiziellen Sklaven bedient wird.“

„Du warst schon mal auf diesem Marineball?“ Zorro konnte seine Überraschung kaum verbergen, doch Dulacre blätterte nur unbeeindruckt die Seiten um.

„Natürlich, als junger Vertreter meiner Familie musste ich damals des Öfteren meine Mutter begleiten, wenn mein Vater auf Reisen war und später wurde ich auch in meinem Dienst für die Marine dazu berufen. Das ist allerdings schon etliche Jahre her. Seit ich gekündigt habe, wurde ich nicht mehr eingeladen. Viele der gehobenen Gesellschaft werden sicherlich nicht erfreut sein, einen Samurai anwesend zu haben.“ Die Stimme des Älteren war gelangweilt, als würde er über seinen Arbeitstag sprechen. Zorro auf der anderen Seite fragte sich mehr und mehr, was für einen Rang der andere in seiner aktiven Zeit bei den Uniformierten bekleidet hatte.

„Zum Ende des Balls hingegen musst du aufpassen.“ Plötzlich sahen ihn diese durchdringenden Falkenaugen an, als würde er ihn in eine geheime Strategie einweisen.

„Nachdem ein gewisses Lied zum Tanz gespielt wurde, ist der Ball formell beendet und der Tanzpartner hat die Möglichkeit, seine Tanzpartnerin nach nur einer der drei Dinge zu fragen: Ein Kuss, eine Nacht oder ein Leben. Sollte sie ablehnen, muss er eine andere Frau fragen. Der Vorteil des ersten Tanzpartners ist, dass er als erstes nach dem letzten Tanzpartner die Frau anfragen darf, mit der er zuerst getanzt hat.“

Zorro sah ihn konzentriert an.

„Aber auch hier, darf eine Frau höchstens zwei Mal ablehnen. Die dritte Anfrage muss sie akzeptieren, ganz gleich, wie sie lautet.“

Der Grünschopf schluckte. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, doch der Samurai sprach ungehindert weiter.

„Wie du dir denken kannst, bedeutet ein Kuss nicht mehr, als ein Kuss. Eine Nacht kann alles Mögliche bedeuten. Von einem langen Schachspiel bis zum gemeinsamen Geschlechtsverkehr. In dieser Nacht, hat der Mann die vollkommene Kontrolle über die Frau. Er darf sie sogar töten, wenn er möchte. Nun ja, und ein Leben ist nichts anderes als das Versprechen zur Verlobung. Die Hochzeit wird traditionell innerhalb einer Woche vollzogen. Selbstredend werden viele dieser Ehefrauen wie Sklaven gehalten. Nur selten hat diese Ehe romantische Hintergründe.“

Der Jüngere hielt dem Blick des Älteren stand, während er zu begreifen versuchte, was der andere ihm bereits am vergangenen Tag erklärt hatte.

Irgendein Marinetyp oder Adliger könnte ihn im Zweifel besitzen, wenn er nur das falsche Lied abpasste.

„Und woher weiß ich, welches Lied das Schlusslied ist?“

Dulacre schüttelte den Kopf. „Gar nicht. Wir Männer bekommen vor der offiziellen Eröffnung ein bestimmtes Passwort gesagt, welches in irgendeinem Lied plötzlich im Text auftaucht. Das darauf folgende ist dann das Schlusslied.“

„Verdammt nochmal, das ist ja echt kompliziert. Einfacher hätten sie es sich nicht machen können, oder?“ Wieder seufzte Zorro. „Du musst mir im Laufe des Abends auf jeden Fall sagen, was das für ein Passwort ist. Ich hab keinen Bock, mit irgendwem verlobt zu werden.“

„Soll das etwas heißen, du baust darauf, dass ich dich fragen werde? Dich retten werde?“

Zorro stockte.

Erst langsam wurde ihm bewusst, was das bedeuten würde. Bisher war er davon ausgegangen, dass er nur irgendwie den Abend überleben würde. Einen Tanz mit dem Samurai hinlegen würde und sich dann an die Bar verkrümeln konnte. Im Zweifel hatte er geglaubt, dass der Schwertmeister ihn irgendwann einsammeln und mit ihm abhauen würde. Aber nun wurde ihm bewusst, dass er vermutlich nur eine Chance hatte, heil aus der ganzen Sache raus zu kommen und zwar…

„Ach, ich würde mir an deiner Stelle da keine Gedanken machen“, munterte ihn Mihawk auf, „Soweit ich mich erinnere, werden nur die hübschen Mädchen gefragt.“

„Du Arsch!“

Im nächsten Moment schleuderte der Pirat einen seiner hochhackigen Schuhe nach dem anderen, der diesen jedoch mühelos auffing und böse auflachte.

„Ach komm, Lorenor. Du weißt, dass du dir keine Sorgen machen musst. Ich werde den ganzen Abend da sein“, meinte Dulacre nun versöhnlich und kam zu ihm herüber und zog ihm den Schuh wieder an. „Komm, lass uns weiter trainieren gehen.“

Mit einem Nicken folgte Zorro dem Samurai und ignorierte die ungewollte väterliche Wärme, die dieser ihm entgegen brachte.

„Außerdem“, fügte der Schwarzhaarige hinzu, während sie den Gang an der Treppe entlang nahmen, „Wie du doch sicherlich aus deiner Zeit als Mann weißt, stehen die Männer eher auf kurvige Frauen und nicht auf eine Flachbrust, wie dich.“

Ein lautes Krachen ertönte aus den Tiefen des Hauses, gefolgt von der wütenden Stimme einer jungen Frau und dem höhnischen Lachen eines Mannes.

Zorro wusste gar nicht, warum er sich so über die Kommentare des anderen ärgerte. Ein kleiner Busen war in einem Kampf deutlich von Vorteil. Und trotzdem war die Frau in ihm überaus erbost und auch kleines bisschen verletzt.

Was war nur los mit ihm?

Kapitel 19 - Der Besuch

Kapitel 19 – Der Besuch

 

-Zorro-

Er erstarrte mitten in der Bewegung.

Seine Augen mussten ihn betrügen, das konnte doch gar nicht wahr sein.

„Lady Loreen?“ Die Händlerin an dem kleinen Stand mit den bunten Feuerzeugen nahm er kaum war. Zu groß war der Schock in seinen Gliedern.

Er war auf dem kleinen Marktplatz von Sasaki, einige Kleinigkeiten für Kanan besorgen, nichts Wichtiges, da diese eines ihrer Kinder besuchte.

Wie immer trug er die ihm raus gelegten Sachen. Ein sommerliches weißes Kleid mit aufgedruckten roten und pinken Rosen, die zum Saum hin größer wurden. Ein rosa Tuch um den Hals.

Wie in Trance überquerte er den gefüllten Platz, ignorierte die Menschen um sich herum, die ihn freudig grüßten, ignorierte den Korb in seiner Armbeuge, der immer wieder andere Leute anrempelte.

Alle paar Schritte setzte sein Herz aus, während er die Passanten beobachtete, die dort an einem unscheinbaren Lebensmittelgeschäft standen.

Als er die leicht gereizte Stimme der Frau hörte, vergaß er einen Moment zu atmen.

„Ist das alles, was wir brauchen?“

Sie waren hier!

Sie waren tatsächlich hier!

Was taten sie hier?

Es war noch zu früh!

Sie sollten nicht nach Sasaki kommen!

„Nicht ganz, Nami-Maus. Ich würde gerne noch frisches Gemüse einkaufen. Aber dazu brauchst du mich nicht zu begleiten. Auch wenn mich deine Anwesenheit natürlich äußerst glücklich stimmen würde.“

Vor ihm standen Sanji und Nami von der Strohhut-Bande.

Panik, Verzweiflung, Freude und Sehnsucht erfüllten ihn.

Sie waren hier und ihnen ging es gut!

Sie hatten tatsächlich überlebt!

In diesem Moment kreuzten die Augen der Navigatorin seinen Blick und wurden groß.

„Aber das ist doch…“  Nun war es zu spät. „Lady Loreen.“

Ohnmächtig trat Zorro einen Schritt zurück, während die Orangenhaarige mit dem Koch im Schlepptau auf ihn zukam.

Nami schien hellauf begeistert, während ihn seine eigenen Gefühle übermannten.

Sie erkannte ihn nicht.

Warum erkannte sie ihn nicht?

Warum sollte sie ihn auch erkennen?

„Mein Gott, es ist mir eine Ehre Sie zu treffen. Ich verfolge Sie in der Zeitung. Ihr Modebewusstsein und ihr glückliches Händchen für Preise sind für jede junge Frau ein Vorbild. Ihr Klamottenstil ist beeindruckend und erst dieses Kleid…“

Sie redete immer weiter auf ihn ein, doch Zorro konnte nicht viel mehr, als zu ihr aufblicken und erleichtert feststellen, dass sie gut aussah, gesund aussah.

Nun mischte sich auch der Koch ein. Er sah ebenfalls deutlich besser aus, als die letzten Bilder, die der Schwertkämpfer von ihm in Erinnerung hatte. Um ehrlich zu sein, sah er großartig aus, als käme er geradewegs aus den heißen Quellen. Doch es war äußerst ärgerlich, dass der Blondschopf nun deutlich größer war, als er selbst.

„Ich… muss mit euch reden!“, unterbrach er unerwartet den Redeschwall der Piraten.

Diese sahen ihn überrascht an, während sein Herz immer schneller schlug.

Er hatte nicht mit ihnen gerechnet. Er hatte sich noch keinen Plan zusammengelegt. Er konnte jetzt nur handeln.

Doch dieser Ort war nicht der richtige, um ihnen die Wahrheit zu sagen, zu viele fremde Ohren.

Zwar wäre es ihm lieber gewesen, mit der gesamten Crew auf einmal zu sprechen, aber jetzt, in diesem Moment hatte er keine andere Wahl. Er musste mit ihnen reden, so schnell wie möglich!

„Folgt mir bitte.“

Er wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern eilte auf den Wald zu. Er vertraute darauf, dass die Neugierde der beiden anderen sie folgen ließ.

Und er sollte nicht enttäuscht werden.

Schon nach wenigen Schritten, hatten sie ihn eingeholt und bedrängten ihn mit Fragen, denen er nur mühsam ausweichen konnte.

„Ich werde alles erklären, sobald wir im Haus sind“, antwortete er schließlich, ein wenig unsicherer als ihm lieb war.

Während er durch den Wald und an der Lichtung vorbei stürmte, konnte er das geflüsterte Mistrauen Namis gemischt mit den geschwafelten Liebeserklärungen Sanjis in seinem Rücken vernehmen.

Es gab ihm ein furchtbares Gefühl und der Weg zum alten Herrenhaus schien schier unendlich.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie es schließlich.

Da Mihawk auf einem Termin in Suzuno war, empfing Zorro und seinen beide Freunde nur die Dunkelheit des Hauses.

Er zögerte für einen Augenblick, dann brachte er sie schließlich ins Wohnzimmer, wo munter ein Feuer im Kamin prasselte.

Einen Moment stockte er. Wieso brannte da ein Feuer? Und wieso machte es ihm solche Angst? Wieso hatte er Angst?

Schließlich saßen Nami und Sanji auf dem großen Sofa und er stand neben dem Sessel, auf dem Mihawk normalerweise Platz nahm.

Dann wurde es still um sie.

Nach wenigen Sekunden fuhr sich Nami nervös über den Unterarm.

„Also, was wolltest du mir uns besprechen?“ Sie schien ihm nicht zu vertrauen.

Warum sollte sie auch?

Es war ein reines Wunder, dass er sie ohne eine Erklärung überhaupt bis hier bekommen hatte.

In seinem Blumenkleid stand Zorro vor ihnen, vor seinen Freunden.

Es sollte doch so einfach sein. Bisher hatte er sich überhaupt keine Sorgen über diesen Augenblick gemacht, allerdings hatte er auch geglaubt, dass er noch einige Tage bis dahin Zeit gehabt hätte.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte nun auch der Blondschopf besorgt, nachdem Zorro immer noch nicht antwortete.

Der ehemalige Piratenjäger nahm einmal tief Luft.

„Ich bin es.“

Verwirrt sahen ihn die beiden anderen an.

„Ich bin Zorro!“

Im nächsten Moment wurden die Augen der beiden Piraten groß, während sie ihn ungläubig anstarrten.

Sanji öffnete den Mund, doch ein lauter Knall gefolgt von Falkenauges dunkler Stimme übertönte ihn.

„Hey, bist du da? Ich hab ein paar Gäste auf dem Markt getroffen, die du mit Sicherheit gerne treffen würdest.“

Bevor er den Satz beendet hatte, tauchte eben besagter Samurai auch schon in der Tür vom Flur auf, gefolgt von den restlichen Strohhüten. Allen voran Ruffy. Dieser zeigte sein übliches Grinsen, als er Zorro erblickte.

Sie waren alle da. Seine Familie. Jetzt war er endlich bei ihnen. Jetzt würde er endlich nach Hause kommen. Jetzt würde alles gut werden.

In wenigen Minuten würde Ruffy ihn glücklich umarmen und am Abend würden sie ein großes Fest feiern.

„Was ist denn hier los?“, fragte der junge Kapitän unschuldig, aber bevor Zorro auch nur die Stimme erheben konnte, lachte Sanji schaurig auf.

„Das ist doch wohl ein schlechter Scherz.“ Selten hatte die Stimme des Kochs so tonlos geklungen.

„Was ist denn, Sanji?“, hakte der Kanonier nach.

„Dieses Mädchen da behauptet sie sei Zorro!“, antwortete jedoch Nami, eine Spur lauter als nötig.

Das hier entwickelt sich nicht so, wie es sollte.

„Wie bitte? Das da soll Zorro-Bro sein?“, murmelte Franky mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Nein“, widersprach das Mädchen, „ich bin nicht…“

„Wie? Du bist doch nicht Zorro? Aber Nami hat doch gerade gesagt…“

„Doch, ich bin Zorro!“, übertönte er den Einwand des Skeletts, „Ich will nur nicht, dass Franky mich Bro nennt, kapiert?!“

Etwas atemlos stand er vor ihnen, die ihn ansahen, wie einen Außerirdischen. Nur Ruffy blickte betreten zu Boden.

„Was für ein Schwachsinn. Zorro ist tot“, ertönte Nami erneut erbost, „Du willst mir etwa weiß machen, dass ein schmächtiges Mädchen wie du, unser Schwertkämpfer sein soll? Das ich nicht lache!“

„Es ist leider wohl die Wahrheit“, brachte sich nun unerwarteter Weise der Samurai ein, „Ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht. Lady Loreen ist niemand anderes als Lorenor Zorro.“

Erneut sammelten sich alle Blicke auf ihm und Zorro fiel das Atmen schwer.

Das alles verlief gar nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte.

„Warum sollten wir einem Samurai vertrauen?“ Robins Zweifel war berechtigt.

„Was hätte der denn davon uns zu belügen?“, widersprach Lysop etwas verwirrt.

„Du glaubst wirklich, dass der Marimo überlebt haben könnte?“ Auch Sanji schien nicht überzeugt.

„Naja, möglich wäre es, oder nicht?“ Franky zuckte etwas unsicher mit den Achseln.

„Aber warum ist er denn jetzt ein Mädchen?“, fragte Brook kleinlaut.

„Ja, und warum wirkt er so jung?“, flüsterte der junge Arzt, „Sie sieht gar nicht wie Zorro aus.“

„Das weiß ich nicht!“, antwortete er selbst, wobei es ihm überhaupt nicht gefiel, dass die anderen so von ihm sprachen, als wäre er nicht anwesend.

„Aber ihr müsst mir glauben, dass ich es bin!“ Seine Stimme versagte ihm für einen Moment, „Bitte.“

„Da!“, rief plötzlich Nami und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn, „Sie kann unmöglich Zorro sein, der würde niemals betteln!“

Brook nickte äußerst zustimmend. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Schwertmeister wie Zorro freiwillig in einem Kleid rumlaufen würde.“

„Die Artikel in der Zeitung sprachen von einer sprachgewandten, liebenswerten, jungen Frau. Das stimmt natürlich kaum mit unserem wortkargen, sozialscheuen Schwertkämpfer überein“, mutmaßte nun auch Robin, ein Hand nachdenklich ans Kinn haltend.

„Aber ich bin es!“

Seine Stimme war laut gewesen, verzweifelt. Wieso wollten sie ihm nicht glauben?

„Ich kann es auch beweisen!“, brüllte er erneut, während er hilfesuchend, zwischen seinen Freunden hin und her blickte, „Ich weiß noch genau, was ich dem Koch auf dem Turm gesagt habe!“

Und dann sah Sanji ihn an. Sein eines zu sehendes blaues Auge war geweitet und dann nickte er. Doch nun sah er nicht mehr so gesund und glücklich aus, wie vor wenigen Minuten. Er war blass und hatte tiefe Ringe unter den Augen. Er wirkte zermürbt, aber auch entschieden.

„Du brauchst es nicht zu wiederholen. Ich glaube dir.“

Diese Worte beruhigten sein schnell schlagendes Herz. Wenn zumindest der Koch ihm glaubte, konnte er die anderen auch überzeugen. Bald wäre alles gut. Nur warum klang seine Stimme so kalt.

„Aber ich finde das ändert nichts, selbst wenn sie Zorro sein sollte.“

Lysops Worte kamen unvorbereitet.

„Ich meine, nehmen wir mal an, dass sie wirklich Zorro ist und dieser nicht gestorben sein sollte. Brauchen wir ihn überhaupt?“

Zorro konnte nicht atmen.

„Vor allem jetzt, da er nur ein schwächliches Mädchen ist?“

Was ging hier vor?

„Eigentlich hast du Recht. In diesem Zustand ist er uns nicht von großem Nutzen.“

„Ich hätte keine Lust das Frauenschlafzimmer mit ihm zu teilen.“

„Könnte er denn überhaupt kämpfen?“

„Also ich weiß nicht, ob ich eine Frau als Schwertmeister ernst nehmen könnte.“

„Ich könnte ihn überhaupt nicht ernst nehmen. Und er hat mein Feuerzeug zerstört.“

„Und was hat es mit diesen Zeitungsartikeln auf sich?“

„Also wir brauchen nicht noch eine Schwester, die wir beschützen müssen.“

„Und wirklich hübsch ist sie auch noch nicht mal.“

„Außerdem wollten wir doch den Ausguck jetzt umbauen. Die Pläne sind schon fertig.“

Wie erstarrt sah er seinen Freunden zu, wie sie wild miteinander redeten.

Sie alle redeten über ihn, als wäre er eine Last, als wäre er ein Übel, über dessen Verlust sie nicht einmal sonderlich traurig waren. Als hätte sein Tod sie nicht berührt. Als hätte er einfach nur einem nützlichen Zweck gedient.

Nur Ruffy beteiligte sich nicht und blickte immer noch zu Boden, den Hut tief ins Gesicht gezogen.

Er war seine letzte Hoffnung.

„Ruffy.“ Seine Stimme brach erneut. Er hätte nie gedacht, dass es so werden würde, dass es sich so anfühlen würde, dass er so hilflos sein würde.

„Ich… Bitte glaub mir doch. Ich bin Zorro.“

Die anderen Stimmen erstarben, als Ruffy langsam die Arme verschränkte.

„Es ist nicht so, als ob ich dir nicht glauben würde“, sprach er ganz ruhig und sachlich, „Im Gegenteil. Ich glaube dir, dass du Zorro bist.“

Langsam sah er auf. „Aber Lysop hat Recht.“ Sein Blick war überraschend kalt.

„Das ändert überhaupt nichts.“

„Wie bitte? Wie meinst du das?“ Blanke Panik erfüllte Zorro.

Doch Ruffy sah ihn einfach nur an.

„Versteh mich nicht falsch, Zorro. Ich bin froh, dass du lebst. Ich hätte ewig ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn du wegen mir gestorben wärest.“ Dann zuckte er mit den Schultern.

„Aber ich kann dich nicht mehr gebrauchen. Erst Recht nicht jetzt, wo du ein schwaches Mädchen bist. Du bist mir nicht mehr von Nutzen.“

Es war, als hätte jemand ihm die Eingeweide rausgerissen. Vor innerem Schmerz keuchte er auf.

„Aber… aber… du bist doch mein Käpt’n!“ Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.

„Nein, du gehörst nicht mehr zu meiner Crew!“

Mit diesen Worten wandte sich Ruffy von ihm ab und schritt gefolgt von den anderen seiner Bande den Flur entlang zur Haustüre.

„Nein! Warte!“

Hilflos rannte Zorro den anderen hinterher, den Flur hinunter, der immer länger zu werden schien. Doch egal wie schnell er auch lief, die anderen entfernten sich immer weiter von ihm.

Ihre Worte voller Verachtung und Gleichgültigkeit hallten von den Wänden wider, während sein Herz immer schneller schlug und sein Körper brannte.

Schließlich gaben seine Beine unter ihm nach und er fiel auf die Knie.

Er konnte die Tränen nicht aufhalten, während er immer noch das Gefühl hatte, als würde ihn etwas von innen heraus zerreißen. Schreiend schlug er mit den Fäusten immer wieder auf den harten Boden.

Ein großer Schatten waberte über ihn und Falkenauges Stimme hallte wie die Stimme des Untergangs von weither und es wurde immer dunkler um ihn.

„Und nun, Lorenor Zorro, bist du ganz alleine. Ausgestoßen von der Gesellschaft und verlassen von deinen Freunden. Dein Leben hat keinen Wert mehr. Aber ich werde dich nicht töten. Diesen Trost werde ich dir nicht geben. Sodass du jeden einzelnen Tag diesen Schmerz spürst und dir nichts sehnlicher wünschst als nie geboren zu sein. Du warst es eh nie wert.“
 

Er schlug die Augen auf.

Sein Herz raste wie wild, doch er bekam keine Luft.

Vor Panik schlug er um sich, befreite sich aus den Ketten, die ihn festhielten.

Er fiel und kam auf den Boden auf.

Kraftlos blieb er liegen. Sein Körper brannte immer noch und Tränen rannen seine Wangen hinab. Er konnte immer noch nicht atmen.

Verzweifelt krallte er die Hände in seine Schultern und schrie.

Er war alleine. Er hatte sie alle verloren.

Nein, er hatte sie nicht nur verloren, sie hatten ihn verlassen.

Er hatte nie schwach sein wollen, doch sie waren ihm wichtig geworden und nun ließen sie ihn zurück. Diese Grausamkeit konnte er nicht ertragen. Warum war er nicht einfach gestorben?

Er wusste nicht, wo er war, doch plötzlich hörte er das Knallen von Türen, laute Schritte und besorgte Stimmen.

Fremde Hände schüttelten ihn, doch er wollte nicht mehr, er konnte einfach nicht mehr.

Es hatte keinen Sinn mehr, es gab für ihn keinen Grund mehr weiter zu gehen.

„Zorro!“

Der Klang seines Namens. Wer auch immer es war, er hatte ihn verlassen.

„Warum? Warum tut ihr mir das an? Warum lasst ihr mich zurück?“

Seine Stimme brach unter schluchzen und er weinte, unaufhaltsam.

„Geht nicht. Lasst mich nicht allein!“

Starke Arme legten sich um ihn, drückten ihn gegen einen warmen Körper. Hielten ihn.

„Du bist nicht alleine.“

Sanft streichelte eine große Hand seinen Kopf.

„Ich bin hier. Ich passe auf dich auf.“

Verzweifelt vergrub er seine dünnen Finger im Hemdstoff und weinte, während die Hand in seinem Haar im stetigen Rhythmus auf und ab glitt, während der Arm in seinen Rücken ihn fest hielt, während das Herz, an dessen Brust er lehnte immer ruhiger schlug.

„Es ist alles in Ordnung.“ Beinahe zärtlich wurden diese Worte an sein Ohr geflüstert. „Es war nur ein Traum, Lorenor. Niemand hat dich verlassen.“

Ganz langsam wurde ihm bewusst, was das bedeutete.

Ganz langsam verstand er.

Ganz langsam begriff er.

Es war ein Traum gewesen.

Es war keine Realität.

Sie hatten ihn nicht verstoßen.

Doch warum tat ihm alles weh? Warum hatte er solche Schmerzen?

Er hob den Kopf und sah in gelbgoldene Augen.

Falkenauge.

„Was ist passiert?“, flüsterte er ohnmächtig.

Der Samurai fuhr fort, mit seinen Fingern durch sein Haar zu gleiten.

„Ich weiß es nicht. Ich habe dich schreien gehört. Du hattest wohl einen Albtraum. Es ist noch mitten in der Nacht.“

Erst jetzt wurde ihm seine Umgebung bewusst.

Er hockte neben seinem Bett im Gästezimmer, verheddert in Laken, um ihn herum war es düster. Nur das fahle Licht des Vollmondes erhellte das Zimmer, gab Umrissen einen grotesken Schatten.

„Und Ruffy?“

Der Samurai ließ ihn los und lehnte sich ein bisschen zurück, die eine Hand immer noch in seinem Haar.

„Der Strohhut segelt vermutlich immer noch mit dem Rest eurer Crew in Richtung Sarue, wo sie in knapp 20 Tagen ankommen sollten.“

Es war nur ein Traum gewesen.

Nur ein fürchterlicher, grausamer Traum.

Allmählich konnte er wieder atmen.

Es war alles in Ordnung.

„Besser?“, fragte Falkenauge, ihn immer noch ernst ansehend.

Er nickte, während er sich ungelenk die Tränen aus dem Gesicht rieb.

Beschämt über sein Verhalten und immer noch mit pochendem Herzen.

Doch der Ältere erhob sich nur und zog ihn auf die Beine.

„Dann solltest du jetzt noch etwas versuchen zu schlafen. Morgen wird bestimmt ein anstrengender Tag.“

Wieder nickte er nur, kaum in der Lage den anderen anzusehen. Seine Beine bebten bedrohlich, so dass er sich auf der Bettkannte niederließ.

Die Angst immer noch zum Greifen nah.

Zu seiner Überraschung, ging der Samurai plötzlich vor ihm in die Hocke und sah zu ihm auf.

Die Falkenaugen schimmerten im Mondlicht und seine markanten Züge wirkten überraschend sanft.

„Hör mal, Lorenor. Es war nur ein Traum.“

Natürlich. Es war nur ein Traum. Nichts davon war in Wirklichkeit passiert. Das brauchte der andere ihm nicht zu sagen. Der Alte machte sich lächerlich mit seinen weichen Worten.

Und trotzdem, trotzdem wurde da eine Furcht in ihm genährt.

Ein Samen gepflanzt.

Vielleicht würde es nicht so übertrieben, wie in seinem Traum sein, aber vielleicht würden sie ihn ablehnen. Vielleicht würden seine Freunde ihn so nicht mehr um sich haben wollen. Vielleicht würden die einzigen Menschen, die ihn akzeptiert hatten, sich von ihm abwenden.

Und das noch nicht mal aus offensichtlichen Gründen, wie in seinem Traum. Aber wie sollte zum Beispiel sein Verhältnis mit Sanji so wie früher werden, wenn dieser ihm in jedem Kampf auf die Brüste starrte? Wenn er noch nicht einmal mehr mit ihm streiten würde, weil er jetzt eine Frau war.

Könnte er überhaupt noch neben Sanji und Ruffy die Sturmspitze im Kampf erfüllen?

Würde er selber damit leben können, wenn nicht?

Selbst wenn die anderen ihn annehmen würden, würde er je akzeptieren können, dass er nicht mehr der war, der er für diese Crew geworden war?

Wäre er bereit zurückzustehen und sich unter anderem von Brook beschützen zu lassen?

Konnte er das tun, ohne jeden Tag wütend zu sein, wütend darauf, dass die anderen noch waren, wer sie waren, während er sich verändert hatte?

Konnte er überhaupt noch zu ihnen zurück, selbst wenn sie ihn mit offenen Armen empfangen würden?

Konnte er zurück ohne wieder zu dem Mann zu werden, der er einst war?

Würde sein Stolz ihm erlauben, einer dieser Crew zu sein, ohne Lorenor Zorro zu sein?

Plötzlich legten sich zwei Hände sanft an die Seiten seines Gesichts.

Ruhig sah der Samurai zu ihm auf.

„Denk nicht so viel nach. Diese Ängste sind nicht Realität. Sie zeigen dir nur, dass dir etwas wirklich wichtig ist und du nicht bereit bist, dies aufzugeben.“

Dulacre lächelte. Es war ein ungewohntes Bild.

„Deine Freunde werden auf dich warten, ganz gleich, wie lange du brauchst, um zu dir selbst zu finden. Und bis dahin…“, der Samurai erhob sich, hielt immer noch sein Gesicht, „hast du hier Menschen, die für dich da sind.“

Warm waren seine Worte und für einen Moment fühlte Zorro sich zum ersten Mal, seit er seine Crew verlassen hatte, geborgen und in Sicherheit.

Dann beugte der Samurai sich vor und legte einen Moment seine Stirn gegen Zorros, sodass sie sich unglaublich nah waren.

„Und egal was passiert, Lorenor“, seine Tonwahl war gewohnt ernst, ließ keinen Zweifel zu, „Du kannst immer nach Sasaki zurückkehren, ganz gleich ob als Loreen oder als Zorro.“

Dann ließ er ihn los und schritt zur Tür.

„Schlaf jetzt.“ Die Stimme des Samurais war wieder schroff und gebieterisch. „Nicht, dass du mir morgen beim Training wieder so unkonzentriert bist.“

Leise fiel die Tür hinter dem Samurai wieder ins Schloss.

Nur ein Traum…
 

-Mihawk-

Schwer atmend lehnte er sich gegen die Wand neben der Tür zum Gästezimmer.

Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Selten hatte ihn ein Anblick so verstört, wie dieses Mädchen, weinend und schreiend auf den Boden liegend, als wäre dieser emotionale Schmerz auch körperlich gewesen.

Er hatte nicht geglaubt, noch einmal von solchen Schreien geweckt zu werden.

Er hatte gehofft, dass die Qualen eines anderen ihn nie mehr so mitnehmen würden und doch stand er mitten in der Nacht hier und musste sein schlagendes Herz beruhigen.

Als die wehklagende Stimme seines Gastes durch das Haus gehallt hatte, war er hochgeschreckt, wie damals, als er noch ein Junge gewesen war.

Wie damals, hatte ihn diese Angst erfasst, diese Furcht, dass etwas Schlimmes passiert war.

Dann hatte er dieses Kind auf dem Boden gefunden, unerreichbar für Dulacres Worte, immer noch gefangen in dessen Traumwelt. Er wollte nicht, dass dieser Moment ihn berührte, aber in Wahrheit, hatte sich dieses Bild schon tief in seine Erinnerungen gefressen.

Die Tränen des Anderen, seine Ängste, seine Verzweiflung hatten den Samurai zutiefst verstört. Irgendetwas in ihm wollte nicht, dass der andere so leiden musste. Irgendetwas in ihm hatte erkannt, dass es etwas gab, vor dem er den anderen nicht beschützen konnte, doch das wollte er sich nicht eingestehen.

„Herr?“

Erschöpft und doch hellwach hob er den Kopf.

Im dunklen Gang stand die Haushälterin. Die hochgewachsene Frau trug ein langes dunkles Nachthemd und ihr schwarzes Haar fiel offen über die Schultern hinab. Ihr rundliches, sonst so mütterliches Gesicht, wurde durch die scharfen Schatten der Dunkelheit markant und hart.

In der einen Hand hielt sie eine Pistole, in der anderen ein Kurzschwert. Zusammen mit den wilden Haaren und ihrem durchdringenden Blick sah sie aus, wie eine gefürchtete Amazone und nicht, wie eine gutmütige Hausangestellte. Begehrenswert und gefährlich zugleich.

Für den Bruchteil einer Sekunde war Dulacre sich sicher gewesen, dass seine Schwester dort stehen würde, bereit zum Kampf. Das Adrenalin und seine müden Augen machten sich über ihn lustig.

„Ist was passiert?“

Er schüttelte leicht den Kopf.

„Es ist nichts, nur ein Traum.“

Die angespannte Körperhaltung des ehemaligen Kindermädchens schwand und nun wirkte sie wieder, wie eine ältere, liebevolle Mutter, die Waffen völlig fehl am Platz.

„Geht es ihr gut?“

Die Sorge in ihrer Stimme war die einer Mutter, der Blick jedoch durchdringend, auf der Suche nach kleinsten Hinweisen und Antworten auf Fragen die sie nicht stellen würde.

Langsam nickte er, natürlich entging dies seinen scharfen Augen nicht.

„Ich denke schon. Es war zu erwarten, dass dies passiert. Sie sollten wieder ins Bett gehen.“

Noch während er sprach, begann die Haushälterin ihr Kleid hochzuschieben und ihre Pistole im Strumpfband zu verstauen.

„Und was ist, wenn es wieder passiert?“

Er seufzte. „Machen Sie sich keine Sorge, ich werde wach bleiben. Der Morgen ist so oder so nicht mehr weit entfernt und ich muss noch einige Unterlagen durcharbeiten.“

Kanan schien nicht überzeugt.

„Ich weiß nicht warum, aber irgendwie beschleichen mich leise Zweifel, dass Eure Worte sie wirklich beruhigt haben können.“

„Es ist nicht die richtige Uhrzeit für eine solche Unterhaltung“, entgegnete er mürrisch und stieß sich von der Wand ab.

„Das ist es für Euch nie“, antwortete sie ebenso missmutig.

Doch als er sie ansah, zuckte sie nur mit den Schultern und wandte sich zum Gehen.

Erneut seufzend durchquerte er den Gang und ging in sein altvertrautes Arbeitszimmer. Da hier der Mond nicht durchs Fenster hinein winkte, war es noch düsterer, als im Flur.

Doch seine Augen störten sich nicht groß daran, als er sich hinter seinen Schreibtisch fallen ließ und auf den Wald hinaus starrte.

Er war wütend und besorgt. Gefühle, die er nicht fühlen sollte. Vor allem nicht wegen einem missratenem Schüler.

Mit einer Hand griff er nach der untersten Schublade und zog eine eckige Flasche hervor, in der eine klare Flüssigkeit hin und her schwappte.

Die heutige Nacht brauchte etwas Stärkeres als Wein.
 

-Zorro-

Sein Hals tat ihm weh, seine Augen brannten, seine Glieder schmerzten.

Müde rollte er sich aus dem Laken.

Er wusste nicht, wann er wieder eingeschlafen war, doch erholt war er bei Weitem nicht.

Schwerfällig richtete er sich auf. Mühsam schleppte er sich in das Badezimmer nebenan.

Immer noch verfolgten ihn die Bilder seines Traumes.

Doch während er auf der einen Seite versuchte diese furchtbaren Gedanken zu vergessen, konnte er auch nicht verdrängen, dass er in dieser Nacht in den Armen es besten Schwertkämpfers der Welt geweint hatte. Schon wieder!

So viel zum Thema Stolz.

Erschöpft stand er vor dem übergroßen Waschbecken und vergrub sein Gesicht unter dem kalten Wasserstrahl in der Hoffnung, etwas wacher zu werden.

Kraftlos hielt er sich den Magen. Es fühlte sich immer noch so, als hätte er einige kräftige Schläge einstecken müssen.

Ihm war nie bewusst gewesen, wie sehr der Kopf den Körper beeinflussen konnte, obwohl er das immer ausnutzte, soweit es zu seinen Gunsten ging.

Sein Spiegelbild sah ihn zerknirscht an und zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass tatsächlich er selbst aus dem Spiegel zurück schaute. Traurige Ironie.

Während er es sich so bequem wie möglich auf der Kloschüssel machte, klopfte es an der Tür zum Gästezimmer.

„Hey, Süße, ich bin’s“, erklang sogleich auch die Stimme der Haushälterin, die wie immer ungefragt hereintrat, „Ist alles in Ordnung bei dir?“

„Klar“, antwortete er, doch sah überrascht hinab.

Blut

Er musste sich verletzt haben, deswegen auch die Schmerzen. Vielleicht waren es innere Verletzungen. Chopper hatte ihm oft erklärt, dass Alkohol im Zusammenhang mit hartem Training eine Belastung für den Darm darstellen konnte und es würde ihn nicht überraschen, wenn dieser Körper nicht viel aushalten könnte.

In diesem Moment kam Kanan ins Bad, während er halbnackt auf der Toilette saß.

„Du siehst etwas blass aus“, meinte sie liebevoll, wobei er genau in diesem Moment etwas errötete, „Geht es dir gut?“

„Natürlich“, murmelte er, während er versuchte den Beweis unauffällig verschwinden zu lassen.

„Aber Kind“, lächelte sie liebevoll, „Dafür brauchst du dich doch nicht zu schämen. Das ist ganz normal.“

Überrascht sah er auf.

„Ist es dein erstes Mal?“

„Wie bitte?“

Wie meinte sie das? Hatte sie gesehen, wie Dulacre in der Nacht sein Zimmer verlassen hatte? Was reimte sie sich zusammen?!

„Na, dass du Besuch von Tante Rosa hast?“

„Wer ist Tante Rosa?“, fragte er nach, während er die Spüle betätigte und sich die Hände waschen ging.

Die Haushälterin lachte kurz.

„Ach, so nennen Frauen ihre monatlichen Blutungen, weißt du?“

Für eine Sekunde erstarrte Zorro.

„Was?“

„Ja, ich hab das Blut auf deinem Laken gesehen. Das ist ganz normal, Kindchen. Vermutlich hast du deshalb auch Magenkrämpfe.“

Langsam drehte er sich zu ihr herum.

„Du hast also zum ersten Mal deine Tage?“

Ihm blieb nichts anderes übrig als zu nicken.

„Dann bist du ja wirklich ein kleiner Spätentwickler. Wie alt bist du eigentlich, Süße?“

„20.“

„Ach, tatsächlich? Schon so erwachsen? Aber mach dir keine Sorgen. Jeder Körper ist anders. Es ist völlig in Ordnung, dass Tante Rosa dich erst jetzt besuchen kommt. Das macht dich nicht weniger zu einer Frau oder so. Du hast dir einfach mehr Zeit gelassen.“

Er sah sie ziemlich unbeeindruckt an. Es war nicht wirklich so, als brauchte er ihre Bestätigung, dass alles mit seinem Körper in Ordnung war.

Denn das Einzige, was er sicher wusste war, dass er alles andere als normal war.

„Weißt du denn überhaupt, wofür die monatliche Blutung wichtig ist?“, hakte sie nach, „Weißt du, wenn eine Frau in ein bestimmtes…“

„Ja!“, unterbrach er sie schnell, „Ich meine, Nein. Ich muss dieses Gespräch nicht mit Ihnen führen. Ich weiß, warum Frauen ihre Tage kriegen und ich weiß alles, was es über Sex zu wissen gibt.“

Er konnte nicht verhindern, dass er immer roter wurde.

Er war kein ungebildeter Mann. Selbstredend wusste er solche Dinge über den weiblichen Körper. Auch wenn er selbst vermied, sich genauere Vorstellung über die Periode einer Frau zu machen. Das war nicht so sein Lieblingsthema und er konnte wirklich drauf verzichten, sich mit der Haushälterin darüber zu unterhalten.

„Ich bin wirklich gut aufgeklärt. Sie brauchen sich keine Umstände zu machen.“

Wieder lachte Kanan leise.

„Weißt du denn auch, wie eine Frau die Hilfsmittel anwendet?“

Aus dem nichts zog die ältere Dame mehrere Schachteln hervor und hielt sie ihm entgegen.

„Ich… denke schon“, meinte er, war jedoch selbst nicht überzeugt von seinen Worten.
 

„Okay, Loreen. Ich lass dich jetzt alleine und kümmer‘ mich um dein Bettzeug.“

Er nickte nur dankbar auf die Worte der Haushälterin, die ihm gerade einen zehnminütigen Vortrag über Damenhygieneartikel gehalten hatte und nun das Bad verließ, damit er praktische Erfahrung sammeln konnte.

Vom Nebenzimmer sprach Kanan weiter: „Ich denke, du solltest Training und Tanzstunden heute ausfallen lassen.“

„Wie bitte? Wieso das denn?“ Er konnte nicht ganz den Trotz aus seiner Stimme verbannen.

„Ich bin doch nicht krank, ich habe nur…“ Er konnte diesen Satz nicht vervollständigen, sonst würde er seine gesamte Männlichkeit aufgeben.

„Ich weiß, Kind, ich weiß. Aber du wirst vermutlich heute ziemlich erschöpft sein. Es ist besser wir gehen es etwas ruhiger an.“

Er wollte etwas erwidern, da hörte er bereits die Tür zufallen.

Jetzt war er alleine, er und dieses komische kleine Ding in seiner Hand.

Kapitel 20 - Das Buch

Kapitel 20 – Das Buch
 

-Mihawk-

Die ersten Sonnenstrahlen wärmten seinen Rücken, während er müde irgendwelche Tabellen überflog, die ihm erklären sollten, warum ein Seezug so wichtig für die Inseln sei. Nicht, dass es ihn wirklich interessierte.

Pünktlich auf die Sekunde klopfte es an der Tür und die Haushälterin kam hinein. In der Hand das allmorgendliche Frühstückstablett. Schnell nahm er die Füße vom Schreibtisch, ehe sie ihn wieder erziehen konnte.

Diese Frau hatte nichts mehr mit der wilden Amazone gemein, die er in der vergangenen Nacht im Flur angetroffen hatte.

„Wie geht es Loreen?“, grüßte er sie, ohne aufzublicken und nahm ihr das Tablett ab.

„Sie scheint klar zu kommen“, antwortete Kanan und ging um den großen Schreibtisch herum, um einige Fenster zu öffnen, „Allerdings wird das Training heute ausfallen müssen.“

Überrascht sah er von seiner Zeitung auf. „Wieso? Hat sie sich verletzt?“

„Nein, nein.“ Die Stimme der älteren Dame war nicht besonders Besorgnis erregend. „Sie hat nur Besuch von Tante Rosa.“

„Ach so.“ Blut schoss in seine Wangen. „Wenn das so ist, ja, Sie haben wohl Recht. Es ist wohl wirklich sinnvoller…“

„Jetzt beruhigt Euch wieder.“ Die Haushälterin grinste ihn an. „Das ist was ganz Natürliches. Sie hat nicht die Krätze.“

„Na, das weiß ich doch“, antwortete er eine Spur zu schnell.

„Gut“, sagte sie und goss ihm den Kaffee ein, „Dann benehmt Euch auch nicht so.“ Ehe er antworten konnte, zog sie ein Buch unter dem Tablett hervor. „Was ist denn das? Ich wusste gar nicht, dass Ihr Bücher lest.“

Erneut hob er den Blick von den gedruckten Buchstaben.

„Wollen Sie etwas Bestimmtes andeuten?“

„Natürlich nicht.“ Doch sie schürzte die Lippen und öffnete das Buch.

„Sie können dieses Buch nicht lesen.“

„Wieso nicht? Ist es exklusiv für Männer mit groben Manieren?“

Sie schien wirklich verstimmt. Er vermutete stark, dass sie darüber wütend war, dass er die Nacht zum Piraten geeilt war, bevor sie herausfinden konnte, was passiert war.

„Ich würde gerade zu gerne Ja sagen, da Sie mir als meine Angestellte eine zu scharfe Zunge an den Tag legen. Fakt ist jedoch, dass dieses Buch in einer toten Sprache geschrieben wurde. Lassen Sie mich also meine Aussage korrigieren. Selbstverständlich dürfen Sie dieses Buch lesen. Ich bezweifle nur, dass Sie dazu in der Lage sind.“

Er ließ seinen Blick wieder auf die Zeitung in seinen Händen sinken.

„Da ist aber jemand schlecht gelaunt“, kommentierte Kanan, die mit dem Buch zur Tür ging, „Wir beide wissen, dass Ihr mich gerade wegen meiner scharfen Zunge so mögt, genau wie unseren jungen Gast. Aber ich versteh schon, dass Ihr etwas verstört seid über Tante Rosas Besuch.“ Damit ging sie.

Er konnte nicht anders, als sich kurz zu schütteln, eher er seine Lieblingslektüre aufschlug.
 

-Zorro-

Wie nach einem kleinen Sieg reckte er beide Hände in die Höhe, ehe er eilig zum Waschbecken huschte und sie schnell wusch.

Er war erfolgreich gewesen. Er hatte es geschafft. Er hatte wahrlich die Herausforderung einer Frau gemeistert.

Halt, das hörte sich falsch an. Wirklich, wirklich falsch.

Außerdem hatte er nicht viel mehr geschafft, als einen Watteknubbel in eine Öffnung einzuführen, die er vor einigen Tagen noch nicht mal hatte.

Dieser Gedanke war ziemlich eklig.

Seufzend ging er zurück ins Zimmer. Dies war leider der Beweis, dass er eine waschechte Frau war.

Nicht, dass er das wirklich groß angezweifelt hatte, schließlich kannte er ja die körperlichen Unterschiede beider Geschlechter. Aber bisher hatte er das Gefühl gehabt, dass sich nur die Hülle um ihn herum geändert hatte und er im Inneren noch ein richtiger Kerl war.

Mit einer Hand drückte er gegen den flachen Bauch, während ihn in den Tiefen seiner Organe ein erneuter Krampf begrüßte.

Es machte ihm etwas Angst. Er war eine richtige Frau, dies bedeutete auch… Er konnte diesen Gedanken nicht beenden. Er wusste, was das bedeutete.

Zumindest theoretisch war er in der Lage schwanger zu werden.

Verdammte Scheiße!

Mit zitternden Händen fuhr er sich durchs offene Haar. Das war alles so real, so wirklich.

Erst dieser verdammte Traum und jetzt das.

Er musste unbedingt wieder ein Mann werden! Besser heute als morgen!

Eilig zog er sich an.

Es war ein einfaches schwarzes Kleid aus weichem Stoff, welches sehr locker und bequem saß, doch selbst das schien auf seiner Haut zu kratzen.

Auf nackten Füßen verließ er das Zimmer und begab sich in die Küche.

Dort wartete schon ein herrliches Frühstück auf ihn und die Haushälterin, die offensichtlich in einem Buch schmökerte.

„Was lesen Sie da?“, fragte er, ließ sich auf seinen Schemel fallen und begann zu essen. Er hatte unglaublichen Hunger.

„Oh, überhaupt nichts. Es ist nur ein Buch, das der Herr oben hatte, aber es ist eine tote Sprache.“

Sie hielt es ihm entgegen und er musste aufpassen, dass er sich nicht verschluckte, denn es war das Buch von der Geschichte, die er vor so vielen Abenden dem anderen erzählt hatte. Die Sage Hakuryuus.

„Du kennst dieses Buch?“ Kanans scharfem Blick entging absolut nichts. Er nickte nur.

„Nun gut.“ Sie war aufgestanden und legte das Buch neben seinen Teller, ohne genauer nachzufragen.

„Der junge Herr schien auf jeden Fall sehr interessiert. Er bedauert offensichtlich, dass er es nicht lesen kann.“

Für einen Moment sahen sie einander einfach nur an und Zorro hatte das Gefühl, dass sie ihn las wie ein offenes Buch.

„Wie dem auch sei. Meine Töchter sollten jeden Moment da sein, für die erste Anprobe. Also iss schnell auf und dann lass uns loslegen.“ Sie klatschte freudestrahlend in die Hände und wollte gehen.

„Kanan.“

„Ja, meine Liebe?“

Er drehte sich nicht zu ihr um, sondern betrachtete das wertvolle Buch vor ihm.

„Sie haben mich heute nach meinem Alter gefragt. Das ist das erste Mal, dass Sie etwas Persönliches von mir wissen wollten. Sie wissen nicht, wer ich bin und trotzdem sind Sie so freundlich zu mir. Warum? Warum fragen Sie nicht?“

Hinter ihm ertönte ein sanftes Lachen, doch er starrte stur auf das kleine Buch.

„Aber Loreen, was für ernste Gedanken. Mach dir keine Sorgen, ich weiß doch genau wer du bist. Du bist so ein liebes Kind, natürlich kann ich gar nicht anders, als dich zu bemuttern.“

Im nächsten Moment war er alleine in der Küche.

Er würde ihr wohl nie die Wahrheit sagen können ohne ihr das Herz zu brechen.
 

Eine Stunde später stand Zorro in der Mitte eines großen Ankleidezimmers, in nicht mehr als seiner Unterwäsche und hochhackigen Schuhen, mit ausgestreckten Armen, während drei Frauen um ihn herum wuselten.

Kanan und ihre jüngste Tochter, Koumyou Seira standen über einen Katalog mit Stoffproben in verschiedenen Farben gebeugt und diskutierten lautstark.

Die älteste Tochter maß währenddessen Zorro aus. Ihre entspannten haselnussbraunen Augen und ihr sanftes Lächeln schienen nie aus der Ruhe zu kommen. Neben den anderen beiden Frauen in ihrer Familie wirkte sie sehr zurückhaltend und konnte leicht übersehen werden, obwohl sie sehr hübsch war, selbst im Alter.

Im Grunde wirkte sie durch ihre Lachfältchen etwas älter als Kanan, der sie im Übrigen mit ihren Grübchen und dem dünnen braunen Haaren kaum ähnlich sah.

Während sich ihre Mutter und Schwester über Kleinigkeiten stritten, arbeitete sie fleißig weiter und ließ sich in keine Diskussion einfädeln.

„Vielleicht solltet ihr einfach Loreen fragen, welchen Farbton sie schöner findet.“ Ihr schwaches Stimmchen ging beinahe unter, doch ihr Lächeln, welches sie Zorro schenkte, war warm und herzlich.

Sie wirkte so unscheinbar, dass der Pirat bereits ihren Namen vergessen hatte, was aber nicht weiter schlimm war, denn alle nannten sie eh nur Mausi.

„Mausi hat Recht, Mutter.“ Die jüngste Tochter hob den Katalog hoch und hielt ihn Zorro entgegen.

„Was denkst du, Loreen? Dieser Stoff hier trifft die vorgegebene Farbe aus der Einladung doch am besten oder?“ Im nächsten Moment hielt sie das Kärtchen aus der Einladung daneben, auf der ein Muster für Zorros Kleidfarbe abgedruckt war.

„Aber nein“, widersprach Kanan, „Ich denke der Stoff unten rechts ist viel passender. Was denkst du Loreen?“

Ohne sich wirklich bewegen zu können, da Mausi ihn weiter ausmaß, starrte er den Katalog an.

„Also um ehrlich zu sein, sieht das alles für mich genau gleich aus.“ Ungläubig klappten die Münder der beiden Frauen auf.

„Fragen Sie doch einfach Dulacre, was ihm lieber ist.“

„Du hast das System nicht verstanden!“, brüllte die Frau des Bürgermeisters und warf den Katalog nach ihm, der seine Schulter nur um Haaresbreite verfehlte.

„Er darf nicht wissen, welche Farbe dein Kleid hat“, stimmte auch Kanan aufbrausend zu.

„Das ist noch lange kein Grund, mit Büchern zu werfen“, wandte Mausi ruhig ein, ohne in ihrer Tätigkeit inne zu halten, „Wir wollen ja schließlich nicht noch mehr blaue Flecken, oder?“ Darauf sagte niemand etwas.

Zorro konnte es nicht ändern. Dieser Körper war einfach zu fragil. Von den Tanzstunden und dem Training des vergangenen Tages hatte er blaue Flecken an Knien, Schienbein und Hintern.

In der Nacht hatte er sich selbst die Schultern blutig gekratzt und sein linkes Handgelenk war leicht geschwollen, da er auf ihm gelandet war, als er aus dem Bett gefallen war.

Es war ziemlich lächerlich, dass solche Kleinigkeiten ihre Spuren hinterließen.

„Sie ist halt wie eine Porzellanpuppe“, lachte Mausi leise, ehe sie weiterarbeitete.

„Hast du denn eigentlich einen speziellen Wunsch, Loreen?“, fragte sie ihn dann, „für das Kleid oder die Maske? Man sieht es uns vielleicht nicht unbedingt an, aber wir sind wirklich sehr begabte Schneiderinnen und meine Tante wohnt auf dem Sabaody Archipel und kommt an die ausgefallensten Stoffe dran. Also keine Scheu.“

Einen Moment sahen ihn wieder alle an.

„Also, ich hab nicht wirklich Ahnung von solchen Dingen. Es sollte bequem sein, sodass ich mich gut drin bewegen kann.“

„Ich hab schon ein paar ganz tolle Ideen“, rief Kanan überglücklich und fing an wie verrückt auf einen Zettel zu kritzeln.

In diesem Moment klopfte es an der Tür, ehe diese sich einen Spalt weit öffnete.

„Nicht reinkommen!“, brüllte Frau Koumyou sofort, „Hier steht ein entkleidetes Fräulein. Zeigt Anstand.“

Ein genervtes, tiefes Seufzen kam von der anderen Seite der Tür.

„Dies ist immer noch mein Haus, Frau Koumyou, bitte zeigen Sie etwas Anstand“, antwortete Falkenauge kühl, „Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich nochmal nach Suzuno muss und erst heute Abend wieder da sein werde.“ Für einen Moment wurde er ruhig. „Und nur so nebenbei. Es ist nicht so, als hätte ich Loreen noch nie nackt gesehen.“ Dann schloss er die Tür und ging.

Zum wiederholten Male sahen ihn Kanan und ihre jüngste Tochter fassungslos an, während Mausi noch nicht mal aufschaute.

„Wie bitte?“

„Gibt es etwas, das du uns sagen solltest?“

„Kind, er ist viel zu alt für dich!“

Er ließ sie noch ein paar Sekunden verzweifelt auf ihn einreden, da er sie eh nicht unterbrechen konnte und holte tief Luft. Das würde ein sehr langer Tag werden.
 

-Mihawk-

Es war kurz vorm Dunkelwerden, als er das alte Herrenhaus wieder erreichte. Müde und gereizt wegen der unnötigen Zeitverschwendung. Es missfiel ihm außerordentlich, dass die Marine seine derzeitige Anwesenheit auf Sasaki ausnutzte, um ihn wegen jeder Kleinigkeit herbei zu zitieren.

Im Flur konnte er aufgrund der fehlenden Schuhe davon ausgehen, dass die beiden Töchter Kanans bereits den Heimweg angetreten hatten, auch wenn er ihnen nicht begegnet war.

Da der Arbeitsmantel der Haushälterin ebenfalls fehlte, vermutete er, dass sie hinterm Haus war und Gartenarbeit erledigte, wie sie es gerne in der Abenddämmerung zu tun pflegte.

„Na, Lorenor. Wie war dein Mädelstag?“ fragte er lauthals und fies grinsend, als er ins Wohnzimmer trat.

Dunkelheit begrüßte ihn.

Sein Gast war nicht da.

Vermutlich war er schon schlafen gegangen, obwohl es noch nicht mal Abendessenszeit war.

So ein Besuch von Tante Rosa war anscheinend etwas zu viel für die frischgebackene Frau, dazu hatte er die Nacht offensichtlich nicht gut geschlafen.

Trotzdem konnte Dulacre nicht verhindern, dass er erst in der Küche, dann im Esszimmer und schließlich auch im Trainingsraum nach dem Piraten guckte.

Er war nicht da.

Ein bisschen verstimmt ging er die Treppe hoch.

Es war nicht so, als hätte er von dem anderen erwartet, dass dieser auf seine Rückkehr warten würde, aber es wäre wohl schön gewesen, zumindest ein angenehmes Gespräch an diesem Tag zu führen.

Ein Luxus, an den er sich in den letzten Tagen zu schnell gewöhnt hatte.

Leise klopfte er gegen die Gästezimmertüre, bekam jedoch keine Antwort. Vorsichtig öffnete er die Tür, doch das Bett war frisch gemacht und das Zimmer leer im schwindenden Licht der Sonne.

Wo war sein Wildfang denn?

Dulacre wusste, dass der Pirat nicht einfach in die verschlossenen Schlaf- und Aufenthaltsräume seiner Eltern oder seiner Schwester gehen würde. Ebenso sah er keinen Grund, warum der andere die Bedienstetenzimmer aufsuchen sollte.

Der begehbare Kleiderschrank seiner Mutter, der schon immer als Schneidereiraum und Ankleidezimmer sämtlicher Familienmitglieder diente, war abgeschlossen. Die Anprobe war also definitiv vorbei.

Selbst in seinen privaten Räumen sah er nach, fand jedoch nur die übliche Kälte drin vor.

Ob Lorenor alleine das Haus verlassen hatte?

So abwegig war der Gedanke nicht. Er sollte Kanan fragen gehen.

Auf dem Weg zurück zur Treppe kam er wieder am Gästezimmer vorbei und blieb stehen.

Von der anderen Seite des Flurs, also aus seinem Arbeitszimmer, konnte er ganz leise Musik vernehmen.

Etwas misstrauisch öffnete er die Tür und betrat sein Büro.

Bis auf die Schreibtischlampe war auch dieses Zimmer dunkel.

Der uralte Schallplattenspieler spielte leise vor sich hin. Dulacre konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er ihn zuletzt benutzt hatte, ob er ihn je benutzt hatte, dass er ihn überhaupt hatte.

Die Glastür zum Balkon war weit geöffnet und ein frischer Wind wehte hinein.

Auf der anderen Seite der gläsernen Wand leuchteten mehrere Kerzen, sowie ein paar Laternen.

Langsam durchquerte der Samurai den Raum und trat in den Türrahmen.

Draußen saß der Pirat auf einem der Stühle. Die offenen Haare verdeckten sein Gesicht, während er tief gebeugt über den kleinen Tisch lehnte. Eine kaum angebrochene Weinflasche und ein halbgefülltes Glas standen neben ihm.

Die kleinen nackten Füße lugten unter dem Tisch hervor und lagen auf dem anderen Stuhl.

Der Pirat schien etwas zu schreiben, denn die Flüssigkeit im Glas schwappte bei jeder leichten Bewegung hin und her.

Lorenor hatte ihn noch nicht bemerkt. Zu vertieft in seiner Arbeit.

Und so beobachtete er das Mädchen im Schein des Kerzenlichtes, während die Welt um sie herum immer dunkler wurde.

Er hatte es nie gemocht, wenn jemand ungefragt in sein Büro ging. Dieser Raum und sein Schlafzimmer waren sein Reich. Doch aus welchem Grund auch immer, störte es ihn gerade überhaupt nicht.

„Wie lange willst du mich noch anstarren?“

Oh, der andere hatte seine Anwesenheit anscheinend doch bemerkt.

„Dir auch einen schönen Abend“, entgegnete er gelassen.

Mit ruhigen Bewegungen nahm er das Black Sword von seinem Rücken und lehnte es gegen seinen Schreibtischstuhl, ehe er hinaus auf den Balkon trat und sich auf dem Geländer niederließ, da beide Stühle vom Jüngeren beansprucht wurden.

„Wie war dein Tag?“

Sowohl überrascht als auch etwas entnervt sahen die grünen Augen kurz zu ihm auf, bevor Lorenor wieder den Kopf senkte und sich auf die Blätter vor ihm konzentrierte, in seinem Schoß lag unverkennbar die dunkelrosa Wärmflasche der Haushälterin.

Tatsächlich schrieb er fleißig vor sich hin, während er mit der freien, rechten Hand immer wieder eine Seite in einem Buch umblätterte. Wahrscheinlich machte er sich Notizen.

„Was willst du hören?“ Zorros Worte waren ruhig, nicht aggressiv. „Kanan und ihre Töchter sind unglaublich anstrengend und ich kann nicht glauben, dass wir heute nicht trainieren, nur wegen… so etwas.“ Er blätterte leise eine weitere Seite um. „Und wie war es bei dir?“ Es klang weniger nach ehrlichem Interesse als nach einer höflichen Floskel, was äußerst ungewöhnlich für den Piraten war.

Dulacre beobachtete seinen Wildfang, der trotz ihrer Unterhaltung nicht aufgehört hatte vor sich hin zu schreiben.

„Langweilig“, antwortete er knapp, „Mir wurde mitgeteilt, dass ich mich in den nächsten Wochen nicht mehr auf längere Reisen begeben soll.“

Sein Gegenüber sah ihn fragend an.

„Wieso das denn?“ Dies war nun tatsächlich Neugierde, ohne falsche Höflichkeit.

Er zuckte mit den Schultern.

„Das wurde mir nicht gesagt. Allerdings gehe ich davon aus, dass alle sieben Samurai in Mary Joa versammelt werden sollen und ich deswegen in unmittelbarer Nähe bleiben soll.“

Für einen Moment hörte der Grünschopf mit seinen Notizen auf.

„Das hört sich nach was Ernstem an“, murmelte er, seinem Blick problemlos standhaltend, „Steht uns ein Krieg bevor?“

Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er sich etwas zurücklehnte und die Arme verschränkte. Sein Schüler war gar nicht so dumm, wie er immer tat.

Dann nickte er:

„Das vermute ich zumindest. Irgendetwas geht in der Welt vor, was die Marine möglichst klein halten will. Deswegen auch dieses unnötige Interesse an Lady Loreen und Zeitungsartikel über Hochzeiten und Krönungen anstelle über Piraten und Gesetzeslose.“

Lorenor nickte nachdenklich.

„Als Ablenkung.“

Eine Sekunde sahen sie einander ernst an. Einvernehmlich darüber, dass etwas Großes die Welt erschüttern würde, wenn tatsächlich alle Samurais eingeladen wurden.

„Weißt du schon wann?“

Dulacre schüttelte den Kopf.

„Wenn dieses Ereignis schon kurz bevorstehen würde, hätte man mich direkt nach Mary Joa bestellt. Und da die anderen Samurai erst einmal bis hier kommen müssen, gehe ich davon aus, dass wir noch Zeit haben. Soweit ich weiß, braucht alleine die Piratenkaiserin mehr als ein paar Tage um aus dem Calm Belt zur Red Line zu gelangen. Wenn sie überhaupt kommt. Sie ist eine verwöhnte Zicke. Der arme Typ, der sie benachrichtigen muss.“

„Wäre es dann nicht sinnvoller, den Ball abzusagen, wenn ein Krieg bevorsteht?“ Die sanfte Stimme des Mädchens klang ernst und erwachsen.

„Nein, das würden die Aristokraten nie zulassen. Außerdem muss doch der Schein gewahrt werden. Die Bevölkerung würde merken, dass etwas nicht in Ordnung wäre, wenn ein solch bedeutungsvolles gesellschaftliches Ereignis abgesagt werden würde. Mach dir keine Hoffnungen, Lorenor. Da kommen wir nicht mehr raus.“

Zustimmend, wenn auch ein wenig geknickt, nickte der Jüngere, ehe er wieder zu schreiben anfing.

„Du bist Linkshänder?“

Erneut sah sein Gast ihn mit dieser Mischung aus Überraschung und Genervtheit an.

„Offensichtlich.“

„Was schreibst du da?“

Zu seinem Erstaunen schlug sein Wildfang das kleine Buch zu um es vor ihm zu verbergen.

„Nichts Wichtiges.“

Doch genau das war sein Fehler gewesen, denn nun konnte er im schimmernden Kerzenlicht den Rücken vom Buch ausmachen und wusste sofort, um welche Geschichte es sich handelte.

Wieder musste er leise schmunzeln.

„Du brauchst dir keine Notizen zu machen. Du bist eh der einzige, der mit diesen Büchern was anfangen kann. Sie gehören dir. Du kannst sie mitnehmen, wenn du zu deiner Crew zurückkehrst.“

Er wusste nicht, ob es am Kerzenlicht lag, aber Lorenor schien zu erröten als er wegsah.

„Ach was“, murmelte er, „Ich mache gar keine Notizen.“

Zweifelnd griff Dulacre nach dem Stapel bereits beschriebener Blätter und zog sie zu sich, ehe der Grünschopf reagieren konnte.

„Nicht! Ich bin noch nicht fertig.“

Mit großen Augen ließ er seinen Blick über die Zeilen aus einfachen, eleganten Buchstaben gleiten.

Es waren keine Stichpunkte. Es war eine Geschichte.

„Du hast eine schöne Handschrift.“ Das war nicht wirklich das, was er sagen wollte.

„Normalerweise nicht“, antwortete der Pirat und hob seine linke Hand in die Höhe um sie genauer zu betrachten, „Ich glaube das liegt an diesen kleinen Händen. Ich bin auch deutlich langsamer als sonst.“

„Du hast dir also vorgenommen es zu übersetzen?“, stellte er nun die gewollte Frage.

„Naja, ich hab mir gedacht, dass das schneller geht, als wenn ich dir beibringe, wie man es liest.“

Überrascht sah er den anderen an, der immer noch peinlich genau seine Hand begutachtete und so seinem Blick auswich.

„Kanan hat mir erzählt, dass du diese Bücher gerne lesen würdest und da ich heute eh nicht viel Sinnvolles machen konnte…“

Lorenor beendete seinen Satz nicht, doch Dulacre konnte nicht anders als ihn anstarren.

Damit hatte er nicht gerechnet.

„Außerdem konnte ich mich nicht genügend entspannen um zu meditieren. Diese verfluchten Krämpfe.“

Der Samurai lachte schwach:

„Meiner Ansicht nach ist das kein großer Verlust. Du weißt, dass ich nichts von dieser Trainingsmethode halte.“ Doch seine Gedanken lagen bei etwas ganz anderem.

„Danke“, murmelte er ruhig und ehrlich.

Er war wirklich dankbar. Er hätte den anderen nie darum gebeten, sein Stolz hätte es ihm verboten. Er hätte es ihm nie gebeichtet, aber seitdem er von diesen 13 Pfaden der Schwertkunst erfahren hatte, wollte er unbedingt diese Bücher lesen.

Jeder wahre Schwertkämpfer würde über diese Anfänge der Kampfkunst lernen wollen. Doch diese Sehnsucht hätte er nie zugegeben. Hätte sich nie erlaubt, diese Schwäche einzugestehen.

Und nun hielt er die ersten Seiten dieses Werkes in seinen Händen.

„Ich bin noch nicht so weit gekommen“, flüsterte Lorenor beinahe, ohne auf seinen Dank zu reagieren, „aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich zumindest das erste Buch schaffen werde, ehe die anderen auf Sarue ankommen.“

Das unbekannte Glücksgefühl erhielt einen plötzlichen Dämpfer, als er daran dachte, dass der anderen ihn in einigen Tagen bereits wieder verlassen würde.

Wie hatte er sich in so schneller Zeit so sehr an ihn gewöhnen können?

Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Der Grünschopf hatte währenddessen wieder angefangen fleißig weiterzuschreiben und so begann Dulacre zu lesen.

„Ich muss mich auch bedanken.“ Die Stimmlage seines Gastes klang zwar eher beleidigend, aber daran war der Samurai mittlerweile gewöhnt, ohne dass es ihn stören würde. Als würde er ein scheues Rehkitz verfolgen, ließ er seinen Kopf gesenkt.

„Selbstredend. Aber was meinst du jetzt speziell?“ Nun gut, mehr Vorsicht konnte man nicht von ihm verlangen. Schließlich war dieses Rehkitz in Wirklichkeit ein gefährlicher Wolf.

Sein Wildfang rollte mit den Augen ohne aufzusehen.

„Für… für heute Nacht“, antwortete er deutlich leiser als zuvor.

Dem Samurai wurde es auf einmal ganz warm um die Nasenspitze.

„Pass besser auf deine Wortwahl auf, wenn Kanan in der Nähe ist. Sie würde da viel zu viel rein interpretieren und ich möchte nie wieder das Gespräch über die Verhütung mit ihr führen müssen.“

Lorenor lachte leise.

„Wem sagst du das, ich hatte das heute Morgen hoch zwei, weil du deinen Mund nicht halten konntest.“ Einen Moment kreuzten sich ihre Blicke.

„Aber das meinte ich gar nicht. Danke, dass du nicht gefragt hast, was passiert ist.“

Der Ältere ließ die Blätter in seiner Hand sinken. Für einen Moment konnte er die Spannung greifen. Dann fing er sich wieder, schlug die Beine übereinander und betrachtete erneut die Zeilen vor sich.

„Das hatte nichts mit Mitgefühl zu tun, Lorenor.“ Er konnte die Augen des anderen auf sich fühlen. „Es war ziemlich offensichtlich, wovon du geträumt hast. Außerdem war dein nächster Nervenzusammenbruch längst überfällig.“

„Wie bitte?!“

Ach, er liebte es, wenn die Stimme seines Gastes so gereizt wurde.

„Jetzt reg dich bitte nicht so künstlich auf“, entgegnete er, als er aufstand und nach der Lehne des freien Stuhls griff. Wie auf Geheiß zog Lorenor die Füße ein, sodass er sich dem Jüngling gegenüber hinsetzen konnte.

„In deiner momentanen Lage war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du früher oder später einen Albtraum haben würdest. Frauen neigen verstärkt dazu, in ihrer menstrualen Phase schlecht zu schlafen und dann hatten wir auch noch Vollmond.“

„Wird das hier jetzt eine esoterische Sitzung?“

Wieder sahen sie sich kurz an, bevor der Jüngere schnell den Blick senkte und weiterschrieb.

„Und dazu kommt, dass du nur von drei möglichen Szenarien hättest träumen können.“

„Woher willst du das denn überhaupt wissen?“

Dulacre zuckte mit den Schultern.

„Weil es genau drei Dinge gibt, die dir Angst machen würden.“ Wieder schlug er die Beine übereinander.

„Die erste Möglichkeit wäre gewesen, dass Kanan dich in ein knallpinkes Kleid gesteckt hätte. Daran habe ich zuerst gedacht, als ich deine Schreie gehört habe. Wusste aber, dass es nicht das war, als ich dich gesehen habe.“

„Und woher das?“, knurrte der andere, sichtlich gereizt.

„Naja, wenn es das gewesen wäre, hättest du im Schlaf versucht dir die Klamotten von deinem Leib zu reißen.“

Sie beide erröteten für eine Sekunde.

„Und die zweite Möglichkeit?“, murmelte Lorenor schnell.

„Es wäre wohl ein hoffnungsloser Kampf gegen mich gewesen, den du natürlich verloren hättest.“

Erschrocken schnellte der Blick seines Gastes nach oben.

„Aber auch das konnte ich verneinen, nachdem ich deine Worte gehört hatte. Daher war es offensichtlich, dass du nur von deiner Crew geträumt haben konntest.“

„Ich werde nie Schach mit dir spielen“, murrte der Pirat ungläubig, „Hast du zu viel Freizeit oder so, dass du dir um sowas Gedanken machst?“

Problemlos erwiderte er den Blick seines Schülers.

„Du überraschst mich. Du kennst Schach?“

„Nicht nur Schach“, knurrte Lorenor wie eine Drohung.

„Wie dem auch sei“, erwiderte er und griff nach dem Weinglas des Grünschopfes, „wenn es dich beruhigt, möchte ich dir sagen, dass ich diese Sorgen aus deinem Traum für unbegründet halte. Solche Ängste sind nichts weiter als unnötige Zeitverschwendung und erschaffen nicht vorhandene Probleme.“

Sein Gegenüber entgegnete nichts, während er das Glas mit einem Schluck leer trank.

Es war ein guter Wein, auch wenn er für ihn ruhig noch herber sein durfte.

„Das, worüber du dir eigentlich Sorgen machen solltest, wenn man mal von der ganzen Geschichte mit diesem Ball absieht, ist eher, wie weit du mit deinem Plan bist, wieder ein Mann zu werden.“

Der Jungspund sah weg.

„Ich schließe daraus, dass du noch nicht weiter gekommen bist?“

Zorro verschränkte die Arme.

