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Ein würdiger Traum

Der Preis des Vertrauens
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Samstag euch allen.
Ich hoffe ihr genießt das tolle Wetter (zumindest hier scheint die Sonne^^)
Heute geht es weiter mit einem ganz emotionalen Kapitel, passend zur Jahreszeit.
Nächste Woche werde ich kein Kapitel posten, da ja Weihnachten ist und dementsprechend wünsche ich euch allen bereits jetzt ein paar ganz schöne Tage umgeben von euren Liebsten und eine besinnliche Weihnachtszeit.
Denkt dran den Menschen die euch wichtig sind, dies auch zu sagen.
Und mit diesen Worten wünsche ich euch nun viel Spaß
Alles Liebe
Sharry Komplett anzeigen

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Kapitel 24 - Das Glück

Kapitel 24 – Das Glück

 

-Mihawk-

„Ihr seht bemerkenswert aus.“

Er drehte sich nicht herum, als die gutmütige Haushälterin hinter seinem Rücken auftauchte. Auch ihre Aussage ließ er unkommentiert, während er sein Ebenbild im wandhohen Spiegel begutachtete.

Er konnte selbst sehen, dass der Anzug tadellos saß und sich nicht negativ auf seinen Gesamteindruck auswirkte.

„Loreen und Ihr werdet ein atemberaubendes Paar abgeben.“

Nun sah er sie doch im Spiegel reflektiert an, erneut ohne etwas zu sagen.

Mit ruhigen Bewegungen bemühte er sich, seine selten genutzten Manschettenknöpfe anzulegen.

„Das wäre einfacher, wenn Ihr dazu das Sakko ausziehen würdet.“

Kanan schollt ihn sanft, ehe sie zu ihm trat und ihm die Familienerbstücke aus der Hand nahm. Sie brauchte nur wenige Sekunden, während er schon seit Minuten mit dieser Aufgabe haderte.

„Ist Loreens Anprobe vorüber?“

Er sah sie nicht an, wollte nicht, dass sein ehemaliges Kindermädchen versuchte seine Gedanken zu erahnen.

„Noch nicht. Shakuyak hilft ihr gerade dabei, sich in den Schuhen und mit Maske richtig zu bewegen. Mich haben die zwei raus gescheucht.“ Nun klang die ältere Dame doch recht beleidigt.

„Jetzt wissen Sie mal, wie ich mich immer fühle“, antwortete er, ohne jegliches Mitleid.

„Die beiden vertragen sich also?“, murmelte er dann. Er selbst hatte nicht die besten Erfahrungen mit dem vorlauten Mundwerk von Kanans Schwester gemacht.

„Sie sind ein Herz und eine Seele“, murrte sein Gegenüber, nun noch verdrossener.

Er trat einen Schritt zurück und ließ zu, dass Kanan ihn von oben bis unten betrachtete, ehe sie zufrieden nickte.

„Arm- und Beinlänge sind perfekt geraten. Sogar die Schultern liegen richtig schön an. Könnt Ihr Euch frei bewegen?“

Wie auf Kommando, hob er die Arme in Tanzposition. Als würde sein Körper sich an ein längst vergessenes Ritual erinnern, erwartete er beinahe die Hände seines Kindermädchens, die früher immer nach ihm gegriffen hatten nur um ein paar lächerliche Runden durch den Raum zu tanzen. Doch während das Lachen der Haushälterin durch seine Erinnerungen hallte, ließ er die Hände schnell wieder sinken und wandte sich um.

„Alles Bestens“, beantwortete er dann ihre Frage kühl.

„Herr“, begann sie und er wusste, dass sie in Erinnerungen an seine frühe Jugend schwelgte, wo er noch unbeschwert war und sie ihn für seinen ersten Marineball vorbereitet hatte.

„Bitte kommen Sie und Loreen nach der Anprobe wieder in den Trainingsraum. Wir haben noch viel vor und nur noch wenig Zeit.“

Er unterbrach sie, ehe sie ihn wieder an diese glücklichen Zeiten erinnern konnte und verließ sein Schlafzimmer ins angrenzende Bad, ohne ihre Antwort abzuwarten.

