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Pinselstriche der Macht

von

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Farbpalette

Die Geschichte und Charaktere sind reine Fiktion. Alle Ähnlichkeiten mit echten Personen (egal, ob im Leben oder bereits verstorben), Geschehnissen und Orten sind reiner Zufall.

 

 

Prolog: Farbpalette

 

 

 Eine Welt, die getaucht ist in bunten Farben, Facetten und Flair scheint doch sehr reizvoll. Farben, die man nicht benennen kann, weil sie so einzigartig sind, dass man sich darin verlieren kann, wie in den Augen einer schönen Frau. Blumen, die so facettenreich sind, dass es unmöglich ist, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen und ihre Schönheit zu ergründen. Ein leichter Flair um allem, was existiert, sei es nun ein Tier, eine Pflanze oder ein Mensch. Und dazu kommt dann die Magie, die mit den Farben einher geht. Sie schlummert tief darin und ruft danach, entfesselt zu werden. Aber nicht viele sind dazu in der Lage. Diejenigen, die imstande sind, die Magie der Farben zu entfesseln, nennen wir Schöpfer.

Schöpfer sind an gewisse Grundregeln gebunden, gegen die sie sich einfach nicht wehren können. Als wollte eine äußere Macht sie zügeln, damit sie niemals so machtvoll werden, dass sie die Welt zerstören können oder nach ihren eigenen Vorstellungen umformen. Sie sind in der Lage, Kunstwerke zum Leben zu erwecken. Aber es geht nur dann, wenn das Gemälde selbst von ihnen gemalt und die verwendeten Farben selbst von ihnen gemischt wurden. Außerdem müssen sie in ihren Pinselstrichen eine Geschichte für das Leben mit einflössen, damit es existieren kann. Das Bild muss eine Lebensform enthalten, wobei egal ist, ob es sich dabei um einen Menschen, ein Monster, ein Fabelwesen oder eine legendäre Kreatur handelt. Ein Schöpfer ist also nur so gut, wie das Geschick seiner Hände und seine eigenen Kenntnisse für Kunst und Mischung. Neue Landschaften oder Gebäude können sie nicht einfach erzeugen.

Nicht, dass es nicht Schöpfer gäbe, die sich eben dieser Forschung stellten. Sie wollten herausfinden, ob sie wirklich nicht in der Lage waren, leblose Objekte oder Pflanzen zu schaffen, wenn sie nur genug Geschick in ihre Pinselstriche legen und ihrer Schöpfung dabei eine Geschichte verpassen. Doch es ist eben nicht so, wie wenn sie einen Mensch kreieren. Einen Menschen kann man formen, indem man seinen Charakter, seinen Beruf und sein Leben festlegt. Aber welchen Charakter gibt man einer Landschaft? Welchen Beruf gibt man einer Blume?

Sie versuchten deshalb, die Entstehung der gemalten Landschaft zu rekonstruieren. Wie der erste Regen die Samen im Boden nährte und aus ihnen die Pflanzen wuchsen. Wie die Felsen als kleine Steine begonnen haben und jedem Unwetter trotzten. Wie die ersten Blumen das erste Mal von der strahlend hellen Sonne geküsst wurden.

Aber egal, wie detailliert sie es auch malten und wie intensiv sie dabei die Geschichte dieser Landschaft erträumten, es blieb ein einfaches Gemälde. Schön und einzigartig anzusehen, aber eben nicht mehr als eine Leinwand mit vielen Schichten aus Farben.

Dennoch verbietet das Reich solche Forschungen nicht, sondern fördert diese sogar. Es gibt ganze Universitäten, die sich mit dem Studium befassen, leblose Gegenstände und Landschaften über die Magie des Malens zu erschaffen. Die Schöpfer, die sich diesem Studium widmen, werden finanziell gefördert und alle Aufzeichnungen, die sie dabei machen, werden in einer großen Bibliothek untergebracht, auf die nur jene zugreifen können, die sich auch diesem Leben hingeben.

Doch wieso förderte man so etwas? Wenn klar war, wie gefährlich es sein konnte, eine Welt nach eigenem Interesse zu formen, warum wollte man das dann fördern?

Die Antwort liegt mehr auf der Hand als man vielleicht auf Anhieb erkennt...

Wenn Bauern keine Felder mehr bestellen müssen, dann könnten sie andere Berufe ergreifen, wie das Soldatentum oder Berater. Vielleicht entdeckten sie unter eben diesen Bauern sogar neue Schöpfer! Denn diese Felder würden dann einfach Schöpfer malen und erschaffen. Üppig und voller leckerer Zutaten, die nur noch Jemand ernten, aber Niemand mehr säen und pflegen müsste. Das ganze Jahr über hätte man alle Lebensmittel zur Verfügung, unabhängig von Wetter und Jahreszeit! Erdbeeren im Winter, frühlingshafte Gärten im Herbst. Es bietet so viele Möglichkeiten, um das Überleben zu sichern und dazu sogar noch einige Annehmlichkeiten zu erhalten.

Außerdem könnte man so auch Waffen erschaffen, die aus den seltensten Metallen bestehen und so stabil und gut geschmiedet sind, dass kein Reich ihnen etwas entgegen setzen konnte. Und das ebenfalls so zahlreich, dass sie die Armeen versorgen, aber gleichzeitig noch damit handeln könnten. Das Gleiche gilt auch für Rüstungen und andere Bekleidungen.

Denn obwohl sie ein Volk der Kunst sind und die Welt so schön ist, in der sie leben, mangelte es ihnen an vielem. Sie haben nicht genug Männer, um ihre Armeen voll zu bemannen, wodurch sie Schöpfer nutzen mussten, um Soldaten zu erschaffen, die im Krieg fielen. Der Prozess, einen echten Menschen mit Gefühlen und eigenen Willen zu schaffen, ist verboten, weshalb Schöpfer nur gehorsame Soldaten erschaffen dürfen oder Narren zur Belustigung des Königs. Es gibt Ausnahmen, wie wenn eine Familie keine eigenen Kinder hervorbringen kann. Aber das muss erst reichlich geprüft und vom Ministerium abgesegnet werden. Doch es wäre niemals ein echtes Kind, denn egal wie gut das Kunstwerk davon wird, es wird nicht wachsen und sich nicht entwickeln. Es bleibt immer im geschaffenen Alter. Und je mehr die Farben des Bildes verblassten desto mehr verblasste eben auch die Schöpfung. Sie begann zu vergessen, wofür sie gemalt wurden war, was sie bereits gelernt und erlebt hat und irgendwann zerfiel der Zauber und nur eine leblose Hülle blieb zurück. Dann musste das Gemälde verbrannt werden, wodurch auch die Hülle verbrennt. Ein schmerzhafter Prozess, wenn die „Eltern“ zusahen, wie ihr „Kind“ verbrennt. Weniger schmerzhaft ist es, wenn ein Narr oder Soldat fiel oder zu „alt“ wurde, denn sie wurden nicht emotional an irgendwelche Menschen gebunden.

Aber die anderen Ländern verurteilen sie dafür, dass sie sich Soldaten erschaffen und sie sind neidisch auf die Magie, die nur bei ihnen entstand. Sie wollen eigene Schöpfer! Deshalb stehen die Reiche gegen Lichtheim, statt in Harmonie und Frieden mit ihnen zu existieren. Jeder Zeit müssen sie mit Übergriffen rechnen oder mit der Raubung ihrer Schöpfer, die man dort als Gefangene oder Haustiere hielt. Deshalb befahl der König auch, die Schöpfer nicht in die anderen Reiche zu entsenden und bat diese auch, nicht dorthin zu fliehen. Tat einer es doch, dann war es seine eigene Entscheidung und er konnte nichts für ihr Wohl tun. Meistens mussten sie dann auch Soldaten erschaffen. Aber die Mittel für Farben, Leinwände und Ruhe ist dort einfach nicht gegeben. In Gefangenschaft zu sein und das in einem feuchten, kahlen Zimmer, fördert nicht gerade die Fantasie. Außerdem besaßen sie dort nur begrenzte Mittel zur Mischung der Farben, damit sie nicht zu fliehen versuchten. Es gab sogar Wachen, die jeden Pinselstrich im Auge behielten, damit eventuelle Täuschungen schnell aufgedeckt werden konnten. Das war kein schönes Leben...

Natürlich leben die Schöpfer in Lichtheim auch unter strengen Bedingungen und wurden in gewissen Maßstäben auch dazu genötigt, sich in den Dienst des Reiches zu stellen. Jedoch werden sie dennoch gesondert gefördert und respektvoll behandelt.

Außer jene, die sich nicht an die Gesetze und Regeln hielten, die jedem Schöpfer auferlegt waren, wie das Verbot, lebensfähige Menschen zu schaffen - außer Soldaten und bei geprüften Ausnahmen. Oder die ihre Gabe nutzten, um Verbrechen, wie Diebstahl oder Mord zu begehen. Einige Schöpfer wollen den größtmöglichen Vorteil aus ihrer Kunst erzielen und eben diese waren Geächtete in Lichtheim und wurden dem König persönlich vorgeführt, wenn man sie erwischte. Ihre Strafe wurde danach ermessen, wie abscheulich ihre Taten waren und wie sehr sie dem Reich und dem Volk geschadet hatten. Unabhängig von der Herkunft und Wissen des Schöpfers.

Grau

Cynthra kannte das Leben auf der Straße von Lichtstein, welche die Hauptstadt von Lichtheim war - dem Reich der Farben. Es war gewiss nicht immer so gewesen, denn eins war sie eine große Gelehrte im Palast gewesen. Geschätzt, anerkannt und durchaus begehrt. Denn Cynthra war eine selten schöne Blume mit ihrem puppenhaften Gesicht, das nicht viel Schminke brauchte, um zu strahlen. Da waren diese zauberhaften Sommersprossen, die sich über Wangen und Nasenrücken verteilten und die leicht gebräunte Haut aufregend anders gestalteten. Dazu kamen die dunklen, braunen Augen und das ebenso dunkelbraune, lange Haar. Früher hatte sie ihre Haare dann zwar in Dutts und geflochtenen Zöpfen gezügelt und es nicht so struppig und offen getragen, wie heute. Und sie hatte schöne Roben in vielen Farben getragen und nicht eine abgewetzte Lederhose mit einem grauen, ebenso abgewetzten Hemd. Gewiss hatte sie auch besser gerochen. Aber die natürliche Schönheit blieb erhalten. Das konnte ihr keiner nehmen! Auch nicht ihre hochgewachsene Gestalt von etwa einen Meter und zweiundachtzig Zentimetern. Der Körper, der eins drahtig, aber gut genährt gewesen war, war nun abgemagert und gab eben dieser Größe einen unschönen Aspekt.

Hier auf den Straßen von Lichtstein war das Überleben wirklich schwierig. Betteln war verboten und solche Versuche, wie durch Gesang oder Tanz Gold zu verdienen, wurde auch nur begrenzt zugelassen. Genau genommen musste man das beim Ministerium beantragen. Einem Dieb schlug man die Hand ab, mit der er das Verbrechen begannen hatte, sofern man diesen erwischte. Prostitution wurde auch geahndet, außer man arbeitete in einem königlichen Bordell. Solche Vergnügungshäuser boten sexuelle Dienste nur für Soldaten und Reichsdiener an, nicht aber für Adlige, Reiche und schon gar nicht für einfache Bauern oder Bewohner. Nun sollte man meinen, dass das gut für die Dirnen war, aber Soldaten galten als besonders brutal und ungnädig, wenn es um sexuelle Belange ging. Immerhin hatten dise Männer und Frauen getötet, Tod gesehen und noch viel Schlimmeres als das. Ihre Seelen und ihr Verstand waren oft angegriffen von den Traumata, die das mit sich brachte. Die Frauen und Männer, die also gezwungen waren, in solch ein Etablissement zu arbeiten, hatten es kaum besser als die, die sich auf der Straße an Diebe und Arbeiter verkauften. Sie mussten nämlich wirklich alles machen, was man ihnen befahl, während eine Straßendirne abhauen konnte, wenn ihr etwas so sehr missfiel, dass es das Geld nicht wert war.

Ohne Geld konnte selbst ein Schöpfer kaum bis gar nicht auf der Straße überleben, denn man kam nicht an leere, saubere und heile Gefäße zum Farben mischen, geschweige denn an die Zutaten dafür. Pflanzenextrakte für die Farbgebung, Alkohole und Bindemittel für Haltbarkeit und Qualität. Dann wären da noch die Leinwände, Pinsel und eine ruhige Umgebung, in der man seiner Kreativität folgen konnte. Genau das war auch Cynthras Problem.

Sie fand keine Arbeit, um an Münzen für ihre Schöpfungen zu kommen, weil überall Zeichnungen von ihr hingen, die besagten, dass sie ein Staatsfeind sei und man sie nicht beschäftigen dürfte. Ihren Körper verkaufen, wollte sie weder offiziell noch inoffiziell. Es blieb also nur Diebstahl, um sich selbst ernähren zu können und um an Materialien für eine Schöpfung zu gelangen. Man hatte sie anfangs sehr oft erwischt, doch sie war jedes Mal entkommen, bevor man ihr eine Hand abschlagen oder sie sogar in den Kerker des Palastes bringen konnte. Dennoch fiel nie genug Essen ab, damit sie etwas gesünder zulegen konnte, obwohl sie inzwischen wirklich gut als Diebin war.

Erst seit die Dunkelhaarige auf der Straße lebte, hatte sie das Elend entdeckt, das sogar in Lichtstein herrschte. Der König war so sehr auf seinen Reichtum, die Kriege und die Forschungen fixiert, dass er sein Volk langsam, aber sicher aus den Augen verlor. Es herrschte Armut und Hunger auf den Straßen der unteren Viertel, während die Reichen und Schönen Feste feierten und verschwenderisch lebten. Cynthra konnte es verstehen, denn eins war sie ja genauso blind gewesen und hatte ebenso wenig erkannt, wie schlecht es den einfachen Arbeitern erging, die sich gegen Korruption, Diebstahl und Verfolgung stellen mussten. Immerhin war kaum einer von ihnen ein Schöpfer und dazu fehlte ihnen oftmals die nötige Ausbildung.

Sie aber hatte für ihre sechsundzwanzig Jahre eine ausgezeichnete Ausbildung hinter sich und dazu eine außergewöhnliche Begabung für die Malerei und die Entwicklung einer Geschichte für ihre Gemälde. Dazu kam das wirklich gute Gespür für Farbmischung und die Erschaffung ganz neuer Töne, die in schönen Übergängen und zahlreichen Schichten wunderbar zur Geltung kamen. Bisher war jedes von Cynthras Kunstwerken zum Leben erwacht und sie hatten eine überdurchschnittlich lange Lebenserwartung. Eine normale Schöpfung konnte maximal ein Jahr überdauern, dann fing der Zerfall an und kurz darauf musste man das Gemälde dann verbrennen, aber die meisten Schöpfer waren nicht so gut, weshalb ihre Schöpfungen meistens nur einige Monate hielten.

Das Problem bei der ganzen Sache war nur, dass das Malen und die darauf folgende Schöpfung eine Sucht bei den Schöpfern auslöste. Man wollte besser werden, lernen und begreifen. Neue Farben mischen, neue Pinselstriche aneignen und längere Lebenserwartungen für Schöpfungen erzielen. Man wollte Menschen erschaffen, die man nicht als Schöpfung identifizieren konnte, weil sie so echt und lebhaft waren und so viel zu berichten hatten, dass es wie ein echtes Leben erschien.

Entzog man einem Schöpfer plötzlich die Möglichkeit, Kunstwerke zu erschaffen, war es so, wie wenn man einem Alkoholiker die Möglichkeit nahm, Alkohol zu trinken - ein kalter Entzug.

Und mein Entzug dauert schon zu lange., dachte Cynthra verärgert als sie auf ihre Hände blickte, die furchtbar zitterten. Wie lange war es her, dass sie einen Pinsel gehalten hatte? Fünf oder sechs Jahre? Sie musste etwa Zwanzig gewesen sein als man auf sie begann Jagd zu machen. Sie konnte zwar aus dem Palast entkommen, bevor ihre eigenen erschaffenen Soldaten sie erwischten, aber seither war sie eine Geächtete, die steckbrieflich gesucht wurde. Selbst nach all dieser Zeit glaubte man nicht, dass sie tot war und sie würden es auch erst glauben, wenn eine Leiche auftauchte.

Kaum ein anderer Schöpfer, der vom rechten Pfad abgekommen war, wurde so gefahndet, wie sie und sie hatte nicht mal ein Verbrechen begannen. Jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne.

Es war ein schweres Leben, das sie führte, aber inzwischen hatte sie ein Versteck, das bisher kaum einer gefunden hatte und dort sammelte sie Farben, Gefäße, Leinwände, Pinsel und Zutaten zum Mischen, die sie sich gestohlen hatte. Dabei ließ Cynthra die Finger von schlechten oder verunreinigten Produkten, denn das, was sie zu schaffen versuchte, musste perfekt sein. Und es würde ihr endlich die Freiheit einbringen! Niemand würde sie mehr verfolgen und sie konnte in eine andere Stadt reisen und dort einen Beruf erlernen oder vielleicht als Schöpferin dienen.

Doch es ist zu wenig..., dachte die Brünette und musterte ihre magere Beute der letzten Jahre, Ich werde niemals dieses Kunstwerk erstellen können, bevor mich die Feurer finden.

Feurer waren speziell ausgebildete Krieger, die nur einem Zweck dienten: Abtrünnige Schöpfer zu jagen, sie einzufangen oder zu vernichten. Das hing ganz von ihrem Auftrag ab, an den sie sich immer streng hielten. Sie wurden von Kindesbein an im Palast ausgebildet und ihnen wurden die Gefahren und Tricks der Schöpfer genau erklärt. Teilweise wuchsen sie sogar mit den Schöpfern zusammen auf, damit sie diese studieren und erforschen konnten, sodass sie niemals auf sie hereinfielen.

Nicht Jeder konnte ein Feurer werden, denn wie bei den Schöpfern, mussten sie eine bestimmte Veranlagung von ihrer Geburt an besitzen, die mit einer geringen Wahrscheinlichkeit erblich war. Wobei diese Wahrscheinlichkeit höher war als bei den Schöpfern... Denn Feurer waren in der Lage, Schöpfungen durch einen Blick zu erkennen, egal, wie gut sie auch sein mochten. Ihr Name wurde deshalb gewählt, weil sie eine Schöpfung nur mit ihren Fingern berühren mussten, damit sie direkt Feuer fing. Es hatte den gleichen Effekt, wie das Gemälde, das sie schufen, zu verbrennen. Cynthra dankte innerlich Valira, der Göttin der Schöpfung, dass Feurer das Gleiche nicht mit Menschen oder Schöpfern tun konnten! Wahrscheinlich verfluchten die Feurer Asmandir, den Gott des Feuers, für eben diesen Makel ihrer Fähigkeiten. Denn es war kein Geheimnis, dass sie einen starken Hass oder Ekel gegen die Schöpfer empfanden. Sie wuchsen immerhin mit dem Geflüster im Ohr auf, dass Schöpfer potenziell gefährlich waren und dazu neigten, ihr Reich zu verraten. Absoluter Unsinn, wie Cynthra klar war! Schöpfer verrieten ihr Reich nicht mehr oder weniger als andere Menschen, aber so hielt man sie eben im Zaum, damit sie es gar nicht erst versuchten.