„Das ist nicht so einfach, okay? Es ist nicht so, als müsste ich einfach nur einen Kuchen nach Rezept backen, klar?“

„Nicht, dass du backen könntest.“

„Du bist keine große Hilfe, weißt du?“

„Wir beide wissen, dass ich dir helfen könnte, wenn du mir nur sagen würdest, was das Problem ist.“

Mit einem leichten Grinsen lehnte er sich zurück.

„Wir beide wissen auch, dass das nicht passieren wird.“ Lorenor grinste nicht weniger böse. Doch dann wurde sein Gesicht recht bedrückt.

„Was ist denn los, Kleiner?“, neckte er den anderen bewusst weiter.

„Nenn mich nicht Kleiner.“

„Mal sehen.“ Er sah ihn weiterhin herausfordernd an. „Also?“

„Bitte.“

Überrascht weiteten sich seine Augen.

„Ich weiß, ich soll auf mich Rücksicht nehmen, aber bitte, lass uns noch ein paar Stunden trainieren.“

Langsam sah er zum Himmel hinauf.

„Ist das denn sinnvoll, bei deinem aktuellen Zustand?“

„Ich bin nicht krank, ich hab nur…“ Mit jedem Wort war der andere leiser geworden.

„Na gut, meinetwegen. Aber verrat es bloß nicht Kanan.“

Kapitel 21 - Die Fähigkeit

Kapitel 21 – Die Fähigkeit

 

-Mihawk-

„Ist das alles was wir brauchen?“, fragte er und überflog noch einmal die Liste in seiner Hand.

„Ich glaube schon“, erklang hinter ihm die weiche Stimme seiner Begleitung, „Wir müssen nur noch die Bestellung abholen.“

„Was für eine Bestellung?“ Neben ihm tauchte Lorenor auf und reichte ihm eine weitere Tasche voller Gemüse.

Dieser rollte mit den Augen.

„Die verdammten Schuhe, für den Ball.“

„Ach, die sind noch nicht da? Es sind doch nur noch ein paar Tage.“

„Eben deshalb“, erwiderte dieser nur leicht säuerlich und schritt an ihm vorbei zum Ladenausgang.

Lorenor hatte sich verändert. Das musste er zugeben. Seit sein Wildfang hier auf Sasaki aufgetaucht war, hatte er begonnen zu reifen, doch es war mehr als das. Nicht nur, dass er mittlerweile relativ sicher auf den hohen Absätzen laufen konnte, auch seine ganze Körperhaltung hatte sich bereits gewandelt. Von Arroganz zu Stolz, von Aggressivität zu Selbstbewusstheit. Doch vor allem seine Art war anders. Und das alles innerhalb von so wenig Zeit, es kam ihm vor, wie kaum ein Tag.

Neugierig beobachtete er, wie Lady Loreen in einem himmelblauen Kleid mit passender Kette und Armreif zwischen den Marktständen umherging, sich mit verschiedenen Leuten unterhielt, höflich lächelte und nebenbei noch die Einkäufe erledigte, um die Kanan sie gebeten hatte.

Hier draußen, umgeben von fremden Menschen, war Lorenor weniger er selbst und mehr wie Loreen. Das freundliche Mädchen, von den Leuten gemocht und die Unschuld in Person. Zierlich und zerbrechlich wie eine zarte Rose.

Dulacre freute sich darauf, wenn sie wieder im Trainingsraum sein würden, denn er bevorzugte den nervtötenden Schwertkämpfer vor dem süßen Mädchen vom Lande. Denjenigen, der ihm Paroli bieten konnte und dies auch nur zu gerne tat.

In wenigen Schritten hatte er ihn eingeholt, während dieser einen handlichen Karton entgegen nahm.

„Hawky, Loreen!“

Überrascht wandten sich beide um.

Konteradmiral Cho, ausgestattet mit Anzug, Mantel und Marinekappe, welche seine blonden Locken kaum bändigen konnte, eilte ihnen breit grinsend entgegen.

„Man, ich hab’s gerade erst gehört“, lachte er breit, als er außer Atem vor ihnen zu stehen kam.

„Was hast du gehört?“, fragte Dulacre misstrauend, während Jirou Lorenors Hand überschwänglich schüttelte.

„Na, dass ihr auch zum Ball eingeladen seid. Ich freu mich ja so. Lirin kann es kaum erwarten dich kennen zu lernen, Loreen.“

„Jirou. Es sieht aus, als wärest du noch mitten bei der Arbeit. Also, was willst du?“ Der Samurai hatte kein Interesse an höflichem Geplauder.

„Scharfsinnig wie immer, mein lieber Hawky.“ Der Konteradmiral grinste breit.

„Also?“ Er legte den Kopf leicht schief und sah seinen Kindheitsfreund ernst an.

„Ich wollte euch eigentlich nur sagen, dass ich aktuelle Daten über die Strohhüte habe.“

Sowohl Lorenor als auch er selber erstarrten für einen Atemzug, wenn auch aus verschiedenen Gründen.

„Was heißt das?“, fragte der Pirat ernst und drückte Dulacre seinen Schuhkarton unter die Armbeuge, ohne den Blick vom Blondschopf zu nehmen.

Doch der Marinemann bemerkte die plötzliche Anspannung anscheinend nicht.

„Sie sind immer noch gut auf Kurs, aber es scheint, als kämen sie besser voran als gedacht. Ich denke, sie werden schon ein bis zwei Tage früher auf Sarue ankommen.“

„Bist du extra zu uns gerannt, nur um uns das zu sagen?“

Dulacre hätte gerne die Arme verschränkt, doch angesichts des ganzen Krempels, den er trug, war das unmöglich.

Jirou nickte: „Und weil es morgen veröffentlich wird?“

„Was denn?“, hakte der Pirat neugierig nach.

Doch der Blondschopf hatte sich nun hauptsächlich dem Samurai zugewandt und sein Blick wurde ernst.

„Der Tod von Piratenjäger Lorenor Zorro ist mittlerweile offiziell bestätigt worden. Da er weder an Bord des Piratenschiffs noch in Nähe der Senichi-Inseln gesichtet wurde, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass wirklich sein kompletter Körper verbrannt ist. In der morgigen Zeitung wird sein Kopfgeld aufgehoben.“

„Ach, wirklich?“ Vielmehr fiel dem sprachgewandten Samurai in diesem Moment nicht ein, während seine Begleitung seltsam ruhig wurde.

„Da waren deine Kollegen aber mal ziemlich fleißig. Ganz ungewöhnlich für Beamte. Woran lag’s? Normalerweise dauert so ein Vorgang doch mindestens einen Monat.“

Nun verschränkte Jirou seine Arme.

„Da hast du schon Recht. Ich vermute, dass die Marine den Fall zügig abschließen möchte, damit beim großen Ball nicht mehr nur über die G6 gesprochen wird.“

Er seufzte:

„Und die glauben ernsthaft, dass das funktioniert, wenn Hakkai höchstpersönlich da auftaucht?“

Dann fiel Dulacres Blick auf den Piraten an seiner Seite.

„Wie dem auch sei. Jirou, es tut mir leid, aber Loreen und ich sollten uns jetzt auf den Heimweg machen. Kanan wartet sicher schon dringlich auf uns.“

„Sie wird sich mehr über den Kohl freuen“, kommentierte Lorenor unbeeindruckt, wieder mehr er selbst.

Nachdem sie sich von dem Konteradmiral verabschiedet hatten, machten sie sich auf den Weg zurück zum Herrenhaus, nun in ungewohnt stiller Gesellschaft.

Der ruhige Pirat blieb plötzlich stehen, als sie den Rand des Marktplatzes erreicht hatten.

„Was ist denn?“

Doch sein kleiner Wildfang reagierte nicht, sondern begutachtete einen kleinen Stand, ein paar Meter entfernt. Einen Moment betrachtete er den anderen.

„Gibt es da etwas, was du kaufen möchtest?“

Wie auf frischer Tat ertappt, schüttelte der Grünschopf schnell den Kopf.

„Es ist nichts.“

„Ach komm, wenn du etwas willst, dann sag es nur.“

Doch Lorenor schüttelte erneut nur den Kopf.

„Ich hätte ja noch nicht mal Geld, um etwas zu kaufen.“

„Ernsthaft jetzt?“, fragend sah er zu ihm hinab, „Was meinst du, wie wertvoll der Schmuck ist, den du trägst? Geld ist nichts, auf was meine Familie je geachtet hat.“

„Hörst du dir zu, wenn du redest? Das ist ekelhaft. Außerdem habe ich doch gesagt, dass ich kein Geld habe, wie viel du hast ist mir herzlich egal.“

„Halt den Mund und sei dankbar. Ich versuche hier nett zu sein. Also hör auf dich zu zieren und such‘ dir was aus! Natürlich bezahle ich, so wie alles andere, was du trägst, isst oder willst. Hat Kanan dir noch nicht erklärt, wie das mit Gästen in unserem Haus abläuft?“

Böse funkelten ihn diese grünen Augen an. Für einen Moment sah es danach aus, als ob Zorro ihm etwas wütend entgegnen wollte.

„Du bist so ein arroganter Mistkerl“, knurrte er verärgert hinter seinem Rücken, ehe er aufgebend seufzte und ihm zum Stand folgte. Dulacre schmunzelte nur vor sich hin.

„Das hier“, murmelte der Pirat leise nach kaum einer Sekunde.

„Bist du sicher? Hier gibt es so viel Auswahl und dann so ein einfaches…“

„Nein, das ist perfekt.“

Er nickte und wandte sich dem Verkäufer zu:

„Sie haben die Dame gehört. Packen Sie es bitte ein.“

Der überraschte junge Mann nickte zügig und bedankte sich.

Wenige Sekunden später pendelte eine kleine Tüte vom Arm des Piraten.

„Also?“, hakte er nach, „Wozu brauchst du ein…“

„Es ist nicht für mich“, unterbrach ihn der Jüngere mit einem äußerst ernsten Blick, „Es ist nur eine Schuld, die ich noch begleichen muss.“

„Aha.“ Er brauchte nicht nachzufragen, er konnte sich seinen Teil denken.

Gemächlich wanderten sie durch den sommerlichen Wald, die Tage wurden immer wärmer.

Kanan hatte sie gebeten, die Einkäufe für sie zu erledigen, da sie sich mit ihrer Schwester auf dem Sabaody Archipel treffen wollte, um die nötigen Stoffe und Materialien zu besorgen und dann sogleich mit der Fertigstellung des Kleides zu beginnen.

Nachdem die beiden Piraten den frühen Morgen zum Training genutzt hatten, schien etwas Abwechslung ganz angenehm. Leider war das Training nicht annähernd so zielführend gewesen, wie es der Samurai gerne gehabt hätte. Das Zusammentreffen mit dem Konteradmiral war der traurige Gipfel eines verschwendeten Vormittags.

Doch die neuen Informationen stimmten Dulacre nachdenklich.

Natürlich erfreute es ihn, dass Jirou ihn so detailliert auf dem Laufenden hielt, ohne Fragen zu stellen, aber die heutige Nachricht hätte er gerne ohne die Anwesenheit des Piraten erfahren.

Er schüttelte leicht den Kopf.

Schwachsinn! Spätestens am folgenden Tag hätte Lorenor von den jüngsten Ereignissen eh erfahren, da er nun tatsächlich täglich die Zeitung las.

„Also“, eröffnete er erneut das Gespräch, wusste jedoch nicht, wie er fortfahren sollte und verstummte.

„Also was?“, fragte Lorenor, ohne ihn anzusehen und fuhr sich durch das lange Haar. Er wirkte ernst wie immer. Ganz anders als Loreen, die vor wenigen Sekunden noch ein freundliches Lächeln aufgelegt hatte und unglaublich kindlich wirkte, war Lorenor immer eine Spur zu streng, eine Spur zu erwachsen. Fremde würden anzweifeln, dass er Humor besaß, geschweige denn Lachen konnte.

Dieser Lorenor war ruhig und überlegt. Dieser reife, erfahrene Lorenor. Doch manchmal, immer wieder, kam dann der jüngere, naive, emotionale Lorenor zum Vorschein, der unüberlegt handelte, der laut wurde, der noch ein Kind war.

Es war äußerst interessant, diesem Kind beim erwachsen werden zu zusehen.

„Kommt da heute noch was?“, murrte eben genannter missgelaunt.

„Wie geht es dir damit?“

Nun sahen die kindlichen Augen doch zu ihm auf, wirkten jedoch nicht wie die Augen eines kleinen Mädchens, sondern wie die eines Auftragsmörders, kalt und unberechenbar.

„Ich könnte ja jetzt so tun, als hätte ich keine Ahnung, wovon du redest. Aber da ich ja genau weiß, dass du dann keine Ruhe gibst, sage ich dir direkt, dass es mich nervt, aber ich kann es nicht ändern. Sobald ich wieder bei den anderen bin, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich mir wieder ein Kopfgeld erarbeitet habe. Und sollte ich in der Lage sein, meinen alten Körper wiederzuerlangen, werden sie meinen Steckbrief ziemlich schnell wieder ins Repertoire aufnehmen. Hoffentlich versehen mit einer ordentlichen Gehaltserhöhung.“

Das war gefühlt das längste Mal, dass er den anderen reden gehört hatte, mit Ausnahme von dem Abend, als er ihm das Märchen erzählt hatte. Aber ihm war auch nicht entgangen, wie der Jüngere reagiert hatte. Seine Worte spiegelten die Entwicklung wider, in der er sich gerade befand.

Am Anfang war er sachlich, hatte die Zusammenhänge die er erkannt hatte zu einem einheitlichen Bild zusammengefügt, seine Schlüsse draus gezogen und seine Meinung seriös kundgetan.

Zum Ende hin war dann dieser kindische Stolz durchgekommen, gepaart mit einer gewissen Arroganz und unverkennbaren Ehrgeiz.

„Und nun warte ich auf den Moment, wo du mir wieder erzählst, wie einfältig meine Worte sind.“ Der Pirat seufzte. „Also echt, wenn du schon mit so einem eintönigen Gespräch anfängst, solltest du zumindest deinen Einsatz nicht verpassen. Nächstes Mal bin ich nicht so rücksichtsvoll.“

Offensichtlich hatte Lorenor den Besuch von Tante Rosa noch nicht überstanden, so gereizt wie er war, oder aber die Aufhebung seines Kopfgeldes nahm ihn mehr mit, als er zugab.

„Ist dir denn bewusst, was die Aufhebung deines Steckbriefes und die offizielle Erklärung deines Todes bedeutet?“

Der Grünschopf guckte ernst nach vorne. „Natürlich.“

„Und trotzdem willst du…“

„Das steht nicht zur Diskussion“, presste der Jüngere zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Ich möchte nur sicher gehen, dass dir bewusst …“

„Ich weiß, was das bedeutet! Vielen Dank auch!“ Die zierliche Stimme wurde rau und laut, während sie das Herrenhaus fast erreicht hatten.

„Wir müssen darüber nicht reden, Mihawk. Es ist nichts, worüber ich eine Entscheidung treffen müsste.“

„Lorenor!“

Offensichtlich rasend vor Wut drehte sich das Mädchen zu ihm um. Er hatte nicht erwartet, dass der andere sich so aufregte, hatte gehofft, einen ruhigeren, besonneneren Gesprächspartner zu haben. Aber wieder einmal zeigte sich, dass er den Jüngeren nicht richtig einschätzen konnte, zumindest nicht seine weibliche Seite.

„Hör zu!“, knurrte die junge Frau, „Ich habe damals entschieden, den Weg eines Gesetzeslosen einzuschlagen. Ich weiß, dass du denkst, dass das vielleicht aus einer kindischen Laune heraus entstanden ist. Aber ich kann dich beruhigen. Schon damals wusste ich ganz genau, worauf ich mich einlasse.“

Lorenor holte tief Luft.

„Ich weiß, dass diese Verkündung mein Freifahrtschein sein kann und ich weiß, dass man angesichts meines körperlichen Zustandes darüber nachdenken sollte, ob es nicht sicherer ist ein legales Leben zu führen. Aber ich bin nicht wie du!“

Diesen Satz hatte er nicht erwartet.

„Du magst dich für diesen Weg entschieden haben und es war vermutlich das Vernünftigste, was du in diesem Moment tun konntest, da du nie etwas Unvernünftiges tun würdest. Daher verstehe ich, dass es aus deiner Sicht unklug erscheint, dass ich noch nicht mal darüber nachdenken will.“

Dieses Kind sah ihn immer noch so ernst, aber kaum noch aufgebracht an. „Für mich würde es aber an blanken Wahnsinn grenzen, wenn ich nicht zurück zu Ruffy und den anderen kehren würde, wenn ich nicht wieder ein Pirat werden würde.“

Mit so einer emotionalen Reaktion hatte er wirklich nicht gerechnet.

„Mit Ruffy, mit den Strohhüten, das ist der einzige Weg, auf dem ich frei sein kann, auf dem ich ich sein kann. Deswegen werde ich wieder ein Pirat. Nicht für dich oder für irgendwen anders, sondern nur für mich selbst und um meinen Traum zu erfüllen.“

Als wären ihm die Worte ausgegangen schaute der Jüngere zu ihm herauf, den Mund geöffnet, die Augen groß, als wartete er darauf, dass die Welt explodieren würde.

Kopfschüttelnd hob Dulacre den Kopf und sah zum blauen Himmel hinauf, ein kleines Lächeln auf den Lippen.

„Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet“, gab er schließlich zu, „Alles was ich wissen wollte, war ob du wusstest, was die Aufhebung des Kopfgeldes bedeutet und ob du auch bereit wärest, als Loreen ebenfalls straftätig zu werden.“ Langsam sah er zu dem anderen herab, der nun rot anlief.

„Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass du deinen kompletten Werdegang vor mir rechtfertigen würdest. Es ist wirklich niedlich, dass du immer noch meine Anerkennung suchst.“

Nun biss Lorenor sich wütend auf die Unterlippe, doch Dulacre konnte ein Lachen kaum verhindern.

Grinsend ging er an dem anderen vorbei, zur Eingangstür. Als er auf Höhe seines Wildfanges war, fuhr er mit einer halbwegs freien Hand durch dessen grasgrünes Haar.

„Dieses Verhalten ist wirklich nicht mehr notwendig, Lorenor. Ich verstehe deine Motive und selbst wenn nicht, ist es nicht an mir, darüber zu urteilen.“

Der andere schlug seine Hand weg und Dulacre öffnete die Tür.

„Außerdem hast du Recht.“

Der Blick des anderen verfolgte ihn ins Innere des Hauses.

„Wer könnte besser seinen Traum verwirklichen, als ein Pirat, frei von Gesetz und Ordnung.“ Wieder lachte er. „Jetzt steh da nicht so dumm rum wie ein Marinekadett. Komm ins Haus, heute werden wir dich noch einmal so richtig an deine Grenzen bringen.“
 

-Zorro-

Der Samurai hatte nicht zu viel versprochen.

Schwer atmend kniete er mehr, als das er noch stand und versuchte den Erklärungen des anderen zu folgen. Doch das Blut in seinen Adern schlug zu laut und er konnte ihn kaum hören und trotzdem, trotz seiner brennenden Glieder, seinen schmerzenden Muskeln, trotz alledem konnte er keine Sekunde das Grinsen aus seinem Gesicht verbannen.

Das hier war so viel besser als Tanzen!

Gerade kritisierte der Ältere ihn mürrisch wegen seiner schlaffen Körperhaltung, ehe er mit seiner ausschweifenden Erzählung fortfuhr, deren Sinn Zorro schon komplett entfallen war.

Mühselig ging er wieder in Kampfposition, aber er hatte echt keine Ahnung, was der andere da vor sich hin laberte.

„Soweit verstanden?“, knurrte sein Lehrmeister und sah streng zu ihm hinab. Obwohl er nicht im Mindesten verstanden hatte, nickte er und setzte die Übung fort.

„Ich begreife es einfach nicht.“ Verwirrt wandte er sich nach Falkenauge um, der ihn einfach nur kopfschüttelnd beobachtete, nachdem er ihn ein paar Minuten schweigend beobachtet hatte.

„Was ist denn jetzt schon wieder?“ Langsam ließ er sein Schwert sinken. Bisher hatte Mihawk die Stimme nur erhoben um ihn konstruktiv zu kritisieren, noch nie hatte er ihre Streitigkeiten aus der Freizeit mit ins Training geholt, aber das schien sich gerade zu ändern. Dabei hatte er gar nicht wütend gewirkt, als Zorro ihm klar gemacht hatte, dass er das Piratenleben nicht aufgeben würde, sondern eher unheimlich verständnisvoll.

Der Samurai seufzte:

„Ich verstehe einfach nicht, wie du es schaffst meine Anweisungen umzusetzen ohne mir überhaupt zugehört zu haben und gleichzeitig so ein totaler Versager im Tanzen zu sein.“

„Das ist doch jetzt echt nicht dein Ernst, oder?“ Fassungslos sah er den anderen an.

„Jetzt haben wir endlich mal ein paar Stunden Ruhe vor Kanan zum Trainieren und du kommst mit sowas an? Ist doch egal, ob ich tanzen kann oder nicht. Das hier ist wichtig, kapiert? Solange ich auf diesem Ball niemanden die Füße breche, was mir nicht passieren wird bei diesem Fliegengewicht, ist das gut genug.“

Wütend hob er Josei wieder hoch und drehte sich mit dem Rücken zum Samurai.

Dieser stieß einen herablassenden Laut aus und schwere Schritte hallten von den Wänden wider.

„Tze, und genau diese Einfältigkeit ist der Grund, warum du niemals ein großartiger Schwertkämpfer sein wirst.“

Zorro stockte, die Aussage des anderen traf ihn hart.

„Wie meinst du das?“, fragte er nach, ohne sich umzudrehen. Falkenauge seufzte, er stand direkt hinter Zorro.

„Noch einmal, Lorenor. Es ist ein Fehler, wenn du stur auf den Weg vor dir starrst und nicht einmal nach links oder rechts guckst.“

Ein langer Arm griff nach seinem Schwert und obwohl es dem Pirat nicht gefiel, ließ er los.

„Wenn du etwas umsichtiger wärest, wäre dir bereits aufgefallen, dass die Schwertkunst viel gemein hat mit deinem unliebsamen Tanzen.“

Überrascht wandte er sich um, erschrocken, wie dicht der andere vor ihm stand. Ein unbekannter Geruch erfüllte seine Nase. Er versuchte einen Schritt zurückzuweichen, doch da Dulacre immer noch Josei hinter seinem Rücken festhielt, war das unmöglich. Mit verrenkten Hals starrte er bewusst zu dem anderen hinauf.

„Wie bitte? Hat Kanan dich darauf angesetzt mir das einzureden?“

Der Samurai lachte kurz und wandte sich ab um das Schwert wegzulegen.

„Ah, tatsächlich weiß ich noch nicht einmal, ob sie mir in dieser Ansicht überhaupt zustimmen würde.“

Als er sich wieder zu ihm umdrehte, war der Abstand zwischen den beiden Schwertkämpfern doch ein bisschen größer, sodass es etwas einfacher war zu dem Hünen aufzuschauen.

„Du hast eben nicht ein Wort mitbekommen, als ich dir den größten Fehler deines Kampfstils erklärt habe, oder?“

Zorro wollte etwas sagen, doch wie sollte er das leugnen. Innerlich ratterten alle seine Zahnräder nach dem vergangenen Monolog des Samurais, aber nicht ein Wort war hängen geblieben. Er wusste noch nicht einmal, ob der andere ihn aufzog, oder ihm tatsächlich erklärt hatte, was der Pirat seiner Meinung nach falsch machte.

Der Schwarzhaarige trat noch einen Schritt zurück und zerstörte seine sorgsam gepflegte Frisur mit fahrigen Fingern.

„Ich muss mir eindeutig etwas anderes mit dir überlegen“, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu dem verzauberten Mädchen. Dann sahen ihn die gelben Augen durchdringend an und er kam ihm wieder nahe.

„Hör mir diesmal zu, Lorenor!“ Das war keine Bitte. Dulacre legte zwei Finger an die Lippen, als würde er angestrengt nachdenken. „Okay, wir erkläre ich dir es am besten, damit selbst du es verstehst?“ Sein Tonfall war zu ernst, als dass Zorro auf die Beleidigung reagieren würde.

Nach ein paar Sekunden nickte der andere leicht.

„Ja, das sollte gehen, ohne ein Risiko für dich darzustellen.“ Was er genau damit meinte, behielt der Samurai für sich. „Gut, hör mir zu.“

Zorro richtete sich etwas mehr auf, ignorierte die erschöpften Knochen.

„Egal ob in einem Tanz oder in einem Schwertkampf, es geht um zwei Menschen, die sich körperlich so nah sind, wie es sonst nur Vertraute sind. Es geht um mehr als die Bewegungen des anderen zu sehen, mehr als sie zu hören, sogar mehr als sie zu fühlen. Es kommt nicht auf Techniken oder auf Tanzschritte an, die man in einem Buch auswendig gelernt hat, sondern nur auf das, was in diesem Bruchteil einer Sekunde zwischen diesen Menschen und in ihnen geschieht. Verstehst du das?“

Der andere ließ ihm keine Zeit zu antworten.

„Komm mal her.“

Dulacre nahm Zorros Hand in die seine, legte die andere um seine Hüfte, beziehungsweise zehn Zentimeter da drüber und ging mit ihm in Tanzposition.

„Was wird das hier, Mihawk?“ Misstrauisch sah er zu dem anderen hinauf.

Das war kein Schwertkampftraining mehr!

„Hatten wir uns nicht auf Dulacre geeinigt?“, antwortete der andere mit hochgezogenen Augenbrauen.

Dann packte er seine Hand fester und drückte Zorro noch etwas näher an sich.

„Verstehst du, Lorenor?“, fuhr er mit kühler Stimme unbeirrt fort, „Diese Nähe oder die Nähe in einem Kampf ist mit nichts anderem zu vergleichen. Und wenn du mit deiner Reaktion darauf wartest, dass ich mich bewege…“ Im nächsten Moment verlor Zorro den Halt unter den Füßen, da der Ältere sein gesamtes Gewicht gegen ihn drückte. „Ist es bereits zu spät.“

Beinahe wäre er hingefallen, aber immerhin war der Samurai nicht nur deutlich schwerer als er, sondern auch etwas stärker, sodass er ihn problemlos wieder zurück auf sicheren Boden führte.

„Einen Schritt zurück“, wies er kühl an und führte Zorro durch die ersten paar Tanzschritte, die er sich zu erinnern glaubte, ganz am Anfang der vergangenen Tanzstunde gelernt zu haben.

Dulacre nickte: „Wenn du hingegen weißt, was ich vorhabe, fällt es dir ganz leicht zu agieren, bevor ich überhaupt handle.“

In langsamen Schritten folgten sie dem Takt des Tanzes.

„Was willst du mir damit sagen?“, murrte Zorro, nicht ganz glücklich über die ungewöhnliche Lehrmethode, „Soll ich meinen Feind demnächst immer darum bitten, mir doch genau zu erklären, was er vor hat? Klasse Vorschlag“, brachte er das Thema wieder zügig zurück zum Schwertkampf und fort vom Tanz.

Der Ältere seufzte leise.

„Wenn du mit dem Koch aus deiner Crew kämpfst, seid ihr euch in etwa ebenbürtig. Woran liegt es, dass keiner von euch den entscheidenden Schlag ausführen kann?“

Diese Frage überraschte Zorro. Während er den Schritten des anderen folgte dachte er nach.

„Es liegt daran, dass unsere jeweiligen Stärken und Schwächen uns beinahe gleich gut machen.“ Das beinahe war ihm dabei sehr wichtig!

„Und trotzdem schafft der Blondschopf es nicht, dich mit einem Tritt zu treffen, obwohl er deutlich schneller ist und da deine Schwäche liegt, warum?“

„Na, weil ich weiß, wie er angreifen wird. Ich kenne seinen Kampfstil.“

Zufrieden nickte der Ältere.

„Genau, darum geht es.“

Zorro verstand immer noch nicht.

„Lorenor, der Mensch lernt durch Wiederholungen. Menschen, die einander sehr gut kennen, können fast voraussehen, was der andere denkt und dementsprechend ganz anders handeln, als jemand, der fremd ist. Du hast dir in bisherigen Kämpfen immer die Zeit gelassen, deinen Gegner gut genug kennen zu lernen um den Fehler in seinem Denkprozess heraus zu finden. Diese Zeit hast du als Loreen nicht.“

Doch, das machte tatsächlich Sinn für ihn.

„Und jetzt stell dir vor, du wüsstest was der andere vorhat, bevor er selbst es überhaupt weiß, bevor er überhaupt die Chance hat herauszufinden, wie du kämpfst.“ Dulacre grinste böse.

„Der Kampf wäre innerhalb von Sekundenbruchteilen entschieden“, flüsterte Zorro ehrfürchtig. Besaß der Samurai diese Fähigkeit? Konnte das überhaupt möglich sein? Die Gedanken anderer erahnen, wissen? War so etwas überhaupt machbar?

„Aber wie?“

Der Andere lächelte nun deutlich sanfter.

„Du tust es bereits.“ Und dann drehte er ihn aus und zog ihn wieder zu sich.

Verwirrt sah er zu dem Samurai auf.

„Wenn du nicht nachdenkst, gelingt es dir immer wieder zwischendurch, ohne dass du es überhaupt merkst. Wie jetzt gerade im Tanz. Diese Schritte hab ich dir noch nie gezeigt und trotzdem kannst du sie tanzen, weil du nicht drüber nachdenkst. Du machst es instinktiv.“

Ungläubig starrte Zorro auf seine eigenen Füße.

In diesem Moment stolperte er und fiel dem anderen in die Arme.

„Und da ist dann auch wieder dein Problem“, seufzte der andere, während sie sich ebenbürtig in die Augen sahen „Talent und Instinkt bringen dich nur bis zu einem gewissen Punkt. Wenn du weiter kommen willst, musst du lernen, diese Fähigkeit jederzeit bewusst einsetzen…“

„Ach, ihr beiden seid schon fleißig dabei!“

Plötzlich wurde die innige Ruhe durch die laute Stimme der Haushälterin unterbrochen, die hineingestürmt kam.

„Dann lasst uns mal richtig loslegen…“, lachte sie, offenbar blind gegenüber dem, was sie gerade zerstört hatte.
 

„Schneller! Schneller! Schneller!“

Er bekam kaum noch Luft.

„Noch mal! Noch mal! Noch…“

„STOP!“

Er riss sich von Dulacre los und landete auf allen Vieren.

„Aber…“

„Hören Sie auf damit! Mir ist jetzt schon schlecht!“

Sein Magen rumorte gefährlich und ihm war wirklich übel. Die Welt um ihn herum hatte immer noch nicht aufgehört sich zu drehen und er war gerade sehr dankbar, dass er sich an den kalten Fliesen festhalten konnte.

Er hatte sich so auf ein Training gefreut. Auf ein hartes, erbarmungsloses Training mit dem Samurai, das ihn Schweiß und Blut kosten würde. Aber mittendrin hatte sich der Samurai urplötzlich dazu entschieden ihm, warum auch immer, eine Tanzstunde zu geben und natürlich musste dann auch noch Kanan auftauchen und hatte ihr Training nun endgültig in Tanzunterricht umgewandelt, welches jetzt schon über zwei Stunden andauerte.

Grundsätzlich hätte er das ja auch noch über sich ergehen lassen, immer mit der stummen Hoffnung, danach wieder etwas Vernünftiges zu machen, aber die letzten dreißig Minuten hatte die Haushälterin nichts anderes verlangt, als dass der Samurai ihn immer wieder im Kreis wirbelte, immer schneller und schneller, mal eindrehen, mal ausdrehen, mal mit ihm drehen, mal ohne ihn drehen, insgesamt viel zu viel drehen.

Er ließ einiges mit sich machen, aber das war wirklich zu viel für ihn. Außerdem musste er sich eingestehen, dass er körperlich dann doch so langsam an seine Grenzen kam.

„Loreen, stell dich bitte nicht so an“, kommentierte die ältere Dame enttäuscht, die Hände in den Hüften gestemmt.

Am liebsten hätte er sie direkt angepflaumt, aber er traute seinem Magen nicht, sodass er einfach nur einen Moment den Kopf schüttelte.

Der Samurai neben ihm lachte einfach nur leise, wie so oft, wenn Zorro sich zum Volldeppen machte.

„Aber es hat doch eigentlich ganz gut geklappt. Sie wird immer besser“, meinte er dann überraschend freundlich, allerdings mit einer gewissen Häme, doch sein durchdringender Blick lag undefinierbar auf der Haushälterin, die diesen für einen Moment erwiderte, kurz mit den Augen rollte und dann schließlich eine wegwerfende Handbewegung machte. Zorro hatte das gefährliche Gefühl, dass sie sich über ihn unterhielten ohne überhaupt Worte zu verwenden.

„Ach, ich bitte Euch!“ Abfälliger hätte ihre Stimme kaum sein können, als sie das akustische Gespräch wieder aufnahm und dort weiterführte, wo es geendet hatte.

„Was wollen Sie denn noch? Sie beherrscht doch mittlerweile die meisten Schritte und das in nur so kurzer Zeit…“

„Aber diese so kurze Zeit,“ Kanan setzte diese Aussage in seltsame Anführungszeichen „war deutlich länger als notwendig und nur weil jemand weiß, wie die Schritte gehen, heißt das noch lange nicht, dass man tanzen kann.“

Niedergeschmettert ließ die Schwarzhaarige den Kopf senken und sah Zorro verzweifelt an.

„Kind, ich weiß, dass du nicht der schnellste Schüler bist.“

Er konnte seinen Ohren kaum trauen, seit wann war Kanan ihm denn so feindlich gesinnt? Solche Worte kannte er wenn überhaupt von seinem griesgrämig gelaunten Lehrmeister oder der noch zickigeren Navigatorin.

„Ich meine, ich sehe ja, was der Herr für eine Engelsgeduld bei deinem Training aufbringen muss.“

Er hoffte doch sehr, dass er sich gerade verhörte. Er war hier doch derjenige, der immer die Launen des anderen aushalten musste.

„Aber die reine Theorie mag vielleicht für den Schwertkampf ausreichend sein.“

Langsam wurde er dann doch wütend. Es war ihm, als würde sie ihm beinahe grundlos Dinge an den Kopf werfen, nur um ihn zu reizen.

„Wenn du jedoch wirklich tanzen möchtest, dann musst du es fühlen. Du musst wirklich Herzblut reinstecken und mit Leidenschaft trainieren. Das ist halt ganz anders als das sinnlose Rumfuchteln mit einem Schwert.“

„Wie bitte?“ entkam es ihm außer sich. Es war eine Sache, wenn man ihn beleidigte, es war eine schlimme Sache, wenn man seine Freunde beleidigte, außer vielleicht den Koch, das war meistens gerechtfertigt. Aber es war unverzeihlich, wenn jemand behauptete, dass man für die Schwertkunst keine Leidenschaft brauchte.

„Jetzt weißt du mal, wie es mir immer mit ihr geht“, kommentierte Dulacre, wobei offen blieb ob er sich wirklich an Zorro oder vielleicht doch an Kanan wandte.

Doch die Haushälterin hatte sich immer noch dem verzauberten Piraten zugewandt, ihr bisher ungekannter, unfreundlicher Gesichtsausdruck wurde noch etwas kühler.

„Loreen, wirklich. Fällt es dir so schwer, dich für etwas anderes als Klamotten und Bücher zu begeistern?“

Ihm fielen beinahe die Augen aus dem Gesicht, während der Samurai neben ihm lauthals anfing zu lachen. Wo nahm sie das denn bitte her?!

„Das meinen Sie doch nicht ernst, oder?“, murmelte er entgeistert und richtete sich schwerfällig auf. „Habe ich Sie gerade richtig verstanden?“, knurrte er nun beinahe aufbrausend.

Doch Kanan sah plötzlich den Herr des Hauses an.

„Ich muss mich entschuldigen, Ihr hattet Recht. Sie scheint wirklich etwas länger zu brauchen, um Situationen und Sachverhalte zu erfassen.“

„Natürlich. Das sage ich Ihnen doch seit dem ersten Tag. Es ist eine wahre Geduldsprobe, jedes Mal.“

„Hallo! Ich bin noch anwesend!“

Wütend stand er zwischen den beiden. Wieder hatte er das Gefühl, dass die beiden ihn in irgendetwas außen vor ließen.

„Also erstens: Ich hasse Klamotten! Nichts könnte mir unwichtiger sein. Zweitens: Wie können Sie es wagen, die hohe Kunst des Schwertkampfes als sinnloses Rumfuchteln zu bezeichnen? Und Drittens: Glauben Sie wirklich…“

„Oh, sie hat sich wirklich eine Menge von Euch abgeguckt, mein Herr.“

„Tatsächlich. Dabei hat sie sich über mein Aufzählen immer lustig gemacht.“ Der Samurai lachte leise.

„Es reicht!“

So langsam wurde er richtig sauer.

„Hört auf, mich nicht ernst zu nehmen! Ich bin ein verdammt guter Schwertkämpfer und verfolge das mit Leidenschaft. Ich tanze nicht gut, weil es mir scheiß egal ist, kapiert?!“

Dulacres Lachen verstummte. Doch sein Grinsen blieb. Sein Blick hatte etwas Überlegenes, als hätte er gerade dank eines heiklen Schachzuges einen Sieg errungen. Das gefiel Zorro überhaupt nicht.

Kanan auf der anderen Seite sah aus, als hätte er ihr gerade eine Ohrfeige verpasst.

Mit langsamen Schritten kam sie auf ihn zu und er musste zugeben, dass er, warum auch immer, ein bisschen Angst bekam. Sie wirkte beinahe gefährlicher als der Samurai hinter ihr.

Ihre dunklen Augen waren ungewohnt ernst und kalt. Mit langsamen Händen löste sie ihren Dutt und die schwarzen Haare fielen wild um ihr rundliches Gesicht. Dieses hatte den Glanz einer liebenden Mutter verloren und wie ein Raubtier vor seiner Beute fuhr ihre Zunge gierig über die vollen Lippen.

„Ich halte mich für eine sehr gütige Person“, flüsterte sie. Doch ihre Stimme bebte mit jedem Schritt. „Ich verstehe, wenn jemand anderer Meinung ist als ich.“

Nun blieb sie vor Zorro stehen. „Ich akzeptiere, dass Menschen manchmal aus guten Gründen Gesetze brechen.“ Ihre zu Fäusten geballten Hände zitterten vor Zorn. „Ich verzeihe, wenn ungezogene Kinder einen Fehler begehen.“ Sie hatte beinahe Tränen vor Wut in den Augen stehen. „Aber niemals, niemals, werde ich zulassen, dass ein Mihawk solche Ausdrucksweisen in den Mund nimmt!“

„Ähm, ich bin kein Mihawk.“

Das tut hier nichts zur Sache!

In diesem Moment zog sie aus dem Nichts ein Kurzschwert hervor und griff ihn an.

„Was soll das?!“, entkam es Zorro entsetzt, der gerade noch so ausweichen konnte.

„Dir werde ich Manieren beibringen, junges Fräulein!“

Sie jagte ihm hinterher.

„Eine junge Frau, die ihr Mundwerk nicht unter Kontrolle hat.“ Nur um Haaresbreite verfehlte sie ihn. „Eine junge Dame, die einen brutalen Kampf dem niveauvollen Tanz vorzieht.“ Wütend hatte sie ihn in eine Ecke gepfercht. „Ich habe mir geschworen, alle Kinder dieses Haushaltes zu ehrbaren, respektablen Menschen zu erziehen. Und wenn ich dich nur durch das Schwert erreichen kann, dann sei es so!“

„Warten Sie mal!“ Beschwichtigend hob er beide Hände. „Was ist denn nur los mit Ihnen? Ich will nicht gegen Sie kämpfen.“

„Zu spät!“

Mit unglaublicher Geschwindigkeit stieß sie das Schwert in seine Richtung. Im letzten Moment konnte er zur Seite weichen und nutzte ihre ausholende Bewegung um unter ihrem Arm hinweg zu tauchen.

Er verstand die Welt nicht mehr.

„Ich werde dich jetzt für deine missfallende Wortwahl bestrafen, Loreen und gleichzeitig werde ich deine Leidenschaft fürs Tanzen wecken!“, brüllte die Haushälterin und wirbelte herum.

„Hören Sie sich überhaupt zu? Was Sie da reden macht überhaupt keinen Sinn!“

Etwas verzweifelt wandte er sich nach dem Samurai um.

„Jetzt sag doch etwas, die ist ja komplett wahnsinnig!“

Doch Dulacre warf ihm nur sein Schwert zu, welches vorher unschuldig an der Wand gelegen hatte.

„Glaubst du ernsthaft, dass ich mich mit ihr anlegen würde? Sie ist jetzt dein Problem.“

Dann nickte er nach vorne.

„Du solltest deine Aufmerksamkeit nicht von deinem Gegner abwenden.“

Im nächsten Moment war die stämmig gebaute Haushälterin hinter ihm und ließ erneut ihr Schwert auf ihn zurasen.

Doch dieses Mal konnte er dank Josei gerade noch so parieren, die Klinge nur einen Spalt breit aus der Scheide gezogen.

„Kanan!“, knurrte er und stieß sich von ihr ab, „hören Sie auf mit diesem Wahnsinn.“

Die Frau jedoch hörte gar nicht auf seine Worte sondern griff erneut an.

„Ich will nicht gegen Sie kämpfen.“ Wieder wich er ihrem Angriff aus. „Und so werde ich bestimmt nicht besser im Tanzen.“

Im nächsten Moment sah er eine Öffnung in ihrer Verteidigung.

„Und zum letzten Mal, ich bin kein Mihawk.“

Er staunte nicht schlecht, als sie die Spitze seiner Klinge mit der kurzen Schwertscheide ihrer Waffe abfing und im gleichen Moment zum Gegenangriff überging.

„Sei still!“, brüllte sie, „Ein wahrer Krieger streitet nicht während des Kampfes, sondern genießt den Blutrausch!“

Erneut kostete es ihn unglaublich viel Kraft ihren Hieb abzufangen.

Hinter ihm konnte er Dulacre leise auflachen hören, gefolgt von dessen dunklen Worten: „Scheint, als würde es heute doch noch ganz interessant werden. Wirklich keine schlechte Idee, überhaupt nicht.“

Kapitel 22 - Der Steckbrief

Kapitel 22 – Der Steckbrief  

 

-Nami-

Die Welt um sie herum erstarrte für einen Moment. Mit zitternden Händen hielt sie sich an der neusten Ausgabe der Zeitung fest. Dann schloss sie für eine Sekunde die Augen und holte tief Luft.

Schon erreichte sie wieder der Trubel, der beim allmorgendlichen Frühstück immer herrschte.

Die Stille, die sie vor einem Atemzug noch fast erdrückt hatte, wurde von den Stimmen ihrer Freunde vertrieben, gab Nami die Möglichkeit wieder ins Leben einzutauchen, wieder zu realisieren, wo sie war und was gerade passierte.

Sie musterte ihre Crewmitglieder.

Die ruhige Robin neben ihr rührte in ihrem Kaffee und unterhielt sich leise mit Sanji, dessen blasser Teint mittlerweile stets von dunklen Augenringen begleitet wurde.

Dann sprang er plötzlich auf und knurrte Franky an, dem gerade ein vollgeladener Teller am Boden zerschellte.

Seine bissigen Worte wurden jedoch von dem lauten Lachen Ruffys übertönt, der Lysops neue, zerbrechlich aussehende Brötchenschleuder mit Freuden ausprobierte und Brooks weit geöffnete Futterluke um gefühlte Meter verfehlte.

Erst seit wenigen Tagen hatten die gemeinsamen Mahlzeiten der Strohhutcrew einen Teil ihrer alten Lebensfreude zurückgewonnen. Wenn man Robins ernste Miene, Sanjis Augenringe und Choppers traurigen Blick ignorierte, war es fast wieder wie früher, waren sie fast wieder wie früher. Wenn da nicht der eine leere Platz an Ruffys Seite wäre, könnte Nami sich fast auf das Trugbild einlassen, dass es ein fröhliches Frühstück sei.

Ihre Augen wanderten von dem neuerdings dauerhaft ruhigen Chopper zu dem erneut lachenden Ruffy und dann zu den Schwertern neben der Couch.

Entschieden blätterte sie die Seiten der Zeitung um und verbarg die neuen Nachrichten unter langweiligen Artikeln über Hochzeiten irgendwelcher B-Prominenz und Klatsch und Tratsch aus aller Welt. Sie würde diesen zweifelhaften Frieden, diese trügerische Idylle nicht durch eine ungewollte Hiobsbotschaft riskieren.

Mit einem leisen Seufzen betrachtete sie ihr kaum berührtes Frühstück. Der Appetit war ihr gründlich vergangen, deshalb vergrub sie noch für ein paar Minuten ihren Kopf hinter den bedruckten Blättern und ignorierte ihre Umgebung.

„Steht irgendwas Interessantes in der Zeitung?“

Die unerwartete Frage des Rentiers erreichte sie unvorbereitet, denn wenn sie ehrlich war, hatte sie keine Ahnung, mit welchem Thema sich der Artikel befasste.

Doch sie wollte ihren jungen Freund, der sich die größte Mühe gab aus seinem Schneckenhaus der Trauer raus zu kommen, so warm wie möglich empfangen. Also lächelte sie so liebevoll, wie sie gerade konnte und legte die Zeitung flach auf dem Tisch, damit auch Chopper die Bilder und die Überschriften lesen konnte.

„Nichts wirklich Wichtiges“, log sie nun ohne rot zu werden, „In den letzten Tagen ist die Zeitung zwar besonders dick, enthält aber weniger sinnvolle Informationen als sonst. Und für so was verlangen die immer noch 100 Berry. Verdammte Halsabschneider!“

Darüber ärgerte sie sich tatsächlich, es war, als ob die Presse von irgendwem, vermutlich der Weltregierung, unter Druck gesetzt wurde.

Auf der anderen Seite wäre es auch eine Lüge zu behaupten, dass sie die immer größer werdenden Artikel der jungen Lady Loreen ignorieren würde. Diese Frau traf genau Namis Geschmack: Tolle Klamotten für wenig Geld und dabei immer interessante Hintergrundstorys. Jeder Artikel erweckte in Nami den sehnlichen Wunsch mit einem Mann zusammen einkaufen zu gehen, damit dieser bezahlen konnte, versteht sich. Diese Artikel gaben ihr etwas Normalität zurück.

Genauso einer prangte auch jetzt auf der Zeitung und befasste sich ausgiebig mit den neusten Gerüchten, wonach die unbekannte Schönheit wohl die Geliebte des Mihawk Falkenauges sei. Die fettgedruckte Überschrift wurde von einem riesigen schwarz-weiß-Foto begleitet, welches den besten Schwertkämpfer der Welt dabei zeigte, wie er seiner augenscheinlichen Freundin einen schweren Mantel von den Schultern nahm. Trotz der schlechten Bildqualität starrten seine durchdringenden Augen auf dem Papier direkt den Leser an, als würde der Samurai die tiefsten Geheimnisse einer jeden Seele erkennen. So musste er wohl auch damals im Kampf gegen Zorro gewirkt haben.

Eine Spur zu schnell riss Nami die Blätter vom Tisch, ehe ein anderer die Verbindung zu ihrem verlorenen Crewmitglied finden konnte.

Die großen und leicht verwirrten Knopfaugen Choppers ignorierend, fing sie nun an lauthals Aufgaben zu verteilen, die von den anderen Anwesenden mit lautem und leisem Stöhnen empfangen wurden.

Innerhalb weniger Minuten hatten sich alle Anwesenden mit Ausnahme von Robin und ihr erhoben und verließen mehr oder weniger eilig die Kombüse. Ihrem jungen Arzt hatte die Navigatorin keinen Auftrag erteilt, trotzdem eilte er ins anliegende Krankenzimmer. Es zerbrach ihr fast das Herz, Chopper so tief in seiner Trauer gefangen zu sehen. Sie selbst litt auch unter dem Verlust ihres Freundes, aber sie wusste, dass die Bindung zwischen dem sensiblen Arzt und dem ungehobelten Schwertkämpfer eine ganz besondere gewesen war. Die Beziehung der beiden war so tief gewesen, so vertraut gewesen, wie Nami sie nur mit ihrer eigenen Schwester kannte.

Alleine die Vorstellung, dass ihre Schwester sterben würde, raubte ihr den Atem. Und diesen Verlust hatte Chopper nun durch Zorros Tod erleben müssen. Was war sie wütend auf Zorro! Wie konnte er das Chopper antun? Ihr antun? Ihnen allen antun?

Warum hatte Zorro sterben müssen?

Erneut seufzte sie, als die Tür hinter Franky in Schloss fiel und riss sich aus ihrer eigenen Trauer los, die ihr nicht helfen würden.

Einzig alleine Sanji blieb von den Männern zurück, um das Schlachtfeld aufzuräumen.

„Also“, fragte Robin unverwandt, ohne von ihrem Kaffee aufzusehen, „Weswegen hast du die anderen weggeschickt? Was sollten sie nicht wissen?“

Natürlich hatte die kluge Frau sie sofort durchschaut.

Auch Sanjis überraschten Blick konnte Nami im Rücken spüren, er hatte wohl nicht ihre wahren Absichten erkannt.

„Es ist nichts“, seufzte sie erneut, ohne sich jedoch selbst zu glauben.

„Was bedrückt dich, Nami-Maus? Mit uns kannst du doch drüber reden.“

Eigentlich hatte der junge Koch ja Recht. Sanji und Robin waren neben Zorro und Nami diejenigen aus der Crew gewesen, mit denen man planen konnte, auf deren überlegte Handlungen man sich verlassen konnte. Auch wenn sowohl Zorro als auch Sanji immer wieder ihre Aussetzer hatten. Sie musste die Last nicht alleine tragen. Vielleicht könnten sie alle so einen Schlussstrich ziehen und anfangen weiterzuleben.

Sie fühlte sich grausam bei diesem Gedanken, aber wäre es nicht genau das, was der Schwertkämpfer von ihnen verlangt hätte?

„Hier“, murmelte sie und schlug erneut die Zeitung auf. Zwischen den Artikeln lag ein einzelnes loses Blatt, welches sie vorsichtig aus den Seiten hervor fischte.  

Die beiden anderen stießen einen überraschten Laut aus und vergaßen wohl einen Moment zu atmen, als Nami den Zettel vor ihnen auf den Tisch legte.

Auf den ersten Blick betrachteten sie einen ganz gewöhnlichen Steckbrief, wären da nicht die zwei breiten, roten Striche, die sich in der Mitte des Blattes kreuzten.

Oberhalb des Bildes, welches einen blutverschmierten, grünhaarigen Schwertkämpfer zeigte, stand anstelle des Wortes Wanted der Name Lorenor Zorro. Auch die so vertraute Parole Dead or Alive, sowie die Angabe über das Kopfgeld fehlten. Stattdessen war dort ein kurzer stichpunktartiger Text vermerkt, den Nami mit belegter Stimme vorlas:

„Offizielle Aufhebung eines festgesetzten Kopfgeldbescheids

Gesuchter Verbrecher: Piratenjäger Lorenor Zorro

Höhe des ausgestellten Kopfgeldes: 120.000.000 Ƀerry

Aufhebungsgrund: Gefangennahme und Tod durch zuständige Abgesandte der Marine

Aufhebungszeitpunkt: 28.11.1522“

Erneut war es so, als hätte die Welt jegliches Geräusch verloren.

Die Navigatorin schluckte schwer. Jetzt war es amtlich. Die letzte Hoffnung, die sie gehabt hatte, die letzte verzweifelte Hoffnung, dass Zorro irgendwie überlebt haben konnte, wurde durch dieses Papier zerstört. Denn warum sonst sollte die Marine ihn für tot erklären, wenn sie nicht hundertprozentige Gewissheit darüber hatte?

Für eine gefühlte Ewigkeit waberte diese Nachricht zwischen ihnen, während sie alle auf Zorro starrten.

Endlich zerstörte Sanji diese furchtbare Stille, auch wenn es Nami überraschte, dass er zuerst sprach und nicht die wortgewandte Robin. Diese betrachtete immer noch aschfahl das Bild ihres gefallenen Kammeraden.

„Naja“, murmelte der Koch mit noch rauerer Stimme als sonst in den letzten Tagen, „War doch eigentlich zu erwarten, oder? Das Kopfgeld eines Piraten oder eines anderen Kriminellen wird nur aufgehoben, wenn er stirbt oder ein Samurai wird. Es bestätigt doch nur, was wir schon längst wussten.“ Mit jedem Wort war seine Tonlage tiefer geworden, seine Stimme brüchiger, die Falten auf seiner Stirn tiefer.

Er hatte Recht, das wusste Nami, aber warum tat es dann so weh? Warum machte sie dieses Bild so unfassbar wütend? Sie wusste doch, was passiert war, was passieren würde, dass dies so kommen würde.

Dann sah sie Robin an, die immer noch wie versteinert auf den Aufhebungssteckbrief starrte.

„Aber ich denke, dass du richtig gehandelt hast“, sprach Sanji kühl weiter, während er sich neben Nami an die Tischkannte lehnte und die Hände direkt neben den aufregenden Zettel abstützte, „Es war eine der wenigen Mahlzeiten, wo es wieder halbwegs normal zuging. Es ist wahrscheinlich besser so, wenn die anderen davon nichts wissen.“

Die Navigatorin schüttelte leicht den Kopf.

„ Hast du Chopper gesehen? Das ist alles andere als normal.“

Sanji nickte traurig:

„ Für ihn ist es mit Abstand am schlimmsten. Warum auch immer hat ausgerechnet der Marimo so einfach Zugang zu unserem Jüngsten gefunden. Ausgerechnet er war Choppers wichtigste Bezugsperson.“ Er seufzte schwer, die Stimme noch etwas rauer. „Ob Zorro das bewusst war, als er seine Kamikaze-Aktion durchgeführt hatte?“

Ja, auch Sanji war wütend, unglaublich wütend. Sie alle trauerten, nur in verschiedenen Phasen, das wurde Nami langsam bewusst.

Mit einem erneuten Seitenblick auf die erstarrte Robin sah sie zu Sanji auf, der nun noch furchtbarer aussah, als vor wenigen Minuten.

„Vielleicht wäre es besser, wenn wir es den anderen sagen. Vielleicht können wir so Ruffy aufwecken und vielleicht können wir alle dann in Ruhe trauern und es abschließen.“

Ihre Stimme war kratzig, sie kämpfte mit ungewollten Tränen. Natürlich war sie nicht so herzlos, wie sie gerne tat, auch nicht so stark, wie sie es gerne hätte. Aber wäre es nicht genau das, was Zorro von ihnen verlangen würde? Wäre es nicht Zorro der ihnen sagen würde, dass der Tod nun mal Teil des Piratenlebens sei und man mit diesem Verlust rechnen musste? Wäre es nicht Zorro, der ihnen sagen würde, dass ihre jetzige geschwächte Situation viel zu gefährlich sei, um durch Trauer unaufmerksam zu werden?

„Das ist nicht richtig…“

Überrascht blickten sowohl Sanji als auch Nami zu Robin, die leise vor sich hin murmelnd immer noch auf Zorros Bild hinab starrte.

„Wie meinst du das, Robin?“  

Sie schien wie weggetreten, als hätte sie dem bisherigen Gespräch nicht zugehört.

Langsam sah sie auf.

„Irgendwas stimmt hier nicht.“

Nami tauschte einen beunruhigten Blick mit Sanji.

„Was meinst du?“, sprach dieser daraufhin erneut die schwarzhaarige Schönheit an.

Und plötzlich war Robin wieder da, hatte wieder diesen durchdringenden, mysteriösen Blick, den sie immer hatte, wenn sie vor einem noch ungelösten Rätsel stand.

Beinahe zärtlich strich sie über den Aufhebungssteckbrief.

„Normalerweise braucht die Marine mehrere Wochen, wenn nicht gar Monate, um die Aufhebung eines Kopfgeldes durchzukriegen. Die Verwaltung ist ein unglaublich schwerfälliger Apparat und die Erhebung neuer Kopfgelder ist wichtiger als die Aufhebung nicht mehr aktueller, daher dauert sowas sonst ewig.“

Sie sah ihre Freunde an, als wäre das die absolute Lösung, doch Nami konnte nicht einmal erahnen, worauf die Archäologin hinaus wollte.

„Also, was bedeutet das?“, fragte sie. Robin fuhr sich beinahe nervös mit der Zunge über die Lippen.

„Ganz offensichtlich“, sprach sie überraschend ernst und gefasst, „will die Marine etwas verheimlichen. Sie wollen das Thema Lorenor Zorro und den Fall der G6 so schnell wie möglich abschließen. Warum sonst sollten die sich so mit seinem Aufhebungssteckbrief beeilen?“

Immer noch verstand Nami nicht, was Robin ihr sagen wollte, doch Sanji neben ihr nickte nachdenklich und legte eine Hand ans Kinn.

„Die Marine möchte also, dass die restliche Welt so schnell wie möglich vergisst, was da passiert ist. Aber warum? Was bezweckt sie damit?“

Angestrengt nachdenkend hatte der Koch die Augen zu Schlitzen verengt und betrachtete erneut den Steckbrief. „Was will die Marine verbergen?“, murmelte er unerwartet ruhig.

Robin hingegen war vor Energie und Tatendrang aufgesprungen. Es war ein ungewohntes Bild, wie die sonst so überlegte Frau aufgebracht vor ihnen auf und ab tigerte, die Arme verschränkt, die Absätze klackernd, immer wieder einen Blick zur Tür und dann zurück auf den unscheinbaren Zettel.

„Also“, fing sie an laut nachzudenken, „Wenn die Bürokratie unter normalen Umständen vorgehen würde, hätten sie abgewartet, bis Zorros Leichnam identifiziert worden wäre und hätten dann die gewöhnlichen Formalien erledigt, bis zur offiziellen Todeserklärung von unserem Schwertkämpfer mehrere Wochen vergangen wären, wie ich eben bereits erläutert habe.“

Nami erkannte ihre Freundin kaum wieder, die sich nun mit aufgerissenen Augen zu ihnen umwandte.

„Das haben sie aber nicht, was eigentlich nur bedeuten kann, dass…“

Robin unterbrach sich selber und strich sich aufgebracht durchs Haar.

„Ja, alles andere macht keinen Sinn… Natürlich, so muss es sein… Ja, mit Sicherheit…“ Leise murmelte sie zu sich selber, immer wieder auf das bedeutsame Blatt Papier starrend und immer wieder sich selbst zustimmend nickend.

„Du meinst…?“, Sanji klang fast so, als würde er das seltsam wirre Gerede der älteren Frau tatsächlich verstehen. Für Nami klang es eher so, als wäre Robin kurz vor einem Nervenzusammenbruch.

Doch sie nickte dem Koch nur zu.

„Natürlich. Die Weltregierung handelt außerhalb der Norm. Durch den Fall der G6 liegt die halbe Verwaltung im Chaos, trotzdem ist es ihnen Zorros Tod wichtiger, als der Aufbau ihres Stützpunktes. Dafür kann es nur eine Erklärung geben.“

Sanji spann ihren Gedanken weiter: „Und zwar, dass sie auf etwas Unvorhersehbares reagieren müssen, auf etwas, dass sie nicht erwartet haben.“

„Zorro lebt!“, sprachen sie einstimmig.

„Wie bitte?“ Nami verstand nicht, was die beiden da brabbelten, das machte doch überhaupt keinen Sinn.

Sanji sah sie nun ebenso erregt an, wie Robin.

„Es ist doch ganz klar. Zorro hat überlebt. Das ist der einzige Grund, warum sie sich so beeilen mussten, ihn für Tod zu erklären. Sie haben ihn gefangen genommen und wollen nicht, dass wir uns noch irgendwelche Hoffnungen machen, dass er überlebt haben könnte. Und nun wollen sie sein Wissen über unsere Crew gegen uns verwenden.“

„Oder aber er konnte schwer verletzt fliehen“, warf Robin ein, „und die Marine will nicht, dass das jemand herausfindet. Wenn wir von seinem Tod ausgehen, ist es unwahrscheinlich, dass wir noch nach ihm suchen würden und er könnte auf keine Hilfe hoffen.“

Ungläubig starrte Nami ihre beiden sonst so besonnenen Freunde an.

„Aber wo könnte er dann sein?“, murmelte Sanji, „Wir sollten umkehren und ihn suchen. Noch sind wir nicht weit weg.“

Robin schüttelte den Kopf. „Das wird nicht möglich sein, ohne Eternal Port kommen wir dort nicht mehr hin. Außerdem hat das Feuer vermutlich die gesamte Insel zerstört. Er kann nur über ein Schiff geflohen sein.“

„Dann ist es wahrscheinlicher, dass er dann noch gefangen genommen wurde. Der Marimo hat doch keine Ahnung vom Schiffe lenken.“

„Aber wo hält man ihn denn gefangen? Ich kann mich an keine Marinebasis in unmittelbarer Nähe erinnern, sonst wären wir ja auch schon längst angegriffen worden.“

„Könnte es nicht sein, dass…“

Hört auf!“ Verzweifelt schrie Nami auf und schlug mit beiden Fäusten fest auf den Tisch.

Sie war aufgesprungen, schwere Tränen rannen ihre Wangen hinab.

Wütend und verletzt sah sie ihre Freunde an.

„Aber Namilein…“

„Nein!“, unterbrach sie Sanji sofort.

„Hört ihr euch überhaupt zu? Was ihr da redet ist blanker Wahnsinn!“ Ihre Stimme zitterte.

„Nami, hör mir zu…“

„Nein, Robin! Ihr hört mir jetzt zu!“ Sie konnte kaum sprechen.

„Das könnt ihr mir nicht antun, okay? Ruffy sieht nicht ein, dass Zorro tot ist. Das ist schon schwer genug und mit seinem Gerede verunsichert er die anderen immer und immer wieder. Vor allem für Chopper ist das total furchtbar, wenn seine Hoffnungen jedes Mal aufs Neue zerstört werden.“ Sie holte tief Luft. „Aber mit Ruffy komme ich irgendwie klar, mit seinem schwachsinnigen Glauben, Choppers verzweifelten Hoffnungen und den traurigen Träumen der anderen, das halte ich aus. Aber wenn ihr jetzt auch noch damit anfangt, das schaffe ich nicht!“ Immer noch weinte sie, während Sanji und Robin sie verständnislos ansahen.

„Ich brauche eure Sachlichkeit, eure Objektivität, eure Vernunft, sonst werde ich hier noch wahnsinnig. Ich will genau wie alle anderen auch, dass Zorro noch lebt. Aber wir waren alle dabei, wir haben es alle gesehen.“ Sie sah den Koch an. „Du hast selbst gesagt, dass er so schwer verletzt war, dass er nicht überlebt haben könnte und das war nun schon vor über einer Woche.“

„Aber der Steckbrief…“, erhob Robin Einspruch.

Nun fuhr Nami sich aufgebracht durch die Haare.

„Mein Gott! Interpretiert da doch nicht so viel rein. Die Marine möchte das unschöne Kapitel über die Zerstörung der G6 schnellstmöglich beenden. Das ist es auch schon. Wenn Zorro tatsächlich überlebt haben sollte und dann nicht in ihren Händen jämmerlich zu Grunde gegangen ist, dann hätte die Marine uns schon längst geschnappt.“ Langsam atmete sie aus.

„Wenn Zorro noch leben würde, wären wir jetzt alle schon wieder in Gefangenschaft. Und Zorro würde lieber sterben, als auch nur einen von uns zu verraten, daher endet es immer gleich. Wir haben ihn verloren.“

Weiterhin rollten Tränen ihre Wangen hinab, während Sanji sie nur geschockt ansah und Robin den Kopf schüttelnd senkte.

„Nein…“, flüsterte sie, „Aber das macht doch sonst keinen Sinn.“

„Hört zu!“, erhob Nami erneut das Wort, „Wir müssen uns jetzt zusammenreißen. Wir sind jetzt so angreifbar, wie noch nie. Wir haben Zorro verloren.“ Wieder brach ihre Stimme. „Aber Zorro würde sagen, dass wir keine Kinder sind, die Piraten spielen. Der Tod gehört nun mal dazu und jetzt müssen wir gucken, dass wir weitermachen, dass wir weitergehen. Zorro würde nicht wollen, dass wir in unserer Trauer was Dummes anstellen. Er würde nicht wollen, dass wir aufgeben. Hat er uns nicht gerettet, damit wir unsere Träume verwirklichen können?“ Langsam verschränkte sie die Arme, als wollte sie sich selbst gegen die eisige Kälte schützen.

„Aber ich schaff das nicht, wenn ihr beiden jetzt auch anfangt an sein Überleben zu glauben. Zorro ist tot, kapiert?! Damit müssen wir jetzt leben! Also bitte, hört auf einem Geist nachzujagen!“ Aufschluchzend ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl fallen. Warum hatte Zorro sie alle alleine gelassen?

„Ich denke, Nami hat Recht.“

Zu aller Überraschung stand ausgerechnet Brook im Türrahmen und hatte die Auseinandersetzung offensichtlich verfolgt. Nun stieß er sich von der geschlossenen Tür ab und setzte sich Nami gegenüber auf die bequeme Couch, nahe den drei Schwertern. Sein Totenkopfschädel wie immer ein unlesbares Buch.

„Robin, Sanji. Ich verstehe euch, so wie ich auch die anderen verstehe. Aber Nami hat Recht. Zorro ist mit absoluter Sicherheit gestorben. Und wenn ihr eure Trauer und eure Hoffnung für einen Moment vergesst um logisch nachzudenken, dann wisst ihr das tief in euch auch.“

Der Blondschopf atmete tief durch und sank dann ganz langsam auf einen Stuhl neben Nami. Seine Züge waren noch blasser. Mit zittrigen Händen fummelte er an seiner Jackettasche herum, zog eine Zigarette und eine Packung Streichhölzer heraus und steckte sich den Glimmstängel in den Mund. Erst beim vierten Versuch entbrannte schließlich das kleine Streichholz. Gierig sog der Koch das Nikotin ein.

Robin hingegen stand immer noch, die Augen wieder verschlossen und dunkel, die Lippen fest zusammen gekniffen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit setzte sie sich schließlich auch.

„Wir sollten es den anderen sagen“, murmelte sie tonlos, „Wir sollten allen die Möglichkeit zum Verabschieden geben.“

Brook nickte und Nami war unglaublich dankbar in diesem Moment, dass das Skelett etwas von ihrer Last genommen hatte.

„Natürlich Robin, allerdings sollten wir noch ein bisschen warten. Wir sind alle erschöpft und brauchen eine Moment Ruhe, um die nächste Nachricht zu verkraften.“

Niemand widersprach und so wurde es ganz ruhig in der Kombüse.

In der Ferne konnte Nami das Schaben eines Stuhls vernehmen. War da noch jemand im Krankenzimmer? Nein, sie hatte ja alle mit Aufträgen versorgt. Sie hatten keine ungewollten Zuhörer, da war sie sich sicher.

„Brook“, flüsterte sie und sah ihr jüngstes und gleichzeitig ältestes Crewmitglied an, „Wie ist es zu sterben?“

Sanji neben ihr atmete laut aus und vergrub das Gesicht in seiner freien Hand, während er erneut an seiner Zigarette zog. Robin auf der anderen Seite bewegte sich keinen Millimeter.

Das Skelett seufzte leise und legte seine knochigen Unterarme auf den Oberschenkeln ab.

„Ich hatte schon damit gerechnet, dass irgendwann diese Frage kommen würde“, sprach der Mann mit dem Afro ruhig. Schließlich war er der wohl einzige Mensch auf der Welt, der diese Erfahrung bereits gemacht hatte und trotzdem wieder unter den Lebenden weilte.

Erneut seufzte er.

„Wenn du mich fragst, Nami, wie es für mich war zu sterben, dann kann ich dir nur eine Antwort geben.“

Die Navigatorin beobachtete ihn dabei, wie er auf den Boden starrte.

„Es war grauenvoll.“ Seine Stimme war bedeckt von Leid und Trauer.

„Und dabei rede ich weniger von den Wunden und den Schmerzen. Das war schlimm, aber aushaltbar. Aber es war unerträglich dabei zuzusehen, wie einer meiner Freunde nach dem anderen seinen letzten Atemzug hauchte und sie mich ganz alleine ließen. Ich war so unsagbar traurig und so alleine. Der Moment, als ich nur noch das Klavier hörte, war wohl der schlimmste meines ganzen langen, einsamen Lebens.“

Nami schloss die Augen und biss sich auf die Unterlippe.

„Ich starb mit dem Wissen, alle meine Freunde verloren zu haben, selbst wenn es mir möglich sein sollte, wieder ins Leben zurückzukehren. Das ist wohl das Grausamste, was einem passieren kann.“

Dann sah Brook sie plötzlich an.

„Aber ich glaube nicht, dass Zorro so gelitten hat, als er starb.“

Neben ihr richtete plötzlich auch Sanji seinen Blick auf Brook. Dieser lächelte, soweit das für ein Skelett möglich war.

„Schon als ihr beide zu Franky und mir in die Zelle kamt, habe ich mich gewundert, wie erschöpft und müde er aussah. Ich hielt es für ein Wunder, dass er überhaupt noch laufen konnte, aber ich kannte ihn ja kaum und wusste nur, dass er unglaublich zäh war.“

Er unterbrach sich einen Moment selbst und schien an seine letzten Momente mit dem Schwertkämpfer zu denken. Auch Nami versuchte sich daran zu erinnern. War Zorro wirklich so geschwächt gewesen? Als er ihre Zelle aufgebrochen hatte, war ihr sein schwerer Atem aufgefallen, aber eigentlich hatte er so wie immer gewirkt; ein bisschen grummelig, zermürbt wie sie alle von der Zeit in Gefangenschaft, aber ansonsten wie ein unerschütterlicher Fels in der Brandung. Nicht eine Sekunde hatte sie daran gezweifelt, dass er sie alle rausholen würde, nicht bis das Tor plötzlich hinter ihr und Lysop zugefallen war.

„Natürlich wird Zorro Schmerzen gehabt haben“, sprach Brook genauso ruhig weiter, wie er begonnen hatte, „Wir alle wissen wie schwer verletzt er war, aber ich glaube nicht, dass er gelitten hat. Schließlich hat er es trotz seines körperlichen Zustands geschafft, alle seine Freunde lebend aus einem Gefängnis raus zu holen. Nein, wenn ich daran denke, wie dankbar ich gewesen wäre, wenn ich nur einen meiner Kameraden hätte retten können, dann bin ich mir ganz sicher, dass Zorro in diesem Moment einfach nur erleichtert war, dass wir alle überlebt haben.“

Seine Stimme war so bestimmt, so ehrlich, dass Nami ihm einfach glauben wollte, glauben wollte, dass Zorro mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben war.

„Und der Tod selber ist alles andere als schlimm“, fuhr Brook fort, „Keine Schmerzen, kein Leid, keine Angst. Es ist ein sehr friedlicher Ort, voller bekannter Gesichter. Gibt es denn jemand, der dort auf ihn gewartet haben könnte?“

Seine Frage kam unvermittelt, die Frage, ob Zorro im Jenseits alleine sein würde.

„Keine Ahnung“, murmelte Sanji und sah Nami hilfesuchend an, „Ich weiß von seiner Vergangenheit eigentlich nicht viel mehr, als dass er ein Kopfgeldjäger war. Du kanntest ihn länger, weißt du etwas?“

Traurig schüttelte sie den Kopf: „Nur, dass er als Kind von Dojo zu Dojo gereist ist, bis er einen Ort zum Trainieren gefunden hatte um stärker zu werden. Er hat nie etwas über seine Familie erzählt.“

„Es gab ein Mädchen.“

Überrascht wandten sie sich alle Robin zu, die mit blassem Gesicht immer noch den Steckbrief betrachtete.

