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Engelssache

von

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Engelssache
 

"Du glaubst mir nicht?"

"Mensch, Seimei, du lügst mich doch immer nur an!"

"Ich lüge nicht! Verdammt, du bist eine dieser hoch-gläubigen Christen, warum kannst du mir das dann nicht glauben?"

"Weil du mich immer nur anlügst!"

"Ich lüge dich nicht an! Ich lüge dich verdammt selten an! Und jetzt schon gar nicht! Kuusou, ich dachte wirklich, ich kann dir vertrauen, du bist meine beste Freundin!"

"Ich..."

"Du weißt nicht, was du sagen sollst?"

"Ich kanns dir einfach nicht glauben. Das ist alles. Engel passen nicht in diese Welt und Engel würden nicht so normal aussehn"

"Achso, die Sache mit der "Erleuchtung"...das kann nicht jeder sehen...und schon gar niemand, der nicht daran glaubt."

"Engel können gar nicht so aussehen wie wir!"

Seimei seufzte. Sie sah aus dem Fenster in den Innenhof ihrer Schule. Es regnete. Die roten Blüten der Blumen in den kleinen Beeten wurden von den großen schweren Tropfen zerfetzt. Der Springbrunnen plätscherte leise vor sich hin. Durch das nächste offenstehende Fenster konnte sie es hören. Kuusou sah sie an. Seimei wusste genau, was in ihren Gedanken vorging. Sie dachte, sie hätte sie wieder einmal belogen. Dabei hatte wirklich nur sehr selten gelogen. Aber für Kuusou war das nicht zu verstehn, sie lebte in ihrer eigenen kleinen Traumwelt. Realität betrachtete sie nur aus weiter Ferne. Darum hatte sie eigentlich gehofft, dass Kuusou ihr glauben würde. Aber sie tat es nicht.

"Na gut, glaubst du mir eben nicht. Das ändert nichts an den Tatsachen."

Kuusou sagte nichts mehr.
 

Der nächste Tag begann wieder mit Regenschauern. Seufzend setzte sich Seimei auf ihren Stammplatz im Bus und legte ihren Rucksack auf ihren Schoß. Ninette neben ihr hatte erst einiges zu erzählen, allerdings interessierte sie das nicht sonderlich, so war es meistens. Sie saß still da und sah aus dem Fenster auf die nassen Straßen.

Endlich blieb der Bus vor der Schule stehn. Langsam ging Seimei durch den Regen in Richtung Schulgebaäude, langsam öffenete sie die Tür, langsam ging sie zur Gaderobe, zog Schuhe und Jacke aus, schlüpfte in ihre Hausschuhe und langsam ging sie in die Klasse. Kuusou war schon da. Sie setzte sich neben sie.

"Hallo" sagte Semei. Kuusou sagte nichts. Seimei hasste das. Und wie sie es hasste, wenn ihr etwas nicht passte, dann sollte es Kussou auch sagen! Natürlich sagte Kuusou nichts, sie sang manchmal leise vor sich hin und spielte mit ihrem Kugelschreiber. Seimei wurde so schön langsam nervös.

"Von wegen ,Engelsgeduld'" dachte sie, "die Kleine macht mich noch fertig...ich muss mal mit Shima über die ganze Sache reden..." Seimei hatte keine Lust mehr im Unterricht mitzuarbeiten und kritzelte stattdessen auf ihrem Block herum. Kuusou sang mit ihrer hohen, piepsigen Stimme ein anderes Lied, irgendein Kommerz-Pop, Seimei bekam eine riesen Wut auf sie. Die ganzen sechs Schulstunden verliefen ungefähr auf diese Art und Weise, Nur in der großen Pause konnte sich Seimei dazu aufraffen, hinunter in die Aula zu gehen und nach Shima zu suchen, sie fand sie nicht. Alles was sie fand war Shinja, Shimas beste Freundin, auf die sie sofort zuging.

"Shinja?"

"Äh ja? Ah, hallo Seimei!"