Feurer unterschieden sich stark von Lichtheimern, denn sie mussten eins einem anderen Land oder einer anderen Kultur entsprungen sein, bevor sie sich dann in Lichtheim eingefunden hatten. Sie hatten eine gebräunte Haut, die einen leicht rötlichen Stich besaß und eigentlich immer dunkle Haare - meistens Schwarz. Es war so ein tiefes Schwarz, dass man manchmal kaum die einzelnen Haare oder Strähnen erkennen konnte. Dazu kam, dass ihre Ohren etwas spitzer waren als von gewöhnlichen Menschen. Sah man von ihren Genen, die äußeren Merkmalen ab, dann unterschieden sie sich außerdem darin, wie ihre Körper sich entwickelten. Obwohl sie geborene Krieger waren, blieb ihre Gestalt recht unauffällig und wenig bedrohlich. Da waren natürlich Muskeln, aber sie waren zu wenig ausgeprägt, um glauben zu können, dass sie schwer beladene Regale verschieben konnten! Ihr Geschick im Waffenumgang war sogar noch überragender! Jeder Feurer lernte eine Waffe im Nahkampf und eine im Fernkampf. Ihre Ausbildung war erst beendet, wenn sie beide gewählten Waffenarten meisterhaft beherrschten, ebenso wie die Gabe des Verbrennens. Jene, die nicht die Gabe des Verbrennens besaßen, wurden als Leibwächter und Häscher ausgebildet, um die Feurer bei ihren Pflichten zu unterstützen.

Und eben diesen Leuten musste Cynthra entgehen, damit sie sie nicht umbrachten oder auslieferten. Das war wirklich schwierig, denn auch wenn sie ihr Versteck bisher nicht gefunden hatten, war das nur eine Frage der Zeit. Feurer waren nicht dumm und sie würden sie finden.

Wahrscheinlich früher als mir lieb ist., dachte die Schöpferin zähneknirschend und blickte auf die magere und nicht gerade hochwertige Beute ihrer letzten Jahre, Wie soll ich damit ein Kunstwerk schaffen?

 

Er konnte nicht sagen, wie lange er nun schon in seiner Galerie stand und dieses eine Bild anstarrte. Ein Gemälde von einer Landschaft, auf der kleine Lichtwürmchen flogen, während am Himmel ein Leuchtmeer aus Sternen dargestellt war. Zahlreiche Farbschichten und perfekt geführte Pinselstriche machten es so atemberaubend schön, dass Laariel manchmal glaubte, es sei real. Wenn er nur lange genug hinsah, dann würde diese Wiese vielleicht wirklich um ihm herum auftauchen, die Glühwürmchen ihn umschmeicheln und der Himmel ihm ruhig und ohne Vorwürfe entgegen funkeln. Doch es war vergebens... Egal, wie oft oder wie lange er das Gemälde anstarrte, es blieb ein Gemälde. Und er blieb ein hoffnungsloser Romantiker.

Anhand der Unterschrift, die sich hinten auf der Leinwand befand und weil der Rat es ihm gesagt hatte, wusste er, dass dieses Gemälde eins von Cynthra gemalt wurden war. Er kannte sie nicht und sie waren sich auch niemals begegnet, aber man sagte ihm immer wieder, dass sie eine Verräterin sei und er dieses Bild verbrennen sollte. Laariel verstand nichts von Kunst weder vom Malen noch vom Betrachten, aber dieses Gemälde war sogar in seinen Augen Kunst! Es war zu perfekt, um es zu vernichten. Von den Dienern wusste er, dass die Schöpferin niemals an den Forschungen mitgewirkt hatte, in denen es darum ging, leblose Objekte zu erschaffen und sie habe es auch sonst nie versucht. Die Diener hatten gekichert als sie ihm mitgeteilt hatten, dass sie das nur zur Entspannung gemalt hatte, wie alle Bilder von ihr, die Stillleben darstellten. Außerdem wollte sie so ihre Fähigkeiten verbessern.

Er mochte ja kein Kunstkenner sein, dennoch war er nicht der Meinung, dass sie sich auf irgendeine Weise verbessern musste, wenn solch ein Kretin, wie er es war, darin ein Kunstwerk erkennen konnte. Zumindest hielt er sich für einen Kretin, wenn es um solche Dinge ging.

Laariel war ein Mann von außergewöhnlicher Statur. Er maß zwei Meter von Fuß bis zum Kopf und er hatte ein breites Kreuz und breite Schultern. Feurer wirkten neben ihm richtig schmächtig - fast schon etwas mager. Sein Haar wuchs ihm bis über den Nacken und er strich es stets etwas verwegener zur Seite, um sein maskulines, aber recht jugendliches Gesicht zu zeigen. Seine Haare waren blond, beinahe weiß und seine Haut fast ebenso bleich. Im Kontrast standen seine Augen, die ein dunkles Braun trugen. Das war kein ungewöhnliches Aussehen für Lichtheimer, denn gebräunte Haut und dunklere Haare waren eher eine Seltenheit, wenn auch genau deshalb sehr begehrt. Doch obwohl er so gut in das Raster seines Volkes passte, war auch er begehrt. Er war ein schöner, junger Mann, der fast Jeden in den Schatten stellte. Er wusste genau, wie er sich erhaben präsentieren konnte, in seiner Rüstung, die beschichtet war mit verschiedenen Metallen, wie Gold, Weißgold, Silber und Platin, während diese selbst aus dem mystischen Metall Mithril gefertigt wurden war. Damit war seine Rüstung die wertvollste und beste im ganzen Reich und vielleicht auch auf der ganzen Welt! Durch die Beschichtungen sah man den blauen Schimmer des Mithrils nur an gewünschten Stellen, wobei die anderen Metalle schöne Muster formten. Unter diesem kostbaren Stück trug er feinste Seide in weißen Tönen und dazu teure Lederstiefel, die teilweise auch mit Mithril beschlagen waren.

Doch wenn er dieses Bild anstarrte, dann schien die Rüstung nur unnötiger und vor allem hässlicher Prunk zu sein, der nichts mit Kunst oder Handwerkstalent zu tun hatte. Es war halt jemand reich genug gewesen, damit er sich solche Materialien leisten konnte, doch das machte noch lange kein Kunstwerk.

„Ihr starrt es schon wieder an, mein König?“, fragte plötzlich eine vertraute Stimme.

Laariel seufzte, sah ein letztes Mal auf diese schöne Nachtlandschaft und drehte sich dann auf den Hacken zu dem betagten Ratsmitglied um. Sein Rufname lautete Johannes, doch es gab Tage, da war der König sich nicht sicher, ob das nicht nur ein Deckname war. Johannes war ein relativ kleiner, alter Mann von etwa einen Meter und einundsiebzig Zentimetern. Das graue bis weiße Haar trug er kurz und gesittet. Die Robe seines Amtes trug er ebenso sorgfältig als sei dies seine Rüstung. Er trug schon recht viele Falten und oftmals wirkte Johannes müde, aber er war ein strenger, durchsetzender Mann, der den Rest des Rates vollkommen im Griff hatte. Seine Robe war farbenprächtiger als seine braunen Augen, die nie Gefühle oder Facettenreichtum präsentierten.

„Erklärt mir nochmals, wieso wir Cynthra so vehement verfolgen.“, sagte Laariel und verschränkte die Arme, „Was genau hat diese Schöpferin noch gleich getan, die solch ein wunderbares Gemälde schaffen kann?“

„Sie tötete Euren Vater, Majestät.“

„Einen Mann, an den ich mich so gut wie gar nicht erinnern kann. Genauso wenig, wie an diese Frau.“, warf der König ein, „Wenn sie die Gelegenheit hatte, einen König zu ermorden, dann muss sie doch oft in seiner Nähe gewesen sein. Ich müsste mich doch erinnern!“

Johannes seufzte angestrengt. Wie oft führten sie diese Unterhaltung nun schon? Er war es zumindest leid, dass sie dieses Thema immer wieder anfingen. Deshalb sah er den Adligen nun auch mit den Augen eines tadelnden Großvaters an: „Sie schickte eine Schöpfung, die es tat. Das ist verboten und das wisst Ihr auch! So tötete sie Euren Vater. Danach floh sie dann und bisher konnten die Feurer sie nicht finden.“

„Und aus welchen Grund sollte sie meinen Vater töten wollen?“

„Wie bitte?“

„Na, warum?“, hakte Laariel nach. Dieser Teil war neu. Offenbar hatte der Hellhaarige sich Gedanken darum gemacht, wie ihr nächstes Gespräch mit diesem Thema laufen sollte.

„Vermutlich war es ein Auftrag einer gegnerischen Nation, Euer Majestät.“, murmelte Johannes grimmig, „Eine Attentäterin.“

Laariel zog skeptisch die Augenbraue hoch als er diese Vermutung hörte: „Eine Attentäterin?“

„Ja.“

„Die Schöpferin ist?“

„Ja.“

„Und hier aufwuchs, ausgebildet und geboren wurde?“

Johannes verstand durchaus, worauf der König hinaus wollte und er räusperte sich etwas, während er auf der Stelle trat. Ein Dummkopf war ihr Herrscher immerhin nicht! Ob er das nur gut finden sollte, wusste er nicht... Er stellt wirklich viele Fragen., überlegte das Ratsmitglied mit Bedauern.

Laariel grinste triumphal als er das Schweigen bemerkte: „Eure Logik ist wohl nicht so unantastbar, wie Ihr geglaubt habt, was? Es scheint nämlich keinen logischen Grund für einen solchen Verrat zu geben.“

„Wenn Ihr so schlau seid, Euer Majestät...“, begann der Ältere und rang mit sich, respektvoll zu bleiben, „Dann sagt mir, wie Euer Vater dann gestorben ist, wenn nicht durch diese Schöpferin?“

„Herzinfarkt?“

„Nun werdet Ihr albern...“

„Schock beim Anblick im Spiegel?“

„Ich ziehe es zurück...“, seufzte Johannes, „Nun werdet Ihr albern.“

Der König zuckte nur mit den Schultern und blickte dann wieder zu dem fantastischen Gemälde: „Ich weiß nicht, wie er starb oder was damals genau geschehen ist, aber es erscheint mir unlogisch und nicht richtig. Mir kommt es vor als läge die Antwort bereits die ganze Zeit vor mir und schreit mich an, sie zu begreifen, aber irgendwas in mir verhindert es.“

„Vielleicht ist das auch gesünder?“

„Wie meint Ihr das?“

„Meiner Meinung nach und nach allem, was ich erlebt habe, leben Leute länger, die nicht zu viele Fragen stellen.“, erwiderte das Ratsmitglied, „Und erst recht die, die lieber keinen mysteriösen Todesfall untersuchen.“

Darauf wusste der hellhaarige König keine Antwort, also tat er, was er dann immer tat: Er starrte das Gemälde an. An manchen Tagen vermutete Johannes, dass er sich selbst darin verlieren würde. Vielleicht wäre es besser für Laariel, er würde sich in diesem Bild verlieren und all diese Fragen einfach vergessen. Aber vielleicht würde er es irgendwann auch leid sein, das Gemälde verbrennen und nie mehr darüber nachdenken, wie und warum all das geschehen war. Doch bisher war dieser Zustand leider nicht eingetreten.

Der alte Mann seufzte schwer als er beobachtete, dass der König immer abwesender wurde: „Ihr habt noch Verpflichtungen, Majestät.“

„Ach ja?“, fragte er abwesend, „Welche denn?“

„Heute ist noch eine Ratsversammlung. Es geht um einige Beschwerden und Stadtplanungen.“

Laariel hasste diese verdammten Sitzungen. Immer wieder diskutierten sie irgendwelche Themen tot ohne ein Ergebnis zu erzielen! Noch besser wurde es, wenn die Ratsmitglieder sich wieder untereinander zu bekriegen begannen und wüste Schimpfwörter durch den Raum geworfen wurden. Am Ende wusste Niemand mehr, worüber sie eigentlich gestritten hatten und was wirklich wichtig gewesen war.

Auch wenn diese Versammlung lästig war, war sie leider notwendig, weshalb sich der Herrscher ungern von dem Kunstwerk losriss, um stattdessen Johannes zu begleiten. Der Weg zum Versammlungsraum war nicht allzu weit, aber mit dem schweigsamen Ratsmitglied kam es ihm endlos vor. Als sie in das Zimmer kamen, stritten die Anderen bereits. Der Rat bestand aus fünf Personen, wovon zwei Mitglieder Frauen waren. Außerdem gab es einen Feurer und eine Schöpferin.

Gwen war ihr jüngstes Mitglied und sie war auch die besagte Schöpferin. Sie war recht ansehnlich, wenn auch eher nicht besonders mit ihrem silbernem Haar und dem weniger üppigen Körper. So weit Laariel wusste, war sie nun vierundsechzig Jahre alt, was für einen Lichtheimer nicht sonderlich alt war, dennoch gab das schon erste Fältchen. Lichtheimer wurden durchschnittlich zweihundert Jahre alt und wenn sie sich gut ernährten und gesund blieben, dann konnten es auch dreihundert Jahre werden. Gwen würde wohl nicht solch ein hohes Alter erreichen, wenn sie schon jetzt Alterserscheinungen hatte.

Ihr Feurer hieß Blair und war etwa fünfzehn Jahre älter als Gwen, was unter seinesgleichen sogar noch jünger war. Wenn Feurer nicht im Kampf fielen, dann konnten sie ein halbes Jahrtausend alt werden! Wie bei seinem Volk übrig, hatte er diese dunkle fast rötliche Haut und dazu rabenschwarzes Haar. Durch sein vernarbtes und vom Wetter gegerbtes Gesicht konnte man nicht von Schönheit sprechen und da er stets grimmig schaute, konnte man auch sonst nicht viel Nettes über sein Äußeres verlieren.

Dann waren da noch Vera und Wilfried. So weit der König wusste, waren die beiden Zwillinge. Sie waren etwa hundertsechzig Jahre alt, wobei sie gerne verschleierten, wie viel mehr oder weniger es genau waren. Die Beiden sprachen auch sonst nicht viel über ihre Familie oder ihre Vergangenheit. Nicht mal untereinander hatte er sie sonderlich oft sprechen sehen... Jedenfalls waren sie die ältesten Mitglieder, wahre Faltenschluchten und schon etwas seniler als es gesund sein konnte. Leichte Opfer für Johannes, der nach ihnen der Älteste war.

Wie ich euch alle verabscheue..., dachte Laariel angewidert und setzte sich dennoch an seinen Platz am Ende der großen Tafel.

Sie waren fünf Mitglieder im Rat, damit bei Abstimmungen immer ein Ergebnis erzielt wurde. Doch das letzte Wort hatte dennoch der König. Wenn er es also für wichtig oder nötig erachtete, konnte er die Abstimmung für nichtig erklären und zu Gunsten der Unterlegenen entscheiden. Doch das zu tun, konnte Konsequenzen haben, da die Mitglieder als Sprachrohre des Volkes dienten und galten. Gwen als Sprachrohr für die Schöpfer, Blair für die Feurer, Vera und Wilfried für die Alten und Johannes für den ganzen Rest. Aber sie wussten alle, dass das dennoch eine Lüge war, weil eigentlich Johannes für alle sprach. Zumindest gab er das vor... Die anderen Vier kümmerten sich eigentlich nur noch um ihre eigenen Belange und ihren Reichtum. Sie kamen nur zum Schein zu den Sitzungen und regten sich nur aus Prinzip auf. Aber trotzdem würde Laariel interessieren, was geschehen würde, wenn sie sich gegen ihren Vorsitzenden auflehnten und gemeinsame Sache machten, um ihn zu stürzen. Doch wenn sie das täten, dann würden sie vielleicht auch ihn stürzen wollen, um selbst zu regieren...

Egal, wie sich die Beziehung zwischen den Mitgliedern auch eins entwickeln würden: Nun diskutierten sie wieder hitzig und unnachgiebig. Es ging um den Plan, neue Straßen zu errichten und alte abzureißen, um diese zu erneuern. Es sollte die Handelsrouten verbessern, um den Marktplatz etwas mehr zu beleben und vielleicht auch Ausländer hierher zu locken. Wenn sie sich gut anstellten, könnte Frieden herrschen.

Frieden... Ein lächerlicher Gedanke, wie der König wusste. Zumindest wenn man glaubte, Handelsrouten würden über Krieg und Frieden entscheiden. Aber immerhin schafften es die Fünf, sich einer lebhaften Debatte hinzugeben als hinge ihr Überleben tatsächlich davon ab.

Ohhh, möge doch ein Blitz diese Narren treffen!, dachte der König verzweifelt, Das wird ein ewig langer Tag werden.

 

Während Andere sich lieber kürzere Tage wünschten, wünschte sich Gerald längere. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt mal eine Nacht richtig durchgeschlafen und wann er zuletzt etwas Ordentliches gegessen hatte.

Das muss Wochen her sein..., sinnierte er.

Tatsächlich war er schon seit etwa einem Jahr auf Cynthra angesetzt wurden und das vom obersten Ratsmitglied Johannes persönlich! Die Anordnungen waren dabei eindeutig: Finden, töten und verschwinden lassen. Als Feurer nahm er diese Befehle sehr ernst und vertraute darauf, dass sie dem Wohl des Reiches dienten. Außerdem hatte man Gerald von Kindesbein an klar gemacht, dass Schöpfer dazu neigten, zu verraten, weil ihre Macht sie schwach machte. Sie waren nicht nur der Segen, sondern auch der Fluch von Lichtheim. Aber das Gleiche sagten vermutlich die Schöpfer auch über die Feurer und das Volk über beide Parteien...

Seufzend fuhr er sich durch das schwarze Haar, das ihm bis zu den Schultern ging, welches viel dunkler war als seine bräunlichrote Haut. Gerald war sogar einer der Wenigen seines Volkes, der blaue Augen besaß. Die meisten von ihnen hatten eine grüne oder rote Iris. Er war inzwischen vierzig Jahre alt und seine Ausbildung hatte er vor zehn Jahren beendet. Seine Waffen waren zwei Sicheln im Nahkampf und eine Armbrust im Fernkampf. Außerdem hatte er einen außergewöhnlich guten Blick für Schöpfungen, weshalb ihn Johannes auch persönlich beauftragt hatte. Normalerweise wurden ältere und erfahrenere Feurer bevorzugt. Gerald trug enges Leder, das an seinen Seiten offen und mit Lederbändchen zusammengehalten wurde. Dazu eine enge Hose, die ebenfalls aus Leder bestand. Hier und da war die Kleidung mit Metall beschlagen, aber das diente weniger dem Schutz als der Optik und Ablenkung. Eine Rüstung würde seine Bewegungen zu sehr beeinträchtigen, außerdem fiel es in der Menge zu sehr auf. Wollte man einen abtrünnigen Schöpfer jagen, dann durfte der einen möglichst nicht kommen sehen.