Wenige Minuten später kam er zurück, nun wieder in seinen gewohnten Klamotten, zog seine Weste über das schlichte Hemd und folgte der bereits verschwundenen Haushälterin aus der Türe in den Flur.

Bereits jetzt ärgerte er sich über das gerade Geschehene.  Überschwängliche Gefühle waren ihm nicht von Nutzen und somit reine Zeitverschwendung. Aber er konnte nicht mehr verhindern, dass sie unter seiner kühlen Oberfläche waberten und immer öfter nach draußen wollten. Bevor er wusste, was er eigentlich tat, fand er sich in seinem Arbeitszimmer wieder und hielt die Sprachmuschel seiner uralten Teleschnecke in der Hand.

Nach einigen Sekunden erklang ein gelangweiltes „Cho“ von der anderen Seite der Verbindung.

„Hey Jirou“, murmelte er und fragte sich gleichzeitig, warum er seinen Kindheitsfreund anrief. Es gab keine Informationen oder Neuigkeiten, die sie einander mitteilen müssten.

„Man, Hawky. Mit dir hab ich heut‘ nicht gerechnet“, lachte der Konteradmiral, nun mit freudiger, neugieriger Stimme, „Also, du gefürchteter Samurai, was kann ich heute für dich tun?“ Offensichtlich machte sich der andere über ihn lustig. Dabei wusste er wirklich nicht, was er von dem anderen wollte.

Dulacre seufzte: „Wie kann es sein, dass du jedes Mal, wenn ich anrufe, Zeit hast? Tust du eigentlich nur so, als ob du arbeiten würdest?“

Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte kein bisschen beleidigt.

„Im Gegenteil. Ich habe bereits alle Protokolle geschrieben und warte nun nur noch auf meinen Termin mit Vizeadmiral Vergo.“

Der Samurai stutzte: „Was will denn der Kommandant der G5 von dir?“

Irgendetwas beunruhigte ihn sehr. Doch Jirou schien nicht im Mindesten besorgt. Sein breites Grinsen wurde überaus passend von der Teleschnecke wiedergegeben.

„Du weißt doch, dass wir zurzeit einige Personalprobleme haben…“, fing sein Kindheitsfreund an, doch er unterbrach ihn ganz schnell.

„Jirou, weswegen hast du einen Termin mit Vergo?“ Seine Tonlage ließ keinen Scherz mehr zu. Das schien auch der Konteradmiral zu verstehen.

„Es ist eine Stelle als Vizeadmiral auf der G5 frei und Gat hat mich vorgeschlagen.“

Er antwortete nicht auf diese Aussage, doch konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel noch eine Spur tiefer sanken als sonst. Er mochte es nicht, wenn sein Vater ihm oder seinem Freund Türen öffnete. Sie waren schon lange nicht mehr auf ihn angewiesen und sein Stolz verachtete die Hilfe seines alten Herrn.

„Wenn Vizeadmiral Vergo sich die Zusammenarbeit mit mir vorstellen kann, würde ich in einem Monat als sein Stellvertreter dorthin versetzt werden.“

Einen Moment wurde es ruhig über die Verbindung, während er nachdachte. In einem Monat würde der Krieg also vorbei sein und die Marine würde ihre alltäglichen Organisationen wieder aufgenommen haben. Zumindest hofften sie das. In vier Wochen würde Jirou also gehen. Denn es war undenkbar, dass jemand nicht mit ihm arbeiten konnte. Sein Kindheitsfreund war ein absolutes Musterbeispiel wenn es um Fleiß, Höflichkeit und Arbeitsmoral ging, auch wenn seine fröhliche Albernheit und immer anwesende gute Laune überaus nervig sein konnten.

„Willst du denn überhaupt dahin? Die G5 ist nicht gerade für ihr freundliches Klima bekannt.“

Er wusste die Antwort schon, bevor er die Frage gestellt hatte.

„Mit einer Beförderung geht auch eine Gehaltserhöhung einher“, rechtfertigte sich der andere etwas beleidigt, „und wie du weißt bin ich auch nicht mehr der Jüngste. Ich muss für die Pension vorsorgen.“

Dulacre seufzte: „Und was ist mit Lirin? Wenn du Suzuno verlässt, kannst du nicht länger auf Sadao leben.“

Nun seufzte auch sein Gesprächspartner ergebend.

