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Geliebter Blutsbruder

von

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Genesung in kleinsten Schritten

Winnetou war erstmals erwacht! Allein diese Tatsache ließ mein Innerstes vor Glück fast zerspringen! Jetzt ging es aufwärts, das fühlte ich deutlich. Er würde wieder vollkommen gesund werden, und ich – ich würde, zumindest so weit er das zulassen wollte, für immer bei ihm bleiben, von kurzen Besuchen in meiner Heimat mal abgesehen. Dieser Entschluss war in den letzten Tagen langsam, aber stetig in mir gereift, da mir erst durch dieses traumatisierende Ereignis so richtig klar geworden war, wie vergänglich das Leben ist und dass es keinesfalls immer selbstverständlich gewesen war, dass ich meinen Blutsbruder bisher nach jeder Rückkehr in den Westen gesund und munter wieder in die Arme schließen konnte. Jetzt hatte sich mein Vorhaben durch Winnetous Reaktion vorhin auf mich erst recht gefestigt, denn trotz seiner großen Schwäche hatte er eine solch deutliche Freude über meine Anwesenheit gezeigt, war so glücklich gewesen - er hatte meine Seele damit zutiefst berührt.
 

Jetzt aber galt es vor allem, den Patienten gesund zu pflegen. Mittlerweile war es später Abend, bis auf Dr. Hendrick hatten alle den Raum verlassen und auch dieser schickte sich an, erstmals wieder in seinem Gastzimmer zu nächtigen. Ich blieb ja bei meinem Freund, für den keine unmittelbare Gefahr mehr bestand, und würde wohl jede Verschlechterung seines Zustandes bemerken, so dass ich den Doktor notfalls sofort holen konnte.
 

Als alle das Zimmer verlassen hatte, begann ich wieder mit der Körperpflege Winnetous. Ich war überrascht, wie leicht mir das fiel, auch die Pflege des Intimbereiches, obwohl ich so etwas vorher noch nie getan hatte. Es lag wohl an der großen Vertrautheit, die zwischen uns herrschte. Er bekam es zwar nicht mit, aber ich war überzeugt, dass er meine Handlungen auch im wachen Zustand mit großem Gleichmut hingenommen hätte.

Anschließend schlief ich so gut und so fest wie seit meiner Ankunft hier auf Helmers Home nicht mehr, obwohl ich mehrere Male in der Nacht für kurze Momente erwachte, in denen ich Winnetous Zustand überprüfte. Meine Hand lag, wie schon an allen Tagen zuvor, auf seiner Brust, so dass ich jeden seiner immer noch unregelmäßigen, mittlerweile aber schon kräftiger werdenden Herzschläge spürte, und mir war, als müsste ich jeden von ihnen mit größter Freude begrüßen. Sie waren ja gleichbedeutend mit dem Kostbarsten, was es für mich auf der Welt gab – Winnetous Leben.
 

Am frühen Morgen erwachte ich wieder durch eine neuerliche Bewegung in meinen Armen. Sofort war ich hellwach und blickte meinem Winnetou mit größter Spannung ins Gesicht. Richtig, sein Kopf bewegte sich leicht und er blinzelte wieder. Es kostete ihn immer noch größte Mühe, die Augen zu öffnen. Als es ihm nach wenigen Augenblicken dann endlich gelungen war, sah er mich kurz an, dann schlossen sich seine Lider wieder und ein erleichtertes Lächeln glitt über sein Antlitz. Man glaubt gar nicht, wie froh ich war, dass ich in diesen Momenten bei ihm war und nicht in Afrika! Meine Anwesenheit beruhigte ihn offenbar ungemein und das konnte sich ja nur gut auf seine Genesung auswirken.

Ruhig streichelte ich immer wieder seine Wangen, seine Stirn und wartete auf weitere Reaktionen. Seine Mimik war zunächst völlig entspannt, doch dann entwickelte sich ein sorgenvoller Ausdruck auf seinem Gesicht - und ich glaubte auch zu wissen, woran er dachte. Wahrscheinlich fielen ihm jetzt nach und nach die vergangenen Geschehnisse wieder ein, und somit wähnte er natürlich den Treck noch in größter Gefahr, da er ja von der Ankunft seiner Apatschen und der Westmänner bei den Auswanderern und der anschließenden Vernichtung der Llano-Geier noch gar nichts wissen konnte.
 