„Sie war ebenfalls Schwertkämpferin und starb, als beide noch Kinder waren. Ihr gehörte das Wado-Ichi-Monji.“ Ihre Stimme war nur ein Hauch, als sie zu dem weißen Schwert hinüber sah.

„Das ist gut“, meinte Brook, „Das heißt, er wird nicht alleine sein. Zorro wird es gut gehen, auf der anderen Seite.“

Langsam erhob das Skelett sich. „Und ich bin mir sicher, dass er wollen würde, dass es uns auch gut geht.“

Mit diesen Worten stand er auf und verließ die Kombüse, ein sanftes Lied pfeifend.

Auch Robin erhob sich. Sie nickte ihren beiden Freunden kurz zu, ging dann aber ohne ein Wort zu verlieren hinaus und schloss die Tür hinter sich.

„Glaubst du, Brook hat Recht? Glaubst du, er hatte mit sich Frieden geschlossen, bevor er gestorben ist?“ Sie konnte nicht anders, als Sanji zu fragen, ihn zu bitten ihre Zweifel zu zerstreuen. Schließlich war er derjenige gewesen, der bis zuletzt bei Zorro gewesen war.

Der Koch seufzte und drückte seine Zigarette aus.

„Ich weiß es nicht“, murmelte er und stand auf, „Allerdings habe ich mich auch schon oft gefragt, warum er nicht mit mir zusammen einen Plan ausarbeiten wollte, um gemeinsam zu fliehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auch ihn daraus bekommen hätten.“ Seine Stimme war todernst.

„Und warum glaubst du, hat er das nicht gemacht?“

Langsam sah er sie an.

„Brook hat Recht. Mir ist es auch erst viel zu spät aufgefallen, aber Zorro war wirklich mies dran. Seine Wunde war nicht gut behandelt worden und hatte sich infiziert.“ Er schwieg für eine Sekunde. „Ich glaube, Zorro hat sich ganz bewusst dafür entschieden, nicht zu entkommen.“

Ungläubig starrte Nami den gebrochenen Koch an, der so müde und erschöpft wirkte, wie sie sich fühlte.

„Warum sollte er das tun? Er war doch nicht lebensmüde!“

Sanji schüttelte den Kopf. „Nein, aber der Marimo wollte immer schon lieber im Kampf fallen, als alt und krank zu sterben.“ Er senkte den Blick. „Ich glaube, er wusste, dass er seinen Wunden über kurz oder lang erliegen würde und wollte alledem ein schnelles, ehrenhafteres Ende machen.“

Fassungslos hörte sie ihrem Freund zu. Konnte das wirklich sein?

„Aber das ist doch Schwachsinn! Selbst wenn er so schwer verletzt durch den Kampf gegen die Marine gewesen war, hätte er doch zumindest auf Chopper… oh…“

Sie stockte. Nun verstand sie und Sanji nickte.

„Genau, das denke ich auch. Zorro wusste, dass die Verletzung fatal war und wollte unserem jungen Arzt nicht die Verantwortung geben ein unabwendbares Schicksal zu verhindern. Chopper sollte nicht erneut die Last tragen müssen, einem ihm wichtigen Menschen nicht retten zu können.“

Es wurde still um sie. Für eine gefühlte Minute sahen sie sich einfach nur an.

„Denkst du wirklich, er hat so weit voraus gedacht?“

Sanji lachte leise und hohl.

„Eigentlich würde ich dem Marimo noch nicht mal zutrauen, überhaupt so viel nachzudenken, aber schließlich hat er uns alle dort raus geholt. Wer weiß schon, was für Zahnräder unter diesem Grasdachschuppen gearbeitet haben. Aber irgendwie hat es dieser Mistkerl hinbekommen.“ Mit langsamen Schritten bewegte sich der Blondschopf zur Spüle hinüber und setzte seine lang vergessene Arbeit fort.

„Zorro ist tot“, murmelte er nach ein paar Minuten schließlich.

Nami nickte ohne etwas zu erwidern.

„Und er konnte noch nicht einmal seinen Traum verwirklichen.“ Sanjis Stimme war brüchig. „Wir sind so am Arsch! Was sollen wir denn jetzt tun?“

Allmählich stand sie auf, ging zu ihm herüber und nahm ihm einen Teller ab zum Abtrocknen.

„Leben“, sagte sie ganz schlicht, „Leben und für unsere Träume kämpfen, damit sein Opfer nicht umsonst war.“

Sanji sah sie an und nickte schließlich.

„Aber ich bin so müde, so unendlich müde.“

Sie wusste, dass der Blondschopf Albträume hatte, sie alle wussten es, ein jeder von ihnen hatte sie, aber seine waren besonders schlimm. Sie wusste auch, dass er nicht diese Müdigkeit meinte, nicht seinen erschöpften Körper meinte.

„Geh schlafen, Sanji!“, befahl sie sanft, „Geh und leg dich bis zum Mittagessen etwas hin. Ich räum hier auf.“

„Aber…“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass Zorro seinen Frieden geschlossen hat. Also schließ auch du deinen und geh schlafen. Ruh dich aus.“

 

Kapitel 23 - Die Schwäche

Kapitel 23 – Die Schwäche

 

-Zorro-

„Du siehst furchtbar aus. Wieder eine schlechte Nacht gehabt?“

„Halt einfach mal die Klappe, okay?“

„Meine Güte, wir sind heute aber gereizt, was?“

Wütend blickte Zorro von seinem Frühstück auf und versuchte seinen nervigen Gesprächspartner mit seinen Blicken zu erdolchen.

„Du weißt ganz genau, dass Kanan mich bis spät in die Nacht durch den Trainingsraum gejagt hat. Was hast du ihr eigentlich eingeflößt, die ist doch total durchgedreht?!“

Der Samurai lehnte an der Theke und trank seinen morgendlichen Kaffee, während er die Titelseite der Zeitung las.

„Ich weiß gar nicht, worüber du dich so aufregst. Ich hab ihr gegenüber nur das ein oder andere erwähnt. Natürlich wäre ich nie auf die Idee gekommen, sie damit zu beauftragen, gegen dich zu kämpfen.“ Falkenauge klang eine Spur zu unbekümmert und ahnungslos, als er die Zeitung aufschlug. „Allerdings sehe ich mich in meiner Vermutung bestätigt, dass deine Fortschritte durch einen echten Kampf viel größer sind als durch das reine Wiederholen von Übungen.“

Irgendwas an dieser Aussage beunruhigte Zorro sehr.

„Was soll das bedeuten?“

Der Ältere sah ihn über die neusten Nachrichten hinweg mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Dass ich deinen Trainingsplan anpasse. Ab jetzt wirst du mit Kanan trainieren.“

„Wie bitte? Das kann doch nicht dein Ernst sein?“

Wütend stand er auf.

„Sie ist deine Haushaltshilfe und jetzt willst du ihr auch noch mein Training aufbürden. Unser Deal war, dass ich vom besten Schwertkämpfer der Welt unterrichtet werden würde, nicht von seinem ehemaligen Kindermädchen.“

Doch der Samurai machte keine Anstalten zu antworten. Langsam wurde es Zorro wirklich zu bunt. Aufbrausend riss er dem anderen die Zeitung aus der Hand.

„Hörst du mir überhaupt zu?!“

Dulacre starrte ihn gefährlich an, so als würde ihm durch den Kopf gehen, wie er ihm das Genick brechen sollte, aber davon ließ der Jüngere sich nicht beeindrucken. Schließlich sah der andere ihn gefühlt alle zwei Minuten so an.

„Und wieder einmal befürchte ich, dass du es bist, der nicht zuhört“, antwortete der Schwarzhaarige mit vernichtender Herablassung, kam auf ihn zu und nahm ihm die Zeitung wieder ab, „Sonst hättest du verstanden, was ich gerade gesagt habe. Ich habe nur wenig Zeit um dich soweit zu bringen, dass du als Pirat überleben kannst, obwohl du jetzt eine Frau bist. Im Kampf mit Kanan bist du weiter gekommen, als in allen anderen Unterrichtseinheiten bisher. Warum also regst du dich so unnötig auf?“

Zorro versuchte zu verstehen, was der andere ihm sagte. Es war ein Kompliment, versteckt unter Anschuldigung und dem traurigen Versuch ihn zu erziehen. Leider Gottes übernahm Dulacre auch eine Verantwortung die keiner der beiden ihm je hatte geben wollen. Über die Zeitung hinweg setzten sie ihr Blickduell fort.

„Warum kämpfst du dann nicht mit mir? Anstelle mir eine Haushälterin mit einem Schwert vor die Nase zusetzen, da bin ich ja besser dran, wenn ich alleine trainiere!“

„Unterschätze Kanan ja nicht. Für dich mag sie zwar das in die Jahre gekommene Kindermädchen sein, aber merke dir, dass sie aus einer traditionsreichen Familie von Kriegerinnen stammt.“

Das überraschte ihn nun doch.

„Wirklich? Sie kann kämpfen?“

„Hast du das denn gestern Abend noch nicht bemerkt? Sie hat zwar kein außerordentliches Talent wie die gerade hier Anwesenden, aber sie ist zumindest Lady Loreen zurzeit noch überlegen.“

Schon wieder, das war eindeutig ein Kompliment, oder? Langsam machte der andere ihm Angst, irgendetwas stimmte überhaupt nicht. Der Samurai schien seine Besorgnis jedoch nicht wahrzunehmen, sondern sprach weiter.

„Kanan ist in etwa auf dem Leistungslevel von dem ehemaligen Kopfgeldjäger Killer. Das heißt, dass du sie besiegen musst, um als Loreen auch nur ansatzweise mit Zorro mithalten zu können. Ich erwarte, dass du das hinbekommst bis deine Zeit hier um ist. Und warum schaust du mich jetzt so komisch an?“

Er musste also Kanan besiegen, um laut Falkenauge einen Wert für seine Crew haben zu können. Das war doch etwas, mit dem er arbeiten konnte. Aber…

„Wer zum Teufel ist denn Killer?“

Nun sah ihn der andere fassungslos an.

„Du willst mir sagen, dass du dich nicht an deinen Kampf mit Jazz Boner erinnern kannst?“

Jazz Boner… Jazz Boner…

„Ach du meinst diesen Mr. 1 von der Baroque-Firma? Der war mal Kopfgeldjäger? Schon irgendwie beunruhigend, dass du sogar von diesem Kerl weißt. Warte mal! Kanan soll so stark sein wie dieser Stahl-Typ? Das ist doch nicht dein Ernst?!“

Dieser arrogante Muskelprotz hätte ihn auf Alabasta beinahe getötet, wenn er nicht gelernt hätte zu schneiden ohne zu spalten und nun sollte die mütterliche Kanan diesem ebenbürtig sein? Auf der anderen Seite erinnerte er sich gut genug an den vergangenen Tag, wo die Haushälterin ihn, in beinahe wahnsinnigem Zustand, durch den Schwertkampf fürs Tanzen begeistern wollte.

„Durchaus. Natürlich besitzt sie keine Teufelskräfte und kann auch kein Haki anwenden, aber sie ist nicht zu unterschätzen. Im damaligen Kampf gegen den ehemaligen Piratenjäger Killer konntest du dich ja nur knapp und schwer verletzt als Sieger hervortun. Ich gehe davon aus, dass du dich seit dem selbstverständlich auch weiter entwickelt hast.“

„Woher weißt du das alles? Davon stand doch nichts in der Zeitung.“

„Ich informiere mich gründlich über meine Schüler. Aber wie gesagt, wenn du Kanan ohne eigene schwerwiegende Verletzungen besiegen solltest, kann ich dich guten Gewissens wieder zu deiner Crew lassen.“

Zorro verstummte für einen Moment. Erinnerte sich an den damaligen Kampf und an die darauf folgenden, allen voran der Kampf gegen den Samurai Bartholomäus Bär. Seit Alabasta war viel Zeit vergangen und er hatte einiges dazu gelernt, aber jetzt stand er wieder am Anfang.

Selbst wenn er in diesem Körper also stark genug sein sollte, um Mr. 1 zu besiegen, so wäre er doch noch lange nicht da, wo er sein musste. Er dachte an den Kampf gegen Enel, an Ecki von der CP9, an den Samurai Ryuma, dessen Schwert er sein eigen nennen durfte. All diese Kämpfe hätte er verloren, gegen Bär hätte er wahrscheinlich nicht einmal den Ursus Shock überstanden, geschweige denn, was danach kam. Und Falkenauge war tatsächlich der Ansicht, dass er in diesem Zustand seiner Crew von Nutzen sein konnte?

Nein, es ging dem anderen nicht darum, dass Zorro in den wenigen Tagen seine frühere Stärke zurück erlangen würde, er wusste wohl, dass dies unmöglich war. Dulacre wollte ihn nur soweit bringen, wie irgendwie möglich, damit er auf der Grand Line nicht völlig hilflos war. Es war beschämend.

„Schön und gut“, murrte er, „Aber warum kämpfe ich gegen Kanan und nicht gegen dich? Du kannst doch mit Sicherheit auch so abschätzen, wie weit ich bin. Versteh mich nicht falsch. Ich mag Kanan und ich glaube dir, dass sie nicht schlecht ist, aber wir beide wissen, dass nicht schlecht für mich nicht reicht. Du willst mir helfen ein besserer Schwertkämpfer zu werden und jetzt lässt du mich gegen deine Haushälterin kämpfen? Warum willst du mich nicht mehr trainieren?“

Eigentlich hatte er gedacht, dass er den anderen mittlerweile einschätzen konnte, dass er ihn mittlerweile kannte. Wenn Zorro ehrlich war, hatte er sich mit der Zeit an die nervige, zuvorkommende, bevormundende Art des Samurais gewöhnt, hatte sich an den Samurai gewöhnt, als Mitbewohner, Gesprächspartner und auch irgendwo als vielleicht eine Art Freund. Gerade hatte er auch zugegeben, wie wichtig ihm die Zeit mit dem Älteren als Lehrmeister war. Falkenauge war hart, unnachgiebig und forderte viel, aber er war auch ehrlich, gerecht und vor allem unglaublich fähig, was vom besten Schwertkämpfer der Welt auch nicht anders zu erwarten war.

Es verletzte ihn ein wenig, dass der andere nun das Training an das ehemalige Kindermädchen abdrücken wollte, welches Zorro eh mittlerweile mehr sah als den griesgrämigen Herrn des Hauses, bei den Tanzstunden, den Anproben, der Arbeit in der Küche.

Und obwohl Zorro nie offen zugeben würde, dass ihn das irgendwie traf, schien der Samurai das bemerkt zu haben, denn er lachte leise und legte die Zeitung zur Seite.

Ohne jedoch auf Zorros Schwäche einzugehen, lehnte sich Falkenauge wieder an die Küchentheke und verschränkte die Arme.

Erst jetzt, als der Ältere ihn mit so nervigen, väterlich wohlwollenden Augen ansah, wurde ihm bewusst, dass er sich gerade freiwillig unter seine Fittiche gestellt hatte. Er verfluchte seine Hilflosigkeit und schob sein Verhalten auf die verdammten weiblichen Hormone.

„Lorenor“, fing nun Dulacre an, „Du verstehst mich wieder mal falsch. Natürlich werde ich dich weiterhin trainieren. Kanan hat gar nicht das fachliche Wissen, um Fehler deinerseits zu korrigieren. Sie soll nur deinen Gegner darstellen, da eure derzeitigen Fähigkeiten auf einem ähnlichen Niveau sind. Ich werde derweil anwesend sein und euren Kämpfen beiwohnen.“

Zorro nickte, auch wenn er immer noch das Gefühl hatte, dass der andere ihm etwas vorenthielt. Aber es gab Dinge, wo er nicht nachhaken würde, stattdessen räumte er sein kaum berührtes Frühstück ab.

Es wurde still um sie, während er das Besteck abwusch. Zu seiner Überraschung nahm der Herr des Hauses ihm das nasse Silber aus der Hand und trocknete es unaufgefordert ab.

„Außerdem“, murmelte der Ältere, ohne seinen Blick zu suchen und offensichtlich mehr zu sich selbst, als zu Zorro, „Ist es so sicherer für dich.“

„Wie meinst du das?“, fragte er ebenso ruhig nach.

Dulacre seufzte, dann sah er ihn an, offenbar unzufrieden darüber, dass er sich selbst verraten hatte.

„Weich jetzt bloß nicht aus“, knurrte er direkt, da er den Blick des anderen nur zu gut lesen konnte.

Der Samurai knurrte zurück, wie ein Tier, dann seufzte er erneut und beobachtete den Teller in seiner langgliedrigen Hand.

„Du würdest einen Kampf mit mir nicht überleben.“

Es war keine Warnung, es war die schlichte Wahrheit. Aber eigentlich war es keine Wahrheit, die Zorro jetzt irgendwie schockiert hätte. Natürlich war ihm bewusst, dass der andere deutlich stärker war, als er selbst, jetzt als Frau mehr denn je. Schließlich war Falkenauge der beste aller Schwertkämpfer und er selbst hatte ja noch nicht einmal den Hauch einer Chance gegen Homura, die gegenwärtige Nummer Drei, gehabt. Wenn der Ältere wollte, konnte er Zorro hier und jetzt innerhalb einer Sekunde töten, aber das war ja nichts Neues.

„Wenn du jetzt von mir ein bisschen Beweihräucherung haben möchtest, wie toll und stark du doch bist, dann schmink‘ dir das gleich wieder ab. Egal wie tief ich gesunken bin, ich werde dir nicht in deinen Hintern kriechen. Wir beide wissen, dass ich noch, und ich betone noch, kein Gegner für dich bin, aber es gehört normalerweise nicht zu den Aufgaben eines Lehrmeisters seinen Schüler umzubringen.“

„Wie hast du mich gerade genannt?“

„Was?“

„Sag es nochmal: Ich bin dein…“

Fassungslos starrte er den andern an.

„Wir haben hier gerade ein ernsthaftes Gespräch, darüber, dass du mich umbringen könntest.“

„Und ich bin gewillt, dir eine Antwort zu geben, wenn du mich nochmal was nennst?“

Er hasste es, wie böse Falkenauge ihn angrinste. Er schürzte die Lippen und stemmte die Hände in die Hüften.

„Du Mistkerl! Jetzt sag mir einfach, warum du nicht mit mir kämpfen willst.“

Der andere seufzte.

„Ach, Lorenor.“ Nun klang er wieder unglaublich ernst. „Ich brauche keine falschen Komplimente um mein Ego zu stärken. Ich weiß genau, wie gut ich bin und wie gut die anderen sind.“

„Und?“, murrte Zorro, „Das ist jetzt keine Antwort auf meine Frage, sondern nur eine weitere Betonung wie ach so toll du doch bist.“

Dulacre sah ihn kühl an.

„Lorenor, du bildest dir ein, dass du mich einschätzen kannst, weil du mir einmal im Kampf gegenüber standest. Dass du meine Stärke einschätzen kannst, da du mich besser kennen gelernt hast und nun auch mit mehr Erfahrung bereits mit Nataku gekämpft hast. Aber ich möchte, dass dir bewusst wird, dass der Unterschied zwischen Nataku und mir ein Vielfaches von dem zwischen dir und ihm beträgt. Nur weil er zu den besseren Schwertkämpfern gehört, heißt das nicht, dass er mir auch nur im Mindesten ebenbürtig ist. Selbst Nataku und Jirou zusammen dürften es schwer mit mir haben.“

Zorro blieb gerade wirklich einen Moment die Spucke weg.

Es war, als würde ihm jetzt erst wieder wirklich bewusst werden, mit wem er sich hier unterhielt, mit wem er sich hier so gerne stritt, in wessen Haus er tatsächlich wohnte. Der Mann vor ihm war Mihawk „Falkenauge“ Dulacre, bester Schwertkämpfer der Welt und einer der sieben Samurai.

Ja, er wusste, dass sein Gegenüber wohl zu den stärksten Menschen der Welt gehörte, aber er hatte doch gedacht, dass er diese Stärke mit der von Homura vergleichen konnte, zumindest in gewisser Weise. Nun wollte Mihawk ihm tatsächlich weiß machen, dass der Abstand an der Spitze der Schwertkampfmeister so unermesslich groß war?

„Ich erzähle dir das hier nicht, um dir zu sagen, wie meintest du das eben, genau, wie ach so toll ich doch bin. Ich sage dir das, um dir bewusst zu machen, dass es niemanden hier gibt, der mich aufhalten könnte, wenn ich die Kontrolle verlieren würde. Kontrolle, ein sehr wichtiger Faktor im Kampf.“

Zorro nickte langsam. Er selbst hatte schon oft bemerkt, wie ungewollte Emotionen einen klaren Verstand vernebeln konnten. Gefühle waren die Feinde der Strategie. Aber Falkenauge war unangefochtener Meister der Taktik, bekannt für seinen kühlen Kopf und seine überlegten Handlungen. Wieso sollte ausgerechnet er während des Trainings die Kontrolle verlieren?

Doch dann dämmerte es ihm. Der Moment, als er das Sofa umgerissen hatte, als er aus dem Haus geflohen war, als er die drei Bäume gefällt hatte. Der Streit nach der Versammlung. In diesen Momenten hatte er die Kontrolle für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde verloren, und Schuld daran gewesen war immer…

„Ich“, murmelte er leise, „Ich bringe dich aus der Fassung.“

Doch diesmal machte er sich nicht über den anderen lustig, diesmal traf diese Erkenntnis ihn unvorbereitet.

Der Ältere seufzte: „ Ein Kampf gegen dich, selbst mit nur einem Brieföffner, selbst unbewaffnet, würde auf jeden Fall tödlich für dich ausgehen. Und während ich problemlos eingreifen könnte, wenn der Kampf zwischen dir und Kanan kritisch für einen von euch werden sollte, so gäbe es doch niemanden, der mich aufhalten könnte.“

Auf Zorros Feststellung ging er erst gar nicht ein.

Doch die Aussage des Samurais schlug den Piraten tiefer, als er erwartet hätte.

„Selbst ein Meister in der Anwendung des Hakis bräuchte vermutlich zu lange, um dich retten zu können.“ Es schien als hätte er da jemanden ganz Bestimmten im Kopf, doch wer blieb Zorro verwehrt.

In diesem Moment schlug plötzlich die Küchentür auf und die eben genannte Haushälterin kam hineingeflogen.

„Ach, Loreen, hier bist du, Schätzchen“, grüßte sie ihn liebevoll, wieder die gutmütige Mutter in Person und nicht die gefährliche Wilde von der vergangenen Nacht.

„Was ist denn, Kanan?“, fragte er sie etwas unhöflicher als beabsichtigt, aber immerhin unterbrach sie gerade ein äußerst interessantes und gewisser Maßen auch intimes Gespräch.

Doch sie war die Freude in Person.

„Ich wollte dich für die Anprobe abholen kommen. Meine Schwester müsste jeden Moment mit deiner Maske auftauchen und dann möchte ich, dass alles perfekt ist. Also komm schon.“

Seufzend wandte er sich dem Samurai zu, dieser grinste nur: „Keine Sorge, danach bleibt noch genügend Zeit für ein ausschweifendes Training, nicht wahr Kanan?“

Sie erwiderte den funkelnden Blick ihres Arbeitgebers nicht halb so begeistert.

„Aber nur, wenn wir vorher auch noch mal die Tänze durchgehen.“

Dann griff sie ohne zu Fragen Zorros Hand und schleifte ihn zur Tür.

„Ach Übrigens, Herr“, drehte sie sich noch einmal um, „Euren Anzug habe ich in Euer Ankleidezimmer gehängt, bitte probiert ihn doch einmal an und ruft mich dann.“
 

-Mihawk-

Als die Tür hinter den beiden Frauen zufiel, atmete er erst einmal aus und ließ sich auf den Schemel sinken, auf dem vor wenigen Minuten noch sein Schützling gesessen hatte.

Müde fuhr er sich durch die Haare. Diese Unterhaltungen mit dem Piraten laugten ihn aus.

Es war, als ob der Jüngere ohne Probleme hinter seine Mauer schlüpfen konnte ohne das überhaupt zu bemerken. Jedes Gespräch mit dem Jüngling war gefährlich für Dulacre, war unbekannt und intensiv. Nur die wenigsten Menschen konnten auf Augenhöhe mit ihm reden und diejenigen, die keine Angst vor ihm hatten waren meist dumm und bereuten dies später, auch wenn es dann bereits zu spät war.

Lorenor hingegen hatte sich seinen Respekt erarbeitet, seine Ehrlichkeit und auch sein Vertrauen, ob Dulacre nun wollte oder nicht. Aber es war ungewohnt für ihn, sich mit einem solchen Gegenüber auseinanderzusetzen. Ein Gegenüber mit der Weisheit eines alten Mannes und der Impulsivität eines jungen Kindes. Ohne das er es wollte, verriet er dem Kind Dinge, die er niemanden sagen würde, es war, als wäre es ihm unmöglich etwas vor dem anderen zu verbergen.

Wie schaffte Lorenor das nur?

Was sollte er nur tun mit diesem Jungen in dem Körper eines Mädchens?

Was konnte er tun?

Er musste ihn auf jeden Fall beschützen, solange er konnte. Beschützen vor Nataku, vor Eizen, vor allen Anwesenden auf diesem verfluchten Ball. Aber vor allem musste er Lorenor vor sich selbst und auch vor ihm, Dulacre, beschützen. Leider Gottes war diese Aufgabe umständlicher als er es je erwartet hätte. Besonders, da sein Schützling seinen Schutz nur widerwillig annahm und er sich selbst immer wieder hinterfragte, warum er überhaupt so etwas selbstloses, in gewisser Weise auch schwachsinniges, tat. Schließlich wollte Lorenor ihn eines Tages besiegen. Aber soweit war er noch lange nicht, dieser Weg war noch weit und bis dahin würde Dulacre erst einmal auf ihn aufpassen.

Aber irgendwann würde der Tag kommen, wo sein Wildfang wieder zu seiner Crew gehen würde. Ihn verlassen würde.

Und die Frage war doch eigentlich nicht, ob er Lorenor dann noch beschützen konnte, sondern wer ihn beschützen würde, vor seinen eigenen dunklen Gedanken.

Leise vergrub er das Gesicht in seinen Händen.

Was war nur aus ihm geworden?

Wie konnte ein Mensch ihn so verändern?

Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Seufzend stand er auf und verließ den Raum.
 

-Zorro-

Wieder mal stand er halb nackt in einem Raum.

Wieder mal musste er sich selbst im Spiegel ansehen. Diesen kleinen, zerbrechlichen, schutzbedürftigen Körper eines zierlichen, naiven Mädchens. Trotz all der Zeit, egal wie sehr er sich an diesen Körper gewöhnt hatte, an dieses Spiegelbild, diese riesigen, traurigen Glubschaugen würde er sich nie gewöhnen können.

Das gerade geführte Gespräch mit dem Samurai verblasste vor der neusten Herausforderung, doch Zorro war es gleich. All diese klärenden Unterhaltungen empfand er eher als störend und weniger als hilfreich. Er war hier, um besser zu werden und nicht um herauszufinden, warum ausgerechnet er den wunden Punkt in Dulacres armer, so verletzter Seele traf. Sollte der Typ sich doch einen Seelenklempner anschaffen, Hauptsache er konnte Zorro weiter trainieren.

„So, mein Kind, hier ist es.“ Kanan kam aus einer angrenzenden Kammer hereingestürmt. In Ihrer Hand hielt sie seinen langen, wallenden Untergang.

„Und?“, fragte sie ihn aufgeregt, „Wie findest du es?“

Tja, wie sollte er es finden? Es war ein Kleid, verdammt nochmal. Also, wenn er davon absah, dass es ein Kleid war, wie fand er es? Er hatte keine Ahnung, es hätte genauso gut eine Küchenschürze oder ein Kartoffelsack in seinen Augen sein können.

„Ach, du musst es erst mal anziehen, dann kannst du es erst richtig beurteilen“, rettete Kanan ihn zugleich vor einem Urteil.

„Kommen Ihre Töchter heute nicht?“, lenkte er das Thema ab, während die Haushälterin ihn in den teuren Stoff kleidete.

Sie schüttelte den Kopf.

„Mausi ist wieder Mal krank und dementsprechend muss sich Seira alleine um ihr Kleid kümmern.“

„Wieder mal?“, hakte er nach, „Ist Mausi denn öfters krank?“

Kanan nickte nur ohne aufzusehen. „Sie hat kein gutes Immunsystem und liegt alle paar Wochen für ein paar Tage flach, meistens ist es nichts Ernstes, aber sie muss da natürlich etwas vorsichtiger sein.“ Dann sah sie auf. „Aber mach dir keine Sorge, mein Können reicht vollends aus, um aus dir die Schönste auf dem ganzen Ball zu machen.“

„Sie wissen schon, dass Ihre eigene Tochter anwesend sein wird? Und was ist mit Ihrer Schwester, hilft die Ihnen?“

Das ehemalige Kindermädchen lachte beherzt: „ Oh Nein, das wollen wir beide nicht. Meine Schwester bringt die Maske nur mit. Sie selbst ist äußerst untalentiert in solchen Dingen. So, Süße, was denkst du?“ Kanan trat zurück und gab ihm freie Sicht auf den mannshohen Spiegel.

Vor ihm stand ein Mädchen in einem Ballkleid.

Tja, soweit war er eben doch auch schon, oder nicht?

Okay, also wenn er noch mal ignorierte, dass dieses Mädel er selbst war, wenn er davon ausgehen würde, dass er dieses Mädchen auf der Straße sehen würde, was würde er denken?

Dass sie eine wilde Nacht hinter sich hatte und gewiss nicht Zuhause geschlafen hatte, wenn sie am helllichten Tage immer noch in so einem Fummel rumlaufen würde. Oder aber er würde vermuten dass sie ein verwöhntes Gör wäre.

Dieser Gedanke brachte ihn somit auch nicht weiter. Was würde also der liebestolle Koch denken, wenn er dieser jungen Frau begegnen würde?

Ja, er wusste die Antwort. Die Kringelbraue würde sich mit Sicherheit sofort sabbernd über diese Frau hermachen und ihr ewige Liebe schwören.

Jedoch wurde ihm wieder bewusst, dass er diese Frau war, also verdrängte er dieses Bild vor seinem inneren Auge so schnell er konnte.

„Also?“ Kanan wirkte etwas ungeduldig.

„Ich denke, es ist hübsch?“ War das ein passendes Wort? Naja, es war zumindest positiv, oder?

„Nur hübsch?! Kind, guck dich doch mal genauer an! Du siehst aus wie eine menschgewordene Göttin, auch wenn wir hier noch ein wenig nachhelfen müssen.“

Mit diesen Worten legte sie ihre Hände an seine kleinen Brüste und drückte das Dekolleté noch etwas nach oben.

„Kanan!“, entkam es ihm etwas peinlich berührt, während ihm das Blut in die Wangen schoss.

„Loreen, dieser Ball ist unglaublich wichtig. Die ganze Welt schaut auf diesen Abend. Alle werden dich in diesem Kleid sehen und du wirst mit bekannten Persönlichkeiten darin tanzen. Wir müssen all deine Vorzüge auskosten.“

Er wollte wirklich nicht dahin!

„Kanan, dieser Ball ist mir sch… sowas von egal, okay? Ich gehe dahin, um Problemen aus dem Weg zu gehen und damit Dulacres Vertragspartner die Klap… sich nicht beschweren können. Alles was ich will, ist diesen verfluchten Abend hinter mich bringen und dann mit dem Training fortfahren.“

„Da bin ich aber beruhigt.“

Eine unbekannte Stimme erklang von der Tür.

Dort an die Wand gelehnt stand eine hochgewachsene, schwarzhaarige Schönheit. Die Frau mit den modernen Kurzhaarschnitt, den dunklen Augen und vollen Lippen war eindeutig als Verwandte Kanans anzusehen, auch wenn sie im Gegensatz zum ehemaligen Kindermädchen kein Pfund zu viel auf den Hüften hatte und dies auch bereitwillig in jugendlichen Klamotten zur Schau stellte. Die enge Hose und das bauchfreie Oberteil verrieten gerade genug um einen Mann neugierig werden zu lassen. Und genau wie Kanan wirkte sie alterslos mit dem Körper einer jungen Frau. Sie hatte die Arme verschränkt und schmunzelte leicht.

„Als ich gehört habe, dass Falkenauge ein Mädel hat, das ihn auf diesen Lackaffen-Ball begleitet, hab ich mich schon gewundert, was das für ein Prinzesschen sein muss. Aber es scheint so, als würdest du doch nicht zu diesem abgehobenen Teil der Gesellschaft gehören.“

Kanans Schwester stieß sich von der Wand ab und kam auf ihn zu, die Hände auf die Hüften gestemmt, in der einen eine Zigarette in der anderen einen kleinen Korb.

„Freut mich, dich kennenzulernen, Loreen.“

Zwei Dinge fielen ihm sofort auf. Sie sprach sehr salopp und umgangssprachlich, ganz anders als die wohlerzogenen Menschen, von denen er in den letzten Tagen umgeben war. Außerdem nannte sie Dulacre Falkenauge, ein Name den hauptsächlich Piraten nutzen.

Diese Frau wirkte gefährlich auf ihn und er konnte noch nicht einmal genau sagen, warum.

„Loreen, wenn ich dir vorstellen darf: meine, etwas rüpelhaft erzogene, Schwester Shakuyak. Shakuyak, bitte reiß dich etwas zusammen und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du hier drinnen nicht rauchen würdest.“

Mit den Augen rollend drückte Shakuyak ihre Zigarette an ihrem eigenen Schuhabsatz aus, bevor sie ihn wieder angrinste.

„Du kannst mich aber auch ruhig Shakky nennen. Wenn Kanan sagt, du gehörst zur Familie, dann gehörst du zur Familie.“

Er nickte sachte, ohne etwas zu erwidern. Sie war eindeutig stärker als Kanan und das beunruhigte ihn. Diese Frau wollte man nicht als Feind haben.

Doch seine Grübeleien blieben von den anderen beiden unbemerkt, die sich nun unterhielten und den Korb, den Shakky mitgebracht hatte, auf dem kleinen Nähtisch stellten.

Vorsichtig zog die augenscheinlich jüngere der beiden Schwestern ein Packet heraus und begann damit, die Verpackung aus Stoff zu lösen.

Die Maske in Shakkys Hand erinnerte ihn stark an diejenigen, die die Mitglieder der CP9 beim Überfall auf Eisberg  getragen hatten. Allerdings war sie weder grotesk verformt noch übertrieben bunt. Sie war schlicht und elegant, ähnlich wie das Kleid, das er trug.

Selbst er konnte erkennen, dass er mit seinem Kostüm der Mittelpunkt des Abends werden würde, ohne dass es erzwungen aussehen würde. Aber eine Kleinigkeit störte ihn dann doch.

„Wie gefällt sie dir?“, fragte Kanan nun erneut.

Doch diesmal wusste er, was er wollte.

„Sie ist wirklich ein Meisterwerk.“

Kanan grinste selbstgefällig.

„Allerdings muss ich Sie um einen Gefallen bitten. Ist es möglich sie noch abzuändern?“

Die Augen der Haushälterin wurden groß.

„Ja, grundsätzlich schon, aber was würdest du gerne anders haben?“

Er streckte die Hand nach der Maske aus, die ihm bereitwillig gereicht wurde.

„Das hier. Können Sie das hier weg machen?“

Überrascht sah ihn die Ältere an.

„Bist du dir sicher, mein Kind? Du weißt doch, was…“

„Ich bin mir über die Bedeutung der Masken durchaus im Klaren. Bitte.“

Sie nickte. „Natürlich, gib mir nur einen Moment Zeit.“

Damit verschwand sie ins Nebenzimmer.

„Ach, ist es sowas Ernstes?“ Mit einem Grinsen kam die Verbliebene auf ihn zu und begann Nadeln und Nähte umzustecken, so dass sein Ausschnitt besser zur Geltung kam. Auf ihn wirkte die Schwester Kanans überhaupt nicht unbegabt im Umgang mit Stoff und Nadel.

„Auf keinen Fall!“, wiedersprach er, „Ich will nur nicht, dass mich jeder Depp von der Marine oder von sonst wo anspricht.“

Er ließ sie gewähren, während sie, nun leise lachend, weiter an ihm rum zupfte. Er hatte das sichere Gefühl, dass sie mit einer Nadel gefährlicher war, als Kanan mit ihrem scharfen Kurzschwert.

„Das kann ich gut verstehen. Auf so eine Veranstaltung würden mich keine zehn Admiräle kriegen.“

„Ach, da scheinen Sie ja aus Ihrer Familie die einzige zu sein. Die anderen Damen haben das Gefühl, dass das hier eine Ehre ist.“

Er konnte einen leichten Piecks spüren.

„Hör auf mich zu siezen, so alt bin ich noch nicht.“ Aber sie grinste immer noch. „Ja, ich bin da wohl etwas anders. Ein kühles Bier und eine gute Zigarette ist alles, was der Abend für mich braucht.“

„Da kann ich nur zustimmen. Wobei ich mich auch über eine Flasche Sake nicht beschweren würde.“ Es war wirklich angenehm noch einmal ein normales Gespräch führen zu können. Diese Frau hatte augenscheinlich den gleichen gesellschaftlichen Hintergrund wie er selbst, was die Unterhaltung äußerst einfach gestaltete. Selbst Dulacre, der genau wusste, wer er war, kritisierte immer wieder seine Umgangsformen.

Die Schwarzhaarige nickte wohlwollend, ließ von ihm ab und betrachtete ihn aus ein paar Metern Entfernung, offensichtlich zufrieden, mit ihrem Ergebnis.

„Du gefällst mir, Loreen.“

Sie grinste ihn an, während sie sich eine erneute Zigarette ansteckte, ließ dabei im Ungewissen, ob sie sein Kleid oder seine Art meinte.

„Wenn das hier vorbei ist, solltest du mich mal auf einen Schlummertrunk auf dem Sabaody Archipel besuchen.“

Endlich traf er einen vernünftigen Menschen.

„Wohnst du dort?“

Sie nickte. „Ich hab dort eine kleine Bar. Allerdings weiß ich nicht, ob du da alleine auftauchen solltest.“

„Wieso?“ Verwirrt sah er sie an, doch sie grinste unbeirrt weiter und genoss sichtlich ihr Nikotin.

„Ach, ich wohne auf Grove 13, das liegt im gesetzeslosen Revier der Insel. Wenn ein hübsches Ding wie du da alleine durch die Gegend läuft, bist du schneller in den Fingern von diesen verdammten Menschenhändlern, als du gucken kannst.“

„Keine Sorge, ich bin nicht so schwach, wie ich wirke“, grinste er zurück.

„Das glaub ich dir aufs Wort, Süße. Schließlich wohnst du hier im Haus eines der berüchtigtsten Männer der Welt. Aber ich glaube dir ist nicht bewusst, was sich da alles rumtreibt. Das Sabaody Archipel ist Treffpunkt aller Gesetzeslosen, die in die neue Welt wollen.“

Zorro wurde hellhörig. Diese Frau könnte für seine Crew nützliche Informationen haben.

„Jeder, der über die Fischmenscheninsel in die neue Welt gelangen möchte, muss auf dem Sabaody Archipel eine Pause machen um sein Schiff beschichten zu lassen. Dementsprechend gibt es dort unglaublich viele Kriminelle. Vor allem in den letzten Tagen wimmelt es dort nur so von Piraten. Besonders diese ganzen unerzogenen Rookies bereiten mir Kopfzerbrechen.“

Doch sie wirkte überhaupt nicht besorgt, während sie weiter an ihrer Zigarette zog.

Im nächsten Moment kam Kanan wieder herein.

„Shakuyak, bitte mach die Zigarette aus.“

Mit diesen Worten stellte sie sich hinter Zorro um ihm zu helfen die Maske samt Schleier überzuziehen. Danach zog sie ihm noch dünne Handschuhe über, die nur am Mittelfinger befestigt wurden.

„Und, was denkst du?“, fragte sie.

„Wie eine hübsche, zerbrechliche Porzellanpuppe. Also genau das, was der Adel sehen will“, antwortete die andere Frau etwas gehässig.

Der Pirat sah sich nun selbst im Spiegel wieder an.

Ja, diese fremde Frau war wirklich nicht zu unterschätzen, aber er selbst schien auch eine solche Frau darzustellen. Langsam fand er Gefallen an seiner unscheinbaren Hülle. Im Kampf würde ihn jeder unterschätzen. Er war ein verdammter Wolf im Schafspelz und wurde nun auf eine große Weide mit vielen dicken Schafen eingeladen.

Kapitel 24 - Das Glück

Kapitel 24 – Das Glück

 

-Mihawk-

„Ihr seht bemerkenswert aus.“

Er drehte sich nicht herum, als die gutmütige Haushälterin hinter seinem Rücken auftauchte. Auch ihre Aussage ließ er unkommentiert, während er sein Ebenbild im wandhohen Spiegel begutachtete.

Er konnte selbst sehen, dass der Anzug tadellos saß und sich nicht negativ auf seinen Gesamteindruck auswirkte.

„Loreen und Ihr werdet ein atemberaubendes Paar abgeben.“

Nun sah er sie doch im Spiegel reflektiert an, erneut ohne etwas zu sagen.

Mit ruhigen Bewegungen bemühte er sich, seine selten genutzten Manschettenknöpfe anzulegen.

„Das wäre einfacher, wenn Ihr dazu das Sakko ausziehen würdet.“

Kanan schollt ihn sanft, ehe sie zu ihm trat und ihm die Familienerbstücke aus der Hand nahm. Sie brauchte nur wenige Sekunden, während er schon seit Minuten mit dieser Aufgabe haderte.

„Ist Loreens Anprobe vorüber?“

Er sah sie nicht an, wollte nicht, dass sein ehemaliges Kindermädchen versuchte seine Gedanken zu erahnen.

„Noch nicht. Shakuyak hilft ihr gerade dabei, sich in den Schuhen und mit Maske richtig zu bewegen. Mich haben die zwei raus gescheucht.“ Nun klang die ältere Dame doch recht beleidigt.

„Jetzt wissen Sie mal, wie ich mich immer fühle“, antwortete er, ohne jegliches Mitleid.

„Die beiden vertragen sich also?“, murmelte er dann. Er selbst hatte nicht die besten Erfahrungen mit dem vorlauten Mundwerk von Kanans Schwester gemacht.

„Sie sind ein Herz und eine Seele“, murrte sein Gegenüber, nun noch verdrossener.

Er trat einen Schritt zurück und ließ zu, dass Kanan ihn von oben bis unten betrachtete, ehe sie zufrieden nickte.

„Arm- und Beinlänge sind perfekt geraten. Sogar die Schultern liegen richtig schön an. Könnt Ihr Euch frei bewegen?“

Wie auf Kommando, hob er die Arme in Tanzposition. Als würde sein Körper sich an ein längst vergessenes Ritual erinnern, erwartete er beinahe die Hände seines Kindermädchens, die früher immer nach ihm gegriffen hatten nur um ein paar lächerliche Runden durch den Raum zu tanzen. Doch während das Lachen der Haushälterin durch seine Erinnerungen hallte, ließ er die Hände schnell wieder sinken und wandte sich um.

„Alles Bestens“, beantwortete er dann ihre Frage kühl.

„Herr“, begann sie und er wusste, dass sie in Erinnerungen an seine frühe Jugend schwelgte, wo er noch unbeschwert war und sie ihn für seinen ersten Marineball vorbereitet hatte.

„Bitte kommen Sie und Loreen nach der Anprobe wieder in den Trainingsraum. Wir haben noch viel vor und nur noch wenig Zeit.“

Er unterbrach sie, ehe sie ihn wieder an diese glücklichen Zeiten erinnern konnte und verließ sein Schlafzimmer ins angrenzende Bad, ohne ihre Antwort abzuwarten.

Wenige Minuten später kam er zurück, nun wieder in seinen gewohnten Klamotten, zog seine Weste über das schlichte Hemd und folgte der bereits verschwundenen Haushälterin aus der Türe in den Flur.

Bereits jetzt ärgerte er sich über das gerade Geschehene.  Überschwängliche Gefühle waren ihm nicht von Nutzen und somit reine Zeitverschwendung. Aber er konnte nicht mehr verhindern, dass sie unter seiner kühlen Oberfläche waberten und immer öfter nach draußen wollten. Bevor er wusste, was er eigentlich tat, fand er sich in seinem Arbeitszimmer wieder und hielt die Sprachmuschel seiner uralten Teleschnecke in der Hand.

Nach einigen Sekunden erklang ein gelangweiltes „Cho“ von der anderen Seite der Verbindung.

„Hey Jirou“, murmelte er und fragte sich gleichzeitig, warum er seinen Kindheitsfreund anrief. Es gab keine Informationen oder Neuigkeiten, die sie einander mitteilen müssten.

„Man, Hawky. Mit dir hab ich heut‘ nicht gerechnet“, lachte der Konteradmiral, nun mit freudiger, neugieriger Stimme, „Also, du gefürchteter Samurai, was kann ich heute für dich tun?“ Offensichtlich machte sich der andere über ihn lustig. Dabei wusste er wirklich nicht, was er von dem anderen wollte.

Dulacre seufzte: „Wie kann es sein, dass du jedes Mal, wenn ich anrufe, Zeit hast? Tust du eigentlich nur so, als ob du arbeiten würdest?“

Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte kein bisschen beleidigt.

„Im Gegenteil. Ich habe bereits alle Protokolle geschrieben und warte nun nur noch auf meinen Termin mit Vizeadmiral Vergo.“

Der Samurai stutzte: „Was will denn der Kommandant der G5 von dir?“

Irgendetwas beunruhigte ihn sehr. Doch Jirou schien nicht im Mindesten besorgt. Sein breites Grinsen wurde überaus passend von der Teleschnecke wiedergegeben.

„Du weißt doch, dass wir zurzeit einige Personalprobleme haben…“, fing sein Kindheitsfreund an, doch er unterbrach ihn ganz schnell.

„Jirou, weswegen hast du einen Termin mit Vergo?“ Seine Tonlage ließ keinen Scherz mehr zu. Das schien auch der Konteradmiral zu verstehen.

„Es ist eine Stelle als Vizeadmiral auf der G5 frei und Gat hat mich vorgeschlagen.“

Er antwortete nicht auf diese Aussage, doch konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel noch eine Spur tiefer sanken als sonst. Er mochte es nicht, wenn sein Vater ihm oder seinem Freund Türen öffnete. Sie waren schon lange nicht mehr auf ihn angewiesen und sein Stolz verachtete die Hilfe seines alten Herrn.

„Wenn Vizeadmiral Vergo sich die Zusammenarbeit mit mir vorstellen kann, würde ich in einem Monat als sein Stellvertreter dorthin versetzt werden.“

Einen Moment wurde es ruhig über die Verbindung, während er nachdachte. In einem Monat würde der Krieg also vorbei sein und die Marine würde ihre alltäglichen Organisationen wieder aufgenommen haben. Zumindest hofften sie das. In vier Wochen würde Jirou also gehen. Denn es war undenkbar, dass jemand nicht mit ihm arbeiten konnte. Sein Kindheitsfreund war ein absolutes Musterbeispiel wenn es um Fleiß, Höflichkeit und Arbeitsmoral ging, auch wenn seine fröhliche Albernheit und immer anwesende gute Laune überaus nervig sein konnten.

„Willst du denn überhaupt dahin? Die G5 ist nicht gerade für ihr freundliches Klima bekannt.“

Er wusste die Antwort schon, bevor er die Frage gestellt hatte.

„Mit einer Beförderung geht auch eine Gehaltserhöhung einher“, rechtfertigte sich der andere etwas beleidigt, „und wie du weißt bin ich auch nicht mehr der Jüngste. Ich muss für die Pension vorsorgen.“

Dulacre seufzte: „Und was ist mit Lirin? Wenn du Suzuno verlässt, kannst du nicht länger auf Sadao leben.“

Nun seufzte auch sein Gesprächspartner ergebend.

„Es ist Zeit für Veränderungen, Hawky.“ Jiroushin klang müde. „Wie du weißt, steht uns ein Krieg bevor…“

„Jirou, was ist los?“

Schon wieder wollte sein Freund seiner Frage ausweichen, das passte überhaupt nicht zu ihm.

Wieder seufzte die Teleschnecke, nun noch eine Tonlage tiefer.

„Wir sind müde, Hawky. Lirin hat große Angst vor dem Krieg. Ich möchte ihr den Ausblick auf eine neue Zukunft mit neuen Chancen geben. Wir müssen irgendwo von vorne beginnen, weg von all den schmerzvollen Erinnerungen. Es ist vorbei.“

Es gab nichts, was er dagegen sagen konnte. Der größte Wunsch seines Freundes waren eigene Kinder gewesen, doch ein Vorfall vor einigen Jahren, hatte seine Frau körperlich schwer mitgenommen, sodass die Ärzte es für unmöglich erklärt hatten, dass sie schwanger werden konnte. Jahrelang hatten die beiden alles versucht, alle Krankenhäuser und Heilkundigen der Welt aufgesucht. In Lirins elterlichen Haushalt wäre eine Adoption absolut undenkbar und Jirou war nicht der Mann, der die Familie zerstören wollen würde, darum hieß es nun weiterzuziehen.

„Wenn es für dich und Lirin das Richtige ist, solltet ihr das auch tun“, sagte er nun das, was ein Freund sagen musste. Er musste Jirou nicht erklären, was das für ihre Heimatinseln bedeuten würde, diese Verantwortung würde er ihm nicht aufbürden. Der Name Mihawk schützte Sasaki, ganz gleich welcher Marinetrottel hier rumlaufen würde. Solange er den Titel eines Samurais tragen würde, würde diese Insel und die umliegenden nichts befürchten müssen.

„Es ist Zeit für Veränderungen“, murmelte er leise, doch der Konteradmiral lachte erneut, als wäre ihm das Thema zu ernst.

„Die G5 wird schon eine ganze Ecke härter als meine beschauliche Arbeit hier. Unter Vergo werde ich wohl keine ruhige Kugel mehr schieben können. Aber jetzt, da ich weiß, dass du gut versorgt bist, kann ich besten Gewissens weiterziehen.“

„Wie bitte?“ Er verstand sehr wohl, was der andere ihm damit sagen wollte. Er gab ihm lediglich noch einen Versuch, seine Aussage abzuändern.

„Hawky, warum hast du mich angerufen?“, fragte jedoch der andere.

Er stockte für einen Moment. Es war ein guter Konter, das musste er zugeben.

„Du weißt doch, dass ich Informationen über diese Kriegskonferenz haben wollte, zu der ich eingeladen wurde, deshalb…“

„Na, das glaube ich nicht“, unterbrach ihn sein Freund schelmisch, „Du bist als Samurai wahrscheinlich besser informiert als jemand, der nur einer der vielen Konteradmiräle ist. Du bist nicht der Einzige, der um die Ecke denken kann, Hawky.“

„Was meinst du damit?“, hinterfragte er bewusst kühl. Jirou lachte erneut.

„Ich kenne den Grund warum du mich anrufst, aber ich bezweifle, dass du ihn kennst.“

Selten hatte er die Stimme des anderen so gerissen erlebt, doch das Schlimmste war, dass Jirou absolut im Recht lag.

„Du solltest nun vorsichtig werden, Jiroushin.“ Er würde sich keine Blöße geben.

„Siehst du! Siehst du!“ Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie der Konteradmiral laut brüllend vom Stuhl aufsprang und auf die Teleschnecke zeigte, während alle Kollegen erschrocken zusammen fuhren.

„Wenn du so anfängst, fühlst du dich in die Enge gedrängt.“

„Jirou.“

„Ist ja gut. Ich sage es dir.“ Er machte eine Pause für einen dramatischen Spannungsaufbau. „ Sie ist der Grund.“

Er musste nicht nachfragen, er wusste sofort, dass niemand anderes als sein Wildfang gemeint war.

„Hawky, du musst es doch bemerkt haben. Die ganzen Jahrzehnte warst du immer nur so ein mürrischer Zeitgenosse. Dein grimmiger Blick, deine ernste Art, dein verschlossenes Wesen, so bist du nun schon seit Jahren. Aber jetzt, seitdem dieses Mädchen da ist, hast du dich so sehr verändert, dass ich dich kaum noch wiedererkenne. Als hättest du endlich losgelassen. Als wärest du jetzt endlich bereit für einen Neuanfang.“

Einen Moment wurde es ruhig. Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte, sagen konnte. Er war tatsächlich sprachlos.

„Veränderungen sind gut, Hawky. Und sie tut dir gut. Ich hab zwar immer noch meine Bedenken wegen ihrem Alter, aber wenn sie dich glücklich macht, will ich euch meinen Segen geben.“

„Jirou!“ Nun war er aufgestanden. Doch sein Freund lachte wieder.

„Ich bin wirklich dankbar. All die Jahre habe ich versucht auf dich aufzupassen, dich zu einem Neuanfang zu bewegen. Aber jetzt brauchst du mich nicht mehr, jetzt passt sie auf dich auf. Und sie ist deutlich besser darin als ich. Mein Gott, seit Sharaks Tod habe ich dich nicht mehr so lachen gesehen.“

„Jirou, jetzt warte mal…“

„Ich muss los, Hawky. Wir sehen uns auf dem Ball. Ich bin so froh, dass du endlich wieder glücklich bist.“

„Verdammt nochmal…“

Der andere hatte aufgelegt. Aufgebracht fuhr er sich durchs Haar, als ein abgehackter Laut seiner Kehle entkam.
 

„Du siehst aber unglücklich aus.“

Nur zustimmend knurrend ließ er sich neben sie auf den Boden fallen und lehnte sich gegen den starken Stamm einer Buche.

„Hast du wieder Ärger bekommen?“

Schwungvoll drehte sie sich auf den Bauch und streckte eine Hand nach seiner geröteten Wange aus.

„Was hast du denn heute schon wieder angestellt?“ Doch sie strahlte ihn an, als wäre er ihr ganzer Stolz, während sie liebevoll sein Gesicht hielt. Er ließ sie gewähren, wie er sie alles tun lassen würde, solange es sie glücklich machte.

„Nichts“, murrte er und öffnete das große Buch über Handelsgeschichte, welches er zum Lernen mitgebracht hatte.

„Wegen nichts wäre Vater bestimmt nicht so wütend geworden“, meinte sie nur und robbte etwas näher zu ihm, um ihren Kopf auf seinen Oberschenkeln abzulegen. Ihr langes, pechschwarzes Haar streichelte seine nackten Knie. „Also? Welche Idee hattest du dieses Mal?“

„Wir haben nur ausprobieren wollen, ob Pippi schwimmen kann“, meinte er schulterzuckend, jedoch mit leichter Häme in der Stimme.

„Die Katze vom Bürgermeister?“, lachte sie leise und sah zu ihm auf, als würde er ihr die spannendste Geschichte der Welt erzählen.

Er nickte, während er zu lesen begann.

„Und kann sie schwimmen?“

„Natürlich nicht“, grinste nun auch er, „Jiroushin ist hinterher gesprungen und dann ist der Dummkopf fast ertrunken, weil der noch nicht mal selbst schwimmen kann. Der alte Koumyou musste höchstpersönlich beide rausziehen.“

„Weil du auch nicht schwimmen kannst“, beendete sie seine Geschichte breit grinsend.

„Kein Wunder, dass Vater außer Rand und Band ist, Stotter-Cho hätte dabei sterben können, weißt du?“

„Er heißt Jiroushin, Ji-rou-shin! Er hat schon vor Jahren aufgehört zu stottern!“

Wieder lachte sie.

„Ja, ich erinnere mich. Damals hast du Ärger bekommen, weil du die ganzen Jungs aus der Kampfschule verprügelt hast.“

Stolz grinsend blätterte er eine Seite um.

„Wenn diese Schwächlinge meinen einen Kammeraden von mir beleidigen zu müssen. Es ist nicht meine Schuld, dass ihre Muskeln nicht wettmachen, was ihnen an Geisteskraft fehlt.“

Er konnte sehen wie sich sein eigener Blick in ihren tiefen Augen spiegelte, doch sie schwieg.

„Was ist?“

„Ich bin so froh, dass du einen Freund gefunden hast.“

Darauf antwortete er nicht. Es war nicht so, dass er den unsicheren Jungen aus der Nachbarschaft wirklich für einen Freund hielt, aber es war recht angenehm, den eintönigen Schulalltag mit jemandem zu verbringen, der auf einem ähnlichen intellektuellen Leistungsniveau war, wie er selbst. Er brauchte allerdings keine Freunde, schließlich hatte er ja sie.

Nur der Wind rauschte zwischen den Blättern, als der Tag dahinglitt. Er las in seinem Buch und sie lag in seinem Schoß und betrachtete den Himmel.

„Sag mal, kleiner Bruder“, fragte sie irgendwann und klappte ihm das Buch zu, „hast du einen Traum?“

Er rollte die Augen über diese kindische Frage und sah zu ihr hinab, während sie ihre freie Hand hob und ihm durchs Haar wuschelte. Es fiel ihm wieder einmal schwer zu glauben, dass sie so viel älter war als er. Sie benahm sich immer noch wie ein Kind, während er schon fast erwachsen war.

„Du weißt, dass ich Priester werden will“, antwortete er herablassend, als wäre dies offensichtlich.

„Aber ist das denn auch dein Traum?“ Ihr Blick war so ungewohnt ernst.

Ja, er hatte einen Traum, aber den würde er ihr nie sagen. Er wollte, dass sie glücklich war.

„Hast du einen?“, fragte er stattdessen.

Sie nickte: „Natürlich. Ich will die ganze Welt bereisen!“

Sie reckte beide Hände in die Luft, als wollte sie den Himmel umarmen.

„Wenn ich zur Marine gehe, dann nur um auf ihren Schiffen von einer Insel zur anderen zu kommen. Ich will alles sehen, alle Kulturen kennen lernen, alle Sprachen lernen und dann will ich zu den Menschen auf Ohara und mit ihnen Bücher darüber schreiben.“

Sie lachte glücklich auf. „Und dann will ich alles wieder bereisen und noch viel mehr erleben. Noch mehr Menschen treffen. Ich will die ganze Welt sehen und nicht nur die paar Inseln hier.“

„Das ist ein guter Traum“, flüsterte er und folgte ihrem Blick den Himmel hinauf. Das hörte sich nach Freiheit an. Frei von politischen Zwängen, frei von gesellschaftlichen Erwartungen, frei von familiären Pflichten.

„Willst du mich begleiten?“

Überrascht sah er wieder hinab.

„Wie bitte?“

„Ach, was rede ich denn da? Du wirst eines Tages ein so gut aussehender junger Mann sein. Die Frauen werden auf dich fliegen wie Motten ins Licht und dann hast du mit Sicherheit keine Lust, den ganzen Tag mit deiner alten Schwester zu verbringen.“

Es war ihm ein Rätsel, wie sie so etwas sagen konnte. Sie war der schönste Mensch, den er je gesehen hatte und ihr Lachen reichte aus, um ihn glücklich zu machen, sowie eine ihrer Tränen ausreichte um ihn zur völligen Verzweiflung zu bringen. Um alles in der Welt wollte er dieses unschuldige Lachen beschützen, wollte diese reine Seele vor jeglichem Schmutz bewahren. Nie sollte sie ihre Hände mit Blut besudeln müssen. Nie sollte sie Hass und Zorn kennen lernen müssen.

„Und was ist mit dir? Wenn du bei der Marine anfängst, laufen dir mit Sicherheit alle Kadetten hinterher.“

„Kleiner Bruder“, langsam richtete sie sich auf, nun unglaublich ernst, „Würdest du mit mir kommen? Mit mir die Welt bereisen? Orte besuchen, wo niemand zuvor war? Nur wir beide?“

Einen Moment lang sahen sie einander an, dann grinste er.

„Na klar! Für dich würde ich sogar zur Marine gehen.“

Sie lachte wieder so herrlich fröhlich. Es war das schönste Geräusch der Welt.

„Dann ist es beschlossene Sache!“

Sie hielt ihm den kleinen Finger hin.

„Wir gehen zur Marine und dann erkunden wir die Weltmeere. Wir fliegen in den Himmel und sinken hinab auf den Meeresgrund. Nur wir zwei. Nur du und ich.“

„Genau!“

Er umklammerte ihren kleinen Finger mit Seinem.

„Und wenn wir dann alt und erfahren sind, suchen wir uns einen Schüler.“

„Einen Schüler? Wofür den?“

„Um unser Wissen weiterzugeben.“

Immer noch sahen sie einander an.

„Irgendwo auf dieser Welt, kleiner Bruder, wird es jemanden geben, der noch talentierter ist als wir und wenn wir dieses Kind gefunden haben, werden wir aus ihm einen wahrhaften Schwertmeister machen.“

„Du meinst, du wirst aus ihm einen Schwertmeister machen. Du weißt, dass ich nicht im Mindesten mit dir mithalten kann. Außerdem trainiere ich nur noch mit dir, damit du nicht aus der Übung kommst.“

Leicht legte sie den Kopf schief.

„Aber du bist im Unterrichten doch besser als ich. Du bist viel verständnisvoller und geduldiger. Der kleine Stotter… Jiroushin war so langsam und du bist die ganze Zeit ruhig geblieben. Ich wäre ihm am liebsten an den Hals gesprungen.“

Nun lachte er: „Ja, wenn es um das Schwert geht, bist du viel zu emotional. Jirou braucht nur etwas mehr Zeit, aber ich bin mir sicher, dass er eines Tages ein bemerkenswerter Schwertkämpfer sein wird.“ Er grinste. „Okay, wir machen das. Nur wir beide. Gegen den Rest der Welt. Und ich werde aufpassen, dass du unseren Schüler nicht aus Versehen umbringst!“

Nach dem Fingerschwur sah sie ihn ernst an.

„Was ist denn?“

„Wenn ich zur Marine gehe, werde ich wohl wirklich Menschen umbringen müssen, oder kleiner Bruder?“

Nun war er es, der eine Hand an ihre Wange legte.

„Nein.“ Ihre Augen wurden groß. „Gib mir nur etwas Zeit, sobald ich alt genug bin, werde ich zu dir stoßen und auf dich aufpassen. Du wirst niemanden töten müssen. Und bis dahin machst du einfach nur Schreibtischarbeit, sodass dir nichts passieren kann bis ich da bin, um dich zu beschützen.“

Leise Tränen rannen ihr Gesicht hinab.

„Aber kleiner Bruder, ich bin doch deine große Schwester. Ich sollte auf dich aufpassen und nicht umgekehrt.“

Er stupste seinen Zeigefinger gegen ihre Stirn, sodass sie nach hinten umfiel und auf seinen Unterschenkeln landete.

„So eine Heulsuse wie du soll mich beschützen? Ich bin ein richtiger Mann, verstanden? Ich kann auf mich selber aufpassen.“

Er grinste sie an.

„Okay“, flüsterte sie, „Versprich mir nur eines.“

„Natürlich“, antwortete er schneller als es ihm lieb war.

„Egal wie wütend Vater dich macht oder wie unfair die Welt ist, vergiss nie zu lächeln, okay? Ich mag es nicht, wenn mein kleiner Bruder so ernst drein schaut.“

Seine Wangen röteten sich und er nahm das Buch wieder zur Hand.

„Ich möchte, dass du lächelst, ich möchte dass du glücklich bist.“

„Mach dir keine Sorgen“, murmelte er, während er wieder die Seite aufschlug, die sie eben zugeklappt hatte, „Solange du da bist, hab ich immer einen Grund zu lächeln.“

„Oh! Du bist so süß, kleiner Bruder!“ Laut aufschluchzend fiel sie ihm um den Hals.

In der Ferne konnten sie ihre Namen hören, die Stimme der Haushälterin rief sie besorgt.

„Oh, es ist, glaube ich, Zeit fürs Abendessen.“ Geschwind sprang sie auf, ihr Haar tanzte im Wind. „Komm, kleiner Bruder!“

Doch er schüttelte den Kopf.

„Ich hab keinen Hunger. Lass uns das Abendessen doch mal ausfallen lassen.“

Er sah zu ihr auf, wie sie sich im Wind drehte, die nackten Füße durchs Gras schweben ließ. Dann lachte sie ihn an und streckte eine Hand nach ihm aus.

Seufzend stand er auf und hielt sie fest, während sie unbeholfen kleine Kreise tanzten. Noch war sie größer als er, aber er war sich sicher, dass er eines Tages größer sein würde und dann würde er sie auch beschützen können. So wie ihr Lächeln ihn beschützte, ihn glücklich machte.

„Kleiner Bruder“, flüsterte sie, nahe an seinem Ohr, „Versprich mir, dass du mich nie verlässt!“

Er hielt sie so fest er konnte, während die Stimme der alten Kanan immer näher kam.

„Ich verspreche, dass ich dich nie zurück lassen werde. Ich werde immer an deiner Seite sein.“
 

Verzweifelt riss er die Tür zum Balkon auf und stützte sich auf die Brüstung. Es fiel ihm unglaublich schwer zu atmen, die frische Luft machte es nicht besser.

Gefühle übermannten ihn. Gefühle, die er vor langer Zeit begraben hatte, vergessen hatte.

All die Jahre, die er durch die Welt gesegelt war. Er war der beste Schwertkämpfer geworden. Er hatte all jene Orte besucht. Hatte all jene Abenteuer erlebt. Und nun hatte er auch einen Schüler.

Ihr sorgt Euch um das Mädchen. Ihr kümmert Euch um sie. Ihr streitet mit ihr. Ihr unterhaltet Euch mit ihr. Aber am aller wichtigsten. Ihr lacht wieder!

Aufgebracht fuhr er sich durchs zerzauste Haar.

Sie war es gewesen!

Er hatte sich an ihr Versprechen gehalten! Er war immer da gewesen!

Aber sie… sie hatte ihn verlassen! Sie hatte ihr Versprechen gebrochen!

Erst dieser Nataku! Und dann…dann…

Ich bin so froh, dass du endlich wieder glücklich bist.

Er war so stark geworden, nur damit er sie beschützen konnte, damit er auf sie aufpassen konnte. Damit sie niemals einen anderen Menschen töten musste. Damit sie nie aufhören würde zu lächeln. Denn er hatte dieses Lächeln zum Überleben gebraucht.

Er war zur Marine gegangen, um auf jenen Schiffen das Meer zu bereisen.

Doch sie war schon lange nicht mehr da. Sie hatte ihn allein gelassen.

Seit jenem Tag hatte er nicht mehr lachen können, war nicht mehr glücklich gewesen.

Sie hatte ihn verlassen und ihr Lächeln war das einzige gewesen, was ihn erreichen durfte. Nur ihr Lächeln war in der Lage gewesen ihn zu berühren. Nur sie allein.

Ich möchte, dass du lächelst, ich möchte dass du glücklich bist.

Hätte ihr Lächeln ihn nicht berührt, hätte er niemals diese unglaubliche Leere gespürt, diese unglaubliche Verzweiflung, diesen unglaublichen Hass.

An jenem Tag hatte er sich geschworen, dass er nicht mehr fühlen wollte, nicht mehr fühlen durfte. Es war besser so.

Er hatte gelebt. Er hatte die Welt bereist. War ein fähiger Schwertkämpfer und Kapitän gewesen. Jirou war immer treu an seiner Seite gewesen. Der einzige Mensch, dem er je erlaubt hatte hinter diese Maske zu sehen.

Es waren gute Zeiten gewesen, damals mit seiner Crew. Zeiten voller Freiheit und Abenteuer. Aber er hatte sich nicht erlaubt, loszulassen. Nicht eine Sekunde lang hatte er sich erlaubt zu fühlen, denn dann hätte er das gefühlt.

Diesen unglaublichen Schmerz!

Diese unfassbare Trauer!

Sharak war tot! Sie hatte ihn verlassen!

Wie sollte er je wieder klar denken können, wenn er fühlen musste?

Und auch sein verdammter Wildfang würde ihn verlassen.

Er hatte all diese Wunden bei ihm aufgerissen und dann würde er einfach gehen und auch ihn würde er nicht beschützen können.

Auch Lorenor würde sterben! So wie sie alle!

Nein.

Plötzlich unterbrach sein Kopf sein schreiendes Herz.

Er hatte Lorenor bereits einmal verloren! Und jetzt war er trotzdem hier. Damals hätte er ihn töten können, aber er hatte ihn am Leben gelassen. Nie wäre er auf die Idee gekommen, ihn als Schüler zu sich zu nehmen.

Wenn das Schicksal nicht diesen seltsamen Weg gegangen wäre, wäre es nie so gekommen.

Langsam atmete er aus und sah zum Himmel hinauf.

All diese Zeit hatte er die Reinheit seiner Schwester bewahren wollen, hatte ihr Unschuld beschützen wollen. Nie sollte sie die Hässlichkeit dieser Welt sehen.

Doch Sharak war tot. Er musste sie nicht mehr beschützen, vor dieser grässlichen Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die Lorenor nur zu gut kannte. Lorenor wusste, wie die wirkliche Welt war, er hatte all diese Grausamkeiten gesehen, all das Leid erfahren, den Schmerz gefühlt. Er hatte Leben ausgelöscht und die Verantwortung getragen. Er war stark, in seinem Herzen, in seinem Willen.

Lorenor musste er nicht vor der Wahrheit beschützen und seine Schwester war reinen Herzens gestorben.

Er war frei.

Jirou hatte Recht. Er hatte sich verändert. Nein, Lorenor hatte ihn verändert. Hatte ihn befreit.

Erleichterung durchströmte seinen Körper.

Er war frei!

„Da bist du ja!“

Überrascht wandte er sich um. Eben genannter stand vor ihm. Die Hände auf den Hüften, den Kopf leicht schräg gelegt.

„Wo bleibst du denn?“

Offensichtlich bemerkte der Jungspund nicht, was für ein Chaos in ihm herrschte.

Ruhig sah er das Kind vor sich an. Die leuchtenden Augen, die geschürzten Lippen. Unter dieser schwachen Oberfläche war ein Mann, der ihm ebenbürtig war, oder es eines Tages zumindest sein würde.

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Bis dahin würde er darauf aufpassen, dass das Licht des anderen nicht verblasste.

„Was ist denn mit dir?“ Der Pirat zeigte sich etwas besorgt, wenn auch mehr genervt.

„Nichts“, antwortete er und zuckte mit den Schultern, „Ich bin einfach nur glücklich.“

Kapitel 25 - Das Gespräch

Kapitel 25 – Das Gespräch
 

-Zorro-

„Achte auf deine Deckung!“

Schnell drehte er sich zur Seite und blockte den Angriff der Haushälterin mit seinem rechten Unterarm ab.

„Ausweichen! Ein richtiger Gegner hätte dir gerade die Knochen gebrochen.“

Dieser Kampf war zäh. Nach Stunden des Tanzens sollte es befreiend sein, doch Zorro kam nicht umhin zu bemerken, dass er und Kanan wohl tatsächlich auf einem Level waren.

Nein, das stimmte so nicht.

Kanan war ihm eigentlich deutlich unterlegen. Viele ihrer Angriffe und Paraden waren schludrig und grob. Doch sie war schnell und änderte ihren Kampfstil innerhalb von Sekundenbruchteilen. Es gab keine Schrittfolge, kein Manöver, das sie wiederholte. Es war, als würde er bei jedem Atemzug gegen einen neuen Feind kämpfen. Außerdem war sie ihm kräftemäßig eindeutig überlegen.