"Ja, hallo!" Sie lächelte, machte darauf aber gleich ein ernstes Gesicht

"Shinja, weißt du wo Shima ist?"

"Äh, ja, die ist noch oben in der Klasse, sie muss noch was wegen Latein erledigen!"

"Aha, danke! Tschüss dann!"

"Ja, bitte, tschüss!"

Seimei verzog sich aufs Mädchen WC und konzentrierte sich. Telepathie in der Schule war immer sehr anstrengend für sie, denn viele der Schüler hatten eine stärkere Aura, als sie es wussten und die fungierten dann als die reinsten Störfelder...

"Shima? Shima?"

"Seimei, jetzt nicht!" Shima schien wohl Ärger zu haben...

"Ist etwas passiert?"

"Ah, nein, nein, aber was ist denn los, was gibt's?"

"Ich müsste mit dir reden, Shima!"

"In der Schule geht es nicht mehr, komm um 15.00 ins Barufurai!"

"Ok, werde dort sein!"

"Bis dann!"

Shima hatte ihre Aura gelöscht. Seimei lehnte sich an die Wand und atmete durch. Warum klopfte ihr Herz bloß so laut? Sie legte die Hand an ihre Brust. Tatsächlich, es klopfte ganz laut. Hatte das irgendeine Bedeutung? Sie wusste es nicht. Kurz blieb sie so stehen und als sie sich wieder gefasst hatte, sah sie aus dem Fenster. Regen. Schon wieder. Nein, noch immer. Es hatte die Nacht durchgeregnet, mal stärker, mal weniger stark, doch geregnet hatte es ständig. Richtig deprimierend was das. Aber solang es nicht blitzte und donnerte fand sie Regen sogar irgendwie in Ordnung. Sie ging zum Waschbecken, wusch sich ihr Gesicht, trocknete es mit ihrem Ärmel ab und ging wieder in den Klassenraum zurück. Als sie Kuusou sah, war das Herzklopfen wieder wie weggeblasen und ihre Augen verschlossen sich, sie wurde still. Die nächsten drei Stunden wurden eine richtige Qual für Seimei, denn die Kälte und der abweisende Blick von Kuusou und dazu ihr ständiges Gepiepse waren einfach nicht zum Aushalten, sie war froh, als sie nach der sechsten Stunde endlich in den Bus steigen und in die Stadt fahren konnte.

Im Bruafurai war es um diese Zeit nicht sehr voll, eigentlich war Seimei bis auf drei Typen an der Bar die einzige, die im Lokal war. Sie setzte sich an einen Tisch in der Nähe des Fensters um Shima zu sehen, sobald sie kam. Doch das war ziemlich umsonst, denn als Ookami-Sakae ihr Getränk brachte und kassierte, kam Shima

"Hallo Shima!" grüßten sie Seimei und Ookamisakae fast gleichzeitig. Man konnte sie einfach nur gern haben, denn Shima war sicherlich der freundlichste und aufgeschlossenste Engel den es nur gab.

"Hallo ihr zwei! Ookami, bringst du mir bitte ein Glas warmer Milch? Ist ja saukalt da draußen!"

"Klar, Milch, wie immer!" Ookami lachte, denn obwohl das Barufurai immer Milch anzubieten hatte, was Shima die einzige, die auch wirklich immer Milch trank. Er konnte ja nicht wissen, dass Engel nur äußerst ungern etwas andres tranken.

"Also Seimei, sag schon, was gibt's?"

"Es ist wegen Kussou..."

"Ja?"

"Ich hab ihr unser Geheimnis verraten..."

"Was hat sie gesagt?"

"Sie hats natürlich nicht geglaubt..."

"Hm, wundert mich eigentlich nicht, aber wenn sie's weiter erzählt, könnte es Probleme geben"

Seimei schüttelte den Kopf: "Sie ist eh wieder aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen auf mich beleidigt..."

"Schon wieder?"