„Es ist Zeit für Veränderungen, Hawky.“ Jiroushin klang müde. „Wie du weißt, steht uns ein Krieg bevor…“

„Jirou, was ist los?“

Schon wieder wollte sein Freund seiner Frage ausweichen, das passte überhaupt nicht zu ihm.

Wieder seufzte die Teleschnecke, nun noch eine Tonlage tiefer.

„Wir sind müde, Hawky. Lirin hat große Angst vor dem Krieg. Ich möchte ihr den Ausblick auf eine neue Zukunft mit neuen Chancen geben. Wir müssen irgendwo von vorne beginnen, weg von all den schmerzvollen Erinnerungen. Es ist vorbei.“

Es gab nichts, was er dagegen sagen konnte. Der größte Wunsch seines Freundes waren eigene Kinder gewesen, doch ein Vorfall vor einigen Jahren, hatte seine Frau körperlich schwer mitgenommen, sodass die Ärzte es für unmöglich erklärt hatten, dass sie schwanger werden konnte. Jahrelang hatten die beiden alles versucht, alle Krankenhäuser und Heilkundigen der Welt aufgesucht. In Lirins elterlichen Haushalt wäre eine Adoption absolut undenkbar und Jirou war nicht der Mann, der die Familie zerstören wollen würde, darum hieß es nun weiterzuziehen.

„Wenn es für dich und Lirin das Richtige ist, solltet ihr das auch tun“, sagte er nun das, was ein Freund sagen musste. Er musste Jirou nicht erklären, was das für ihre Heimatinseln bedeuten würde, diese Verantwortung würde er ihm nicht aufbürden. Der Name Mihawk schützte Sasaki, ganz gleich welcher Marinetrottel hier rumlaufen würde. Solange er den Titel eines Samurais tragen würde, würde diese Insel und die umliegenden nichts befürchten müssen.

„Es ist Zeit für Veränderungen“, murmelte er leise, doch der Konteradmiral lachte erneut, als wäre ihm das Thema zu ernst.

„Die G5 wird schon eine ganze Ecke härter als meine beschauliche Arbeit hier. Unter Vergo werde ich wohl keine ruhige Kugel mehr schieben können. Aber jetzt, da ich weiß, dass du gut versorgt bist, kann ich besten Gewissens weiterziehen.“

„Wie bitte?“ Er verstand sehr wohl, was der andere ihm damit sagen wollte. Er gab ihm lediglich noch einen Versuch, seine Aussage abzuändern.

„Hawky, warum hast du mich angerufen?“, fragte jedoch der andere.

Er stockte für einen Moment. Es war ein guter Konter, das musste er zugeben.

„Du weißt doch, dass ich Informationen über diese Kriegskonferenz haben wollte, zu der ich eingeladen wurde, deshalb…“

„Na, das glaube ich nicht“, unterbrach ihn sein Freund schelmisch, „Du bist als Samurai wahrscheinlich besser informiert als jemand, der nur einer der vielen Konteradmiräle ist. Du bist nicht der Einzige, der um die Ecke denken kann, Hawky.“

„Was meinst du damit?“, hinterfragte er bewusst kühl. Jirou lachte erneut.

„Ich kenne den Grund warum du mich anrufst, aber ich bezweifle, dass du ihn kennst.“

Selten hatte er die Stimme des anderen so gerissen erlebt, doch das Schlimmste war, dass Jirou absolut im Recht lag.

„Du solltest nun vorsichtig werden, Jiroushin.“ Er würde sich keine Blöße geben.

„Siehst du! Siehst du!“ Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie der Konteradmiral laut brüllend vom Stuhl aufsprang und auf die Teleschnecke zeigte, während alle Kollegen erschrocken zusammen fuhren.

„Wenn du so anfängst, fühlst du dich in die Enge gedrängt.“

„Jirou.“

„Ist ja gut. Ich sage es dir.“ Er machte eine Pause für einen dramatischen Spannungsaufbau. „ Sie ist der Grund.“

Er musste nicht nachfragen, er wusste sofort, dass niemand anderes als sein Wildfang gemeint war.