Sie grinste ihn böse an. Ihr machte das Ganze mittlerweile richtig Spaß, doch für ihn war es bitterer Ernst.

Falkenauge erwartete von ihm, dass er die Haushälterin bis zu seiner Abreise besiegen würde, er hatte sich jedoch ein anderes Ziel gesetzt. Er wollte sie noch vor dem Ball schlagen.

Es gab jedoch nur ein klitzekleines Problem an der Sache.

Dies hier war die letzte Trainingseinheit.

Die vergangenen Tage waren zu einer seltsamen Einheit verschwommen. Das morgendliche Frühstück mit dem zeitungslesenden Samurai, danach tanzen und trainieren. Die späten Abende hatten sie meist im Wohnzimmer oder auf dem Balkon verbracht. Es gab Tage, wo der Ältere zu irgendwelchen Terminen musste, aber er hatte Zorro nicht mehr mitgenommen, wofür er äußerst dankbar war. Die nervigen Artikel über Lady Loreen hatten etwas abgenommen, aber hier und da tauchten sie immer noch auf und er war sich sicher, dass sie nach dem Ball in zwei Tagen wieder Überhand nehmen würden.

Kanan hatte darauf bestanden, dass er mit dem Training am Tag vor dem Ball pausieren würde, um nicht voller blauer Flecken zu sein und zu seinem Wehleiden hatte sein überfürsorglicher Lehrmeister natürlich zugestimmt. Es war nicht so, dass er das nicht verstehen würde. Er hatte ja die ganze Situation eingesehen und akzeptiert, aber er mochte nicht, wie wohlwollend ihn der Ältere anstarrte. Nicht gerade in diesem Moment, gerade korrigierte er äußerst mürrisch seine Ausweichbewegung und schien nicht ganz zufrieden mit ihm. Aber er wusste es ja selber. Da war irgendetwas, was ihn unterlegen machte, obwohl er so viel besser war als das ehemalige Kindermädchen.

Zu gut erinnerte er sich an das Tanztraining mit dem Samurai, aber er wusste einfach nicht, wie er wissen sollte, was sie dachte, bevor sie es überhaupt dachte!

Er konnte ihr rechtzeitig ausweichen, sie rechtzeitig parieren, aber er fand die Lücken in ihrer Abwehr zu langsam. Es war, als würde er nur reagieren und nicht agieren.

Er war deutlich erfahrener als sie und eigentlich sollte sie für ihn keinen Gegner darstellen, eigentlich sollte er jede ihrer Bewegungen schon Minuten vor ihr erkennen, so wie er bisher alle seine Gegner mit jeder Sekunde des Kämpfens mehr durchschaut hatte, aber hier war es anders.

Etwas entging ihm.

Doch das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass sein Möchtegernvormund es sehen konnte, fühlen konnte, hören konnte oder was auch immer!

Mihawks Unzufriedenheit war leicht wahrzunehmen und das half ihm nicht wirklich. Es war nicht gerade gut für sein Ego, dass er nur kurz vor einem Fortschritt stand aber einfach nicht die Puzzleteile zusammenfügen konnte, während es für den anderen anscheinend so offensichtlich war, dass er kurz davor war, sich die verflucht stechenden Falkenaugen auszukratzen.

Die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Dulacre hatte sich ihm gegenüber seltsam verhalten. Er konnte es nicht genau erklären. Es war, als hätte der andere einen Schalter umgelegt. Er behandelte ihn immer noch wie ein Kind, beschwerte sich über seine Umgangsformen und regte sich nur zu leicht über ihn auf. Aber irgendwo dazwischen, irgendwo zwischen ihren Streitereien, zwischen seinem väterlichen Getue, zwischen seiner strengen Miene, hatte er angefangen ihn anzulächeln.

Und das machte ihm eine Heidenangst!

Reichte es nicht schon, dass er selbst sich immer mehr an die gemeinsamen Mahlzeiten, das gemeinsame Training, die gemeinsamen Abende gewöhnte?

War es nicht schon schlimm genug, dass er den anderen immer mehr akzeptierte, ja sogar anfing ihn zu mögen? Dass er zuließ, dass der andere auf ihn aufpasste, dass er ihn beschützte?

Und jetzt fing dieser Mistkerl auch noch mit so einem unheimlichen Verhalten an.

Zorro musste aufpassen. Er musste aufpassen, dass er dieses Leben nicht anfing zu mögen, dass er nicht anfing, hier zufrieden zu sein.

Damals, als er sich Ruffy angeschlossen hatte, war da nichts gewesen, das er hätte zurücklassen können. Als die anderen ihre Heimat verlassen hatten, hatte er sich immer gefragt, wie sich das wohl anfühlen würde, wollte dieses Gefühl aber eigentlich nie selbst erfahren.

Mittlerweile konnte er sich vorstellen, was das für eine Zerrissenheit sein konnte.

Er wollte zu seinen Freunden zurück!

Das hatte nie zur Diskussion gestanden.

Aber eigentlich, eigentlich, wenn er ganz ehrlich war, hatte er angefangen die Leute hier zu mögen.

Die Leute der Insel, vom bärigen Bürgermeister, über den dauergrinsenden Konteradmiral, zur überfürsorglichen Haushälterin.

Und Dulacre.

Verdammt nochmal!

Wann war er nur so weich geworden?! Wann war der andere nur so weich geworden?!

Wann waren sie einander so wichtig geworden?!

All diese Gedanken jagten durch seinen Kopf, während das ehemalige Kindermädchen ihn durch den Trainingsraum jagte, doch egal wie schnell er war, er entkam weder ihrer Klinge noch seinen wirren Gedanken.

Eigentlich war es nicht ungewöhnlich. Er hatte eine intensive Zeit mit den Menschen hier verbracht. Selbst den Koch hatte er nach einer halben Ewigkeit zu schätzen gelernt, auch wenn er das nie zugeben würde. Irgendwann hatte er sogar angefangen Nico Robin zu vertrauen. Es war nicht verwunderlich, dass er die herzensgute Kanan liebgewonnen hatte.

Dulacre auf der anderen Seite hatte er am Anfang wirklich nicht gut leiden können. Er hatte ihn respektiert und geachtet, aber seinen überheblichen, eingebildeten Charakter verflucht.

Doch irgendwann, zwischen Abenden mit Wein und Stunden des Tanzens hatte er bemerkt, dass der andere ein Mensch wie jeder andere war. Nur in den Trainingseinheiten hatte er sich wieder daran erinnert, wie mächtig Falkenauge war.

Aber beim Trinken hatte er viel erzählt, beim Lesen hatte er oft gelächelt und beim Tanzen waren seine Hände warm gewesen. Sein Herzschlag ruhig. Zorro war einfach nur seinen Schritten gefolgt, hatte sich von ihm führen lassen. Ihre Bewegungen hatten sich wie von selbst einander angepasst. In diesen Momenten war der andere für ihn lesbar gewesen wie ein Buch, in diesen Momenten waren sie einander so vertraut gewesen, wie wenn er den anderen schon sein ganzes Leben kennen würde. Als hätte der Takt die Zeit gedehnt, während sie getanzt hatten, war jedes Mundwinkelzucken des Samurais für ihn sichtbar gewesen. Jede Muskelanspannung des anderen hatte er gespürt. Er hatte alles gleichzeitig wahrgenommen und war noch im selben Moment in der Lage gewesen zu handeln.

Das war es!

Mit einem Male wusste er genau, was ihm bis zu dieser Sekunde entgangen war. Es war genau wie beim Tanzen. Wie konnte er das nur bisher übersehen haben? Er hatte geglaubt, dass es nicht mehr war, als Tanzen, aber in Wahrheit war es die eine Lektion gewesen, die ihm noch gefehlt hatte.

Plötzlich war es, als würde die Welt um ihn herum sich nur noch in Zeitlupe drehen. Zorro wusste jetzt, was er tun musste.

Kanan kam auf ihn zugeeilt, überraschend schnell doch viel zu langsam für ihn. Er wusste, was sie vor hatte, konnte es sehen, noch bevor sie sich bewegte, beinahe so, als wenn er sie lenken würde, durch ihre Augen sehen würde.

„Jetzt bist du fällig!“, brüllte sie siegessicher und ziemlich brutal.

Nur noch wenige Meter trennten sie. Er konnte sie alle sehen, die tausend Lücken in ihrer Deckung, jeden Fehler in ihrer Bewegung.

Warum hatte er das bisher noch nicht wahrgenommen? Es war so einfach! Kein Wunder das Mihawk beinahe die Geduld mit ihm verloren hatte.

Wie in Zeitlupe wisch er ihr aus, hob sein Schwert und…

„Das reicht.“

Aus dem Nichts tauchte der Samurai zwischen ihnen auf. Mit einer Hand hielt er Kanans Kurzschwert fest, mit der anderen hatte er Zorro gestoppt, ohne ihn überhaupt berührt zu haben. Wie eine unsichtbare Wand hatte die Luft die Kraft von Zorros Schlag aufgehalten.

„Herr, was fällt Euch ein, Euch hier einzumischen? Ich hätte sie jetzt besiegt!“, brüllte die Haushälterin aufgebracht.

Doch Mihawks Augen lagen auf Zorro. Er sah ihn an und er meinte so etwas wie Stolz in dem Blick seines Lehrmeisters zu erkennen. Hinter ihm zeterte Kanan immer noch vor sich rum.

„Das Training ist für heute beendet“, stellte der Herr des Hauses kühl fest.

„Was? Wie kommt Ihr darauf? Ich bin gerade erst warm gelaufen.“

Nun klang es fast so, als ob die Haushälterin gefallen am Kämpfen gefunden hatte.

Falkenauge schüttelte nur den Kopf.

„Der Kampf ist vorbei. Sie haben verloren und jeden weiteren Kampf gegen unseren Gast würden Sie von nun an auch verlieren.“

Wieder sah er ihn an und dann nickte der Schwarzhaarige langsam und Zorro hasste sich in diesem Moment.

Denn er glühte vor Stolz und spürte, wie ihm die Tränen in die Kulleraugen schossen.

Er hatte es geschafft und er hatte wieder mal Dulacres Erwartungen übertroffen. Es kostete ihn größte Mühen sein selbstbewusstes kleines Lächeln beizubehalten und nicht zu grinsen wie ein vollgefressener Gummiaffe.

Ganz langsam steckte er Josei zurück in die Scheide und drehte sich zur Türe, nun doch mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Er hatte nicht einen Kratzer abbekommen. Er hätte Mr.1 unverletzt besiegen können und jetzt würde er stärker werden, stark genug um jeden Gegner zu besiegen.

Mit vor stolz geschwellter Brust ging er sich umziehen, ignorierte die laute Stimme der Haushälterin und die genervte Antwort des Samurais hinter sich.

Eine Tür knallte laut zu, endlich war er alleine.

„Ich hoffe du wirst jetzt nicht übermütig.“

Überrascht wandte er sich um. Hinter ihm stand Dulacre mit verschränkten Armen und betrachtete ihn. Das war etwas unangenehm, da er nur in BH und Hose dar stand, aber den Älteren beim Erröten zuzusehen, war es allemal wert. Genau in diesem Moment bemerkte wohl auch der Samurai, was er da sah, denn er senkte schnell den Blick und wandte sich halb ab.

„Nur weil du jetzt sehen kannst, heißt das noch lange nicht, dass du unbesiegbar geworden bist.“

Und da war der Dämpfer auf den er schon gewartet hatte.

„Im Grunde ist es verwunderlich, dass du so viele Kämpfe überlebt hast, obwohl du noch nicht mal sehen konntest. Ich vermute, dass du das durch grobe Muskelkraft ausgeglichen hast.“

Also wenn das ein Lob sein sollte, dann war es ein ganz schlechtes.

Zorro drehte sich wieder um und öffnete den Verschluss seines BHs, mittlerweile war das relativ einfach geworden, man konnte sich halt an alles gewöhnen.

„Musst du das vor meinen Augen machen?“

„Dann schau doch nicht hin!“, antwortete er ebenso gereizt, „Und was meinst du mit sehen? Ist ja nicht so, als ob ich vorher blind gewesen wäre.“

Der Samurai in seinem Rücken seufzte laut: „Nein, nur geistig etwas beschränkt, wie mir scheint. Natürlich hat das Sehen nichts mit den Augen zu tun. Es geht darum, dass sich eurer beider Gedanken und Geister verbinden. Wenn du lernst, dies bewusst wahrzunehmen kannst du viel schneller handeln, als wenn du dich nur auf deine üblichen Sinne verlassen würdest.“

Überrascht blickte Zorro auf.

„Ach echt?“, murmelte er etwas verwundert und begann sich anzuziehen.

„Sag bloß, du hast es gemacht, ohne überhaupt zu wissen, was du da tust?“ Reine Fassungslosigkeit und Unglaube sprach aus dem Samurai. „Du bist unmöglich. Keine Ahnung von nichts haben, aber einfach intuitiv handeln. Du machst mich wirklich fertig.“

Angezogen drehte Zorro sich wieder herum. Falkenauge sah ihn weiterhin kühl an.

„Du brauchst ungewöhnlich lange, bis du etwas begreifst. Du wendest Techniken an, die ein hohes Maß an Fertigkeit benötigen, ohne überhaupt zu verstehen, was du tust. Ein Schwertkämpfer wie du ist mir noch nie unter die Augen gekommen. Theoretischer Unterricht scheint bei dir verschwendete Zeit zu sein, du lernst nur unter der direkten Konfrontation. Es ist mir einfach schleierhaft, wie dein alter Lehrmeister dich unterrichten konnte, ohne zu verzweifeln.“

„Was willst du eigentlich?“, knurrte er den Älteren mürrisch an, während er seine nervigen, langen Haare mit einem Haarband bändigte, „Ich hab es doch hinbekommen, oder etwa nicht? Und zwar deutlich schneller, als du es erwartet hast. Also stell dich nicht so an.“

Falkenauge versperrte ihm den Weg. Viel zu ernst sah er ihn an.

„Es stimmt, Lorenor. Dein Fleiß und dein Ehrgeiz haben dich weitgebracht. Dein Talent ist unvergleichbar. Aber sei vorsichtig, dass dein Stolz dich nicht zu Fall bringt. Es gibt noch so vieles, von dem du noch nicht mal den Hauch einer Ahnung hast.“

Für einen Moment sahen sie einander an.

„Talent ist nicht alles, Lorenor. Merke dir, dass selbst deine Gabe dich nicht vor deinem Hochmut bewahren kann. Das was dich davon abhält, ein wahrer Meister zu werden sind deine kindischen Verfehlungen. Lerne deine Emotionen zu kontrollieren, lerne dankbar für dein Talent und bescheiden zu sein und vor allem lerne Respekt vor dem Wissen zu haben, mit dem man dich ausbildet. Verstanden?“

„Warum sagst du mir das? Warum belehrst du mich ausgerechnet jetzt? Diesen ganzen Mist hast du mir doch schon bereits gesagt. Glaubst du, ich höre dir nicht zu?“

Mihawk öffnete den Mund, doch er sagte nichts. Zorro konnte sehen, wie der Brustkorb des anderen sich etwas schneller hob und senkte als sonst. Das, was er ihm an den Kopf geworfen hatte, sollte der Samurai erst einmal selber beherzigen, denn wieder mal schien er derjenige zu sein, der um seine Kontrolle bangen musste. Es wirkte fast so, als würde eine erneute Konfrontation bevorstehen. Er verstand nicht, warum der andere sowas immer provozierte. Aber er war müde, er war erschöpft. Er brauchte nicht erneut so ein Gespräch mit dem anderen. Er wollte nicht wissen, was der andere dachte, fühlte, nicht solange er mit sich selbst nicht im Reinen war.

Seufzend verschränkte er die Arme.

„Ich bin dankbar“, lenkte er ein, „dankbar dafür, dass ich eine zweite Chance bekommen habe und am Leben bin. Das muss dir für heute reichen.“

Müde ging er an dem anderen vorbei zur Tür, doch er konnte seine nächsten Worte nicht aufhalten und verfluchte sich selbst noch, während er sie aussprach.

„Wann bist du nur so weich geworden?“

Am liebsten hätte er sich für seine eigene Dummheit selbst eine rein gehauen. Wieso um alles in der Welt war er nicht einfach raus gegangen, Richtung Bett?! Er wollte diese Diskussion nicht! Vor allem nicht mit dem Samurai, vor allem nicht zwei Tage bevor er in einem Ballkleid mit ihm tanzen würde, vor allem überhaupt nicht!

Diese verdammten weiblichen Hormone! Die mussten schuld sein! Warum mussten Frauen auch über alles reden?

Entschieden ging er raus und ließ die Tür hinter sich zufallen, doch natürlich kam der Ältere hinterher.

„Wie war das?“

Ja! Er hatte ihn nicht verstanden! Glück gehabt, jetzt musste er sich nur geschickt daraus reden. „Du denkst, ich wäre weich geworden?!“

Okay, oder auch nicht.

Sich selbst innerlich erwürgend, drehte er sich herum. Auch wenn er nach außen hin natürlich absolut unbeeindruckt blieb. Wäre ja noch schöner, wenn der andere bemerken würde, dass er überhaupt nicht reden wollte, sollte der doch glauben, dass Zorro den Streit gesucht hätte.

„Sieh dich doch mal an“, fing er ziemlich gut an, „Du bist einer der sieben Samurai, bester Schwertkämpfer der Welt und ich will dich besiegen. Als wir unsere Vereinbarung geschlossen haben, warst du die Vernunft in Person. Nichts konnte dich aus der Ruhe bringen und du hast dich einen Dreck für andere interessiert. Und jetzt grinst du mich die halbe Zeit an wie ein besoffenes Honigkuchenpferd. Glaubst du, ich sehe die Blicke nicht? Glaubst du ich merke nicht, wenn du dir den Kopf über mich zermarterst? Deine Sorge um mich ist unsinnig und im Grunde geht dich mein Leben gar nichts an. Und ich verstehe einfach nicht, wie ein Stratege wie du es zulassen kann, dass ein Feind wie ich es nun mal bin, dir emotional so nahe kommen kann!“

Am Anfang hatte Falkenauge ihn durchaus erbost angestarrt, doch während seiner Worte war der Ältere immer gelassener geworden und hatte die Arme verschränkt.

Nun sah er ihn einfach nur kühl an.

Zorro war sich sicher, dass die Explosion nur kurz bevor stand.

Und dann lachte der andere.

Dulacre lachte laut auf und schlug sich immer wieder auf die Oberschenkel, Tränen in den Augen.

Mit dieser Reaktion hatte der Pirat nun wirklich nicht gerechnet. Er hasste es, wenn der andere so reagierte, ihn auslachte.

„Was ist denn jetzt bitte so lustig?!“, fuhr er den anderen mit einer unangenehm hohen Tonlage an.

Nur langsam beruhigte sich der andere.

Kopfschüttelnd sah Mihawk ihn an.

„Du bist so putzig!“ Wieder lachte er, doch diesmal unterbrach er sich, ehe Zorro ihn anbrüllen konnte. „Ahh“, atmete er erst einmal aus, „Anscheinend ist dir noch nicht einmal aufgefallen, dass all deine Worte genauso auch auf dich zutreffen. Dein Problem ist nicht, dass ich weich geworden bin, sondern dass du weich geworden bist.“ Fassungslos starrte Zorro ihn an. „Dir missfällt es, dass ich freundlich zu dir bin, da es dazu führen könnte, dass du mich tatsächlich mögen könntest. Bisher war es für dich immer einfach, deine eigenen Gefühle zu ignorieren, denn hey, schließlich ist auch der beste Schwertkämpfer der Welt ein emotionsloser Taktiker. Aber jetzt, oh schau, dieser Typ, dem du dein ganzes Leben lang nacheiferst, ist nicht mehr als ein normaler Mensch und, oh Schreck, er macht sich auch noch Sorgen um dich, obwohl du ihn doch so gerne töten würdest. Wie sollst du das denn jetzt mit deinem Gewissen vereinbaren?“

Der Ältere sprach mit einer bewusst kindlichen Stimme und machte sich offensichtlich über ihn lustig.

„Und dann denkst du dir, am besten sag ich dem Alten mal, dass er sich total daneben verhält, denn dann wird er eher zu streng mit mir umgehen als zu lasch und ich kann meine unerwünschten Gefühle in die letzte Ecke meines Verstandes verdrängen und so tun, als ob mich unsere Beziehung kein Stück interessieren würde.“ Wieder lachte der andere. „Dir entgeht nur, dass du dich genau dadurch verraten hast, Lorenor. Du kannst es jetzt nicht mehr abstreiten. Deine naive Logik ist absolut durchschaubar. Ob es dir gefällt oder nicht, du magst mich!“

„Nicht mal in deinen schlimmsten Albträumen!“, knurrte Zorro, drehte sich auf dem Absatz um und rauschte davon. Sehr wohl bewusst, dass sein Verhalten die Behauptung des Samurais nur bestätigte. Aber der andere sollte sich nicht zu viel darauf einbilden. Er hatte schon andere Menschen gemocht und sie später trotzdem besiegt.

Das laute Lachen des Älteren verfolgte ihn, während er die Treppe hinauf jagte.

„Loreen, was ist denn?“ Die aufgeregte Kanan kam ihm entgegen.

„Er ist ein Mistkerl!“, brüllte er nur und wollte schon an ihr vorbeijagen, da hielt sie ihn fest, die Lippen fest zusammengekniffen.

„Nicht solche Worte, meine Liebe!“ Er wollte was erwidern, denn er war gerade so richtig in Fahrt gekommen, da hob sie einen kleinen, mintgrünen Brief hoch. „Der ist gestern gekommen, aber ich habe ihn über das Trainings und die ganzen Vorbereitungen hinweg total vergessen. Er ist für dich.“

Alle Wut verpuffte in diesem Moment und für eine Sekunde vergaß er den Samurai und sein nerviges Gelächter. Mit vorsichtigen Händen zog er ein einfaches Blatt aus dem Umschlag, welches nach irgendeinem Kraut roch. Minze vielleicht.

Solche Sachen waren nie gut.

„Eine Einladung“, murmelte er verwirrt, nachdem er den Zweizeiler schnell überflogen hatte.

„Wozu?“, fragte die Haushälterin, obwohl Zorro sich sehr sicher war, dass sie die Einladung bereits gelesen hatte.

„Keine Ahnung. Hier steht nur, dass der Bürgermeister von Sasaki sowie ein Vertreter der Weltregierung mich morgen früh um acht Uhr wegen eines Geschäftstermins im Rathaus erwarten werden.“
 

Der nächste Morgen kam schneller als Zorro lieb war. Während er noch im Dunkeln vor dem Spiegel stand, fragte er sich, warum er sich das antat. Murrend legte er die schweren Ohrringe wieder weg. Die kleinen Löcher in seinen Ohren waren wieder komplett zugewachsen. Das hier war nicht wie der Ball, niemand würde ihm den Kopf abschlagen oder Mihawk seinen Titel aberkennen, wenn er absagen würde. Trotzdem stand er hier und machte sich fertig für ein ungeplantes Treffen.

Der Alte hatte Recht, verdammt!

Er war einfach nicht in der Lage, sich einen Dreck um den anderen scheren.

Solange er das Gefühl hatte, dass seine Anwesenheit für den Samurai ein Problem werden könnte, würde er das verhindern, das war er ihm schuldig.

Aber das hieß noch lange nicht, dass er sich eingestehen würde, dass er den anderen irgendwie mochte! Sie waren eine Zweckgemeinschaft, mehr nicht.

Ein trockenes Lachen entkam ihm. Waren nicht genau das Mal die Worte von der zickigen Navigatorin gewesen? Er seufzte. In was für eine Scheiße hatte er sich nur wieder reingeritten?

Unten in der Küche saß, wie jeden Morgen, bereits der Herr des Hauses am Tisch, der wie immer vor ihm auf war. Vor ihm lag die Zeitung des Tages. In der einen Hand hielt er seinen morgendlichen Kaffee und in der anderen eine Gabel, von der das Spiegelei zu fallen drohte.

Der Samurai hob die Augenbrauen, als Zorro fertig angezogen in einem schwarzen Hosenanzug herein kam, sagte jedoch zunächst nichts.

Kanan hatte am vergangenen Abend Falkenauge noch von der Einladung erzählt, da Zorro sich geweigert hatte mit ihm zu reden. Ja, er wusste auch, dass das kindisch war, aber ändern konnte er das jetzt auch nicht mehr.

Er mochte es halt nicht, wenn der andere ihn analysierte und meinte genau zu wissen, was er dachte, wo er selber das doch noch nicht einmal wusste.

Mit ruhigen Händen goss er sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sie an seine Lippen. Er wusste nicht, was ihn erwarten würde.

„Bist du sicher, dass ich dich nicht begleiten soll?“, unterbrach der Ältere die Stille ohne ihn anzusehen. Sein Blick lag auf der Zeitung, die einen großen Artikel über den morgigen Ball enthielt und dem normalen Volk die Etikette erklärte, ohne die wirklichen Spielregeln zu verraten.

Zorro schüttelte nur den Kopf und trank einen kleinen Schluck.

„Die Einladung war spezifisch an mich gerichtet“, murmelte er nach ein paar Sekunden, „Es wäre unhöflich einfachen jemanden mitzubringen.“

Der Samurai zog die Augenbrauen hoch, als würde er Zorros angebliche Beweggründe hinterfragen, wohl wissend, dass das eher weniger das Problem des Piraten war.

„Es ist deine Entscheidung“, meinte er schließlich und las weiter, während er sich das Ei in den Mund schob.

Der Pirat sagte darauf nichts, sondern trank nur seine Tasse leer.

„Ich geh dann jetzt“, meinte er etwas unbeholfen. Die Stimmung war seltsam. Er war immer noch wütend, worauf genau wusste er nicht, aber irgendwie fühlte sich das alles nicht richtig an.

„Ist es so furchtbar für dich?“ Falkenauges sanfte Frage erklang in seinem Rücken als er die Türe in den Flur schon erreicht hatte.

„Was?“ Verwirrt wandte er sich um.

Der Ältere sah ihn an, wieder mit diesem leichten Lächeln, dass ihm so unheimlich war, aber es wirkte anders als sonst, trauriger.

„Ist die Vorstellung, dass du mich mögen könntest, so furchtbar für dich?“

Die Direktheit des anderen überrumpelte ihn.

„Das habe ich nie gesagt!“, antwortete er zu schnell und auch zu laut. „Es ist kompliziert“, murmelte er dann leise.

„Ist es das?“, widersprach der andere.

Zum ersten Mal seit dem vergangenen Abend hatten sie wieder Augenkontakt.

„Wenn ich nicht der beste Schwertkämpfer der Welt wäre, kein Samurai und du nicht der Pirat wärest, der meinen Titel will. Wäre es dann auch kompliziert?“

Zorro sah ihn an.

„Darum geht es nicht“, entgegnete er dann.

„Worum geht es dann?“

Dieses Gespräch war ihm zu nah, war zu intensiv, zu früh am Morgen.

„Was macht es kompliziert?“

„Du bist nun mal du und ich bin nun mal ich!“

Doch dann schüttelte er den Kopf. Er wusste es doch auch, er wusste es doch schon längst.

„Diese Freundschaft wäre keine Verpflichtung, Lorenor.“

Überrascht hob er den Kopf. Der andere erhob sich ruhig.

„Es gibt nichts, dass du mir schuldig bist. Das Einzige was ich von dir erwarte ist, dass du mich eines Tages besiegen wirst.“

Wie konnte der andere nur so einfach über solche Dinge reden?

„Und ich würde mir wünschen, dass du ehrlich mit mir umgehst. Ist das in Ordnung?“

Er war so direkt, so klar und gerade war er so verdammt einfühlsam. Zeigte Größe und Güte. Nicht das er das nötig hatte!

Entschieden machte Zorro zwei Schritte auf ihn zu und hielt ihm seine ausgestreckte Hand hin.

Falkenauge begutachtete sie wie ein exotisches Wesen.

Mit roten Wangen starrte Zorro auf die Kette des anderen.

„Du bist ein überheblicher Mistkerl und deine bevormundende, selbstgefällige Art kotzt mich an. Aber meinetwegen können wir Freunde sein, solange du nur aufhörst so zu tun, als wärst du mein Vater.“

Das Blut unter seiner Haut kochte, während er dem anderen immer noch die Hand hinhielt.

Er konnte genau hören, wie der andere ein Lachen unterdrückte und dann schließlich einschlug.

„Jetzt kannst du es nicht mehr ändern, Lorenor. Jetzt sind wir Freunde.“

Wütend starrte er zu dem anderen hinauf.

„Bild‘ dir darauf bloß nichts ein.“ Dann rauschte er zur Tür hinaus, konnte nicht verhindern, dass sich ein ironisches Lächeln auf seine Lippen schlich.

Wieso war er, Lorenor Zorro, in eine so peinliche Situation geraten? Wieso konnte er sich nicht so ruhig und gefasst verhalten, wie sonst auch? Wieso benahm er sich wie ein pubertäres Mädchen?!
 

Im Rathaus angekommen waberten die vergangenen Gespräche mit dem Samurai immer noch über ihn. Immer noch fragte er sich, wie in so kurzer Zeit aus Feinden Freunde werden konnten, auf der anderen Seite waren seine bisherigen Freundschaften auf dieser Welt immer so entstanden, warum also wehrte er sich so gegen diese?

Der hünenhafte Bürgermeister kam breit grinsend auf ihn zu, die Hände weit ausgestreckt.

„Loreen, pünktlich auf die Minute.“ Lachend nahm er ihn in eine herzliche Umarmung. Zorro vermied ihm zu sagen, dass er schon vor über einer halben Stunde losgegangen war. Dieses Dorf war aber auch verwinkelt.

Freundlich lächelnd ließ er sich von dem Mann mit den Wikingerzöpfen in einen großen Besprechungssaal bringen, die Gedanken immer noch bei seinem neuen Freund. Der Raum war offensichtlich extra für dieses Gespräch hergerichtet worden, doch Zorro wusste, dass nicht er der Grund war, für den alle Fenster auf Hochglanz poliert worden waren.

Am weit entfernten Ende des langen Tisches saß ein älterer Herr in schwarzem Anzug und Sonnenbrille, die gefalteten Hände an die Lippen gelehnt. Er machte nicht einmal Anstalten sich zu erheben, während ein überlegenes Lächeln seine Lippen umspielte.

Dort, am Ende des Raumes saß niemand anderes als der Politiker Rishou Eizen höchstpersönlich. Er wirkte jedoch deutlich jünger als bei ihrer letzten Begegnung. Zwar war er immer noch ein steinaltes Fossil, aber er schien nicht mehr bei jedem Atemzug Gefahr zu laufen, dass es sein Letzter sein könnte.

„Frau Mihawk, wenn ich Sie bitten darf Platz zu nehmen, Liebes?“ Großzügig bot der Anzugträger ihm den Stuhl zu seiner Linken an, der Bürgermeister hingegen ging um den großen Tisch herum, um gegenüber Platz zu nehmen. Die Situation war alles andere als angenehm, doch nie würde es einem Lorenor Zorro in den Sinn kommen zu fliehen, also ging er mit klackernden Absätzen den Tisch entlang, als wäre er auf dem Weg zum Schafott.

„Lady Loreen“, sagte er sanft aber bestimmt, während er dem alten Mann immer näher kam.

„Entschuldigung?“, fragte der Politiker nach, anscheinend sich seines Fehlers nicht bewusst.

Mit einem Lächeln kam Zorro vor dem alten Mann zum Stehen. Er hatte keine Ahnung um was es hier ging, aber er würde den Verlauf des Gespräches mitbestimmten, von Anfang an.

„Ich bevorzuge es, wenn man mich Lady Loreen nennt und da ich mit der Familie Mihawk weder verwandt noch verschwägert bin, wäre es mir äußerst unangenehm, wenn Sie mich mit diesem Namen ansprechen.“

Er setzte sein freundlichstes Lächeln auf und setzte sich an den Tisch.

„Und jetzt würde mich der Grund interessieren, aus dem Sie mich herbestellt haben, einen Tag vor dem wichtigsten gesellschaftlichen Ereignis des Jahres.“

„Natürlich, meine werte Lady Loreen und ich entschuldige mich vielmals für die Unannehmlichkeiten, die Ihnen wegen dieser kurzfristig organisierten Zusammenkunft entstanden sind.“

Es überraschte Zorro wieder einmal, wie freundlich andere Menschen ihm gegenüber waren, obwohl er offensichtlich nicht in der Lage war, mit ihren höflichen Gepflogenheiten mitzuhalten und sich auch nicht die größte Mühe gab. Es war, als würden ihn Fremde mögen, egal wie er sich verhielt, als würden sie seine Wut nicht ernst nehmen in diesem kindlichen Körper. Als könnte ein Mädchen wie er es darstellte gar nicht anders als liebenswert sein, verfielen Fremde seinem Lächeln, egal ob Mann oder Frau.

Nur Dulacre schien immun dagegen zu sein, zumindest hoffte er das.

„Wie Sie höchstwahrscheinlich schon längst bemerkt haben werden, erhält Ihre Persönlichkeit derzeit erhöhte Aufmerksamkeit im Nachrichtenbereich.“

Die Worte des Politikers waren weise gewählt und der Pirat hatte langsam die Befürchtung, dass es gar nicht so einfach sein würde, die Zügel an sich zu nehmen. Außerdem war er sich alles andere als sicher, ob dieser Mann seinem Äußeren wirklich verfallen war oder nur so tat.

„Natürlich sind Sie nicht rein zufällig ausgewählt worden.“ Nun konnte Zorro langsam die Gefahr spüren, die von dem anderen ausging.

„Wie Ihnen und Ihrem… Bekannten Herrn Mihawk mit Sicherheit bereits bewusst ist, liegen die Hintergründe in der Verantwortung der Weltregierung.“

Der alte Mann hatte ein höfliches Lächeln auf den Lippen. Doch dem verzauberten Mädchen wurde es heiß unter dem schwarzen Jackett. Bisher hatte er gedacht, dass die Marine bewusst Artikel über Lady Loreen veranlasst hatte, um die Bevölkerung von dem herannahenden Krieg abzulenken. Aber anscheinend hatte dieses witzlose Debakel noch viel weitreichendere Folgen, als er sich ausdenken konnte und natürlich musste es auch noch die Weltregierung selbst sein, die sich einen Scherz mit ihm erlaubte.

„Liebes“, sicherte sich Eizen seine Aufmerksamkeit, „Meine Kollegen und ich haben Ihre aktuelle Bekanntheit veranlasst und das selbstredend nicht grundlos.“ Er lächelte immer noch unbeirrt weiter, während es Zorro mittlerweile eiskalt wurde.

„Liebes, im Namen der Weltregierung möchte ich Ihnen einen Vorschlag zur zukünftigen Zusammenarbeit unterbreiten und ich würde mich freuen, wenn wir einen gemeinsamen Nenner finden würden.“

Zorro blieb die Luft weg. In was hatte er sich nur wieder hineingeritten?!

Kapitel 26 - Der Anfang

Kapitel 26 – Der Anfang

 

-Zorro-

Es war schon längst dunkel, als er das alte Herrenhaus der Familie Mihawk erreichte. Herr Koumyou persönlich hatte darauf bestanden ihn bis zur Haustüre zu begleiten, was natürlich völliger Unsinn war. So schwer war der Weg nun auch nicht zu finden und die größte Sorge, die man auf dieser friedlichen Insel haben musste, war der Angriff eines Eichhörnchens.

Aufseufzend ließ er die Tür hinter sich zufallen.

Was für ein Tag!

Dankbar stellte er fest, dass ihn weder die laute Stimme der Haushälterin noch der bohrende Blick des Hausherrn begrüßte. Während er an der Tür lehnte genoss er für einen Moment einfach mal die Stille um ihn herum. Es grenzte an ein mittelgroßes Wunder, dass er noch am Leben war, so viel stand fest.

Am liebsten würde er sofort ins Bett verschwinden, aber er hatte das sichere Gefühl, dass Dulacre ihn nicht in Ruhe lassen würde, bis er eine halbwegs glaubhafte Aussage erhalten würde, worüber der Bürgermeister mit Zorro hatte sprechen wollen.

Nicht, dass Zorro selbst wirklich darüber reden wollte. Aber was er wollte, war anscheinend nicht so einfach zu bekommen. Seine Schwerter, seine Männlichkeit, seinen Sake. Er seufzte.

Müde zog er sich die hochhackigen Schuhe aus und wanderte auf nackten Füßen ins Kaminzimmer.

Niemand war da. Vielleicht war Mihawk wieder mal nach Suzuno gerufen worden.

Obwohl Zorro noch nichts gegessen hatte, war er nicht wirklich hungrig, sondern nur erschöpft. Die Stunden, die er mit einem falschen Lächeln und gelogener Höflichkeiten hatte verbringen müssen, hatten ihn mehr ausgelaugt, als die schlimmste Tanzstunde mit Kanan, aber immerhin hatte er sich etwas Zeit verschaffen können und hatte dieses uralte Fossil dann doch nicht geköpft. Er war eigentlich recht zufrieden mit seinem Sozialverhalten.

Sein Kopf ratterte immer noch vor sich hin und da anscheinend eh niemand im Haus war, konnte er die verbliebene Zeit bis zum Schlafen gehen genauso gut nutzen, um noch ein bisschen zu meditieren. Dafür war es auch besser, wenn der Samurai nicht anwesend war, denn dieser ließ kein einziges Mal aus, Zorro zu erklären, für wie sinnlos er die Technik des Meditierens hielt.

Als er den Umkleideraum erreicht hatte, stellte er jedoch zu seiner Überraschung fest, dass die Tür zum Trainingsraum halb geöffnet war und alle Lampen hell leuchteten.

Auf der anderen Seite der Tür stand niemand anderes als Falkenauge.

Er hatte die Augen geschlossen und vollführte höchst konzentriert die grundlegenden Kampfpositionen, die er erst vor wenigen Tagen mit Zorro erneut durchgegangen war.

Überrascht starrte er den anderen an.

Es war ein unbekanntes Bild für ihn. Bisher hatte er den anderen nur selten in Aktion erlebt, von dem einen gemeinsamen Kampf mal abgesehen, hatte er den anderen auch noch nie trainieren gesehen. Zorro verstand nicht, warum der andere denn die Grundschritte wiederholte. Warum um Himmels Willen machte ausgerechnet der beste Schwertkämpfer der Welt die absoluten Anfängerübungen, die jeder siebenjährige Schüler beigebracht bekam?

Doch dann beobachtete er ihn und verstand. Es waren ganz einfache Bewegungen, ohne jeden Schnick-Schnack, ohne besondere Variationen und trotzdem wirkte er eleganter als ein Tänzer, geschmeidiger als eine Katze, es war eine reine Faszination ihm zuzusehen. Der andere war ohne Zweifel ein Meister seiner Kunst.

Und dann bemerkte Zorro etwas anderes.

Mihawk sah anders aus. Zum einen trug er ganz ungewöhnliche Klamotten, wenn man bedachte, dass Zorro ihn die letzten Tage immer nur im Hemd gesehen hatte. Das enganliegende, schwarze T-Shirt zeichnete jeden Muskel deutlich ab und die einfache graue Jogginghose wirkte fast eine Spur zu locker, als würde sie jeden Moment hinunter rutschen. Die tiefen Denkfalten auf der Stirn, sowie die ernste Konzentration waren aus dem Gesicht des anderen verschwunden. Zum ersten Mal seit Zorro den Älteren kannte, hatte er nicht das Gefühl vor einem alten, verbitterten Mann zu stehen. Er wirkte jung, beinahe angreifbar und irgendwie wirkte sein Kreuz in diesem Oberteil deutlich breiter, als Zorro es in Erinnerung hatte.

Wie alt war der andere eigentlich?

Bisher war er sich sicher gewesen, dass ihn und Homura nur wenige Jahre trennen würden, aber gerade dachte er, dass der Samurai doch deutlich jünger sein musste. Dieser entspannte Gesichtsausdruck stand ihm auf jeden Fall deutlich besser, als seine sonst so grimmige Miene.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sah der andere ihn an. Der Pirat saß mittlerweile im Schneidersitz neben der Tür, ganz gebannt von dem anderen. Wie stark war der andere wohl wirklich?
 

-Mihawk-

Wirklich verwundert sah er zu dem anderen hinab.

Er hatte ihn nicht bemerkt. Er, ein Elitekämpfer seiner Generation, hatte den Jungen, der wie ein unschuldiger Welpe zu ihm hinauf starrte, nicht bemerkt, während er da saß und ihm zugeguckt hatte.

Nachdem der Jungspund am frühen Morgen das Haus verlassen hatte, hatte Dulacre den unerwartet freien Tag eigentlich mal nutzen wollen, um – nun ja – um einfach mal nichts zu tun.

Aber sein Kopf hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Nicht eine Minute hatte er einfach mal Ruhe geben können, um zum Beispiel ein kleines Nickerchen zu machen und so war es dazu gekommen, dass er das Einzige getan hatte, was ihn wirklich entspannen konnte. Er hatte trainiert. Sein Training mochte zwar für den Unwissenden unspektakulär und einfach wirken, aber er trainierte ja nicht für Zuschauer.

Mit der Zeit hatte er immer weniger gegrübelt und sogar das Bild seines Wildfangs war für einige Sekunden verblasst.

„Lorenor“, murmelte er, sprach jedoch nicht weiter. Wenn der andere hier war, musste der Termin mit dem Bürgermeister wohl vorbei sein. Aber warum sah der Jüngere mit solch leuchtenden Augen zu ihm auf. Diesen Blick kannte er nicht.

„Also, was wollte Koumyou von dir?“, unterbrach er seine eigenen Gedanken, doch der Pirat winkte ab.

„Es ging um was Geschäftliches, aber viel wichtiger ist doch…“

„Weich mir nicht aus. Du weißt, dass ich das nicht gut leiden kann“, unterbrach er den anderen sofort.

Der Pirat rollte mit den kindlichen Augen, die das Leuchten verloren hatten.

„Nur um das jetzt direkt mal klar zu stellen“, murrte er, blieb jedoch sitzen, „Ich hab echt keinen Nerv, jeden Tag mit dir irgendwelchen tiefsinnigen Mist durchzukauen, okay? Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich…“

„Ich wollte doch nur wissen, worüber der alte Herr mit dir den ganzen Tag reden wollte. Hast du schon wieder Tante Rosa zu Besuch?“

Warum war sein Wildfang nur so anstrengend?

Eben dieser biss sich gerade gereizt auf seine Unterlippe, vermutlich ärgerte er sich über sich selbst.

„Man nennt das monatliche Blutungen, weißt du? Und zwar weil sie nur einmal im Monat vorkommen.“

„Das will ich doch gar nicht wissen! Beantworte doch bitte einfach meine Frage!“

Irgendwas hatte den Jungspund sichtlich schon an die Grenzen seiner nervlichen Belastbarkeit gebracht, das konnte er ganz deutlich erkennen und der zickige Unterton bestätigte es nur.

Der Pirat seufzte:

„Okay, aber keine Belehrungen, abgemacht?“

Dulacre nickte, später konnte er sich schließlich immer noch anders entscheiden. Es war wirklich amüsant, dass der Jüngere immer noch glaubte Distanz wahren zu müssen, gerade dieses Verhalten verriet ihn, aber was wollte er denn unbedingt vor ihm verbergen?

Lorenor verschränkte die Arme, immer noch sitzend.

„Ich hab ein interessantes Angebot bekommen“, sprach er gerade heraus, „von Eizen.“

Der Samurai verschluckte sich beinahe an seinem eigenen Atem. Das hatte er nicht erwartet. Was wollte ausgerechnet dieser Politiker von dem Piraten?

„Aber du brauchst dich jetzt gar nicht so aufzuplustern, ich habe höflich abgelehnt und es war kein Problem.“

„Was für ein Angebot hat er dir gemacht?“, fragte er, bemüht ruhig. Er mochte nicht, dass der andere versuchte ihn da raus zu halten, wo er den Jungspund doch erst in das gefährliche Gewässer der Politik geführt hatte. Eizen war gefährlich, das wusste jeder. Ein Mann, der alles tun würde, um von den Weltaristokraten als ebenwürdig anerkannt zu werden und der von der Weltregierung an die vorderste Front der Macht gestellt worden war. Selbst Sengoku, Großadmiral und mächtigster Mann der Marine, würde sich hüten diesen Mann als Verbündeten zu verlieren. Tausende Gedanken jagten ihm durch den Kopf, was so ein Mann mit einer sanften Lady Loreen anzustellen vermochte.

Doch Lorenor sah ihn ungewohnt kühl an.

„Kurz gesagt wollte er, dass ich für und mit ihm arbeite, aber wie gesagt, ich habe abgelehnt. Also möchte ich dieses Thema hiermit beenden.“

Sprachlos blickte Dulacre zurück, die Worte des anderen ließen keinen Widerspruch zu, waren endgültig, woran er nicht gewöhnt war. Wenn er jetzt nachhaken würde, würde auf jeden Fall ein Streit entstehen, also nickte er zustimmend nach wenigen Sekunden des Nachdenkens. Es war zu leicht diesen trügerischen Frieden zu zerbrechen und eigentlich fand er es ganz angenehm, wenn sie sich nicht alle zwei Minuten an die Gurgel gehen würden.

„Und was möchtest du dann? Du weißt, dass wir heute Abend nicht mehr trainieren werden.“

Und da war wieder dieses Leuchten.

„Ich will nur zusehen.“ Die Augen wurden groß. „Ich will dir einfach nur zusehen.“

Der Samurai wandte sich ab. Dieser Blick war gefährlich für ihn.

So hatte ihn nur ein Mensch bisher angesehen.

Die Gedanken rasten wieder durch seinen Kopf. Wenn der andere nur still dasaß sollte es kein Problem sein. Wenn er ihn nicht ansehen musste. Wenn er ihn nicht trainieren musste. Warum wollte der andere ihm denn überhaupt zusehen? Es waren keine komplizierte Techniken oder beeindruckende Stärke, doch diese Augen leuchteten, wie ein kleines Kind vor einem Zuckerwattestand.

Seufzend nickte er.

„Nun gut, aber stör mich nicht.“

Der andere nickte schnell, ungewohnt hibbelig für den sonst so grimmigen Kämpfer.

Und so fuhr er fort, unter dem unbekannten Gefühl der hochkonzentrierten Augen, die ununterbrochen auf ihm lagen.
 

-Zorro-

Der nächste Morgen kam schnell. Der Tag, auf den der gesamte Haushalt mit den unterschiedlichsten Gefühlen gewartet hatte.

Auf dem Weg zum allmorgendlichen Frühstück in der Küche wurde er vom Samurai aufgesammelt, der ihn mit entspannten Worten begrüßte.

Zerknirscht starrte er zu ihm hinauf, während sie die Treppe runtergingen.

„Wie kannst du nur um diese Uhrzeit schon so gut gelaunt sein?“

Der Ältere grinste ihn böse an.

„Nur der frühe Vogel fängt den Wurm.“

Zorro rollte mit den Augen.

„Der frühe Vogel kann mich mal“ und ließ sich auf seinen Schemel fallen.

Wie immer war das ausgiebige Frühstück bereits vorbereitet, auch wenn keine Spur von Kanan zu sehen war.

Der Pirat klammerte sich an seine Kaffeetasse und verfluchte den Tag, als er aufgewacht war, den Tag als er die Einladung bekam und den Tag, an dem er ein Mädchen geworden war. Sein Gegenüber verputzte nun, nach seinem üblichen kurzen Gebet, munter einen riesigen Berg Rührei und las wie immer die Zeitung.

Wenn der heutige Abend halbwegs glatt über die Bühne ging, wäre er nur noch ein paar Tage hier, ehe die anderen auf Sarue ankommen würden.

„Was hast du jetzt eigentlich wegen meinem Training vor?“, unterbrach er die Stille.

Er hatte das Ziel, welches der Samurai ihm gesetzt hatte, schon erreicht und somit wäre ein weiterer Kampf gegen die Haushälterin unsinnig, auf der anderen Seite hatte der Ältere angeblich gute Gründe nicht selbst gegen ihn in den Ring zu steigen. Diese Frage beschäftigte ihn schon seit der letzten Einheit, aber aufgrund emotionaler und beruflicher Unstimmigkeiten zwischen ihnen hatte er das Thema bisher nicht angesprochen.

„Keine Sorge“, murmelte der andere ohne aufzusehen, „Ich bin dir schon weit voraus, aber darum kümmern wir uns morgen. Heute will ich einfach nur diesen verfluchten Ball hinter mich bringen.“

Selten hörte er den anderen fluchen. Ja, dieser Abend würde noch ziemlich lustig werden.

Seufzend stand er auf.

„Wo gehst du hin?“ Nun sah ihn der Samurai dann doch an und Zorro konnte sich nur ein halbes Lächeln abringen.

„Was meinst du, wie lange es dauert mich in dieses Kleid zu kriegen?“

In diesem Moment wurde auch schon die Küchentür aufgerissen und Kanan kam herein um ihn abzuholen.
 

Und nun stand er wiedermal halbnackt im Ankleidezimmer, in BH, Unterhose und Schuhen. Hoffentlich das letzte Mal in seinem Leben.

Kanan war gerade im Nebenzimmer um allerletzte Änderungen vorzunehmen, denn ob man es glauben konnte oder nicht, in den vergangenen paar Tagen hatte er ausgerechnet an der Oberweite noch etwas zugelegt. Es war eindeutig nicht sein Tag.

Kanans Schwester hatte ihm währenddessen die Fingernägel geschnitten und lackierte sie nun äußerst minimalistisch.

Mittlerweile war schon einiges an Zeit verstrichen und er war noch nicht einmal annähernd fertig. Wie es wohl ankommen würde, wenn er zu spät eintreffen würde?

„Also Kind, jetzt muss es aber passen!“ Die Haushälterin kam hineingestürmt, das Kleid wehte im Luftzug.

Doch ehe sie ihn erreicht hatte klopfte es an der Tür, die sich einen Spalt breit öffnete.

„Ich würde gerne einen kurzen Moment alleine mit unserem Gast reden.“

Die tiefe Stimme des Samurais kam Zorro entgegen.

„Aber nur eine Minute“, knurrte die Haushälterin, stopfte das Kleid zurück ins Nebenzimmer bevor der Hausherr es sehen konnte und eilte aufgebracht an ihm vorbei, natürlich nicht ohne eine kurze Belehrung. Ihre Stimmung war äußerst wankelmütig an diesem Tag. In den vergangenen Minuten hatte sie bereits zwei Mal geweint. Shakky auf der anderen Seite zwinkerte Zorro nur kurz grinsend zu und ging.

„Eigentlich wolltest du doch nur einen Blick auf das nackte Mädchen werfen, gib‘s zu“, neckte sie Mihawk, der ihre Worte getrost ignorierte und die Tür hinter sich schloss.

Als er Zorro ansah, errötete er und wandte sich ab. Mit langsamen Bewegungen sammelte er die Nagelreste auf, die über den kleinen Nähtisch verstreut waren, nur um ihn nicht ansehen zu müssen.

Doch auch Zorro war überrascht.

Der Samurai war bereits im schwarzen Anzug, mit perfekt zurückgegelten Haaren und glänzenden Lackschuhen. Einzig und allein die Maske ruhte noch in seinen Händen.

„Du musst schon los?“, fragte er ruhig. Jetzt würde es also wirklich beginnen.

Der andere nickte nur.

„Was willst du denn dann noch?“ Irgendwas war anders.

Falkenauge sah ihn immer noch nicht an, doch er wirkte nervös.

„Jetzt rede schon. Seit wann bist du denn auf den Mund gefallen?“

Nun drehte er sich doch zu ihm um, während Zorro sich auf die Empore, auf der er sonst stand, setzte.

„Du musst da nicht hin, Lorenor!“ Die gelben Augen starrten ihn intensiv an.

„Es ist viel zu gefährlich und wenn Eizen dich schon so im Visier hat, ist es mit Abstand sicherer für dich, wenn…“

„Hast du irgendwas genommen?“ Es schien als wären ihre Rollen vertauscht. Wieder war es der andere, der seine Gefühle nicht im Griff hatte.

„Aber…“

„Aber du bist ein Idiot!“, unterbrach er ihn grob, „Also erstens, hat Kanan sich unglaublich viel Mühe mit diesem Kleid gegeben, alleine deswegen muss ich es schon tragen. Zweitens, habe ich nicht all diese verfluchten Tänze gelernt um den heutigen Abend auf dem Sofa zu verbringen. Und Drittens, habe ich diese Einladung angenommen und du wirst es nicht erleben, dass ich mein Wort breche!“

Der Ältere sah ihn immer noch an.

„Was auch immer mit dir los ist, lass es stecken. Ich kann auf mich selber aufpassen, kapiert? Also hör auf, dir die ganze Zeit Sorgen um mich zu machen, als wäre ich ein naives Kind.“

Wieder antwortete der andere nicht, doch dann lachte er hohl.

„Es ist schon verrückt“, murmelte der Ältere schließlich, „du bist das komplette Gegenteil von Sharak.“

Langsam schien sich der andere wieder zu fangen.

„Du bist körperlich so unglaublich schwach, dass ich aufpassen muss, dich nicht aus Versehen zu zerquetschen, während sie mir immer unstreitig überlegen war.“

„Du kannst einen richtig aufbauen, weißt du das?“

„Aber du bist der Erste, der nicht nur auf sich selbst aufpassen kann, sondern auch noch so dreist ist, meinen Schutz abzulehnen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich mit dir umgehen soll.“

Zorro seufzte.

„Du bist so ein Idiot.“ Der andere sah ihn überrascht an.

„Schon wieder machst du diese Gefühlsduselei, die mich einen Dreck interessiert.“ Langsam stand er auf. „Noch einmal, nur für dich, Dulacre. Wir müssen nicht alles ausreden und ich muss auch nicht alles verstehen, was du denkst, tust und fühlst. Ich will das alles gar nicht wissen, okay? Aber…“ Grinsend verschränkte er die Arme. „Damit du mich verstehst: Ich habe längst akzeptiert, dass du mich beschützt, du Mistkerl, aber nun mal zu meinen Bedingungen und das heißt, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe.“ Er wandte sich um. „Und jetzt hau ab. Es ist verdammt schwierig bei diesen Hormonen einen klaren Kopf zu behalten.“

Ruhige Schritte durchquerten den Raum und er konnte genau spüren, dass der andere hinter ihm stand.

„Was noch?“, zischte er schärfer als beabsichtigt.

Dann sah er nur die langgliedrigen Hände des anderen vor seinen Augen und spürte wie sich etwas Kühles um seinen Hals legte.

„Als Zeichen, dass du unter meinem Schutz stehst, du unerzogenes Kind.“

Die Tür fiel hinter dem anderen ins Schloss.

Was passierte gerade mit ihm?

Er sah sich im mannshohen Spiegel an. Es war eine kleine Kette, mit einem goldenen Kreuzanhänger.

Die Tür flog auf und Kanan kam wieder herein.

„Also Süße, wir haben keine Zeit zu verlieren. Was ist denn los? Kind, sind das etwa Tr…?“

„Ach, halten Sie einfach den Mund!“
 

-Mihawk-

Hinter vorgehaltener Hand konnte er kaum sein gigantisches Gähnen verbergen, während er, als einzige Person, in der hintersten Reihe saß und seinen Stuhl gegen die Wand gekippt hatte, um mit verschränkten Armen und überschlagenen Beinen versuchen konnte zu schlafen. Leider war die piepsige Stimme des Vortragenden durch Mikrofone verstärkt worden, sodass es für ihn fast unmöglich war sie auszublenden. Erneut fragte er sich, warum er hier sein musste. Die Vortrags- und Diskussionsthemen interessierten ihn noch weniger, als die Jahreshauptversammlung der vier Inseln.

Im Großen und Ganzen ging es hier doch eh nur darum, wie die Reichen noch reicher und die Mächtigen noch mächtiger wurden. Nebenbei wurden dann noch ein paar ausgesuchte Sachverhalte aus den Reihen der Marine vorgestellt, selbstredend in einer geschönten Form für die Herren der besseren Gesellschaft.

Müde rieb Dulacre sich die Augen und schaute zur großen Uhr, die hämisch vor sich hin tickte. Der Tag schleppte sich nur ganz langsam voran.

„Mann, Hawky. Was tust du denn ganz alleine hier hinten?“

Der Samurai blickte mit einem Auge unter seinem Hut hervor, den er natürlich nicht mit auf den Ball nehmen durfte, und erkannte seinen Kindheitsfreund.

Konteradmiral Cho, im feinsten schwarzen Anzug unter seinem schneeweißen Marineumhang, zog gerade einen Stuhl neben ihn und setzte sich leise. Er grinste wie so oft von einem Ohr zum anderen und seine blonde Haarpracht war streng zurück gekämmt, bis auf eine einzige Locke, die wie bei einer typischen Heldenfrisur, elegant hin und her hüpfte.

Bis vor wenigen Minuten hatte Mihawks Kindheitsfreund selbst noch auf dem Podium gestanden und die Anwesenden möglichst detailliert über die letzten Großeinsätze der Marine unterrichtet, jedoch vor allem im Hinblick auf einen fraglichen Kosten-Nutzen-Vergleich.

„Und, wie hab ich mich geschlagen?“, fragte sein Freund in einem leisen Flüsterton.

„Immerhin hast du nicht gestottert“, murrte Dulacre, nur ohne seine bequeme Sitzhaltung aufzugeben. Doch wenn er ehrlich war, hatte er dem langweiligen Gerede seines ehemaligen Crewmitgliedes nicht eine Sekunde zugehört. Nur dank der riesigen Tafel, die hinter dem Mann der Marine gestanden hatte und die Vortragsüberschriften enthielt, wusste der Samurai überhaupt, worüber sich sein Sitznachbar eine halbe Stunde lang ausgelassen hatte.

„Du bist keine große Hilfe“, murmelte der Blondschopf beleidigt und verschränkte ebenfalls die Arme. Mit seinem gekränkten Blick wirkte der andere wie ein kleines Kind, die blonden Locken und die Abwesenheit jeglicher Barthaare machten es nicht besser.

„Du solltest dir einen Bart wachsen lassen“, murrte er und konzentrierte seinen Blick wieder auf den Redner, der dies wohl bemerkte und unter seinen Augen kurz zusammenzuckte.

„Und du solltest dir mal Manieren kaufen“, grummelte der Konteradmiral.

Dulacre schmunzelte böse und fuhr sich mit einer Hand über seinen eigenen perfekt getrimmten Bart.

„Ach ja, ich vergaß, dass nicht jeder Mann dazu in der Lage ist.“

„Es gibt Tage, da hasse ich dich!“

„Na, worüber redet ihr zwei Unholde.“ Die bärige Stimme des Bürgermeisters von Sasaki mischte sich ein, der eine Reihe vor ihnen saß und sich nun grinsend zu ihnen umdrehte.

Sowohl Dulacre als auch Jiroushin zuckten bei seiner Wortwahl kurz zusammen. Zu gut erinnerten sie sich an ihre Kindheit, wo dem Wort Unholde meistens ein saftiger Satz heißer Ohren folgte. Koumyou hatte es nie gestört, dass sie Kinder aus einflussreichen Familien waren und hatte sie behandelt, wie alle anderen Bälger.

„Es ist unhöflich, fremde Gespräche zu belauschen. Drehen Sie sich wieder um!“, antwortete der Samurai kühl.

„Es ist auch unhöflich sich während eines Vortrages zu unterhalten“, erwiderte der ältere Mann trocken, drehte sich jedoch tatsächlich wieder herum, als seine Gattin, die einzige anwesende Frau im kompletten Saal, ihm ihren Ellbogen in die Seite stieß.

Die Minuten tröpfelten zäh vor sich hin, während der Mann ganz vorne den Faden seiner Präsentation verloren hatte und aufgebracht vor sich hin stammelte.

„Sag mal, Jirou“, murmelte er schließlich, „Hast du eigentlich noch ein paar Urlaubstage übrig?“

Sein Freund sah ihn von der Seite her an.

„Was willst du Hawky?“, fragte er mit zusammengekniffenen Augen.

Dulacre grinste unter dem Schatten seiner Hutkrempe.

„Ich brauche deine Hilfe“, sagte er schlicht.

„Schon wieder?“, jammerte der Blondschopf ein Ticken lauter als ihr bisheriges Gespräch, „Also Hawky, ich freu mich ja wirklich, dass wir uns mal öfters sehen, aber langsam mache ich mir doch etwas Sorgen. Was hast du nun schon wieder angestellt?“

Der Samurai konnte ganz deutlich sehen, wie der Wikinger vor ihm die Ohren spitzte und sich minimal umwandte, doch sofort von den Adleraugen seiner Frau erwischt wurde.

„Völlig zu Unrecht, mein lieber Freund“, antwortete er gelassen, gerade laut genug, dass der Bürgermeister ihn hören, wohl aber nicht verstehen konnte, „Es geht weniger um mich, als um meinen ungeduldigen Schüler.“

„Loreen?!“ Diesmal war der Konteradmiral so laut, dass sich einige aus der vorletzten Reihe verwundert umdrehten.

Missbilligend rollte Dulacre mit den Augen.

„Achte bitte auf deine Lautstärke“, murrte er kühl.

Nun rückte der Blondschopf noch ein bisschen näher, offensichtlich überaus neugierig.

„Worum geht es denn? Ihr ist hoffentlich nichts Schlimmes passiert?“

Der Samurai schüttelte den Kopf.

Es war schon interessant mit Anzusehen, wie er nur den Namen der vermeintlichen Dame erwähnen brauchte und schon änderten sich die Gesichtsausdrücke aller Anwesenden. Eine seltsame Macht schien dem anderen inne zu wohnen, die ihm selbst nicht bewusst war und wohl nur den Samurai verschont ließ. Alle anderen schienen nur diese sanfte, kleine Loreen wahrzunehmen, die so hilfsbedürftig wirkte, dass man ihr wohl helfen musste. Nur Dulacre kannte die Wahrheit, kannte den starrköpfigen, ungehobelten Piraten, der die Hilfe anderer nur zähneknirschend annahm.

In ruhigen Worten erklärte er seinem Freund, wofür er ihn brauchte, während die grünen Augen des anderen tellergroß wurden. Wie erwartet stimmte Jirou ihm leise zu, was unter lautem Klatschen und Stühlerücken nach dem letzten Vortrag für niemanden sonst hörbar war.

Als Letzte verließ das ungleiche Paar den Raum und trat zu den übrigen Männern in den langgezogenen Flur, der sie in den gewaltigen, prachtvoll ausgeschmückten Ballsaal bringen würde, sobald die weiblichen, unverheirateten Gäste dort platzgenommen hatten.

Die stille Unterhaltung der beiden Schwertkämpfer wurde unterbrochen, als der Bürgermeister dem Samurai herzlich auf die Schulter klopfte.

„Mein lieber Mihawk.“ Überrascht wandten sich die beiden jüngeren zu dem Wikinger um.

„Wo ist denn Ihre Maske? Und Sie müssen doch ganz nach vorne, da sie zu den Unverheirateten gehören“, lachte er so laut, dass sämtliche Gespräche im Umfeld verstummten.

Dulacre seufzte, als er das hässliche, rote Ding aufsetzte, während er nach vorne ging. Hinter ihm hörte er immer noch die bärige Stimme Koumyous. Wieder mal wurde er sich seines Standes bewusst, als die Männer um ihn herum zur Seite gingen und ihn vorbeiließen. Nicht jedoch aus Furcht oder Respekt, wie ein Unwissender meinen könnte, sondern aus Verachtung und Abscheu. Ungeachtet seines wertgeschätzten Familiennamens war er nun mal ein Samurai, ein Pirat und somit der Abschaum der Gesellschaft.

Ihre herablassenden Gesichter zauberten ein Lächeln auf seine Lippen. Was war er froh, nicht mehr zu ihnen zu gehören.

Schlussendlich stand er vor der riesigen Flügeltür. Sein Herz schlug lauter, als er erwartet hatte. Das letzte Mal lag schon Ewigkeiten zurück, damals hatte die schwere Last eines Marineumhangs auf seinen Schultern gelegen und er hatte den Abend damit verbracht auf die kleinsten Anordnungen seiner Vorgesetzten zu lauschen, während er so tun musste, als würde er sich amüsieren.

Die Last, die er heute trug, war eine ganz andere, viel bedeutendere. Er durfte keinen Fehler machen.

„Wie fühlt es sich an?“ Neben ihm erklang die verhasste Stimme seines Beinahe-Schwagers, der ihm hinter seiner roten Maske zuzwinkerte. „So als Aussätziger?“ Er klang nicht wirklich herablassend, jedoch ganz gewiss nicht freundlich.

„Du weißt, dass nur ein Wort nötig wäre und dein Vater und ich würden alles nötige veranlassen, um deine Weste reinzuwaschen. Jemand wie du wäre, trotz deiner schändlichen Vergangenheit, immer noch sehr willkommen in den Reihen der Marine, insbesondere um den Namen der Mihawks zu alter Größe zu verhelfen.“

Dulacre würdigte den anderen nicht mal eines Blickes.

„Das wird nicht nötig sein“, antwortete er schlicht und gelassen, „Ich fühle mich ganz wohl in meiner Rolle als Abschaum der Gesellschaft und habe auch nicht vor, das je wieder zu ändern.“

Der Mann neben ihm lachte leise und schüttelte den Kopf.

„Ich habe mir schon gedacht, dass es für dich kein Problem darstellt.“

Irgendwie erfüllten die Worte des anderen ihn mit Sorge.

„Allerdings solltest du bedenken, dass Rosen in einen Garten gehören und nicht auf einen Müllplatz.“

Langsam starrte er den Mann neben sich an.

„Im Vergleich zu den anderen Anwesenden, mein geschätzter Dulacre, kannst du ihr nichts bieten.“

Nataku lächelte nahezu freundlich.

„Noch mag sie dich mögen, aber nach dem heutigen Abend wird sie sehen, was wir anderen schon alle wissen. Du bist nicht gut genug für sie und dann wird sie dich verlassen.“

Ein lauter Gong ertönte und die schweren Flügeltüren wurden wie von Zauberhand geöffnet.

Hinter dem Samurai ertönte ein einstimmiger Laut des Erstaunens, während sämtliche Männer die lange Stuhlreihe von unverheirateten Frauen vor sich anstarrten.

Doch er sah nur sie.

Keine Sekunde zweifelte er daran, dass das vollständig verhüllte Mädchen im leuchtendgrünen Kleid und der zierlichen Gestalt im hinteren Drittel der Stuhlreihe sein Wildfang war. Das Kleid hatte einen pompös ausgestellten Rock, aber das Oberteil war simpel und enganliegend. Hochgeschlossen und Bodenlang, mit durchsichtiger Spitze und kurzen Ärmeln. Die komplett verhüllende Maske war ein Abbild eines grüngoldenen Schmetterlings.

Dulacre hatte vermutet, dass sein Gast in grün oder zumindest in dunkelgrün gekleidet wäre. Grün als Zeichen, dass man als Vertreterin der gehobenen Gesellschaft eingeladen worden war, die dunklere Variation bedeutete, dass man immerhin zur gehobenen Gesellschaft gehörte. Der Farbe Grün waren sämtliche gelben und orangenen Farben untergeordnet, die aussagten, dass man bürgerlich war. Von grün ging es aufwärts über verschiedene blaue und violette Farbtöne, die Marineabgesandte und den einfachen Adel beschrieben, bis hin zu Rot und Purpur, die Farben, die Königen und dem höheren Adel vorbehalten waren. Die vereinzelten Weltaristokraten, die natürlich nicht in der Stuhlreihe vertreten waren, trugen überdies Gold und Silber, sowohl die Frauen als auch die Männer, die selbstreden nicht die gleiche Farbe wie der übrige Pöbel tragen konnten.

„Sie ist wahrlich der leuchtende Stern des Abends“, flüsterte der Marinemann neben ihm voller Ehrfurcht, doch der Samurai wollte seine Worte nicht hören.

Auf Geheiß der Trommeln begab er sich als einer der Ersten auf die Stuhlreihen zu, um ans andere Ende des Raumes zu gelangen, wo Lorenor auf ihn wartete. Es überraschte ihn, dass es so einfach war, an den Anfang zu kommen, wobei er jeden, der im Weg gewesen wäre auch beseitigt hätte.

Wie geplant stand er genau vor seinem Gast, der den Kopf gesenkt hatte, wie alle anderen Frauen.

Ein lauter Gong ertönte erneut und alle Männer verneigten sich in einer Bewegung. Mit einem überlegenen Grinsen hielt Dulacre dem Piraten seine Hand hin.

Auf den nächsten Gong hin konnte er fühlen, wie eine kleine Hand die seine nahm. Ja, was würde sein Wildfang nur ohne ihn machen?

Auf den dritten Gong hin erhoben sich die Frauen und Lorenor folgte ihm auf die Tanzfläche, dort verneigte der Samurai sich, während sein Gegenüber im Knicks verharrte.

Im Hintergrund ertönte der Gong noch mehrmals, bis schließlich alle unverheirateten Männer eine Tanzpartnerin erhalten hatten. Die Anzahl der Frauen wurde immer an die der unverheirateten Männer angepasst, im Notfall auch durch unlautere Mittel.

Und dann begann die Musik für den Eröffnungstanz, eine längst vergessene Melodie, die uralte Erinnerungen in Dulacre weckte, während er die langsamen, abgehakten Schritte auf den anderen zuging, sich verbeugte, dessen Hand nahm und eine um seine Hüfte legte.

Die Musik wurde lauter und der Tanz etwas schwungvoller.

„Na, ich hab dir doch gesagt, dass ich auf dich aufpassen werde“, flüsterte er dem anderen mit einem leisen Grinsen zu, während er sich zu ihm hinab beugte. Durch die hohen Absätze wirkte der Pirat wirklich viel größer, als er in Erinnerung hatte und seine Hände schienen durch die Handschuhe langgliedriger.

„Entschuldigung? Wie meinen, der Herr?“, erklang ein sanftes, etwas verängstigtes Stimmchen.

Überrascht blickte er hinab, während sich sein Tanzpartner ausdrehte und dunkelbraune Augen ihn verwirrt ansahen.

Das war nicht Lorenor!

Verdammt!

Wie hatte ihm das passieren können? Ihm, bester Stratege und kühler Taktiker? Wie hatte er nicht bemerken können, dass das nicht sein Wildfang war? Was hatte ihn so dermaßen abgelenkt, dass er so unkonzentriert gewesen war?

Als er die Fremde wieder zu sich zog, konnte er sie seufzen hören.

„Sie ist wunderschön, nicht wahr?“ Reine Bewunderung stand in ihrer Stimme, während sie an ihm vorbei blickte.

Im Tanz drehte Dulacre sich und erstarrte.

Sein Herz setzte einen Moment aus und die Welt hörte auf sich zu bewegen. Für den Bruchteil einer Sekunde sahen die leuchtenden grünen Augen hinter der silbern-weißen Maske ihn an und er meinte ein kleines Zwinkern zu sehen.

Das Mädchen, welches er fälschlicherweise für den Piraten gehalten hatte war eine Schönheit, aber sie konnte nicht mal im Ansatz mit Lady Loreen mithalten.