"Ja, aber ich denk, ich lass es jetzt echt sein, es hat einfach keinen Zweck mehr sich noch länger um sie zu bemühen..." sie blickte in ihr leeres Glas und seufzte. Plötzlich ergriff Shima ihre Hand

"Das wird schon wieder." Sie lächelte. Oh, dieses wunderschöne Lächeln! Ihr Herz schlug wieder schneller, sie hatte wieder mehr Leben in sich und freute sich, mit einer so tollen Person wie Shima zusammen auf der Erde zu sein. Doch ihre Mission war weniger toll, sie mussten nämlich ihre Schützlinge finden, wie es jeder Engel in seinen Ausbildungsjahren tun musste. Doch daran wollte sie gar nicht denken, sondern sah nur in Shimas große, Schokolade-braunen Augen die im gelben Licht wie nasse, glatte Steinchen glänzten. Sie lächelte. Offenbar etwas zu auffällig, denn Shima fragte:

"Ist was?"

"Hm? Ach, nein, nein es ist nicht!"

"Na gut, wollen wir dann nochwas zusammen unternehmen oder gehen wir nachhause?"

"Es regnet zwar, aber ich hätte jetzt Lust auf einen Spaziergang..." Seimei was etwas verlegen wegen ihres Wunsches.

"Klar, spazieren ist ne gute Idee!"

"Gut!"

Sie freute sich und die beiden verabschiedeten sich von Ookami-Sakae, der ihnen nett zuwinkte und sich daraufhin gleich wieder seinen Gläsern zuwand, die eigentlich schon längst trocken waren, er aber wohl aus Verlegenheit weiter mit einem trockenem Fetzen rieb. Seimei und Shima gingen bei der Tür hinaus, sahen dich an und begannen zu lachen angesichts Ookami-Sakaes Verhalten

"Das war mal wieder einfach herrlich!" prustete Shima.

"Och, der Arme, so verknallt in dich...!"

"Ne Runde Mitleid bitte! Es ist wirklich göttlich, wie sich Ookami immer aufführt!"

"Ist richtig lustig ihm zuzusehn!"

"Wie er guckt!"

"Dabei hat er doch null Chancen bei dir!"

Plötzlich wurde Shima ernst

"Wer sagt das?"

"Ähm...ich, ich dachte nur..."

"Warum sollte er keine Chancen bei mir haben?"

"Naja, ich meine, du bist ein Engel und..."

"Ja, aber nur weil ich ein Engel bin, kann ich doch meine Gefühle nicht unterdrücken, im Gegenteil ich werde sie offen vor mir hertragen, egal, ob ich Ookami, dich oder sonstwen lieben sollte! Das ist doch vollkommen egal!"

Seimei war etwas gekränkt, aber doch beeindruckt von Shimas Reaktion. Sie fand immer schnell treffende und richtige Worte, das waren wieder solche gewesen.

"Entschuldige bitte, ich hab nicht so richtig drüber nachgedacht"

"Ist schon ok, ich hab die ganze Sache vielleicht auch etwas überschätzt."

"Aber...ich finde auch irgendwie, dass man seine Gefühle nicht einfach abstellen kann..."

"Siehst du, genau das mein ich! Wir sind Engel, und? Haben wir deshalb denn nicht das Recht auf Liebe oder darauf geliebt zu werden?"

"Gott hat es aber nicht so vorgeseh..."

"Ach, lass doch den alten Spinner dort oben in Ruhe! Der hat ja keine Ahnung, wie wir leiden, kann ihm doch wurscht sein, der wird verehrt und kann lieben, wenn er will und niemand sagt was dagegen!"

"Hast ja Recht, mit dem Chef ist da wirklich nicht zu rechnen!"

"Hattest du mal was mit einem Engel?"

Seimei's Herz begann zu schneller zu pochen.

"Ähm...das...das siehst du doch? Ich meine...ich habe mich noch nie verliebt..."

"Wird doch irgendwie auch Zeit, oder?"

"Naja, es hat ja doch keinen Sinn, wenn der Chef mich erwischt, bin ich dran...aber Engel bleiben ihrer Liebe ja immer treu..."

