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Geliebter Blutsbruder

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Keine Chance auf Gegenwehr

Der Apatsche schlief im weiteren Tagesverlauf tief und fest, während sich die ganze Zeit über sämtliche Freunde und Bekannte mit ihrem Besuch abwechselten. Sie alle wollten nochmal aus erster Hand erfahren, was Winnetou in der Wüste geschehen war und darum hofften sie, mit ihm selber sprechen zu können. Da hatten sie aber ihre Erwartungen etwas zu hoch geschraubt und seinen erschöpften Zustand unterschätzt, also war ich gezwungen, diese Geschichte immer wieder von neuem zu erzählen. Ausnahmslos alle waren regelrecht bestürzt über die Tatsache, wie lange es mein Freund, so schwer verletzt, ohne Wasser und unter solch extremen Bedingungen ausgehalten und dem Tod getrotzt hatte. Auch seinem Iltschi galt großes Erstaunen, man bewunderte allgemein die Treue und Klugheit dieses unvergleichlichen Tieres.

Das Interesse der Siedler hatte, weil sie ja noch keine Möglichkeit gehabt hatten, Winnetou aufzusuchen, dafür sowieso seinem Pferd gegolten; so ein prachtvolles Tier hatten sie vorher noch nie gesehen. Mein Hatatitla befand sich ja immer, sobald ich das Land verließ, in der Obhut der Apatschen, war deshalb natürlich auch nicht hier, also war Iltschi jetzt das alleinige Ziel zahlreicher Besucher, vor allem der Kinder. Diese sorgten auch unermüdlich für das ein oder andere Zuckerstückchen, so dass Emery endlich mal ein Machtwort sprach und ein allgemeines Fütterungsverbot für den Hengst ausgab, sonst würde dieser, so drückte er sich aus, anstatt zu den Apatschen geritten, zu ihnen gerollt werden müssen. Da der Rappe im Moment ja auch nicht bewegt wurde, gab ich dem Engländer vollkommen recht. Er hatte ja von mir die alleinige Verantwortung für das Tier bekommen und er nahm diese auch sehr ernst.
 

Am Mittag kam der Anführer des Trecks, der übrigens aus meist deutschen Aussiedlern bestand, zum zweiten Mal seit seiner Ankunft in das Krankenzimmer. Er hieß Joseph Schumann und war ein großer, stämmiger und kräftig gebauter Mann mit dem Herz auf den rechten Fleck. Der Apatsche war nicht ansprechbar, deshalb wandte er sich mit seiner Bitte leise an mich. Da sich außer mir noch Bloody Fox sowie Dick Hammerdull und Pitt Holbers im Zimmer befanden, sprach er englisch: „Mr. Shatterhand, Ihr wisst, dass die Herzen aller Treckmitglieder vor Dank über die Hilfe und Rettung, die Winnetou uns brachte, überquellen. Jeder von uns sucht ständig nach irgendeiner Möglichkeit, ihm etwas Gutes zu tun, aber wir können im Moment ja nichts tun, als ihm die Ruhe zu ermöglichen, die er für seine Genesung benötigt“ Sehr vernünftig, dachte ich bei mir, das erleichtert vieles.

„Vor allem die Frauen würden am liebsten bei der Pflege helfen, und baten mich, Euch zu fragen, ob sie Winnetou zumindest die Mahlzeiten zubereiten dürfen, sobald er wieder zum Essen in der Lage ist?“

Ich erklärte mich einverstanden, bat mir aber aus, dass man sich mit Dr. Hendrick absprechen sollte, weil dieser am besten wissen würde, was mein Freund in der ersten Zeit zu sich nehmen durfte. Schumann nickte erfreut und fuhr fort: „Außerdem wissen wir, dass seine Kleidung durch das Blut und die Messerschnitte völlig ruiniert ist. Die Frauen würden diese gerne an sich nehmen, um sie komplett zu säubern und so wiederherzustellen, dass sie von einem neuen Anzug nicht mehr zu unterscheiden sein wird. - Zumindest haben sie das so versprochen...“ ergänzte er grinsend. Lachend stimmte ich zu, denn das war wirklich ein sehr nützliches Ansinnen. Ich hatte ja, als ich Winnetou für die Erstuntersuchung das Hemd von der Brust geschnitten hatte, dieses spätestens damit eigentlich unbrauchbar gemacht, und hier im Westen gab es nun mal nicht an jeder Ecke einen Kleiderladen.
 

Bevor der Treckführer sich verabschiedete, trat er nochmals kurz an Winnetous Bett, betrachtete den tief Schlafenden eine Weile und sagte leise: „Was für ein wundervoller Mensch!“

Dem konnte ich nur zustimmen.
 

Im Laufe des Nachmittags erwachte mein Freund erneut. Diesmal konnte er sich schon viel länger wach halten und sogar mehrere Gläser Wasser zwischendurch trinken. Er sah jetzt erstmals den Dicken Jemmy sowie den langen Davy, ebenso Martin Baumann nebst Vater vor sich und war mehr als erstaunt, auch diese vier hier auf Helmers Home vorzufinden. Wir erzähltem ihm also noch einmal, diesmal in Ruhe und uns abwechselnd, die Geschehnisse der vergangenen Woche – aus dem Bericht des Hobble-Franks am gestrigen Abend hatte er ja noch nicht einmal die Hälfte verstehen können.

Während des Gespräches streichelte der Dicke Jemmy wieder und wieder Winnetous Hand und in seinen kleinen Äuglein blitzte die ein oder andere Träne hervor. Auch die anderen drei waren sichtlich gerührt über die immer noch deutliche Kraftlosigkeit des Apatschen und seine trotzdem immer gleichbleibende Höflichkeit und Liebenswürdigkeit sowie seine Bemühung, sich seine Schwäche nicht anmerken zu lassen.
 