Obwohl diese Frau es ihm wirklich schwer machte! Seit einem Jahr verfolgte er sie, doch immer schien Cynthra ihm einen Schritt voraus zu sein. Immer, wenn er ein Versteck fand, war es leer, sobald er dort ankam. Hörte er von Diebstählen, die für die Malerei benötigt wurden, fehlte von ihr bereits jede Spur. Er fand ja nicht mal Schöpfungen! Jedenfalls keine, die nicht gewollt war. Dass einige der Stadtwachen und -wächter Schöpfungen waren, war kein Geheimnis und durchaus notwendig. Für ihn waren aber nur die interessant, die definitiv nicht zum Reich gehörten. Schöpfungen, die stehlen gingen oder einen Händler ablenkten. Noch besser wäre, wenn eine Schöpfung zu töten versuchte! Natürlich nicht für das Opfer, aber für den Feurer. Doch in der Hinsicht war es überall auf den Straßen von Lichtstein ruhig. Es war einfach alles so, wie es sein sollte. Das hatten auch die Feurer berichtet, die den Auftrag vor ihm gehabt hatten, aber der Dunkelhaarige hatte ihnen einfach nicht glauben wollen.

Doch weil sich das Schlimmste bewahrheitet hatte, musste Gerald auf die klassischen Methoden zurückgreifen: Jeden fragen, der vielleicht Kontakt gehabt haben könnte. Bei den Bordellen hatte er begonnen. Es war nicht ungewöhnlich, dass diese Steckbriefe ignorierten und Frauen zu Dirnen machten, die Reichsverräter waren. Aber in keinem der Freudenhäuser hatte er sie finden können. Danach hatte er sich nach Verwandten erkundigt, aber die lebten weit weg von Lichtstein und kamen deshalb nicht in Frage. Außerdem galten sie als loyal gegenüber der Krone. Geralds Einwand, dass das für Cynthra auch vorher gegolten hatte, schenkte man keinerlei Beachtung. Deshalb widmete er sich seither Händlern, Banditen und Straßenkinder. Die hatten ihm auch die meisten Spuren zu der Schöpferin geliefert, die aber immer vorher weg war. Beinahe so als wäre sie ihm einfach stets einen Schritt voraus.

Er war jung und deshalb bedeutete es wohl nichts, aber bisher war ihm kein Schöpfer entkommen und keiner hatte ihn so sehr zum Narren gehalten, dass er darüber nachdachte, aufzugeben! Es war nur noch frustrierend einer Frau nachzujagen, die wahrscheinlich schon lange gestorben war. Langsam glaubte er, dass er eine Frau jagte, die ihr nur sehr ähnlich sah und auf den Straßen aufgewachsen war.

Oder ich rede mir das ein, um mir etwas nicht einzugestehen..., dachte der Feurer verbittert, Und zwar, dass sie besser sein könnte als ich es bin.

Aufgeben kam nicht in Frage! Nicht nach all der Arbeit und nachdem er sich, trotz seines Alters, solch eine Mission verdient hatte. Deshalb betrat der Dunkelhaarige schon wieder den belebten Marktplatz und sah sich erstmal genau um. Natürlich waren zahlreiche Menschen hier, die verkauften, kauften oder handelten. Manche schienen sich auch einfach nur zu unterhalten. Manche waren von hohem Rang oder hatten zumindest ein angemessenen Reichtum, während andere so arm waren, dass sie wohl nur ausspähten, wo sie sich ein Laib Brot stehlen konnten. Er konnte sie dafür nicht verurteilen, denn wenn man nichts hatte und Niemand etwas gab, was blieb einem dann noch als zu stehlen? Deshalb sah er über diese armen Wesen hinweg und suchte nach vertrauten Gesichtern oder nach Cynthra selbst.

Zielstrebig löste sich der Feurer aus seiner Starre und ging zu einem Händler, der sich bisher stets kooperativ und offen gezeigt hatte. Manch einen guten Tipp hatte er von ihm erhalten. Gerald kramte nach dem Steckbrief der Schöpferin, auf der eine sehr detaillierte Zeichnung von ihr drauf war. Zumindest eine, die nun etwa sechs Jahre alt war. Neu genug, wie er hoffte.

„Feuer und Asche, guter Mann.“, grüßte er den Händler, der sofort aufblickte, „Ich weiß, dass fragte ich Euch vor ein paar Wochen schon ein Mal, aber habt Ihr zufällig diese Frau gesehen? Es wäre gut, wenn das noch nicht allzu lange her war...“ Gerald hob das Bild des Steckbriefs höher und der Mann sah es sich an, während er die Augenbraue hochzog. Es kam nicht oft vor, dass ein Feurer zwei Mal nach der gleichen Person fragte. Er war froh, dass man durch seine dunkle und eh leicht rote Haut, die schamvolle Errötung nicht sehen konnte.

„Ist sie Euch etwa entwischt, Lord Feurer?“, fragte der Händler sehr respektvoll. Er war ein treuer Reichsdiener oder zumindest loyal genug, um Fragen ohne Spenden zu beantworten und sich respektvoll zu zeigen. Das reichte Gerald vollkommen. Fanatische Anhänger waren ihm eher unangenehm, auch wenn viele seiner Art ebenso waren.

Fälschlicherweise nannte man sie alle „Feurer“, aber diese Bezeichnung war nur für jene korrekt, die das Gen hatten, Schöpfungen zu erkennen und zu vernichten. Sein Volk hieß eigentlich „Kha’zak“ und laut alter Überlieferungen entstammen sie einer endlosen Wüste aus Sand, drei Sonnen und brennenden Pflanzen. Das mit der Sonne und dem Sand konnte er glauben, denn es würde ihren dunklen Teint erklären, ebenso wie der Teil mit der Wüste, aber an mehrere Sonnen oder einem endlosen Meer aus Sand, konnte er nicht glauben. Wo sollte das auch sein? Wieso waren sie nicht mehr dort, wenn sie trotz brennender Pflanzen überlebt hatten?

Sein Vater würde ihn blasphemisch nennen, wenn er noch leben und seine Zweifel kennen würde. Aber er war auch ein närrischer, naiver und nerviger alter Mann gewesen! Gerald war viel skeptischer und glaubte nicht alles, was irgendjemand mal in ein Buch geschrieben oder gemalt hatte. Man lehrte ihn immerhin, dass Schöpfer bedrohlich waren und daraus schloss er, dass Kunstwerke das auch waren. Kunst konnte auch ein Buch sein...

„Jemand hat sie offenbar gewarnt.“, knurrte er endlich als Antwort, „Sie war weg als ich ankam.“

„Bedauerlich...“, murmelte der Mann und nahm sich den Steckbrief, um nochmals ihre Züge zu studieren, um sich angestrengt zu erinnern.

Der Feurer schüttelte Scham und Schande ab, um sich etwas vorzulehnen: „Sie sieht nun sicherlich abgegriffener, ungepflegter und magerer aus als auf diesem Bild. Das Leben der Straße wird sich auf ihr Puppengesicht ausgewirkt haben.“ Falls sie noch lebt..., hing er gedanklich heran.

„Ich bin mir nicht ganz sicher, Lord Feurer...“, gestand der Händler und erst wirkte es so als wollte er doch Gold, damit sich seine Zunge lockerte, „Ich glaube, dass ein Kollege gestern mit ihr gesprochen hat. Sie sah ihr sehr ähnlich, nur eben mit offenen, zotteligen Haaren, dreckig und abgemagert. Ich könnte mich irren...“

„Dem werde ich nachgehen. Wer war es?“

Ohne zu zögern zeigte der Mann auf einen anderen Händler, der drei Stände weiter teure Stoffe verkaufte. Seide, seltene Ledersorten, Pelze und andere Dinge, die Gerald noch nie gesehen hatte. Aber das überschritt auch seine Preisklasse. So lange seine Kleidung stabil war und Bewegungsfreiheit bot, war ihm vollkommen egal, von welchem Tier sie abstammte. Diese Meinung teilte bloß leider der Adel nicht und die Reichen schon gar nicht.

„Danke.“, richtete er abwesend an den Verkäufer und legte ihm ein paar Münzen hin. Der Dank seines Informanten ging in einem Rauschen unter als der Kha’zak sich nun durch die Leute drängelte, um zu dem anderen Mann zu gelangen, der ihn vielleicht näher an Cynthra brachte. Vielleicht würde nun endlich die längste Jagd seines Lebens enden! Und die frustrierendste... Wahrscheinlich würden seine Waffenbrüder ihn noch Jahre lang damit aufziehen, dass ein Mädchen ihn an der Nase herum geführt hatte.

Bei diesem Gedanken seufzte der Dunkelhaarige und verfluchte sich nochmals, dass er diesen Auftrag angenommen hatte, bevor er sich bei den anderen Feurern Informationen geholt hatte. Das war sein jugendlicher Leichtsinn gewesen! Zumindest wollte er es gerne darauf schieben, aber sein Innerstes sagte ihm, dass da mehr hinter gesteckt hatte als ein nicht zu Ende gedachter Gedanke.

„Feuer und Asche.“, sagte Gerald automatisch.

Dieser Händler sah weniger freundlich aus als er den Blick hob und sich bei einem potenziellen Kunden entschuldigte. „Was kann ich für Euch tun?“, fragte er schroff, „Wollt Ihr Seide haben, um Euer Leder aufzuwerten?“ Das Glitzern in seinen Augen machte klar, dass das kein Scherz gewesen war, sondern er ihn wirklich runter würdigte. Entweder seiner billigen Kleidung wegen oder wegen dem, was er war.

Gerald schluckte seinen Zorn herunter und versuchte eine unberührte Miene aufzusetzen: „Habt Ihr eventuell mal mit dieser Frau gesprochen oder sie zumindest gesehen? Sie würde wohl etwas ausgemergelter und schmutziger aussehen.“

Er starrte auf den Steckbrief und nahm ihn auch entgegen, um Namen und geforderte Optionen durchzulesen, ehe er das Bild der schönen Cynthra musterte. Dann erst gab der Verkäufer es zurück: „Ich weiß nicht. Vielleicht kann man meinem Gedächtnis da etwas nachhelfen...“

Solche Kerle kannte der Feurer zu genüge und er verstand durchaus, was er von ihm für eine einfache Information forderte. Nach seiner Erfahrung reichte ihnen ein paar Münzen nicht und sie wollten für jedes weitere Wort auch mehr Silber haben. Oder Gold...

Der Dunkelhaarige nickte dennoch und winkte den Händler mit sich. Er überließ seiner Frau den Stand und folgte dem Krieger dann in eine ruhige Ecke, wo nicht so viele neugierige Augen und Ohren waren. Gerald sah sich dennoch nochmals um und blickte dann zu dem gierigen Grinsen. Sollte er doch kriegen, was er wollte! Oder eher das, was er verdiente...

Rasend schnell bewegte sich der Kha’zak auf den Händler zu, packte ihn an der Kehle und drückte ihn mit einem harten Aufprall an die nahe Wand. Dabei zog er mit seiner linken Hand eine seiner Sicheln und hielt sie an die Halsschlagader des Mannes. Die blauen Augen verengten sich dabei eiskalt und berechnend, während sich seine Finger enger schlossen.

„Ein Zucken, ein falsches Atmen und Ihr seid tot.“, schnurrte er gefährlich, „War das die Bezahlung, die Ihr Euch erhofft habt, dafür, dass Ihr dem Reich einen guten Dienst leistet?“

„N-Nein...“

„Ich würde Euch diese Bezahlung aber wirklich gerne zukommen lassen, mein Freund.“

„B-Bitte~...!“

Gerald rückte etwas näher an den Mann heran und ritzte ein Mal ganz sanft in den Hals hinein, damit ein paar Tropfen des kostbaren, roten Blutes flossen. Sie berührten nicht nur die Haut, sondern ebenso die Klinge. Von diesem Anblick wurde dem Dunkelhäutigen aber weder schlecht noch schwindelte es ihm. Dennoch atmete er ein Mal tief durch: „Ich werde Euch reich belohnen, wenn Ihr mir sagt, was Ihr wisst und es für Euch behaltet. Warnt Niemanden... Denn die Bezahlung ist Euer Leben. Belügt Ihr mich, sterbt Ihr. Verratet Ihr mich, sterbt Ihr. Redet Ihr darüber, was in dieser Gasse geschah-...“

„Sterbe ich...“

„Kluger Mann.“

Der Feurer löste sowohl seine Hand als auch die Waffe von dem Händler und trat sogar einen Schritt zurück, um ihm Luft zu lassen. Der Mann hingegen griff sich direkt nach seinem Hals als musste er sich vergewissern, dass dort noch alles so war, wie es sein sollte. Gerald unterdrückte ein bösartiges Kichern und verschränkte stattdessen seine Arme und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Manchmal musste man nicht mit Worten zur Eile drängen. Nicht, wenn man so ein gefährlich wirkender und gut ausgebildeter Mann war, wie er.

Der Händler senkte sofort entschuldigend seinen Wimpernkranz: „Ich habe tatsächlich mit ihr gesprochen, Euer Gnaden.“

„Worüber? Und wann?“

„Gestern, Euer Gnaden.“, antwortete er rasch und mit unruhiger Atmung, „Sie wollte wissen, welches Material ich für das Beste bei Leinwänden halte und wieso. Was ich seltsam fand...“

„Was fandet Ihr seltsam?“, fragte Gerald mit Nachdruck, der es nicht mochte, wenn man alles extra aus der Nase ziehen musste.

Der Händler druckste und japste nach Luft: „Na ja! Sie ist total abgegriffen, dreckig und abgemagert. Solch eine Frau kann sich eine Leinwand nicht leisten, die so hochwertig ist, wie keine zweite! Warum sich nach etwas erkundigen, was unerreichbar fern ist?“

Vielleicht nicht so fern, wie du denkst..., überlegte der Feurer, Wenn sie wusste, dass er sich ablenken lässt, dann könnte sie die Zeit genutzt haben, um wirklich an das Material zu gelangen.

„Wo ist sie nach eurer Unterhaltung hingegangen?“

„Das... weiß ich nicht, Euer Gnaden.“, erwiderte der Mann bibbernd, „Sie verließ meinen Stand und verschwand in der Menge.“

„Hat sie mit noch jemandem gesprochen?“

„Ich habe zumindest nicht gesehen, dass sie das getan hätte.“

Schöpfer zu unterschätzen, war ein fataler Fehler, den man nur ein Mal machte. Gerald hatte dies schon getan und er würde nicht daran zweifeln, dass diese Frau ihrer Sucht folgen konnte, um an alles zu kommen, was sie brauchte. Sie wollte etwas erschaffen und sie wollte, dass es Macht besaß und Bestand. Vielleicht eine Armee, die sich dem König und dem Reich stellen konnte!

Er atmete schwerer bei der Vorstellung, dass sie so etwas vielleicht tun würde und tun konnte. Das würde jeden anderen Schöpfer als eine lächerliche Ameise darstellen! Aber er hatte gehört, dass Cynthra in ihrer Amtszeit sehr viele Schöpfungen hervorgebracht hatte, wobei eine besser war als die andere. Kinder für Familien, die keine eigenen bekommen konnten und Soldaten für die Armee. Jede ihrer Schöpfungen hatte bei jedem neuen Versuch etwas länger gehalten. Jemand hatte dem Dunkelhaarigen mal erzählt, dass eines ihrer geschaffenen Kinder über fünf Jahre existiert hatte! Es war eine ihrer letzten Handlungen als Schöpferin des Hofes gewesen. Wozu war solch eine begabte Frau noch fähig? War sie vielleicht wirklich besser als er?

„Herr?“, fragte der Händler unbehaglich und erregte wieder seine Aufmerksamkeit, „Ist da noch etwas oder darf ich gehen?“

„Ihr könnt gehen.“, sagte der Feurer und warf ihm ein paar Münzen hin, „Aber denkt daran, was Ihr zu tun habt, damit Ihr weiterhin gehen dürft.“

„Natürlich! Danke sehr, Herr!“

Nachdem der Mann die Münzen aufgesammelt hatte, eilte er sofort aus der Gasse und sagte seiner Frau, dass sie für heute den Stand schlossen. Nichts, was Gerald wirklich interessierte. Auch wenn diese Unterhaltung nicht lukrativ erschien, wusste er nun, wo er die Schöpferin suchen musste.

Mit einem Lächeln machte er sich auf den Weg und wappnete sich für einen tiefen Abstieg.

 

Als der Feurer in die dunklen Abwasserkanäle unter der Stadt herabstieg, fragte er sich wieder, wieso er diesen Auftrag angenommen hatte. Aus Eitelkeit..., beschloss er dabei. Es stank bestialisch und war genauso feucht, wie es dunkel war. Doch von hier aus konnte man zum Marktplatz und das zu jeder erdenklichen Zeit und sich unauffällig fortbewegen. Wenn man etwas stahl, war es möglich, die Waren wegzuschaffen und wieder nach oben zu klettern, um weitere Beute zu erhaschen. Außerdem gab es nur wenige, die hier herunter kamen. Nur, wenn es Probleme gab und dann entfernte man den Grund für die Verstopfung und sah zu, dass man wieder hoch kam. Cynthra würde einen Raum gefunden haben, in dem der Geruch erträglich war und der so leicht zugänglich war, dass es für sie keine Gefahr darstellte, aber so schwer zu entdecken, dass andere Diebe nicht zufällig darüber stolperten.

Er erwischte sich dabei, wie er Bewunderung für diesen Überlebenswillen empfand. Doch er verscheuchte den Gedanken sofort wieder. Sie war sein Feind! Aber man hatte ihn auch gelehrt, dass man seine Feinde ehrte...

Gerald hatte vor, sie sehr zu ehren, falls sie sich nun begegnen würden. Aus diesem Grund zog er seine beiden Sicheln und umschloss die Handgriffe fest und sicher, während er sich durch den Tunnel bewegte. Sehr leise und vorsichtig. Jeder falsche Schritt und jeder Lärm könnte sie warnen und alles zunichte machen. Dann musste er wieder von Anfang an beginnen. Nichts, worauf der Krieger Lust verspürte, während seine Waffenbrüder sicher Lust verspüren würden, lautstark über ihn zu lachen.

Ich werde sie finden oder bei dem Versuch sterben!, dachte er engstirnig.

Die Dunkelheit und Feuchtigkeit schien mit den Stunden, in denen er hier unten war, langsam zu seinen Freunden zu werden, was er von dem Gestank nicht behaupten konnte. Am Liebsten wäre er nach oben gegangen und hätte sich Johannes geschnappt, um ihn hier herunter zu werfen. Sollte er doch mal merken, was die Feurer alles für seinesgleichen auf sich nahmen! Sollte er mal eine Nase voll von diesen besonderen Düften inhalieren und die Dunkelheit begrüßen! Lächerliche Gedankenspiele, die er niemals umsetzen würde. Außerdem würde es ihn seinen Kopf kosten, wenn er das mit jemanden täte, der vom Rang so weit über ihm war.