Shima hatte nichts mehr dazu zu sagen. Sie sah in den Himmel, hinauf zu den Vögeln und verspürte ganz stark den Wunsch zu fliegen, einfach nur zu fliegen, weg von der Erde, auf der ihnen ohnehin niemand glaubte, weg von den gefühlskalten Menschen und der spärlichen Vegetation, hinauf, wo es warm und hell war, wo sie keine Probleme hatte und einfach nur fliegen konnte...sie und Seimei, nur sie beide ganz allein...naja, aber Seimei musste ja nicht unbedingt wissen, dass sie schon mehr als nur Kameradschaft für sie empfand. Vielmehr wollte sie Seimei ihren Weg weisen, und sie auf der Reise unterstützen, auf dass Seimei glücklich würde...denn eine Engelliebe ist selbstlos, ist dazu da, den anderen glücklich zu machen, ist rein, ist zerstörerisch...Engel, die unglücklich verliebt waren, hielten ihr ewiges Leben nicht auf, ziehen sich zurück, gehen zu Dämonen oder bringen sich um, denn seinem eigenen Leben kann man immer ein Ende setzten...

Der Regen hatte etwas nachgelassen, doch immer noch fiel er in langen dünnen Fäden vom Himmel. Hätten sie es nicht besser gewusst, hätten die beiden Engel gedacht, Gott würde weinen, aber der alte Herr weinte nicht mehr, das mussten die Engel für ihn erledigen. Und Engel hatten auch allen Grund zum Weinen.

"Weißt du Shima, eigentlich sind wir arm dran....verdammt unser ganzes Leben lang zu leiden und nie Liebe zu schenken, Liebe zu empfangen, uns ein ganzes Leben lang aufzuopfern, und wir leben ewig."

Shima antwortete nicht sofort. Was sollte sie auch sagen, sie beide wüssten, dass Seimei recht hatte aber sie eigentlich gar nichts dagegen tun konnten.

"Findest du den Tod nicht auch besser, als ein Leben in ewigen Qualen?"

Shima sah zum Himmel. Selten war sie so still, doch nun betrachtete sie einfach nur blinzelnd die schwarzen Wolken und die dünnen Regenfäden die unaufhaltsam auf die Erde prasselten und die Straßen in unendliche glatte Spiegel verwandelte. Es musste wohl ein schönes Bild abgeben wie die beiden Mädchen ihre Sorgen und Leiden über den beleuchteten Spiegel trugen und doch nichts dagegen tun konnten.

"Ich wollte, ich könnte die Himmelsgesetze ändern."

"Seimei, wir müssen einfach stark sein!" Shima war plötzlich sehr enthusiastisch.

"Wir dürfen uns einfach nicht immer alles gefallen lassen, wir müssen rebellieren! Wir sind auch nur Engel, wir wollen auch nur lieben und leben, ohne dass wir etwas verheimlichen müssen!"

"Shima..."

"Ach Seimei, tut mir leid, dass ich dich mit diesen Problemen vollgejammert habe...ich meine, was ist denn jetzt mit Kuusou?"

"Ich hab echt keine Ahnung...sie benimmt sich ja schon ne ganze Weile so seltsam und sie redet oft nicht mit mir, ohne richtigem Grund..."

"Wirst du mit ihr reden?"

"Ich kanns ja mal versuchen, aber ich denke, in ner Woche ist genau das selbe Problem..."

"Trotzdem, wenn sich die Sache mit den Engel herumspricht, dann ergeht es dir schlecht...wer's ernst nimmt, lässt dich nicht mehr in Ruhe und wer nicht, wird dich fertig machen..."

"Ich kann ja morgen mit ihr reden, aber ich weiß nicht, ob es etwas bringt..."

Noch eine halbe Stunde gingen sie durch die Straßen, in denen sich ihre Gestalt spiegelte, und die Pfützen in denen die dünnen Tropfen des Regens ihre Wellen zogen und die Spiegelungen für einen kurzen Moment mit Bewegung erfüllten. Irgendwie war es sogar friedlich und in gewisser Weise ein glücklicher Moment. Doch sobald Seimei an Kussou dachte, hatte es sich ausgeträumt. Mit Bangen sah sie dem nächsten Tag entgegen.
 

