Prolog
Pytafe spannte den Bogen und lauschte auf Geräusche in der Dunkelheit. Ihre Feinde waren nahe, würden sie sofort töten, wenn sie auch nur einen Laut von sich gab. Sie hatte niemals vorgehabt, so tief in den Wald vorzudringen, doch die Feinde hatten ihr Dorf früher heimgesucht, als sie gedacht hatte. Sie konnte die Räuber nicht ungestraft davonkommen lassen, nicht wenn es um die Leben von Kindern ging, darunter ihre Schwester Magomzie, die Pytafe über alles liebte.
Links von ihr knackste es laut im Gehölz, Pytafe spannte den Bogen stärker und hielt nach den Feinden Ausschau. Da waren sie. Drei dunkle Schatten, die sich zwischen den Bäumen bewegten, einen Karren mit einem großen Käfig hinter sich herzogen, mehrere kindliche Körper an die Stäbe gepresst. Langsam und plump wirkten ihre Schritte, doch groß und schlank waren ihre Körper. Dunkle Elfen. Mit einem Blick ins Auge konnten sie töten, wenn sie wollten, davor stahlen sie den Opfern ihre Fantasie, nahmen ihnen all ihre Freude und ließen sie schließlich als leblose Hüllen achtlos zurück. Genau das hatten die drei Feinde mit ihrer Schwester vor, die mit ihren zarten sechs Jahren noch einiges an Fantasie in sich hatte.
"Ich will nicht mehr warten", knurrte einer der Dunkelelfen. "Es ist zu lange her, seit ich zuletzt gejagt habe."
"Wir sollten es jetzt und hier machen", antwortete der Zweite. Die Elfen blieben stehen. Es war so weit. Jetzt war der einzige Augenblick, jetzt musste sie zuschlagen, obwohl sie wusste, dass sie nur eine geringe Chance zum Überleben hatte. Pytafe zielte auf den Kopf des größten Elfen, dann ließ sie los. Der erste Pfeil sauste in die Luft und blieb in der Stirn des Elfen stecke. Ein Gurgeln drang aus dessen Kehle. Ehe sich der zweite Dunkelelf versehen konnte steckte ein weiterer Pfeil in seinem Schädel, den dieser sich mit einem Schrei aus dem Kopf zog. Er drehte sich um und sah Pytafe im Gebüsch sitzen, doch diese schoss ihm einen Pfeil zwischen die Augen, bevor er sie töten konnte. Pytafe legte den vierten Pfeil an, doch konnte den dritten Elfen nicht mehr finden. Panik erfasste sie, als jemand ihr den Bogen aus der Hand schlug, sie an den Haaren packte und auf die kleine Lichtung neben dem Karren schleppte.
"Na wen haben wir denn da?!", knurrte der Elf und stieß ein heiseres Lachen aus. "Du bist ein wenig groß aber in den Karren passt du noch." Er öffnete metallene Tür des Käfigs und stopfte sie hinein. Dann machte er ihn zu, nahm den Karren und ging weiter, ließ ohne einen Funken Trauer seine toten Freunde zurück.
Pytafe konnte die Kinder nun genau vor sich erkennen. Die kleinen Hände an den Gitterstäben, starrten sie ängstlich an und hatten Tränen in den Augen. Das Kind vor ihr klammerte sich an ihrem Arm fest.
"Taf", flüsterte es ängstlich. Es war ihre Schwester Magomzie.
Mag musste leben. Sie musste es einfach. Pytafe zog ihren kleinen Dolch aus ihrem rechten Stiefel, da der Elf ihr unachtsam nur den Bogen abgenommen hatte, bearbeitete das alte rostige Schloss, dass die Tür zusammenhielt und schaffte es, nach einigen Malen ärgerlichen Umdrehen des Elfen, das Schloss zu öffnen.
"Lauft, egal was passiert!", flüsterte sie den Kindern zu und deutete auf die Tür. Die kleinen nickten brav mit den Köpfen, dann stieß Pytafe die Tür mit einem lauten Quietschen auf.
Abrupt hielt der Karren an.
"Was treibst du da?!", knurrte der Elf neben. Pytafe blieb stehen, gab sich geschlagen. Sie musste ihre Schwester retten, musste die anderen Kinder retten, musste den Elfen lange genug ablenken, das war alles, was noch wichtig war.
"Lauft nach Hause!", rief sie. Magomzie blieb stehen, schaute mit sie mit ihren verweinten Augen an.
"Komm mit, bitte", hauchte sie. Pytafe sah, wie sich der Elf auf das Mädchen stürzte. Das konnte sie nicht zulassen. Sie packte ihren Dolch und griff den Dunkelelfen an. Ein Hieb auf den Kopf, leider nicht tödlich für Dunkelelfen, der Elf drehte sich zu ihr um, hielt noch Magomzies Arm fest umklammert. Pytafe schlug erneut zu, diesmal fester, sah wie die Klinge in die Haut des Elfen eindrang, was ihn kurz zusammenzucken ließ. Sie konnte sehen, wie sich Magomzie aus seinem Griff befreite und loslief, so schnell sie ihre kleinen Beine trugen. Ein Fausthieb traf sie seitlich am Kinn, doch das war Pytafe egal. Je länger sie durchhielt, desto sicherer war das Überleben ihrer Schwester. Noch ein Schlag ins Gesicht und ein weiterer in den Magen ließen sie zu Boden fallen, der Dolch glitt ihr aus der Hand.
"Du dreckiges kleines Luder!", jaulte der Räuber. "Vermasselst mir meine Ernte und tötest meine Freunde. Du sollst von mir erfahren, wie sich Schmerzen anfühlt!" Er packte ihren Kopf, dann durchflutete sie ein Strudel von Schmerzen. Sie sah, wie sie ihrer kleinen Schwester eine Geschichte erzählte, sah wie sie gemeinsam im Frühling gemeinsam Blumen pflückten und auf der Wiese vor dem Garten herumtanzten, wie sie im Winter einen Schneemann bauten, der sie an ihren Vater erinnerte.
"Bitte, sei in Sicherheit, Mag", flüsterte Pytafe. Dann erloschen ihre Gedanken.
Sie lag auf dem feuchten Waldboden und starrte einem Mann ins Gesicht, der einen Bogen auf sie richtete. Einem Dunkelelfen. Er hatte anscheinend noch einen Pfeil übrig gehabt.
"Der hier ist für dich", knurrte er. Der Mann ließ die Sehne los, traf ihre Stirn und tauchte sie erneut in eine Welle aus Schmerz. Pytafe schloss die Augen und wartete auf ihr Ende.