Es war so frustrierend hier durch die Gänge zu waten und nach etwas zu suchen, was wahrscheinlich nicht mal da war. Diese Frau war bestimmt schon vor Jahren gestorben! Und wenn nicht, dann nun spätestens an diesen Gerüchen. Er hatte Blut und Verwesung kennen gelernt und war dabei gewesen, wenn Menschen starben, was auch dazu führte, dass Schließmuskeln und Blasen nicht mehr kontrolliert waren. Erbrechen war auch nicht selten oder aber alles auf einen Schlag. Doch das war ein Witz gegen die Kanalisation dieser verdammten Stadt!

Gerald nahm sich fest vor, dass wenn er hier lebend wieder heraus kam, dass er einen Beschwerdebrief bei den Ratsmitgliedern einreichen würde. Er würde die Missstände dieses Ortes aufklären und fordern, dass man das alles mal erneuerte und in Zukunft besser pflegte. Irgendwann würden sich die Abfälle und Fäkalien einfach durch den Boden fressen und alles verpesten! Wenn nicht das, dann würde es irgendwann leben und als riesige, wütende Bestie ganz Lichtstein den Erdboden gleich machen.

Die Fantasie geht mit mir durch., dachte der Feurer spöttisch, Oder du bekommst Halluzinationen von diesen Dämpfen. Wahnsinn hätte mir noch gefehlt...

Doch da war es! Das wortwörtliche Licht am Ende des Tunnels! Ein flackerndes, schwaches Licht, das aus einem Nebenschacht zu kommen schien. Dort kam man nur hin, wenn man eine recht baufällige Leiter hochkletterte, die nicht sehr stabil war. Es war so abgelegen, dass man nicht danach suchen würde und wenn man nicht so planlos war, wie der Schwarzhaarige, dann war es sicherlich auch nicht allzu fern vom Marktplatz.

Rasch verstaute er seine Waffen. Wenn er die in den Händen behielt, wenn er dort hochkletterte, dann würde sich der Feurer womöglich noch selbst einen Finger abtrennen! Etwas, worüber seine Waffenbrüder sehr lachen würden. Selbst dann, wenn er ihnen erzählen würde, dass es eine Kampfverletzung war, würde einer der Kha’zaks herausfinden, dass der Winkel der Schnittwunde so lag, dass er sich die Wunde nur selbst zugefügt haben konnte. Dann würde man Gerald so lange belagern bis er die wahre Geschichte erzählte. Und genau diese würde ihm einen sehr peinlichen Spitznamen einbringen, den er nie mehr los würde. Da wäre er nicht der Erste... Aber so weit ließ er es lieber nicht kommen!

Er wagte den Aufstieg und behielt dabei die Umgebung im Auge und lauschte darauf, ob sich ihm jemand nährte. Er lauschte, ob irgendwas Verräterisches aus diesem Nebenschacht kam, was ihn zur Vorsicht mahnte, aber da war nur die absolute Stille. Der Feurer zog sich hoch und zog danach direkt seine Sicheln wieder aus den Schutzfuttern, um auf leisen Sohlen flink näher zu kommen. Sein Herz raste richtig! Etwas, was in der Jagd normal war, wenn man seiner Beute zum Greifen nah war. Wenn das Ende nahte... Doch manchmal glaubte er, dass ihn der Herzschlag verraten könnte.

Gerald atmete zwei Mal tief durch, dann umschloss er seine Waffen fester und sprang herein. Er hob die Klingen und wollte gerade um sich schlagen als er feststellte, dass niemand hier war. Da war diese Kerze, die so aussah als habe sie erst seit kurzem den Docht entzündet bekommen und hier und da lagen einige nicht sehr hochwertige Leinwände, Pinsel mit billigen Borsten und ein paar zerbrochene Gefäße.

Es sieht ein bisschen so aus als wollte sie mir zeigen, dass ich nah dran war, aber eben nicht nah genug., ärgerte sich der Schwarzhaarige bitterlich als er den Raum genauer betrachtete.

Hier hatte definitiv Jemand gelebt. Die Lüftungsschächte hatte diese Person sauber gehalten und eine behelfsmäßige Tür geschaffen, die er oder sie davor schieben konnte. Eine staubfreie Fläche sprach dafür, dass dort mal ein paar Decken gelegen hatten, wo der Schlafplatz gewesen war. Eine alte Feuerstelle hatte Wärme, Licht und gekochte Nahrung geliefert. Die Utensilien eines Schöpfers sprachen dafür, dass es ein Abtrünniger gewesen war. Ob Mann oder Frau und ob es Cynthra gewesen war, konnte er aber nicht daran ausmachen.

Als sich der Krieger umdrehte, stand dort eine Person. Sofort zog er seine Waffen und wappnete sich für alles, was nun folgen würde. Und er kam sich im selben Augenblick mehr als dumm deshalb vor. Anhand von Kleidung und Haltung war mehr als deutlich, dass dieser Mann nur ein Bettler war und eine Schöpfung war er sowieso nicht. Also senkte er die Waffen wieder und seufzte leise.

„Wer seid Ihr?“, fragte Gerald genervt.

„Ich heiße Asran.“, antwortete der Bettler erstaunlich gesittet, „Und ich habe eine Botschaft für Euch, Lord Feurer.“

Erstaunt blickte der Dunkelhaarige auf und hatte Schwierigkeiten damit, seinen Mund geschlossen zu halten oder nicht dümmlich drein zu blicken.

„Eine Frau sagte mir, dass ich hierher kommen soll und dass irgendwann einer von euch auftauchen würde. Ich hatte das ja nicht ernst genommen! Aber für ein ganzes Laib Brot...“, murmelte der Bettler, „Sie sagte, dass Ihr Eure Zeit verschwendet und Ihr einer Lüge nachrennt. Sie sagt, dass im Schloss nicht alles so sei, wie es scheint und dass jene, die eins Freunde waren, nun Feinde sind. Außerdem sagte sie, dass Ihr der Spur folgen sollt.“

„Der... Der Spur?“

„Ja, Lord Feurer.“, bestätigte Asran, „Der Spur der Farben. Und wenn Ihr der Spur gefolgt seid, dann würde sie sich zu erkennen geben.“

„Ich verstehe nicht.“

„Sie sagte, dass Ihr das nicht tun würdet. Aber sie sagte auch, dass Ihr verstehen würdet, wenn Ihr im Schloss die Augen öffnet und dann endlich der Spur folgt.“

Der Begriff war ihm erst wenige Male untergekommen. „Der Spur folgen“ besagte, dass man allen Schöpfungen eines Schöpfers folgen und ergründen sollte, was sie wie und warum geschaffen hatten. Feurer mussten der Spur folgen, wenn der Verrat eines Schöpfers nicht gewiss war. Dafür gab es aber speziell ausgebildete Kha’zaks, die genau wussten, worauf sie achten und wohin sie gehen mussten. Er war keiner von diesen... Aber er kannte natürlich einige Fährtenleser, wie sie sich selber nannten. Nun war sich Gerald aber nicht sicher, ob sie ihn ablenken und von ihrer Fährte abbringen wollte oder ob es wirklich etwas zu ergründen gab, das im Dunklen lag.

Dennoch raffte der Feurer seine Schultern: „Hat sie noch irgendwas gesagt?“

„Ja... Das hat sie wirklich.“, sagte der Bettler erstaunt, „Ihr seid der erste Feurer, mit dem sie den Kontakt sucht, weil Ihr etwas Besonderes seid. Ihr sollt sie nicht enttäuschen...“

Das klang beinahe wie ein Befehl oder der Tadel der eigenen Mutter! Sie würde schon sehen, was sie davon hatte! Vielleicht war sie nicht mehr hier und ihm immer noch voraus, doch mit dieser Botschaft war er ihr einen riesigen Schritt näher gekommen.

Vielleicht ist sie doch nicht besser als ich., dachte der Schwarzhaarige triumphal und entschied sich, dass er diesen grauenhaften Ort verlassen konnte.

 

Cynthra wusste, dass der Bettler ihre Botschaft überbracht haben würde, aber sie wusste nicht, ob der Feurer so klug war, wie sie hoffte. In all den Jahren war ihr Niemand so nah gekommen, wie er und es hatte viele gegeben, die es versucht hatten. Feurer, Söldner und Wachen waren an der Mission gescheitert, sie zu beseitigen. Sie hatte nicht vor, diesen Zustand zu ändern. Nicht jetzt, wo sie endlich an ihre Materialien gekommen war!

Es war nicht einfach gewesen, aber indem sie sich mit einigen Bettlern - solchen wie Asran - gut gestellt hatte, hatte sie einige Tricks erlernt und einige mit Essen bestechen können, um eine passende Leinwand zu erhalten und zahlreiche Zutaten für Farben. Auch wunderbare Pinsel mit feinen und groben Borsten. Wenn doch etwas fehlte oder leer werden würde, hatte die Schöpferin nun die Möglichkeit, ihre neuen Freunde zu beauftragen. Immerhin hatte es Jahre gedauert bis sie im Untergrund einen Fuß fassen konnte und das nun zu nutzen, erschien ihr weniger verwerflich.

Und es ist notwendig, wenn mir die Feurer unentwegt folgen., grübelte die junge Frau, Johannes ist wirklich hartnäckig. Er wird es niemals sein lassen.

Ihr neues Versteck befand sich in einem zerfallenen Gebäude im obersten Stockwerk. Die Wände, Decken und Böden waren schon rissig und es war alles andere als schön, aber es erfüllte seinen Zweck. Es bot eine wirklich schöne Aussicht auf die weite Stadt und es war so eine leblose Umgebung, dass jeder Fremdling, der ein bisschen besser bekleidet war, sofort auffiel. Außerdem handelte es sich um den Hauptsitz der Diebesgilde, die sie unterwandert hatte. Wenn ein Fremder oder sogar ein Feurer sich nährte, würde man sie rechtzeitig warnen und sie würden alle verschwinden als haben sie niemals existiert. Es war egal, wie geschickt sich Gerald durchfragte, er würde immer wieder kurz vor Ende scheitern, weil sie ihn kommen sahen, bevor er sie sah und noch früher würden sie ihn hören.

All das spielte für die Schöpferin keine Rolle, die all die teuren Materialien zusammensuchte, die sie nun besaß und sie ordentlich aufreihte. Nun endlich konnte die Langhaarige mit ihrem Meisterwerk beginnen. Es mochte eine graue und tristlose Umgebung sein und ihr Leben hatte ebenso den Glanz verloren, doch das bedeutete nicht, dass sie dem Grau nicht Farbe verleihen konnte. Eine Steppe war eine Steppe bis eine riesige Schlacht darauf tobte. Dann wurde es ein Schlachtfeld, um am Ende ein historischer Platz zu werden. Doch vorher war es nichts gewesen als diese einfache Steppe im Nirgendwo.

Hier war alles Grau und es war alles unbedeutend. Doch Cynthra würde diesen Ort zu einem historischen Platz machen und sie würde ihm Farbe und Glanz verleihen. Die Geschichtsbücher würden über sie schreiben und genau hier würde ihre große Geschichte beginnen! Die Geschichte über ihr Meisterwerk und wie sie ganz Lichtheim zum Narren gehalten hatte. Hier würde der Anfang vom Ende sein.

Und wenn nicht hier mein Anfang ist, dann mein Ende., schwor sie sich bei Valira und begann in den vielen sauberen Gefäßen zu mischen. Alkohole, Pflanzenextrakte und einige geheime Zutaten, die vor ihr kein anderer Schöpfer genutzt hatte. Doch kein anderer Schöpfer hatte auch jemals so viel Ehrgeiz und Überlebensdrang besäßen. Und nicht mal dann musste es zwingend sein, dass sie schafften, was sie sich vorgenommen hatte.

Ich schaffe das oder ich sterbe bei dem Versuch.

Der Spur folgen

Johannes wusste nicht, was er schlimmer finden sollte: Einen sarkastischen bis zynischen, zu klugen und emotional unterkühlten König oder einen Feurer, der einen eigenen Kopf besaß und dabei so viel Potenzial innehatte, dass man ihn nicht aus diesem Grund entlassen konnte. Obwohl er ganz gewiss wusste, dass Cynthras Überlebenskünste ihn noch mehr um den Verstand brachten, konnte er sich gerade eben nur über diese Faktoren ärgern. Sie waren griffbereiter...

Er wusste nicht mehr, wann er zum Rat gegangen und sich auf den freien Platz beworben hatte. Doch er wusste noch, dass sein Vater ihn dazu gedrängt hatte! Sein Vater war ein unbedeutender Mann gewesen, der niemals über die Position des engsten Dieners des Königs hinaus gekommen war. Zu einer anderen Zeit, bei einem anderen König... Aber er war so stolz gewesen, dass er stets die Meinung verfolgt hatte, dass alle seine Kinder in der Politik unterkommen mussten. Nur war Johannes’ Schwester eine Schöpferin gewesen und war dann in die Akademie gekommen, um dort ausgebildet zu werden. Als sie damit fertig war, verschrieb sie sich der Forschungen, leblose Dinge zu schaffen. Sie starb etwa fünfzig Jahre später an einer Krankheit, die so schnell und tödlich gewesen war, dass Niemand etwas hatte tun können. Johannes aber war überzeugt, dass man seine Schwester vergiftet hatte, weil sie irgendwas gewusst oder gesehen hatte, was nicht für sie bestimmt gewesen war. Deshalb hatte er dem Drängen seines Vaters nachgegeben. Als Ratsmitglied kam man an handfeste Informationen.

In einem sehr langen Prozess hatte man ihn dann ausgebildet und ihn in die Spiele der Politik eingeführt, ehe er die Position als Mitglied einnehmen durfte. Dadurch, dass der inzwischen alte Mann so arrangiert gewesen war, hatte er das schneller geschafft als alle vor ihm. Nur zwanzig Jahre später hatte er die vollkommene Kontrolle über den Rat übernommen und auch über den damaligen König. Über Nacht war Johannes zum machtvollsten Mann in ganz Lichtheim geworden. Dabei hatte er herausgefunden, dass seine Schwester tatsächlich vergiftet wurden war, doch bis zum heutigen Tag wusste er weder von wem noch wie.

Als wäre diese Tatsache nicht frustrierend genug, bekam er über Laariel keine Kontrolle und Cynthra entzog sich auch der Todesstrafe. Dabei schaffte sie es immer noch, einen unbegreiflichen Einfluss einzunehmen. Sie war stets eine der wenigen gewesen, die ihm Widerstand entgegen gebracht hatte und genau deshalb hatte sie ihn an seine kleine Schwester erinnert. Tatsächlich sah die Schöpferin ihr sogar etwas ähnlich... Doch von solchen Gefühlen durfte sich ein Mann in seiner Position nicht verleiten lassen. Egal, wie sehr er seine Schwester auch geliebt und wie schmerzhaft ihr Tod auch sein mochte, durfte das nicht darüber entscheiden, wie er seine Karriere weiterführte und was aus diesem Königreich wurde.

„Sie will Euch nur in die Irre führen, Feurer.“, schnaubte der Ergraute und schwenkte den goldenen Becher genervt hin und her. Der Wein darin war bitter, wie es Johannes mit den Jahren auch geworden war.

„Das habe ich zuerst auch gedacht.“, gestand Gerald, der vor dem Schreibtisch stand, „Aber dann habe ich mir Gedanken gemacht, dass sie keinen Grund hätte, mich auf diese Weise irre zu führen.“

Johannes schnaubte verärgert: „Cynthra ist verzweifelt und sie wird alles tun, damit wir aufhören, sie zu jagen. Sie wird lügen, töten, schaffen... Vollkommen gleich! Hauptsache sie entkommt am Ende. Ihr Überleben ist ihr wichtiger als das Königreich.“

„Das mag stimmen... Aber jedem ist sein eigenes Leben wichtiger als das Königreich.“

Das Ratsmitglied zog die Augenbrauen hoch und war erstaunt, denn bisher hatte er die Kha’zaks für die treusten Untergebenen des Königs und seines Reiches gehalten. So eine direkte Aussprache von menschlichen Instinkten und wie unbedeutend das Königreich dabei wurde, hatte er nicht erwartet. Auch wenn Gerald noch jung war, war das sehr ungewöhnlich.

Er ist klüger als ich es ihm zugetraut habe..., musste sich Johannes eingestehen, Ich hatte ihn für einen grobschlächtigen Wilden gehalten. Gerade wegen seines jungen Alters. Doch er ist weniger wild als doch tatsächlich weitsichtig.

„Ihr seid kein Fährtenleser.“, erinnerte er ihn dennoch.

„Und Ihr seid nicht so klug, wie Ihr zu glauben scheint, wenn Ihr das Offensichtliche aussprechen müsst.“, zischte der Feurer beleidigt, „Aber wenn Ihr mehr lest als langweilige Politikbücher, dann wüsstet Ihr auch, dass jeder Feurer auch Eindrücke von Fährtenlesen in seiner Ausbildung erhält. Wenn wir uns als begabter darin zeigen, können wir dann unseren Weg ändern. Ich konnte zwischen beidem wählen, aber ich bin eben Feurer geworden.“ Gerald sah in den Augen von Johannes, dass er von der Entwicklung dieses Gespräches nicht viel hielt, aber das sah er ja ganz ähnlich. Immerhin hatte er ihn gerade in eine Schublade gepackt! Als könnte er nur eine Sache und nicht mehrere... Schnaubend fuhr er also fort: „Ich werde sowohl weiter nach Cynthra suchen als auch versuchen herauszufinden, was sie mir sagen wollte.“

„Wie genau lauten denn ihre Worte?“

„Das sage ich Euch nicht.“

Der alte Mann atmete tief durch, ehe er ihn empört anblickte: „Wie bitte?“

„So lange ich nicht weiß, was genau vor sich geht, werde ich Niemandem vertrauen. Auch Euch nicht.“, sagte der Dunkelhaarige klar und deutlich, „Aber da Ihr mein Auftraggeber seid, wollte ich Euch zumindest grob über meine Schritte in Kenntnis setzen und versichern, dass die eigentliche Mission nicht darunter leiden wird.“

„Ich verstehe...“

„Tut Ihr das? Ich bin mir nicht sicher.“

„Ihr werdet alle prüfen, die etwas mit dieser Sache zu tun haben und alles, was Cynthra mal getan hat, unter die Lupe nehmen.“, erklärte Johannes nun erstaunlich gefasst, „Ihr werdet allem auf den Grund gehen und selbst entscheiden, wer wirklich der oder die Verräter sind. Und wenn Cynthra die Verräterin ist? Sie alleine?“

„Dann werde ich sie entsprechend richten.“

„Gut.“, murmelte er, „Dann geht und tut, was Ihr eben für richtig haltet. Aber ich erwarte dennoch Resultate.“

Gerald nickte und verbeugte sich knapp, ehe er sich auf den Absatz umdrehte.