Der Moment war gekommen. Entweder, sie regelte die Sache jetzt oder nie. Sie brauchte nur eine entgültige Entscheidung, nicht mehr und nicht weniger, nur Gewissheit, nur einen Schritt vorwärts nur eine Antwort, egal ob positiv oder negativ. Und jetzt war es wohl so weit. Mit schnellen, aber unsicheren Schritten ging sie auf Kussou zu, die ihre Schulsachen auspackte.

"Kann ich mal mit dir reden?"

Kuusou antwortete nicht gleich.

"Bitte"

Kuusou sah sie an.

"Was gibt's?" Die Frage klang nicht freundlich, nicht höflich, eher genervt und einsilbig. Instinktiv sah sich Kussou um. Es war niemand zugegen.

"Was hast du auf einmal gegen mich?"

"Nichts, aber ich finde es nicht mehr witzig, dass du mich die ganze Zeit nur anlügst! Soll ich den Engelsscheiß etwa glauben?"

"Ich lüge dich nicht an! Glaub mir doch, einmal, wenigstens einmal!" Seimei's Stimme schwankte zwischen Verzweiflung und Wut. Sie hatte schon oft das Bedürftnis zuzuschlagen, wenn sie Kuusou sah, das Mädchen machte sie einfach verrückt. Aber innerhalb einer zehntel Sekunde hatte sie sich wieder im Griff. Engel schlagen nur im Notfall.

"Du lügst mich an, du machst dich ja nur lustig über mich! Engel gibt es nicht, du bist kein Engel!"

"Ich bin ein Engel! Du siehst nur meine Flügel nicht!"

Seimei ging. Mit ihren Worten ließ sie die verdutzte Kuusou stehn. Die Schultasche auf ihren schwachen Schultern ging sie in den unteren Stock und blieb vor Shima's Klasse stehn.

"Shima?" vorsichtig lugte sie durch die angelehnte Tür.

Shima war allein in der Klasse und schrieb eine Hausübung.

"Oh, Seimei...!"

"Shima, pack deine Sachen und komm mit mir, bitte, ich erkläre dir alles später, aber ich halte das hier einfach nicht mehr aus!"

Shima stand sofort auf: "Ja.., klar!" sie packte schnell die Sachen in ihre Schultasche, hängte sie sich über die rechte Schulter und ging schnellen Schrittes aus der Klasse, stieß Seimei leicht an der Schulter auf den Gang und ging vor ihr her in Richtung Hinterausgang der Schule. Seimei hatte Mühe ihr zu folgen. Als sie die Stiege hinuntereilten, hörten sie Kuusou rufen: "Seimei...!"

"Nicht hinhören, weiterlaufen!" flüsterte Seimei.

Shima tat wie Seimei ihr geraten und legte noch einen Zahn zu, die Treppe hinunter, am Turnsaal vorbei und schnell zum Hinterausgang, sie stieß die Tür auf, kalte Luft schlug ihnen entgegen. Shimas langer brauner Mantel, der wie ein orientalischer Teppich aussah, hielt der Kälte ebensowenig stand wie Seimei's viel zu kurze, enge, schwarze Polyesterjacke, doch das hielt die beiden nicht davon ab an den Lehrerautos vorbei und in Richtung Eisbahn zu rennen. Jeder, der jetzt aus dem Fenster sah, hätte sie wohl gesehen, aber Shima wurde nicht verpetzt und Seimei war zu unauffällig.

Es läutete. Das konnten die beiden mit den empfindlichen Engelsohren deutlich hören. Sie waren ausser Gefahr.