„Hawky, du musst es doch bemerkt haben. Die ganzen Jahrzehnte warst du immer nur so ein mürrischer Zeitgenosse. Dein grimmiger Blick, deine ernste Art, dein verschlossenes Wesen, so bist du nun schon seit Jahren. Aber jetzt, seitdem dieses Mädchen da ist, hast du dich so sehr verändert, dass ich dich kaum noch wiedererkenne. Als hättest du endlich losgelassen. Als wärest du jetzt endlich bereit für einen Neuanfang.“

Einen Moment wurde es ruhig. Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte, sagen konnte. Er war tatsächlich sprachlos.

„Veränderungen sind gut, Hawky. Und sie tut dir gut. Ich hab zwar immer noch meine Bedenken wegen ihrem Alter, aber wenn sie dich glücklich macht, will ich euch meinen Segen geben.“

„Jirou!“ Nun war er aufgestanden. Doch sein Freund lachte wieder.

„Ich bin wirklich dankbar. All die Jahre habe ich versucht auf dich aufzupassen, dich zu einem Neuanfang zu bewegen. Aber jetzt brauchst du mich nicht mehr, jetzt passt sie auf dich auf. Und sie ist deutlich besser darin als ich. Mein Gott, seit Sharaks Tod habe ich dich nicht mehr so lachen gesehen.“

„Jirou, jetzt warte mal…“

„Ich muss los, Hawky. Wir sehen uns auf dem Ball. Ich bin so froh, dass du endlich wieder glücklich bist.“

„Verdammt nochmal…“

Der andere hatte aufgelegt. Aufgebracht fuhr er sich durchs Haar, als ein abgehackter Laut seiner Kehle entkam.
 

„Du siehst aber unglücklich aus.“

Nur zustimmend knurrend ließ er sich neben sie auf den Boden fallen und lehnte sich gegen den starken Stamm einer Buche.

„Hast du wieder Ärger bekommen?“

Schwungvoll drehte sie sich auf den Bauch und streckte eine Hand nach seiner geröteten Wange aus.

„Was hast du denn heute schon wieder angestellt?“ Doch sie strahlte ihn an, als wäre er ihr ganzer Stolz, während sie liebevoll sein Gesicht hielt. Er ließ sie gewähren, wie er sie alles tun lassen würde, solange es sie glücklich machte.

„Nichts“, murrte er und öffnete das große Buch über Handelsgeschichte, welches er zum Lernen mitgebracht hatte.

„Wegen nichts wäre Vater bestimmt nicht so wütend geworden“, meinte sie nur und robbte etwas näher zu ihm, um ihren Kopf auf seinen Oberschenkeln abzulegen. Ihr langes, pechschwarzes Haar streichelte seine nackten Knie. „Also? Welche Idee hattest du dieses Mal?“

„Wir haben nur ausprobieren wollen, ob Pippi schwimmen kann“, meinte er schulterzuckend, jedoch mit leichter Häme in der Stimme.

„Die Katze vom Bürgermeister?“, lachte sie leise und sah zu ihm auf, als würde er ihr die spannendste Geschichte der Welt erzählen.

Er nickte, während er zu lesen begann.

„Und kann sie schwimmen?“

„Natürlich nicht“, grinste nun auch er, „Jiroushin ist hinterher gesprungen und dann ist der Dummkopf fast ertrunken, weil der noch nicht mal selbst schwimmen kann. Der alte Koumyou musste höchstpersönlich beide rausziehen.“

„Weil du auch nicht schwimmen kannst“, beendete sie seine Geschichte breit grinsend.

„Kein Wunder, dass Vater außer Rand und Band ist, Stotter-Cho hätte dabei sterben können, weißt du?“

„Er heißt Jiroushin, Ji-rou-shin! Er hat schon vor Jahren aufgehört zu stottern!“

Wieder lachte sie.

„Ja, ich erinnere mich. Damals hast du Ärger bekommen, weil du die ganzen Jungs aus der Kampfschule verprügelt hast.“

Stolz grinsend blätterte er eine Seite um.

„Wenn diese Schwächlinge meinen einen Kammeraden von mir beleidigen zu müssen. Es ist nicht meine Schuld, dass ihre Muskeln nicht wettmachen, was ihnen an Geisteskraft fehlt.“

Er konnte sehen wie sich sein eigener Blick in ihren tiefen Augen spiegelte, doch sie schwieg.