Der Mittelpunkt des Abends trug ein schulterloses, enganliegendes, bodenlanges Kleid, welches bei jedem Schritt um die schlanken Beine tanzte, so leicht schien es. Ein langer Beinschlitz offenbarte silberne Schuhe, perfekt abgestimmt zu den silbernen Applikationen an Gürtel und Ausschnitt. Das Kleid sowie die Handschuhe, die bis zu den Ellenbogen gingen und nur mit einem kleinen Ring am Mittelfinger befestigt waren, leuchteten im reinsten Weiß. Die ebenfalls weiße Maske lag, genau wie die der Männer, nur um die Augen und silberne Steine verzierten die Ränder. Ein silbern-weißer Schleier verdeckte Stirn und Haare und bedeckte den tiefausgeschnittenen Rücken. Die kirschrot geschminkten Lippen lächelten sanft und unterstrichen den blassen, edlen Hautton der Tänzerin, während der Pirat den Eröffnungstanz elegant in den Armen seines Tanzpartners vollführte.

So gut wie niemand erhielt je die Aufforderung, sich in Weiß zu kleiden und das hatte nur einen Grund.

Weiß bedeutete: Eingeladen vom Hochadel

Erneut wandte der Pirat dem Samurai den Rücken zu und dieses Mal erkannte er, wer mit seinem Wildfang tanze, es war niemand anderes als Homura Nataku.

Kapitel 27 - Die Maske

Kapitel 27 – Die Maske

 

-Zorro-

Er hielt den Kopf gesenkt, als er in der Mitte der Stuhlreihe voller unverheirateter Frauen saß. Das Mädchen links von ihm atmete ungewöhnlich laut, der Geruch seines komischen Parfüms kitzelte ihm in der Nase und irgendwie juckte ausgerechnet jetzt sein rechter Fuß ganz furchtbar.

Sein Herz schlug wie wild. Hätte ihm jemand gesagt, dass er eines Tages auf einem Marineball in einem kleinen Kleidchen und hohen Schuhen darauf warten würde, dass ihn irgendein Kerl zum Tanzen auffordern würde, hätte er diesen ausgelacht. Er hätte ihn noch nicht einmal ernst genug genommen um ihn zu erledigen.

Aber viel schlimmer war doch, dass ausgerechnet er, stolzer Schwertkämpfer, selbstbewusster Mann, gerade so nervös war, dass ganze Wasserfälle aus Schweiß seinen Rücken hinunter jagten.

Ein lauter Gong ertönte und die riesigen Türen zu seiner Rechten öffneten sich lautlos.

Ein einstimmiges „Oh!“ ertönte aus den Reihen der Männer und Zorro hielt den Atem an, seinen Blick auf das kleine goldene Kreuz gerichtet. Kanan war nicht glücklich gewesen. Ihrer Meinung nach war es ein absoluter Fauxpas goldenen Schmuck mit Silbernen zu mischen. Aber er war sich sicher, dass der Samurai es ihm gegeben hatte, nur um ihn unter der Menge wieder zu erkennen. Und obwohl er sich nicht auf dessen Schutz ausruhen wollte,  so war es doch beruhigend zu wissen, dass der andere da war. Es war fast so, wie der Rücken des Koches an seinem in einem Kampf.

Aber den Gedanken verwarf er ganz schnell wieder, wenn der Koch ihn so sehen würde…

Die ersten Männer schritten an ihm vorbei und er konnte es nicht glauben. Einer der ersten Quadratlatschen, die ihn passierten, gehörten zweifelsohne zu dem hirnamputierten Schwertkämpfer. Zorro erkannte ihn sofort an der Art seiner Schritte und seines unverwechselbaren Geruchs. Was hatte der Idiot nur vor?

Das konnte doch nicht sein Ernst sein?!

Am liebsten wäre Zorro aufgesprungen und hätte den anderen aufgehalten, doch er konnte sich beherrschen.

Und sowas schimpfte sich bester Schwertkämpfer der Welt?

Wütend wartete er ab, bis jemand vor ihm zu stehen kam.

Erneut erklang ein Gong und sofort wurde ihm eine Hand gereicht.

Nun gut, das Spiel konnte er auch spielen. Er war mit Sicherheit nicht hilflos.

Auf den nächsten Gong hin ergriff er beherzt die unbekannte Hand und beim Letzten erhob er sich schließlich und ließ sich auf die Tanzfläche führen.

Dort verneigte er sich mit einem Knicks, wie es Kanan ihm eingetrichtert hatte und wartete. Nichts nahm er um sich war, außer seinen laut pulsierenden Herzschlag.

Dann erklang die Musik und wie auf Befehl machte er drei kurze Schritte nach vorne, verneigte sich erneut, hob die Hände und erschrak.

Der Mann, der ihm gegenüberstand, war Homura.

Sein Herz raste, doch er durfte es sich nicht anmerken lassen! Nicht bei ihm!

Vorsichtig legte er seine Hand auf dessen Oberarm, da er natürlich nicht an die Schulter dran kam, und ließ zu, dass der Mann der Marine eine Hand um seine Hüfte legte. Seine Haut verbrannte beinahe unter diesen Fingern, die ihn damals so schwer verletzt hatten. Er konnte beinahe spüren, wie die riesige Wunde, die längst Geschichte war, wieder aufriss, als der andere ihn fest packte und ihn mit sich zog.

Homura lächelte ihn durch die weinrote Maske hinweg an und Zorro konnte schon so etwas wie Sieg in seinen Augen sehen.

Aber nicht mit ihm!

Er brauchte keinen Samurai um mit diesem Typen fertig zu werden. Er setzte sein bestes Nami-Lächeln auf, ergriff die Hand des anderen noch etwas fester und zeigte ihm alles was er geben konnte. Nicht umsonst hatte Shakky gerade seinen Busen besonders in Szene gesetzt.

Dann würde er eben mit den Waffen einer Frau kämpfen.

Zu seinem Glück war er wirklich gar nicht mehr so schlecht im Tanzen. Seitdem er gelernt und vor allem verstanden hatte, was Dulacre ihm beigebracht hatte, war es deutlich einfacher, immer noch furchtbar, aber machbar. Er musste nur dran denken, es bewusst einzusetzen.

Als der drittbeste Schwertkämpfer der Welt ihn für eine Drehung losließ bemerkte er, dass relativ viele Augen auf ihnen lagen. Nun ja, Kanan hatte ihm bereits erklärt, dass die Farbe seines Kleides, obwohl Weiß ja gar keine Farbe war, nur von wenigen Auserwählten getragen wurde. Natürlich sein Glück, dass ausgerechnet Eizen ihn schätzen gelernt hatte. Einer der wenigen Menschen, die den Hochadel beeinflussen konnten. So würde ihn spätestens am nächsten Morgen die ganze Welt kennen.

Bei der zweiten Drehung sah er die goldgelben Augen seines Lehrmeisters, die ihn fassungslos anstarrten. Der andere hatte sogar aufgehört mit dem Mädchen im auffallend grünen Ballkleid zu tanzen und sah ihn einfach nur mit offenem Mund an.

Sein trotziges Lächeln wuchs noch eine Spur weiter, als ihm auffiel, dass der andere ihn tatsächlich nicht erkannt hatte und er grinste ihn überlegen an.

Er hatte doch gesagt, dass er nach seinen eigenen Regeln spielen würde.

Wieder nah an der Brust seines Tanzpartners war es ihm unmöglich Dulacre zu beobachten, allerdings hatte er gerade auch etwas andere Probleme.

„Sie sehen wirklich zauberhaft aus, werte Loreen“, ertönte die aalglatte Stimme Homuras über ihm. Die Stimme, die ihm damals seinen Tod vorausgesagt hatte.

Liebevoll sah er zu dem anderen hinauf.

„Ich danke Ihnen“, antwortete er höflich, während er sich ausmalte auf welche grausamen Arten er den anderen eines Tages besiegen würde.

Das erste Lied endete, doch Homura hielt ihn fest, es war offensichtlich, dass er ihn noch nicht hergeben würde.

Der nächste Tanz war deutlich langsamer und bot auch den Tanzenden die Möglichkeit sich zu unterhalten, als hätte der Ältere es so geplant.

„Ich muss sagen, ich bin ganz überrascht, dass der werte Dulacre den Platz vor Ihrem Stuhl nicht beansprucht hat“, führte er das scheinbar belanglose Gespräch fort.

„Ach, glauben Sie, ich wäre auf ihn angewiesen?“, erwiderte er sorglos.

Homura fiel darauf hinein. „Oh nein, es freut mich nur ungemein, dass ich derjenige sein durfte, der Sie zum ersten Tanz führen durfte.“

„Wirklich? Sagen Sie bloß, Sie erhoffen sich etwas davon?“

Sein Herz raste, aber nach außen hin verriet nichts seine Angst. Er würde aus diesem Machtspiel als Sieger hervor gehen, so viel war sicher. Selbst wenn der andere seinen aufgeregten Herzschlag hören konnte, würde er nicht klein bei geben.

Aber er hatte den Älteren wohl unterschätzt, denn er lächelte nur und drehte ihn einmal aus. Als er ihn wieder zu sich zog, legte er die Arme um Zorro, sodass er ihn umarmte und sie nebeneinander im sogenannten Körbchen tanzten.

„Wie gefällt Ihnen denn Ihr erster Ball, Loreen?“, fragte er ruhig, während sie Arm in Arm die anderen Tanzenden beobachteten und im Gleichschritt vor und zurückgingen.

„Bisher habe ich wenig davon gesehen“, entgegnete er ebenso ruhig.

„Es ist schon eine andere Welt, in die man da hinein taucht, nicht wahr?“

Dem konnte selbst Zorro nicht widersprechen.

„Natürlich ist diese Welt für einfache Bürgerliche nichts weiter als ein Traum, eine Fantasie für eine Nacht. Für unseresgleichen ist sie jedoch unabdingbare Realität.“

Homura lächelte zu ihm hinab, ehe er ihn wieder von sich stieß um die traditionelle Tanzposition wieder einzunehmen.

„Unseresgleichen?“, hinterfragte Zorro ahnungslos.

Der Ältere lachte leise.

„Man sieht Ihnen an, dass Sie nicht aus einfachem Hause kommen, werte Loreen. Dulacre mag Sie für ein gewöhnliches Mädchen halten, aber ich sehe, wer Sie wirklich sind.“

„Ach, tatsächlich?“

Es kostete ihn viel Mühe nicht laut loszulachen. Wenn der andere wirklich wissen würde, wer er war, würden sie nicht mehr so ruhig vor sich hin tanzen.

„Loreen“, sprach der andere nun äußerst ernst, „Ich weiß, dass Dulacre durch seine dunkle Geheimnistuerei eine gewisse Ausstrahlungen auf junge Damen wie Sie hat.“

Immer noch hörte Zorro nicht auf zu lächeln, er war viel zu neugierig, wohin dieser Tanz ihn führen würde. Er hatte nicht erwartet, dass der Ball direkt mit der ersten Herausforderung losgehen würde. Langsam schwang seine Sorge in Häme um. Er hatte den anderen für eine Bedrohung gehalten, aber als Loreen konnte er es locker mit ihm aufnehmen.

„Aber glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass er keinen guten Umgang für eine Frau Ihres Niveaus darstellt.“

„Glauben Sie das?“, fragte er wieder nur schlicht und folgte den Schritten des anderen.

„Loreen, jeder Mann hier in diesem Raum stellt eine bessere Partie für Sie da, als ein dahergelaufener Samurai. Und ein jeder hier ist mehr denn gewillt, Ihnen das zu bieten, was Sie verdienen.“

Also subtil war das ganze ja wohl überhaupt nicht.

„Ich weiß, dass eine warmherzige, gutmütige Person wie Sie es sind, die stille Hoffnung hat, einen Verbrecher wie Dulacre zu retten. Aber Sie müssen auch an sich selbst denken. Eine Dame wie Sie, sollte auch Ihren Ruf beachten.“

„Herr Homura?“, brachte er sich endlich ein, „Was möchten Sie mir sagen?“

Der Ältere beugte sich tief zu ihm hinab und flüsterte beinahe.

„Meine Liebe, was auch immer er Ihnen bieten mag oder versprochen hat. Ich kann Ihnen mehr bieten und ich gehöre zu den angesehensten Vizeadmirälen der Marine. Mir stehen alle Türen offen. Ich kann für Sie sorgen. Egal was Sie möchten, Sie werden es kriegen, denn Sie verdienen das Beste, was diese Welt zu bieten hat. Loreen, glaube mir, gemeinsam öffnen sich uns sogar die Tore nach Mary Joa.“

Überrascht verpasste Zorro einen Schritt und stolperte beinahe über seine eigenen Füße, wenn nicht die starken Hände des Vizeadmirals ihn halten würden.

Hatte der Kerl, der mit Mihawks älterer Schwester verlobt gewesen war, gerade versucht sich an ihn ran zu machen? Das war ja sowas von eklig! Der Kerl konnte locker sein Vater sein.

Homura lächelte ihn freundlich an, während die Musik um sie langsam leiser wurde.

„Ich verstehe, dass das alles etwas plötzlich für Sie kommt. Ich möchte Ihnen nur deutlich machen, dass Dulacre nicht Ihre einzige Möglichkeit ist. Sie können so viel mehr erreichen, wenn Sie mit mir kommen.“

Und dann konnte Zorro sein Lachen nicht mehr zurück halten. Umliegende Tänzer wandten sich nach ihm um, aber es war unmöglich für ihn aufzuhören. Er konnte sehen, dass Homura seine Reaktion nicht einzuordnen wusste.

„Mein werter Homura“, antwortete er bemüht kontrolliert, aber es war einfach zu abstrus, „Sie glauben also zu wissen, was ich will und brauche?“, sprach er weiter, ungeachtet etwaiger Zuhörer, „Und Sie glauben, dass gerade Sie es mir bieten können?“

Er grinste immer noch breit, doch Homuras Lächeln war eingefroren.

„Sie haben keine Ahnung, wer ich bin, Homura, und Sie haben keine Ahnung von dem was ich will oder dem, was ich brauche.“

Die Musik verstummte. Der zweite Tanz war vorüber.

„Allerdings haben Sie gar nicht so Unrecht, wenn Sie behaupten, dass ich das Beste verdiene.“

Langsam machte er einen Schritt auf den anderen zu.

„Also warum glauben Sie, sollte ich mich mit einem drittklassigen Schwertkämpfer abgeben, wenn ich den Besten haben kann?“

Mit einem breiten Grinsen knickste er knapp.

„Ich danke Ihnen für diesen Tanz.“

Diesen Kampf hatte er gewonnen, während er erhaben die Tanzfläche verließ und ein paar Stufen hinauf zur Bar schritt. Jetzt waren sie auf Gleichstand.

Das war die Rache für das, was der andere ihm angetan hatte. Dafür, dass er damals ihre Party zerstört hatte. Jenen Tag zerstört hatte, den sein Kapitän so sehr hatte feiern wollen.

Erst als er oben angekommen war und sich den ersten Punch von einem Tablett genommen hatte, merkte er, dass fremde Augen auf ihm ruhten. Aber das war ihm egal, schließlich hatte er gewonnen.

„Du magst den großen Auftritt, oder?“

An einem der runden Tische saß der Samurai, alleine, ein halbleeres Weinglas in der Hand.

„Das verstehst du also unter nicht auffallen?“

Schnaubend setzte Zorro sich ihm gegenüber und schlug die Beine übereinander. Er rollte mit den Augen, war sich aber nicht sicher, ob der andere das durch die Maske sehen konnte.

„Das wäre nicht passiert, wenn du Idiot nicht das erstbeste Mädchen im grünen Kleid ausgesucht hättest.“

Er konnte sehen, wie der andere unter seiner Maske errötete.

Die Musik hatte längst wieder eingesetzt und Zorro beobachtete die Tanzenden. Ganz vorneweg konnte er Jiroushin und eine wunderschöne Blondine sehen. Sie war gertenschlank und fast so groß wie der Konteradmiral selbst und die Art wie sie tanzten zeigte einem jeden, dass sie einander liebten.

Zorro konnte nicht verleugnen, dass er recht zufrieden war mit seiner Leistung. Ach, was sollte er sein Licht unter den Scheffel stellen? Er war gerade die personifizierte Form von Stolz. Er hatte seinem überheblichen Gastgeber, von wegen Lehrmeister, gezeigt, dass er selbst als schwächliches Mädchen sehr wohl in der Lage war, auf sich aufzupassen und gleichzeitig hatte er Homura bloßgestellt.

Wer hätte ahnen können, dass dieser Ball ihm doch noch Spaß machen würde?

Mit einem Schluck leerte er den doch recht kräftigen Punch und stellte das Glas ab. Es brauchte nur wenige Sekunden, bis ein graumaskierter, junger Mann kam und es unter tiefem Verbeugen wegnahm. Zorro fiel sein seltsamer Hals- und Armschmuck auf, enganliegende Metallreifen, doch er sagte nichts.

„Explodierende Metallketten“, murmelte der Samurai und sicherte sich so wieder Zorros Aufmerksamkeit, „So kann man sicher gehen, dass keiner der Sklaven hier etwas Dummes anstellt.“ Seine Stimme war kühl, aber auch herablassend, es war offensichtlich, dass der Ältere nichts von Sklavenhaltung hielt.

„Also“, fuhr der andere fort, jetzt da der Pirat ihn wieder ansah, „Worüber hast du dich mit Nataku unterhalten? Er wirkte am Ende eures Tanzes doch deutlich unglücklicher als zu Beginn.“

Überrascht legte er den Kopf schief. Anscheinend hatte er doch nicht so laut gesprochen, wie er geglaubt hatte. Der Samurai hatte seine Worte nicht hören können, obwohl die Musik gefehlt hatte, die jetzt dafür sorgte, dass ihr Gespräch ungehört blieb.

Wieder sah das verzauberte Mädchen auf die tanzenden Paare hinab. Sollte er dem anderen davon erzählen? Ihm noch mehr Sorgen aufbürden, als die, die er eh schon mit sich rum schleppte. Schließlich hatte er die Gefahr doch alleine bannen können, oder etwa nicht?

„Also?“, wiederholte Dulacre nach einigen Minuten ruhig und sah ihn mit seinen durchdringenden Augen weiterhin bestimmt an.

Bemüht unbekümmert kratzte er sich unter seiner Maske und zuckte kurz mit den Schultern.

„Am Anfang haben wir uns etwas über deine Blödheit lustig gemacht.“

Nun wurden die Falkenaugen minimal zornig, doch er sagte nichts, sondern gab den überlegten Strategen.

„Ich meine, du warst vermutlich der einzige Mann im ganzen Saal, der mich ignoriert hat. Ausgerechnet du.“

Das klang verletzter als er in Wirklichkeit war. Es war ihm eigentlich egal, ob der andere ihm zum ersten Tanz aufgefordert hätte oder nicht, aber dass er ihn nicht erkannt hatte, das war das Problem. Sie hatten die vergangenen Wochen so viel Zeit miteinander verbracht, sodass selbst er den kühlen, maskulinen Geruch des anderen zu gut kannte und ausgerechnet der andere, der einzige, der wusste, wer er wirklich war, erkannte ihn nicht, wenn er mal ein anderes Kleid und eine Maske trug? Und dann immer seine großen Reden darüber, dass er Zorro beschützen wollte, schließlich hatte er ihm doch diese blöde Kette gegeben.

„Aber dann haben wir festgestellt, dass wir unterschiedliche Dinge wollen und die Unterhaltung war für mich beendet.“

Das war keine Lüge.

Der Samurai betrachtete ihn nachdenklich, antwortete jedoch nicht, sondern leerte sein Weinglas.

Augenblicklich tauchte ein graumaskiertes Mädchen mit langem Pferdeschwanz auf und füllte es nach. Auch sie trug den seltsamen Schmuck.

„Deine Fertigkeiten haben sich eindeutig weiterentwickelt“, nahm der Schwarzhaarige das Gespräch wieder auf und trank einen erneuten Schluck, ohne die Bedienung auch nur eines Blickes zu würdigen, „Mit diesem Tanz hast du dich nicht blamiert und es ist beruhigend zu sehen, dass du die neu erlernte Technik doch schon so selbstverständlich anwenden konntest.“

Sie sahen einander an und dann seufzte der Samurai.

„Du hast es also wiedermal nur unterbewusst eingesetzt.“

Zorro nervte es, wie der andere ihn trotz Maske lesen konnte, und noch mehr hasste er, dass der Andere natürlich Recht hatte. Vor allem hier und jetzt wollte er keine Lektion von seinem Lehrmeister erhalten, sondern nur den stärksten Alkohol, den der andere aufbringen konnte.

„Meine liebe Loreen!“, ertönte unerwartet die bärenstarke Stimme des Bürgermeisters, welcher sich überglücklich und etwas außer Atem neben sie warf.

Als hätte der Wikinger seine Gedanken gehört, stellte er ein Glas vor Zorros Nase. Leider war der Inhalt grässlich pink und eine grüne Gummischlange räkelte sich darin. Etwas entsetzt starrte er das Gebilde an, nicht sicher, was er damit sollte.

„Tenkai, das waren kaum zwei Tänze“, murrte seine strenge Gattin in einem beleidigten Ton, während sie sich elegant zwischen ihren Mann und dem Samurai auf einen Stuhl sinken ließ, ein ebenso pinkes Glas in ihrer Hand. Falkenauge auf der anderen Seite schien sich über Zorros Blick zu amüsieren.

„Und worüber unterhaltet ihr beiden Hübschen euch?“ Koumyou versuchte verzweifelt das Thema abzuleiten, das Bier am hin und her schwenken.

„Wir reden nur übers Tanzen“, antwortete Dulacre wahrheitsgemäß und erwiderte ruhig den Blick seines alten Bekannten. Frau Koumyou auf der anderen Seite war immer noch äußerst erbost.

„Ja und Sie Flegel haben sich den ersten Tanz von einem dahergelaufenen Marinekadetten abluchsen lassen. Schämen sollten Sie sich.“

„Er ist kein Kadett“, murmelte der Bürgermeister unbehaglich, „Das ist Homura Nataku, ein hochrangiger Marineoffizier.“

„Na und?“, herrschte die Frau in der schwarzen Robe, „Wir haben uns so viel Mühe gegeben, dass Loreen die Frau des Abends wird und Sie schenken ihr noch nicht einmal einen Blick.“

Wie eine wütende Mutter rügte sie ihn.

„Und getanzt haben Sie auch noch nicht mit ihr. Wie soll das arme Ding sich nur fühlen?“

Dem Piraten war bewusst, dass er das arme Ding war, von dem sie redete, aber ihm wurde der Gegenangriff abgenommen.

„Ich möchte Sie daran erinnern, wer ich bin“, sprach Dulacre kühl, „Mein Gast hatte einen ausgezeichneten Tanzpartner in Herrn Homura und ich habe ihn mit dem Blick gewürdigt, den mein Gast verdient.“

Die Frau des Bürgermeisters schien verletzter zu sein, als Zorro selbst, der nun mit dem Samurai im Augenkontakt stand. Doch für ihn war es unmöglich zu sagen, was der andere in Wirklichkeit dachte. Ergeben nahm er einen Schluck von dem grausam-süßen Getränk, dessen Geschmack wie flüssiger Zucker das Brennen des Alkohols überlagerte. Wer trank sowas freiwillig?

Plötzlich wandte der Ältere den Blick ab, als ein laut lachendes Pärchen zu ihnen geeilt kam.

Strahlend, wie das Licht der Sonne ließ sich die breit lächelnde Frau des Konteradmirals neben ihm nieder. Ihr hautenges schwarzes Kleid mit kleinen grünen Steinchen, betonte ihre wunderschöne Figur. Ihr langes blondes Haar fiel offen ihren Rücken hinab und tanzte bei jeder Bewegung.

Zorro konnte nicht anders, als zu erröten. Er konnte nicht anders, als in ihren warmen, himmelblauen Augen hinter der simplen Maske zu versinken, während sie ihn anlachte, immer noch ein bisschen außer Atem vom Tanzen.

Obwohl er nun im Körper einer Frau war, wusste er doch augenblicklich, was Jiroushin an ihr fand. Nicht nur ihre Schönheit war beeindruckend, ihr ganzes Wesen sprühte nur so vor Lebensfreude und Warmherzigkeit.

„Sie müssen Loreen sein.“ Ihre Stimme war überraschend tief und lasziv, als wollte sie ihn direkt verführen. „Ich freue mich so, Sie endlich kennen zu lernen. Ich bin Lirin.“

Sie nahm seine Hand. Ihr Griff war bestimmt aber weich, stark aber sanft.

Der Konteradmiral neben ihr, der breit grinsend Falkenauges Weinglas leerte, worauf dieser ihn nur kühl ansah, beugte sich zu Zorro rüber und begann ihm von seiner Frau zu erzählen.

Wenn die beiden ihn so angrinsten konnte man fast meinen, dass sie Geschwister waren. Das gleiche breite Grinsen, die gleichen wohlgeformten Wangenknochen und die gleichen freundlichen Augen, die sich nur in ihrer Farbe unterschieden. Dieses Pärchen war das komplette Gegenteil von Falkenauge und ihm.

Warte! Halt!

Schnell überdachte er seine Gedanken, während er höfliche Plaudereien mit den beiden austauschte, die von dem Samurai nur beobachtet wurden, während sich das ältere Ehepaar verabschiedete und zu einer älteren Gruppe von Politikern gesellte.

Sowas sollte er nicht denken!

Nur weil der Rest der Welt von so einem Schwachsinn ausging, hatte ihn das nicht zu interessieren. Dulacre war sein Lehrmeister, sein… Freund und der Kerl, den er eines Tages besiegen würde. Alles andere war irrelevant.

Nach einigen Minuten der freundlichen Unterhaltung, die von dem lauten Lachen des glücklichen Pärchens erwärmt wurde, erhob sich der Konteradmiral bereits wieder.

„Meine liebe Loreen, bitte tanzt mit mir.“

Überrascht sah Zorro ihn an, unsicher was er tun sollte.

Doch dann wurde ihm bewusst, dass sich hinter ihm bereits die ersten Männer auf dem Weg zu ihm gemacht hatten, zweifellos um ihn zum Tanzen aufzufordern. Also blieb ihm gar nichts anderes übrig.

Freundlich lächelnd nahm er die Hand des anderen an und folgte ihm zurück auf die Tanzfläche, vorbei an einigen enttäuschten Gesichtern.
 

-Mihawk-

Er beobachtete seinen Wildfang dabei, wie er sich langsam mit seinem Kindheitsfreund um die eigene Achse drehte. Das weiße Kleid ein so passendes Pendant zu dem weißen Marinemantel des Konteradmirals.

„Dulacre“, erreichte ihn die fröhliche Stimme Lirins, die ihn lächelnd ansah, „Möchtest du nicht auch mit mir tanzen?“

Die Frau seines Kindheitsfreundes hatte ihn immer schon akzeptiert. Wenn sie Vorbehalte gegen ihn hatte, versteckte sie diese nur zu gut. Auch in diesem Moment war sie die Freundlichkeit in Person.

„Es tut mir leid, Lirin“, und das meinte er auch wirklich so, „Aber ich tanze nicht.“

Ihre leuchtend blauen Augen wurden groß, doch sie lächelte nur sanft.

„Das ist in Ordnung.“

Mit ruhigen Bewegungen nahm sie einem vorbeieilenden Kellner ein mit klarer Flüssigkeit gefülltes Glas ab.

„Sie ist wirklich wunderschön“, meinte sie nur. Dulacre folgte ihren Augen auf die Tanzfläche.

Ihr Blick lag ganz offensichtlich auf dem verzauberten Piraten.

„Ich verstehe, was dir an ihr gefällt.“

Dulacre trank seinen Wein. Es war nicht so, als ob er die Blondine wirklich als seine Freundin betrachten würde. Sie hatten sich in den vergangenen Jahren das ein oder andere Mal gesehen und sie hatte ihn immer sehr herzlich angenommen. Tiefgründige Gespräche hatten sie bis auf eine einzige Ausnahme hin noch nie geführt.

Allerdings war sie einer der wenigen, der er erlaubte ihm beim Vornamen zu nennen, was schon einiges bedeuten konnte.

„Durch eine fünf-minütige Konversation? Das glaube ich kaum“, antwortete er mit leichtem Sarkasmus.

Allerdings wiedersprach er nicht ihrer Vermutung, dass er den Piraten mochte. Vor allem mochte er diese kleinen Kämpfe mit dem Jungen, oder dieses kleine, böse Grinsen, dass der Jüngere ihm gerne schenkte. Gerade lächelte er nur eine Spur freundlicher zu Jiroushin hinauf.

„Sie ist stark“, meinte sie nur ehrlich, „Sie ist so ein hübsches, zerbrechliches Ding, dass ich sie am liebsten in Watte einpacken würde.“

Dann sah sie Dulacre direkt an. „Aber sie scheint so, als hätte sie in ihren jungen Jahren schon mehr erlebt, als andere in ihrem ganzen Leben. Hinter ihrem Lächeln ist so viel verborgen.“

Ihre überraschend gute Menschenkenntnis verblüffte den Samurai, doch dann wurde ihm wieder bewusst, dass seine Gesprächspartnerin diejenige gewesen war, die Jirous Maske vor so vielen Jahren runter gerissen hatte, damals, als sie noch Piraten gewesen waren.

Lirin hatte eine Gabe Menschen innerhalb weniger Sekunden zu sehen, wie sie waren.

„Sie trägt drei Gesichter“, murmelte sie eher zu sich, als zu ihm, „Eines höflich und freundlich, eines kühl und berechnend.“

Diese Aussage überraschte den Samurai hingegen kaum, schließlich kannte er sowohl Loreen als auch Lorenor. Er selbst hatte bemerkt, wie der andere zwischen seinen beiden Persönlichkeiten hin und her wechselte, abhängig davon, in welcher Gesellschaft er sich befand.

„Und dann ist da dieses Dritte.“

Lange betrachtete sie die beiden Tanzenden. Dulacre folgte ihrem Blick. Sein Wildfang schien wirklich Spaß zu haben. Er hatte ihn noch nie so lachen gesehen, wie gerade in den Armen seines Kindheitsfreundes.

„Du solltest wirklich gut auf sie aufpassen“, sagte sie dann und richtete ihren Blick wieder auf ihn, „Sie scheint dich gern zu haben.“
 

-Zorro-

Es sollte ihm unangenehmer sein, mit einem Marineoffizier zu tanzen, als Mann, in einem Kleid, von allen als Frau verurteilt, unter dem immer gegenwärtigen Blick seines verfluchten Möchtegernvormundes.

Aber tatsächlich machte es ihm beinahe Spaß.

Der Konteradmiral war wie ein kleiner Junge, verdrehte manche Schritte ins Lächerliche, pfiff schief und schräg zur lauten Musik und klatschte außerhalb vom Takt.

Lachend hüpfte er um Zorro herum, absolut ohne jegliches Rhythmusgefühl. Wie ein Kind griff er nach dem verzauberten Piraten und drehte sich mit ihm im Kreis. Umstehende Blicke nahm er kaum war und Zorro kam nicht drum hin, sich fallen zu lassen.

Der Pirat hatte die Zeit mit dem Samurai schätzen gelernt, hatte den ernsthaften, überlegten Freund schätzen gelernt. Die gemeinsame Zeit sowohl beim Training als auch abseits davon war für ihn sehr wertvoll geworden. Er hatte viel gelernt und war erwachsen geworden. Der Samurai hatte ihm beigebracht, dass er die Kontrolle nicht verlieren durfte, dass er nicht einen Moment unaufmerksam sein durfte, wenn er der Beste werden wollte.

Doch darüber hatte er etwas ganz Wichtiges wirklich vergessen. Etwas, von dem er nie erwartet hätte, dass er es vermissen würde.

In den Armen des albernen Blondschopfes konnte er das erste Mal seit Ewigkeiten sein Gehirn ausschalten und einfach nur eine gute Zeit haben. Sie beide stolperten über ihre eigenen Füße und lachten sich gegenseitig aus. Die Hände des Konteradmirals führten ihn blindlings unter die Tanzenden, die ihnen erschrocken auswichen. Die belebte Musik und das Lachen des Älteren hallten in seinen Ohren, während er zum ersten Mal, seit dem er seine Freunde verlassen hatte, einfach so sinnlosen Spaß hatte. Das letzte Mal war so lange her und hatte so furchtbar geendet.

„Vertrau mir mal, Loreen“, hörte er plötzlich den Konteradmiral zu ihm runter rufen.

Verwirrt sah er zu dem anderen hinauf, der seine Hände ergriff und ihn in einen unerwartet schnellen Tanz beförderte. Ohne zu wissen, was er tat, sah er einfach nur in die grünen Augen seines Tanzpartners, der ihn angrinste.

„Was hast du vor?“, murmelte er unsicher, doch der andere grinste nur.

Im nächsten Moment packten ihn große, starke Hände an der Hüfte und schleuderte ihn in die Luft.

Sein Herz setzte einen Satz aus.

Aus Reflex zog er die Arme an, während er rasend schnell sich um die eigene Achse rotierte.

Im nächsten Moment fing der andere ihn wieder auf, ließ Zorros zierlichen Körper beinahe durch seine Finger gleiten und warf ihn durch seine langen Beine hindurch.

Im letzten Atemzug spürte Zorro, wie seine Handgelenke vom anderen ergriffen wurden und er ihn zurückzog und wieder hochwarf.

Als er die Augen wieder öffnete, lag er in den Armen des Konteradmirals, der sich zur ausklingenden Musik noch langsam drehte.

Umstehende beobachteten sie beeindruckt.

Überrascht atmete er aus, während er langsam begriff, was der andere gerade mit ihm getan hatte.

Der Konteradmiral lachte immer noch: „Du bist wirklich leicht wie ein kleines Kind!“

„Du bist hier das einzige Kleinkind“, erwiderte er grinsend, dankbar darüber, dass der andere ihn wieder auf seine eigenen zwei Beine ließ.

Doch unerwartet wurde der Ältere etwas ernster.

„Loreen, ich muss mit dir reden“, fing er an, doch unterbrach sich selber.

„Entschuldigung Konteradmiral.“ Eine unbekannte, tiefe Stimme ertönte hinter Zorros Rücken, der gerade erst versuchte die neue Tanzerfahrung zu verdauen und gleichzeitig zu erahnen, was der andere mit ihm besprechen wollte.

Warum wollte jeder immer was mit ihm bereden?

„Dürfte ich mir Ihre Tanzpartnerin ausleihen?“

Langsam drehte sich der Pirat um.

„Natürlich Vizeadmiral Comil“, antwortete der Konteradmiral neben ihm und salutierte automatisch.

Doch Zorro nahm das gar nicht wahr.

Er starrte geschockt auf den breitschultrig gebauten Mann, mit blond wallender Mähne, Halbglatze und Schnurrbart. Weder der schwarze Anzug noch der typische Admiralmantel konnte die üppige Körpermitte verbergen. Die Augen hinter der schwarzen Maske waren zu kleinen Schlitzen zusammengekniffen und der schwülstige Mund zeigte kein Lächeln.

Aber das war nicht das, was den Piraten schockierte, als er sich ruckartig verbeugte und zuließ, dass der andere seine Hand nahm.

„Ich bin äußerst überrascht“, fing der Mann der Marine an zu sprechen, während Zorro seinem Blick kaum standhalten konnte, „Mit Ihnen hätte ich hier tatsächlich nicht gerechnet.“

Sein tiefer Bass vibrierte schonungslos bis ins Mark des verzauberten Piraten.

„Was wohl der geschätzte Hakkai davon hält? Da vorne steht er, übrigens.“

Comil nickte nach rechts und Zorro folgte seinem Blick.

Dort, nicht mal zehn Schritte entfernt, am Rande der Tanzfläche, stand der Kommandant der ehemaligen G6, eine Augenklappe über dem einst intakten rechten Augen. Eine Gesichtshälfte war durch die kaum verheilte Brandwunde komplett entstellt, und der einst freundliche, gütige Mann wirkte verhärmt und kalt. Selbst die schwarze Maske konnte ihn nicht schützen.

„Sieh dir an, was aus ihm geworden ist“, murmelte der Mann vor Zorro leise, „Sieh dir an, was du getan hast, Lorenor Zorro!“

Kapitel 28 - Das Ende

Kapitel 28 – Das Ende

 

-Zorro-

Er hatte nicht eine Sekunde aufgehört zu tanzen, bewegte sich im Takt der Musik und sah den Mann der Marine an, der durch Zorros Tat beinahe alles verloren hatte, bis auf sein Leben.

„Wie viele haben überlebt?“, fragte er tonlos.

„Neben dem Kollegen noch drei weitere“, antwortete der Mann mit dem er tanzte ebenso emotionslos.

Nur vier, wirklich nur vier Männer hatten seinen Ausbruch damals überlebt. Was er doch für ein Monster geworden war. Es fühlte sich ganz surreal an, hier im schicken Kleid, unter der Maske, zur Musik.

Der Vizeadmiral begann wieder zu sprechen:

„Wie du sehen kannst, sind einige meiner Untergebenen nicht ganz glücklich über deine Anwesenheit.“

Zorro folgte während einer Drehung seinem Blick zu einem der kleinen Tische, wo sechs unterschiedlichste Weißhemden in typischer Uniform saßen. Sie alle hatten ihre bedrohlichen Blicke aus dem Schatten heraus auf ihn gerichtet und auf jedem ihrer Gesichter stand abgrundtiefer Hass.

Der Pirat überlegte kurz.

„Also?“, fragte er dann und wandte seinen Blick wieder seinem Tanzpartner zu, „Was habt ihr jetzt vor? Wie werdet ihr mich zur Rechenschaft ziehen?“

Er wusste, dass ein Kampf sinnlos war, alleine der Vizeadmiral vor ihm musste so stark sein wie Hakkai selbst, gegen den noch nicht mal Ruffy eine Chance gehabt hatte. Außerdem hatte er selbst keine Waffe und nebenbei war der komplette Saal nur so erfüllt von hochrangigen Marinemitgliedern.

Wie aufs Stichwort tanzte der tollpatschige Admiral blauer Fasan in sein Blickfeld, stolperte sogleich über seine eigenen Füße und brachte sich und seine vollbusige Tanzpartnerin zu Fall.

Er musste also eine Auseinandersetzung verhindern, bei der seine Freunde von Sasaki in Gefahr geraten konnten. Zumindest das konnte er tun. Vielleicht würde man ihm sogar noch die Gnade gewähren, sich von ihnen zu verabschieden.

„Das ist ja das Problem“, meinte Vizeadmiral Comil und sah zu ihm herab, „Unsere Treue zur Marine steht hier gegen die Familie.“

Zorro stockte. Nicht eine Sekunde lang hatte er geglaubt, dass sie überhaupt überlegen würden, dass diese Kleinigkeit für sie in irgendeiner Form relevant sein könnte, nicht nachdem, was er getan hatte.

„Die Familie der Wiedergeborenen“, murmelte er ruhig, nur für den Marinemann hörbar.

Dieser nickte.

„Alle unserer Art, die es in der Marine gibt, nehme ich in meine Einheit auf um für sie zu sorgen und um ihnen bei ihrer Selbstfindung zu helfen. Diese Spezialeinheit besteht mittlerweile aus genau sechs Mitgliedern, die du dort siehst.“

Wieder beobachtete der Pirat die Kadetten, die ihn feindselig anstarrten, doch diesmal richtete er seinen Blick eher auf ihre Schatten, die immer wieder verschwammen und scharf wurden.

„Unter anderen Umständen hätte ich dir angeboten, uns beizutreten. Einige von uns waren früher Gesetzeslose und haben bei der Marine ihr neues Zuhause gefunden. Natürlich ist der ein oder andere auch in sein altes Leben zurückgekehrt, nachdem er gelernt hatte, wie er wieder seinen anderen Körper annehmen konnte.“

Nun sah der Pirat den Schatten seines Tanzpartners an. Sah die uralte Frau, deren langer Flechtzopf, wie ein Schal um ihren Hals gelegt war und die aus zusammengekniffenen Augen zurück blickte und mit dünnen Lippen freundlich lächelte, ebenso wie ihr reales Ebenbild, Comil.

„Ich habe entschieden, mir erst ein Bild von dir zu machen, ehe ich mich entscheide, was ich tun werde. Deine Verbrechen sind unverzeihlich und ich verstehe jeden meiner Kollegen, der deine Eingeweide aus diesem schmächtigen Körper reißen möchte“, sprach der Vizeadmiral höflich weiter, als wenn er über das Wetter sprechen würde, „Aber du gehörst nun mal zur Familie und wie du von Banri mit Sicherheit weißt, ist unser Zusammenhalt in dieser Welt unverzichtbar. Wenn wir dir den Prozess machen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass unser aller Geheimnis gelüftet wird und darauf möchte ich gerne verzichten.“

Als Banris Name fiel, schaute Zorro überrascht auf. Es schien, als würden sie sich alle kennen.

„Woher wissen Sie, dass ich Banri kenne?“

Der Vizeadmiral zuckte mit den Schultern: „Woher wusste ich, dass du weißt was wir sind? Woher wusste ich, dass du bei meinem Anblick nicht schreiend davon laufen würdest? Ich kenne fast sämtliche Mitglieder unserer Familie und bin über dieses Netzwerk immer auf dem Laufenden.“

Immer noch tanzten sie im Takt der Musik, doch Zorro ignorierte alles andere um ihn herum.

„Mein anderer Name ist Gensui Jade, mein lieber Neuling. Ich gehöre zu den ältesten, die von uns noch leben und bin sozusagen die Mutter der Familie, also nenn mich ruhig Jade.“

Es war seltsam, wenn ein Mann sich Mutter nannte, aber wer war Zorro schon um darüber zu urteilen.

Sein Tanzpartner war eine Spur zu freundlich, wenn man bedachte, dass Zorros Schicksal in der Hand des Vizeadmirals lag.

„Jade“, meinte er ruhig, „Sie sind sehr nett zu mir. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Kollegen das gut finden.“

Die verzauberte Frau grinste ihn an, was bei den schwulstigen Lippen des Marinemannes irgendwie bedrohlich wirkte.

„Mein junger Freund, in meinem zweiten Leben wurde ich Mann der Marine und habe dieses Leben auch der Gerechtigkeit verschrieben, aber ich lebe deutlich länger auf dieser Erde als die meisten und habe viele Menschen kommen und gehen sehen.  Ich habe mich ebenso unserer Familie verschrieben und auch dir werde ich dir Möglichkeit geben, die dir das Schicksal geboten hat, sofern du sie denn wahrnimmst.“

„Sie wissen mehr als Banri, oder?“

„Natürlich“, antwortete sie lachend, „der dumme Kauz ist zwar ein netter Zeitvertreib, aber er weiß nur die Hälfte von dem, was es zu wissen gibt.“

Das Lied endete und beide verbeugten sich kurz, aber keiner von ihnen ging.

Mit dem nächsten Ton ergriff Zorro wieder die Hände des Offiziers.

„Auch wenn es mir nicht zusteht, bitte ich um Ihre Hilfe, Jade.“

Sie hielt seinem Blick tonlos stand.

„Ich weiß bereits, was ich in diesem Leben lernen muss, aber trotzdem ist es mir nicht möglich, meine Gestalt zu wechseln. Was mache ich falsch? Wissen Sie das?“

In langsamen Schritten ging er zurück und wieder vor, nicht eine Sekunde seine Augen abwendend. Dieser Tanz hier konnte seine Möglichkeit sein, wieder Lorenor Zorro zu werden, aber genauso sehr konnte es auch sein Todesurteil sein, sein Endgültiges!

„Worte sind sinnlos“, meinte sie schlicht, „Wir alle wissen, was besser für uns ist. Mehr Training, eine bessere Ernährung, ein gesünderer Lebensstil, aber das bedeutet noch lange nicht, dass wir unser Leben ändern.“

Allmählich drehten sie sich, die Musik als Schutz vor ungewollten Zuhörern.

„Du wirst erst in der Verfassung sein, deinen anderen Körper zu erhalten, wenn du deinem Wissen Taten folgen lässt.“

Sie sahen einander an.

„Danach, wenn du das Gelernte umgesetzt hast, musst du nur noch die Stärke finden, deine Gestalt zu wechseln.“

Diese Aussage war sehr ungenau, aber trotzdem wusste er in etwa, was sie meinte. Er verstand.

Plötzlich veränderte sich der freundliche Gesichtsausdruck zu einer kalten Maske.

„Und jetzt sprechen wir über die G6!“
 

-Mihawk-

Sein mittlerweile fünftes Glas Wein drückte er einem Sklaven in die Hand.

Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er den Wildfang, der gerade unglaublich intim mit Vizeadmiral Comil tanzte. Das gefiel ihm ganz und gar nicht.

Warum sprachen Lady Loreen und der Kommandant der G2, Vorgesetzter seines alten Herrn, so vertraut miteinander?

Das machte ihn rasend.

Aber er wusste auch, dass sein Eingreifen eher kontraproduktiv sein würde. Lorenor würde ihm schon andeuten, wenn er in Gefahr wäre.

Auch entgingen ihm nicht die feindlichen Blicke der sechs Marinekadetten von einem der nicht weit entfernten Tische. Es war äußerst seltsam, dass so niedriges Fußvolk auf so einem Ball anwesend war. Aber sein Problem sollte es nicht sein.

Mühsam erhob er sich.

Mit gezielten Schritten ging er auf den einzigen Mann im Saal zu, der für ihn noch in irgendeiner Form interessant sein konnte: Vizeadmiral Hakkai.

Überrascht stellte er fest, wie viele von den Marineoffizieren hier rumliefen. Deutlich mehr als früher. Naja auf der anderen Seite hieß diese Veranstaltung nicht umsonst Marineball. Aber keiner, kein einziger von ihnen traute sich zum angeschlagenen Kollegen, welcher ganz alleine den Tanzenden zusah.

Der Vizeadmiral sah ihn milde erstaunt an, als er sich zu ihm stellte.

„Na, Sie sind wohl der einzige hier, der sich nicht vor mir fürchtet“, meinte er ruhig. Zeigte sein wohl bekanntes, freundliches Lächeln, welches selbst durch seine Verletzung nicht verloren gegangen war.

„Keine Sorge, Hakkai, ich bin Ihnen in den Punkten Feindseligkeit und Abscheu weit voraus. Sie müssen sich schon etwas mehr anstrengen, wenn sie der meistgehasste Anwesende werden möchten.“

Der andere lachte leise, seine einst helle Stimme war mittlerweile rau und trocken geworden. Dulacre erinnerte sich an den anderen noch aus seiner eigenen Zeit bei der Marine, damals war der sanfte Mann ein ruhiger, freundlicher Kamerad gewesen, der oft genau deswegen unterschätzt worden war.

Sein verbliebenes Auge hatte den damaligen Glanz verloren, seine Körperhaltung die alte Kraft abgelegt.

Was auch immer die Marine mit seiner Anwesenheit auf diesem Ball beweisen wollte, sie hatte kläglich versagt. Wenn sie sagen wollte, dass sie diesen schwarzen Punkt ihrer Geschichte überstanden hatten, dann bewies Hakkai höchstpersönlich, dass die Wunden nach drei Wochen noch nicht verheilt sein konnten.

„Ich wollte Ihnen meinen Respekt ausrichten“, sprach er schließlich kühl weiter, „Es ist vielleicht nicht viel, von einem Piraten.“

Sein Gegenüber sah ihn ruhig an, dann nickte er ihm kurz zu, ehe er zum nächstbesten Stuhl hinüber humpelte. Erst da wurde es Dulacre bewusst. Sein rechtes Bein schien eine Prothese zu sein.

Ohne sich etwas anmerken zu lassen, ließ er sich neben ihn sinken.

Wie auf Geheiß standen zwei Gläser Wein plötzlich neben ihnen, ohne dass nur einer von ihnen nach den Sklaven Ausschau hielt.

„Es ist ungewöhnlich für einen der sieben Samurai hier anwesend zu sein“, erwähnte Hakkai wie immer höchst höflich, „Gehe ich recht in der Annahme, dass das mit dem jungen Fräulein einher geht?“

„Sie scheinen gut informiert.“

Der Vizeadmiral lachte halbherzig. „Es ist eher so, dass Ihr Blick für sämtliche Anwesenden zu offensichtlich ist.“

Nun gut, das konnte er sich denken, bisher hatte er seinen Wildfang kaum aus den Augen gelassen, selbst jetzt konnte er ihn immer noch aus den Augenwinkeln sehen. Irgendwann musste das den anderen Kriegern hier natürlich auffallen.

„Verzeihen Sie meine Direktheit, aber ich bin überrascht, dass Sie noch nicht degradiert worden sind.“

Er brauchte Antworten und die würde er sich holen.

Wieder grinste der andere äußerst sarkastisch.

„Da sind Sie nicht der Einzige. Nach meinem Versagen müsste ich eigentlich der Marine verwiesen werden.“

„Vielleicht hat Sie genau diese Ansicht davor bewahrt.“

Seine Vermutung war eher eine höfliche Floskel, das war beiden von ihnen bewusst.

„Sagen Sie, Falkenauge, was wollen Sie wirklich wissen?“

Sein kalter Blick traf den seinen. Er schien so müde. Er hatte keine Lust auf Versteckspielen und aus Respekt würde Mihawk das auch nicht tun.

Er drehte sich weg von den Tanzenden und sah sein Gegenüber entschieden an.

„Wieso haben Sie versagt?“
 

-Zorro-

Tief verbeugte er sich vor Vizeadmiral Comil, ein seltsames Gefühl in der Magengegend. Jetzt würde sich sein Schicksal entscheiden.

Kühl sahen ihn die kleinen Augen des breitkreuzigen Mannes durch seine schwarze Maske hinweg an, während die Musik um sie herum leiser wurde.

„Wenn möglich, wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir das hier ohne größeres Aufsehen hinter uns bringen könnten.“

Langsam erhob er sich wieder.

„Die Menschen, die mir geholfen haben, wissen nichts von meiner wahren Gestalt und es läge nicht in meinem Interesse, wenn sie sich in Schwierigkeiten bringen würden, um einer verhafteten Lady Loreen zur Hilfe zu kommen.“

Er hatte seine Bitte klar formuliert. Er würde sich der Entscheidung seines Gegenübers fügen, denn ein Kampf war aussichtslos. Doch vor allem wollte er nicht, dass seine Verhaftung zu einem Tumult führte. Es gab einige Leute in diesem Raum, die sich auf seine, beziehungsweise Lady Loreens Seite stellen würden und im Zweifel sogar für einen Kampf bereit wären und bis auf Homura wollte er nicht, dass auch nur einer von ihnen wegen ihm leiden musste.

Selbst den Samurai musste er außen vor lassen, wenn er sicher gehen wollte, dass niemand mit hineingezogen würde.

Es würde für ihn noch schlimm genug werden, wenn die Welt herausfinden würde, wer Lady Loreen in Wirklichkeit war. Er bezweifelte, dass sie ihn im stillen Kämmerchen hinrichten würden. Durch seinen Tod könnte die Marine schließlich ihr Gesicht retten. Es ging hier um deutlich mehr, als nur um Rache.

Das nächste Lied setzte ein. Sein hüpfender, fröhlicher Rhythmus passte so gar nicht zu der Bedrohung, die Zorro gegenüberstand.

„Eine Schande“, begann nun der Vizeadmiral zu sprechen, „Es tut mir wirklich leid.“

Das verzauberte Mädchen biss die Zähne fest zusammen.

Die andere Gestalt des Vizeadmirals war eine alte Frau, das hieß aber noch lange nicht, dass sie gütig war. Wenn Jade entscheiden würde, ihn hier vor allen geladenen Gästen zu entlarven, musste er sich schnell etwas überlegen, um vor allem Jiroushin und Koumyou davon abzuhalten ihm zu helfen.

Dulacre traute er zu, nicht so dumm zu sein, einzugreifen.

Innerhalb weniger Sekunden hatte er sich bereits ein paar gute Sätze zusammengelegt, die ein typischer Bösewicht wohl sagen würde. Seine Freunde von Sasaki mussten ihn hassen, damit sie ihm nicht helfen wollten.

Tja, diese Rolle passte doch zu ihm. Irgendwie entspannte es ihn sehr. Die Welt wurde ruhiger. Er machte den anderen Wiedergeborenen keinen Vorwurf, er konnte sie sogar verstehen. Er hoffte nur, dass sie es beenden konnten, ohne Menschen, die ihm wichtig waren unnötig zu verletzen.

„Das ist ein Française“, meinte sein Gegenüber nur schlicht und nickte zum Orchester hinüber, „ich liebe diesen Tanz. Mit meinem verstorbenen Mann habe ich ihn damals zu meiner Hochzeit getanzt.“

Zorro kannte den Tanz, es war einer der ersten, die er gelernt hatte. Ein Tanz, bei dem man mit wechselnden Partnern verschiedene Figuren tanzte. Es war ziemlich lächerlich in seinen Augen.

„Aber leider sind unsere drei Tänze bereits um.“

Er schluckte. Das war es also nun.

„Sie sollten ihn sich aber auf jeden Fall nicht entgehen lassen, Lady Loreen.“

Überrascht sah er die verstorbene Frau an.

„Ich danke Ihnen sehr für die angenehme Zeit und freue mich bereits jetzt schon auf ein baldiges Wiedersehen.“

Dann salutierte der Vizeadmiral knapp, drehte sich um die eigene Achse und schritt zügig davon.

Etwas geschockt starrte er dem Rücken des anderen nach, der sich zu seinem Gefolge gesellte und in ruhigen Worten mit ihnen sprach.

War das gerade…? Hatte er gerade…? Hatte sie vielleicht…?

„Meine Dame?“

Ein Mann in roter Maske und blauer Schleife bot ihm seinen Arm an. In diesem Moment forderten drei Trompeten zum Beginn auf.

Immer noch unsicher darüber, was gerade geschehen war, nickte er kurz und hakte sich ein. Nach drei Schritten vorwärts löste er sich, klatschte mit hunderten anderen uni solo in seine Hände, drehte sich Rücken an Rücken mit einer anderen Dame und stand nun jemand anderem gegenüber.

Und so ging es vor und zurück. Von rechts nach links.

Mal änderte sich der Takt, mal das Lied, doch nie setzten sämtliche Musikanten aus, sodass es für Zorro unmöglich war, abzuhauen.

Nach mehreren Minuten und verschiedensten Variationen endete der volkstümliche Tanz und er applaudierte höflich mit den umstehenden Menschen.

Jade hatte ihn nicht verraten. Sie würden ihn nicht festnehmen. Sie hatte ihm sogar geholfen, hatte ihm verraten, wie er wieder er werden würde.

Doch auch sie hatte ihm sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass er nie wieder nur Zorro sein konnte. Loreen gehörte nun genauso zu ihm, wie sein rechter Lungenflügel.

Seufzend wollte er die Tanzfläche verlassen, als ihm der Mann entgegen kam, der ihm diesen Ball eingebrockt hatte.

Eizen!

Sein schwarzer Anzug mit silbernen Verzierungen und seine silberne Maske stellten ein perfektes Gegenstück zu Zorros eigenem weiß-silbernen Outfit da.

Tief verbeugte sich der Politiker vor ihm und Zorro sah sich gezwungen ebenfalls zu knicksen.

Seine Füße taten ihm langsam weh, er wusste nicht, wie lange es her war, dass er am Tisch des Samurais gesessen hatte, aber das wurde gerade auch ziemlich unwichtig.

„Lady Loreen“, begrüßte ihn der ältere Mann und lächelte freundlich.

Zum ersten Mal konnte Zorro seine Augen sehen, da er keine Sonnenbrille trug. Es waren ganz normale braune Augen, er konnte nicht verstehen, warum jemand sie verstecken brauchte. Generell wirkte Eizen noch etwas jünger und weniger klapprig als am vergangenen Tag. Irgendwie sehr seltsam, das alles.

„Herr Eizen“, entgegnete er höflich und nahm die ihm dargebotene Hand an.

Er hatte gewusst, dass er vor diesem Tanz nicht davon laufen konnte. Erst Recht nicht auf diesen Schuhen.

Es war sein erster Tanzpartner, bei dem er ohne Probleme an die Schulter ran kam. Fast schon traurig, wie glücklich ihn das machte.

Sie folgten der langsamen Musik, ohne einander anzusehen.

Zorro wusste nicht, wen der andere beobachtete, aber sein Blick lag auf dem Samurai, der schon seit längerer Zeit an einem anderen Tisch saß, anfangs nur mit dem ihm leidlicher Weise bekannten Hakkai, mittlerweile jedoch auch noch mit einigen anderen Offizieren, welche alle ungewöhnlich ernst drein blickten, wenn man bedachte, dass man sich auf einer Tanzveranstaltung befand.

„Nun, Liebes“, begann das altersschwache Fossil die unvermeidbare Konversation, „Wie haben Sie sich entschieden?“

Er erwiderte den Blick seines Tanzpartners ernst.

Bis vor wenigen Minuten war er sich nur zu sehr bewusst gewesen, was seine Antwort sein würde, aber die Dinge hatten sich geändert. Hatten sie sich wirklich?

„Sie wirken immer noch etwas unstet. Ich hatte Sie nicht für eine unschlüssige Person gehalten.“

„Herr Eizen“, erhob er nun das Wort, „Die Umstände sind nicht mehr die, die sie gestern noch waren.“

Nun sicherte er sich die Aufmerksamkeit des anderen.

„Und warum ist das so, Lady Loreen?“

Er schüttelte sachte den Kopf: „Ich möchte Sie nicht mit privaten Unstimmigkeiten langweilen.“

„Dabei bin ich mir fast sicher, dass Sie Ihrem – wie waren wir dabei verblieben? –  ach ja, Ihren Bekannten Herrn Mihawk über mein Angebot informiert haben.“

Wieder schüttelte er den Kopf.

„Wieso sollte ich ihn mit etwas belangen, was ihn nicht betrifft? Sie sind an mich heran getreten, nicht an ihn.“

Einen Moment unterbrachen sie ihr Gespräch, als er sich ausdrehte.

Zurück im Arm des Politikers sprach er ruhig weiter:

„Sie wissen, dass ich Ihren Vorschlag nicht annehmen werde.“ Eizens Gesicht zeigte keinerlei Erstaunen. „Natürlich weiß ich, dass ich nur Ihnen und Ihren Kollegen in Mary Joa meinem zweifelhaften Ruhm zu verdanken habe. Aber ich habe nicht vor als Schoßhund der Weltregierung tätig zu werden.“

Der Politiker hatte immer noch sein undurchdringbares Lächeln aufgesetzt.

„Und warum möchten Sie nicht in unserem Dienst tätig werden? Liegt es am Geld? An der Reputation? Oder an Ihrem Bekannten?“

Dieses Gespräch war mit Abstand das Gefährlichste an diesem Abend.

„Weder mit Geld noch mit Ansehen können Sie mich locken, mein Herr. Wenn ich Sie erinnern darf, waren Sie es, der mich ins Rampenlicht drängte. Und korrigieren Sie mich bitte, wenn ich mich irre, aber ich wüsste nicht, wie unser Verhältnis den Vertrag zwischen Dulacre und den fünf Weisen beeinflussen könnte.“

Dieser Mann war niemand, der ein Nein akzeptierte.

Leise lachte er.

„Es ist beinahe amüsant, wie Sie glauben, mit mir auf einer Ebene zu stehen, Lady Loreen.“

Nun fiel seine politische Maske.

„Sie haben Recht, ich habe dafür gesorgt, dass sie die Frau geworden sind, die alle hier sehen. Ich habe Ihnen Einfluss und Prestige geschenkt. Nur dank meiner Worte will die Welt Sie sehen.“

„Und ich wiederhole noch einmal, mein Herr. Diese Dinge interessieren mich nicht. Es ist mir egal, ob die Welt mich liebt oder hasst.“

Keine Sekunde hörten sie mit dem Tanzen auf.

„Sie verstehen immer noch nicht, Lady Loreen. Alle Gäste hier sehen in Ihnen eine wunderschöne, reine Adlige. Das hübsche Mädchen im weißen Kleid. Viele verstehen nicht, warum Sie sich mit Abschaum wie Mihawk abgeben, wo sogar der Hochadel bereit wäre, sich auf ein Gespräch mit Ihnen herabzulassen. All diese Menschen sind Ihnen sofort verfallen. Glauben, Sie gehören zur besseren Gesellschaft. Es ist, als hätten Sie einen Zauber über sie gesprochen. Doch bei mir wirkt er nicht. Ich weiß, dass das alles nicht stimmt.“ Seine Stimme bekam einen gefährlichen Unterton.

„Unser Freund Homura hält sie für eine von noblem Geblüt. Die Menschen glauben Sie sind eine verschollene Prinzessin, ein Kind eines vergangenen Königreiches. Aber wir beide wissen, dass das nicht stimmt. Sie sind bei Mihawk, nicht wegen dem Ruhm seiner Familie, sondern weil Sie genau mit dem Abfall der Gesellschaft groß geworden sind, den dieser Pirat wiederspiegelt.“

Zorro schluckte.

„Bravo“, sagte er schlicht, „Sie kennen also nun mein ach so großes Geheimnis. Ich bin keine Adlige, noch nicht einmal eine Gutbürgerliche. Schockierend. Aber was bringt Ihnen das? Meinen Sie mich interessiert das? Meinen Sie Dulacre interessiert das? Wissen Sie, was am meisten darunter leidet, wenn die Welt herausfindet, dass ich - wie nannten Sie das so passend? - Ach ja, Abfall der Gesellschaft bin? Ihr Plan mich zu ihrem Schoßhund zu machen. Sie schneiden sich ins eigene Fleisch.“

Es missfiel ihm, dass der andere noch so grinste.

„Liebes, wenn wir Sie nicht für uns gewinnen können, verlieren wir nichts. Aber sind Sie bereit, Ihren Einsatz zu verlieren?“

Zorro hatte keine Ahnung, mit was ihn der andere unter Druck setzen wollte. Er hatte nichts zu verlieren. Keiner konnte die Verbindung zu seiner Crew finden und der Samurai war durch den Namen seiner Familie sowie dem Vertrag mit der Weltregierung selbst geschützt.

„Sie glauben wirklich, dass Sie mir damit drohen können?“, fragte er stattdessen, als wüsste er genau, was der andere meinte, „Sie glauben, Sie haben mich damit in der Hand?“

Er machte einen Schritt auf den anderen zu, ihre Körper berührten sich. „Selbst wenn ich bereit wäre für Sie zu arbeiten, hätten Sie nie Kontrolle über mich. Ich würde nie die Worte, die ein anderer mir in den Mund legen würde, laut aussprechen. Und nichts was Sie tun würden, könnte etwas daran ändern.“

Das Lied verstummte und Zorro knickste kurz.

Das Gespräch war beendet.

Doch der Ältere ließ ihn nicht los.

Zum nächsten schnelleren Lied, ergriff er wieder seine zweite Hand. Diesmal war es ein schnelles Vor und Zurück ohne jegliche Schnörkel oder Drehung. Es war einer harter und emotionsloser Tanz.

„Liebes“, erhob der andere immer noch lächelnd erneut das Wort, „Sie sagten, die Dinge hätten sich seit gestern verändert. Aber Sie waren schon gestern alles andere als zugeneigt. Es ist etwas Persönliches, haben Sie gesagt. Ich schließe daraus, dass es etwas mit Ihrem Bekannten zu tun hat. Nicht wahr?“

Sein Kontrahent machte eine dramatische Kunstpause und deutete auf den Samurai, welcher sich immer noch hoch konzentriert mit Hakkai unterhielt. Ein quietschender Geigenton schrie bis in Zorros Herz, welches zu rasen anfing. Hier ging irgendwas vor sich, was er nicht einordnen konnte.

Er musste Ruhe bewahren!

„Interessant, wie lange er sich schon mit dem Vizeadmiral unterhält, stimmen Sie mir nicht zu? Ich habe mich schon öfters gefragt, warum man so etwas Ehrloses nicht aus der Marine entlässt. Aber anscheinend ist er doch nicht ganz unnütz. Schließlich hat er sich die komplette Aufmerksamkeit Ihres Bekannten gesichert.“

Was wollte er ihm damit sagen?

„Sie wissen doch mit Sicherheit, wie dieser Abend hier funktioniert. Der Höhepunkt des Tanzens ist so gut wie erreicht. In wenigen Minuten wird das große Bankett eröffnet. Aber wir beide wissen, was vorher kommt.“

Das Zeichen!

Der schiefe Ton war das Zeichen gewesen!

Und Falkenauge hatte es nicht gehört!

Der Politiker zog ihn etwas enger an sich, diesmal war seine Nähe ihm denkbar unangenehm.

„Sehen Sie sich um, Liebes. Homura steht schon mit scharrenden Hufen bereit und wir beide wissen, dass er Sie nicht nur um einen Kuss bitten wird.“

Zorro konnte ihn erkennen, wie er am Rand der Tanzfläche, nur wenige Schritte von ihm entfernt, stand, ein Fuß im steten Takt der Musik klopfend.

Direkt neben ihm stand ein hochgewachsener, älterer, dickbäuchiger Blondschopf in einem komplett goldenen Anzug, der jedoch nach unten seltsam weit ausgestellt war. Unter einem Fischglas trug die Gestalt eine ebenfalls goldene Maske, der Rest des Gesichts wurde von einem Rauschebart verdeckt. Ein rotes Cape sowie ein knochiger Gehstock rundeten das Bild ab.

„Sankt Rosward“, meinte Eizen nur kühl, „Er ist bekannt dafür, dass er sich hübsche Frauen gerne als Dekoration ausstopfen lässt.“

Die Häme in der Stimme des Politikers war greifbar.

„Niemand hier wird es wagen, sich vor einem Weltaristokraten zu schummeln und Homura hat sich den ersten Tanz mit Ihnen gesichert. Aber zu Ihrer Rettung, habe ich noch genau einen Tanz mit Ihnen frei und zwar den wichtigsten.“

Er sah zu Zorro hinab. „Ich werde nicht so viel von Ihnen verlangen, Liebes. Alles was ich von Ihnen möchte, ist eine einzige Nacht und ich verspreche Ihnen, dass Sie Ihre Klamotten anlassen können.“

Die Musik wurde leiser.

„Nun, Liebes?“

Sein Herz raste, dann sah er den anderen an.

„Ich habe es Ihnen doch schon gesagt, ich spiele nicht nach Ihren Regeln, Liebes!“
 

-Mihawk-

Er war dankbar, als die nervigen Offiziere um ihn herum sich langsam verkrümelt hatten. Erst dann hatten sie die Möglichkeit gehabt, wieder über die Dinge zu sprechen, die ihn interessierten.

Auch wenn es ihn wirklich überraschte, wie bereitwillig sein Gegenüber ihm von seinem größten Scheitern erzählte.

Die Aufrichtigkeit des anderen beeindruckte ihn, aber genau dafür war Hakkai nun mal auch bekannt.

„Leutnant Sanzo hatte mich ebenfalls über das rebellische Verhalten des Piratenjägers informiert, aber auch darüber, dass er nicht bis zur Gefangenenübergabe überleben würde. Seine Aussage stimmte dementsprechend auch mit Homuras überein, wie Sie sehen. Dass der Pirat genau jenen Abend zwei Tage zuvor zur Flucht nutzen würde, hätte ich ihm nicht zugetraut. Mein Fehler, für den viele ihr Leben lassen mussten“ beendete er schließlich seine Erläuterung.

„Der Leutnant hat überlebt, oder?“

Der andere nickte:

„Er liegt noch im Krankenhaus, ebenso wie Unteroffizier Whang.“

„Und wer ist der vierte Überlebende?“

Hakkai sah auf und auch der Samurai sah kurz zu den Musikanten herüber, als ein Geiger kläglich eine Note vergeigte. Dies war wohl sein Todesurteil und das war keine Übertreibung.

„Ein Kadett, genauer gesagt eine Kadettin. Es grenzt an ein Wunder, dass sie überlebt hat“, fuhr der Vizeadmiral fort.

„Wieso das?“

„Sie ist dem Piraten bei seinem Fluchtversuch begegnet und obwohl sie kämpferisch nicht mit ihm mithalten konnte, hat er sie nicht getötet.“

„Und wie hat sie die Explosion und das Feuer überlebt?“

„Wie gesagt, es ist ein Wunder.  In einer unserer Waffenkammern lagerten wir ein spezielles, hitzebeständiges Metall, eine Mischung aus Wapometall, Kitekkou und Gold, welches jedoch noch nicht serienreif war. Lorenor Zorro hatte sie genau dazwischen versteckt ihrem Schicksal überlassen.

Sie wurde verletzt, aber sie hat tatsächlich überlebt.“

Beide schwiegen für einen Moment. Der Vizeadmiral wohl in Gedanken an all die Männer und Frauen, die er verloren hatte. Dulacre auf der anderen Seite hatte nun seinen Wissensdurst gestillt und suchte gerade nach einer eleganten Möglichkeit sich zu entschuldigen, ohne dass es so wirkte, als hätte er den anderen einfach nur ausgequetscht, was vollkommen der Wahrheit entsprach.

„Sagen Sie mal, Falkenauge“, ergriff nun wieder sein Gegenüber das Wort, „Sie sind doch mit dieser Lady Loreen liiert, oder etwa nicht?“

Verwirrt über den allzu abrupten Themenwechsel sah er den anderen an.

„Ich wundere mich nur, dass Sie nicht versuchen, zu ihr zu kommen“, erklärte sich der Mann der Marine.

„Ich wüsste nicht, wozu das nötig wäre“, erwiderte er zögerlich.

„Sie wissen aber schon, dass das Zeichen dieses Jahr geändert wurde?“

In diesem Moment erstarb langsam die Musik.

„Wie bitte?“

„Ja, da es so schwierig war, ein Wort unter tausenden zu erkennen, hat man sich darauf geeignet, dass eine auffallend schiefe Note von nun an das Zeichen sein soll.“

In diesem Moment brach eine kühle Stimme durch den Saal.

„Bleiben Sie stehen!“

Dulacre sprang auf und wandte sich zur Tanzfläche.

Dort, nicht weit weg von ihm, stand Eizen, eine Hand ausgestreckt, die Wangen rot vor Wut. Hinter ihm stand Nataku und irgendein Goldesel.

Ihre Blicke und die aller anderen Anwesenden folgten der Frau in Weiß, die geradewegs auf ihn zuging. Den Kopf gesenkt.

Genau vor den paar Treppenstufen, die zu ihm hinaufführte, ging die Dame in einen tiefen Knicks. So tief, dass das weiße Kleid den Boden um den zierlichen Körper herum erfüllte wie ein Meer aus Licht. Der Kopf war immer noch gesenkt, doch eine Hand war wie zur Aufforderung nach ihm ausgestreckt.

Es war totenstill.

Noch nie hatte eine Frau von sich aus einen Mann für den letzten Tanz aufgefordert, insbesondere nicht, wenn ein anderer Mann noch einen Tanz mit ihr ausstehen hatte und vor allem nicht, wenn es der letzte offizielle Tanz des Abends war.

Lorenor verharrte in dieser Position und wie auf Kommando richteten sich alle Blicke auf ihn, Dulacre.

Wie war es dazu gekommen, dass sein Wildfang die Regeln dieses Balles bestimmte?

Jeder seiner Schritte hallte klar vom Marmorboden wider.

Schließlich blieb er vor dem anderen stehen, verbeugte sich knapp und ergriff dann die zitternde Hand.

Wie auf Geheiß erhob sich der Pirat, die grünen Augen vor unterdrückter Furcht aufgerissen, doch nur für ihn sichtbar.

Noch immer rührte sich niemand.

Mit einem leisen Seufzen starrte er den Dirigenten eindringlich an und er wusste, dass ein Blick ausreichen würde.

Sekunden später erklang die machtvolle Musik.