Als wir unseren Bericht beendet hatten, senkte er eine Weile sinnend den Kopf, um über das Gehörte nachzudenken, und schloss dabei die Augen. Er lag, so wie immer, mit dem Oberkörper auf meiner Brust und für mich war es jedes Mal ein überaus schönes Gefühl, wenn er sich, allerdings nur für mich bemerkbar, fester an mich lehnte und dadurch seine große Liebe und sein Vertrauen zu mir bewies.
 

Nach kurzer Zeit öffneten sich seine Augen und er fragte mich: „Wie viel Zeit ist seither vergangen, Scharlih?“ Ihm war wohl erst jetzt aufgefallen, dass er hier schon länger liegen musste. Ich antwortete: „Heute vor genau sechs Tagen bist du mit Iltschi angekommen und vor acht Tagen geschah der Angriff!“ „So lange schon?“ fragte er, atmete tief durch und schloss anschließend seine Augen wieder. Ich lächelte, denn ich hatte mit dieser für seine Verhältnisse schon fast heftigen Reaktion gerechnet. Mein Freund war zum ersten Mal in seinem Leben an ein Krankenbett gefesselt, eine für ihn völlig ungewohnte Situation. Und da er mich ja genauestens kannte und auch die entschlossenen Gesichter unsere Freunde zu deuten wusste, konnte er sich ausmalen, dass er noch eine ganze Weile in diesem Zustand verbleiben würde müssen. Niemand von uns würde nämlich zulassen, dass er irgendetwas tat, was seine Genesung auch nur im Mindesten gefährden konnte.
 

Als dann wenig später der Arzt das Zimmer betrat, nahm Winnetou ihn erstmals bei vollem Bewusstsein wahr. Der Doktor stellte sich darum auch zuerst vor und erzählte dem Apatschen bei dieser Gelegenheit auch direkt von dem Grund seiner Reise. Kaum hatte er geendet, beeilte ich mich, ausführlich über seine medizinische Hilfe zu berichten und vergaß natürlich auch nicht zu erwähnen, dass Winnetou ohne ihn überhaupt keine Chance gehabt hätte, was der Arzt aber fast schon verlegen von sich weisen wollte und undeutlich einige Satzfetzen über Winnetous „außergewöhnliche Konstitution“ sowie der „Hilfe vom Herrgott“ fallen ließ.

Dieser aber ergriff mit seiner nicht fixierten Hand die Rechte des Doktors und sagte: „Winnetou dankt dem weißen Medizinmann für seine große Hilfe. Er wird ihm das niemals vergessen und irgendwie wieder gutzumachen versuchen!“ Dr. Hendrick nickte zutiefst bewegt, war aber mit den letzten Worten des Apatschen nicht einverstanden. „Da gibt es überhaupt nichts wieder gut zu machen! Ich bin heilfroh, dass ich helfen konnte und ich weiß, dass es niemand so sehr verdient wie Ihr, Häuptling Winnetou, dass man Euch auch einmal etwas Gutes tut!“

Ich gab ihm da innerlich vollkommen recht und mit diesen Worten stieg meine Achtung vor Hendrick noch einmal mehr. Winnetou aber lächelte nur und meinte: „Wir werden sehen.“
 

Er hatte meinen Bericht über die ärztliche Tätigkeiten des Docs aufmerksam verfolgt und sein Blick blieb jetzt an der Infusionsflasche hängen. „Was ist das?“ fragte er. Damit hatte er dem Mitteilungs-Bedürfnis des Arztes über dessen Fachwissen Tür und Tor geöffnet und brauchte nur noch zuzuhören, wie ihm dieser mit einem großartigen Enthusiasmus die neuesten Medizintechniken und die damit verbundenen verbesserten Heilungschancen ohne Punkt und Komma nahebrachte oder, besser gesagt, auf ihn einprasseln ließ. Erst als Dr. Hendrick nach einer gefühlten Ewigkeit auf sein Lieblingsthema „Naturheilkunde“ zu sprechen kam, konnte Winnetou sich mit einbringen.

Eine ganze Weile fachsimpelten beide über die verschiedensten Heilkräuter und ihre Wirkungen, und ich konnte mich nur noch wundern, wie gesprächig einerseits der Apatsche plötzlich war – so kannte ich ihn gar nicht! - und wie lange er andererseits jetzt schon durchhielt, ohne dass seine Schwäche ihn wieder zu übermannen drohte. Ich ertappte mich dabei, wie ich nur da saß und überglücklich all seinen Worten lauschte und seinen Bewegungen folgte. Er schien auch wirklich keine Schmerzen zu haben, zumindest nicht in dieser Position, in der er lag, und darüber war ich einfach nur froh.
 

Irgendwann aber schien der Doktor eher als Winnetou zu bemerken, dass diesen langsam seine Kräfte verließen. Sofort besann er sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe und unterbrach die Unterhaltung, zwang meinen Freund, ein Medikament zur Stärkung der Herzmuskeln mit genügend Wasser zu sich zu nehmen, untersuchte ihn nochmal kurz und ordnete für die nächsten Stunden erst einmal wieder absolute Ruhe an. Winnetou ließ das alles ohne auch nur den leisesten Widerstand über sich ergehen, wohl in dem Wissen, dass er sich gegen eine solche geballte Übermacht sowieso nicht würde wehren können...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: haki-pata
2015-07-29T14:31:03+00:00 29.07.2015 16:31
Oha. Winnetou hat bei vielen Menschen einen Platz im Herzen.
Uh...? Ein redseliger Doktor, der - einmal damit angefangen - nicht zum Ende kommen kann.
Ich musste grinsen.


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