„Was ist?“

„Ich bin so froh, dass du einen Freund gefunden hast.“

Darauf antwortete er nicht. Es war nicht so, dass er den unsicheren Jungen aus der Nachbarschaft wirklich für einen Freund hielt, aber es war recht angenehm, den eintönigen Schulalltag mit jemandem zu verbringen, der auf einem ähnlichen intellektuellen Leistungsniveau war, wie er selbst. Er brauchte allerdings keine Freunde, schließlich hatte er ja sie.

Nur der Wind rauschte zwischen den Blättern, als der Tag dahinglitt. Er las in seinem Buch und sie lag in seinem Schoß und betrachtete den Himmel.

„Sag mal, kleiner Bruder“, fragte sie irgendwann und klappte ihm das Buch zu, „hast du einen Traum?“

Er rollte die Augen über diese kindische Frage und sah zu ihr hinab, während sie ihre freie Hand hob und ihm durchs Haar wuschelte. Es fiel ihm wieder einmal schwer zu glauben, dass sie so viel älter war als er. Sie benahm sich immer noch wie ein Kind, während er schon fast erwachsen war.

„Du weißt, dass ich Priester werden will“, antwortete er herablassend, als wäre dies offensichtlich.

„Aber ist das denn auch dein Traum?“ Ihr Blick war so ungewohnt ernst.

Ja, er hatte einen Traum, aber den würde er ihr nie sagen. Er wollte, dass sie glücklich war.

„Hast du einen?“, fragte er stattdessen.

Sie nickte: „Natürlich. Ich will die ganze Welt bereisen!“

Sie reckte beide Hände in die Luft, als wollte sie den Himmel umarmen.

„Wenn ich zur Marine gehe, dann nur um auf ihren Schiffen von einer Insel zur anderen zu kommen. Ich will alles sehen, alle Kulturen kennen lernen, alle Sprachen lernen und dann will ich zu den Menschen auf Ohara und mit ihnen Bücher darüber schreiben.“

Sie lachte glücklich auf. „Und dann will ich alles wieder bereisen und noch viel mehr erleben. Noch mehr Menschen treffen. Ich will die ganze Welt sehen und nicht nur die paar Inseln hier.“

„Das ist ein guter Traum“, flüsterte er und folgte ihrem Blick den Himmel hinauf. Das hörte sich nach Freiheit an. Frei von politischen Zwängen, frei von gesellschaftlichen Erwartungen, frei von familiären Pflichten.

„Willst du mich begleiten?“

Überrascht sah er wieder hinab.

„Wie bitte?“

„Ach, was rede ich denn da? Du wirst eines Tages ein so gut aussehender junger Mann sein. Die Frauen werden auf dich fliegen wie Motten ins Licht und dann hast du mit Sicherheit keine Lust, den ganzen Tag mit deiner alten Schwester zu verbringen.“

Es war ihm ein Rätsel, wie sie so etwas sagen konnte. Sie war der schönste Mensch, den er je gesehen hatte und ihr Lachen reichte aus, um ihn glücklich zu machen, sowie eine ihrer Tränen ausreichte um ihn zur völligen Verzweiflung zu bringen. Um alles in der Welt wollte er dieses unschuldige Lachen beschützen, wollte diese reine Seele vor jeglichem Schmutz bewahren. Nie sollte sie ihre Hände mit Blut besudeln müssen. Nie sollte sie Hass und Zorn kennen lernen müssen.

„Und was ist mit dir? Wenn du bei der Marine anfängst, laufen dir mit Sicherheit alle Kadetten hinterher.“

„Kleiner Bruder“, langsam richtete sie sich auf, nun unglaublich ernst, „Würdest du mit mir kommen? Mit mir die Welt bereisen? Orte besuchen, wo niemand zuvor war? Nur wir beide?“

Einen Moment lang sahen sie einander an, dann grinste er.

„Na klar! Für dich würde ich sogar zur Marine gehen.“

Sie lachte wieder so herrlich fröhlich. Es war das schönste Geräusch der Welt.

„Dann ist es beschlossene Sache!“

Sie hielt ihm den kleinen Finger hin.