Dieser Feurer hatte sich gerade von einer unangenehmen, ungewollten Made zu einer wirklichen Gefahr entwickelt. Ob er noch tragbar war, wusste das Ratsmitglied nicht, aber er wusste, dass es Zeit war, eine Spur zu legen, der er folgen konnte und die zu dem Ergebnis führte, das er brauchte. Wenn es sein musste, dann würde er ihn von einen seiner eigenen Waffenbrüder jagen und töten lassen. Doch er hoffte, dass er ihn von seinen umtriebigen Vorhaben abbringen konnte, bevor er zu viel über die Politik des Reiches erfuhr.

Seufzend erhob sich Johannes und schwor sich, dass er sich zur Ruhe setzen würde, wenn das alles endlich vorbei war. Das schwor er sich seit es begonnen hatte. Doch er wusste auch, dass es nur ein Gedanke war. So lange der Tod seiner Schwester nicht gerächt war, würde er nie ruhen.

Und obwohl sein Herz ihm schwer war und sich der letzte Akt zu nähern schien, musste er lächeln. Ein Lächeln, das verschwand als er aus seinen Gemächern trat, um seinen Pflichten nachzugehen. Wie jedes Anzeichen dafür, dass er eben noch mit Gerald gesprochen hatte.

 

Kunst, so sagt man, sei das, was unser Herz mit Schönheit berührt und unsere Fantasie beflügelt, wenn wir es nur betrachten oder uns daran erinnern. Es kann ein Gemälde, ein Gedicht oder ein Buch sein. Für manche ist Kunst eine Person, die einige wohl als „Muse“ bezeichnet hätten. Es weckt in uns Wünsche und Träume, die wir eins zu verdrängen versuchten. Ein besonderes Kunstwerk gibt es in jedem Leben, das einen verleitet, in sich zu gehen und die Tiefen der eigenen Seele und des Herzen zu ergründen. Wir suchen etwas, was wir glauben, verloren zu haben und entdecken, dass es immer noch da ist. Meistens haben wir nur den Weg dahin vergessen.

Doch was ist, wenn man dieses eine Kunstwerk entdeckt hat und es einen erinnert, dass dort ein Weg sein müsste, man sich aber dennoch nicht entsinnen kann? Selbst wenn man die Hand ausstreckt und man sich das Kunstwerk ins Gedächtnis ruft, können wir einfach nicht finden, was in unserem Herzen schlummern müsste. Es ist so als seien wir nicht vollständig und als könne nichts dieses Loch jemals flicken. Fernab jeder Antwort, weil die Fragen nicht herauskommen, die dafür notwendig wären. Ist es dann verwunderlich, wenn wir zweifeln?

Laariel sah dieses Kunstwerk der Schöpferin an, die sie so verbissen jagten. Er blickte auf den Sternenhimmel und er wusste, dass er sich an etwas erinnern müsste, doch egal wie sehr er es versuchte, es tat sich nichts. Er war unvollständig und er zweifelte an dem Reich, das er zu führen und zu schützen geschworen hatte. Er war der Schatten dieser Gesellschaft und Niemand sah es. Nicht mal Johannes...

Vollkommen verloren strichen die blassen Kuppen des Hochgewachsenen über die professionellen Farbschichten, die sich ineinander verloren, wie Mann und Frau, wenn sich ihre Blicke trafen und wahrhaftige Liebe sie zu einer Person verschmolz. Er genoss das Gefühl der Erregung, das ihn ergriff, wenn er die Unebenheiten abtastete und so die Sterne, Gräser und Hügel zu spüren glaubte. Als sei er selbst auf dieser Wiese in dieser sternenklaren Nacht. Er schloss die Augen und er versuchte sich angestrengt zu erinnern, was es war, was er wissen müsste. Da war etwas, etwas, was zum Greifen nah war. Es schien ihn zu rufen und die Hand auszustrecken! Der König streckte seine Hand danach aus und dann-...

„Entschuldigt, wenn ich störe, Euer Majestät.“, erklang plötzlich eine vollkommen fremde Stimme.

Sofort zog der Hellhaarige seine Finger zurück und drehte sich empört um als wollte er die Schande verbergen, dass das Gemälde ihn so eingenommen hatte. Eigentlich rechnete er mit einem Diener, doch stattdessen stand dort ein unerwarteter und unverhoffter Gast: Ein Feurer. Sehr jung, wie Laariel erkannte und in seinen blauen Augen brannte das Feuer der Leidenschaft und Jagd. Blair trug dieses Leuchten auch manchmal, aber es war nicht so blendend hell, wie bei diesem jungen Mann.

Dennoch räusperte sich der König: „Was wollt Ihr in meiner Galerie?“

„Ich folge der Spur der Schöpferin Cynthra, Herr.“, antwortete der Schwarzhaarige gelassen, „Ich bin Gerald und wurde mit ihrer Ermordung beauftragt. Nun habe ich aber eine andere Methode dafür erwählt. Dafür muss ich aber ihre Werke alle unter die Lupe nehmen.“

„Und weiter?“

„>Der Sternenhimmel<, so sagte man mir, sei ihr letztes Werk gewesen, bevor sie floh. Und das hängt hinter Euch, Euer Majestät. Das, das Ihr gestreichelt habt als sei es der Busen einer Frau.“

Mit einem Schlag lief Laariel hochrot an und trat vollkommen peinlich berührt zur Seite: „Natürlich.“

Es tat Gerald etwas leid, dass er diesen jungen Herrscher so in Verlegenheit gebracht hatte, doch er war niemals gut darin gewesen, seine Worte in Watte zu packen. Meistens half es auch nicht, wenn man das tat... Deshalb folgte auch kein Wort der Entschuldigung als er auf das Gemälde zu kam und es musterte. Der Rahmen wirkte billig, wenn man betrachtete, was es eigentlich hielt. Es war das beste Bild, das Gerald je gesehen hatte und er hatte viele Kunstwerke gesehen und noch mehr verbrannt. Anders als der König, der offenbar nicht so recht wusste, was er vor sich hatte, verstand der Feurer etwas von Kunst und er konnte durchaus erkennen, ob Jemand eine professionelle Pinselführung besaß oder eben nicht. Cynthra besaß sie.

„Dieses Gemälde ist nun über sechs Jahre alt?“, fragte der Schwarzhaarige, „Wurde es erneuert oder kopiert?“

Laariel schüttelte sofort den Kopf: „Nein, es wurde bei dem Zustand belassen, das es hatte und hängt seit Cynthra geächtet wurde in meiner Galerie.“

„Es wurde auch nicht heimlich ausgetauscht?“

„Das wäre mir aufgefallen.“

Der Feurer grunzte leise auf und der König errötete erneut. Er musste nichts sagen, damit er verstand, dass er seinen Blick für Kunst in Frage stellte. Und er würde lügen, wenn er es nicht selber tun würde. Aber er studierte dieses Gemälde jeden Tag und er stierte es manchmal Stunden lang an! Auch wenn er nicht viel darüber wusste, würde er doch bemerken, wenn es plötzlich andere Farben hatte oder die Sterne woanders positioniert waren...

„Das bezweifle ich irgendwie...“, murmelte Gerald.

„Ja, ich gebe zu, dass ich nicht viel von Kunst verstehe!“, empörte sich der Hellhaarige peinlich berührt, „Aber mir würde trotzdem auffallen, wenn ich plötzlich auf ein anderes Bild starren würde! Es würde mir auffallen, wenn es anders aussähe oder es nur eine Kopie wäre. Ich finde es wirklich unangemessen-...!“

„Nicht das!“, unterbrach ihn der Dunkelhäutige barsch und sah den Adligen ungläubig an, „Ihr seid wirklich ziemlich empfindlich für einen König.“ Das zumindest brachte Laariel zum Verstummen, während sein Gesicht glühte. Er hatte geglaubt, dass der Feurer ihn beleidigen wollte, aber nun war er sich da nicht mehr so sicher. Es war wohl einfach seine Art. Seufzend deutete Gerald auf einige andere Bilder in der Galerie: „Wie alt sind diese Gemälde?“

„Ich... kann es nicht genau sagen. Vielleicht zwei, höchstens drei Jahre.“, erklärte er nun etwas gestraffter und holte seine Königsbürde wieder hervor.

„Es ist erstaunlich, weil das Gemälde, dass über sechs Jahre alt ist, aussieht als wäre es erst gestern gemalt wurden.“, begann Gerald nun, „Die Farben sind kräftig, die Pinselführung noch wunderbar zu erkennen. Nichts verwischt sich und es hat ein bisschen den Glanz als seien die Farben noch nicht mal ganz trocken.“ Laariel verstand sofort, was der Feurer meinte und trat näher, um die saftigen Farben zu betrachten, die er jeden Tag anstierte. Jeden Tag war es ihm vorgekommen als betrachtete er ein neues Bild und nun wusste er, warum: Es sah einfach aus, wie neu. Dann verglich er es mit den jüngeren Bildern, die teilweise schon vergilbt waren oder verblassten. Bei manchen wurden die Farbschichten sogar rissig und spröde. Man würde sie bald für ein anderes Gemälde austauschen und sie verbrennen oder nochmals neu malen, wenn der König es wünschte.

„Wie... ist das möglich?“

„Ich habe keine Ahnung.“, gestand der Feurer.

Nun war er es, der die Kuppen nach dem Bild ausstreckte und über die Farbschichten, den Sternenhimmel und die Wiese streichelte und jede der gewollten und unbewussten Erhebungen ertastete. Laariel folgte mit seinen Augen den Bewegungen und achtete darauf, ob Farbe abbröckelte, doch das geschah nicht. Keine Risse, keine Ablösungen, kein verblassen der Farben. Nicht mal als der Schwarzhaarige etwas fester drückte, um die Konturen besser zu spüren. Als sei es neu...

Viele Schöpfer und Wissenschaftler erforschten es, langlebige Farben zu erschaffen, die über viele Jahre anhielten ohne dass man sie restaurieren oder kopieren musste. Sie versuchten alles, damit Schöpfungen eine längere Lebenserwartung hatten und Kunstwerke in Galerien lange bewundert werden konnten bis man sie für B-Ware austauschte oder ersetzte. Doch bisher war es Niemandem gelungen. Doch Laariel hatte gehört, dass Cynthras Schöpfungen länger hielten als die der anderen Schöpfer und nun wurde ihm erst klar, welches Potenzial dahinter steckte!

Bei Valira und Asmandir!, dachte der König fassungslos, Sie ist ein Genie! Sie hat etwas vollbracht, was vor ihr keiner geschafft hat. Und das in einem Maßstab, der unfassbar ist...

„Ich bin beeindruckt.“, sagte der Feurer und riss ihn damit wieder aus seinen Gedanken. Sofort blickte er fragend auf, erst recht als der Mann seine Hand griff und die Finger auf das Bild drückte. Erst kam kein Wort der Erklärung, doch dann schüttelte er den Kopf: „Sie hat Metalle in ihre Farben mit eingearbeitet.“

Laariel blinzelte und fuhr dann über die Farbschichten. Erst wusste er nicht, was der Dunkelhaarige meinte, doch dann spürte er die Kühle und die Härte, die nur teilweise ertastbar war. Und das an den Stellen, wo die Farbe besonders glanzvoll wirkte je nach Lichteinfall. Das war ihm niemals aufgefallen!

„Zumindest Metallstaub.“, korrigierte sich der Feurer und ließ den König wieder los, „Wahrscheinlich unterschiedliche und das in unterschiedlichen Mengen je nach Farbschicht. Ich bin mir sicher, dass sie noch andere geheime Zutaten eingearbeitet hat, damit die Farben so langlebig und vor allem lebendig aussehen. Offenbar hat Cynthra für sich experimentiert und ist auf eine Mixtur für Farben gestoßen, die das perfektionieren, was als unlösbares Problem unter den Schöpfern gilt. Und das in ihrem Alter...“

„Heißt das, dass sie die beste Schöpferin ist?“

„Sie ist die beste Schöpferin aller Zeiten, Euer Majestät.“, korrigierte er ihn, „Niemand hat das geschafft, was sie geschafft hat. Ich bin mir sicher, dass Ihr von diesem Bild noch lange gut habt ohne es restaurieren zu müssen.“

„Wird es jemals verblassen?“, fragte Laariel mit großer Bewunderung für das Kunstwerk und dessen Schöpferin.

„Nichts ist für die Ewigkeit.“

„Das ist... bedauerlich.“

„Ja, das ist es wohl.“, stimmte der Feurer zu, „Habt Ihr noch mehr von ihren Werken in der Galerie?“

„Nein. Fast alle ihrer Gemälde wurden verbrannt.“

Folge der Spur, sagt sie..., grummelte Gerald, Aber wenn da keine Spur mehr ist, der ich folgen kann?

„Wer gab die Verbrennungen in Auftrag?“

„Das war ich.“, erwiderte Laariel recht unverblümt, „Aber mein Rat war es, der das gefordert hat.“

Der Schwarzhaarige nickte. Er hatte sich so etwas in der Art schon gedacht. Und nun war er sehr überzeugt davon, dass hinter dem Ganzen mehr steckte. Doch er war kein Feurer, wenn er nun aufgab, wo es schwierig wurde! Er würde beweisen, dass seine Instinkte nicht falsch lagen und er würde raus finden, was nicht stimmte.

„Ihr sagtet >fast< alle...“, sagte Gerald aufmerksam, „Also habt Ihr nicht alle verbrannt. Da sind noch mehr...“

„Ja.“, gestand der König peinlich berührt und nickte, „Da sind noch mehr.“

„Ich muss sie sehen.“, sagte Gerald schroff, „Und zwar alle. Keine Ausnahmen.“

 

Das Gemach des Königs war riesig. Es war groß genug, damit eine Küche, ein Badezimmer, ein Wohnraum und ein Schlafzimmer darin Platz finden würden und dann war es immer noch ein riesiger Ort! Die armen Menschen in Lichtstein hätten sich die Finger nach so viel Geräumigkeit geleckt. Gerald aber ließ es kalt. Er war eher fasziniert von den ganzen Bildern, die hier hangen. Sie waren alle von Cynthra und alle waren nahezu perfekt. Saubere Pinselführung, wunderbar gemischte Farben, die ineinander verschmolzen und dadurch ein Kunstwerk schufen. Dennoch konnte er erkennen, welche von ihnen älter waren und welche jünger, denn es waren eindeutig Experimente für ihre Farbmischungen. Einige waren schon recht stark verblasst, andere schon leicht rissig, aber für das hohe Alter waren sie alle erstaunlich gut in Schuss. Es stellte unterschiedliche Motive dar, wie Bäume, Gärten, Himmelszenarien, Fabelwesen und einige Menschen. Einige der Bilder waren so traumhaft, dass man die Augen schließen und sich dorthin wünschen wollte. Sie waren so detailliert und ausgefeilt, dass man sich nicht vorstellen konnte, dass diese Darstellungen nur aus der Fantasie der Schöpferin stammten und sie keine reale Orte nachgemalt hatte.

Wie viel musste sie gereist sein, um solch eine Fantasie zu entwickeln? Welche Menschen hatte Cynthra in ihrem kurzen Leben getroffen, damit sie so faszinierende Menschen auf die Leinwand bringen konnte? Obwohl sie so jung war, hatte sie Meisterwerke geschaffen, die andere Schöpfer und Maler nicht mal in zweihundert Jahren hinbekommen hatten. Ob er das beeindruckend oder bedauernd finden sollte, wusste Gerald ehrlich nicht. Er selbst hatte niemals einen Pinsel geführt, aber wenn er sich diese Bilder ansah, dann juckte es ihn, es doch mal zu versuchen.

Gerald verstand, wieso Laariel sie heimlich behielt und sie alle ansah, bevor er sich zur Ruhe bettete. Es war ungemein beruhigend und atemberaubend schön. Das musste für angenehme Träume sorgen.

„Wie viele wissen, dass diese Bilder hier sind, Euer Majestät?“, fragte der Feurer dann.

„Bis auf meine privaten Zimmerzofen...“, überlegte der Hellhaarige leise, „Niemand. Alle denken, ich hätte sie auch verbrennen lassen. Meine Zofen wissen nicht, dass diese Bilder von Cynthra gemalt wurden. Sie denken, dass es irgendwer gewesen ist.“

„Kluge Entscheidung.“

Nochmals glitten die blauen Augen des Kha’zaks über die ganzen Gemälde und erst jetzt stach ihm eines besonders in das Auge. Es war definitiv das neuste unter ihnen und erstrahlte in einem Glanz, das selbst >Den Sternenhimmel< in den Schatten stellte. Es war detailliert dargestellt und die Farben kräftiger denn je. Das musste das letzte Bild sein, dass Cynthra vor ihrer Flucht gemalt hatte.

Und es stellte den König dar...

Nicht den Vater des Königs, der zu diesem Zeitpunkt noch geherrscht hatte, sondern der heutige, der damals noch ein Prinz gewesen war. Erst hatte er ihn nicht erkannt, weil seine Haare dort noch kürzer gewesen und die Gewänder eher schlicht waren. Ganz anders als die prunkvolle Rüstung, die Laariel heute trug. Der Blick wirkte außerdem etwas sanfter als bei dem ernsten Adligen, der mit solch einer Person wie ihm, Probleme hatte zu sprechen.

„Wie nah standet Ihr der Schöpferin noch gleich?“, fragte der Feurer und hang dabei das Gemälde ab, um es genauer betrachten zu können. Es war wirklich groß und sehr schwer! Das lag nicht nur an dem Rahmen, sondern an der dicken Leinwand und den ebenso dicken Farbschichten, in die sie eindeutig auch Metallstäube verarbeitet hatte. Vielleicht sogar noch mehr... Dadurch wirkte der Schmuck richtig echt und auch die vergoldeten Wände des Gemachs, das Gerald darauf erkennen konnte. In diesem Bild steckte viel Arbeit, die er auf mindestens ein Jahr schätzte.

Laariel betrachtete das Bild als sei es das erste Mal, dass er es zur Kenntnis nahm. Dann erst sah er den Schwarzhaarigen an: „Wir haben uns nicht gekannt. Ich habe nie mit ihr gesprochen.“

„Habt Ihr für dieses Bild Model gestanden?“

„Nein.“, antwortete er wahrheitsgemäß, „Ich habe bis eben nicht mal gewusst, dass es tatsächlich mich darstellt. Als ich es gefunden habe, habe ich es für einen einfachen Adligen gehalten.“

„Ihr scheint da zwar jünger zu sein, aber Ihr seid es definitiv. Und Ihr seid sehr detailliert und nahezu perfekt dargestellt wurden.“, erwiderte Gerald gelassen, „Es ist ihr letztes Bild. Ihr letztes Bild stellt Euch dar, Euer Majestät.“

„Das verstehe ich nicht.“, sagte er ehrlich, „Ich habe sie wirklich nicht gekannt! Wieso sollte sie eine so detaillierte Abbildung von mir malen?“

„Vielleicht hatte sie vor, einen Klon von Euch zu erschaffen, der in Eurem Namen irgendwas für sie tun sollte.“, sinnierte der Feurer, „Vielleicht sollte der Klon ihr einen höheren Rang ermöglichen. Und vielleicht flog es auf, bevor es geschehen konnte.“

„Und... Und wenn dieser Klon schon rum rennt? Oder Jemand es zu Ende bringt?“, fragte Laariel panisch. Ihm war klar, welchen Schaden eine Person anrichten konnte, die genau wie der König aussah, wie er klang und sich wie er gab. Solche Schäden könnte er niemals beheben! Er würde zurücktreten müssen und alles, was er versucht hatte zu ändern, wäre vergebens gewesen. Jeder Traum würde verpuffen...