Immer noch starrten sie einige an, doch hier ging es immer noch um Politik und Macht und Loreen war nicht die einzige Dame, mit der getanzt werden musste, wenn man etwas erreichen wollte. Eigentlich handelte es sich bei dem Samurai und seiner ungewöhnlichen Begleitung nur um unbedeutende Randfiguren und das wurde den Politikern unter den Gästen auch wieder bewusst. Einige eilten nun zu ihren Tanzpartnerinnen und forderten sie bestimmt auf.

Und dann begann der berüchtigte letzte Tanz. Nach diesem Tanz würden die Männer ihrer Tanzpartnerin eine Frage stellen und als Zeichen ihrer Annahme, würde der Mann ihre Maske als Trophäe an sich nehmen.

Dulacre drückte den Piraten eng an sich, konnte seinen schnellen Herzschlag spüren, fühlte die Hitze als er seine Hand auf den nackten Rücken des anderen legte. Tief genug um sämtlichen Anwesenden zu verstehen zu geben, dass er ihn nicht hergeben würde, jedoch nicht zu tief für seine gute Erziehung.

Die kleine Hand auf seinem Ellenbogen klammerte sich nahezu in sein Jackett, da sie vor Schweiß abzurutschen drohte.

Der Jüngere starrte bestimmt auf seine Brust. Auf die hölzerne Kette, die er immer zu tragen pflegte, die Waffe mit der er den anderen vor so langer Zeit besiegt hatte.

Und dann sah er es, das kleine Kreuz, wie ein reiner Sonnenstrahl reflektierte es das Licht.

„Was stimmt mit dir nicht?“, knurrte sein Gegenüber aufbrausend zwischen zusammengebissenen Zähnen, „Hast du nicht gesehen, wer da stand?“

Der andere war offensichtlich wütend, aber seine Stimme zitterte auch, unter der taffen Maske, hatte er deutlich Angst. Sehr ungewöhnlich für einen Lorenor Zorro. Es schien, als hätte Mihawk einen entscheidenden Punkt des Abends verpasst.

„Warst du so sehr damit beschäftigt mit Hakkai zu flirten, dass dir noch nicht mal aufgefallen ist, was los ist?“

„Jetzt warte doch…“

„Warte du doch mal!“

Plötzlich starrte der Jüngere zu ihm auf. Er hatte beinahe Tränen in den Augen stehen, er war nicht nur wütend, er war enttäuscht. Lorenor war enttäuscht von ihm. Weil er ihn im Stich gelassen hatte, alleine gelassen hatte. Er hatte versagt.

„Lorenor?“, flüsterte er leise, sodass der andere ihn kaum gehört haben konnte.

„Lass uns das hinter uns bringen, ja? Mir tun die Füße weh.“

Dies hier war ihr erster Tanz an diesem Abend und es würde wohl der Letzte in ihrem Leben sein.

Dulacre hatte sich nicht viel von diesem Ball erhofft, sein Plan war gewesen, den anderen nur irgendwie sicher durch zu manövrieren. Irgendwie ohne größere Kollateralschäden zu überleben. Aber irgendwo dazwischen hatte er sich doch auf diesen einen Tanz gefreut. Hatte gehofft, dass sie bei diesem Tanz so lachen würden, wie Lorenor mit Jirou gelacht hatte, Spaß gehabt hatte. Dieser eine Tanz, wo sie sich über alle anderen hier lustig machen würden. Wo er den anderen damit necken wollte, um was er ihn denn bitten sollte. Er hatte auf ihn Acht geben wollen, ihn beschützen wollen.

Doch er hatte offensichtlich kläglich versagt. Den ersten Tanz hatte er verpasst, weil er sich von Nataku hatte ablenken lassen. Die patzige Antwort seines Wildfanges hatte ihn dazu geführt sich zurückzuhalten, eben nicht nach ihm zu greifen. Er hatte seine Aufmerksamkeit auf das verlagert, was er gut konnte. Informationen einholen und Situationen analysieren.

Ja, er hatte unglaublich interessantes Material von Hakkai erhalten, wichtige Dinge, gut behütetes Wissen. Aber darüber hatte er das aus den Augen verloren, was ihm am Wichtigsten war!

Er hätte ihn beinahe verloren!

Schon wieder!

„Ich bin froh“, murmelte er schließlich.

„Warum?!“ Der andere hätte kaum wütender antworten können.

Langsam drückte er den anderen gegen sich, so nah wie möglich, ignorierte den schwachen Widerstand.

„Ich habe heute einen Fehler gemacht“, gestand er ein, „Einen Fehler durch den ich dich hätte verlieren können.“ Der andere erwiderte nichts, doch er sprach weiter. „Weißt du, mein ganzes Leben lang, durfte ich keine Fehler machen. Ein Fehler hätte Versagen bedeutet und ich durfte nie versagen, denn dann würde ich die verlieren, die mir wichtig waren. Ich habe gelernt, dass ich auf niemand anderen vertrauen darf, als auf mich selbst. Das ist der Grund, warum ich der perfekte Stratege wurde. Weil ich in der Lage war, Fehler sämtlicher Mitmenschen einzuberechnen und selbst nie einen begehen würde. Du gehörst zu diesem kleinen Kreis von Freunden, die ich nicht verlieren möchte, deswegen darf ich keine Fehler machen.“

Lorenor war immer noch still.

„Aber heute habe ich einen Fehler gemacht und trotzdem, trotzdem habe ich dich nicht verloren.“

Immer noch sagte der andere nichts, doch schließlich seufzte er.

„Du bist ein Idiot“, murrte er dann schließlich und sah zu ihm auf, „Ich hab doch gesagt, dass ich auf mich selbst aufpassen kann.“ Seine Stimme klang trotziger, als es ihm wohl lieb war.

Dann sah er weg, doch die Röte auf seinen blass geschminkten Wangen ließ sich nicht verbergen. Ihm war sein Verhalten von vor wenigen Sekunden offensichtlich unangenehm, oder war da noch etwas anderes?

„Aber nächstes Mal wäre es nett, wenn du mich nicht nur mit dem Blick ansiehst, den ich verdiene“, er zögerte, „sondern mit dem, den ich dir wert bin.“

Dulacre lachte nur leise.

In sanften Bewegungen drehten sie sich weiter. Langsam fiel ihm Eizen und Homura auf, die ihn anstarrten.

„Sag mal“, meinte er schließlich, „Hast du dir irgendwie Ärger eingebrockt?“

„Tze“, antwortete der andere nur grinsend, „Meinst du, als ich Eizen abblitzen ließ oder als ich die Regeln dieses Balls gebrochen habe?“

„Wie? Was hast du getan?“

Schon wieder!

Schon wieder machte der Junge genau das, was er für richtig hielt. Spontan, intuitiv und völlig blauäugig gegenüber irgendwelcher Konsequenzen. Einst hatte er auch diesen jugendlichen Leichtsinn inne gehabt, einst vor langer Zeit.

„Lorenor!“

„Hmm?“, fragend sah der andere zu ihm hinauf.

„Lass uns verschwinden!“

Sein Tanzpartner legte den Kopf schief. „Was redest du denn da? Es gab noch nicht mal Essen.“

Dann verstummte die Musik, sie starrten einander an und brachten zwei Schritte Abstand zwischen sich.

Um sie herum konnte man nervöse Männerstimmen und zaghafte Damenantworten hören.

Er konnte sehen, wie der andere schwer schluckte.

„Werte Dame“, erhob er die Stimme, „erfüllt mir einen Wunsch.“

Zorro nickte.

„Ein Kuss!“

Die Kinnlade des anderen klappte auf.

„Sag mal, bist du völlig behindert?“, zischte der Pirat wütend, damit niemand ihn hören konnte. Aber Dulacres Worte waren laut genug gewesen um sämtliche Anwesende zu erreichen.

Doch er überhörte die Worte des anderen getrost und verbeugte sich so tief er konnte, griff die Hand des anderen und küsste sie.

Wieder konnte er das umliegende Geflüster hören, doch alles was er wahrnahm, waren diese grünen Augen, die verwirrt auf ihn gerichtet waren.

Vermutlich wusste der andere nicht, dass es nichts gab, was Respektvoller gegenüber einer Frau war, als ein Handkuss, aber alle anderen wussten es.

Die Lippen immer noch auf der heißen Haut, zwinkerte er dem anderen zu, ehe er sich wieder aufrichtete.

„Nimm die Maske ab“, befahl er sanft und zu seiner Überraschung folgte sein Schüler seiner Anweisung.

Mit seiner freien Hand griff Lorenor den Rand seiner Verkleidung und riss sie samt Schleier hinunter. Grüne lange Locken fielen über seinen Rücken.

Erneut rumorte die Menge.

„Werf sie zu Boden.“

Das Geflüster wurde lauter, doch erstarb augenblicklich, als die Maske dumpf auf dem Boden aufschlug. Ein einzelner Stein löste sich und klirrte über den Marmor hinweg.

Der Pirat sah ihn unsicher an, offensichtlich verwirrt, doch er machte nur einen Schritt auf ihn zu und beugte sich zu ihm herab.

Diesmal gab er ihm einen Kuss auf die Stirn. Auch hier würde der andere nicht wissen, wie mächtig dieses Zeichen von Schutz und Zuneigung war, aber das war in Ordnung.

Das Kind vor ihm bewegte sich keinen Millimeter, als er das lange Haar berührte und den anderen mit einer Hand immer noch festhielt.

„Bereit?“, flüsterte er.

„Ja.“

Und dann rannten sie!

Die weiße Maske zerbarst in tausend Stücke unter dem Fuß des Samurais.

Panische Augen folgten ihnen.

Irgendwann rief einer der Weltaristokraten, dass man sie aufhalten sollte. Wie konnten sie es nur wagen, den Ball bereits zu verlassen? Aber wer würde sich ihnen schon in den Weg stellen?

Plötzlich knackste es neben ihm unangenehm und Lorenor fiel zurück. Er hatte sich einen Absatz abgebrochen. Fluchend rappelte er sich wieder auf.

Hinter ihnen hatten sich nun tatsächlich die ersten zur Verfolgung aufgemacht.

Lachend griff er nach seinem Wildfang und warf ihn sich über die Schulter.

„Lass mich runter!“, brüllte der Pirat, doch auch er konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

Wie von unsichtbarer Hand riss das große Flügeltor auf und offenbarte die klare Nachtluft.

Unten vor den Stufen standen schon die ersten Kutschen zur Abfahrt bereit.

Mit einem Satz sprang er die Treppe hinab, hin zum ersten Gespann.

„Fahr los!“, befahl er dem Mann, der neben dem Kutschbock stand und eine Zigarette rauchte.

Im nächsten Moment warf er seinen Wildfang ins Innere und folgte. Noch bevor er die Tür hinter sich geschlossen hatte, setzten sich die zwei schwarzen Pferde in Bewegung.

Die drei Marinemänner, die ihnen gefolgt waren, standen in ihren Admiralsmänteln am Treppenabsatz und sahen ihnen einfach nur hinterher.

Kapitel 29 - Das Loslassen

Kapitel 29 – Das Loslassen

 

-Zorro-

Immer noch lachten sie. Witzelten über die großen Augen der anderen Gäste. Über die piepsige Stimme des Weltaristokraten, der ihnen hinterhergerufen hatte. Über den fassungslosen Eizen. Über sämtlichen dämlichen Idioten, die ihnen nachgeschaut hatten.

Sie lachten darüber, dass Zorros Absatz abgebrochen war und dass Dulacres Maske einen hässlichen roten Abdruck auf seiner Nase hinterlassen hatte, den man anscheinend nur mit Wasser und Seife abwaschen konnte.

Sie lachten darüber, dass keiner von ihnen gewusst hatte, dass sich das Zeichen für den letzten Tanz geändert hatte und darüber, dass der große Samurai irgendein unschuldiges Mädchen zum Tanz aufgefordert hatte, das vermutlich eine Heidenangst vor ihm gehabt hatte.

Sie lachten bei dem Gedanken darüber, was am nächsten Tag in der Zeitung stehen würde und ob sie Ärger bekommen würden.

Sie lachten noch, als sie Sasaki erreichten und Dulacre ihn den kompletten Weg zurück trug.

Auch darüber lachten sie.

Zorro hatte sich seinem Schicksal ergeben. Seine Füße waren wund und sein Absatz war im Arsch. Tatsächlich genoss er, dass er nicht laufen musste.

Erst als ihnen bewusst wurde, dass Kanan über kurz oder lang herausfinden würde, was passiert war, hörten sie auf zu lachen.

Doch grinsen mussten sie immer noch.

„Was meinst du, wie die Frau vom Bürgermeister deswegen ausrasten wird?“, kicherte er leise, während er sich das Jackett des anderen noch etwas mehr um die schmalen Schultern zog.

Natürlich hatten sie bei ihrer Flucht ihre Mäntel und auch Mihawks Hut nicht mitgenommen. Zum Glück hatte er nicht auch sein Schwert dabei gehabt. Und da es in den Nächten immer noch kalt war und er nicht mehr anhatte als ein rückenloses, hauchdünnes Kleid, hatte Zorro sich diesmal nicht beschwert, als der andere ihm seinen Anzug gegeben hatte.

Auch der Samurai lachte tief:

„Ich höre sie schon Tenkai, du hättest die Kinder aufhalten müssen! Was haben die sich nur gedacht? Du weißt, dass wir das morgen bereuen werden?“

Zorro schüttelte den Kopf:

„Ich würde nie etwas tun, was ich bereuen würde.“

Doch dann stockte er. Ja, nach diesem Glauben hatte er wohl leben wollen. Aber letzten Endes…

„Lorenor?“

„Hm?“

Er blickte auf. Die goldgelben Augen sahen ihn durchdringend an, doch er wollte ihn nicht ansehen. Nicht diesen Mann, der nicht nur sein Freund sondern auch sein größter Konkurrent war.

Der Mann, an dessen Brust er lehnte, seufzte tief.

„Was ist denn los? Woher plötzlich diese bedrückte Stimmung?“ Der Wald um sie herum war ruhig. Seltsam, wie ein so aufregender Tag doch enden konnte. „Los, sprich schon“, murrte der Ältere, immer noch mit diesem kühlen Blick.

„Du nervst“, antwortete Zorro kühl und verschränkte die Arme.

„Erinnerst du dich noch an damals?“, fragte er dann, ohne den Blick des anderen zu suchen, „Nach unserem Kampf habe ich geschworen, dass ich nie wieder verlieren wollte, bis ich der beste Schwertkämpfer der Welt sein würde.“

Nie hätte er sich träumen lassen, dass er ausgerechnet mit Falkenauge darüber sprechen würde.

„Ich erinnere mich“, meinte der Ältere schlicht.

„Ich habe verloren“, flüsterte er dann, „gegen Homura. Ich habe versagt.“

Sein Gesprächspartner lachte leise.

„Was ist daran zum Lachen?“, knurrte er ihn an. Da öffnete er sich einmal und der andere machte sich sofort über ihn lustig.

Dulacre grinste immer noch.

„Es ist schon amüsant, wie unsere Meinungen über die gleiche Tatsache so weit auseinander gehen.“

„Was redest du da? Es ist Fakt. Ich habe den Kampf verloren!“

Doch der andere ließ sich seine gute Laune nicht verderben.

„Hast du das?“, fragte er dann, „Hast du wirklich verloren? Meiner Ansicht nach, ist es Nataku, der versagt hat.“

Zorro starrte zu ihm herauf, doch nun sah Dulacre in die Ferne, ohne ihn anzusehen. „Ich habe mich mit Hakkai unterhalten. Er hat mir interessante Dinge erzählt. Zum einen, dass sie gar nicht den Auftrag gehabt hatten, euch festzunehmen. Doch als Nataku für einen Zwischenbericht zu Besuch kam, hatte er die Idee. Und er hat auch verlangt, dass er derjenige sein würde, der dich ausschalten würde.“ Mihawk seufzte. „Ich vermute, dass er von unserer Begegnung gehört hatte und mir wieder mal mein Spielzeug kaputt machen wollte. Wie dem auch sei. Nataku ist ein Meister der Schwertkunst. Es hätte für ihn kein Problem darstellen sollen, deine Stärken und Schwächen abschätzen zu können.“

Dann sah er ihn wieder an.

„Nach eurer Festnahme hat Nataku sich bei Hakkai für deinen Zustand entschuldigt. Er sagte ihm, dass er im Kampf mit dir entschieden hatte, dass es zu gefährlich wäre, einen Mann wie dich am Leben zu lassen. Er sagte Hakkai, dass er dein Verhör vorziehen sollte, da du den Sonnenaufgang nicht mehr erleben würdest. Nataku war der Überzeugung, dass du innerhalb von wenigen Stunden nach eurem Kampf sterben würdest.“ Wieder lachte der Samurai leicht. „Und einige Tage später lebst du immer noch und zerstörst den gesamten Stützpunkt und rettest darüber hinaus auch noch deine Crew. Wenn du mich fragst, warst nicht du der Verlierer in eurem Kampf, sondern Nataku. Er hat auf ganzer Linie versagt.“

Es wurde ruhig zwischen ihnen, nur die dumpfen Schritte des Älteren waren zu hören.

„Nur eines verstehe ich immer noch nicht“, begann Mihawk erneut, „Warum seid ihr auf dieser kleinen Senichi-Insel nahe der G6 überhaupt an Land gegangen? Sie ist doch unbewohnt und zu klein für jegliche magnetische Polarisierung des Log Ports.“

Zorro seufzte schwer. Ja, das war seine Schuld gewesen. Eigentlich war das nur seine Schuld gewesen.

„Die anderen wollten feiern“, murmelte er ruhig, „Ruffy war der Überzeugung, dass zu einem ordentlichen Fest ein Lagerfeuer gehörte und er ist der Käpt’n, Befehl ist Befehl.“ Er seufzte erneut. „Ich wollte nicht, dass sie das tun, dieses Fest. Aber Ruffy war so glücklich, wie ein kleines Kind. Ich hätte ja schlecht ablehnen können. Doch ich habe nicht aufgepasst, habe meine Deckung vernachlässigt. Sonst hätte ich schon viel früher festgestellt, dass wir in Gefahr waren.“

„Aber du bist nicht der einzige in eurer Crew, dem das hätte auffallen müssen, oder?“

„Aber nur Ruffy, Lysop und ich waren an Land, die anderen kamen erst, als sie bemerkten, dass wir in Schwierigkeiten steckten. Sie waren noch auf der Sunny, warum auch immer, während wir das Lagerfeuer gebaut haben. Und weder Ruffy noch Lysop sind für ihre Wachsamkeit bekannt.“

Dulacre zuckte mit den Schultern.

„Nun gut, selbst wenn die Schuld bei dir lag, du hast deine Freunde gerettet, also hast du sie beglichen, oder nicht? Es gibt nichts, was du bereuen müsstest.“

Auch Zorro zuckte mit den Schultern.

„Für jemanden wie dich ist es leicht sowas zu sagen.“

„Was? Glaubst du etwa, ich hätte in meiner Vergangenheit meine Crewmitglieder nie durch Fehlentscheidungen in Gefahr gebracht? Tze, da muss ich dich enttäuschen. Ich war nicht immer der gefürchtete Samurai, vor dem alle Respekt haben. Ich habe Fehler gemacht und musste danach für sie einstehen. Das ist nun mal die Verpflichtung, die du eingehst, wenn du Verantwortung übernimmst.“

Sie schwiegen beide, während Zorro über die Worte des anderen nachdachte. Tatsächlich bereute er nicht, dass er die anderen beschützen wollte oder die Verantwortung tragen musste, sondern…

„Was war eigentlich mit Comil?“

Überrascht hob er wieder den Kopf und vor ihnen tauchte in der Ferne das alte Herrenhaus auf.

„Was meinst du?“ Konnte der andere bemerkt haben, um wen es sich bei dem Vizeadmiral handelte?

„Bitte halte mich nicht für so dumm. Natürlich habe ich eure Unterhaltung bemerkt. Für zwei völlig Fremde wart ihr viel zu vertraut. Denke nicht, dass ich nicht eins und eins zusammenzählen kann.“

Der andere machte seinem Namen als Stratege wirklich alle Ehre. Zorro hatte nicht gedacht, dass es so offensichtlich war. Auf der anderen Seite hatte Dulacre auch den alten Banri getroffen und auch wenn Zorro ihm nicht erzählt hatte, was er von Banri erfahren hatte, so traute er dem Samurai doch locker zu, sich zusammenzureimen, dass es noch mehr von ihnen gab.

„Im Grunde war sie ganz nett“, murmelte er schließlich.

„Sie?“ Erstaunt sah ihn der Ältere an. Zorro nickte.

„Ja, Comils anderer Name ist Jade.“  Dann schüttelte er den Kopf. „Du weißt, dass ich dir nicht mehr darüber sagen werde. Warum fragst du also?“

Der andere schwieg jedoch, offensichtlich ernsthaft am Nachdenken, während sie den Vorgarten des Hauses durchquerten.

Als sie die Haustür erreichten, atmete Mihawk fast schon erleichtert auf.

„Es hatte also nichts mit meinem Vater zu tun.“

Seine Worte waren nicht an Zorro gerichtet. Der Pirat konnte sehen, wie der Schwarzhaarige immer noch seine tiefen Denkerfalten pflegte. Dabei hatte er selbst keine Ahnung, wo denn die Verbindung zwischen Comil und Mihawk Senior liegen sollte.

Der Samurai öffnete die Tür mit dem Ellbogen, machte sich noch nicht einmal die Mühe, Zorro abzusetzen oder seine Schuhe auszuziehen, sondern ging einfach weiter.

Die Heiterkeit von vor wenigen Minuten war verflogen. Seltsam, wie keiner von ihnen in der Lage schien diese fröhliche Stimmung beizubehalten. Dementsprechend war es kaum verwunderlich, dass ihre engsten Freunde solche gravierenden Parallelen aufwiesen.

Im Haus war es dunkel aber warm. Kanan würde die Nacht wieder einmal auf die Katzen ihrer Tochter aufpassen.

In jeweils eigenen Gedanken gefangen, schwiegen beide Schwertkämpfer. Mit leisen Schritten stapfte der Ältere die Stufen hoch. Zorro konnte seinen Herzschlag hören. Bildete er es sich ein, oder war er schneller als sonst? Wahrscheinlich nicht. Er selbst war müde und seine Sinne waren nicht mehr so scharf, wie er es gerne hätte.

Er ließ zu, dass der andere ihn auf seinem Bett absetzte, hier im Gästezimmer.

„Es lief besser als erwartet“, murmelte er dann leise, „Ich bin weder verheiratet, noch versklavt. Damit hatte ich tatsächlich nicht gerechnet.“

Der andere lachte müde, er wirkte ebenfalls erschöpft.

„Morgen werden wir sehen, was für andere Folgen dieser Abend noch für uns bereithält.“

Zorro grinste.

„Jetzt mal doch nicht alles so schwarz. Hilf mir lieber aus diesem verfluchten Fummel raus.“

Endlich war dieser eine Abend vorbei, wo er Fräulein spielen musste. Egal was am nächsten Tag kommen mochte, in ein paar Tagen wäre das alles eh vorbei.

Langsam stieg sein Hochgefühl wieder, als ihm bewusst wurde, dass er keinen Tanzunterricht mehr haben würde, auf keine Versammlungen mehr gehen brauchte.

Endlich!

In ein paar Tagen würde er seine Freunde wieder sehen.

Schnell zog er Schuhe und Handschuhe aus.

Als er aufstand und sich zum Samurai umdrehte, stellte er fest, dass dieser wieder einmal errötete.

„Ich hab mich noch nicht einmal ausgezogen!“, meinte er nur grinsend und legte sich seine Haare über die Schulter.

„Du musst mir helfen.“

„Was?“ Dulacre schien alles andere als erfreut.

Zorro seufzte.

„Ich krieg die Schnüre nicht selber auf und Kanan ist nicht hier. Ich bin darunter doch nicht nackt. Also vergiss einfach mal deine gute Erziehung für einen Moment und mach es auf!“

Himmel hilf war das schwierig mit dem Kerl. Wenn er den Koch gefragt hätte, hätte er den Satz noch nicht einmal zu Ende gebracht, ehe der Blondschopf ihn schon ausgezogen hätte. Warte, das hörte sich verdammt falsch an und er wollte nicht länger über dieses Bild nachdenken.

Trotzdem war der dauerprüde Herr Mihawk in etwa genauso nervig.

Zorro hob beide Arme und offenbarte dabei die beinahe unsichtbaren Schnürungen aus hauchdünnen Bändern auf beiden Seiten.

Der Samurai wandte den Blick ab.

„Jetzt stell dich doch nicht so an! Ich bin schließlich immer noch ein Mann, nur in einem Frauenkörper!“ Langsam wurde er wütend. Warum musste der andere daraus so ein Spektakel machen? „Außerdem wäre es nicht das erste Mal, dass du mich halb nackt siehst, also komm jetzt her!

Er stampfte gereizt einen Fuß auf den Boden.

„Und sowas schimpft sich bester Schwertkämpfer der Welt.“

Erst da sah der andere ihn an, nun auch ein bisschen wütend.

„Pass auf deine Worte auf“, warnte er ihn. Doch tatsächlich kam Dulacre auf ihn zu.

Zorro hob wieder beide Arme, während der andere versuchte, ihn aus dem Kleid zu befreien.

„Das Ganze wäre einfach so viel einfacher, wenn du wieder ein Mann wärest“, grummelte der Samurai leise vor sich hin, absolut nicht in der Lage die Schnüre zu öffnen, sondern sie nur enger zu binden.

„Wenn ich ein Mann wäre, hätten wir dieses Problem hier gerade nicht“, antwortete Zorro ebenso mürrisch, „Außerdem hätte ich dann ganz bestimmt kein Kleid an.“

Er konnte nicht verhindern, dass die Worte des anderen ihn irgendwie trafen. Zum einen weil er schon so genug mit seiner körperlichen Verfassung zu kämpfen hatte und zum anderen hörte es sich so an, als wäre Mihawk enttäuscht von ihm. Enttäuscht davon, dass er noch immer eine Frau war.

„Pass auf, du schnürst mir die Luft ab“, murrte er nur.

„Jaja, hab dich nicht so. Das muss so.“

Der Samurai kniete sich nun hin, seine Augen waren konzentriert zu Schlitzen verengt.

„Das ist erbärmlich“, murrte Zorro erneut.

„Was?“ Dulacre hörte ihm kaum zu.

„Dass gerade du nicht in der Lage bist, dieses verdammte Kleid zu öffnen und wir hier wie zwei Idioten rumstehen.“

„Also noch einmal, Lorenor.“ Der andere sah ihn gar nicht an, immer noch waren seine Finger in den Bändern verknotet. „Ich weiß ja, dass du mich schon dein halbes Leben verfolgst, aber ich bin trotz allem auch nur ein Mensch. Ich mag zwar ein Samurai sein, das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ich ein ganz gewöhnlicher Mann bin und dieser Verschluss mich heillos überfordert.“

Zorro sah zu dem anderen hinab.

„Ich weiß“, meinte er nur schlicht. Natürlich wusste er, dass hinter dem Phänomen Falkenauge auch nur ein Mensch steckte, der irgendwann auch alt werden würde, sterben würde.

Also was bezweckte der andere mit seinen Worten?

Plötzlich ließ der Druck auf seiner rechten Seite nach und ein überraschend kindliches Grinsen erhellte die Züge des Samurais.

„Na geht doch“, lachte er, „Siehst du, Lorenor, ich krieg alles hin, was ich hinkriegen will.“

„Ja, du furchteinflößender Krieger der Weltmeere“, murrte Zorro mit hochgezogenen Augenbrauen und kaum verhohlenem Sarkasmus, „allerdings hast du die andere Seite vergessen.“

Mit einem bösen Grinsen wandte er sich um, während der Ältere sein Grinsen verloren hatte.

„Meine Güte, was für ein unnötiges Hantier.“

„Hör auf dich so anzustellen und lös einfach die Bänder. So schwer kann das doch nicht sein.“

„Sagte der Kerl, der noch nicht einmal in der Lage ist Haki anzuwenden.“

Einen kurzen Moment sahen sie einander an.

„Das musste jetzt sein, oder?“, meinte er minimal beleidigt.

Der Samurai erhob sich mit einem angsteinflößenden sanften Lächeln und sah zu ihm herab.

„Ich muss doch noch die Zeit auskosten, in der ich dir überlegen bin.“

Zorro errötete.

In dem Moment lösten sich die anderen Schnüre und das Kleid fiel zu Boden.

Lorenor!!!

Nun war es an Dulacre zu erröten. Wobei das untertrieben war.

Sein Gesicht dampfte beinahe schon vor Scham als er sich beide Hände wie ein kleines Kind aufs Gesicht klatschte.

„Du hast doch gesagt, dass du was an hast!“

Und nun war es an Zorro zu grinsen. Auch wenn es natürlich doch etwas überraschend kalt war, so ganz oben ohne und nur in weißem Höschen und Strapse.

Er verschränkte die Arme siegessicher, natürlich unterhalb seiner zur Show gestellten Oberweite.

„Ich habe gesagt, dass ich unterhalb des Kleides nicht nackt bin. Bin ich nicht, wie du sehen kannst.“ Er lachte böse. „Sehen könntest“, korrigierte er sich immer noch kichernd.

„Und jetzt hilf mir mit der Strapse“, trieb er es auf die Spitze.

„WAS?!“ Von Panik gepackt starrte der andere durch seine Finger hindurch, erkannte wieder, dass Zorro immer noch oben ohne im kühlen Raum stand und presste beide Finger wieder fest zusammen. „Du bist ja wahnsinnig!“

Der Grünhaarige konnte gar nicht anders, als über das Verhalten des anderen zu lachen.

Grinsend drehte er sich um und griff nach dem dünnen Nachthemd auf dem Bett.

„In solchen Moment frage ich mich, wie du es je mit einer Frau ins Bett geschafft haben sollst“, murmelte er mehr zu sich, als zu dem anderen und zog sich den weichen Stoff über, ehe er sich auf dem Bett sinken ließ.

„Das ist was anderes“, rechtfertigte sich der Samurai, „Hast du jetzt was an?“

„Ja doch“, antwortete er und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Seine Füße taten ihm wirklich weh.

„Warum ist das was anderes? Müsste es dir nicht eigentlich bei mir leichter fallen? Mir ist es egal, wenn du mich nackt siehst und eigentlich bin ich ein Kerl, also…“

Er beendete seinen Satz nicht, als sich der andere endlich erneut traute durch seine Finger zu spähen und die Hände dann sinken ließ.

„Es ist ein Unterschied, Lorenor. Du bist nicht mein Bettgefährte.“

„Bettgefährte? Wie alt bist du eigentlich?“

Ehe der andere etwas erwidern konnte, zog er das Hemd hoch und offenbarte die Ösen der Strumpfhalter.

„Lorenor!“

„Jetzt zier dich nicht so.“

„Kannst du das nicht selber?!“

„Doch, eigentlich kann ich das sogar sehr gut“, grinste er böse.

„Aber warum…?“ Er ließ den anderen nicht aussprechen.

„Ist das nicht offensichtlich?“

Der Samurai kniete sich tatsächlich vor ihn und lehnte sich so weit vor, dass sein Kopf beinahe Zorros Brust berührte, während seine Finger sich an den kleinen Köpfen zu schaffen machten.

Mit einem bestialischen Grinsen beugte er sich vor, legte eine Hand auf Dulacres Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: „Rache!“

„Ein gefährlicher Wegbegleiter.“ Doch auch der Ältere grinste nun, immer noch mit roten Wangen, und gab sich an Zorros anderes Bein.

„Aber wofür?“

„Für deine blöde Frage auf dem Ball! Ich meine, ein Kuss? Ernsthaft?!“

Nun hob der andere eine Augenbraue und sah auf. Ihre Gesichter waren sich gefährlich nahe.

„Was hattest du denn erwartet? Ein Leben? Was soll ich denn mit mir anfangen? Du kannst weder kochen noch putzen. Als Sklave wärest du eine totale Niete.“

Der Samurai rollte beide Strümpfe hinunter.

„Ich hatte mit einer Nacht gerechnet“, meinte Zorro ein bisschen schmollend, „Du hättest mich mitgenommen, wir hätten trainiert und das wäre es gewesen.“

Dulacre stand auf und ging zur Tür.

„Schlaf jetzt, es war ein langer Tag. Ab morgen werden wir wieder richtig trainieren.“

Sein harter Themenwechsel kam unerwartet, doch dann wandte er sich um. „Ich würde dich nie zu etwas zwingen wollen. Ich wollte, dass du freiwillig mit mir mitkommst, auf deinem Wunsch hin und nicht, weil du dich verpflichtet gefühlt hättest.“

Hinter ihm schlug die Tür zu.

Was zurückblieb war eine unerwartete Melancholie.

Freude und Albernheit, Wärme und Herzlichkeit waren mit dem Samurai verschwunden.

Wie seltsam, dass der andere so dachte, hatte Zorro sich nicht bereits vorher für ihn entschieden?

Mit abwesenden Bewegungen ging Zorro ins Badezimmer, wusch sich langsam die Schminke von Gesicht, Hals und Dekolleté.

Die Worte des anderen hingen noch in seinem Kopf, wurden jedoch allmählich von den anderen Stimmen des vergangenen Abends erdrückt. Homura war weniger das Problem, doch er befürchtete, dass Eizen ihn nicht so einfach davon kommen lassen würde. Aber auch er war nicht derjenige, dessen Worte ihn am meisten aufwühlten.

Du wirst erst in der Verfassung sein, deinen anderen Körper zu erhalten, wenn du deinem Wissen Taten folgen lässt.

Leise Tränen fielen unerwartet zu Boden, als Comil ihn erreichte.

Er wusste, was er tun musste. Es gab nur einen Weg, da war er sich sicher.

Leise sank er auf dem weichen Teppich des Badezimmers zu Boden und umschlang seine Knie. Nun war es ihm das erste Mal egal, dass er die Tränen nicht aufhalten konnte.

Was passierte hier nur mit ihm? Warum war das alles so schwer? Warum musste er solche Entscheidungen treffen?

Vor alle dem hier war er glücklich gewesen, er war wirklich glücklich gewesen bei seiner Crew.

Es hatte alles gereicht! Sie waren mehr als er je gebraucht hatte.

Und jetzt saß er hier und weinte.

Wie ein kleines Kind.

Das Leben hier hatte ihn verändert, die Menschen hier hatten ihn verändert, Dulacre hatte ihn verändert.

Er musste eine Entscheidung treffen und egal wie er sich entscheiden würde, er würde Menschen, die ihm wichtig waren verletzen.

Würde Dulacre seine Entscheidung verstehen können? Würde er ihn dann noch respektieren?

Damals, als Zorro ihn um Hilfe gebeten hatte, hatte er dessen Respekt beinahe verloren.

Würde Dulacre ihm für seine Tat verzeihen?

Seit wann war es ihm so wichtig, was der andere von ihm dachte?

Würden die anderen ihm verzeihen?

Würde er sich verzeihen?

Warum zum Teufel musste er das durchmachen?!

Wenn man ihm je die Wahl gegeben hätte, wäre er vielleicht wirklich lieber einfach gestorben! Dann würde er nicht entscheiden müssen, nicht handeln müssen, niemanden verletzen müssen.

Er musste seinen verdammten Stolz überwinden, nur so konnte er weiter kommen!
 

-Mihawk-

Das Wasser tropfte von seinem Gesicht ins kühle Waschbecken aus schwarzem Marmor. Immer wieder schlug er sich das kalte Nass auf die Wangen.

Dann sah er in den Spiegel, sah wie sich die spiegelnden Tropfen in seinem Bart verfingen, sah diese kleine rote Kerbe auf seinem Nasenrücken, die immer noch nicht verschwunden war.

Er sah diese verfluchten Augen, die ihn so ungewohnt wütend anstarrten.

Sein Herz raste.

Ihm war heiß!

Ihm war kalt!

Er wollte schreien! Er wollte irgendetwas zerstören!

Mit beiden Armen stützte er sich auf dem kalten Stein ab, während schwere Atemzüge sich aus seiner Brust kämpften.

Dann riss er sich die Klamotten vom Leib. Er schien darunter zu verbrennen.

Doch die verfluchten Manschettenknöpfe ließen sich nicht öffnen.

„Verdammte Scheiße!“

Im nächsten Moment zerriss er das Hemd und warf es zu Boden. Die Schuhe flogen durch die Luft und er rannte durchs Zimmer.

Vor Yoru blieb er stehen.

Seine zitternde Hand gierte nach der Berührung des schwarzen Schwertes.

Beinahe zögernd erlaubte er seinen Fingern, über die kühle Klinge zu gleiten.

Sofort konnte er es spüren: Seine innere Ruhe, seine innere Gelassenheit.

Sein treuster Freund, sein engster Begleiter. Nur Yoru wusste, was er fühlte, was er dachte. Niemand war ihm so vertraut wie sein Partner. Niemand kannte ihn so gut wie Yoru.

„Was soll ich nur tun?“, flüsterte er in die Dunkelheit. „Kann ich überhaupt irgendwas tun?“

Immer noch berührte er die fleischgewordene Nacht.

„Er hat es doch gesagt, oder? Er trifft seine eigenen Entscheidungen. Egal was ich sagen oder tun würde, es wäre falsch.“

Warum antwortete sein Freund nicht? Warum summte Yoru nur so leise vor sich hin?

„Du findest das ganze lustig, nicht wahr? Dass ein kleines Kind mich so aus der Ruhe bringt.“

Nun vernahm er das erste Mal Zustimmung.

Er seufzte. Genoss die Kraft, die in ihn hinein floss, ihn beruhigte.

„Was denkst du denn? Du hast sein Blut geschmeckt und hast mir verziehen, dass ich ihn am Leben ließ. Würdest du ihn immer noch töten wollen?“

Die Antwort war so eindeutig, dass es ihn überraschte.

„Er wird mich verlassen und wir wissen, dass das gut so ist.“

Er ließ Yoru los und wandte sich um.

Es war gut so. Lorenor musste zu seiner Crew zurück. Er erwartete von dem anderen, dass er seinen Weg gehen würde. Das machte den Piraten aus, dass er seine eigenen Regeln aufstellte. Genau deswegen war er soweit gekommen. Genau aus diesem Grund war er jetzt hier, bei ihm.

Wenn Lorenor diesen Charakterzug nicht hätte, wäre er nicht Lorenor.

Das war der Grund, warum er ihn um einen Kuss gebeten hatte.

Er wollte ihn nicht besitzen, wollte nicht über ihn bestimmen, nicht eine Sekunde. Er hatte das Gefühl, das er diesen Wildfang nicht zähmen sollte, zähmen wollte. Ganz unabhängig davon, ob er das überhaupt konnte.

Aber Lorenor verstand nicht. Lorenor sah nicht.

Er hatte ein festes Ziel vor Augen. Zurück zu seiner Crew zu gelangen.

Und das war gut so. Gut für den Jungen.

Mit dem Rücken an Yorus Kommode ließ er sich auf den Boden sinken.

„Aber es geht hier nicht um mich“, antwortete er niemandem bestimmten.

Eine Hand zog an der Schublade zu seiner Linken. Mit gezielten Handgriffen zog er die Flasche mit braungoldener Flüssigkeit heraus. Zum Glück hatte er überall in diesem Haus seine Notfallreserven.

Eine Stimme in seinem Hinterkopf fragte sich beiläufig, ob der Pirat im Gästezimmer die dortigen Verstecke schon gefunden hatte.

Mit dem Mund riss er den Korken ab und setzte die Flasche an.

Heute hatte er die Möglichkeit gehabt, die Möglichkeit Lorenor an sich zu binden. Aber natürlich hätte er das nicht getan.

Er wollte, dass Lorenor glücklich war und das konnte er nun mal nur bei seiner Crew sein. Er hatte gesehen, wie Jirou in der Lage gewesen war, den Jüngeren zum Lachen zu bringen. Wie er sich gewünscht hatte, dass Lorenor auch mal mit ihm so lachen würde, aber es kostete ihm größte Mühen, dem anderen nur ein Lächeln abzuringen. Aber er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass er bei seinen Freunden, bei seiner Crew, bei diesem dauergrinsenden Strohhut auch so lachen konnte.

Er setzte die nun deutlich leichtere Flasche neben sich auf den Boden. Einige Tropfen wertvollen Alkohols rannen durch seinen Bart, tropften auf seine nackte Brust und versanken im Hosenbund.

Immer wieder stieß er seinen Kopf leicht gegen das Holz an seinem Rücken.

Er wusste, was er wollte.

Es war das erste Mal seit langem, dass er wirklich etwas haben wollte.

Und es war das erste Mal, dass er es sich nicht nehmen würde, auch wenn er konnte.

Verdammt, was war aus ihm geworden?

Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?

Aber nächstes Mal wäre es nett, wenn du mich nicht nur mit dem Blick ansiehst, den ich verdiene, sondern mit dem, den ich dir wert bin.

Seufzend hob er wieder die Flasche.

Wenn er das tun würde, würde er den anderen mit Sicherheit verlieren.

Seine eigenen Gefühle machten ihm Angst, aber er wusste, dass sie den anderen nur noch mehr verschrecken würden.

Lorenor war nicht bereit für so etwas. Würde es vielleicht nie sein.

Und ob er soweit war, wusste er auch nicht.

„Verdammte Scheiße“, murmelte er erneut und leerte die Flasche.

Das Brennen in seinem Hals tat ihm gut. Körperlicher Schmerz war schon immer einfacher zu ertragen, als dieser andere.

Er schloss die Augen, doch die Bilder des anderen suchten ihn heim.

Rache.

Ach, wenn der andere doch wissen würde, wen er hier am meisten bestrafte.

Ja, heute würde er sich in Selbstmitleid ertränken und ab morgen würde er wieder der sein, den der andere von ihm erwartete.

Mihawk Falkenauge Dulacre. Kühler Stratege und bester Schwertkämpfer der Welt.

Der andere akzeptierte seine Bevormundung, seinen Schutz und seine Freundschaft.

Das war alles, was er ihm geben durfte, denn mehr würde der andere nicht annehmen können.

Immerhin hatten sie den Ball hinter sich gebracht und Lorenor war gut gelaunt gewesen.

Vermutlich schlief er bereits lächelnd in seinen Laken und träumte davon, wieder bei seiner Crew zu sein.

Wenn Comil tatsächlich einer dieser komischen Gestalten war, die nach ihrem Tod in anderen Körpern wiedergeboren wurden, dann hatte er Lorenor mit Sicherheit bei seiner Lösung geholfen.

Darum war der andere so glücklich gewesen.

Er hatte herausgefunden, wie er wieder ein Mann werden würde.

Ihre Absprache beinhaltete, dass er den anderen beschützen durfte, solange dieser eine Frau war.

Seufzend zog er die nächste Schublade auf.

Die Nacht war noch lang und es reichte ja auch, wenn einer von ihnen die nächsten Stunden gut schlafen würde.

Kapitel 30 - Die Bitte

Kapitel 30 – Die Bitte

 

-Zorro-

Müde rollte er aus dem Bett.

Auf zwei wackeligen Hühnerbeinen trollte er sich ins Badezimmer.

Sein Spiegelbild erwiderte seinen griesgrämigen Blick gleichgesinnt. Das Wasser half nicht wirklich.

Wieder zurück im Zimmer fiel ihm auf, dass Kanan ihm gar keine Klamotten raus gelegt hatte.

Das weiße Kleid vom Vortag lag noch genau da, wo es hingefallen war. Daneben die Netzstrümpfe.

Seufzend zog er die Schubladen der Kommode auf.

Er würde schon irgendwas zum Anziehen darin finden, ohne direkt auszusehen wie eine Vogelscheuche, nicht das ihn das wirklich interessierte.

Ein staubiger, weinroter Pullover und eine alte, weite Stoffhose waren die Folge. Nun gut, egal.

Auf nackten Füßen tapste er die Treppe hinunter. Seine Haarex standen wie wild in alle Richtungen ab, aber auch das war ihm eigentlich gleichgültig.

Unten angekommen stellte er fest, dass niemand da war. Das Haus war leer.

Die Küche war unberührt, noch nicht einmal die morgendliche Zeitung lag auf der Anrichte.

Kanan schien immer noch nicht da zu sein, aber viel seltsamer war es, dass der Samurai auch noch nicht da war. Schließlich war er immer vor Zorro auf gewesen.

Verwundert stieg er die Treppe wieder hoch und klopfte ans Arbeitszimmer des Älteren.

Keine Antwort.

Er öffnete die Tür. Auch hier war niemand vorzufinden. Alle Fenster waren geschlossen, der Raum verlassen.

Mit einem seltsamen Gefühl schloss er die Tür hinter sich.

Er sollte einfach Frühstücken gehen. Mihawk hatte ihm einen anstrengenden Tag versprochen. Warum also stand er nun vor der Schlafzimmertür des Anderen?

Er sollte das sowas von nicht tun. Er wusste bereits jetzt, dass dies ein Fehler sein würde.

Leise klopfte er an die dunkle Holztür.

Abermals erhielt er keine Antwort.

Zaghaft drückte er die Klinke hinunter und trat ein.

Noch nie war er in diesem Raum gewesen. Wieso auch? Dulacre selbst war doch auch nur zum Schlafen dort, es gab für ihn keinen Grund die Privatsphäre des anderen zu stören.

Das Erste was er wahrnahm war Dunkelheit.

Dieses Zimmer strahlte eine Kälte und Einsamkeit aus, die er noch nie vernommen hatte. Der spartanisch eingerichtete Raum war in dunklen Farben gehalten und das einzige Licht wurde von den Fenstern gespendet. Man wurde regelrecht depressiv nur davon, dass man die Luft einatmete.

Der ganze Raum roch überdies noch nach schalem Alkohol und Männerschweiß, beinahe wie in einer Bar nach einer kleinen Kneipenschlägerei, nur dass der Männerschweiß diese kühle, hölzerne Note innehatte, die unverkennbar dem Samurai zuzuordnen war.

Zusammen mit dem vertrauten Alkoholgeruch gab es Zorro beinahe etwas schmerzhaft Heimisches.

Dann fiel ihm das sagenumworbene Black Sword auf, das beinahe unschuldig in einer Halterung auf einer dunklen Kommode lehnte.

Als würde es ihn magisch anziehen ging er darauf zu. Eine Hand ausgestreckt.

Er konnte es summen hören, flüstern hören.

Seine nackten Füße stießen gegen Glas und traten auf Stoff, doch alles was er wahrnahm war diese mächtige Waffe.

Beinahe ehrfürchtig legte er die bebenden Finger nicht auf den Griff, dazu würde er sich nicht erdreisten, sondern auf die scharfe Klinge, die einst seinen Körper gezeichnet hatte.

„Ob du mich erkennst? Selbst in diesem Körper?“

„Natürlich.“

Überrascht wandte er sich um und riss die Hand augenblicklich zurück.

In einem angrenzenden Türrahmen lehnte der Samurai.

Er sah furchtbar aus.

In kurzen Worten.

Sein sonst so perfekt anliegendes Haar stand in alle Richtungen ab. Sein Bart war ungepflegt und schien rauer als sonst. Er hatte tiefe Ringe unter den sonst so stechenden Augen und sein kühles Gesicht wirkte durch die dunklen Falten noch etwas fahler und auch älter.

Aber etwas anderes sagte Zorro, dass der andere Mann trotzdem alles andere als schlecht aussah.

Mihawk trug nicht mehr, als eine schwarze, enge Boxershorts, die wie eine zweite Haut die Lendengegend des Samurais umschloss. Ansonsten war er komplett nackt, bis auf seine Kreuzkette natürlich. Ob er die wohl je ablegte?

Sie pendelte über der nackten, durchtrainierten Brust, deutete wie ein Pfeil nach unten, wo eine Linie dunkler Haare im Saum der Unterhose verschwand.

„Was ist denn mit dir passiert?“, murrte Zorro und ignorierte seine warmen Wangen. Er hasste seine weiblichen Hormone.

„Du siehst ja aus, als hätte dich eine Seekuh ausgekotzt.“

Der andere murrte nur irgendetwas in seinen Bart und kam mit langsamen, schwankenden Schritten auf ihn zu.

„Bist du betrunken?“

„Nei.. Vielle..Ja..“

Mit diesen, man könnte es Worte nennen, blieb der wankende Turm von einem Mann vor ihm stehen und sah zu ihm hinab.

„Was ist denn los?“ So hatte er den anderen noch nie erlebt.

„Nichts“, murmelte dieser nuschelnd, bevor der Ältere die Hände nach ihm ausstreckte, sie auf seine schmächtigen Schultern legte und sich langsam hinab beugte. Der hölzerne Geruch des Schwarzhaarigen stieg in seine Nase und sein Herz hörte beinahe auf zu schlagen, als das Gesicht des anderen ihm immer näher kam.

Und dann kippten sie um.

Zorro keuchte überrascht auf und Mihawk grunzte tief als sie den Halt verloren und mit laut klirrenden Glas zwischen leeren Flaschen und zerrissenen Klamotten auf dem Boden aufkamen.

„Verflucht“, knurrte der Pirat und hielt sich den Hinterkopf, der dumpf gegen die Kommode geknallt war. Immer noch hatte er Sternchen vor den Augen.

Seine Beine und sein Unterleib waren ungewöhnlich schwer und als er wieder klarer sehen konnte, stellte er fest, dass der Samurai halb auf ihm lag, während er hier zwischen Bett und Kommode eingeklemmt war.

„Hey“, murrte er gereizt, „Steh mal auf. Du bist viel zu schwer.“

Der andere reagierte nicht, sondern blieb einfach so liegen.

„Hey!“, knurrte er nun und packte den Älteren an der nächstbesten Schulter, „Geh runter von mir, du Idiot!“

Immer noch machte der andere keine Anstalten sich zu bewegen. Entnervt warf Zorro seinen Kopf zurück und stieß sich ungewollt wieder am Hinterkopf.

„Ach, verdammt noch mal! Mihawk, steh auf.“

„Du..lacre“, antwortete das am Boden liegende Etwas, die Stimme halb erstickt in Zorros Pullover.

„Ist mir sowas von egal. Geh einfach runter.“

„Nein.“

Hilflos sah er den Mann in seinem Schoß an, der es sich dort fast schon bequem gemacht hatte.

„Was soll das heißen?!“

„Nein.“

„Verarsch mich nicht!“

Mit ganzer Kraft versuchte er den anderen hochzuhieven, aber er scheiterte kläglich. Mihawk war wie ein nasser Sack Kartoffeln und da er halb unter ihm lag und halb gegen die Kommode geklebt war, konnte er sich kaum bewegen.

Aufseufzend aufgrund der körperlichen Anstrengung und seiner vor Schmerz pulsierender Körperteile ließ er den anderen wieder los. Diese Situation war geradezu jämmerlich, wenn er bedachte, dass er in der Lage sein sollte, ganze Häuser hochzuheben.

„Geh runter“, meinte er nun beinahe wehleidig, „Wir wollten doch trainieren.“

„Später“, kam die gedämpfte Antwort.

„Hast du überhaupt geschlafen?“

„Nein.“

„Du bist betrunken?“

„Ja.“

„Warum?“

„Darum.“

Der Pirat stieß einen entnervten Laut aus und begann nun nur den Kopf des anderen zu drehen, ohne ihm das Genick zu brechen.

Schließlich hatte er seinen Lehrmeister in eine Position gebracht, die wohl halbwegs bequem sein konnte, ohne, dass er an Zorros Kleidung erstickte.

Sein Gesicht war ihm nun mehr schlecht als recht zugewandt und ein halbgeöffnetes gelbes Auge sah müde zu ihm herauf.

„Was ist denn passiert?“, fragte er, obwohl er sich nicht sicher war, ob er wirklich wissen wollte, wieso der andere sich in einem solch katastrophalen Zustand befand, „Warum hast du dich denn diese Nacht noch abgeschossen?“

Das eine Auge, das er sehen konnte, wurde eine Spur größer, ehe der Samurai es zu einem Schlitz verengte.

„Du“, antwortete er nach einer Weile überraschend ernst. Doch seine Aussage verwirrte Zorro nur.

Was hatte der andere denn?

„Okay, meinetwegen, ich bin wieder mal Schuld. Willst du drüber reden und mir sagen, was ich falsch gemacht habe?“

„Nein.“

„Na was ein Glück. Willst du dann wenigstens aufstehen?“

„Nein.“

„Und was willst du dann machen?“

„Nichts.“

„Das wird ein langer Tag.“

„Ja.“

„Das war keine Frage.“

Seufzend betrachtete er den anderen, der nun wieder die Augen geschlossen hatte. Die meist einsilbigen Antworten und der unordentliche Zustand des Zimmers erzählten ihm eigentlich die gesamte Geschichte der vergangenen Nacht. Nur verstand er nicht, warum der andere sich beinahe bis zur Besinnungslosigkeit gesoffen hatte.

Und nun lag er hier, unfähig sich zu bewegen unter der Alkoholleiche seines Lehrmeisters.

Womit hatte er das verdient?

„Zor...ro?“

Überrascht sah er zu dem Älteren hinab. Der andere nannte ihn so gut wie nie bei seinem Vornamen.

„Was ist denn? Musst du kotzen?“

Der andere versuchte sich an einem Kopfschütteln.

„Bleib hier.“

Zorro lachte kläglich.

„Wie soll ich hier auch wegkommen? Du Hüne liegst doch auf mir.“

Er glaubte ein kleines Lächeln auf den dünnen Lippen zu sehen.

„Gut.“

Der Pirat schloss die Augen und lehnte sich zurück. Vor sich hörte er die gleichmäßigen Atemzüge des anderen. Ob Mihawk eingeschlafen war?

Allmählich erhellten die ersten Sonnenstrahlen das kühle Zimmer, doch keiner der beiden Schwertkämpfer rührte sich.

„Sag mal“, meinte Zorro schließlich, ohne zu wissen, ob der andere ihn überhaupt hörte, „Du hast gesagt, dass dein Schwert sich an mich erinnern würde.“

Der Mann auf ihm grummelte zustimmend.

„Woher weißt du das?“

Ganz langsam öffnete sich wieder dieses Auge und starrte ihn direkt an.

„Wir…reden.“

Dafür, dass er kaum in der Lage war zu sprechen, schien sein Kopf noch relativ klar zu sein.

„Über mich?“

Nun verzehrten sich die Lippen in ein hässliches Grinsen.

„Yoru…mag dein Blut.“ Dann schloss sich sein Auge wieder.

Ein leises Lachen entkam Zorro.

Er konnte immer noch die Kraft des Schwertes oberhalb seines Rückens spüren. Die Macht, die es ausstrahlte war beeindruckend, aber es konnte nicht das ersetzen, was er von seinen Schwertern kannte und vermisste.

„Es ist so leise“, meinte er.

„Hmm?“ Erneut öffnete sich dieses Auge.

„Yoru summt so leise.“

Zustimmend nickte der Ältere kaum merklich. Dann riss er beide Augen auf und hob seinen Kopf um ihn anzustarren.

„Ist was?“

Noch einen Moment sah der andere ihn geschockt an, diese ungewöhnlichen Falkenaugen groß vor Erstaunen, dann schüttelte er den Kopf und ließ sich wieder fallen.

Doch er lachte erneut.

„Josei ist so viel lauter. Sie ist wie eine Berghexe, die sich die ganze Zeit über einen aufregt. Mein Kitetsu ist ganz ähnlich, es will immer kämpfen und Blut lecken, so anders als…“

„Lorenor?“

„Ja?“

„Mund zu.“
 

Er wusste nicht, wie lange sie so dagelegen hatten.

Er, begraben unter dem besten Schwertkämpfer der Welt und eben dieser, schlafendes Opfer seiner eigenen Taten.

Irgendwann hatte er eine Hand auf den Kopf des anderen gelegt, die Finger durch das schwarze, weiche Haar gleiten lassen, so wie der andere es so oft bei ihm getan hatte.

Es war eine wirklich seltsame Situation, hier mit diesem Mann. Sein unverkennbarer Geruch hing in der Luft und sein gleichmäßiger Atem hatte etwas Beruhigendes. Hinter ihm summte das stärkste Schwert der Welt und er lag dazwischen und lauschte diesen angenehmen Geräuschen, beinahe in einem meditativen Zustand.

Obwohl seine Beine langsam taub wurden und der Griff einer Schublade gegen sein Schulterblatt drückte, war es gar nicht so unangenehm. Er hatte schon schlimmere Morgen-danach erlebt.

Plötzlich konnte er Schritte hören, aber er konnte eh nichts tun. Also wartete er bis Kanan um die Ecke kommen würde und ihn anschreien würde.

Aber er sollte überrascht werden.

Denn wer da plötzlich im offenen Türrahmen stand, war Konteradmiral Cho Jiroushin.

Seine Gesichtszüge entgleisten ihm, als er den fast nackten Samurai auf Zorro liegen sah.

„Was…?“ Fragte er fassungslos während seine Augen tellergroß wurden und seine Kinnlade runter klappte.

„Er ist betrunken“, antwortete Zorro mit einem traurigen Lächeln. Er hatte keine Ahnung, was der Marinemann hier wollte, so früh am Morgen, nach einem Ball, aber es war ihm egal. Der Konteradmiral war gerade seine Rettung.

„Mann! Ist denn alles in Ordnung?“, meinte eben dieser, deutlich schneller gefasst, als Zorro ihm zugetraut hatte.

„Ich denke schon. Ich weiß nicht, warum er so viel getrunken hat. Gestern Abend ging es ihm noch gut.“

Eine halbe Stunde später lag der Samurai seelisch schlummernd in seinem Bettchen und Zorro war wieder befreit.

Mittlerweile hatten er und Jiroushin sich an den Küchentisch begeben und der Blondschopf hatte Kaffee gemacht.

„Also wegen gestern“, murmelte er dann, „Ich will gar nicht davon anfangen, in was ihr euch da reingeritten habt. Ich meine, von Hawky kenne ich ja, dass ihm die Obrigkeit egal ist, aber ich dachte er würde etwas aufpassen, wenn es um dich geht.“

Zorro lachte leise.

„Mach dir keine Gedanken. Wir werden damit schon klar kommen.“

Er genoss das heiße Getränk nach der Zeit auf dem kalten Fußboden.

„Aber sag mal, Jiroushin, was machst du hier? Solltest du nicht noch im Bett bei deiner Frau sein?“

Verwundert sah ihn der andere an, dann nickte er.

„Ach stimmt, wir hatten ja keine Zeit mehr, miteinander zu reden, nachdem ihr so unerwartet getürmt seid.“ Seine Stimme enthielt einen Hauch von Vorwurf, aber auch ein leichtes Lächeln. „Zum einen hab ich eure Sachen mitgebracht und zum anderen hat mich Hawky um einen Gefallen gebeten.“

Verwirrt legte Zorro den Kopf schräg. „Okay?“

„Loreen, ich bin für die nächsten Tage dein Trainer.“
 

-Mihawk-

Mit einem pappigen Geschmack im Mund wachte er auf.

Über ihm drehte sich die dunkle Decke und das Bett drehte sich auch und er selbst drehte sich auch oder auch nicht.

Sein Blick wanderte durchs Zimmer.

Helle Sonnenstrahlen fielen durch die weit geöffneten Fenster und warme Sommerluft wehte hinein. Das Zimmer war aufgeräumt und auf dem kleinen Tisch unter den Fenstern lagen frische Klamotten.

Sein Schädel dröhnte, als wäre ein Seezug drüber gefahren.

Was war passiert?

Bruchstücke des letzten Abends tauchten vor seinem inneren Auge auf.

Er war auf dem Ball gewesen, er hatte Lorenor nach Hause gebracht.

Er hatte Lorenor ausgezogen.

Er hatte Alkohol getrunken.

Lorenor hatte in seinen Haaren rumgespielt.

Sie hatten zusammen auf dem Boden gelegen.

Irgendwas stimmte hier nicht…

Plötzlich waren die ganzen Erinnerungen wieder da und er sprang aus dem Bett.

Beinahe hätte sich sein verkatertes Gehirn etwas ganz Falsches zusammengereimt, aber nur beinahe.

Er ließ sich wieder aufs Bett fallen. Sein Alkoholkonsum hatte seit dem Auftauchen seines unerwarteten Gastes ungesund zugenommen.

Als junger Mensch hatte er oft mehrmals die Woche so viel getrunken, wie am vergangenen Abend, aber vielleicht wurde er ja tatsächlich alt, denn er fühlte sich furchtbar.

Kopfschüttelnd erhob er sich. Er musste sich jetzt zusammenreißen. Er hatte sich eine Nacht Selbstmitleid erlaubt, aber nicht länger, ab jetzt musste er funktionieren.

Schließlich musste er seinem Wildfang noch sein neues Trainingskonzept für die kommenden Tage erklären, ehe dieser ihn verlassen würde.

So wie er den Pirat kannte würde dieser wieder sehr lange brauchen, ehe er einsehen würde, dass Dulacres Plan absolut sinnvoll war und auf diese Diskussion freute er sich bereits jetzt schon.

Nicht.

Mit unsauberen Schritten wandelte er zurück ins kühle Bad, unter die Dusche und hoffte, dass das kalte Wasser seinen Kopf klären würde.

Er war töricht gewesen, so viel zu trinken, zu einem so ungünstigen Zeitpunkt. Wer wusste was ihn und Lorenor am heutigen Morgen erwarten würde, nach dem gestrigen Ball.

Mit etwas weniger dröhnendem Kopf, aber immer noch steifen Gliedern, trocknete er sich ab und zog sich allmählich an. Ab jetzt musste er wieder der sein, den der andere von ihm erwartete.

Entschieden strich er seine Haare zurück und verließ das Zimmer.

Doch unten in der Küche begrüßte ihn nur die Haushälterin, die stumm die Zeitung las.

Also eigentlich begrüßte ihn nur ein riesiges Foto, dass seiner selbst maskiert und im Anzug zeigte. Und vor ihm kniete die Lady in Weiß, eine Hand erhoben.

Dieses Bild sagte mehr über den Abend aus, als jeder Artikel es konnte.

„Guten Morgen“, grüßte er sein ehemaliges Kindermädchen und griff nach der heißen Kanne.

„Tze.“

Mehr bekam er nicht als Antwort.

„Wo ist denn unser Gast?“

Er hatte überhaupt keine Lust auf ihre Kindereien einzugehen. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, weshalb sie so schlecht gelaunt war.

„Im Trainingsraum“, murrte sie knapp.

„Schon? Dabei hab ich noch gar nichts von Jirou erklärt.“ Entschieden ignorierte er weiterhin ihre schlechte Laune.

„Er ist schon da.“ Langsam senkte sich die Zeitung und mörderische Augen starrten ihn nieder.

Wenn Blicke töten könnten, wäre er wohl gerade verbrannt.

„Dann gehe ich mal…“

„Was fällt Euch ein?!“ Wütend war sie aufgesprungen und schlug die Zeitung auf den Tisch.

„Kanan, Sie müssen…“

„Ihr seid ein unerzogener Rüpel!“

„Sie wissen ganz genau, dass die Zeitungsartikel nicht der Wahrheit entsprechen“, setzte er sich kühl gegen ihre aufbrausende Stimme zur Wehr.

„Oh ja! Ich wünschte die wären wahr!“ Mit einem Fingerknöchel pochte sie auf den bedruckten Blättern.

„Laut der Zeitung war das gestern ein gelungener Abend mit wundervollen Gästen. Loreen und Ihr saht vortrefflich aus und die Bilder sind unglaublich.“

„Warum also sind Sie so unerträglich?“

„Weil Jiroushin mir die Wahrheit gesagt hat!“, knurrte sie, „Ihr habt die Regeln gebrochen! Ihr habt Loreen nicht zum ersten Tanz aufgefordert! Ihr seid vom Ball geflohen, bevor er beendet war, wie ein Feigling!“

„Sind Sie fertig?“ Gelangweilt sah er sie an.

„Warum habt Ihr das getan?“

„Weil ich es so wollte. Weil mein Gast es so wollte.“

Kanans Augen wurden groß.

„Der Ball gilt als offiziell beendet, wenn der letzte Tanz vorbei ist. Erst danach haben wir die Veranstaltung verlassen und uns somit an die Regeln gehalten. Da noch nie eine Frau auf die wahnwitzige Idee gekommen ist, einen Mann von sich aus aufzufordern, gilt es nicht als verboten. Wir haben nichts getan, was nicht erlaubt gewesen wäre. Dementsprechend fehlt mir das Verständnis für Ihren respektlosen Umgang mir gegenüber.“

Er wählte seine Worte bewusst, während sie mit leicht geöffneten Mund einfach da stand.

„Ich werde nun also den Trainingsraum aufsuchen und wenn das Training vorbei ist, erwarte ich eine gehaltvolle Mahlzeit für meine Gäste.“

Er machte auf dem Absatz kehrt, den Kaffee in der Hand und ging.

Gar nicht schlecht, wenn man bedachte, dass sein Kopf immer noch unter den Folgen der vergangenen Nacht litt. Allerdings hatte er als Opfergabe die Zeitung bei der Haushälterin lassen müssen.

Als er den Umkleideraum erreicht hatte, konnte er schon das Aufeinanderschlagen von Metall und vertraute Stimmen hören.

„Das war sehr gut.“

„Das war überhaupt nicht gut!“

Grinsend durchquerte er den Raum, das würde ein Spaß werden.

„Wenn du es nicht ernst meinst, können wir es direkt bleiben lassen. Ich bin nicht hier, um Spiele zu spielen.“

Mit deutlich besserer Stimmung öffnete er die Tür in den Trainingsraum und sah die beiden Schwertkämpfer sich mit Schwertern gegenüberstehen.

„Ich weiß nicht, was du meinst?“ Der Konteradmiral wirkte etwas überrumpelt.

Lorenor auf der anderen Seite war fuchsteufelswild.

Als er Dulacre erkannte, wandte er sich zu ihm um und streckte sein neues Schwert in die Richtung des Blondschopfs.

„Das ist deine Lösung?“, meinte er entrüstet, „Nach dem wahnsinnigen Kindermädchen setzt du mir jetzt einen antriebslosen Pazifisten vor?“

Die beiden Älteren sahen überrascht zu der verzauberten Frau.

„Was ist denn aus deinem Respekt gegenüber dem friedvollen Krieger geworden?“, meinte der Samurai schmunzelnd mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Ach, du kannst mich mal. Das macht doch alles keinen Sinn.“

Seufzend verschränkte er seine Arme und sah seinen Wildfang an.

„Willst du mir jetzt wieder vorschlagen, dass du besser alleine trainierst, wie beim letzten Mal, wo du dich geirrt hattest?“

„Ich sage dir, dass ich keinen Lehrmeister brauche, der bereits mit dem Mittelmaß zufrieden ist und mich nicht ernst nimmt.“

Sein Kindheitsfreund stand zwischen ihnen und sah ihrer Diskussion unbeeindruckt zu.

Dulacre kannte diesen Ausdruck. Sein Freund war immer schon eher der unbesorgte, fröhliche Typ Mensch gewesen, jedoch wusste er genau, wann es sinnvoll war zuzuhören. Sein strategisches Denken war dem des Samurais ebenbürtig.

„Dann töte ihn doch.“

Überrascht machte Lorenor einen Schritt zurück.

„Was?“, fragte er irritiert.

Doch der Schwarzhaarige blieb ruhig.

„Wenn dein Gegner dich unterschätzt aufgrund deiner körperlichen Verfassung, dann nutze das für dich aus. Ich bezweifle zwar, dass du ihm in jeglicher Form gewachsen bist, aber wenn du glaubst, dass er nicht richtig mit dir kämpfen will, dann töte Jiroushin, falls du es kannst.“

Er hoffte, dass seine Nachricht den anderen eindeutig erreichte und ihn auch genügend anstacheln würde.

Sein Kindheitsfreund auf der anderen Seite senkte sein Schwert und sah Dulacre missbilligend an.

„Findest du nicht, dass du es jetzt ein bisschen übertreibst, Hawky? Einer jungen Frau…“

Er unterbrach sich selbst, als seine Augen schnell zur Seite huschten, bevor er sich umdrehte und den Schlag parierte.

Lorenor jedoch war flink geworden. Im nächsten Moment stand er bereits zur Linken des Konteradmirals, duckte sich und stieß Josei nach vorne.

Der Blondschopf wich zur Seite, doch das Mädchen folgte sofort.

„Loreen…“, fing Jirou an doch der Pirat unterbrach ihn augenblicklich mit dem nächsten Angriff.

Der Samurai lehnte sich gegen die Wand und sah den beiden zu.

Dieser Kampf war auf einem ganz anderen Niveau als das lächerliche Intermezzo seines Wildfangs mit der Haushälterin. Tatsächlich konnte er die unglaubliche Leistungssteigerung des Piraten in jeder seiner Bewegungen sehen. Es beeindruckte ihn, dass der Junge sich so schnell verbessert hatte.

Selbstredend war er keine ernsthafte Bedrohung für Jiroushin. Dieser wich jedem Angriff mit gerade mal so viel Aufwand aus, wie es benötigte, nicht mehr.

Eigentlich wäre Jiroushin der perfekte Ersatz für Dulacre. Er war ein durchaus fähiger Lehrmeister, das hatte sich schon früh gezeigt, und überdies äußerst begabt im Umgang mit dem Schwert, wenn auch nicht ansatzweise so perfekt wie mit seinem Degen. Er erkannte innerhalb eines Atemzuges die Fähigkeiten seiner Schüler und war sehr gut darin, ihre Schwächen auszubügeln. Er war beinahe der beste Lehrer den Dulacre neben sich kannte.

Natürlich war er besser als sein Kindheitsfreund, den er selbst damals ausgebildet hatte. Auch im Unterrichten würde er behaupten eine bessere Figur abzugeben. Logischerweise hatte er sich im Gegensatz zum Marinemann auch nie mit Schülern abgegeben, die seiner nicht würdig waren.

Dementsprechend war Lorenor auch eigentlich erst sein dritter Lehrling.

Allerdings war er der Erste, den er nicht unterrichten konnte, ohne ihn in Gefahr zu bringen. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ein Kind aus dem East Blue seine Kontrolle zum Einsturz bringen konnte?

Deswegen hatte er auf diesen akzeptablen Ersatz zurückgegriffen.

Doch sein lieber Freund Jirou hatte leider auch eine weitere offensichtliche Schwäche, neben seinem Hang dazu, durch unnötige Worte einen Kampf verhindern zu wollen. Der Konteradmiral war äußerst wohlwollend Frauen gegenüber gestimmt. Er kämpfte mit ihnen und hielt sie auch für gleichberechtigt, aber er war nie so streng mit ihnen umgegangen, wie mit seinen männlichen Kollegen.

Innerlich hoffte Dulacre, dass nicht nur sein Wildfang durch dieses Training etwas lernen würde.

„Genug!“

Plötzlich flog das Fliegengewicht eines Schwertkämpfers durch den Raum und knallte hart gegen die gegenüberliegende Wand.

Jirous andauernde Ausweichmanöver hatten Lorenor dazu gebracht immer dreistere Angriffe mit immer offensichtlicheren Lücken in der Abwehr zu begehen.

Eine riskante Taktik, um seinen Gegner zum Gegenstoß zu überreden. Beinahe schon dumm, wenn man sowohl körperlich als auch kampftechnisch unterlegen war. Aber es hatte den gewünschten Erfolg erzielt.

„Oh Nein, Loreen!“, entkam es nun dem Konteradmiral geschockt, der natürlich nicht vorgehabt hatte, die angebliche Frau zu verletzten.