„Wir gehen zur Marine und dann erkunden wir die Weltmeere. Wir fliegen in den Himmel und sinken hinab auf den Meeresgrund. Nur wir zwei. Nur du und ich.“

„Genau!“

Er umklammerte ihren kleinen Finger mit Seinem.

„Und wenn wir dann alt und erfahren sind, suchen wir uns einen Schüler.“

„Einen Schüler? Wofür den?“

„Um unser Wissen weiterzugeben.“

Immer noch sahen sie einander an.

„Irgendwo auf dieser Welt, kleiner Bruder, wird es jemanden geben, der noch talentierter ist als wir und wenn wir dieses Kind gefunden haben, werden wir aus ihm einen wahrhaften Schwertmeister machen.“

„Du meinst, du wirst aus ihm einen Schwertmeister machen. Du weißt, dass ich nicht im Mindesten mit dir mithalten kann. Außerdem trainiere ich nur noch mit dir, damit du nicht aus der Übung kommst.“

Leicht legte sie den Kopf schief.

„Aber du bist im Unterrichten doch besser als ich. Du bist viel verständnisvoller und geduldiger. Der kleine Stotter… Jiroushin war so langsam und du bist die ganze Zeit ruhig geblieben. Ich wäre ihm am liebsten an den Hals gesprungen.“

Nun lachte er: „Ja, wenn es um das Schwert geht, bist du viel zu emotional. Jirou braucht nur etwas mehr Zeit, aber ich bin mir sicher, dass er eines Tages ein bemerkenswerter Schwertkämpfer sein wird.“ Er grinste. „Okay, wir machen das. Nur wir beide. Gegen den Rest der Welt. Und ich werde aufpassen, dass du unseren Schüler nicht aus Versehen umbringst!“

Nach dem Fingerschwur sah sie ihn ernst an.

„Was ist denn?“

„Wenn ich zur Marine gehe, werde ich wohl wirklich Menschen umbringen müssen, oder kleiner Bruder?“

Nun war er es, der eine Hand an ihre Wange legte.

„Nein.“ Ihre Augen wurden groß. „Gib mir nur etwas Zeit, sobald ich alt genug bin, werde ich zu dir stoßen und auf dich aufpassen. Du wirst niemanden töten müssen. Und bis dahin machst du einfach nur Schreibtischarbeit, sodass dir nichts passieren kann bis ich da bin, um dich zu beschützen.“

Leise Tränen rannen ihr Gesicht hinab.

„Aber kleiner Bruder, ich bin doch deine große Schwester. Ich sollte auf dich aufpassen und nicht umgekehrt.“

Er stupste seinen Zeigefinger gegen ihre Stirn, sodass sie nach hinten umfiel und auf seinen Unterschenkeln landete.

„So eine Heulsuse wie du soll mich beschützen? Ich bin ein richtiger Mann, verstanden? Ich kann auf mich selber aufpassen.“

Er grinste sie an.

„Okay“, flüsterte sie, „Versprich mir nur eines.“

„Natürlich“, antwortete er schneller als es ihm lieb war.

„Egal wie wütend Vater dich macht oder wie unfair die Welt ist, vergiss nie zu lächeln, okay? Ich mag es nicht, wenn mein kleiner Bruder so ernst drein schaut.“

Seine Wangen röteten sich und er nahm das Buch wieder zur Hand.

„Ich möchte, dass du lächelst, ich möchte dass du glücklich bist.“

„Mach dir keine Sorgen“, murmelte er, während er wieder die Seite aufschlug, die sie eben zugeklappt hatte, „Solange du da bist, hab ich immer einen Grund zu lächeln.“

„Oh! Du bist so süß, kleiner Bruder!“ Laut aufschluchzend fiel sie ihm um den Hals.

In der Ferne konnten sie ihre Namen hören, die Stimme der Haushälterin rief sie besorgt.

„Oh, es ist, glaube ich, Zeit fürs Abendessen.“ Geschwind sprang sie auf, ihr Haar tanzte im Wind. „Komm, kleiner Bruder!“

Doch er schüttelte den Kopf.