Gerald war da wesentlich entspannter. Er nahm sich einfach eine der Kerzen entgegen, die den Raum erhellten und hielt sie an das Bild heran. Bevor Laariel Einspruch erheben konnte, fing das Gemälde Feuer und zerfiel nach und nach zu Asche. Bevor sich der Feurer dabei verbrannte - was bei seiner Bezeichnung peinlich gewesen wäre - warf er es auf die Steinfließen und sah zu, wie es in manch einer Stichflamme einfach vernichtet wurde. Offenbar waren in den Farben auch Öle eingearbeitet. Gerald war wirklich beeindruckt! Das beschleunigte vielleicht auch den Prozess des Verbrennens, aber es schien die Farben auch länger frisch zu halten.

„Wenn dieses Gemälde eine Schöpfung hervorgebracht hat, die als Euer Klon rum lief, dann ist diese Schöpfung nun Geschichte. Verbannt, wie dieses Bild...“, erklärte Gerald dann gelassen und sah auf, „Und es kann auch sonst nicht mehr gegen Euch verwendet werden.“

Laariel atmete erleichtert aus: „Das ist gut... Ich danke Euch. Mir war nicht klar, was ich für ein gefährliches Gemälde aufgehoben habe.“

„Dankt mir nicht zu früh.“, erwiderte er kühl, „Gibt es noch so eines? Ein ähnliches? Oder hat es Jemand kopieren können? Das wäre alles genauso gefährlich.“

„Nichts, dass ich wüsste...“

„Gut. Sollte ich eines finden, werde ich gleichermaßen verfahren.“

„In Ordnung.“

„Habt Ihr sonst noch Bilder von ihr?“, wollte Gerald wissen und blickte den König streng an, „Irgendwelche weiteren Verstecke von denen ich wissen müsste?“

„Natürlich.“, erwiderte Laariel und verzog das Gesicht, „Ich verstecke eine weitere Galerie immer unter meiner Rüstung, damit ich sie immer bei mir habe.“

Der Feurer würdigte das mit keiner Antwort, sondern zog nur die Augenbraue hoch als wollte er ihn so tadeln.

„Nein... Ich habe sonst keine mehr und ich hätte auch keine Möglichkeit, welche zu verstecken.“

„Warum nicht gleich so?“

„Weil das meine Art ist.“, antwortete der König.

„Eine sehr anstrengende Art...“

Laariel räusperte sich etwas und straffte dann die breiten Schultern: „Das sieht Johannes genauso. Sind wir hier fertig?“

„Hier sind wir fertig, ja.“, erwiderte Gerald und beobachtete, wie der König sich umdrehen und gehen wollte, „Nun möchte ich Cynthras altes Arbeitszimmer und ihre Materialien, wie auch Unterlagen sehen. Und natürlich ihre persönlichen Gemächer.“

Sofort stockte der Hellhaarige und drehte sich wieder um. Es war seinem Gesicht zu entnehmen, dass er nicht so recht glauben konnte, was der Feurer da verlangte. Außerdem scheuchte er ihn durch die Gegend als sei er irgendein Diener und nicht der König von Lichtheim!

Bei den Göttern! Er meint wirklich, er könnte mich so behandeln?, fragte sich Laariel seufzend, Sind denn alle Feurer so?

„Ist Euer Begehr nicht etwas unsittlich?“, fragte er dann mit hochgezogener Augenbraue.

„Ich habe ja nicht vor, ihre Unterwäscheschublade zu erforschen oder an ihrer Nachtwäsche zu schnuppern.“

„Ich weiß ja nicht...“, murmelte der König skeptisch, „Dass Ihr das so einfach sagt, macht Euch nur verdächtig.“

„Das sagt Ihr nur, weil Ihr selbst schon an ihrer Wäsche geschnuppert habt.“, spottete der Feurer.

Mit einem Schlag wurde der Hellhaarige ganz steif und für einen Moment glaubte Gerald, dass er vorpreschen und ihm seinen eisernen Handschuh ins Gesicht schlagen würde.

Nicht, dass ich es nicht verdient hätte., gestand er sich dabei ein. Doch es geschah nichts. Laariel schlug ihn nicht und er rief auch nicht die Wachen, damit sie es taten. An seiner Stelle wäre er nicht so beherrscht gewesen! Aber deshalb war er wohl der König und er der Feurer.

„In Ordnung...“, bekam er dann endlich als Antwort, „Aber wenn ich Euch dabei erwische, wie Ihr an der Wäsche schnuppert oder andere Dinge tut, die ich als unangemessen empfinde, dann werde ich Euch höchstpersönlich entfernen.“

„Und ihre Unterlagen?“

„Die werde ich zusammensammeln lassen, damit man sie Euch bringt.“, antwortete er prompt, „Außerdem werde ich Euch ein Arbeitszimmer und Versorgung stellen, so lange Ihr Euch angemessen betragt. Und Ihr nicht aussprecht, dass ich... hier noch Gemälde von Cynthra habe.“

„Abgemacht.“

„Muss ich nun irgendwas Komisches machen?“

Gerald sah den ernsten König amüsiert an als er die Frage hörte: „Wie kommt Ihr darauf?“

„Ich hörte, dass Feurer sich mal gegenseitig die Arme aufschlitzen, wenn sie sich zusammen tun und ihre Wunden aneinander reiben.“

„Ihr meint ein Blutsband?“

Laariel nickte unbeholfen ohne wirklich zu wissen, ob es wirklich das war, was er meinte. Der König war nicht dumm und er bildete sich definitiv fort, aber es war nicht das Gleiche, wie wenn man bei einem Volk aufwuchs und auch nicht das Gleiche, wie wenn man es selbst erfuhr. Seine Bildung bestand aus toten Buchstaben auf weißen Papier. In der Realität war es so unbedeutend, wie ein Kunstwerk an der Wand des Schlafzimmers von dem König.

„Nein, wir werden keine Blutsbrüder.“, sagte Gerald dann endlich, „Dafür seid Ihr mir viel zu... königlich.“

„Und Ihr seid mir dafür zu bürgerlich.“

„Autsch...“, lachte der Feurer spöttisch, „Ich werde mich hüten, Euch weiter zu reizen! Ihr scheint ja richtig böse werden zu können.“

Jetzt schien es Laariel wirklich zu reichen, aber statt ihn zu verprügeln, drehte er sich auf seinem Absatz um und stolzierte aus seinen eigenen Gemächern heraus. Er rief nach einer Zofe und trug ihr auf, ein Zimmer bereit zu stellen und die gewünschten Unterlagen der Schöpferin aus dem Archiv zu holen. Außerdem trug er ihr auf, dass Gerald abends auch etwas vom Abendessen bekommen sollte. Das junge Mädchen nickte und lief sofort los, damit sie sich um alles kümmern konnte. Man konnte über den hellhäutigen König ja sagen, was man wollte, aber er hatte Kontrolle über seine Diener und sie lasen ihm jeden Wunsch von den Lippen ab.

Aber zu seinem Unglück war der Kha’zak keiner seiner Diener und sein Volk lebte nach eigenen Regeln und Gesetzen, obwohl sie in Lichtheim geboren wurden und hier lebten. Sie folgten der Krone, aber sie unterwarfen sich ihr nicht. Doch bei Laariel musste Gerald zugeben, dass er ihn leiden und ihm vielleicht mehr konnte als nur zu folgen.

Grinsend ließ er sich also in das Arbeitszimmer der Schöpferin führen, um der Spur zu folgen, die er gerade erst aufgenommen hatte. Es würde ein spannender Aufenthalt werden...

 

Wenn Cynthra eine Sache nicht leiden konnte, dann war es Unruhe, wenn sie versuchte ein Meisterwerk zu erschaffen. Nun war sie dabei und es nahm langsam Form an, aber sie wusste nicht, ob sie es jemals beenden würde. Das letzte Mal, wo sie solch ein Gemälde geschaffen hatte, waren mehrere Monate für die Beendigung nötig gewesen! Doch sie bezweifelte, dass ihr so viel Zeit blieb. Vorher würden sie Kopfgeldjäger oder der Feurer sie finden und man würde sie hinrichten lassen. Denn mit all den Materialien, dem angefangenen Bild und mitten im Prozess würde eine weitere Flucht mit solch einer Scharade unmöglich sein.

Sie atmete drei Mal tief durch und zwang sich zur Ruhe, ehe sie den Pinsel in die braune Farbe tunkte, um weiter zu malen. Saubere und perfekte Striche, die nun unwillkürlich aussahen, aber am Ende würde sich alles zusammenfügen, wie sich alles irgendwann zusammenfügte.

Was bringt es, wenn ich mich verrückt mache?, erinnerte sich die Schöpferin selbst, Ich muss einfach versuchen, es zu schaffen und wenn ich vorher gefunden werde, dann habe ich es wenigstens versucht.

„Das sieht aus als wolltet Ihr abstrakte Kunst erschaffen.“, sagte eine Stimme plötzlich und ließ Cynthra dennoch nicht zusammenfahren. Sie erkannte die Männerstimme und deshalb blickte sie nicht mal über die Schulter. Stattdessen malte die Brünette weiter. Der Mann aber kam näher und wagte einen genaueren Blick: „Was wird es mal werden, wenn es fertig ist?“

„Ein Meisterwerk.“

„Ihr seid ja gar nicht von Euch überzeugt.“

„Nein, gar nicht.“, antwortete sie und sah ihn endlich an, „Farbe und Glanz, Asran, was führt dich hierher?“

Der Mann sah wie immer zerfetzter aus als er es sein müsste. Das Hemd war schmutzig und viele der Nähte lösten sich schon ab, während es nichts an Verzierungen daran gab. Auch die Lederhose hatte ihre besten Zeiten schon hinter sich, obwohl Cynthra bezweifelte, dass diese Hose jemals bessere Zeiten gesehen hatte. Das kurze, weißgoldene Haar hatte sich Asran zurückgestrichen und seine blasse Haut passte wunderbar zu den schokoladenbraunen Augen. Sah man davon ab, dass er sehr ungepflegt und seine Kleidung zerrissen war, war er ein gutaussehender Mann. Doch als Bettler überlebte man im Untergrund besser.

Asran war ähnlich wie der König etwa zwei Meter groß und er hatte ein recht breites Kreuz, aber ansonsten unterschied er sich nicht viel von den gewöhnlichen Lichtheimern. Natürlich waren alle männlichen Lichtheimer groß, aber die meisten von ihnen waren dabei schmächtig und sehnig, weil sie sich von Waffen fernhielten. Dafür gab es ja die Kha’zaks. Doch die Lichtheimer hatten das Potenzial dazu, breite, kräftige und imponierende Körper zu entwickeln, wenn sie es versuchten. Das steckte in ihrem Blut, wie das Gen des Feurers in dem der Kha’zaks.

„Ich wollte nur sehen, wofür ich mit einem Feurer sprechen sollte.“, erwiderte er dann endlich, „Und irgendwie haut es mich bisher nicht um.“

„Weil du keine Ahnung von Kunst hast, Asran.“

„Mag sein, aber das ist keine Kunst.“

„Wieso hast du darauf bestanden, dass du derjenige bist, der mit dem Feurer spricht?“, wollte Cynthra wissen und legte dafür sogar ihren Pinsel beiseite. Danach begann sie die Farbschalen alle zu verschließen, damit der Inhalt nicht zu trocknen begann.

„Habe ich doch gar nicht.“

„Natürlich hast du das.“, antwortete sie und zog die Augenbrauen hoch, „Verkaufe mich nicht für dumm, Asran. Ich weiß schon sehr lange, wer du bist. Und ich bin dir nicht böse, dass du es versuchst zu verbergen. An deiner Stelle täte ich es auch.“

„Ach ja?“, fragte Asran und mimte den Dummen, „Wer bin ich denn? Wer glaubt Ihr, steht vor Euch?“

Die Schöpferin lachte müde über seine Äußerung. Er wollte Spielchen spielen und ihr war da gar nicht nach. Sie kämpfte um ihr Leben! Aber so lief das eben bei den Leuten aus dem Untergrund. Sie wollten herausfinden, wie viel ihre Gegenüber wirklich wussten, damit sie ihre Karten entsprechend mischen oder aufdecken konnten.

Cynthra war das alles geläufig, aber sie spielte dabei nicht mit, weshalb sie abwinkte: „Du bist der Anführer der Diebesgilde, Asran. Und bevor du der Anführer wurdest, warst du ein geächteter Schöpfer. Bevor du ein Geächteter warst, warst du ein Mann namens Wilson.“

Nun hatte sie ihn beeindruckt! Das konnte Cynthra in den erstaunten Augen des Gildenmeisters erkennen, der aber bisher immer noch keine Antwort gab.

„Wilson war ein hoch angesehener und kluger Schöpfer, der einen großen Drang dazu hatte, alles weiter zu entwickeln und die Welt in neue Farben zu hüllen.“, fuhr Cynthra deshalb fort, „Er erforschte die Langlebigkeit von Schöpfungen und Gemälden und wollte sogar leblose Objekte erschaffen. Das wurde von der Krone sehr großzügig gefördert. Doch irgendwann sprach Wilson mit einer Familie, die einen schweren Verlust erlitten hatte. Ihr Sohn war in einem Scharmützel gefallen, das vom damaligen König selbst provoziert wurden war. Ihr Sohn zählte gerade mal dreißig Winter und neunundzwanzig Sommer.“ Sie machte eine Pause, damit Asran diese Worte in sich aufnehmen konnte. Wenn die Schöpferin richtig lag, dann war er inzwischen etwa achtzig Jahre alt und etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre ein Geächteter. Seit etwas mehr als zehn Jahren hatte er die Diebesgilde unterwandert und die Führung übernommen. Das war beeindruckend. Doch Cynthra fuhr gelassen fort: „Diese Familie hatte nur einen Wunsch: Dass ihr Sohn als Klon neu erschaffen wird, damit sie ihm sagen können, wie stolz sie auf ihn waren und dass sie ihn liebten. Sie wollte nur ein Mal richtig Abschied nehmen, aber der damalige König und das Ministerium lehnten diese Bitte ab.“

„Und was geschah dann...?“, fragte der Gildenmeister mit belegter Stimme, die immer monotoner wurde.

„Dieser Wunsch berührte Wilsons Herz. Auch er wollte irgendwann eine Familie haben und wünschte sich sehr einen Sohn, den er genauso lieben konnte, wie diese Eltern ihren Sohn liebten. Also schmiedete er einen Plan...“, erzählte Cynthra weiter, „Er setzte sich mit ihnen zusammen und sammelte Informationen über ihren Sohn. Über seine Gewohnheiten, seine Vorlieben und seine Beziehungen. Als er genug zusammengetragen hatte, schuf er ein Meisterwerk und eine Schöpfung, die dem Sohn zum Verwechseln ähnlich war. Er ermöglichte dieser Familie etwa drei Jahre einen Abschied. Wilson brach ihre Herzen, aber zugleich heilte er sie auch, denn irgendwann endete ihre Frist. Aber sie hatten drei Jahre, die sie sonst nicht gehabt hätten.“ Und es war mehr als viele andere jemals gehabt hatten. Das wussten sie Beide. Und auch wie schmerzhaft es war, wenn man seine Schöpfung irgendwann verbrennen musste...

„Klingt doch nach einer wunderbaren Geschichte.“, sagte er und schien ablenken zu wollen.

„Das war es so lange bis herauskam, was Wilson getan hatte. Man wollte ihn hinrichten lassen, doch er hatte bereits einen Fluchtplan geschmiedet und entfloh seiner Gefangennahme mit Hilfe einiger Schöpfungen. Man hatte ihn sehr lange zu fassen versucht, aber er hatte noch länger versucht zu fliehen. Irgendwann gab man es auf...“

Asran wand sich etwas, ehe er sich auf das alte Bett setzte, das furchtbar knarrte bei seinem Gewicht. Es musste für ihn eine Ewigkeit her sein, dass er diesen Namen gehört hatte und auch diese Geschichte. Wahrscheinlich hatte der Gildenmeister gar nicht mehr daran gedacht, um zu vergessen, was ihm damals das Genick gebrochen hatte. Irgendwann war Wilson einfach zu Asran geworden. Die Wünsche und Träume von damals waren verpufft und neue waren entstanden.

„Dann gibt es ja Hoffnung, dass das bei Euch auch passiert.“

„Was passiert?“, fragte sie verwirrt.

„Dass Ihr länger flieht als sie Euch suchen und Ihr irgendwann frei seid.“

„Nein.“, antwortete Cynthra überzeugt, „Sie werden nicht aufgeben. Erst, wenn ich tot bin.“

Das allerdings erstaunte Asran wirklich: „Wieso seid Ihr Euch so sicher? Was habt Ihr getan?“

Die Frage lautet wohl eher: Wem hätte ich nicht vertrauen sollen?, dachte die 26-Jährige verbittert und knabberte etwas an ihrer Unterlippe.

Es war nun etwa sechs Jahre her als sie aus dem Schloss geflohen war. Ein recht simpler Plan und dem von Wilson nicht unähnlich, obwohl es bei ihr mehr Verfolger gegeben hatte. Und viel mehr Feurer... Es war ein Durcheinander und Krach gewesen. Das alles klingelte immer noch in den Ohren der Schöpferin... In ihren Augen hatte sie kein Verbrechen begannen, aber wahrscheinlich hatte Wilson das genauso gesehen, wie sie damals.

Es war notwendig gewesen!, redete sie sich ein, Doch die Geschichtsbücher werden es anders schreiben.

Aber genauso sah es ja immer aus. Die Geschichte wurde von den Gewinnern geschrieben und nicht von den Verlierern. Und damit lag es bei den Gewinnern zu entscheiden, was die Wahrheit war. Bei solch einem empfindlichen Prinzip wurde es immer schwerer zu sagen, was Wahrheit wirklich war, wenn nicht das Produkt von Lügen und Fantasie.