"Komm, Richtung Wald, dort sind wir sicher!" Nur zu gern nahm Seimei diesen Vorschlag an. Ihre Beine liefen fast wie von selbst, denn zum Wald ging es etwas abwärts, er lag in einer Art großen Grube. Shima hielt sie fest an der Hand, sie hatte eine wohlig warme Hand, die Haut war etwas trocken und verhornt, was nur noch mehr ihre Kraft unterstrich und Seimei empfand in diesem Moment unglaubliche Vertrautheit.
 

Der Wald war zwar klein, aber er bot den beiden genug Versteck. Ihr Licht, das alle Engel besitzen, hielt sie nun wieder halbwegs warm und Shima hatte sich ganz nah zu Seimei auf einen kleinen flachen Felsen gesetzt, einige Schulbücher dienten ihnen als Unterlage.

"Wie lange wollen wir hier bleiben?"

"Das ist egal, wir können jederzeit überall hin" Shima lächelte.

"Stimmt...verdammt Shima, ich denke, Kuusou alles zu erzählen war das dümmste, was ich je getan habe!"

"Hey, du konntest doch nicht wissen, wie sie reagiert!"

"Ich hätts mir aber zumindest denken können...aber, ach, sie ist doch selbst schuld, sowas intolerantes! Ich dachte, ich kann ihr echt vertrauen!"

Shima nickte. "Und..was war heute?"

"Ich habe versucht mit ihr zu reden...es ihr zu erklären, aber sie hat mich nur angepfaucht. Naja, dann wollt ich einfach nur noch weg. Weit weg von ihr und hab noch einen letzten Satz gesagt und bin dann gleich zu dir runter..."

"Was hast du ihr zum Schluss gesagt?"

"'Ich bin ein Engel, du siehst nur meine Flügel nicht.' Das hat sie wohl nachdenklich gemacht."

Shima nickte. Sie sah auf den Waldboden zu ihren Füßen, der mit gelben Blättern bedeckt war. Ahornblätter.

"Sie ist hübsch", dachte Seimei, wie so oft, wenn ihr Shima so nahe war und so ruhig atmete wiejetzt. Sie konnte ihre Flügel nun ganz genau erkennen. Weiße, große Schwingen, die zerbrechlich und durchsichtig aus ihrem Rücken wuchsen, fasziniert von den transparenten Federn hätte Seimei sie nur zu gerne berührt, aber aus Respekt tat sie nichts und genoss nur noch den Anblick dieser märchenhaften Schwingen und ihrem hübschen Gesicht.

"Shima, was müssen wir tun um zu fallen?"

"Zu fallen? Warum willst du fallen?"

"Ich will dem Alten dort oben nicht mehr dienen!"

"Ein Engel fällt, wenn er mit einem anderen Wesen schläft..."

"Hm...keine angenehmere Möglichkeit?"

"Wenn du es schaffst das Licht deiner Flügel zu löschen, bist du gefallen. Aber selbst wenn du deine Flügel abhacken würdest, würde ihr Licht immer noch heller als ein Stern strahlen."

"Und wenn wir uns dem Satan zusagen?"

"Dann beginnt das ganze wieder von vorne, Dämonen geht es keinen Deut besser als Engeln."

"Wie können wir unser Licht denn noch löschen?"

"Man könnte es neutralisieren. Durch Dämonenblut."

"Also, ganz einfach, wir killen einen Dämon und reiben unsere Flügel damit ein!"

Shima musste lachen. Seimei's Humor war wohl doch unauslöschlich. Doch obwohl die Idee herzlich unmoralisch war, fassten sie den Beschluss, auf Dämonenjagd zu gehen. Sie kehrten nicht mehr zu ihren Eltern zurück, sondern liefen ziellos durch die kalten Straßen. Dämonen verstecken sich gut, aber wenn man einen hat, ist er so gut wie erledigt. Fest umklammert hielt Seimei ein Messer und ihrer Jackentasche, Shima ebenfalls. An den anderen Händen hielten sie sich. Seimei verspürte großen Schmerz und große Hoffnung, denn Shima konnte ja nicht grundlos zugewilligt haben, bis in die Ewigkeit mit ihr auf der Erde zu verweilen. Aber der Schmerz, ständig ihre Hand zu halten, ihren Hauch zu spüren, ihre Wärme aufzunehmen und ihr nichts sagen zu dürfen, zerriss ihr beinah ihr Herz.