Seine Augen öffneten sich wieder langsam, sein Blick fand mich und er wollte anfangen zu sprechen. Das aber ließ ich nicht zu. Der Doktor hatte mich abends zuvor darum gebeten, Winnetou, sollte er zwischendurch erwachen, zum Trinken von wenigstens ein paar Schlucken Wasser zu zwingen, da sein Mund und Rachen durch die fehlende Nahrungs- und Wasseraufnahme völlig trocken sein und ihm dadurch jedes Wort unnötige Schmerzen bereiten würden. Daran dachte ich jetzt. Ich legte wieder meinen Finger auf seinen Mund, schüttelte den Kopf und griff nach einem Glas Wasser, welches auf einem Tischchen neben dem Bett stand.

„Mein Bruder mag erst etwas trinken, damit er keine Schmerzen beim Sprechen verspürt!“ forderte ich ihn auf. Ein kurzes Nicken war die Antwort. Ich hob seinen Kopf etwas an, setzte das Glas vorsichtig an seine Lippen und es gelang ihm tatsächlich, ein paar Schlucke zu sich zu nehmen. Man konnte ihm, als er sich zurück sinken ließ, ansehen, dass ihm das wirklich gutgetan hatte.
 

Doch einen Moment später begann er mit geschlossen Augen und unter großen Anstrengungen zu flüstern: „Mein Bruder.... muss... einem Siedler-Treck im... im Llano....zu Hilfe kommen,.......die Geier haben.....haben sie mit......falsch... gesteckten Stangen.....“ Hier unterbrach ich ihn: „Mein Bruder mag ohne Sorge sein, ich weiß das alles schon.“ Jetzt öffnete er, immer noch mit sichtlicher Mühe, die Augen, und ein erstaunter Blick traf mich. „Bloody Fox hat uns alles erzählt. Der Treck befindet sich hier in Sicherheit, Mensch und Tier sind alle wohlbehalten und gesund!“ berichtete ich in aller Kürze, um ihn zu beruhigen. Der ungläubige Ausdruck in seinen Augen aber wollte nicht weichen und zwang mich, etwas genauer Auskunft zu geben. Ich berichtete ihm mit wenigen Worten. Während er zuhörte, schlossen sich seine Lider und er tat einen tiefen, erleichterten Atemzug. Kurz darauf versuchte er nochmal, die Augen zu öffnen und zu sprechen, aber seine große Schwäche ließ das nicht mehr zu. Schnell beeilte ich mich, ihn zu fragen: „Hat mein Bruder Schmerzen im Körper?“ Ich erhielt keine Antwort, auch nicht in Form eines Kopfschütteln oder Nicken – er hatte wieder die Besinnung verloren.
 

Fast im gleichen Augenblick betraten der Doktor sowie Emery mit besorgten Gesichtern das Zimmer. Sie hatten mich sprechen hören und glaubten, warum auch immer, an eine Verschlechterung von Winnetous Zustand. Als sie aber das Strahlen in meinem Gesicht sahen, hellten sich ihre Mienen sofort auf, und während der Arzt meinen Freund gründlich untersuchte, berichtete ich den beiden über dessen erneutes Erwachen und seine Reaktionen. Der Doktor war mit dem Gehörten und seinem Untersuchungsergebnis höchst zufrieden und gab uns Auskunft: „Die Schwäche und die Rhythmusstörungen des Herzens werden noch eine Weile anhalten, der daraus resultierende, im Moment viel zu niedrige Blutdruck ebenfalls, aber die Wunden heilen sehr gut und sein Blutverlust hat sich fast schon wieder ausgeglichen. Das Fieber ist ja schon seit gestern vollständig verschwunden - also alles in allem ein überraschend gutes Ergebnis!“ Er strich Winnetou einen Moment lang über die Stirn und fuhr dann fort: „Ruhe und absolute Schonung, das ist jetzt die wichtigste Medizin für ihn – aber ich glaube nicht, dass er unter Ihrer Fürsorge in Gefahr läuft, sich zu überanstrengen.“ Ich nickte lächelnd. „Wenn er in der Lage ist, etwas länger wach zu bleiben, können wir ja mit einer leichten Ernährung beginnen. So lange werden die Infusionen diese Aufgabe weiter übernehmen. Außerdem sollte er in jeder Wachphase ein oder mehrere Glas Wasser trinken,“ erklärte er weiter. Wir versprachen natürlich, dafür zu sorgen, und er verließ den Raum.
 

Mittlerweile schien die Sonne ins Zimmer und erhellte alles mit ihren Strahlen. Genauso fühlte ich auch in meinem Inneren. Der Morgen schien von einer besonderen Freundlichkeit zu sein und mein Frühstück schmeckte mir wie schon lange nicht mehr. Was hatte ich für eine Todesangst um meinen besten Freund gehabt! Und jetzt schien sich alles zum Guten zu wenden! Da musste einem ja das Herz aufgehen! Ich vergaß natürlich nicht, in einer ruhigen Minute meinem Herrgott für seine Güte und sein Erbarmen zu danken.
 