„Was habt Ihr getan, Cynthra?“

„Nichts, was du wissen solltest.“, antwortete sie endlich und schüttelte den Gedanken an das ab, was mal sein würde, „Es ist besser, wenn du es nicht weißt. Immerhin hast du es geschafft, abzutauchen und du solltest diesen Erfolg nicht kaputt machen, indem du zu viel weißt.“

„Ich weiß immer zu viel. Ich bin der Gildenmeister der Diebesgilde.“

„Touché...“

Wenn Asran eines nicht war, dann dumm. Ihm war klar, dass sie ihm nicht sagen würde, was sie angeblich schlimmes verbrochen hatte und auch nicht, wieso sie der Meinung war, dass man sie ewig jagen würde. Vielleicht hatte sie recht und es war besser, wenn er es nicht erfuhr.

„Warum hast du darauf bestanden, mit dem Feurer selbst zu sprechen, Asran?“, fragte sie dann erneut, „Er hätte dich erkennen können. Entweder als abtrünnigen Schöpfer Wilson oder aber auch als legendären Gildenmeister der Diebesgilde. Beides hätte dich alles kosten können.“

„Meine Männer sind gut und ich traue ihnen viel zu, Cynthra, aber sich mit Feurern anzulegen, kann auch für gewöhnliche Leute gefährlich werden.“, erklärte der Mann gelassen, „Ich kenne Feurer und weiß, was mich erwartet. Entsprechend kann ich mit ihnen umgehen und auf ihre Äußerungen reagieren. Aber meine Jungs wissen das alles nicht und sie sind zu ungeschliffen, um sich gehoben mit einem Feurer unterhalten zu können. So gehoben, dass er Respekt verspürt, aber so ungehobelt, dass er nicht merkt, dass man zu gesittete Umgangsformen pflegt.“

„Du wolltest ihn also einfach täuschen und deine Männer schützen.“

„Einfach ausgedrückt: Ja.“

Das brachte nun aber sie zum Lachen. Ein glockenhelles Lachen, das den ganzen Raum einzunehmen schien, wie ihre Schönheit, die der Schmutz und die alten Kleidungsstücken kaum verbergen konnten. Darüber musste nun auch Asran schmunzeln, obwohl er nicht so richtig verstand, wieso sie seine Ansichten als so amüsant empfand. Aber manche Menschen waren eben ansteckend, wenn sie lachten, lächelten oder für etwas standen und es anprangerten. Cynthra hatte ihn schon mehr als ein Mal mitgerissen, weshalb er ihr dann am Ende doch dabei geholfen hatte, im Untergrund Fuß zu fassen. Vielleicht hatte ihre Notlage ihn auch an sein früheres Leben erinnert als er noch Wilson der Schöpfe gewesen war. Oder sie war die Tochter, die er sich immer gewünscht hatte... Was es auch immer war, es reichte aus, damit er sie nicht verkaufte und sogar freiwillig mit einem Feurer sprach, der noch grün hinter den Ohren war.

„Ihr seid eine dumme, aber gleichzeitig weise und weitsichtige Frau, Cynthra.“

„Und du warst ein wirklich hervorragender Schöpfer, bevor du alles hinter dir gelassen hast.“

„Wer sagt, dass ich nicht immer noch ein guter Schöpfer bin?“, fragte Asran belustigt.

„Die Tatsache, dass du nicht erkennst, dass dieses Gemälde ein Meisterwerk wird.“, spottete die Brünette und deutete auf die Leinwand, auf der wirre braune und weiße Striche waren und nicht mehr, „Und du darin nichts erkennen kannst als das Chaos.“

„Ihr trefft mich hart, Cynthra.“

„Immer doch. Aber bitte... Ich muss nicht gesiezt werden. Noch bin ich jung.“

„Auch das geht vorbei.“, lachte der Gildenmeister amüsiert und erhob sich, damit er näher auf die Leinwand zutreten konnte. Er sah wirklich nichts weiter als unregelmäßige Striche, die ohne Sinn und Verstand einfach darauf geklatscht wurden waren. Asran war sich sicher, dass sie ein bestimmtes Bild vor sich hatte und er war auch überzeugt davon, dass sie recht hatte und es eins ein Meisterwerk sein würde, aber jetzt war davon nichts zu erkennen.

Sahen meine Bilder anfangs auch immer so chaotisch aus?, fragte sich der ehemalige Schöpfer ernsthaft, Oder war ich nie mehr als ein mäßig guter Schöpfer und sie ist diejenige, die ein Meister ist?

Es war zu lange her als er sein letztes Kunstwerk geschaffen hatte. Sowohl als einfaches Bild als auch, um daraus eine Schöpfung zu gestalten. Selbst wenn seine Bilder anfangs auch so ausgesehen hatten, dann war es zu lange her, damit er sich daran erinnern konnte. Eigentlich konnte er sich nicht mal mehr an die Schöpfung dieses Sohnes erinnern oder an die Familie. All das lag in einem Nebel als war er so sehr mit seiner neuen Identität verschmolzen, dass alles aus seinem früheren Leben aus seinem Gedächtnis geschwemmt wurden war.

„Du warst der Lösung damals sehr nah, Asran.“, sagte Cynthra plötzlich und riss ihn aus seinen Gedanken.

„Welcher Lösung?“

„Der Lösung für das Problem der Verblassung aller Farben.“, erklärte sie gefasst, „Du hast erforscht, wie man möglichst lange Schöpfungen hervorbringen kann. Deine letzte Schöpfung hielt drei Jahre, was etwa zwei Jahre über dem Zenit ist. Ein paar Monate mehr und du hättest das Rätsel geknackt.“

Daran erinnerte er sich. An die Experimente, die Versuche und die zahlreichen Mischungen. Einige Farben hatten sich noch während des Malens in ihre Einzelteile zerlegt, andere waren gut gewesen, aber eben nicht perfekt. Manchmal hatte er Nächte durchgearbeitet, um eine neue Mixtur zu testen oder eine fehlgeschlagene zu analysieren. Irgendwann hatten sich endlich ernstzunehmende Ergebnisse gezeigt, die er so gerne weiter erforscht hätte! Doch vorher hatte man ihn als Geächteten davon gejagt.

Mit diesem Wissen blickte er die Schöpferin vor sich an: „Du hast meine Forschungsunterlagen studiert und ausprobiert? Die Mixturen so gemischt und erweitert?“

„Ja, das habe ich getan.“

„Wie lange halten deine Schöpfungen? Wie lange halten deine Gemälde?“, wollte Asran aufgeregt wissen. Obwohl Cynthra sicher war, dass das nun wieder Wilson war.

„Zahlreiche von ihnen bestehen immer noch. Einige sind über sechs Jahre alt, andere sogar noch älter.“

Der ehemalige Schöpfer atmete tief durch und spürte ein Zittern der Erregung in sich. So viele Jahre! All seine Forschungen und Experimente waren nicht umsonst gewesen, sondern er war nah dran gewesen, das Problem zu lösen. Das stellte ihn innerlich sehr zufrieden. Was eins undenkbar gewesen war, wurde zu einem greifbaren Ziel und konnte vielleicht neue Türen zu neuen Schöpfungen öffnen. Wenn es möglich war, dass Schöpfungen so lange bestanden, dann musste es auch möglich sein, Gegenstände zu erschaffen.

Nun stimmte es den Gildenmeister beinahe traurig, dass er hatte fliehen müssen und dass er seine Forschungen zurücklassen musste. Er hatte niemals geglaubt, dass Jemand sie jemals öffnen und damit arbeiten würden, weil die meisten Schöpfer sich von Materialien von Geächteten fernhielten. Es wurde beinahe als blasphemisch betrachtet, wenn sie es doch taten und diese sogar als korrekt darstellten.

Bei Valeria..., schüttelte es den Geächteten, Sie hat trotz der allgemeinen Abneigung meine Forschungen geöffnet und mit ihnen gearbeitet!

„Wieso hast du das getan...?“, fragte Asran mit trockenem Mund.

„Was meinst du?“

„Riskiert, dass man dich ausschließt oder verspottet und dich Forschungen eines Geächteten hingegeben?“

Cynthra lächelte als habe er das erste Mal die richtige Frage gestellt seit sie sich kannten. Dann nahm sie sich ihre Farbgefäße entgegen und öffnete sie, damit sie mit ihren verschiedenen Pinseln weiter auf der sehr teuren, dicken Leinwand malen konnte, die seine Gilde ihm besorgt hatte. Ebenso wie die meisten Zutaten und Gefäße. Inzwischen bereute er diesen Entschluss nicht mehr...

Er wusste nicht, mit wem er es hier zu tun hatte und trotz seiner Erfahrungen und seinem eigenen Werdegang konnte er nicht sagen, was ihn erwartete. Was sie auch immer vor hatte zu schaffen, würde ein Meisterwerk werden und es würde ihr ermöglichen, was immer sie sich vornahm. Sie war gefährlich. Gefährlicher als alle anderen Menschen in diesem Reich und gefährlicher als man es ihr zutraute.

Sie haben ein Monster geschaffen..., erkannte Asran und schluckte schwer, Und dieses Monster ist nicht glücklich darüber.

Vernichtende Beweise

Wie kann eine einzelne Frau nur so viel schreiben ohne, dass ihr die Finger abfallen?, dachte Gerald mürrisch, der genervt über einem von Cynthras Notizbüchern saß, Und dann hat sie auch noch ohne Ende gemalt... Das ist absurd!

Seit etwa drei Wochen war er nun im Schloss und las die Notizbücher, Aufzeichnungen und betrachtete Skizzen von Bildern, die sie geplant hatte. Immer wieder tauchte ein Name auf: Wilson. Man hatte ihm erklärt, dass Wilson ein geächteter Schöpfer war, der vor vielen Jahren floh. Sie hatte offenbar mit seinen Forschungsberichten gearbeitet und daraus Mixturen entwickelt. Aus diesem Grund ließ sich der Feurer auch seine Aufzeichnungen bringen, die sich bereits etwas abseits von Cynthras Unterlagen stapelten. Bei dem Blick zu den ganzen Büchern und Zetteln wurde ihm ganz schlecht.

Wenn ich noch ein Forschungsbuch lesen muss, dann will ich selbst geächtet werden!

Er hatte niemals verstanden, was Schöpfer am Lesen und Schreiben fanden. Sie mussten einfach alles niederschreiben! Was sie wo rein getan hatten, wie es sich beim Malen anfühlte und wie das Ergebnis am Ende war. Dass sie nicht auch notierten, was sie wann gegessen hatten und wann es wieder herausgekommen war, hielt der Feurer für ein Wunder.

Obwohl er dem Ganzen so abgeneigt war, kam er dennoch wirklich wunderbar weiter. Cynthra hatte die Farbmixturen tatsächlich optimiert und zeigte bemerkenswerte Ergebnisse dabei. Viele brauchten Jahre bis ihre Schöpfungen überhaupt ein Jahr hielten, aber diese Hürde hatte sie schon während ihrer Ausbildung übersprungen und es als lachhaft empfunden. Dann wurden zwei, schließlich drei Jahre daraus. Zu dieser Zeit hatte sie angefangen, sich Forschungsergebnisse von anderen Schöpfern zusammenzutragen. Doch den endgültigen Durchbruch hatte sie durch Wilsons Forschungen erreicht. Das zumindest schrieb sie in jedem zweiten Satz. Dazu kamen diese aufwändigen Formeln, die wohl die Mixturen ihrer Farben ausmachten. Verstehen tat Gerald das nicht, aber er verstand, dass sie einen Durchbruch erzielt hatte, anhand der Daten, wie lange eine Schöpfung gehalten und wie lange Bilder nicht verblasst waren.

Allmählich wurde ihm klar, dass sie so Großes geleistet hatte, dass alle anderen Schöpfer dumm dastehen mussten. Sie war dabei, die Geschichte von Lichtheim neu zu schreiben! Es hätte sich alles ändern können.

„Wie weit seid Ihr inzwischen, Lord Feurer?“, fragte eine inzwischen vertraute Stimme.

Gerald sah auf und blickte in Johannes’ faltiges Gesicht. Er kam ihn fast täglich besuchen und versuchte ihm Dinge unterzuschieben, die stark nach gefälschten Beweisen rochen, um Cynthra als eindeutige Verräterin darzustellen. Natürlich spielte er mit und tat so als wären ihm die Notizen nicht aufgefallen, die er während ihren Unterhaltungen zu den anderen schob. Dieses Ratsmitglied wollte die Wahrheit verschleiern und wenn das bedeutete, dass er sich selbst auf die Schwelle des Verrats begann, dann war das für ihn offenbar notwendig.

Was immer in den Aufzeichnungen stand, musste Cynthra nicht nur entlasten, sondern ebenso für das Königreich elementar sein. Und Johannes versuchte alles, damit der Schwarzhaarige nicht darauf stieß und sich endlich von den alten Berichten löste, um sie wieder zu suchen. Wahrscheinlich hatte er auch schon mehrmals versucht, die Notizen zu stehlen, aber Gerald schlief kaum und wenn, dann war es kein fester Schlaf. Es war also eine aussichtslose Sache, so lange der Feurer nicht selbst das Interesse verlor.

„Es geht voran, Lord Ratsmitglied.“

Johannes zog die Stirn kraus als er diese Verknüpfung von Titeln hörte. Wohl die gerechte Strafe für seine eigene Art, den Mann zu benennen. Mit Floskeln kam man bei Gerald einfach nicht weiter.

Also setzte er sich auf das bequeme Bett und blickte ihn an: „Konntet Ihr schon feststellen, ob Cynthra das ist, was alle glauben?“

„Es deutet viel darauf hin.“

„Wieso forscht Ihr dann immer noch, Lord Feurer?“

Feuer und Asche!, fluchte der Kha’zak und sah dabei den alten Mann böse an, Kann er das >Lord< nicht einfach weglassen?!

Gerald musste ein paar Mal durchatmen, ehe er wieder etwas Ruhe fand: „Wusstet Ihr, dass Beweise auch zu eindeutig sein können, Lord Ratsmitglied? So als wollte Jemand unbedingt, dass man Jemanden für schuldig hält.“

„Was nicht heißt, dass er unschuldig ist.“

Das wiederum überraschte ihn. Johannes schien es nicht abstreiten zu wollen, dass er Beweise präpariert hatte und er wollte, dass Cynthra schuldig aussah. Deshalb stierte er ihn nun auch ernst an: „Wieso hasst Ihr sie so sehr? Oder wollt Ihr Jemanden schützen?“

„Weder noch.“

„Aber Ihr seid so versessen darauf, dass sie schuldig aussieht.“, warf Gerald skeptisch ein.

„Weil sie es ist.“

In den Augen des Ratsmitgliedes konnte der Schwarzhaarige lesen, dass er das wirklich glaubte. Er hielt diese Frau für schuldig und er wollte, dass sie ihrer gerechten Strafe zugeführt wurde. Wenn nicht durch den Rat selbst, dann eben durch die Hand jemandes, den sie beauftragt hatten.

Aber genau das machte Johannes auch so gefährlich. Vielleicht glaubte er an die Schuld der Schöpferin, aber es konnte sein, dass er so sehr daran glaubte, dass es ihm den Blick für das Wesentliche nahm. Gerade in seiner gehobenen Position würde ihn das nicht überraschen. Zu viel Macht konnte so manch einen gestandenen Mann verblenden und ihm den Blick für das nehmen, was direkt vor ihm lag.

„Nichts in ihren Notizen deutet bisher darauf hin, dass sie ein Verbrechen planen würde.“, sagte Gerald scharf, „Nichts deutet darauf hin, dass sie ihr Reich nicht lieben würde. Was also hat sie getan, dass Ihr mir Beweise unterschiebt, die sie als Monster darstellen?“

„Ich schiebe Euch keine Beweise unter.“

„Oh, bitte!“, keuchte er theatralisch und hob die Hände, „Ich bin ein Feurer! Täuschung und getäuscht werden, gehört zu meinen täglichen Brot. Ich wurde als Kriegsmaschine ausgebildet, aber auch als Sucher der Wahrheit! Mir fällt schon auf, wenn die Handschrift anders ist und ein alter Mann die Zettel unter andere schiebt. So wie Ihr es eben getan habt.“ Demonstrativ griff der Feurer in den Stapel und zog ein gegilbtes Pergament heraus, das Johannes eben noch zwischen die anderen geschoben hatte. Wie immer wich die Handschrift leicht von Cynthras ab. Auch wenn er versucht hatte, das Alter des Papiers richtig zu wählen, passte auch das nicht so ganz zu der Verwitterung ihrer anderen Unterlagen. Gerald warf einen Blick auf das geschriebene und las es laut vor: „>Ich, Cynthra, gestehe mir ein, dass ich vor habe, das größte Meisterwerk zu erschaffen, um das ganze Königreich zum Narren zu halten. Als größte Schöpferin aller Zeiten werde ich das Unmögliche möglich machen.< Ernsthaft? Jetzt auch noch Hochmut?“

Johannes errötete etwas, obwohl er mehr Beherrschung gegenüber seiner barschen Art hatte als der König. Der erkundigte sich nur ein Mal in der Woche nach dem Feurer und seinen Fortschritten.

„Das muss ich mir nicht bieten lassen!“, wetterte der alte Mann und sprang auf, „Ihr seid wirklich unhöflich und Ihr werdet schon noch früh genug merken, dass sie eine Verbrecherin ist!“

Und Ihr werdet erkennen, dass ich den Prozess der Forschung nur hatte beschleunigen wollen., dachte Johannes verbittert und packte den Saum seiner Robe, um dramatisch aus dem Arbeitszimmer zu stürmen.

Gerald sah dem alten Mann mit hochgezogenen Augenbrauen nach und fragte sich allmählich, wer von ihnen mehr den Blick verstellt hatte. Denn der Feurer merkte ja, dass er gerne an die Unschuld dieser Frau glauben wollte, die ein richtiges Genie war und zu Größeren bestimmt war als eine Geächtete zu werden. Aber vielleicht galt das auch für Wilson, dessen Notizen er nun entgegen nahm.

Das würde eine lange Nacht werden... Eine lange und langweilige Nacht, die nur noch schlimmer werden konnte, wenn man noch mehr Aufzeichnungen fand und ihm brachte. Er würde alles geben, wenn er seine Sicheln mal wieder schwingen oder Jemanden jagen könnte...

 

Wo es vorher der Feurer gewesen war, der diese Mission verfluchte, war es nun Johannes, der es verfluchte, dass er ihn eingestellt hatte! Ein zynischer König war schon genug Arbeit, aber nun noch einen trotzigen und zu klugen Mörder zu beherbergen, erschien ihn beinahe absurd. Als wäre es ein schlechter Scherz auf seine Kosten.

Zu allem Überfluss befand sich der König neuerdings sehr oft bei den Schöpfern. Er beobachtete sie beim Malen und bei dem Prozess des Schaffens. Manchmal sprach er sogar mit ihnen! Nun war er also einigermaßen losgekommen von dem Gemälde, um sich eine neue Leidenschaft zu suchen, die nicht wirklich besser war.