„Ich hab keinen Hunger. Lass uns das Abendessen doch mal ausfallen lassen.“

Er sah zu ihr auf, wie sie sich im Wind drehte, die nackten Füße durchs Gras schweben ließ. Dann lachte sie ihn an und streckte eine Hand nach ihm aus.

Seufzend stand er auf und hielt sie fest, während sie unbeholfen kleine Kreise tanzten. Noch war sie größer als er, aber er war sich sicher, dass er eines Tages größer sein würde und dann würde er sie auch beschützen können. So wie ihr Lächeln ihn beschützte, ihn glücklich machte.

„Kleiner Bruder“, flüsterte sie, nahe an seinem Ohr, „Versprich mir, dass du mich nie verlässt!“

Er hielt sie so fest er konnte, während die Stimme der alten Kanan immer näher kam.

„Ich verspreche, dass ich dich nie zurück lassen werde. Ich werde immer an deiner Seite sein.“
 

Verzweifelt riss er die Tür zum Balkon auf und stützte sich auf die Brüstung. Es fiel ihm unglaublich schwer zu atmen, die frische Luft machte es nicht besser.

Gefühle übermannten ihn. Gefühle, die er vor langer Zeit begraben hatte, vergessen hatte.

All die Jahre, die er durch die Welt gesegelt war. Er war der beste Schwertkämpfer geworden. Er hatte all jene Orte besucht. Hatte all jene Abenteuer erlebt. Und nun hatte er auch einen Schüler.

Ihr sorgt Euch um das Mädchen. Ihr kümmert Euch um sie. Ihr streitet mit ihr. Ihr unterhaltet Euch mit ihr. Aber am aller wichtigsten. Ihr lacht wieder!

Aufgebracht fuhr er sich durchs zerzauste Haar.

Sie war es gewesen!

Er hatte sich an ihr Versprechen gehalten! Er war immer da gewesen!

Aber sie… sie hatte ihn verlassen! Sie hatte ihr Versprechen gebrochen!

Erst dieser Nataku! Und dann…dann…

Ich bin so froh, dass du endlich wieder glücklich bist.

Er war so stark geworden, nur damit er sie beschützen konnte, damit er auf sie aufpassen konnte. Damit sie niemals einen anderen Menschen töten musste. Damit sie nie aufhören würde zu lächeln. Denn er hatte dieses Lächeln zum Überleben gebraucht.

Er war zur Marine gegangen, um auf jenen Schiffen das Meer zu bereisen.

Doch sie war schon lange nicht mehr da. Sie hatte ihn allein gelassen.

Seit jenem Tag hatte er nicht mehr lachen können, war nicht mehr glücklich gewesen.

Sie hatte ihn verlassen und ihr Lächeln war das einzige gewesen, was ihn erreichen durfte. Nur ihr Lächeln war in der Lage gewesen ihn zu berühren. Nur sie allein.

Ich möchte, dass du lächelst, ich möchte dass du glücklich bist.

Hätte ihr Lächeln ihn nicht berührt, hätte er niemals diese unglaubliche Leere gespürt, diese unglaubliche Verzweiflung, diesen unglaublichen Hass.

An jenem Tag hatte er sich geschworen, dass er nicht mehr fühlen wollte, nicht mehr fühlen durfte. Es war besser so.

Er hatte gelebt. Er hatte die Welt bereist. War ein fähiger Schwertkämpfer und Kapitän gewesen. Jirou war immer treu an seiner Seite gewesen. Der einzige Mensch, dem er je erlaubt hatte hinter diese Maske zu sehen.

Es waren gute Zeiten gewesen, damals mit seiner Crew. Zeiten voller Freiheit und Abenteuer. Aber er hatte sich nicht erlaubt, loszulassen. Nicht eine Sekunde lang hatte er sich erlaubt zu fühlen, denn dann hätte er das gefühlt.

Diesen unglaublichen Schmerz!

Diese unfassbare Trauer!

Sharak war tot! Sie hatte ihn verlassen!

Wie sollte er je wieder klar denken können, wenn er fühlen musste?

Und auch sein verdammter Wildfang würde ihn verlassen.

Er hatte all diese Wunden bei ihm aufgerissen und dann würde er einfach gehen und auch ihn würde er nicht beschützen können.

Auch Lorenor würde sterben! So wie sie alle!