Der Pirat richtete sich auf. Sein Haarband hatte sich gelöst und die grünen Wellen schwebten beinahe vor Elektrizität. Die Augen leuchteten mit Kampfeslust und breit grinsend wischte sich der Jüngere das Blut von der aufgeplatzten Lippe.

„Genau so“, meinte das Kind gefährlich böse.

Es war wirklich amüsant mit anzusehen, wie dieses süße, kleine Mädchen zu einer Raubkatze mutierte.

Doch Jirou schien entsetzt.

Milde lächelnd klopfte er seinem Kindheitsfreund auf die Schulter.

„Wie gesagt“, meinte er leise, „Trockenübung und Theorie sind verschwendete Zeit bei unserem Gast. Das einzige, das funktioniert sind Kämpfe am Rande seiner Fähigkeiten, nur so lernt dieser Schüler etwas.“

„Ich bin auch noch da“, wandte eben genannter missratener Schüler ein.

„Ich verstehe wirklich nicht, warum du sie nicht selber unterrichtest, Hawky.“

„Wie gesagt, solange dieses Kind nicht in der Lage ist, sich durch Haki zu schützen, ist es zu gefährlich.“

„Was? Du unterrichtest sie, obwohl sie noch nicht mal Haki anwenden kann?“

„Also noch mal, ich bin anwesend.“

„Nein, deswegen unterrichtest du meinen Gast.“

„In fünf Tagen? Was soll ich ihr in der kurzen Zeit schon beibringen?“

„Du wärest überrascht, wie schnell manche von uns lernen können.“

„Wenn ich etwas mehr Zeit hätte, sagen wir insgesamt zwei Wochen, dann könnte ich…“

„Das ist nicht möglich.“

Plötzlich stand das unscheinbare Mädchen mit immer noch blutender Lippe genau vor den beiden hoch gewachsenen Männern

„Es sind fünf Tage, Basta.“

Der Blonde guckte ganz verwirrt hinab.

„Du meine Güte, Loreen. Ich kenn dich ja gar nicht so kampfeslustig und…“

„Unverschämt?“, half ihm der Samurai weiter, „Allerdings ist es richtig. Wir haben halt nur noch diese fünf Tage. Danach wird unser Gast uns verlassen.“

„Was?“

„Ja und ich bin überdies ebenfalls der Meinung, dass dieses Training hier nur sinnvoll ist, sofern du es ernst meinst. Lasche Unterrichtseinheiten sind reine Zeitverschwendung.“

Einen Moment sah der Konteradmiral zwischen den beiden anderen hin und her, offensichtlich überlegend.

„Du solltest jetzt gehen, Hawky“, entschied er dann ruhig.

„Du wirfst mich aus meinem eigenen Trainingsraum?“

„Wenn du willst, dass ich den Unterricht übernehme, dann ja. Ich bin durchaus in der Lage, Loreen dahin zu bringen, wo du sie haben möchtest, aber auf meine Weise. Und ich lasse mir meine Lehrmethoden nicht von einem Griesgram wie dir schlecht reden. Geh raus oder mach es selbst.“

Kapitel 31 - Der Abschied

Kapitel 31 – Der Abschied

 

-Mihawk-

Wenn man bedachte, wie der Tag für ihn angefangen hatte, so ging es ihm doch gerade ganz gut.

Sein Kopf pochte nicht mehr sonderlich und seine Gelenke wurden immer geschmeidiger.

Er war etwas unzufrieden darüber, dass Jirou ihn aus seinem eigenen Kampfraum geworfen hatte. Es missfiel ihm, dass er die Unterrichtseinheit nicht überwachen konnte. Zum einen war es die Abmachung zwischen ihm und Lorenor gewesen, dass er ihn trainieren oder zumindest sein Training überwachen würde und zum anderen genoss er natürlich, dem Jüngeren beim Leiden, ähm Wachsen, zuzusehen.

Nun gut, er sollte etwas frühstücken, ehe sich sein bereits angeschlagener Magen weiter beschwerte.

Auf dem Weg zur Küche kam ihm die Haushälterin entgegen.

„Oh Herr“, sprach sie ihn ungehalten an, „Es ist gut, dass Ihr da seid.“ Die Wut vom Morgen war verflogen. „Ihr habt Besuch.“

Ihre Stimme war ungewöhnlich zurückhaltend, als hätte sie Angst. Was eigentlich unmöglich war. Diese Frau fürchtete nichts und niemanden, noch nicht einmal ihn.

Selbst als er ihr zunickte und den Flur hinunterging, folgte sie ihm nicht, sondern blieb zurück, diesen besorgten Ausdruck in den Augen.

Im Hauseingang stand niemand geringeres als Rishou Eizen, in schwarzem Anzug und mit undurchsichtiger Sonnenbrille.

„Mein lieber Mihawk, freut mich Sie nach dem gestrigen Abend schon so wohlauf zu sehen“, grüßte er ihn mit offener Feindseligkeit hinter der höflichen Floskel.

Hier an diesem Ort, ohne unbeteiligte Zuhörer brauchte er sein Gesicht nicht zu wahren.

Dulacre wusste nicht, ob er überrascht sein sollte oder nicht.

Nie hätte er gedacht, dass der Politiker, der als einziger normaler Mensch auf Augenhöhe mit den Himmelsdrachen-Menschen sprechen konnte, sich je dazu hinablassen würde in sein Haus zu kommen, ohne Ankündigung, ohne Hofstaat.

Allerdings hatte der andere ja bereits bewiesen, dass er einiges tun würde, um seinen Willen zu bekommen.

„Sie sehen auch aus, als hätten Sie den vergangenen Abend unbeschadet überstanden“, antwortete er ohne jegliche Höflichkeit. Schließlich war er ein Pirat und auch wenn er im Gegensatz zu manch anderen Samurais wusste, was gute Manieren bedeuteten, so konnte er auch gerne auf sie verzichten, wenn es um diesen Mann ging.

„Ich gehe davon aus, dass Sie nicht hier sind, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen“, sprach er kühl weiter und verschränkte die Arme.

Der ältere Herr nickte lächelnd.

„Natürlich nicht. Ich würde gerne eine private Unterredung mit der werten Lady Loreen führen.“

„Ja, das kann ich mir denken. Aber das wird nicht möglich sein. Mein Gast ist heute und in den nächsten Tagen unpässlich für jeglichen Besuch. Selbst wenn es sich dabei um jemanden wie Sie handelt.“

„Ist das so?“

„Ja, das ist so.“

Er machte einen weiteren Schritt auf den mächtigen Mann zu.

„Vielleicht kann ich Ihnen ja behilflich sein, sodass die anstrengende Reise für Sie nicht ganz umsonst ist und Sie sich wieder auf den Rückweg begeben können.“

Der alte Mann legte lächelnd eine Hand an sein Kinn.

„Vielleicht können Sie das sogar. Ich gehe davon aus, da Sie und Loreen sich ja so nahe stehen, dass sie mit Ihnen natürlich sämtliche Dinge bespricht, die in irgendeiner Form von Belang sein könnten.“

Wieder einmal traf Dulacre die Erkenntnis, dass es so viele Dinge über seinen Wildfang gab, von denen er nichts wusste. Er hatte erst recht keine Ahnung davon, worüber sich der Politiker mit ihm unterhalten hatte, obwohl er natürlich seine vermutlich nicht ganz unzutreffende Vorstellung hatte.

„Mitnichten. Mein Gast ist mir zu keiner Aussage verpflichtet und ich schätze die Bedeutung der Privatsphäre sehr.“

Das Lächeln des Politikers wuchs eine Spur. Es war ganz offensichtlich, dass ihm diese Information zusagte.

„Das verstehe ich nur zu gut. Ich möchte Ihnen noch zu Ihrem beeindruckenden Auftritt am vergangenen Abend gratulieren. Ihre Bekannte und Sie werden so schnell nicht vergessen werden. Auch wenn Sie vermutlich keine Einladung mehr zu einer solchen Veranstaltung erhalten werden, ungeachtet ihrer bemerkenswerten Herkunft.“

„Ihren Worten entnehme ich, dass dieser Verweis nur gegen mich gilt und nicht meinen Gast betrifft?“

„Wohl wahr. Die Werte Lady Loreen ist selbstredend jederzeit in unseren Reihen willkommen.“

Der Samurai grinste nun auch. Er konnte sich zu gut vorstellen, was der andere plante.

„Ich hoffe Ihnen ist bewusst, dass mein Gast kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit Ihnen und denen, die Sie vertreten, hat.“

„Oh und ich hoffe Ihnen ist bewusst, dass Sie sich gerade auf ein Gebiet begeben, auf dem Sie nicht erwünscht sind.“

„Eizen“, sprach er kalt, „Was wollen Sie von meinem Gast? Warum sind Sie hier?“

Nun wurde das Lächeln des anderen beinahe grotesk.

„So feindselig? Nun gut. Da ich tatsächlich Wichtigeres zu tun habe, als mich mit einem dahergelaufenen Piraten zu unterhalten, seien Sie doch so freundlich ihrer Bekannten folgendes auszurichten: In gut zwei Wochen wird ein äußerst wichtiges Ereignis die Welt erschüttern. Zu diesem Zeitpunkt würde ich die Werte Lady Loreen gerne auf unserer Seite wissen. Die genauen Umstände und den Vertrag werde ich ihr natürlich zukommen lassen.“

Er verbeugte sich knapp. „Das wäre meine Botschaft. Ich danke Ihnen und empfehle mich.“

Der Politiker wandte sich zum Gehen.

„Eizen“, hielt er ihn kurz auf, „Was versprechen Sie sich von der Mithilfe meines Gastes und warum sollte mein Gast Ihnen zur Seite stehen wollen?“

Der alte Mann lachte leise.

„Ach, ich bin beinahe enttäuscht, dass Sie mich das tatsächlich fragen. Ich hatte Ihnen doch mehr zugetraut. Mihawk, wenn Sie es immer noch nicht verstanden haben, sollten Sie sich vielleicht an Ihre Bekannte wenden.“

„Ich frage aber Sie.“

Nun drehte sich das Fossil tatsächlich wieder zu ihm um.

„Ich respektiere Ihren Mut und Ihre Fürsorge gegenüber der jungen Dame. Aus diesem Grund sehe ich mich gewillt Ihnen einen kleinen Hinweis zu geben um das Spiel interessant zu halten. Wir möchten Lady Loreens Fähigkeit, sich das Vertrauen sämtlicher Umstehenden zu erschleichen, für unsere Zwecke in Zeiten der Unruhen sichern. Bereits jetzt dient ihr Auftreten unseren Wünschen und sogar der vergangene Abend hat sich zu unseren Gunsten gewendet. Und ich bin mir sicher, dass die Werte Dame nur zu gewillt sein wird uns zu helfen, wenn sie feststellt, dass es mehr gibt als Geisteswille und Körperkraft. Sie selbst haben die Vorzüge dieser Macht ja bereits kennen gelernt.“

Nun öffnete er die Tür.

„Doch nur um dies klar zustellen. Sie haben Ihre Kompetenzen überschritten, Mihawk. Sollten Sie je wieder meinen Plänen im Weg stehen, werde ich dafür Sorge tragen, dass Sie es bereuen werden. Ihr Schutz über diese Inseln und Ihr Schutz über Lady Loreen reichen nur so weit. Vergessen Sie das nicht.“
 

-Zorro-

Schwer atmend lag er auf dem Boden, der Kopf des Konteradmirals neben ihm. Dieser hatte die Beine in die andere Richtung ausgerollt.

Beide hatten sie die Arme weit von sich gestreckt und versuchten nicht in ihrem eigenen Schweiß zu ertrinken.

„Also das war wirklich gut, Loreen“, murmelte der Blondschopf zufrieden zwischen zwei Atemzügen, die Heldenlocke klebte an seiner nassen Stirn.

Zorro nickte nur, unfähig zu reden.

Er hatte keine Ahnung, wie lange sie trainiert hatten, aber es war gut gewesen. Nicht so wie mit Falkenauge, aber mit Sicherheit effektiv.

„Ich bin wirklich überrascht, für so ein zierliches Persönchen kämpfst du wie ein Biest.“

Er grinste und antwortete zwischen schnellem Luftholen.

„Du solltest mich wirklich nicht unterschätzen, Jiroushin, ich bin nicht annähernd so lieb wie ich wirke.“

Der Ältere lachte laut.

„Aber dein Lehrstil ist wirklich ganz anders als Dulacres.“

Wieder lachte der andere.

„Ja, ich weiß. Hawky steht immer wie ein böses Omen vor einem und sieht aus wie der lebendige Tod, aber meiner Meinung nach kann man seinen Schüler nur zu Höchstleistungen treiben, wenn man selbst auch Höchstleistung erbringt.“

Beide sogen sie den Sauerstoff gierig ein.

„Warum eigentlich nur fünf Tage, Loreen?“, meinte der Konteradmiral dann und kippte seinen Kopf zur Seite um ihn anzusehen.

Zorro erwiderte einfach nur seinen Blick.

„Warte mal, dann kamen doch die Strohhüte auf Sarue an. Hast du das etwa immer noch nicht aufgegeben?“

Grinsend schloss der Pirat die Augen und genoss den kühlen Stein unter seinem Körper.

„Was hast du denn vor, Loreen? Ich dachte, du wolltest diese Piraten nur treffen?“

Zorro seufzte. Etwas in ihm wollte dem Konteradmiral die Wahrheit sagen. Allerdings wäre das keine kluge Idee und da er nun mal einer unverwandten Familie angehörte, die einander beschützen musste, wäre das wohl wirklich nicht so klug.

„Ich muss sie treffen, Jiroushin und danach muss ich weiterreisen.“

Er sah den anderen wieder an.

„Hier auf Sasaki ist es schön, aber ich kann nicht hier bleiben, ich muss wachsen und stärker werden.“

„Aber du hast hier die besten Lehrmeister der Welt?“

„Ich meine tatsächlich nicht nur die Schwertkunst. Außerdem“, seufzte er wieder, „Gibt es Menschen die ich beschützen muss und das kann ich von hier aus nicht.“

Der andere rollte sich auf den Bauch. Nachdenklich stützte er seinen Kopf auf den Armen ab.

„Das verstehe ich“, murmelte er schlicht.

Nun rollte sich auch Zorro auf den Bauch und sah den anderen wieder an.

„Sag mal, Jiroushin, wie hast du, der fechtende Schatten, es geschafft in der Marine so weit zu kommen?“

Die Augen seines Gegenübers wurden groß.

„Woher weißt du das? Hat Hawky etwa geredet?“

„Aber nein.“ Zorro grinste. „Es ist eigentlich nicht sonderlich schwer zu erraten. Du und Dulacre seid Kindheitsfreunde, beide gute Schwertkämpfer und ich kann mir denken, dass du deinem Freund gefolgt bist, als er damals die Marine verließ.“

„Oh Mann, bist du sicher, dass du nicht Hawkys verschollene Tochter bist?“

„Ganz sicher.“

Es stimmte. Zorro hatte eins und eins einfach nur zusammen gezählt.

Vor vielen Jahren hatte sich ein Mythos um den jungen Mihawk Dulacre auf der Welt herumgesprochen. Lange noch, bevor dieser Samurai wurde. Lange noch, bevor Zorro selbst zur See gefahren war. Die Gerüchte erzählten davon, dass eine schwarz gehüllte Gestalt, die dem damaligen Piraten sowohl körperlich zum Verwechseln ähnlich sah, als auch dessen kämpferische Fähigkeiten besaß, dessen Feinde besiegte, bevor er überhaupt einen Finger hob.

Aufgrund der Schnelligkeit dieser Gestalt und dadurch dass niemand je einen genauen Blick von ihr erhaschen konnte, hatte sich der Glaube entwickelt, dass der junge Pirat von einer Teufelsfrucht gegessen hatte, die seinen Schatten zu einem Eigenleben verhalf.

Mit der Zeit nannte man diese Gestalt den fechtenden Schatten mangels einer besseren Erklärung und bis zur Auflösung der Piratencrew wurde nie herausgefunden, was es mit diesem Geschöpf auf sich hatte.

Doch Zorro hatte beide Männer gesehen, die Art, wie sie miteinander umgingen, die Art, wie sie sich bewegten. Die Art, wie sie kämpften. Es war zu offensichtlich.

„Du wolltest nie Pirat werden, oder?“

Der Konteradmiral lachte erneut.

„Du bist wirklich klug, Loreen.“

„Oh, ich kenne da einige, die dir widersprechen würden.“

Dann wurde Cho ernst.

„Die Wahrheit ist, dass ich eigentlich sehr glücklich in der Marine war. Im Gegensatz zu Hawky, der sich nur im Andenken an seine Schwester und seinem Vater zuliebe damals eingeschrieben hatte.“

Zorro horchte auf. Davon wusste er bisher noch nichts.

„Allerdings verschlechterte sich sein Bild von der absoluten Gerechtigkeit mit jedem Tag mehr. Er ist der Ansicht, dass der Tod seiner Mutter und seiner Schwester nicht nur den Piraten zuzurechnen war, sondern auch dem Versagen der Marine. Deswegen hat er sie verlassen.“

„Und du bist mit ihm gegangen.“

Der Blondschopf seufzte und drehte sich wieder auf den Rücken.

„Hawky hat immer zu mir gestanden, er war mein erster und einziger Freund. Er war arrogant und hochnäsig, aber er war immer für mich da, von Anfang an ohne je eine Gegenleistung von mir zu erwarten. Auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst, aber als Junge hatte Hawky eigentlich immer nur Unsinn im Kopf und war eigentlich ein recht witziger Zeitgenosse.“

„Ja, das fällt mir tatsächlich schwer zu glauben.“

Der andere nickte zustimmend.

„Mit Sharaks Tod hat er sich sehr verändert. Darum hatte ich mir vorgenommen auf ihn aufzupassen, weil er immer auf mich aufgepasst hatte. Ich glaube an die Gerechtigkeit und ich glaube, dass die Marine trotz all ihrer Fehler, das richtige Ziel verfolgt, aber noch wichtiger war mir, dass Dulacre sein Ziel nicht aus den Augen verlieren würde.“

Leise lachte er.

„Eigentlich war diese Zeit auf dem Meer unglaublich spannend. Dulacre entwickelte sich so schnell weiter, er wurde so schnell zu dem Mann, den alle fürchteten. Er hat alle beschützt. Er hat jeden aus unserer Crew beschützt, aber er war unhöflich und immer kühl.“

„Und du warst der Schatten, der ihn beschützt hat.“

Jiroushin nickte langsam.

„Als Käpt’n war es seine Aufgabe, die Crew zu beschützen und meine Aufgabe war es, auf seinen Rücken Acht zu geben.“

Zorro stimmte dem nur schweigend zu, er verstand den anderen nur allzu gut.

„Aber wie kam es dazu, dass du wieder in der Marine gelandet bist?“

Der andere antwortete nicht, sondern stand langsam auf. Sein sonst so fröhliches Gesicht wirkte verhärmt und die Röte vom Training war verschwunden.

„Ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, mit dir darüber zu reden.“

Der Pirat setzte sich auf und erwiderte den Blick ehrlich.

„Schon okay.“

„Ach verdammt!“

Mit einem dumpfen Knall ließ sich der Konteradmiral vor ihm in den Schneidersitz fallen.

„Du musst es mir nicht sagen, Jiroushin. Es würde eh nichts ändern.“

Doch der andere sah ihn ernst an.

„Dulacre war nicht immer der Mann, den die Welt in ihm sieht. Tatsächlich hat er mit dem Mann, der gemein hin als Falkenauge bekannt ist, weit weniger gemeinsam als die meisten denken.“

Einen Moment schwiegen sie beide.

„Damals, als wir noch jung und dumm waren, gab es einige in der Marine, die verhindern wollten, dass Dulacre ein zu berühmter Pirat wurde. Nicht zuletzt weil sein Vater zu dieser Zeit noch Admiral war, bevor er sich von diesem Posten zurückzog.“

Überrascht sah Zorro auf.

„Unter anderem aus diesem Grund wurde unserem Kapitän schon sehr früh der Titel als Samurai angeboten, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Wir hatten jedoch einige in unserer Crew, vorneweg Dulacre selbst, die die Marine von ganzen Herzen verabscheuten und daher hätte er natürlich nie eingewilligt.“

„Und doch ist er jetzt Samurai.“

Der Ältere nickte.

„Vor langer Zeit unterlief uns ein Fehler, wer genau dafür verantwortlich war, kann ich dir nicht sagen, auch wenn Dulacre sich selbst die Schuld gibt. Es führte jedoch dazu, dass ich und unser Schiffsarzt gefangen genommen und nach Impel Down gebracht wurden.“

Jiroushin schloss die Augen.

„Dulacre war stark, aber selbst er wäre nicht in der Lage gewesen uns da raus zu holen. Niemand ist in der Lage so etwas zu tun. Man bot ihm also einen neuen Deal an. Strafbefreiung all seiner Crewmitglieder inklusive Begnadigung wenn er den Titel eines Samurais annehmen würde.“

„Er hat angenommen.“

„Natürlich. Es hätte gegen alles gestanden, was ihn ausmacht, wenn er es nicht getan hätte. Seine Ehre, seinen Stolz. Er sagt immer, dass jemand, der die Verantwortung übernimmt, diese auch zu tragen hat und nach diesem Prinzip lebt er. Der Rest unserer Crew hatte von diesen Vorfällen durch mittlerweile unwichtige Umstände nicht viel mitbekommen und da Dulacre sie nicht in einen Sklaverei-Vertrag zwingen wollte, löste er unsere Crew auf.

Er und sein Vater sorgten dafür, dass ich wieder in die Marine aufgenommen wurde und meine Akte keine auffälligen Details enthält. Natürlich war es dafür hilfreich, dass ich im Gegensatz zu Dulacre kein berühmter Pirat war und mich immer im Hintergrund gehalten hatte.“

Beide schwiegen sie. Jiroushin gefangen in alten Erinnerungen und Zorro überwältigt von diesen intimen Gedanken. Der andere hatte seine Freiheit für seine Freunde aufgegeben. Er war Samurai geworden, um andere zu beschützen, obwohl er die Marine verachtete.

„Ihr seid euch sehr ähnlich.“

Geschockt starrte Zorro den anderen an. Hatte er etwa seine Gedanken gelesen?

„Das sagt zumindest Lirin. Ich selbst bin mir da nicht so sicher. Du bist so eine warmherzige, fröhliche Frau.“

Nun seufzte Zorro.

„Deine Frau hat eine gute Menschenkenntnis, Jiroushin, du solltest auf sie hören.“

Der Blondschopf zog eine Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts.
 

Erst am späten Abend verließ Zorro mit seinem neuen Lehrmeister den Trainingsraum und traf auf seinen anderen Lehrmeister, der ruhig und schlecht gelaunt war, wie so oft.

Das gemeinsame Essen mit Kanan war jedoch überraschend laut und lustig dadurch, dass der Konteradmiral einen vortrefflichen Alleinunterhalter abgab. Die trüben Gedanken des Tages längst vergessend.

Erst spät verabschiedete er sich um den Heimweg anzutreten, mit der gelachten Drohung, dass er sich auf das folgende Training bereits freuen würde.

Die Haushälterin verabschiedete sich zum Aufräumen und so kam es, dass beide Piraten in einvernehmlichem Schweigen in Wohnzimmer saßen.

Der Samurai, wie immer am Zeitung lesen, während der Pirat sich wieder einmal an die Übersetzung der alten Bücher machte.

Ziemlich schnell leerten sie die erste Flasche Wein, doch die Erinnerung an den Morgen lehrte beide nicht noch eine Zweite zu öffnen.

„Und was hast du heute so getrieben?“, murmelte Zorro irgendwann, nachdem er angefangen hatte, die wie üblich vorherrschende Stille als unangenehm zu empfinden. So ruhig war der andere dann doch selten.

„Nichts Wichtiges. Endlich mal ein paar Stunden, wo ich nicht Babysitter spielen musste.“

„Ich könnte das gleiche über dich sagen, ich hatte heute Morgen echt besseres zu tun, als dich in den Schlaf zu wiegen.“

Der andere antwortete nicht. Dabei hatte Zorro doch so auf einen Konter gehofft.

„Also ist nichts Erwähnenswertes vorgefallen?“, sprach er also sachlich weiter.

Die Augen des anderen lagen auf ihm, das konnte er spüren, ohne selbst den Kopf zu heben.

„Warum sollte es?“

„Du bist ungewöhnlich still. Außerdem kann ich kaum glauben, dass wir noch keinen Ärger wegen gestern bekommen haben.“

Langsam hob er den Blick und sah den anderen an.

Der Samurai schlug die Zeitung zu und gesellte sich zu Zorro auf den Boden.

Mit dem Rücken lehnte er gegen den alten Sessel und faltete seine langen Beine in den Schneidersitz, das linke Knie nur wenige Zentimeter neben den bereits beschriebenen Blättern.

„Sag, Lorenor.“ Seine Stimme war unerwartet kühl. „Bist du auf deinem Weg wieder ein Mann zu werden weitergekommen?“

Der Themenwechsel kam überraschend und der Grünhaarige wandte den Blick ab.

„Darüber möchte ich nicht reden.“

„Das heißt also, du weißt, was du zu tun hast.“

Zorro biss sich auf die Unterlippe. Er wollte mit dem anderen nicht darüber reden. Er konnte nicht.

Eine langgliedrige Hand strich durch sein Haar und es war das erste Mal, dass er sich nicht wehrte.

„Das ist gut“, murmelte der andere ruhig, „Es wird gut für dich sein, wenn du zu deiner Crew zurückkehrst.“

Seine Stimme klang seltsam hohl, doch Zorros eigene Gefühle spielten wieder mal Achterbahn mit ihm.

„Wenn ich in meinem anderen Körper wäre, würdest du mich dann trainieren?“

Er konnte Überraschung im Gesicht des anderen sehen.

„Versteh mich nicht falsch. Jiroushin ist wirklich gut und ich sehe, warum du ihn mir vorgesetzt hast, aber wenn ich Zorro wäre, würdest du mich dann trainieren? Würdest du dir dann endlich keine Sorgen mehr darum machen, dass du mich verletzten würdest?“

Der andere lachte.

„Deine Aussage ist wieder einmal völlig unsinnig, Lorenor.“

Er beugte sich zu ihm vor.

„Du bist Zorro. Genauso sehr wie du Loreen bist. Und egal in welchem Körper du steckst, du bist noch zu schwach, als dass ich mir keine Sorgen um dich machen müsste. Also nein, ich würde dich noch nicht so trainieren, wie ich gerne würde.“

Zorro biss sich auf die Unterlippe. „Allerdings glaube ich mittlerweile, dass du bald soweit sein wirst, Haki einsetzen zu lernen und dann, dann wärst du bereit.“

Der Pirat sah weg.

„Ich kann kein Haki anwenden.“

„Das hast du schon einmal gesagt und schon damals habe ich es dir nicht geglaubt. Ich glaube eher, dass du es nicht anwenden willst.“

„Das kommt doch aufs Gleiche raus.“

Er konzentrierte seinen Blick wieder auf die Zeilen vor ihm und schrieb weiter. Auch dieses Gespräch wollte er nicht führen, doch der Samurai ignorierte es.

„Das, was dich und deine Crew auf der anderen Seite der Red Line erwartet ist weitaus gefährlicher als all das, was ihr bisher erlebt habt. Ein Schwertkämpfer, der kein Haki anwenden kann, wird in dieser Welt nicht überleben. Warum also willst du eine Technik, die dich stärker macht, nicht lernen?“

Er antwortete nicht sondern schrieb unbeirrt weiter.

„Ich vermute, dass du Angst hast. Angst vor den Kräften, die in dir schlummern. Angst davor, dass du sie nicht kontrollieren kannst.“

Seine Hand verharrte über den beschriebenen Blättern.

„Ein jeder Mensch spürt Angst. Sie ist notwendig und ein hilfreicher Lehrmeister. Man überwindet sie und wird stärker, weiser, reifer. Sie rettet einem das Leben und gleichzeitig bringt sie einem dem Tod immer näher. Nur dumme Menschen haben keine Angst. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass du das weißt.“

Der Samurai seufzte.

„Irgendwann wirst du lernen, dass die Angst vor deinem Inneren ebenso überwunden werden muss und dann wirst du wahrlich der Krieger werden, der du sein willst.“

Unerwartet erhob sich der Ältere und lachte erneut sanft.

„Ich freue mich auf diesen Tag. Ich freue mich darauf, zu sehen, wie viel mehr du noch sein kannst.“

Und damit ging er.

Zorro blieb zurück.

Vor ihm lag das kleine Buch. Er war fertig.

Er hatte es fertig übersetzt.

Lange sah er zum Türrahmen, durch den der Ältere verschwunden war.

Wieder einmal fragte er sich, was der andere wohl dachte und warum er ihm solche Dinge sagte.

Entschieden stand er auf und folgte ihm.
 

Die darauf folgenden Tage vergingen überraschend schnell.

Das Training mit Konteradmiral Cho Jiroushin war hart und erfolgte meist unter den strengen Augen des Samurais, der sich nun nicht mehr raus werfen ließ.

An einem Tag war Lirin zu Besuch gewesen und sie hatten früher aufgehört, um gemeinsam eine kleine Feier zu genießen. Erst an diesem Abend hatten sie und Kanan davon erfahren, dass Zorro die Insel Sasaki bald verlassen würde, was die Stimmung leicht getrübt hatte.

Zu Zorros Überraschung schien der berüchtigte Marineball keinerlei Folgen zu haben. Nun ja, mit Ausnahme natürlich von der erneuten Welle von Zeitungsartikel über sein Alter Ego Lady Loreen.

An einem Morgen ging er mit dem Samurai zum Markt um letzte Besorgungen zu machen und es war beinahe erdrückend, wie die Menschen ihn behandelten, obwohl sie es alle gut meinten.

Nein, das würde er ganz gewiss nicht vermissen.

Am späten Abend vor der Abreise packte er seine Sachen zusammen. Kanan stand hinter ihm im Türrahmen und stellte sicher, dass er auch ja nichts vergessen würde. Dabei hatte er wirklich wenige Dinge, die er mitnehmen musste, wenn man mal von dem Schwert, das ihm der Samurai geschenkt hatte, absah.

Sie würden noch in der Nacht aufbrechen, um rechtzeitig auf Sarue anzukommen.

„Kanan, würden Sie mich bitte kurz mit unserem Gast alleine lassen?“

Mihawks Stimme erklang in seinem Rücken, doch er drehte sich nicht um.

Die Haushälterin murmelte etwas zustimmend in ungewohnt hoher Tonlage und verließ den Raum.

„Hast du alles, Lorenor?“ Auch der Samurai hörte sich seltsam hölzern an.

Zorro nickte nur.

„Es sind ja nicht viele Sachen.“

Dann drehte er sich doch um.

Er konnte sehen, wie die kühlen Falkenaugen ihn von oben bis unten musterten. Der andere nickte.

„Du siehst gut aus. Diese Kleidung steht dir deutlich besser als jedes Kleid.“

Ein leises Grinsen schlich sich auf Zorros Lippen.

Die enganliegenden, schwarzen Klamotten, das streng zurückgebundene Haar, abgerundet von schwarzen Stiefeln, Mantel und Handschuhen waren nun mal das perfekte Outfit für einen Hinterhalt. Insbesondere wenn man nicht erkannt werden wollte.

Eben deshalb trug auch der Samurai selbst ähnlich dunkle Kleidung, hatte auf seinen Hut verzichtet und neben dem Black Sword auf seinem Rücken war auch ein überraschend simples Schwert an seiner Hüfte befestigt.

„Ich habe noch etwas für dich“, meinte der Ältere und errötete leicht.

Zorro konnte sehen, dass der Blick des anderen auf seinem Hals ruhte, wo eine seltsame Falte seines Oberteils verriet, dass er eine bestimmte Kette trug.

„Hier.“

Der andere reichte ihm einen Fetzen Papier und eine kleine, weiße Schnecke. Sie passte bequem in Zorros zierliche Frauenhand.

„Was ist das?“

Der Samurai lächelte.

„Ich habe mir erlaubt von uns beiden jeweils eine Vivre Card anfertigen zu lassen.“

Er zog ein weiteres Stück weißes Papier aus seiner Jackentasche und legte es flach auf seine Hand. Langsam krabbelte es in Zorros Richtung.

„Für den Fall der Fälle halte ich es für sinnvoll, wenn wir einander finden können, sofern du einverstanden bist.“

Zorro starrte auf das Blatt in seinen Händen, das kaum merklich nach vorne zog.

Er wusste nicht, was er sagen sollte.

„Des Weiteren möchte ich dir eine der beiden Zwillings-Teleschnecken geben.“

Nun wandte er seinen Blick auf die kleine Schnecke in seiner Hand.

„Es handelt sich um ganz besondere Schnecken, denn wie du siehst, habe ich hier seinen Zwilling.“

Der Samurai hob nun tatsächlich ein identisches Gegenstück hoch.

„Zwillingsschnecken können nur miteinander kommunizieren, haben aber den Vorteil, dass sie nicht abgehört werden können und Distanz für sie kein Problem darstellt. Wasser oder besonders dicke Steinwände jedoch schon.“

Zorro senkte den Blick.

„Nimmst du meine Geschenke an?“

Der andere klang so freundlich, so nett. Es tat weh.

„Warum?“

„Wie bitte?“

Er sah den anderen an.

„Warum gibst du mir das?“

Mihawk lächelte.

„Wenn alles gut geht, wirst du sie nie benutzen brauchen. Aber wenn nicht, bin ich für dich da. Egal was passiert. Ich habe dir doch gesagt, dass ich auf dich aufpassen werde und ich bin bereit, es nach deinen Regeln zu handhaben.“

Der Pirat wandte sich ab, während ihm Tränen in die Augen schossen.

Wie hatte der andere ihm in so kurzer Zeit so wichtig werden können?

Er wusste nicht, ob er ihn je anrufen würde, aber alleine die Möglichkeit zu haben. Die Möglichkeit zu haben sich einfach nur zu unterhalten, einfach nur zu reden. Einfach nur diese ruhige, tiefe Stimme zu hören…

Er biss sich auf die Unterlippe.

„Ich habe auch noch was für dich“, murrte er, froh darüber, dass seine Stimme stärker klang, als er sich fühlte.

Mit ruhigen Bewegungen verstaute er das Blatt Papier und die Tele-Schnecke, ehe er zum Gästebett hinüber ging und ein kleines, gebundenes Buch hochhob.

Mit gesenktem Blick reichte er es dem anderen.

„Hier. Es ist fertig.“

Der andere nahm es und blätterte wortlos einige Worte einige Seiten um. Der Mund in purem Erstaunen geöffnet, die Augen groß.

Wenige Minuten später gingen sie die altvertraute Treppe hinab. Kanan wartete unten.

Sie weinte leise.

„Ach Kanan“, murmelte der Herr des Hauses, doch sie ignorierte ihn getrost und umarmte Zorro.

Seufzend legte er die Arme um die stämmige Frau, bewegt von ihrer Wärme.

„Pass auf dich auf, mein Kind, ja?“ Sie sah zu ihm herab ohne von ihm abzulassen.

„Und melde dich, okay?“

„Kanan“, entgegnete er.

„Und egal was passiert, du und deine Freunde, ihr seid hier immer willkommen.“

Überrascht sah er zu ihr hinauf.

„Kanan, Sie…“

„Ach, natürlich, Kind“, meinte sie nur und drückte ihn wieder an ihre mütterliche Brust, „Nichts geschieht in diesem Haus, das ich nicht weiß, verstanden?“

Dann ließ sie ihn los und wischte sich die Tränen vom Gesicht.

„Ich werde jeden Tag für deine Sicherheit da draußen beten, mein Kind und vergiss nie: Du bist jetzt Teil der Familie, egal wie du dich auch nennen magst.“

Wieder schossen ihm die Tränen in die Augen.

„Ich danke Ihnen für alles.“

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete er tief durch.

Eigentlich war er voller Vorfreude, nach einem langen Monat würde er seine Crew wieder sehen, er würde nach Hause kommen. Warum also war dieser Abschied so schwer?

Mit zügigen Schritten eilten er und der Samurai durch die Dunkelheit.

Keiner von ihnen sagte ein Wort.

Sie beide wussten, dass da so viel war, was besprochen werden konnte, aber sie beide wussten auch, dass es besser war, wenn sie es nicht taten.

Schließlich saß Zorro auf dem Thron des Sargbootes und Mihawk gesellte sich zu ihm.

Ohne jegliche Geräusche setzte es sich in Bewegung.

„Du kennst den Plan?“, meinte der Ältere überraschend kühl.

Zorro nickte nur.

„Was ist eigentlich mit dir?“, murmelte er ruhig.

Fragend sah der Samurai zu ihm hinab.

„Was meinst du?“, fragte er und steckte Yoru in seine Halterung hinter Zorros Rücken.

„Was hast du jetzt vor? Jetzt wo du mich loswirst.“

Ein trockenes Lachen erklang über ihn und eine kräftige Hand legte sich auf seine Schulter.

„Also Erstens ist es nicht so, als ob ich dich loswerden würde. Ich bringe dich zu deiner Crew. Das ist ein Unterschied. Und Zweitens habe ich in zwei Tagen einen Termin mit der Weltregierung, wofür ich nach Mary Joa muss.“

„Was? Davon hast du mir gar nichts erzählt. Seit wann weißt du das?“

„Oh, erst seit ein paar Tagen, aber ich wollte dein kleines Köpfchen nicht überanstrengen. Viel wichtiger ist doch, dass du dir den Plan für den Hinterhalt merken kannst.“

„So schwer ist der nun auch wieder nicht“, meinte er nur mit hochgezogener Augenbraue.

„Außerdem mache ich mir da wirklich keine Sorgen.“

Wieder fühlte er den Blick des anderen auf sich.

„Wirklich nicht?“

„Nein.“

Zorro lächelte.

„Ich weiß genau, was ich tun muss.“

Kapitel 32 - Der Neuanfang

Kapitel 32 – Der Neuanfang

 

-Sanji-

Mit angespannten Augen inspizierte er die vor ihm ausgelegte Ware. Als Smutje lag es in seiner Verantwortung die hochwertigsten und besten Lebensmittel einzukaufen, die er finden konnte.

„Ist das alles was wir brauchen?“

Überrascht hob er den Kopf, als neben ihm die orangenhaarige Navigatorin auftauchte, eine Tüte in der Hand, und auf seine Einkäufe deutete.

„Nicht ganz, Nami-Maus. Ich würde gerne noch frisches Gemüse einkaufen. Aber dazu brauchst du mich nicht zu begleiten. Auch wenn mich deine Anwesenheit natürlich äußerst glücklich stimmen würde.“ Er lächelte sie warm an, seine schlechte Laune vom Morgen war bei ihrem Anblick sofort verflogen, doch ihr Gesicht blieb kühl.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er sie dann.

Sie nickte halbherzig.

„Ich hab kein gutes Gefühl hier auf der Insel. Wir sollten gucken, dass wir weiter kommen. Weit kann es ja nicht mehr sein, die Red Line kann man bereits von hier am Horizont ausmachen.“

Sie reichte der Verkäuferin das Geld über den Tresen, während Sanji die eingepackten Salatköpfe entgegennahm.

„Wir sollten zurück gehen und aufbrechen“, meinte Nami unsicher und verschränkte die Arme.

„Hat sich der Log Port denn schon wieder umorientiert?“ Mit geschulterten Einkäufen gingen sie über den Markt.

„Hatte er bereits nach einer Stunde. Das magnetische Feld der Red Line muss unglaublich stark sein.“

Der Koch nahm einen Zug seiner Zigarette und sah seine Freundin von der Seite her an. Ihr Blick war stur geradeaus gerichtet, während sie den vielen geschäftigen Menschen problemlos auswich.

„Sind außer uns noch andere von Bord gegangen?“

Er hatte sich am Morgen mit Ruffy gestritten, ausnahmsweise mal nicht über das unliebsame Thema, sondern darüber, dass Ruffy bei seiner Nachtwache versucht hatte den Kühlschrank aufzubrechen. Allerdings war Sanjis Haut in Bezug auf seinen Kapitän immer noch ziemlich dünn und daher hatte er noch nicht einmal gewartet, bis sie angelegt hatten, ehe er von Bord gegangen war.

„Robin und Chopper wollten noch die Medizinvorräte aufbessern, aber ich hatte den anderen gesagt, dass wir nicht länger als nötig bleiben würden.“ Nami seufzte. „War das heute Morgen wirklich nötig gewesen?“

Sanji sah sie an.

„Was meinst du? Du hast doch mitbekommen, wie er sich aufgeführt hat. Wie ein unerzogenes Kleinkind!“

Die Navigatorin rollte mit den Augen.

„Aber Sanji, so ist Ruffy doch immer. Derjenige der sich seltsam aufgeführt hat warst du.“

Er blieb stehen.

„Was redest du da? Er hat mich regelrecht ausgelacht.“

Nami blieb stehen und verschränkte die Arme, kopfschüttelnd.

„Ruffy lacht immer und über alles. Er hat es nicht ernst genommen. Aber du hast total übertrieben reagiert.“

„Von wegen.“

Noch nie hatte er sich von Nami so angegriffen gefühlt. Normalerweise war jedes ihrer Worte Balsam für seine Seele, aber jetzt rauschte er davon und ließ sie stehen. Warum war sie so gemein zu ihm?

„Sanji, jetzt warte doch.“

Natürlich wartete er. Er mochte selbst gerade nicht, wie er sich ihr gegenüber verhielt. Sie war eine Dame und er sollte sie auch so behandeln.

Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Was ist denn los mit dir?“

Er wich ihrem Blick aus.

„Du bist immer so schlecht gelaunt. Nur ein falsches Wort von uns und du drehst durch. Wir können nicht immer auf Zehenspitzen um dich rum laufen, Sanji.“ Sie lächelte traurig. „Es ist schon über einen Monat her und du siehst immer noch so furchtbar aus.“

Er sah weg und setzte sich wieder in Bewegung.

„Ich weiß gar nicht, was du meinst Nami-Schatz. Ich sehe wie immer blendend aus.“

„Ich vermisse ihn auch.“

Er schluckte schwer.

„Er war der einzige neben Robin, bei dem Ruffy sich auch mal benehmen konnte. Und ich vermisse seine ruhige Art und dass er beim Kartenspielen immer verloren hat.“ Sie seufzte.

„Ich vermisse, dass er immer beim Abwaschen geholfen hat und ich ihm beim Wecken immer übers Deck kicken konnte. Es war so einfach mit ihm zu streiten.“

Beide lachten sie kurz, doch auf einmal wurde Nami ernst, unterbrach ihrer beiden Gedanken.

„Sanji, da hinten!“

Sie nickte zur Seite und deutete in eine schmale Gasse.

„Verdammt! Lauf!“

Doch Nami rannte bereits. Hinter ihnen ein Heer von Weißhemden. Die Stimmung kippte sofort.

„Wo kommen die denn plötzlich her?“, fluchte die Navigatorin vor sich hin.

„Keine Ahnung, aber wir sollten schnellst möglichst zum Schiff und ablegen.“

„Warum sind das so viele?“

„Immer noch keine Ahnung, aber sei unbesorgt, ich werde dich mit meinem Leben beschützen.“

Sie wechselten einen Blick.

„Mir wäre es wirklich lieber wenn nicht“, murmelte sie ernst.

Sie hatten den Hafen fast erreicht.

„Sanji, pass auf! Hinter dir!“ Namis schrille Stimme kam einen Moment zu spät, als der Koch den Schatten über sich fühlte.

Im Sprung drehte er sich um.

Das so vertraute Aufeinanderprallen von Stahl auf Stahl wurde von dem dumpfen Stöhnen mehrerer Kadetten übertönt, die im weiten Bogen durch die Luft flogen.

Genau vor Sanji stand ein verhüllter, schwarzer Schatten. In seiner Hand ein einfaches Schwert, wie das verstorbene Mitglied ihrer Crew drei zu tragen pflegte.

Obwohl sich der Mann vor ihm nicht zu bewegen schien, war keiner der Marinesoldaten in der Lage näher als ein paar Meter auf sie zu zukommen ohne von einer unsichtbaren Kraft weggerissen zu werden.

Im allerersten Moment hatte der Blondschopf tatsächlich auf ein Wunder gehofft, aber wer auch immer der Unbekannte war, seine Fähigkeiten überschritten bei weitem das, was Sanji sich auch nur vorstellen konnte.

Dann drehte der Mann zu ihm um, eine Kapuze versteckte sein Gesicht in Dunkelheit, doch die Augen schienen das goldene Licht des Tages zu reflektieren.

„Sanji! Bist du in Ordnung?“ Nami kam zu ihm. Ihr Blick lag jedoch auf dem Hünen, der ihnen zur Hilfe gekommen war.

„Natürlich, Nami-Maus.“

„Wir müssen hier weg“, unterbrach ihr Retter sie kühl. Sanji hatte das ungute Gefühl, diese Stimme schon mal gehört zu haben, aber woher wusste er nicht, seine Nackenhaare stellten sich auf. Dieser Mann war gefährlich.

„Stimmt“, antwortete Nami jedoch eilig, „Auf zur Sunny.“

In Begleitung des Fremden rannten sie los.

Er schien sich ihrem Tempo beim Laufen anzupassen und dem Koch fiel auf, dass zwar überall Soldaten waren, aber sie kamen nicht an sie ran. Die Häuser, an denen sie vorbei liefen, ächzten und Steine bröckelten zu Boden

Dann konnte Sanji es spüren, winzig kleine Schockwellen, die von ihnen ausgingen und stärker wurden, je weiter sie sich entfernten.

Ihr Ursprung schien von dem Schwert zu kommen, welches der Unbekannte wie beiläufig noch in der Hand hielt, während er lief.

Konnte er tatsächlich so mächtig sein? Und warum half er ihnen? Wer war er?

Vor ihnen tauchte das Meer auf und mit ihm die Thousand Sunny.

„Hey, Sanji, Nami!“

Von rechts kamen Chopper und Robin auf sie zugeeilt. Die Frau stockte kurz, als sie die unbekannte Begleitung sah, jedoch gaben ihre Verfolger ihr nicht die Möglichkeit, länger über die Situation zu grübeln.

„Es regnet Marinesoldaten!“, brüllte der junge Arzt voller Panik.

„Wer ist euer Freund?“, fragte Robin stattdessen beinahe ruhig, als sie einander erreichten und gemeinsam zum Schiff rannten.

„Keine Ahnung“, antwortete Nami außer Atem, „Er hat uns geholfen.“

Der Mann schwieg.

Sie hatten das Schiff erreicht, von dem gerade eine Strickleiter runter geworfen wurde.

Oben an Deck zeigte sich Lysop.

„Los, kommt schnell an Bord! Wir müssen uns verziehen“, schrie der Lügenbaron hektisch.

„Wo ist Ruffy?“

Nun schob sich auch Brooks Afro über die Reling, als er der Archäologin hinauf half.

„Ist er nicht bei euch?“

Sanji konnte ein leises „Chaoten“ von dem Fremden neben sich hören, er schien ruhig aber auch genervt zu sein.

Chopper und Nami eilten aufs Schiff. Der Koch wollte ihnen folgen, doch ein Tumult lenkte ihn ab.

„Ruffy“, flüsterte er. Ruffy war in Gefahr!

Er musste zurück! Er musste ihn beschützen! Zorro hatte ihm diese Aufgabe übertragen.

Verdammt!

„Hier!“ Er drückte seine Einkäufe dem Fremden in die Arme und rannte los.

„Ruffy!“, brüllte er.

Aber er wusste, dass er zu spät kommen würde, als er seinen Kapitän sah.

Offensichtlich waren er und die anderen nur von dem üblichen Fußvolk verfolgt worden, die stärkeren Gegner hatten sich alle auf den Strohhut konzentriert.

„Gum-Gum-Peitsche!“ Mehrere Soldaten schlugen gegen die Häuserwände.

„Lasst ihn nicht entkommen!“

„Gum-Gum-Pistole!“

„Ruffy!“ Er war fast bei ihm. Kickte alles was ihm im Weg war so fest er konnte zur Seite.

Vielleicht war er rechtzeitig. Er konnte es schaffen.

Es war laut, schreiende Krieger, Pistolenfeuer und krächzende Schwertklingen. Es war hektisch, wie immer in einem Kampf.

Nur noch wenige Meter trennten ihn von seinem Kapitän. Doch plötzlich gab eins von Ruffys Knien nach.

Der Gummijunge stützte sich mit beiden Händen auf dem Boden ab, er schien schon ziemlich mitgenommen. Wer wusste, wie lange er bereits am Kämpfen war.

„Das ist dein Ende!“

Hinter dem am Boden knienden Schwarzhaarigen tauchte der offensichtliche Anführer mit gezogenem Schwert auf. Ein mörderischer Ausdruck auf seinem Gesicht.

„Ruffy!“

Sämtliche Geräusche verstummten und die Welt um sie herum verschwand.

Für einen Moment sah sein Freund ihn an. Seinen Augen waren ernst und klar. Weder Zweifel noch Angst spiegelte sich in ihnen wieder und dann grinste er, unglaublich glücklich, als würde er einen alten Freund zum ersten Mal nach Jahren wieder sehen.

Sanji streckte verzweifelt seine Hand nach dem anderen aus und das Schwert raste durch die Luft.

„Nein!“

Blut prasselte auf die Steine wie einsetzender Regen. Die Klinge leuchtete wie Bronze im Licht des Tages ehe sie aus blutigem Fleisch zurückgezogen wurde.

„Arg…“

Der Mann der Marine fiel auf die Knie. Eine klaffende Wunde in der Brust.

Beinahe überrascht ließ der Soldat seine Waffe fallen und fasste nach dem blutenden Loch.

„Wa..as…?“  Dann brach er zusammen, offensichtlich tot.

Hinter dem Soldaten stand jemand.

Das Schwert noch immer auf den Gefallenen gerichtet.

Durch das Licht der gleißenden Mittagssonne in dessen Rücken konnte Sanji nur seine Umrisse ausmachen.

Zorro!

Es konnte nur Zorro sein. Aber das war unmöglich! Zorro war tot!

Im nächsten Moment griffen die umliegenden Weißhemden wieder an, offensichtlich wütend, aber auch verzweifelt über den Tod ihres Anführers.

Sanji war sich sicher, dass die Augen des Neuankömmlings auf ihm ruhten, zumindest für eine Sekunde, doch dann wirbelte er herum und stellte sich den Angreifenden entgegen. Die Beine breitbeinig vor dem am Boden knienden Ruffy gestellt.

Erst da wurde dem Koch bewusst, dass die Person vor ihm deutlich kleiner war als die meisten Soldaten und zierlich noch dazu. Die Gestalt war ebenso verhüllt, wie der Fremde, der Nami und ihm geholfen hatte, aber nicht annähernd so mächtig, auch wenn sie sich gut gegenüber der Kadetten behaupten konnte.

„Ruffy! Wir müssen hier weg!“, brüllte er seinen Kapitän an, der sich allmählich aufrichtete.

„Okay!“ Der Schwarzhaarige nickte. Plötzlich packte er die Person hinter sich um die Hüfte und rief: „Halt dich gut fest!“ Dann riss er seinen rechten Arm zurück und schleuderte ihn vorwärts, genau an Sanji vorbei.

Der Gummiarm dehnte sich und als der Koch ihm mit seinem Blick folgte, konnte er sehen, wie er sich um den Hauptmast der Thousand Sunny schlang.

„Sanji!“

Schnell wandte er sich wieder herum, jedoch zu spät.

Mit einem übermenschlichen Tempo flog Ruffy auf ihn zu, im linken Arm die zierliche Gestalt.

„Oh Nein! Nein! Nein! Ruffy!“

Im nächsten Moment grub sich die Schulter seines Kapitäns in seine Magengegend. Der Kopf mit dem Strohhut streifte seine Seite und schon rasten sie durch die Luft.

Im letzten Atemzug konnte Sanji sich aus der Todesfalle seines Kapitäns befreien und fiel Richtung Boden.

Einige Saltos später landete er beinahe elegant auf dem Rasen des Piratenschiffs.

Fast Zeitgleich segelte neben ihm auch der andere blinde Passagier Richtung Deck. Im letzten Moment fing der verhüllte Hüne das zierliche Persönchen auf.

Nur Ruffy selbst schlug mit voller Fahrt gegen den Mast und krachte dann zu Boden.

Für eine Sekunde schwiegen sie alle.

„Lysop! Brook! Holt die Segel ein!“, übernahm Nami das Kommando, „Franky! Bring uns hier weg!“

„Alles klar, Schwester!“

„Sie schießen mit Kanonen auf uns!“, warnte nun das Rentier verzweifelt.

„Ruffy!“, brüllte die Navigatorin ihren Kapitän an, der jedoch immer noch nutzlos auf dem Boden lag.

„Keine Sorge“, kam Robin zur Hilfe, „Ich mach das schon.“

Sie lief an Sanji vorbei und kreuzte ihre Arme.

„Cien Fleur, Spidernet!“ Tausende Arme wuchsen aus dem Nichts und hielten die Kanonenkugeln auf, ehe sie sie mit fast gleicher Kraft zurückschleuderten.

„Super, Robin-Schätzchen“, rief Sanji ehe er selbst in die Luft sprang, um sie zu unterstützen.

„Franky!“ Namis Stimme ließ kein Warten mehr zu.

„Ich bin soweit!“, antwortete der Cyborg, „Und Coup de Bust!“

Im nächsten Moment flog das kleine Piratenschiff durch die Luft. Fort von der unfreundlichen Insel mit all ihren Marinesoldaten.

„Nami!“, rief Chopper von der Seite, wo er sich in seiner Riesengestalt halb über die Reling geworfen hatte um den fallenden Lysop aufzufangen, „Da ist ein Schiff hinter uns.“

Verwirrt drehten sich die anderen zu dem Rentier um, während die Sunny fast schon sanft wieder im Wasser landete.

„Was meinst du? Wir werden immer noch verfolgt?“

Sanji zog eine Zigarette hervor und zündete sie an. Wie konnte die Marine sie verfolgt haben?

„Nein!“, antwortete der Arzt, „Es scheint an der Sunny befestigt worden zu sein und es ist auch ganz klein.“

Der Kanonier in seinen Armen berappelte sich allmählich und sah in die Richtung, in die Chopper zeigte. Augenblicklich wurde er aschfahl.

„Das… Das… das ist doch…“

„Was ist los, Langnase?“, murrte Franky und zog seinem Kapitän den Kopf aus dem Boden, „Hast du einen Geist gesehen?“

„Das… Das… Boot.“

„Ja, wir haben mitbekommen, dass es ein Boot ist. Reg dich mal ab, Lysop“, entgegnete Sanji und genoss sein Nikotin.

„Das ist das Sargboot!“

Sanji erstarrte.

„Ja, das dürfte dann wohl mir gehören.“

Sie alle wirbelten herum, zu den beiden Gestalten, die ihnen geholfen hatten zu entkommen und die sie bisher komplett ignoriert hatten.

Der Mann, der gesprochen hatte, war groß mit breiten Schultern. Das unscheinbare Schwert steckte in einer noch unscheinbareren Scheide.

Die Gestalt neben ihm war klein und zierlich, noch nicht einmal so groß wie Nami. Auch sie hatte ein Schwert an der Seite, jedoch in auffallenden Rot und Blau gehalten.

Beide waren sie komplett in schwarze Umhänge verhüllt.

Und nun erkannte er die Stimme. Geschockt machte er einen Schritt zurück, vor seine Crew, vor seinen Käpt’n. Zum Glück war er den Fremden am nächsten.

„Was ist denn los?“, fragte das Skelett völlig unwissend der bevorstehenden Gefahr gegenüber.

Auch Robin, Franky und Chopper sahen verwirrt zu den beiden Unbekannten, während so etwas wie Erkenntnis über Namis Gesicht wanderte, ihre Augen weiteten sich in Angst. Sie war damals nicht dabei gewesen, aber Lysop hatte sie einst überaus detailliert über das damalige Geschehen aufgeklärt.

Der Kanonier auf der anderen Seite hatte sich zwischen Chopper und Franky versteckt. Unfähig seine Knie vom Zittern zu bewahren und mit unkontrollierten Schweißausbrüchen.

Ruffy neben ihm richtete sich langsam auf und setzte sich seinen Strohhut auf. Die Krempe verdeckte seine Augen.

„Du bist…?“, flüsterte Nami ohne ihre Frage zu beenden.

Einen Moment lang reagierte keine der beiden Gestalten, dann seufzte die größere und machte einen halben Schritt auf die Piraten zu.

„Wer hätte gedacht, dass wir uns so wiedersehen“, sprach er kühl, legte beide Hände an seine Kapuze und zog sie zurück, „Monkey D. Ruffy, zukünftiger König der Piraten. So war es doch, oder irre ich mich?“

Vor ihnen stand Falkenauge!

Die gelben Augen leuchteten gefährlich und ein undefinierbares Grinsen lag auf den dünnen Lippen.

„Falkenauge“, murmelte Robin eine Spur zu gelassen für Sanjis Geschmack, „Was macht einer der sieben Samurai hier?“

„Sie hat Recht!“, knurrte Sanji und zeigte mit dem Zeigefinger auf den unerwarteten Feind, „Was willst du von uns, Falkenauge!“

Der einschüchternde Blick lag plötzlich auf ihm und er merkte wie es ihm schwer fiel zu atmen. Dieser Mann hatte Zorro damals im East Blue mit nur einem Schlag besiegt. Wenn er kämpfen wollte, waren sie verloren.

„Du meine Güte, was für eine unhöfliche Begrüßung und das, nachdem wir euch sogar geholfen haben.“

Er grinste immer noch, während die Person neben ihm weiterhin schwieg.

„Wenn du wegen Zorro hier bist, kommst du zu spät!“, brüllte Sanji beinahe und stellte sich noch einen Schritt weiter vor die anderen, „Er ist tot.“

Seine Stimme klang deutlich stärker als er sich in Wahrheit fühlte.

Der Samurai verschränkte die Arme, kurz lagen seine Augen auf der Person an seiner Seite, dann sah er erneut den Koch an und wieder wurde ihm ganz kalt bei diesem Blick.

„Ich weiß, es fällt dir schwer das zu glauben, Schwarzfuß Sanji, aber ich bin doch tatsächlich in der Lage die Zeitung zu lesen.“

Irgendwie waren diese Worte äußerst bedrohlich, obwohl der andere immer noch grinste.

„Was willst du also?“, mischte sich nun Franky ein, dem offensichtlich nicht bewusst war, wie gefährlich der Mann mit den besonderen Augen war.

Der mächtige Pirat war ruhig für einen Moment und musterte sie alle eingehend, als würde er abschätzen, wie stark sie waren.

„Monkey D. Ruffy“, erhob er schließlich die Stimme.

Der Angesprochene neben Sanji hob kaum merklich den Kopf, sein Gesicht immer noch unter den Schatten seines Hutes verborgen.

„Ich wusste es!“, wurde der Samurai unerwarteter Weise von Lysop unterbrochen, der immer noch hinter Chopper stand, mit panischer Stimme.

„Erst schicken sie uns diesen Bartholomäus Bär und nachdem der versagt hatte, kommst du, um ihn zu holen!“

Sanji erstarrte.

Natürlich. Damals hatte Zorro den anderen Samurai aufhalten können in dem er sich für Ruffy geopfert hatte. Es war logisch, dass die Marine immer noch den Kopf ihre Kapitäns wollte, insbesondere jetzt, wo sie nicht nur Gecko Moria besiegt hatten, sondern auch noch die Zerstörung der G6 zu verantworten hatten.

Deswegen war Falkenauge hier! Um Ruffy zu holen.

„Nur über meine Leiche!“, knurrte Sanji.

Noch im selben Atemzug jagte er an seinem Kapitän vorbei und auf den Samurai zu.

Er würde Ruffy beschützen, so wie damals Zorro.

Das war jetzt seine Aufgabe!

Der Samurai bewegte sich keinen Millimeter sondern sah ihn einfach nur kühl an, doch plötzlich stand diese zierliche Gestalt zwischen ihnen, tauchte unter Sanjis zum Kick ausgestrecktem Bein hindurch und warf sich auf ihn.

Die Kapuze glitt zurück. Grünes Haar wehte durch die Luft.

Hart schlug der Koch auf dem Deck des Schiffes auf. Die eine Hand seines Gegners drückte ihm auf die Kehle, die andere schwebte nur wenige Handbreit über seiner Brust, bereit jederzeit anzugreifen.

Doch alles was er sah, waren diese tiefen, grünen Augen, die ihn anstarrten.

Eine junge Frau hockte über ihm. Ihr zurückgebundenes Haar fiel ihr über die Schulter auf seine Brust und sie atmete schwer so wie auch er.

Ihr Blick hatte etwas wildes, als wären zu viele Emotionen darin gefangen. Es war Sanji als würde vor ihm ein offenes Buch liegen, dessen Sprache er nicht lesen konnte.

Sie war wunderschön!

Sie wirkte jung, fast noch wie ein Mädchen, aber ihr Blick hatte etwas Reifes, etwas Ernstes, so wie Robin manchmal schaute. Geheimnisvoll und unerklärlich.

Niemand sagte ein Wort.

Dann jedoch stand sie elegant auf und warf ihre Haare zurück.

„Wirf dein Leben nicht leichtfertig weg“, sprach sie kalt aus und machte einen Schritt zurück.

Sanji fand ihre Stimme so sanft wie die eines Engels und gleichzeitig aber viel zu gefährlich, wie die eines Auftragsmörders. Die enganliegende schwarze Kleidung unter dem zurückgeworfenen Umhang zeigte einen durchtrainierten, schlanken Körper mit weiblichen Rundungen. Er konnte seinen Blick nicht von ihr nehmen.

Dieses Geschöpf war mit Sicherheit eine Göttin, machtvoll und grazil zugleich.

Und dann wurde ihm bewusst, dass es diese Frau gewesen war, die vor wenigen Minuten erst seinem Kapitän das Leben gerettet hatte. Wenn Lysop Recht hätte, hätte der Samurai ihnen nicht geholfen. Es wäre unnötig gewesen, die Marine hatte sie doch schon beinahe gehabt.

„Aber das ist doch Lady Loreen“, entkam es Nami hinter ihm, während er sich langsam aufrichtete.

„Wer?“, murmelte Lysop.

„Sag bloß, du hast noch nicht von ihr gehört? Sie ist eine Berühmtheit. Hast du noch nie in der Zeitung von ihr gelesen? Sie ist eine ehemalige Weltaristokratin, die aus Liebe ihren Status aufgegeben hat.“

„Was?“

Zu aller Überraschung war es eben genannte Berühmtheit, die etwas schockiert einen Schritt zurück trat.

Nun stand in ihrem Gesicht etwas anderes. Angst, Unsicherheit, Verzweiflung, Verwirrung.

Nami winkte lächelnd ab.

„Ach, machen Sie sich keine Sorgen wegen diesen Kulturbanausen. Ich habe alles über Sie gelesen und bin fasziniert von Ihrer Gabe wunderschöne Kleidung im bezahlbaren Rahmen zu finden. Ihr Stil ist wunderschön.“

„Sie sind wunderschön“, stimmte Sanji leise zu.

Die grünen Augen jagten zu ihm hinüber und die Frau machte noch einen Schritt zurück.

„Ich habe davon gelesen, dass Sie sich gegen die Sklaverei einsetzen möchten. Ich bewundere, wenn Menschen ihre Position dafür nutzen wollen Gutes zu tun.“

Die großen Augen legten sich auf Robin.

„Sie sieht total freundlich aus und sie hat Ruffy geholfen. Ich glaube, wir können ihr vertrauen.“ Sie sah Chopper an.

„Nein…“, flüsterte die Schönheit, „Nein.“

„Aber was willst du denn von uns?“, fragte nun Franky verwirrt.

Brook neben ihm starrte äußerst ruhig die Frau an, einen unlesbaren Gesichtsausdruck auf dem Totenschädel.

Plötzlich ging der bisher stumme Ruffy an Sanji vorbei und stellte sich vor die junge Frau die ihn unsicher ansah.

„Ruffy, was tust du da? Du machst ihr noch Angst“, murrte Franky und schob seine Sonnenbrille hoch. Der Kapitän hatte seiner Crew den Rücken zugewandt, während er einen Moment bewegungslos vor der Grünhaarigen stand.

Dann riss er sie an sich. Eine Hand an ihrem Hinterkopf, die andere um ihre Taille geschlungen.

Sanji konnte hören, wie der Schwarzhaarige etwas sagte, doch der Wind riss Ruffys Worte fort, ehe sie die anderen erreicht hatten.

Die Augen von Lady Loreen jedoch weiteten sich geschockt.

Dann ganz langsam wurden sie glasig.

„Ruffy“, flüsterte das Mädchen, „Ruffy!“

Und dann weinte sie. Krallte sich mit beiden Händen in die Weste des Schwarzhaarigen und vergrub ihr Gesicht in seiner Schulter.

Verwirrt sahen die Crewmitglieder einander an, während ihr Kapitän eine Fremde umarmte, die herzzerreißend weinte.

Im Hintergrund stand der Samurai mit verschränkten Armen und kühler Miene.

Woher kannte Ruffy diese Frau?

Wieso waren sie einander so vertraut?

Sanji spürte Namis fragenden Blick auf ihm, doch er zuckte nur ebenso unwissend mit den Achseln.

Warum tauchte der Samurai, der damals gegen Zorro gekämpft hatte, jetzt mit einer ehemaligen Tochter des Hochadels hier auf?

Was wollten die beiden von ihnen?

Einige Minuten hielten die beiden einander fest, ehe sich der Strohhut von dem Mädchen löste. Sie wich sich energisch die Tränen vom Gesicht.

„Das müssen wir feiern“, sagte Ruffy gewohnt mit starker Stimme und einem breiten, hörbaren Grinsen, „Sanji, mach den…“

„Warte!“ Lady Loreen hatte ihn unterbrochen und sah ihn eindringlich an.

„Ich muss mit dir reden“, bat sie den Kapitän der Strohhüte, „Allein.“

„Warte was?“, wandte nun Lysop ein, „Hör mal Kleine, egal was du zu sagen hast, das kannst du auch vor uns sagen.“

Der Samurai im Hintergrund machte einen Schritt nach vorne, doch es war Ruffy der mit einem leichten Lachen sprach.

„Okay, wie du willst.“ Er wandte sich um, von einem Ohr zum anderen grinsend.

„Ihr geht rein und wartet auf mich.“

„Einen Moment“, widersprach nun Sanji, „Ich lasse dich nicht alleine hier draußen mit dem da.“ Er nickte zu Falkenauge, dessen Augen seinem Blick nur zu leicht stand hielten.

„Ja, wir bleiben alle hier!“, meinte nun auch Chopper.

„Nein!“ Ruffys Stimme war ungewohnt ernst. „Wir sind nicht in Gefahr und das ist keine Bitte.“ Hart sah er sie an. Seine Augen wirkten unter der Hutkrempe gerötet und er ballte die Hände zu Fäusten.

„Ihr geht jetzt rein und schließt die Tür. Das ist ein Befehl“, sagte er mit einer Autorität, die nur ein Kapitän inne haben konnte.

Dann lag sein Blick auf Sanji, eindeutig, klar.

Er atmete tief durch.

„Aye Käpt’n.“

Dann drehte er sich um und schritt vorneweg in den Speiseraum.
 

-Mihawk-

Seitdem er auf dem Schiff angekommen war, war seine Stimmung unterirdisch.

Es war eine Sache, das Sargboot an der Thousand Sunny zu befestigen. Es war eine Sache, den Crewmitgliedern seines Wildfangs zu helfen. Es war eine Sache, nicht in den Kampf seines Schülers einzugreifen.

Aber das hier war etwas ganz anderes.

Lorenor an seiner Seite war zu einer Salzsäule erstarrt, nachdem er ihn auf seinen eigenen zwei Beinen abgesetzt hatte.

Sie hatten abgesprochen, dass der Pirat mit seiner Crew reden würde, er war nur hier, um auf ihn aufzupassen, mehr nicht.

Aber es grenzte wirklich an Selbstbestrafung für ihn. Hier zu sein und zuzusehen, wie der andere ihn verlassen würde.

Er sollte sich für Lorenor freuen, endlich war er bei seiner Familie. Er brauchte ihn nicht mehr, aber am liebsten wollte er den anderen packen und abhauen.

Irgendwann hatte die Chaos-Crew wieder bemerkt, dass sie nicht alleine waren, doch immer noch hatte Lorenor geschwiegen, seine Aura ein pures Meer aus Sehnsucht und Verzweiflung.

Er hatte gesprochen. Es war nicht so abgesprochen gewesen und doch hatte Dulacre gesprochen, so war es nicht geplant gewesen, aber er hatte gesprochen.

Er wusste nicht, was der Auslöser gewesen war. Eigentlich wusste er es schon, aber es war lächerlich, dass der Blondschopf der Crew sich so leicht zu einem sinnlosen Angriff hinreißen ließ.

Er hatte mit so einem Verhalten allerdings gerechnet, sowie er auch damit gerechnet hatte, dass seine Begleitung sich darum kümmern würde.

In diesem Moment war Lorenor wieder erwacht. Er war wieder er gewesen, gute Reaktion, kalte Worte, Herr der Lage.

Bis dann seine Crew angefangen hatte zu reden. Hilflos hatte er mit ansehen müssen, wie sein Wildfang vor seiner eigenen Familie zurückgewichen war.

Es tat weh, den anderen so leiden zu sehen.

Und dann hatte der junge Kapitän sein verlorenes Crewmitglied umarmt.

„Danke.“

Ruhig war dieses Wort gewesen, ehe das verzauberte Mädchen angefangen hatte zu weinen.

Doch auch der Strohhut hatte geweint, leise Tränen waren sein Gesicht hinuntergeglitten, für alle ungesehen außer für ihn, Dulacre.

Jetzt war es an der Zeit für ihn loszulassen. Sein Wildfang war Zuhause.

Doch dann hatte Lorenor um eine Privataudienz gebeten, die ihm gewährt wurde.

Damit hatte er nicht gerechnet. Warum sollte Lorenor nur mit seinem Kapitän sprechen wollen. Er war der Typ Mensch, der es lieber einmal laut für alle aussprach und dann, ohne auf irgendwelche Fragen einzugehen, das Thema fallen lassen würde.

Dulacre hatte sich wieder zurück genommen und entschied als Zuschauer zu verharren.

„Also“, grinste der Junge vor ihm zu seiner Begleitung hinab.

Erneut schwieg der Grünhaarige und biss sich auf die Unterlippe.

Er wich dem Blick seines Kapitäns aus.

„Was ist denn nun?“, fragte der Schwarzhaarige mit großen Augen und kratzte sich am Kinn.

Lorenor holte tief Luft.

„Dein Schwertkämpfer lebt!“, sprach er eine Spur zu laut, „I… Zorro lebt! Aber er kann noch nicht wieder zurückkommen.“

Der Gesichtsausdruck des Kapitäns wurde ernst.

„Dein Schwertkämpfer ist noch zu schwach. Er ist noch nicht wieder der alte. Aber wenn du warten kannst, wenn du bereit bist zu warten, dann wird er wieder kommen, dann wird er Nachhause kommen. Das musst du mir glauben. Das ist ein Versprechen!“

Geschockt starrte nun Dulacre zu dem anderen hinab.

Was war das? Was hatte er gerade gesagt?

Wieso? Wieso tat er das?

Der Junge mit dem Strohhut sagte zunächst nichts. Dann wandte er sich um und ging.

„Warte hier“, sagte er erneut mit dieser seltsam ruhigen Stimme und verschwand in den Speisesaal.
 