Sie waren müde. Zwei Stunden waren sie nun schon durch die Stadt gerannt und hatten keinen Dämon gefunden. Oder nicht entdeckt. Engel erkennen Dämonen sehr schwer, aber in solch einer Notfallsituation blieb ihnen keine Wahl, denn Gott hatte schon längst mitbekommen, dass bei den beiden Engeln etwas nicht richtig sein konnte und warf sicher ein Auge auf sie, doch nachts, wenn er schlief, nachts konnten sie die Dämonen weiter jagen, die Nacht gebot ihnen Schutz und die Dämonen wagten sich ins Mondeslicht.

In einem Park ließen sich die beiden nieder, auf einer Bank, die noch recht feucht war, aber das war ihnen egal, sie waren erschöpft und hatten nicht bedacht, dass es erst mittags war, so schliefen sie ein, die Messer fest umklammert und ihre Hände ineinander haltend.

"Sechs Uhr, 18.00 Uhr, 6 o'clock pm, Ortszeit." dachte Seimei, noch im Halbschlaf auf ihre Armbanduhr blickend.

"Shima" flüsterte sie ihr zärtlich ins Ohr. "Wach auf, die Dämonen kommen heraus und die Sonne geht unter und mit ihr der Herr" Shima lächelte, streckte sich und zog Seimei an sich heran.

"Dann wollen wir mal, meine Süße!" So erstaunt Seimei auch war, so erfreut war sie und voller Tatendrang sprang sie auf und sah sich wie eine Jägerin um. Shima stand auf, schüttelte ihren Mantel aus und leckte sich die trockenen Lippen. Ihre Haaren waren zerzauster als sonst, doch das schien sie nicht im geringsten zu stören, sie nahm das Messer aus ihrer Manteltache und leckte die Klinge ab, die nun im roten Sonnenuntergang gefährlichst blitzte.

"Auf, auf zum fröhlichem Jagen." Die Grausamkeit der beiden Engel gewann an Oberhand und wild stürzten sie durch den Park dem Stadtrand entgegen und sahen mit ihren leuchtenden Augen besser als bei Tageslicht. Die Dämonen kamen aus ihren Verstecken, kein einziger konnte den Engels entgehen, kein einziger.
 

Hinter einer kleinen Mauern nahe des Friedhofen spürte Shima etwas.

"Komm, dorthin, dort ist einer, ich weiß es ganz genau!" Ihre Augen blitzten blutrünstig.

Seimei zückte ihr Messer und zusammen sprangen sie auf die kreischende Kreatur hinter der Mauer. Eindeutig, ein Dämon! Ein junger noch dazu, leicht zu fassen. Seimei würgte dem Dämon Stimme und Atem ab. Sogleich fuhr Shimas Messer auf ihn hernieder. Eine glasklare Flüssigkeit rann aus seiner Wunde, Dämonenblut.

"Seimei, schnell bevor es eintrocknet!"

Seimei schmierte ihre Hände mit dem Blut ein, leckte sie kurz ab und begann darauf Shimas Flügel einzureiben. Shima versuchte gleichzeitig Seimei Flügel zu balsamieren, das Blut quoll weiter aus seiner Wunde, doch der Dämon rührte sich nicht mehr, nur seine Flügel hatten einmal gezuckt, worauf Shima durch die die Flügel bedeckende Haut stach und diese längs aufschlitzte.

Die Flügel der Engel hörten auf zu leuchten. Vor Freude sprangen sie hoch in die Luft, umschlangen sich landeten eng umschlungen wieder auf der Erde.

"Shima, verdammt, ich muss es dir endlich gestehen, ich liebe dich!"

"Oh Seimei, oh Seimei, du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie lang ich schon auf diese Worte warte! Komm, gehen wir, weit weg und nur wir zwei ganz allein!"