Nein.

Plötzlich unterbrach sein Kopf sein schreiendes Herz.

Er hatte Lorenor bereits einmal verloren! Und jetzt war er trotzdem hier. Damals hätte er ihn töten können, aber er hatte ihn am Leben gelassen. Nie wäre er auf die Idee gekommen, ihn als Schüler zu sich zu nehmen.

Wenn das Schicksal nicht diesen seltsamen Weg gegangen wäre, wäre es nie so gekommen.

Langsam atmete er aus und sah zum Himmel hinauf.

All diese Zeit hatte er die Reinheit seiner Schwester bewahren wollen, hatte ihr Unschuld beschützen wollen. Nie sollte sie die Hässlichkeit dieser Welt sehen.

Doch Sharak war tot. Er musste sie nicht mehr beschützen, vor dieser grässlichen Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die Lorenor nur zu gut kannte. Lorenor wusste, wie die wirkliche Welt war, er hatte all diese Grausamkeiten gesehen, all das Leid erfahren, den Schmerz gefühlt. Er hatte Leben ausgelöscht und die Verantwortung getragen. Er war stark, in seinem Herzen, in seinem Willen.

Lorenor musste er nicht vor der Wahrheit beschützen und seine Schwester war reinen Herzens gestorben.

Er war frei.

Jirou hatte Recht. Er hatte sich verändert. Nein, Lorenor hatte ihn verändert. Hatte ihn befreit.

Erleichterung durchströmte seinen Körper.

Er war frei!

„Da bist du ja!“

Überrascht wandte er sich um. Eben genannter stand vor ihm. Die Hände auf den Hüften, den Kopf leicht schräg gelegt.

„Wo bleibst du denn?“

Offensichtlich bemerkte der Jungspund nicht, was für ein Chaos in ihm herrschte.

Ruhig sah er das Kind vor sich an. Die leuchtenden Augen, die geschürzten Lippen. Unter dieser schwachen Oberfläche war ein Mann, der ihm ebenbürtig war, oder es eines Tages zumindest sein würde.

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Bis dahin würde er darauf aufpassen, dass das Licht des anderen nicht verblasste.

„Was ist denn mit dir?“ Der Pirat zeigte sich etwas besorgt, wenn auch mehr genervt.

„Nichts“, antwortete er und zuckte mit den Schultern, „Ich bin einfach nur glücklich.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  blackholmes94
2016-12-25T17:43:24+00:00 25.12.2016 18:43
Soooo komme dann jetzt auch mal dazu einen Kommi zu schreiben ^^'
Ich hab mich super über das Kapitel gefreut! Hatte mir ja mehr Hintergrundinfos zu unserem Mihawk gewünscht :))
Mein Verdacht, dass er in Zoro seine Schwester sieht, hat sich hier nur noch erhärtet ...
er hat damals seine Schwester nicht beschützen können und will es nun bei Lady Zoro anders machen ... wobei ich mich immer noch frage, wie er sich das vorstellt, wenn unsere männliche Lady wieder bei ihrer Crew ist ....
Hab wirklich lachen müssen bei dem Gespräch mit Cho :D :D :D
Bin jetzt aber mal gespannt wie Zoro diese Veränderung in Mihawks Gefühlslage auffasst und damit umgeht
Freu mich auf mehr!
Antwort von:  Sharry
08.01.2017 17:52
Hey,
vielen lieben Dank für deinen Kommi^^
Freut mich, dass dir das letzte Kapitel gefällt, dann werden dir die nächsten noch mehr gefallen ;-P
Erst Zorro und dann gibt es da ja noch diesen Ball (und was danach kommt :P)
Wünsche dir viel Spaß mit dem nächsten Kapitel
Liebe Grüße
Sharry
Von:  LittleMarimo
2016-12-17T12:22:53+00:00 17.12.2016 13:22
Wooooooooooooooooow
Tiefer tieeeefer einblick in mihawks kopf...
Antwort von:  Sharry
08.01.2017 17:41
Hey,
danke für deinen Kommi.
Heute geht es weiter mit einen Einblick in Zorro's Kopf (Jedoch nicht ganz so tief, warum erklärt sich denke ich von selbst ;-P)
Liebe Grüße
Sharry


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