Den ganzen Morgen und Mittag über kamen die Gefährten abwechselnd herein und freuten sich mit mir über Winnetous Fortschritte. Wir unterhielten uns leise, flüsternd, denn der Arzt hatte diese Ruhe angemahnt, da der Apatsche jetzt nicht mehr vollständig besinnungslos war, sondern am Rande der Bewusstlosigkeit schlief. Es war ein Genesungsschlaf, der ja immer sehr tief ist und ihm einfach nur gut tat. Trotzdem waren es intensive Gespräche, in denen wir uns gegenseitig unsere Erlebnisse der letzten Jahre berichteten.
 

Am Nachmittag weilten gerade Old Wabble, Emery, Tante Droll, Old Firehand, Bärenjäger Baumann sowie Bloody Fox im Zimmer, als Winnetou erneut erwachte, worüber sich die Anwesenden natürlich besonders freuten. Als er die Augen aufschlug, schien ihm das schon etwas leichter als vorher zu fallen. Halb lag ich, halb saß ich, wie schon vorher beschrieben, bei ihm im Bett, so dass ich wieder der erste war, den er erblickte. Sofort erschien sein wunderbares Lächeln auf seinem Antlitz, und bei diesem Anblick stieg urplötzlich ein so tiefes Gefühl der Liebe zu ihm in mir auf, dass ich eine Gänsehaut bekam.

Lange konnte er die Lider nicht offen halten, er schloss sie und atmete ein paar mal tief durch. Im Zimmer herrschte angespannte Stille.

Sein Gesicht nahm plötzlich einen besorgten Ausdruck an, er öffnete die Augen und fragte mich flüsternd: „Wie... geht es .....Iltschi?.....“ „Es geht ihm gut!“ beeilte ich mich, ihn zu beruhigen. „Er war bei eurer Ankunft natürlich völlig erschöpft, aber Emery hier hat sich wunderbar um ihn gekümmert. Er ist wieder genauso kräftig und gesund wie vorher!“ Winnetou blinzelte. „Emery.....hier?“ Ich nickte ihm zu. „Mein Bruder mag nur etwas weiter nach links schauen!“ Er tat es und schenkte Emery ein leises Lächeln. Dieser nahm völlig gerührt seine Hand, küsste sie und drückte sie an sich. „Was bin ich froh, dass du wieder unter den Lebenden bist, mein Junge!“ Seine Stimme klang belegt. Winnetou konnte wieder nur flüsternd und mit kleineren Pausen antworten: „Auch Winnetou ist froh,.....seinen weißen ....... Bruder ..... wiederzusehen ....“ Seine Kräfte verließen ihn und er schloss die Augen. Ausnahmslos allen Anwesenden waren die Emotionen anzusehen. Es war eine fast andächtige Stimmung im Zimmer zu spüren; niemand bewegte sich oder sprach laut, nur ab und zu flüsterten sie sich kurze Bemerkungen zu.
 

Als Winnetou wieder zu mir sah und nochmals zum Sprechen ansetzte, hielt ich es für geraten, der Anweisung des Arztes zu folgen. Ich signalisierte ihm also, zu schweigen und sorgte dafür, dass er zuerst mit meiner Unterstützung fast ein ganzes Glas Wasser leeren konnte. Als sein Kopf zurück an meine Brust sank, fiel sein Blick auf Old Firehand und seine Augen weiteten sich. „Mein älterer...... weißer.... Bruder.... ist auch hier?“ Damit hatte er natürlich überhaupt nicht gerechnet! Auch Old Firehand standen Tränen in den Augen, als er die andere Hand des Apatschen ergriff und diesem im leisen Ton erklärte: „Ich wollte meinen roten Bruder in seinen Weidegründen besuchen – Mein Herz trägt großen Kummer, weil ich Winnetou nicht gesund erblicken kann!“ Dieser erwiderte: „Mein Bruder mag sich nicht sorgen.....Er wird mit Winnetou...... bald wieder die.....Jagdgründe der Apatschen.....besuchen können.....“
 

Er versuchte doch tatsächlich, trotz seines immer noch schlechten Zustandes, Trost zu spenden! Aber so war er halt, mein Winnetou, und dafür liebte und verehrte ich ihn.

Er war wieder am Ende seiner Kräfte und schlief ein. Aber diesmal hatte er schon länger durchgehalten, und es war deutlich zu sehen, dass es in kleinen, aber stetigen Schritten aufwärts ging.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: haki-pata
2015-07-28T10:50:22+00:00 28.07.2015 12:50
Es ist so schön zu lesen.
Verzeih, wenn ich es nicht anders zu beschreiben weiß.


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