Sie brachten dem getöteten Dämon als Opfer zwei ihrer Flügelfedern dar und küssten seine kalten Lippen. Shima strich ihm noch andächtig eine Sträne aus dem Gesicht, als er zu Staub zerfiel und vom Wind davongeblasenwurde. Zusammen würden Seimei und Shima jetzt ein ganz normales Leben führen können, sie würden abhauen, weit weit weg gehen und dort für immer glücklich sein, denn Engel bleiben ihrer Liebe ewig treu.

Oder doch nicht?
 

------und das einzige, das mir noch Hoffnung gibt ist dein Lächeln in der Dunkelkeit------
 

Engelssache, Klagenfurt, 13. 11. 2001
 

ENDE
 

* Seimei: Rein, sauber
 

* Kuusou: Tagtraum
 

* Shima: Insel
 

* Shinja: Christ, christlich
 

* Ookami-Sakae: Ookami: Wolf; Sakae: Ruhm
 

Nachwort (edit for Animexx):
 

Diese Geschichte ist aus persönlichen Emotionen entstanden, aus Träumen und allein meiner Fantasie entsprungen. Fragt nicht,ob es die Charaktere dieser Geschichte wirklich gibt, aber sucht sie und ihr werdet sie finden. Ich will mich bedanken,

bei Anna, weil sie Betatesterin war und mir geholfen hat, die Geschichte zu verbessern

bei der Kuusou dieser Geschichte, weil sie mir Beherrschung ung Disziplin beigebracht hat, auch wenn sie daS nicht weiß

bei der Shima dieser Geschichte, die ich leider wohl nie so erreichen werde, wie Seimei es tat.

Danke auch an jeden, der das hier liest, vielleicht schreibt mir ja der ein oder andere einen Kommentar oder eine E-Mail: Aya-Suu.Miyazaki@gmx.at

Die Copyrights von "Engelssache" liegen bei mir. Vielleicht gibt es eine Fortsetung, vielleicht auch anders, als ihr denkt. Erwartet das unerwartete, und wundert euch nicht über das Ende der Geschichte, denn jeder Charakter hat viele Facetten, schöne, schlechte, böse, unerwartete, grausame. Engel sind grausam...
 

Aya Suu, 13. 01. 2002



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2002-03-22T21:22:15+00:00 22.03.2002 22:22
Hi Aya,
ich habe grade deine Geschichte gelesen und fand sie total toll. Der Schreibstil gefällt mir echt, und außerdem habe ich eine Schwäche für Engel (ich weiß auch nicht, warum) :)
Jedenfalls: Kennst du das Buch"Der Engel mit den dunklen Flügeln" von Elisabeth Knox? Es ist so dermaßen geniaaal!
Ich hab' es inzwischen so zwei-dreimal gelesen und komme immernoch nicht davon los! Darin geht es darum, daß ein Engel und ein Mensch einander begegnen und sich von da ab regemäßig treffen (einmal im Jahr), um zu sehen, wie es dem Anderen geht. Hört sich jetzt vielleicht nicht so überwältigend an, ist es aber! In dem Buch ist es nämlich auch so, daß nicht alles zum Thema Himmel verherrlicht wird. Ich weiß nicht, vielleicht gibt es das Buch ja bei Euch in der Bibliothek oder so. wenn ja, dann kann ich dir nur wärmstens ermpfehlen: lies es!
(Der Anfang ist nicht so das Dollste, aber das wird ganz schnell besser, ehrlich!!!)
Ciao,
Juni
:)
Von: abgemeldet
2002-01-27T18:55:19+00:00 27.01.2002 19:55
Hallo!
Wie ich sehe bist du ein fleißger FanFic Autor, daher würde ich dich bitten deine FanFics auch auf meiner Seite www.brainmovie.de zu veröffentlichen.
Ich nehme aber nicht nur FanFics zum Thema Anime&Manga, sondern zu jedem Thema!
Also, ich würde mich freuen wenn du mal bei mir vorbei schauen würdest.

Bye,
Ludger A. Rinsche


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