-Sanji-

Er lehnte gegen die Tür und sah durch das Bullauge hinaus, immer wieder an seiner Zigarette ziehend.

Von seinem Blickwinkel aus konnte er die drei verbliebenden Menschen draußen sehen, mehr jedoch auch nicht.

In seinem Rücken unterhielten sich die anderen aufgebracht über das eben geschehene.

Nicht nur einmal fiel der Name ihres Schwertkämpfers.

„Hast du die Haarfarbe gesehen. Sie müssen verwandt sein.“

„Aber die Haarfarbe ist nur ein kleines Fragment der Genetik. Zorro und sie haben ansonsten nichts gemeinsam.“

„Sie ist Schwertkämpferin.“

Sanji blendete ihre Worte aus. Das war jetzt egal. Sie konnten später noch herausfinden, was dieses Mädchen und ihre gefährliche Begleitung wollten und ob es vielleicht wirklich eine Verbindung zum Marimo gab. Jetzt musste er einfach nur dafür sorgen, dass nichts Schlimmes passierte.

Plötzlich hörte er Robin im Hintergrund scharf aufatmen, sie hatte sich bisher nicht an dem Gespräch der anderen beteiligt und saß in der hintersten Ecke des Raums mit verschränkten Armen.

Aus den Augenwinkel konnte Sanji sehen, wie sie anfing zu zittern.

Es bereitete ihm Sorgen, am liebsten wäre er sofort zu ihr gerannt, aber er hatte nun auch noch eine andere Pflicht. Außerdem saß Brook neben ihr, der jedoch selbst nicht minder erschüttert wirkte.

Plötzlich wurde die Tür vor ihm aufgerissen und Ruffy stürmte hinein.

Die Unterhaltung im Hintergrund erstarb.

„Und?“

„Was ist denn los?“

„Was will sie?“

„Ist alles okay?“

Sie alle sprachen durcheinander, doch ihr Kapitän ging nur eilig durch den Raum.

Ohne auch nur ein Wort zu sagen, zog er die drei Schwerter zwischen Teleschnecke und Sofa hervor und ging wieder Richtung Tür.

„Was willst du denn damit?“

„Hey, das sind Zorros Schwerter?“

„Was wird das?“

Ohne zu wissen was er tat, stellte sich Sanji breitbeinig vor die Tür.

„Ruffy“, sagte er kühl, „Was hast du mit Zorros Schwertern vor.“

Der Gummijunge sah auf. Er grinste von einem Ohr zum anderen.

„Ich gebe sie den beiden mit.“

„Was?!“

„Ja, Zorro kann noch nicht zurückkommen, aber wenn er soweit ist, dann wird er seine Schwerter brauchen.“

„Was redest du da?!“, brüllte Sanji, „Ich weiß, dass es nicht in deinen hohlen Schädel rein will, aber Zorro ist tot! Er wird nicht wieder kommen! Es ist vorbei! Und mit Sicherheit wollten die beiden nur an seine Schwerter kommen!“

„Sanji.“ Ruffys Stimme klang warm und weich.

„Ich weiß, dass ihr alle glaubt, dass Zorro tot ist.“ Noch nie hatte er es wirklich angesprochen.

„Ihr habt es mit eigenen Augen gesehen, also ist nur logisch, dass ihr das glaubt.“

Er grinste immer noch.

„Aber Zorro lebt. Er hat die ganze Zeit gelebt und er wird zurückkommen.“

Sanji schüttelte den Kopf.

„Wie kannst du das noch immer glauben, Ruffy?“

Der andere grinste ihn an und legte eine Hand auf seine Schulter.

„Ich weiß es, Sanji. Nicht mal gegen den Tod würde Zorro verlieren, bevor er der beste Schwertkämpfer der Welt ist. Wir haben es einander versprochen.“

Und dann ging er einfach grinsend an dem perplexen Sanji vorbei, hinaus zu dem Samurai und dessen schöner Begleitung.

„Das kann doch gar nicht sein“, flüsterte der Koch hilflos.

„Robin?“

Sanji sah auf, als der kleine Schiffsarzt die Archäologin ansprach.

Sie war immer noch in ihrer Ecke, nun jedoch umklammerte sie sich verzweifelt selbst und Tränen rannen ihr Gesicht hinab.

„Er hat Recht“, flüsterte sie heiser und sah ihre Freunde an, „Er ist... Zorro lebt.“

Weinend sank sie auf ihre Knie.

Kopfschüttelnd nahm Sanji einen Zug seiner längst vergessenen Zigarette. Dieses Thema hatten sie doch schon vor Tagen entschieden, oder etwa nicht?

„Was denkst du Brook?“, fragte er verzweifelt, „Das ist doch Wahnsinn, oder?“

Doch das Skelett sah ihn nicht an.

„Was sagt dir dein Gefühl, Sanji?“ Seine Stimme hatte etwas Wissendes, als hätte er bereits das größte Geheimnis gelüftet. Der Musikant war aufgestanden und goss sich eine Tasse Tee ein.

„Ich glaube, wir sollten in dieser Welt nichts für unmöglich erklären.“

Verzweifelt wandte Sanji den Blick ab.

Sie hatten das schon mal besprochen, diese Hoffnung, diese Verzweiflung, diesen Wahnsinn. Seit einem Monat hatten sie immer wieder zwischen Trauer und Glaube gewankt. Er konnte das nicht mehr. Er wollte doch einfach nur die Wahrheit wissen.

„Zorro lebt“, flüsterte Brook.

War das die Wahrheit?
 

-Mihawk-

Er sagte nichts, als der Strohhut ging.

Er sagte nichts, als der andere mühsam versuchte seinen schnellen Atem zu beruhigen.

Er sagte nichts, als der Strohhut wieder kam und seinem Wildfang die drei Schwerter in die Hand drückte.

„Sie vermissen mit Sicherheit ihren Meister“, lachte der Schwarzhaarige unbeschwert, während Lorenor die Schwerter in den Arm nahm, als wären sie sein wertvollster Besitz.

„Danke“, flüsterte er ehrfürchtig.

„Kein Problem.“ Ruffy grinste immer noch unbeschwert.

„Und keine Sorge. Ich werde warten. Wir alle werden warten. Egal wie lange es dauert und egal aus welchen Gründen.“

Lorenor nickte, unfähig den anderen anzusehen.

Dann drehte er sich herum und sah Dulacre an.

„Lass uns gehen“, sagte er leise ehe er an ihm vorbei ging.

Der Samurai blieb stehen und betrachtete diesen Jungen vor ihm, der ihn angrinste.

„Danke, Falkenauge.“ Es war so ehrlich. „Danke, dass du auf Zorro aufpasst.“

Er schüttelte den Kopf und wandte sich ebenfalls ab.

„Versteh das nicht falsch, Strohhut. Wir sind keine Verbündete. Das nächste Mal, wenn wir uns gegenüber stehen, könnten wir genauso gut Feinde sein.“

Der Strohhut lachte.

„Aber du bist doch Zorros Freund oder?“

Verwirrt über diese seltsame Frage sah er den Jungen an.

„Ja“, antwortete er wahrheitsgemäß.

„Dann sind wir auch Freunde!“, grinste der Strohhut und streckte ihm ein Daumen-hoch entgegen.

Seufzend ging Falkenauge seinem Wildfang zur Reling hinterher und half ihm hinab auf das Sargboot.

Keiner von ihnen sagte etwas, während sich der Jüngere auf dem Thron niederließ.

Dulacre löste das Tau mit dem sein Boot am Piratenschiff befestigt war.

Beinahe augenblicklich verlor ihr Gefährt an Geschwindigkeit und innerhalb von wenigen Sekunden hatte sich die Thousand Sunny schon einige Meter von ihnen entfernt.

Vom Schiff konnte man Stimmen hören. Laute, verwirrte, traurige, glückliche, wütende, fröhliche.

Irgendwann tauchte eine einzelne Person am Heck des Schiffes auf und riss eine Faust in die Höhe.

Der Samurai konnte sehen, wie das Kind neben ihm hinauf starrte, einen undefinierbaren Ausdruck in diesen tiefen, grünen Augen.

Das Schiff wurde immer kleiner und irgendwann war es in der Dunkelheit der Nacht verschluckt und immer noch sagte Lorenor kein Wort, immer noch schwieg er.

Er stand neben ihm und wusste nicht was er tun sollte. Er hatte damit nicht gerechnet.

Er hatte keine Strategie dafür.

Und dann plötzlich, ganz unerwartet, schluchzte das Mädchen laut auf und erneut rannen Tränen dieses Gesicht hinunter.

Dulacre sah zu dem leidenden, weinenden Kind hinab. Nicht sicher, was er tun konnte, ob er überhaupt was tun sollte.

„Noch können wir hinterher“, sagte er schließlich, obwohl es ihn zerriss.

„Nein“, krächzte der andere, „Auf keinen Fall.“

Er sah zu dem anderen hinab.

„Dulacre?“, flüsterte dieser, während sein schmächtiger Körper sich vor Weinen schüttelte.

„Lorenor.“

„Kann ich noch etwas bei dir bleiben? Kannst du mich noch etwas trainieren?“

Die Stimme des anderen brach unter Tränen.

Der Samurai hielt den Atem an.

„Natürlich, wenn es das ist, was du möchtest.“

Er beugte sich hinab und küsste den anderen auf die Stirn.

„Solange du willst.“

Ihre Blicke trafen sich, sagten so viel, was Worte nicht ausdrücken konnten und Dulacre konnte spüren, wie er dankbar war, glücklich war, dass der andere ihn nicht verlassen hatte.

Er schlug in die Hände, sich bewusst, dass es hier nicht um ihn ging.

„Dann sollten wir uns jetzt aufmachen. Ich hab schließlich eine Konferenz, an der ich teilnehmen muss.“

Still glitt das Sargboot übers Wasser.

Mit der Zeit hatte sich der Jüngere beruhigt und einfach nur noch geradeaus gestarrt.

„Kannst du mir sagen, warum?“, fragte der Ältere schließlich, „Warum bist du nicht zurückgekehrt?“

Lorenor sah ihn an, in seinen Augen schien sich alles widerzuspiegeln, was er bisher erlebt hatte.

„Ich wollte zurück. Ich dachte, ich könnte schon zu ihnen zurück. Aber es wäre falsch gewesen“, antworte er schlicht, „Ich bin noch nicht soweit. Ich bin noch nicht der, der ich sein will und sie sind noch nicht bereit, meine Last mitzutragen.“

Dulacre nickte, ohne darauf einzugehen. Er verstand den anderen nur zu gut.

„Nun gut, möchtest du mich nach Mary Joa begleiten?“

Die grünen Augen sahen ihn an.

„Geht das denn überhaupt?“

Er zuckte mit den Achseln.

„Wir werden sehen, aber dann hätten wir noch genug Zeit um über ein paar Dinge zu reden.“

Lorenor legte verwirrt den Kopf schief.

„Was meinst du speziell?“

„Nun ja“, verlegen fuhr Dulacre sich über den Nacken, „Es könnte sein, dass ich dir ein paar Dinge verschwiegen habe, da ich davon ausging, dass Lady Loreen demnächst Geschichte wäre.“

Der Pirat seufzte.

„Dulacre! Was hast du mir nicht gesagt?“

„Dazu kommen wir später, vorher müssen wir noch mit Kanan in Kontakt treten.“

„Und wieso das denn nun?“

„Die Werte Lady Loreen kann doch nicht gekleidet wie eine Auftragsmörderin im Marinehauptquartier auftauchen. Außerdem wird Kanan mich eigenhändig umbringen, wenn ich sie nicht über die neusten Ereignisse auf dem Laufenden halte.“

Beide lachten sie leise.

„Na dann, auf nach Mary Joa.“

Kapitel 33 - Der Traum

Kapitel 33 – Der Traum

 

Es fiel ihm schwer zu atmen. Hinter sich konnte er Schreie hören. Sterbende Menschen. Ja, er war ein Monster geworden. Er bereute es nicht, während er den Arm in den Himmel stieß, als Zeichen des Sieges, der Hoffnung, der Freundschaft. Um seine Freunde zu beschützen würde er alles tun, denn dies war seine Aufgabe als Crewmitglied.

Er wusste, dass er vielen guten, vielen unschuldigen Menschen gerade das Leben genommen hatte, wusste wie viel Leid es so vielen weiteren noch bereiten würde.

Er meinte die Schreie seiner Freunde zu hören, aber vielleicht war das auch nur Einbildung.

Die Flammen leckten an seinen Schuhsohlen, umarmten seine Taille. Ein nie gefühlter Schmerz durchdrang seinen Körper, doch schreien konnte er nicht da die Hitze sich ihren Weg in seine Kehle bahnte, als plötzlich der Boden unter ihm nachgab.

Den Aufprall auf dem Boden merkte er nicht mehr, seine eigenen Schreie und seine brennende Haut spürte er nicht mehr, die schmelzenden Ohrringe und das glühende Haar nahm er nicht mehr wahr.

Vor seinem inneren Auge sah er die Dinge, die ihm wichtig gewesen waren. Kein Gott konnte ihm gnädig sein, er würde nie in Frieden ruhen, aber das war egal.  Er hatte nie um Schutz gebeten, nie um Milde. Er wusste, dass er alles ertragen konnte, alles aushalten konnte, das war sein Weg gewesen. Aber sie lebten, das war alles was zählte.

Ach, was wäre gewesen, wenn…
 

Langsam kam er zu sich. Wie nach einem endlosen Schlaf. Die Welt war dunkel. Es war, als würde er im völligen Nichts dahintreiben. War das der Tod?

Wenn ja, war es nicht so schlimm, wie er erwartet hatte. Wo war das Feuer? Wo waren die Höllenqualen, die einen wie ihn nur sehnsüchtig erwarten würden?

Ein Glück glaubte er nicht an diesen Schwachsinn.

Aber da war nichts. Doch vielleicht war genau das die schlimmste Strafe, die es gab.

Während er sich umsah, obwohl es nichts zu sehen gab, stellte er beinahe amüsiert fest, dass selbst er nicht wirklich da war. Da waren keine Arme, keine Beine, kein Körper.

Er versuchte zu sprechen, aber da war kein Mund, keine Stimme, die reden konnte.

Ganz super. Er war also nicht mehr, als seine eigenen Gedanken. Das war ja fast so schlimm, wie über eine Woche mit dem Koch in irgendeiner Zelle zu vergammeln, denn seine eigenen wirren Hirngespinste gaben nicht einen Moment Ruhe.

Er war also nun wirklich tot?

Wenn man das bedachte, fühlte er sich doch relativ lebendig, wenn man mal von der Sache absah, dass er keinen Körper hatte und gestorben war. Aber die anderen hatten überlebt, hoffentlich. Das war das einzige, was für ihn zählte.

Nun ja, er hatte eigentlich nicht sterben wollen, nicht jetzt schon, nicht bevor er sein Versprechen wahr machen konnte, aber er hatte keine Wahl gehabt.

Er würde es wieder tun! Sofort! Ohne einen Moment des Zweifelns, ohne einen Moment des Zögerns würde er sein eigenes Herz heraus reißen, wenn das nötig wäre, um seinen Kapitän, seinen Freund zu beschützen und wenn es den anderen helfen würde, dann umso besser.

Es war nun mal seine Art, sein Wesen. Er war dafür geboren worden, diesen Jungen mit seinem Leben zu beschützen, dessen war er sich mittlerweile bewusst. Nur dafür war er wohl am Leben gewesen.

Und auch wenn ihn das unglaublich stolz machte, dass er der eine Auserwählte gewesen war, der die Macht und das Privileg gehabt hatte, den zukünftigen König der Piraten zu beschützen, so war da etwas, tief in seinem Herzen, das trauerte.

Etwas tief in seinem Herzen trauerte?

Schlechter Scherz für jemanden, der nicht mehr existierte und dadurch auch keinen Körper hatte. Hätte beinahe von Brook kommen können.

Natürlich würde er es wieder tun. Natürlich würde er seine Freunde beschützen, mit allem, was er hatte und noch mehr, wenn es sein musste, schließlich war er ein stolzer Krieger, ein ehrbarer Mann. Nie würde er aufgeben.

Aber tief verborgen, unter den Schichten eines Schwertkämpfers, eines Piraten, eines Piratenjägers, war da dieser kleine Junge, der weinte.

Er war gestorben, gestorben bevor er seinen Traum verwirklicht hatte, bevor er all diese Dinge erlebt hatte, bevor er seinen Freunden dabei hatte zusehen können, wie sie ihre Träume verwirklichen.

Er hatte nicht sterben wollen!

Er wollte leben! Er wollte all das erleben, all das fühlen.

Bevor er gegen Falkenauge gekämpft hatte, hatte er bereits mit seinem Leben abgeschlossen. Nach dem Kampf hatte er aber entschieden, dass nichts ihn töten dürfte, bis er seinen Traum erreichen würde. Er hatte Unmögliches geschafft, alleine deswegen. Aber dann, dann hatte er gesehen, dass es Wertvolleres gab, als sein Leben. Er hatte gesehen, dass die Person die er war, einem anderen Zweck dienlich sein musste.

Wenn er nicht der wäre, der er nun mal war. Wenn nicht er derjenige wäre, der alle anderen beschützen wollte, dann würde er jetzt vielleicht noch leben.

Wenn er egoistisch wäre und nur sich selbst gerettet hätte, dann wäre er jetzt noch am Leben, beladen von Schuld und Selbsthass, aber am Leben. Immer noch in der Lage seinen Traum zu verwirklichen.

Wenn er schwach wäre und nicht in der Lage gewesen wäre andere zu beschützen, dann hätte ein anderer die Verantwortung getragen, vielleicht auch um ihn zu retten, dann wäre er zwar schwach und ohne jegliche Selbstachtung, aber er wäre am Leben. Immer noch in der Lage Träume zu haben.

Wenn er nur einmal an sich gedacht hätte, hätte er vielleicht nicht alle retten können, aber er wäre am Leben gewesen, er hätte überlebt.

Was für lächerliche Gedanken. Gedanken für die er sich hasste, alleine weil er sie hatte.

Nie im Leben hätte er so handeln können, nie im Leben hätten solche Gedanken ihn erreicht, als er noch am Leben war. Nie hätte er zugelassen, dass auch nur einer seiner Freunde für seinen Egoismus hätte leiden müssen.

Und genau das war der Grund, warum er jetzt tot war.

Aber vielleicht hätten sie es verhindern können, dachte er leise. Nicht er, er hatte genauso handeln müssen, wie er es getan hatte. Aber vielleicht, nur vielleicht, hätten seine Freunde eine Möglichkeit gesehen ihn zu retten. Wenn er nur nicht zu stolz gewesen wäre, sie um Hilfe zu bitten. Sein Stolz hatte ihm verboten, ihnen auch nur einen Hauch seiner Last aufzubürden, weil er sie nicht belasten wollte, gefährden wollte. Aber auch, um sich und aller Welt zu beweisen, dass er alles alleine schaffen konnte.

Aber war es nicht genau das, worum es bei Freundschaft ging, fragte er sich traurig. Ging es bei Freundschaft nicht genau darum, dass man, obwohl man etwas alleine schaffen könnte, es nicht alleine schaffen musste?

Wie dumm er doch gewesen war, dass er dieses einfache Prinzip erst jetzt verstand, jetzt wo es zu spät war.

„Ist es denn schon zu spät?“

Überrascht wandte er sich um, als er eine unbekannte Stimme hörte. Und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er wieder einen Körper hatte, seinen Körper. Wie auf festem Boden stand er im grenzenlosen Nichts.

„Wer ist da?“, fragte er in die Leere.

„Du bist wirklich nicht der hellste Stern am Firmament, nicht wahr? Allerdings scheinst du ein Wanderer zu sein. Deine Seele ist viel zu alt für die kurze Lebensspanne, die dein Körper durchgehalten hat.“

Die Antwort, die er erhielt, war absolut nichtssagend für ihn. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob er gerade beleidigt wurde.

„Noch einmal, wer bist du und wo sind wir?“, hakte er deutlich kühler nach und ging in Kampfposition. Er ärgerte sich darüber, dass er seine Schwerter nicht dabei hatte, auf der anderen Seite war er tot und er hatte keine Ahnung, wie er so an sie drankommen sollte.

„Oh nein, du bist noch nicht tot, Wanderer. Noch nicht.“

Er wusste nicht, was ihn mehr irritierte: Dass die körperlose Stimme seine Gedanken gelesen hatte oder dass sie ihm sagte, dass er noch nicht gestorben war?

Aber wie konnte das sein? Er hatte es selbst mitbekommen, die Flammen, die Hitze, den Rauch. Hatte gefühlt, wie sein Körper brannte, beinahe schmolz. Es war unmöglich, dass er überlebt haben konnte.

„Mir scheint, dir ist nicht bewusst, dass die Zerstörung der organischen Hülle nicht zugleich den Exitus deiner Seele bedeutet.“

„Was?“ Wieder verstand er kein Wort.

„Gedulde dich, Wanderer. Meine Aufgabe ist, dir alles zu erklären und dir bei deiner Entscheidung beizustehen.“

Entscheidung? Was konnte er schon entscheiden? Er war tot.

Aus dem Nichts tauchten vor ihm drei leere Tore auf, um sie herum weiterhin Dunkelheit.

Nun gut, er glaubte eine leise Ahnung zu haben, um was es sich hier handelte. Er würde vermutlich irgendeine Prüfung bestehen müssen.

„Mitnichten. Aber zuerst möchte ich dir erklären, dass dein Scheiden aus der weltlichen Sphäre nicht direkt deinen unabdingbaren Tod bedeutet.“

„Wie meinst du das?“, fragte er die körperlose Stimme, „Wie kann ich nicht tot sein?“

„Ich will es dir zeigen.“

Und plötzlich lag da etwas zwischen Zorro und den Toren, das ihm die Sprache raubte.

Dort vor ihm lag sein Leichnam.

Es war ein seltsames Gefühl. Es war nicht die erste Leiche die er sah, noch nicht einmal die erste Brandleiche und sein rational denkender Teil war gerade unglaublich dankbar, dass er, warum auch immer, nichts riechen konnte.

Woher er genau wusste, dass er es war, konnte er nicht sagen, denn dieser Körper hatte nichts mehr mit ihm gemein. Die Leiche war verkohlt und verbrannt, die Haut hatte sich komplett aufgelöst, die Muskeln waren zusammengeschrumpft. Die verwundete Seite war aufgeplatzt und hatte den halben Torso weggesprengt. Der rechte Arm sowie beide Füße fehlten, vermutlich beim Sturz zerstört.

Der Schädel war hinten aufgeplatzt, Augenlider und Lippen waren verbrannt, hinterließen das nasenlose Wesen in einem qualvollen Schrei mit aufgerissenen Augen, die Zähne ironischer Weise noch voll intakt, doch beinahe schwarz vom Ruß.

Dieses etwas war er selbst. Dies war sein Körper. Dies war das, was von ihm übrig geblieben war, nachdem er sich aufgegeben hatte, nachdem er gestorben war.

Ihm wurde schlecht.

„Ich bitte dich, mir zuzuhören. Wie gesagt, du bist nicht tot. Dies hier sind lediglich die Überreste deiner organischen Hülle.“

Doch er ignorierte die Worte, viel zu sehr schockte ihn das grauenhafte Opfer vor seinen Augen.

Er war tot!

Etwas in ihm schrie und er stolperte rückwärts, fort von diesem grauenhaften Monster, das Beweis und Strafe seiner Taten war. Strafe dafür, dass er nicht vertrauen konnte, zu stolz gewesen war.

„Sieh mich an, Lorenor Zorro. Dein toter Körper wird schon nicht davon laufen.“

Ein leises Lachen hallte durch das All aus Nichts.

Zorro hob den Kopf. Ihm gegenüber, neben den drei raumlosen Toren, stand eine Frau. Sie war komplett weiß, selbst ihre Augen waren weiß und die Konturen ihres Körpers schienen unscharf, als würden sie immer wieder verlaufen, als wäre ihr Körper nicht aus einer festen Materie.

Augenblicklich griff er erneut nach seinen Schwertern, die natürlich nicht da waren. Er hatte sie in diese verfluchte Tasche getan. Außerdem war er tot, wie ihm wieder mal bewusst wurde, da konnte er schlecht seine Schwerter mitnehmen.

Wieder lachte die Frau, doch ihre Lippen bewegten sich nicht.

„Ich bin nicht dein Feind, Lorenor Zorro.“

„Was bist du?“, fragte er angespannt, immer noch zum Kampf bereit.

Doch wieder lachte die Frau, es wirkte komisch, angestrengt, wie jemand, der nicht wusste, wie er sich verhalten soll.

„Diese Frage dir zu beantworten, Lorenor Zorro, würde das, was dein Verstand greifen kann, bei weitem übersteigen. Deswegen lass mich dir sagen, dass deine Vorfahren uns tausende Namen gaben und sie alle sind sowohl falsch als auch richtig.“

„Das war jetzt nicht besonders hilfreich“, murrte er, ohne seine Anspannung zu lösen, „Wo sind wir?“

„Das ist wieder eine Frage, deren Antwort du nicht bereit bist zu erfahren. Denn, Lorenor Zorro, wir sind und sind auch nicht, und wenn etwas nicht ist, kann es nirgends nirgendwo sein.“

„Ich verstehe kein Wort“, meinte er nur.

„Dann lass es mich dir so simpel wie nur irgend möglich erklären“, sagte die Frau, weiterhin ohne ihre Lippen zu bewegen.

„Zu deinem einfachen Verständnis, sei dir gesagt, dass für das Gebilde, welches ihr Menschen ein lebendiges Wesen nennt, drei Dinge notwendig sind. Das eine ist ein Geist, oder auch der Verstand, wenn du so magst, welcher ausmacht was und wer du bist. Jeder Geist hat eine Seele, dies ist die Fähigkeit, die ihr benötigt, um in der irdischen Welt zu verharren. Je älter die Seele, desto stärker deren Macht. Deine zum Beispiel gehört noch zu den ursprünglichen Seelen, ein äußerst seltenes Exemplar. Das letzte was ihr benötigt um eine weltliche Existenz zu sein, ist eine organische Hülle, so wie dein menschlicher Körper, der hier vor uns liegt. Verstehst du mich soweit?“

Langsam nickte er. Er hatte nicht erwartet, dass die Hölle eine Lernanstalt sein würde.

„Diese Hülle ist nicht beständig, sie vergeht, das ist das, was ihr in Zeit berechnet. Durch ihre zerbrechliche Gegebenheit limitiert sie sowohl den Geist, der in ihr aufbewahrt wird, als auch die Fähigkeit der Seele in der irdischen Welt zu verbleiben. Je schwächer die Hülle wird, desto schwieriger wird es für die Seele. Dadurch, dass deine bereits so alt ist, kannst du die Haltbarkeit deiner Hülle fast alleine durch deine reine Willenskraft maßgeblich verlängern, aber ab einem gewissen Punkt ist die Hülle zerstört und die Seele und Geist verlassen die körperliche Welt.“

„Und landen hier“, führte Zorro ihren Satz fort.

Die Frau nickte: „Obwohl es sich hierbei natürlich nicht um einen physischen Ort im eigentlichen Sinne handelt. Tatsächlich wäre es treffender zu sagen, dass alles hier nichts anderes ist als Gedanken. Den Körper den du meinst innezuhaben, ist in Wahrheit nicht mehr als eine Illusion deines Geistes, da du an eine organische Gestalt von dir gewöhnt bist. Ich hingegen besitze keine Seele und habe meinen Verstand noch nie durch eine Hülle eingrenzen müssen. Du wirst dementsprechend entschuldigen müssen, dass meine Vorstellung eines Körpers sehr ungenau ist.“

Zorros Kopf drehte. Das war alles etwas viel für ihn. Gerade erst hatte er seinen Leichnam vor sich sehen und sich mit seinem Tod auseinandersetzen müssen, beziehungsweise seinen körperlichen Tod, wenn er der weißen Frau glauben sollte und nun erzählte sie ihm so komische Dinge.

„Warum sagst du mir das alles? Was soll ich denn hier? Und was tust du hier?“

„Ich bin ein Seelenwächter. Meine Aufgabe ist es, dir deine Möglichkeiten offen zu legen, jetzt, da deine körperliche Hülle vergangen ist, und für den Fall, dass du es möchtest, werde ich dir deine Seele abnehmen, damit du weiterziehen kannst.“

„Wie bitte, was?“

„Lorenor Zorro, wir befinden uns zurzeit in einer Dimension, die weder existiert noch nicht existiert. In einem nicht bestehenden Zwischenstadium zwischen dem, was ihr Menschen Tod und Leben nennt. Dein Körper ist vergangen, aber sowohl Geist als auch Seele existieren noch und sind immer noch miteinander verbunden. Es liegt jetzt an dir, was geschehen soll.“

Er sah sie an, unsicher was er davon halten sollte, doch sie sprach einfach weiter.

„Vor dir liegen drei Tore, Lorenor Zorro. Sie stehen für die drei Wege, die du gehen könnest.“

Nun sah er die drei offenen Löcher an, die hinter seinem verkohlten Kadaver im Nichts standen.

„Die erste Möglichkeit ist der Weg der Reinkarnation.“

Das Tor zu Zorros linken wurde allmählich erfüllt von einem warmen, gedämpften roten Licht und ein Herzschlag war laut zu hören.

„Wenn du diesen Weg wählst, wird dein Geist in diese neu erschaffene Hülle fahren und du wirst ein neues irdisches Leben beginnen. Deine Seele erhält neue Kraft, um sich festzuhalten. Natürlich wirst du durch die Begrenztheit deiner Hülle alles Bisherige vergessen.“

Es wurde ihm bewusst, er blickte in einen Mutterleib, dort entstand gerade ein neues Leben.

„Du kannst dich auch für den zweiten Weg entscheiden. Für das Weitergehen.“

Das mittlere Tor zeigte ihm plötzlich sein Ebenbild, als wäre es ein Spiegel.

„Wenn du diese Möglichkeit wählen möchtest, brauchst du deine Seele nicht mehr und dementsprechend würde ich sie dir abnehmen, um daraus neue Seelen herzustellen.“

Zorro sah sie nicht an, sondern blickte in den Spiegel.

„Und was passiert, wenn ich da hindurch gehe?“, fragte er.

„Das wissen wir nicht“, antwortete das seltsame Wesen, „Es ist uns nicht möglich, auf die andere Seite zu gehen und kein Geist der hindurch ging, kam je wieder. Was natürlich mangels Seele auch nicht möglich wäre.“

Das sollte es also sein? Wiedergeburt und alles vergessen, was ihn, Lorenor Zorro ausmachte, oder weitergehen in etwas Ungewisses ohne die Möglichkeit je wieder zurück zu kehren?

Er schüttelte den Kopf. Das wollte er nicht! Diese beiden Möglichkeiten waren keine Option für ihn.

Er musste zu seiner Crew.

Aber was, wenn das nicht mehr möglich war?

„Dies sind normalerweise die beiden Möglichkeiten, die einer der deinen hat, wenn er seine körperliche Hülle verlässt. Du gehörst jedoch zu denjenigen welchen, denen eine dritte Option obliegt.“ Das dritte Tor blieb dunkel. Sie sprach ungehindert weiter. „Die meisten Menschen haben nach ihrem irdischen Tod einen der zwei Gedanken. Entweder sie hängen noch am Leben oder eben nicht. Doch dann gibt es noch diese, die zwar den Tod nicht bereuen, aber etwas anderes in ihrem Leben. Etwas, was sie getan haben und das sie, obwohl sie es bereuen, sofort wieder tun würden. Du gehörst zu diesen Menschen, nicht wahr?“

Ernst sah er sie an.

„Ich bin freiwillig gestorben. Ich bereue nicht, dass ich gestorben bin.“

Sie lachte erneut dieses seltsame Lachen.

„Das war nicht die Antwort auf meine Frage. Ich habe dich gefragt, ob du bereust, was du getan hast.“

Lange hatte er sich ihr abgewandt und betrachtete das Nichts hinter sich.

„Ich wollte nie so viele Menschen umbringen, aber ich bereue es nicht. Ich bereue nicht, meinen Freunden das Leben gerettet zu haben.“

Sie sagte nichts, doch Zorro wusste genau, was sie dachte.

„Aber ich bereue“, flüsterte er, „Ich bereue, dass ich meinen Traum aufgegeben habe, dass ich mich aufgegeben habe. Ich bereue nicht, dass ich was getan habe, sondern dass ich zu stolz war, um etwas nicht zu tun. Dass ich zu stolz war, um die anderen um Hilfe zu bitten. Dass ich ihnen nicht zugetraut habe, mich zu retten.“

Sie nickte: „Und darum gehörst du zu denjenigen, denen ein dritter Weg offen steht.“ Sie kam auf ihn zu, ohne dass sie ihre Beine wirklich bewegte. „Menschen, die durch eine selbstlose Tat starben, jedoch nicht den Tod bereuen, sondern ihre Fehler, erhalten die Möglichkeit, wieder ihr Leben weiterzuführen.“

Er starrte sie an. Fassungslos!

„Wie?“

Das abstruse Wesen, das nicht menschlich war, lächelte.

„Höre mir in Ruhe zu. Grundsätzlich kommen Menschen nach ihrem Tod erst einmal in eine Zwischendimension mit allen anderen Körperlosen. Erst nachdem euer irdischer Körper komplett vergangen ist und keine Überreste verbleiben kommt ihr zunächst hierhin, an diesen Ort, denn erst dann kann eure Seele sich komplett von der körperlichen Welt lösen.“

Langsam nickte er.

„Für diejenigen unter euch, die sich aber für den dritten Weg entscheiden könnten, würde es viel zu lange dauern. Schließlich sollt ihr in euer altes Leben zurück, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Die komplette Auflösung einer Hülle kann jedoch Jahrzehnte dauern und dann würde euer altes Leben nicht mehr existieren. Deswegen haben wir deine Hülle schon jetzt hierhin geholt, um dir daraus einen fertigen Körper herzustellen, womit du direkt wieder in die irdische Welt zurückkehren kannst.“

Zorro starrte sie einfach nur an. Es gab einen Weg! Es gab einen Weg!

Mehr musste er nicht verstehen.

„Wenn du dich für den dritten Weg entscheidest, hast du erneut zwei Wahlmöglichkeiten. Wenn du möchtest, schmieden wir aus deiner alten Hülle eine neue, die genau deinen Wünschen entspricht. Dafür werden wir dir jedoch deine Erinnerungen an das vergangene Leben nehmen.“

„Und was ist die andere Option?“, fragte er direkt. Ohne seine Erinnerungen, ohne seinen Traum, ohne seine Freunde, brachte ihm das gar nichts.

„Du behältst deine Erinnerungen und wir schmieden aus deinen Überresten einen Körper, der mit deiner ehemaligen Hülle bis in die letzte Zelle identisch ist.“ Zorro wollte schon zuschlagen, da sprach sie weiter. „Aber natürlich ist es nicht ganz so einfach. Die sogenannten Wiedergeborenen erhalten diese Möglichkeit ja nicht grundlos. Es geht darum, dass ihr etwas lernt, was ihr vergessen habt. Etwas, was euch von anderen Menschen unterscheidet. Lorenor Zorro. Weißt du, was du vergessen hast? Weißt du, was du in deinem Leben verlernt hast?“

Er sah sie an, ohne jeden Zweifel.

„Ja.“

„Was ist es?“

„Es gibt noch so viel mehr, als Stärke, Stolz und Ehre.“

Sie nickte. Dann wurde ihre Stimme kühler: „Dies ist der Grund, warum wir deinem Körper zwei verschiedene Gestalten geben, die beide gleichermaßen zu deinem Geist gehören. Die zusätzliche Gestalt soll dich lehren, was du zu lernen hast. Damit, wenn du wieder deinen eigenen Körper erhältst, du dich nie wieder selbst verrätst. Deshalb kannst du deinen bisherigen Körper auch erst dann erhalten, wenn du dich an deinen Wert erinnerst und danach handelst. Verstehst du?“

„Ja, schon, aber ich weiß doch jetzt schon längst, was ich lernen muss, was ich vergessen habe. Es geht um diesen falschen Stolz.“

Sie lachte: „ Es ist nicht so, als ob du dich, an das hier erinnern würdest. Und es hat sich gezeigt, dass es den Lebenden deutlich schwerer fällt, sich zu ändern.“

Er seufzte.

Das erste Tor der Reinkarnation fiel für ihn sofort raus. Was sollte er damit?

Auch das zweite Tor reizte ihn wenig. Natürlich fragte er sich, ob nicht Kuina auf der anderen Seite war. Aber vielleicht hatte auch sie eine erneute Möglichkeit erhalten. Außerdem hatte er ihr Versprechen noch nicht erfüllt. Er musste zurück ins Leben. In sein Leben.

Dadurch blieb ihm aber eigentlich nur eine Möglichkeit, wenn er seine Erinnerung behalten wollte.

Er musste den schwächlichen Körper nehmen, denn er war sich sicher, dass es ein schwacher Körper sein würde, da er selbst doch recht stark war.

„Vielleicht sollte ich noch das ein oder andere zu den verschiedenen Toren erwähnen“, murmelte die Frau plötzlich, „Zu Nummer eins: Natürlich könnte deine Reinkarnation auch nichtmenschlich sein, in welcher Gestalt du auf der Welt wandelst ist ungewiss.

Zu Nummer zwei: Da wir nur die menschlichen Namen benutzen, die ihr kennt, wissen wir nicht, welche Geister weitergegangen sind.

Zu Nummer drei: Selbst wenn du deine ursprüngliche Gestalt wieder erhalten hast, kannst du deine andere Gestalt nicht abstoßen, da sie zu gleichen Teilen zu deinem Körper gehören, egal wie unterschiedlich sie sein mögen.

Zu Nummer vier: Dadurch, dass wir dir deine Erinnerung nehmen, ist es nicht wie bei der Reinkarnation oder bei einer körperlichen Amnesie oder ähnlichem. Es wird dir unmöglich sein, dich an ein altes Leben zu erinnern. Egal was passiert.“

Zorro hörte ihr schon lange nicht mehr zu.

Er wusste was er tun sollte. Hatte es von Anfang an gewusst.

Er würde leben. Er würde stark werden und er würde vertrauen.

Und wenn der Preis dafür ein schwacher Körper sein würde, dann wäre es so.

„Du hast deine Entscheidung getroffen?“

Er nickte und ging auf das dritte Tor zu.

„Dann lass mich dir noch eines sagen.“

Er sah sie an.

„Du wirst entweder an einen Ort kommen, den du bestimmt bist zu erreichen um zu lernen was du zu lernen hast. Oder aber du wirst auf eine Person treffen, deren Schicksal es sein wird, dich zu verändern. Möchtest du diesen Weg immer noch gehen?“

„Natürlich.“

Kuina würde auf ihn warten, da war er sich sicher.

Seine verkohlten Überreste ignorierte er.

„Dann geh hindurch, Lorenor Zorro. Geh zurück in dein Leben und lerne aus deinen Fehlern. Bereue nichts mehr. Und lebe deinen Traum.“

Er schritt hindurch.

Überrascht fand er sich auf einer Waldlichtung wieder.

Der klare Himmel über ihm verdunkelte sich stetig, als wäre gerade erst die Sonne untergegangen. Dabei hätte er schwören können, dass es bei ihrem Ausbruch bereits tiefste Nacht gewesen war.

Er blickte an sich hinab. Das war immer noch sein Körper, allerdings trug er nicht mehr als ein Hemd.

Schien ganz so, als hätte sich diese komische Stimme verschätzt, oder vielleicht war er nun doch verrückt geworden und das vergangene Gespräch hatte nie existiert.

In der Ferne konnte er Fußtritte hören. Jemand kam.

Plötzlich wurde ihm schwindelig. Die Welt um ihn herum verschwamm und ehe er sich versah, fiel er ohnmächtig zu Boden.
 

Panisch riss er die Augen auf!

Wo war er? Was war passiert?

„Lorenor?“

Er sah auf.

Am anderen Ende des großen, kargen Raumes stand der Samurai und schloss gerade die schwere Holztür hinter sich.

„Du bist spät dran fürs Training“, rügte er ihn.

Doch Zorro sagte nichts, sondern umklammerte immer noch das Laken.

Die gelben Augen beobachteten ihn.

„Wieder dieser Traum?“ Er nickte nur langsam. „Und immer noch so verwirrend?“

Er schüttelte den Kopf.

„Ich erinnere mich an alles.“

Dulacre verschränkte die Arme ohne etwas zu erwidern.

Endlich wusste Zorro, was Jade gemeint hatte. Endlich wusste er, was geschehen war.

„Nun gut“, ergriff der Samurai wieder das Wort, „Ich gebe dir noch einen Moment. Aber bleib nicht mehr zu lange im Bett. Das Geistermädchen hat Frühstück gemacht und ich empfinde sie bereits jetzt als störend.“

Zorro erhob sich grummelnd, ließ zu, dass der andere seinen nackten Oberkörper genau musterte.

„Ich bin wach. Lass uns trainieren. Ich habe keine Lust über längst Vergangenes nachzudenken und auf Perona habe ich erst Recht keinen Nerv.“

Der Ältere lachte hämisch: „Wie du meinst. Dann komm! Ich habe mir eine ganz besondere Lektion für heute überlegt, du wirst sie lieben.“

Der Samurai riss die Tür in die Tiefen des Schlosses auf und Zorro beeilte sich hinterher zu kommen, schließlich war dieses uralte Gemäuer ein reiner Irrgarten und er wollte sich nicht wieder verlaufen.

Ruffy, ich werde stärker! Ich werde dein Vertrauen in mich nicht enttäuschen und meinen Traum erreichen! Aber voll allem vertraue ich darauf, dass ihr stark genug werdet, um mich zu beschützen!

„Wo bleibst du, Lorenor?“

„Keine Sorge, Dulacre, ich bin direkt hinter dir!“

Epilog

Epilog

 

Endlich war er hier.

Zwei lange, lange, furchtbare Jahre später als einst vereinbart und er schwebte auf Wolke sieben. Denn nach 24 einsamen Monaten, gejagt und geliebt von niemand anderen als den Transen der Momoiro Insel, oder wie sie es nannten das Kamabakka Reich, war er endlich auf dem Sabaody Archipel angekommen. Dem Ort, an dem sie sich treffen wollten. Dem Ort, an dem sie ihre gemeinsame Reise fortsetzen wollten und nicht zuletzt der Ort, wo echte, hundertprozentige weibliche Schönheiten lebten.

Er war im Himmel!

Aber auch, wenn er nach außen hin sich am meisten über die Frauen dieser Insel freute, oh ja, und wie er sich über diese Göttinnen freute, so konnte er es in Wahrheit kaum erwarten, seine Freunde wieder zu sehen.

Natürlich sehnte er sich am meisten nach seiner geliebten Nami und der wundervollen Robin, aber auch die anderen hatte er nicht vergessen, mehr oder weniger.

Mit tanzenden Schritten durchquerte er die Insel von seinem Landungspunkt auf Groove 44 bis er endlich auf Groove 13 ankam.

Vor ihm streckte sich Shakuyaks kleine Bar in den Himmel.

Endlich war er hier!

Mit einer neuen Zigarette im Mundwinkel trat er ein.

Hinter der Theke stand die Eigentümerin der Kneipe und putzte gerade den Tresen mit einem Lappen.

Auf dem Sofa an der Wand saß jemand, versteckt hinter einer großen Zeitung. Mit den Sandalen und den silbernen Haaren, war es unverkennbar Silvers Rayleigh.

Shakky grüßte ihn, als würde er hier jeden Tag auftauchen und nicht durch zweijährige Abwesenheit glänzen.

Mit freundlichen Worten setzte er sich an die Bar und trank, was auch immer sie ihm anbot. Bei einer so wundervollen Frau würde er sogar altes Badewasser trinken, wenn sie es ihm servierte.

„Ich bin wirklich überrascht, dass ihr alle schafft so pünktlich einzutreffen“, lachte Rayleigh und faltete seine Zeitung zusammen, „Alleine auf die Insel zu kommen ist schon eine nicht unbeachtliche Aufgabe und du bist bereits der sechste von euch und Brook der siebte.“

„Ach wirklich?“ Auch Sanji war überrascht. Er war eigentlich davon ausgegangen, dass er einer der ersten sein würde.

Aber sie waren schon sieben. Sein Mund wurde unerwartet trocken, als ungewollte Erinnerungen sein Glücksgefühl trübten.

„Das heißt, es fehlt nur noch einer, oder?“

Er starrte auf sein Glas.

„Ich wette es ist Ruffy, wenn einer zu spät kommt, dann doch unser Kapitän“, versuchte er mit einem heiseren Lachen seine trüben Gedanken zu vertreiben.

„Es stimmt“, meinte Rayleigh, „Ruffy fehlt noch, aber auch Nico Robin ist noch nicht angekommen.“

Sanjis Herz setzte einen Moment aus, während er auf sein Glas starrte und seine Augen langsam größer wurden.

Konnte es sein? Konnte es wirklich sein?

„Aber… Aber das würde ja bedeuten…“

„Brook ist heute mit dir zusammen angekommen“, sprach Shakky entspannt. Sie hatte offensichtlich nicht mitbekommen, was gerade in ihm vorging.

„Wegen seinem Konzert. Chopper ist gestern eingetroffen und Lysop vor drei Tagen. Als Dritte kam Nami an und der gute Franky ist so vor zehn Tagen hier aufgeschlagen und hat sich sofort um die Thousand Sunny gekümmert.“

„Welche im Übrigen in einem tadellosen Zustand ist. Mit der Beschichtung bin ich auch fertig“, warf Rayleigh ein.

Doch obwohl Sanji dankbar war, dass es ihrem Schiff gut ging, so war nur eine Frage in seinem Kopf.

Er ignorierte komplett einige Worte vom verletzten Duval, der ihm berichten wollte, wie tapfer er die Sunny beschützt hatte, sondern starrte zum alten Mann herüber.

„Und… und wer war als erstes hier?“

Das konnte doch einfach nicht wahr sein?!

„Na, euer Schwertkämpfer Zorro natürlich“, antwortete Shakky eine Spur zu gelassen und zündete sich eine Zigarette an.

Erneut setzte Sanjis Herz aus.

„Was heißt hier natürlich?“, entgegnete Rayleigh mit hochgezogener Augenbraue, „Ich war mir nicht einmal sicher, ob er meine Idee wirklich verstanden hatte. Dabei hatte ich es ihm haarklein erklärt.“

Zorro war hier? Zorro war hier?

„Hast du ihn gesehen? Er war hier? Leibhaftig?“

Er war aufgesprungen, der Hocker polternd umgekippt.

Verwundert sahen ihn die beiden anderen an.

„Hast du ihn wirklich gesehen?!“

„Ja. Wie gesagt, er war als erstes hier. Sanji was…?“

„Und wo ist er jetzt?!“, unterbrach er Shakky beinahe unhöflich, doch mit schnell schlagendem Herz.

„Er war heute Morgen noch mal hier, aber…“

„Ich glaube er wollte Fischen gehen“, meldete sich erneut der dunkle König zu Wort, ein geheimnisvolles Lächeln auf seinen Lippen und warf dem Koch eine kleine Teleschnecke zu.

„Franky wird sich melden, wenn ihr los könnt.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stürmte Sanji aus der Bar.

Das konnte nicht sein! Das konnte nicht wahr sein!

All die Jahre, all die Jahre!

Ruffy und die anderen hatten fest daran geglaubt, dass Zorro noch am Leben war, aber für ihn, Sanji, war es unmöglich gewesen.

Spätestens nachdem sie vor zwei Jahren getrennt worden waren und Zorro nicht aufgetaucht war um ihnen zu helfen war er überzeugt gewesen, dass sie den grünhaarigen Idioten für immer verloren hatten, dass er seinen Lieblingsfeind für immer verloren hatte.

Und nun sollte er doch am Leben sein?!

Rennenden Schrittes eilte er den Weg zurück, den er vor wenigen Minuten gekommen war, bis er die Küste erreichte, er musste irgendwo auf Groove 42 sein, wenn er nicht irrte.

Sein Herz raste, doch konnte das wirklich sein?

„Er ist weg. Was  für ein armer grünhaariger Teufel.“

Seine Alarmglocken schrillten, als er die Worte hörte.

„Hey“, wandte er sich an einen alten Fischer, der gerade gesprochen hatte, „Ein grünhaariger Teufel? Mit drei Schwertern und einem Bauchwickel?“

Der alte Mann nickte. „Kennst du ihn? Er war eben noch hier und wollte fischen. Ich hab ihm angeboten, ihn mitzunehmen, sobald ich hier fertig bin.“

Sanji schluckte. „Ja, ich denke, ich kenne ihn…fürchte ich. Aber warum ist er denn weg?“

„Das ist es ja!“, rief der alte Mann panisch, „Ich hab ihm gesagt, er soll warten und als ich gerade kam, sah ich, wie er auf einem riesigen Piratenschiff gepennt hatte und obwohl ich ihn rief, schlief er einfach weiter, als das Schiff sank.“

„Das Schiff sank?“

„Ja, es war beschichtet, ich denke es ist geradewegs auf dem Weg zur Fischmenscheninsel.“

Die Panik, die sich für wenige Sekunden verflüchtigt hatte, wuchs wieder. Leider Gottes hörte sich das verdammt noch mal sehr gut nach dem Spinatschädel an, aber wenn das wahr wäre, hieße das ja…

„Seht mal da vorne!“, rief plötzlich jemand hinter ihm, „Da taucht etwas Gigantisches aus dem Wasser auf!“

Sanji drehte sich um und traute seinen Augen kaum.

Ein riesiges Piratenschiff kam aus den Tiefen des Meeres und brach durch die Wasseroberfläche, einmal sauber durchgetrennt in der Mitte. Doch das, was ihn schockte, war die verantwortliche Person.

Auf einem umkippenden Mast saß jemand, der von der Besatzung verflucht wurde und trotz der Entfernung wusste Sanji sofort, wer es war.

„Wie nervig“, murrte der Mann mit tiefer Stimme, „War wohl das falsche Boot.“

Der Koch konnte gar nicht anders, als sprachlos mit ansehen, wie der andere an Land kam, unfähig seine Gefühle zu sortieren, geschweige denn, etwas zu sagen.

Zorro lebte! Zorro lebte!

Er wollte weinen, schreien, lachen, toben, brüllen.

Und das alles auf einmal.

Machtlos sah er zu, wie der andere auf ihn zukam. Er hatte sich verändert. Am auffälligsten war die Narbe über seinem linken Auge, aber auch ansonsten schien er erwachsener geworden zu sein. Aber das alles schien egal, denn Zorro lebte. Er hatte ihn nicht verloren, er hatte ihn damals nicht verloren.

„Du lebst ja tatsächlich noch“, murrte der Schwertkämpfer schließlich unbeeindruckt, als er vor ihm zum Stehen kam.

Dem Koch entkam ein abfälliger Laut und er war dankbar, dass er seine erstaunte Starre endlich überwinden konnte. „Das sollte wohl mein Satz sein. Wie kommt’s, dass du nach allem was passiert ist noch am Leben bist?“

Doch der Grünhaarige zuckte mit den Achseln. „Ist doch egal, ich will fischen gehen.“

„Nein! Du gehst jetzt nicht fischen, sondern stehst mir gefälligst Rede und Antwort! Bleib stehen!“, brüllte er dem anderen hinterher, als dieser sich in Bewegung setzte.

Wie konnte das sein?

Hatte Zorro denn gar nichts zu sagen? Das letzte Mal, als sie sich gesehen hatten, war er beinahe gestorben, um Sanjis Leben zu retten und Sanji hatte ihn die letzten zwei Jahre für tot gehalten und nun wollte er lieber fischen gehen, als ihm zu erklären was passiert war?!

„Du schuldest mir eine Erklärung!“, knurrte er und packte den anderem an Unterarm.

Zu seiner eigenen Überraschung ließ er sofort los, als der andere seinen mörderischen Blick auf seine Hand hinunter richtete, ehe der Grünhaarige langsam aufsah und ihn überaus herablassend anstarrte.

„Ich schulde dir nichts, Nummer 6.“

Dann drehte er sich um und ging, ließ einen überrumpelten Koch stehen, der erst einmal begreifen musste, was hier vor sich ging.

„Warte mal, was?! Du lässt mich hier stehen, weil ich als sechster angekommen bin?“

Er eilte hinterher.

„Das ist doch sowas von hirnrissig. Außerdem müssen wir zur Sunny, die anderen müssten so langsam alle eintreffen.“

„Ich wüsste nicht, warum ich, Nummer 1, mir etwas von der Nummer 6 sagen lassen sollte.“

„Willst du mich eigentlich verarschen?!“, brüllte er den anderen an. Wie konnte es sein, dass nach all der Zeit, nach all dem, was passiert war, der andere genau da weitermachte, wo sie aufgehört hatten?

Er hatte sich kein bisschen verändert!

„Sanji.“

Wieder blieb er vor Überraschung stehen, als sein Name so ungewohnt ruhig fiel.

„Ja?“, fragte er äußerst zögerlich nach.

„Hier.“

Ohne stehen zu bleiben warf Zorro einen kleinen Gegenstand im hohen Bogen hinter sich, genau in Sanjis vor erstaunen geöffnete Hände.

Mit offenem Mund starrte der Koch hinunter auf ein kleines, goldenes Feuerzeug mit feinen geschwungenen Linien. Es sah fast genauso aus, wie jenes, welches er vor Ewigkeiten von Jeff geschenkt bekommen hatte und welches damals vor zwei Jahren zusammen mit der G6 zerstört worden war.

„Das schuldete ich dir wohl doch noch.“

Er spürte, wie seine Augen ungewollt wässrig wurden, als die Erinnerungen hoch kamen an damals, an ihre gemeinsame Zeit, ihre gemeinsamen Abenteuer und dass sie immer noch vollzählig waren, trotz allem das geschehen war. Thriller Bark, die G6, das Sabaody Archipel, der Krieg.

Und doch waren sie immer noch alle da, immer noch Freunde, immer noch die gleichen, obwohl sie sich wohl alle verändert hatten.

„Hey Marimo“, rief er und holte zu dem anderen auf, „Auch wenn es was spät kommt, über zwei Jahre um genau zu sein…“

Er streckte dem anderen seinen Arm entgegen.

„Alles Gute zum Geburtstag!“

Das eine Auge des Schwertkämpfers weitete sich eine Spur, doch dann grinste er breit und nahm den Gruß mit einem Händedruck entgegen.

„Danke.“

In dem Moment meldete sich die Teleschnecke in Sanjis Hosentasche zu Wort.

„Es ist Franky…“
 

Eine abenteuerliche Flucht später befanden sich sämtliche neun Mitglieder der Strohhutpiraten an Bord der Thousand Sunny, welche beinahe elegant in die unbekannten Tiefen des Ozeans eintauchte um sie zu neuen Abenteuern zu bringen.

Zorro saß etwas abseits und beobachtete seine Freunde. Bis auf den Koch schien keiner von ihnen daran gezweifelt zu haben, dass er wieder kommen würde nachdem Loreen bei ihnen aufgetaucht war und ihnen erklärt hatte, dass er noch am Leben war. So war ihre Freude zwar groß gewesen, aber ihre Überraschung weniger. Natürlich hatten sie Fragen an ihn, aber da sie alle in den letzten zwei Jahren viel erlebt hatten und viel erzählen wollten, war es ihm möglich gewesen, sich zurückzuziehen ohne alles beantworten zu müssen und das war gut so. Manche Dinge brauchten nicht erzählt oder erklärt zu werden.

Sie hatten sich alle verändert, waren alle stärker geworden, reifer, aber auch glücklicher, ein jeder von ihnen lachte mehr, so schien es ihm.

Er war kaum erstaunt, als sein Kapitän sich neben ihm auf den Boden warf.

„Ich bin froh, dass du wieder da bist“, grinste Ruffy ihn an.

„Ich auch“, antwortete er ebenso grinsend und ließ zu, dass sein Freund ihn wieder in die Mitte des Trubels führte.

Ja, auch er hatte sich verändert in den letzten Jahren, so wie sie alle und sie alle würden sich neu kennen lernen müssen, aber das hatte Zeit.

Seine Geschichte hatte noch viel Zeit und brauchte seiner Meinung nach auch gar nicht groß erzählt werden. Alles was zählte war, dass er wieder bei seinen Freunden war.

Erst Tage später, wenn die Sunny wieder an der Meeresoberfläche segeln würde, würde er den Moment der Ruhe finden und eine kleine, weiße Teleschnecke hervorholen und auf diesen Moment freute er sich bereits jetzt, aber auch bis dahin war noch Zeit.

Er hatte Zeit, ein ganzes Leben Zeit.

„Hey Zorro, lass uns fischen gehen“, wurde er plötzlich von seinem Kapitän aufgefordert, der seine gedehnten Hände gegen die gummiartige Schicht drückte, die sie und das Schiff vom Wasser um sie herum abgrenzte.

„Gerne, da hab ich schon den ganzen Tag Lust drauf. Wir können ja einen Wettbewerb machen, wer am meisten fängt“, antwortete er und zog sein Schwert.

Sekunden später fand er sich Seite an Seite mit seinem Käpt’n am Boden, während verschiedene Fäuste auf seinen Kopf einschlugen.

„Auf keinen Fall!“

„Was seid ihr für Idioten?!“

„Wir könnten alle sterben!“

Ja und manche Sachen würden sich wohl nie ändern.

Schwerfällig richtete er sich wieder auf und sah seinen Käpt’n an.

„Zur Fischmenscheninsel?“

Ruffy lachte.

„Ja, auf zur Fischmenscheninsel!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Also, das ist das Ende.
Aber eigentlich ist es ja erst der Anfang wie wir alle wissen ;-)
Zuerst möchte ich mich bei meiner ganz tollen Beta-Leserin Finny HiNoYume bedanken, die mich unablässlich mit dieser FF untersützt hat, und das obwohl sie angegeben hatte, nur Geschichten mit maximal 20 Kapiteln zu übernehmen (Da sind wir ja auch nur ganz knapp drüber *Hust*) Vielen Dank meine Liebe.
Außerdem möchte ich mich bei all den vielen Leuten bedanken, die sich die Zeit genommen haben mir einen Kommentar dazulassen. Ich danke:
MC-T
LittleMarimo
lala1314
Saynaya
blackholmes94
ZoRo12
Lexischlumpf183
Dragonmaster
masa
Toni221
Blackdream
Amaya19
-Gear4-
fahnm
mella19
Ohne euch hätte das Schreiben dieser Geschichte nur halb so viel Spaß gemacht und ich freue mich unglaublich, dass ein Paar von euch etwas hiervon mitgenommen haben^^

Einige von euch haben bereits nach einer Fortsetzung gefragt. Dazu möchte ich sagen, dass ich darüber tatsächlich nachdenke.
Allerdings möchte ich dafür zum einen noch den derzeitigen Verlauf des Mangas abwarten und gerade fehlt mir zum anderen doch auch ein bisschen die Zeit dafür. Neben der Uni möchte ich unbedingt mein altes Projekt Appleseed wieder aufnehmen, um mein Englisch weiterhin zu verbessern (und weil ich keine Projekte unabgeschlossen lassen kann, bin da ein kleiner Sheldon)
Aus der Vergangenheit habe ich gelernt, dass ich keine zwei Geschichten gleichzeitig neben meinem Alltag hinkriege^^'
Aber ich bin sehr positiv darüber, dass ich danach mit einer Fortsetzung anfangen kann. (Jenachdem, wie weit der Manga ist)
Bis dahin wünsche ich euch allen noch eine gute Zeit und hoffe, man liest sich mal wieder ;-)
Wer möchte, darf mich auch gerne weiterhin mit Fragen und Anmerkungen bombardieren ;-P

Alles Liebe und noch einmal vielen Dank
eure Sharry Komplett anzeigen

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Von:  DoD
2021-01-31T14:18:27+00:00 31.01.2021 15:18
Ich war ja zu Beginn nicht so begeistert, genderswapping ist eigentlich nicht so meins, aber.. herrlich. Ich hätte gedacht, dass da irgendwas mal läuft, die Spannung war spürbar, aber ach, wie schön eine Geschichte zu lesen, die einen fixen Ausgans und Zielpunkt hat und sich so in den Canon einfügt.
Ja, ich habe villeicht später mehr dazu zu sagen, jetzt bin ich grad ein bisschen platt.

Antwort von:  Sharry
31.01.2021 20:56
Und Hallo zum Vierten!
Tja, was soll ich dazu sagen... Die Idee dieser Geschichte kam mir schon vor über zehn Jahren, lange bevor mir bewusst war, dass genderswapping ein Ding ist (jung und naiv...) und dementsprechend habe ich halt mein eigenes Ding draus gemacht^^'
Es freut mich total, dass die Geschichte dir gefällt, aber ich hoffe du hast etwas Sitzfleisch, denn gerade die Fortsetzung ist etwas länger und für Zorro gar nicht so einfach^^'
Vielen, vielen lieben Dank für deine netten Worte!

Hab noch einen schönen Abend und liebe Grüße
Von:  dasy
2020-07-02T06:29:26+00:00 02.07.2020 08:29
Wahnsinn. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal für eine Geschichte meinen Alltag vernachlässigt habe. Nächte hindurch lesen, zu spät zur Arbeit kommen, den Fernseher ausschalten... Die Geschichte ist Phantastisch. Fast schon schade, dass ich sie nicht eher gefunden habe. Ich werde auf jeden Fall noch andere Geschichten von Dir lesen LG, Dasy


Antwort von:  Sharry
02.07.2020 16:44
Hey dasy,
vielen lieben Dank für deinen Kommentar und ich weiß nicht, ob ich dich ermahnen soll, nicht den Alltag zu vernachlässigen, oder ob ich dir den kleinen Hinweis dalassen soll, dass es sogar einen zweiten Teil gibt? ^^'

Es freut mich auf jeden Fall total, dass es dir gefallen hat und ich hoffe, dass bei dir nicht zu viel durcheinandergekommen ist.

Vielen Dank für dein riesiges Lob und liebe Grüße
Sharry
Von:  MC-T
2017-04-12T12:09:59+00:00 12.04.2017 14:09
Hey du :)

Vielen Dank für die tolle Geschichte!! Sorry dass ich mich erst jetzt so spät melde aber Stress und Prüfungen xD jetzt konnte ich das tolle Kapitel in Ruhe lesen und war echt begeistert wie gut du alles eingliedern könntest!!! Ohne Witz, die Story hat mich echt begeistert und mir meine kleinen Pausen vom arbeiten immer erheitert. Hab die mindestens vier mal durchgelesen 😅
Ich weiß nicht was ich sagen soll außer: bitte fang eine neue Story an oder für diese weiter! Ich mag deinen Stil. Er ist einfach zu lesen und schön. Du verwendest nicht unnötig viele Wörter um Dinge zu beschreiben oder um auf dem Punkt zu kommen. Ich könnte mir alles wunderbar vorstellen.

Dir wünsche ich schöne Ostertage und genieße die Tage!!

Ganz liebe Grüße!

MC-T
Von:  Saynaya
2017-04-06T20:39:56+00:00 06.04.2017 22:39
Zu aller erst einmal: Vielen vielen Dank für diese tolle Story und dafür, dass du sie bis zum Ende durchgehalten hast. Möchte mir gar nicht vorstellen, wie viel Zeit du dafür immer freischaufeln musstest. ;)
Ich habe mich immer auf jedes neue Kapitel gefreut und bin am Ende von vielen fast vor Spannung geplatzt. Durch den sehr klaren Erzählstil und den nie abrechenden roten Faden, wusste ich auch nach einer, zwei oder drei Wochen immer was im letzten Kapitel passiert war (in vielen Fanfictions ist das nicht der Fall, also Hut ab!!!).
Ich finde es toll wie du es geschafft hast den Charakteren treu zu bleiben und doch durch logische Gründe eine Veränderung der Verhaltenweisen zu erklären.
Ich finde auch, dass dieses Thema Mann in Frau, Stark in Schwach schon durch die Wiedersprüchlichkeit total interessant, häufig aber auch einfach mega witzig ist. Dieser Humor hat die Story immer wieder aufgelockert.
Ich muss gestehen am meisten Angst hatte ich jetzt vor dem Epilog, da für mich das Ende einer Story oft entscheidet wie ich sie jetzt schlussendlich finde. Und ich bin nicht enttäuscht worden!! Keine Schnulze, keine unlogischen Pairings, kein out of character. Einfach ein Ende wie ich es mag, aber besonder wie es zur Hauptperson passt. Und jeder hat die Möglichkeit selbst etwas hinein zu interpretieren und die Geschichte weiterzuspinnen. Eben Perfect!
Zum Schluss noch ein dickes Entschuldigung für viel zu wenig Komentare und besonders viel zu kurze. Ich denke (fast) ;) jedes der Kapitel hätte es verdient gehabt! Ich freue mich irgendwann wieder etwas von dir zu lesen und bis dahin:
Alles Gute!!
Von:  ZoRo12
2017-04-06T14:11:04+00:00 06.04.2017 16:11
Glückwunsch. Die Geschichte war brilliant .Sie hatte ein schönes ende. Die Story war sehr schön gestaltet und die Charaktere und ihre Gefühle wurden sehr gut dargestellt. Dickes Lob an dich Sherry
Von:  lala1314
2017-04-04T22:01:42+00:00 05.04.2017 00:01
Guten abend.
Und ein wohl verdientes herzlichen Glückwunsch du hast es geschafft. Ein etwas anderes ende wie erwartet aber ein gutes.
Eine bitte zum schluss.
Schreib hier rein wenns weiter geht sonst verpaddel ichs sso wie ich mich kenne.
Also viel Spaß noch und man liest sich.
Und alle die überlegen ob sie diese jemals lesen sollten.
Ja auf jeden fall sollt ihr diese lesen.
Lg lala
Von:  blackholmes94
2017-04-04T18:00:18+00:00 04.04.2017 20:00
Ein schönes Ende für eine wirklich gute Geschichte !!!
Es hat bis jetzt immer Spaß gemacht jedes Kapitel zu lesen und Zoro's Leidensweg mitzuverfolgen
Ich fand es auch passend zu Zoro's Charakter dass er kein großes Aufsehen darum gemacht hat was alles passiert ist
Aber auch Sanji's Reaktion war sehr authentisch! Dass er bis zum Ende diese Zweifel hat ob Zoro wirklich noch lebt ... dass es ihn nicht losgelassen hat fand ich wirklich gut
Und jetzt wissen wir endlich was Zoro damals an dem Marktstand gekauft hat um "eine Schuld zu begleichen " .. nettes Detail aus den vorherigen Kapiteln ; )
Ich würde mich aber auch auf eine Fortsetzung freuen!
Ich meine soooo viele ungeklärte Fragen! Kann Zoro nun zwischen Loreen's und seiner eigenen Gestalt wechseln? Bzw wird er es an einem bestimmten Punkt tun um der Crew zu helfen? Wird er es der Crew erzählen? Wie reagieren die andren (außer Ruffy, dem war das ja Schnuppe xD) ?
Bin jetzt auch neugierig wie Zoro die restliche Zeit mit Mihawk verbracht hat und mit Kanan und Jirou O.O
Lass mich überraschen was du noch so zauberst :)
Liebe Grüße :**
Von:  blackholmes94
2017-04-04T17:40:18+00:00 04.04.2017 19:40
Wow also der Background wie es zu dieser ganzen Gestaltwandlung kam war sehr interessant *Daumen hoch*
Ich glaube Zoro hat sich richtig entschieden und auf diesem Weg die beste Möglichkeit mehr über sich selbst und aus seinen Fehlern zu lernen
Jetzt wo er sich daran erinnern kann wird er denke ich auch besser mit diesem "Schicksal " umgehen können... vlt war es auch was ihm gefehlt hat mit diesem Veränderungen abzuschließen und zum Alltag zurückzukehren
Lass mich da jetzt mal überraschen ^^
Von:  blackholmes94
2017-04-04T17:33:48+00:00 04.04.2017 19:33
Ruffy weiß es!!!
Fand es sehr schön beschrieben wie verwirrt und verhalten die Crew auf Zoro's angebliches Überleben reagiert hat ... die Hoffnung als zu schön anzusehen
Ich kann verstehen dass Zoro sich noch nicht zu erkennen gegeben hat (obwohl das bei Ruffy nicht nötig war und Hawky sehr verwirrt hat) ... die Crew hat begonnen sich dem Schmerz zu stellen und es zu verarbeiten... darüber hinaus nehmen Sie ihn als jemand anders wahr der er nicht mehr sein möchte ... ich glaub es hat ihn getroffen dass ihn niemand außer Ruffy erkannt hat ...
Er fühlt sich auch selbst noch nicht bereit ... was sehr traurig ist, da er seine Familie endlich wiedersieht und trotzdem eine Barriere zwischen ihnen zu stehen scheint
Hawky freut sich insgeheim noch mehr Zeit mit seinem Schützling verbringen zu können (auch wenn er das niemals zugeben würde xD)
... Ohh Kanan wird sich auch freuen Loreen weiterhin als Anziehpuppe missbrauchen zu können ^^
Bin gespannt wie das Treffen auf Mary Joa ablaufen wird O.O
Freu mich auf mehr:**
Von: RuffysKreationen
2017-04-04T15:05:16+00:00 04.04.2017 17:05
Hach, ich habe jetzt wirklich nur auf das Ende gewartet! XD
Diese Geschichte ist so toll! Du hast so viele Dinge verdammt gut durchdacht, es passt super in den eigentlichen Verlauf und es fesselt!
Nun ja, allein, als ich den Prolog gelesen hatte, wollte ich unbedingt wissen, wie es weitergeht. Und tatsächlich hatte ich auch wirklich die ganze Zeit gehofft: "Lass es keine Liebesgeschichte werden!" Ich bin dir so dankbar, dass es wirklich keine Liebesgeschichte geworden ist (ich mag kein Boys Love...auch nicht so!) :'D
Die Idee mit der Reinkarnation ist echt cool und du hast das alles so gut durchdacht, eben auch mit den verschiedenen Optionen, die Zorro zur Auswahl hatte. Es war wirklich interessant, auf sowas muss man erstmal kommen :)
Zum Storyverlauf: der war einfach nur so gut! Es war witzig, spannend, doch auch mal emotional und ernst, aber diese Depristimmung hast du immer wieder klasse aufgelockert, auch weil du immer die Wiederholungen eingebaut hast ("Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?" "Womit hatte er das verdient?"). Ich finds auch schön, dass du Mihawk eine Geschichte gegeben hast. Ich finds immer interessant, wie andere sich die Charaktere, von denen man die Vergangenheit nicht kennt, vorstellen, welche Geschichten sie für diese Charas sehen. Es war ein toller Einblick. Überhaupt hast du viele Charaktere und Orte erschaffen, die sich wunderbar in die Geschichte fügen und vor allem auch zu den Charakteren passen.
Die Entwicklung der Geschichte war manchmal wirklich nicht vorhersehbar, gerade im Hinblick auf die anderen Wiedergeborenen. Das hast du alles echt gut gemeistert. Respekt auch an die Länge dieser Geschichte! Es gab immer einen roten Faden, es ist nicht langweilig geworden und besonders gut fand ich auch, dass du auch immer mal wieder auf die Strohhüte geblickt hast. Mir wäre ja mittendrin irgendwann die Puste ausgegangen und es hätte lieblos geendet XD
Das Ende hat sich jetzt natürlich perfekt in den eigentlichen Storyverlauf eingefügt. Das war jetzt echt das i-Tüpfelchen!
Vielen Dank für eine so gute FanFic! ♥


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