Natürlich fand er ihn nun auch wieder im Schöpfungsraum und erwischte ihn dabei, wie er zu den Schöpfern starrte. Einer hatte gerade sein Bild beendet, legte es auf den Boden und sprach einige magische Formeln. Kurz darauf entstieg etwas der Leinwand. Erst war es eine unförmige Masse als habe man alle Farben dieser Welt zusammengewürfelt, die sich nun zu einem wachsenden Schleimmonster verwandelten. Doch als es auf der Höhe eines durchschnittlichen Mannes war, wuchs die glibberige Gestalt nicht mehr. Stattdessen konnte man erste Konturen eines Menschen erkennen. Erst war es eher schwammig und man brauchte viel Fantasie, um es zu erkennen, doch dann wurde es immer deutlicher. Kräftige Arme, ebenso starke Beine. Ein breites Kreuz. Nach und nach zeigte sich ein kantiges, vernarbtes Männergesicht von vielleicht sechzig Jahren. Kurzes, helles Haar, die Haut ebenso blass und auch sonst hatte die Gestalt viele Merkmale von Lichtheimern, aber dennoch war es keiner. Kein echter zumindest...

Da Schöpfer keine leblosen Gegenstände schaffen konnten, war der Mann ebenfalls nackt. Zwar malten die meisten Schöpfer ihre Schöpfungen dennoch in Kleidung, aber sie wurde nicht mit erschaffen. Die Schöpfung wirkte verwirrt und sein „Vater“ kam ihm entgegen, um ihm sanft etwas einzureden und rauszuführen. Diesen skurrilen Moment würde er bald vergessen und sich nie mehr daran erinnern, denn Schöpfungen wussten nicht, was sie waren. Sie bekamen eine Geschichte und hielten sich daran. Dass es nicht ihr wahres Leben war und sie nur der Fantasie eines Anderen entsprungen waren, würde sie sicherlich wahnsinnig machen.

Johannes richtete nichts an die fleißigen Maler, sondern begab sich an die Seite seines Königs, der recht gespannt den Prozessen zusah. Hier wurden immerhin Soldaten für seine Armee „rekrutiert“. Wenn sie nicht in Schlachten fielen, dann starben sie, weil sie über den Zenit ihrer Farben waren. Doch wenn man es genau nahm, dann waren sie einfach nur Kanonenfutter, damit die echten Lichtheimer ihr Leben entspannt und ruhig führen konnten.

„Wie hat sie es gemacht?“, fragte Laariel plötzlich und erhaschte so nicht nur die Aufmerksamkeit des alten Ratsmitglieds, sondern auch dessen Skepsis.

„Wovon sprecht Ihr?“

„Wie hat sie meinen Vater getötet?“

Der alte Mann seufzte genervt und wünschte sich plötzlich wieder zu Gerald. Schon wieder dieses Thema! Wenn die Frage sich auch geändert hatte... Also wappnete er sich für die Unterhaltung und atmete tief durch: „Mit einer Schöpfung, Euer Majestät. Sie ließ es eine Schöpfung für sich machen.“

„Woher wisst Ihr, dass es ihre war?“

„Wie bitte?“

„Also für mich ist nicht zu erkennen, welche Schöpfung zu welchem Schöpfer gehört. Sie sehen aus, wie gewöhnliche Menschen...“, erwiderte Laariel und deutete auf einen Soldaten, der gerade seinem Gemälde entstieg, „Keine Unterschrift und kein Mal. Nichts an ihm sagt mir, dass diese Frau ihn geschaffen hat.“ Johannes sah genauer hin und musste ihm zustimmen. Wenn man nicht beim Prozess dabei war, konnte man unmöglich sagen, wer diesen Mann geschaffen hatte. Wie die Schöpfer das unterschieden, wusste er nicht mal... Der König sah also wieder ernst zu ihm: „Also erkläre mir, woher Ihr wusstet, dass es ihre Schöpfung war?“

„Weil... sie in der Nähe des Tatortes war...“, antwortete der Mann etwas kleinlauter.

„Macht Euch nicht lächerlich!“, keuchte er und gestikulierte wild mit den Händen, „Sie hätte einfach aus dem Schloss rausspazieren, einen Attentäter malen und ihn reinschicken können. Sie wäre weit weg gewesen und Niemand hätte sie belangen können. Es wäre so leicht gewesen, einfach aus der Stadt zu fliehen, denn bevor man auf sie gekommen wäre, wären Tage oder Wochen vergangen. Eher wäre ein anderer Schöpfer verdächtig wurden.“

Zu klug..., dachte Johannes verbittert, Er ist einfach zu klug und seine Weisheit steigt. Aber inzwischen auf ein gefährliches Maß...

„Manche denken eben nicht so weit.“

„Ihr wollt mir sagen, dass man ein Attentat auf einen König impulsiv ausführt? Sie plante nicht voraus? Überlegte sich nicht, wie sie am Besten vorgeht und wie fliehen soll?“, fragte Laariel ungläubig, „So mit dem Gedanken im Kopf: >Heute ist ein guter Tag, um einen König umzubringen.< und einem Lied auf den Lippen?“

„Ihr werdet schon wieder albern, Euer Majestät.“

„Und Ihr unlogisch.“

Wieder seufzte das Ratsmitglied auf: „Was wollt Ihr denn von mir hören?“

„Die Wahrheit für den Anfang.“

„Euer Vater wurde getötet und Ihr nahmt seinen Platz ein, Euer Majestät, das ist die Wahrheit.“, erwiderte Johannes, „Cynthra tat etwas Verbotenes und wurde dafür geächtet. Auch das entspricht der Wahrheit.“

„Aber sie tötete nicht meinen Vater.“

Darauf gab der ältere Mann keine Antwort, aber das musste er auch nicht. Egal, was Cynthra getan hatte, es war so frevelhaft gewesen, dass man es nicht mal laut aussprechen wollte und der Mord an einem König „besser“ war als die Wahrheit. Johannes wusste, was es war, doch er würde eisern bleiben und es nicht erzählen.

„Sie hatte jedenfalls genug Zeit, um ein sehr originalgetreues Gemälde von mir zu malen und da viel Zeit rein zu stecken.“, murmelte der König.

Nun war Johannes plötzlich absolut fassungslos und starrte entsetzt zu dem Herrscher, der nicht verstand, was nun wieder los war. Anfangs schien er sprachlos zu sein und nur die rasche Atmung erinnerte daran, dass er nicht im Stand gestorben war.

„Wo ist das Bild?“, fragte der Mann dann atemlos, „Verbrannt?“

„Ja.“, antwortete Laariel gelassen, „Gerald hat es aus Sicherheitsgründen verbrannt, damit Niemand einen Doppelgänger von mir erschaffen kann. Immerhin wäre ein zweiter König nicht besonders ratsam.“

Der ältere Mann wirkte nun noch bleicher als sonst als wäre ihm gerade sehr, sehr übel geworden. Auch die Knie schienen ihm weich zu werden, weshalb der König ihn besorgt ein wenig stützte. Er wusste nicht, was so schlimm gewesen sein sollte.

„Geht es Euch nicht gut?“, fragte er dann vorsichtig, „Hatte das Gemälde eine Bedeutung für Euch? Hätten wir es nicht verbrennen sollen?“

„Schon gut.“, erwiderte das Ratsmitglied und rang um Fassung, „Cynthra hatte das Bild nur mal für mich gemalt. Ich hatte gedacht, dass sie es bei ihrer Flucht mitgenommen habe... Es ist schade, dass es nun endgültig fort ist.“

„Das... tut mir leid.“

„Schon gut, Euer Majestät. Man kann nicht vermissen, was man nie hatte.“

Dennoch verabschiedete sich Johannes von dem König und wirkte wirklich bedrückt, dass dieses Gemälde für ihn nun unerreichbar fern war. Laariel verfluchte sich, dass er ihn nicht vorher darauf angesprochen hatte, dann wäre es nie so weit gekommen! Aber die Warnung des Feurers war ihm auch wichtig erschienen und es hinauszuzögern, hätte wohl eher die Gefahr gebracht, dass Jemand es fand und für sich ausnutzte. Auch wenn das eigentlich nicht möglich war. Immerhin musste ein Schöpfer das Gemälde selber malen, um daraus zu erschaffen! Doch er konnte es auch kopieren - abmalen... Der Schöpfer hätte dabei die Änderungen einfügen können, die über die Jahre gekommen waren, wie die längeren Haare. Es wäre eine täuschend echte Kopie gewesen!

Aber bei dem älteren Ratsmitglied wäre das Gemälde schon sicher gewesen, wenn er ihm auch nicht immer die Antworten geben konnte oder wollte, die sich der König erhoffte. Er war aber loyal. Bei ihm wäre es sicher gewesen und es hätte sich an einem Kunstauge erfreut.

Ich habe mich ja nicht mal selbst auf dem Gemälde erkannt!, dachte Laariel mit hochgezogenen Augenbrauen.

Aber da es nichts bringen würde, Johannes nun nachzulaufen und sich mehrmals zu entschuldigen, blieb er hier und beobachtete die Schöpfer bei ihrer beeindruckenden Arbeit. Aus einer weißen Leinwand schufen sie Soldaten, die alle anders aussahen! In feinen Rüstungen und mit prunkvollen Waffen. Manche Gemälde waren beinahe zu schade, um sie irgendwann verbrennen zu müssen... Wie aus einfacher Farbe Menschen entstanden, faszinierte ihn aber zurzeit so sehr, dass er nur ungern diesen Raum verließ, um an Sitzungen teilzunehmen oder zu schlafen.

 

Wenn Gerald etwas noch mehr hasste als diese ganzen Notizbücher von den Schöpfern durchzulesen und verzweifelt zu versuchen, diese auch noch zu verstehen, dann waren es Störungen dabei. Unterbrechungen, die ihn den Faden verlieren ließen, wie wenn Johannes mal wieder einen Kontrollgang machte. Dass die nächste Störung ihm gelegen kommen würde, ahnte er erst als die fünf Männer in der Tür standen. Drei von ihnen waren Schöpfungen, aber sie alle trugen die Uniform der Wache.

Der Feurer hatte vielen Leuten ohne das Gen schon oft versucht zu erklären, wie er Schöpfungen von normalen Menschen unterscheiden konnte. Immerhin sahen sie für gewöhnliche Leute ja genauso aus! In erster Linie musste es daran liegen, dass seine Augen schärfer waren als die von anderen Menschen. Diese besseren Sinne sorgten dafür, dass er bei Schöpfungen „Strukturen“ erkennen konnte als seien sie noch immer auf einer Leinwand gemalt. Je nach dem, wie gut der Schöpfer war, konnten diese Verzehrungen stark oder recht gut verborgen sein, aber nicht so, dass er es gar nicht sah.

Zeit zum Denken blieb aber nicht als die fünf Wachen ihre Waffen zogen und auf den Schwarzhaarigen zustürzten. Sofort zog er seine Sicheln und parierte den Hieb eines Lichtheimers, ehe er seine Hand ausstreckte, um eine der Schöpfungen einfach am Oberarm zu berühren. Der Mann schrie auf als er plötzlich Feuer fing als habe er eine Fackel an seine Kleidung gehalten. Dann sank er auf die Knie und zerfiel, um kurz darauf verschwunden zu sein als sei er niemals da gewesen.

Genau das schürte offenbar die Leidenschaft der anderen Wachen, die nun noch entschlossener ihr Ziel erreichen wollten: Seinen Tod. Gerald musste seine Sicheln kreuzen, um den Hieb einer Schöpfung abzuhalten und kurz darauf musste er diesen wegstoßen, damit er sich unter einem Schwerthieb wegducken konnte. Aus der gebeugten Haltung schoss seine linke Sichel hoch und schlitzte einen der menschlichen Soldaten vom Bauchnabel bis zum Kinn auf. Er konnte nicht schreien, denn er erstickte beinahe an seinem Blut als er zu Boden ging. Kurzzeitig versuchte er noch seine Innereien wieder in sich zu drücken, die durch den tiefen Schnitt heraus quollen, doch er erlag seinen Verletzungen recht schnell, während das Blut sich als große Lache verteilte.

Ein abschreckender Anblick für den verbliebenen Menschen, aber nicht für die Schöpfungen, die meistens etwas kühler und linearer geschaffen wurden, damit sie auf dem Schlachtfeld nicht den Kopf verloren. Das war immerhin einer der großen Vorteile, wenn man selber seine Soldaten schuf.

Die beiden Schöpfungen taten sich zusammen und preschten voran, um mit einem Kampfschrei gleichzeitig auf Gerald einzuschlagen. Doch Gerald entging tänzelnd den Angriffen. Er duckte sich oder glitt zur Seite. Manchmal drehte er sich, um dann mit seiner eigenen Klinge aus der Pirouette zu parieren. Da sich der Soldat aber langsam von seinem Schock zu erholen schien, musste er es nun langsam zu Ende bringen, bevor sie zu Dritt auf ihn einhagelten.

Ein Ducken unter die Axt reichte, damit Gerald seine Hand auf den Bauch der Schöpfung legen konnte, die sofort schreiend verbrannte. Es war ein Risiko gewesen, das sich bald auszahlte als die andere Schöpfung mit dem Schwert nach seinem Arm hieb. Blut quoll und er hatte keine Wahl als die Sicheln fallen zu lassen. Dennoch rollte sich der Feurer über den Boden und schnappte sich dabei eine seiner Waffen. Im letzten Moment als die Klinge auf seine Kehle sauste, hob er seine eigene und blockierte den Angriff. Sofort ließ er die Sichel wieder fallen und griff nach dem Handgelenk des Soldaten, der ebenso schreiend verbrannte, wie seine Vorgänger. Gerald spürte, wie das Blut auf den Boden tropfte, doch er packte dennoch seine beiden Waffen und ging auf den letzten Mann zu, der kreidebleich war.

„Wer hat Euch geschickt?“

„Ihr habt sie getötet!“, kreischte die Wache entsetzt, „Ihr habt sie alle getötet!“

„Genau genommen haben die Schöpfungen nie wirklich gelebt...“

„Sie haben mit uns getrunken, gescherzt und Träume gehabt! Sie gehörten zu uns!“

Dass sich Menschen so sehr an Schöpfungen binden und sie personalisieren konnten, hatte der Feurer niemals verstehen können. Aber das lag sicherlich auch daran, weil er sofort sah, was mit ihnen nicht stimmte...

Für den Soldaten war seine Loyalität zu den ehemaligen Freunden aber wichtiger als sein Leben. Er stürzte mit einem Schrei auf den Schwarzhaarigen zu und wollte ihn mit seinem Speer aufspießen. Doch Gerald entging dem sicheren Tod knapp, warf eine Sichel direkt zwischen die Augen der Wache und beobachtete den Schock in dessen Gesicht und wie er dann auf die Knie sackte. Erst als der Feurer seine Klinge aus dem Schädel riss, spritzte das Blut und das zusammen mit Hirnmasse. Das war kein schöner Anblick, doch auch daran war er inzwischen gewöhnt.

Wer hat diese Leute nur geschickt?, fragte er sich, während er seine Klingen vom Blut reinigte, Jemand, der sich an meinen Forschungen stört und selber kein Feurer ist. Die wären nicht so dumm und schicken mir gleich drei davon! Mein Glück... Wären sie alle Menschen gewesen, hätte ich es nicht geschafft.

Es gab allerdings nicht viele, die befugt waren, den Wachen solche Befehle zu geben. Ihm reichte es allmählich mit diesem Schloss und diesen Leuten! Wütend griff er sich die Notizen, die ein Wissen beinhalteten, dass seiner Spur am meisten half. Er würde sie weiter studieren, aber weder hier noch jetzt.

 

Laariel war noch immer bei den Schöpfern als der verletzte und durchaus wütende Gerald hereinplatzte. Er war vollkommen verwirrt bei der Blutsspur, die dieser hinter sich herzog und dennoch lieber wild mit den Armen gestikulierte.

„Wenn Ihr wollt, dass ich gehe, dann sagt es doch einfach!“, wetterte der Feurer, „Mir gleich Soldaten an den Hals zu hetzen, ist nicht sehr edelmütig!“

„I-Ich... Ich habe nicht... Was?“

„Natürlich habt Ihr nicht! Ihr seid die Unschuld vom Lande!“

Der König schüttelte unverständlich den Kopf und suchte nach einer passenden Antwort: „Nein... Das nicht, aber ich habe keine Wachen geschickt, um Euch zu töten.“

„Wie sollte ich das glauben?!“, fragte der Krieger hysterisch und fuchtelte mit seinem verletzten Arm. Das Blut spritzte und es machte allzu deutlich, dass er angegriffen wurden war. Von wem oder wegen wem, konnte man dadurch natürlich nicht ausmachen, aber offensichtlich mochte er die Dramatik dahinter.

Laariel griff vorsichtig nach der Schulter des Feurers und zog ihn hinaus auf den Flur. Die Schöpfer hatten ihnen immerhin schon komische Blicke zugeworfen und die Diener ebenfalls. Das musste ja nicht gleich Jeder mitbekommen.

Dennoch wartete der König, dass sie alleine waren, ehe er sich wieder an Gerald wandte: „Was genau ist denn bitte passiert?“

„Man griff mich an!“, brüllte er, „Und sie haben mich auch noch verletzt!“

„Das sehe ich.“, erwiderte der Adlige, „Aber wer genau griff Euch an? Wieso sollte ich das befehlen?“

„Es waren Wachen von Eurem Schloss. Fünf und drei davon Schöpfungen! Also schickte kein Feurer sie.“

„Ich hätte keinen Grund, Euch angreifen zu lassen.“

„Euer Hochwohlgeborenheit passt es doch garantiert nicht, dass ich nachforsche!“

So viel Dramatik hatte ich ihm gar nicht zugetraut..., dachte der König seufzend.

„Wenn ich Euch tot sehen wollte, dann währt Ihr es nun auch und Eure Leiche würde niemals auftauchen.“, antwortete der Hellhaarige gelassen, „Es wären nicht nur Fünf gekommen und es wären keine Schöpfungen dabei gewesen. Es gibt Feurer, die hier als Berater tätig sind, die ich hätte konsultieren können ohne ihnen sagen zu müssen, warum. Außerdem habe ich eine Liste, auf der steht jede Wache namentlich drauf und ob Schöpfung oder Mensch.“

Darauf hatte der Krieger nichts zu sagen. Er knirschte mit den Zähnen und lief unruhig auf und ab, aber offenbar glaubte er dem König. Solche Befehle zu geben, wäre wohl auch schwer unbemerkt geblieben, wenn er das im Raum der Schöpfung tat... Aber irgendwer hatte diesen Auftrag erteilt und es gab keine Garantie, dass er es nicht wieder versuchte!

Dieser erneute Versuch kam schneller als es Gerald geglaubt hatte. Das Ziehen von Waffen machte ihn aufmerksam. Eine Eskorte an bewaffneten Männern stand vor ihnen und sie wirkten nicht besonders freundlich. Für einen Moment blieb ihm bei dem Anblick das Herz stehen. Es waren mehr als zehn Männer! Fünf von ihnen waren Schöpfungen.

Als er hinauf zum Adligen sah, bemerkte er dessen Entsetzen. Diese Männer unterstanden ihm offensichtlich nicht und waren nicht auf seinen Wunsch hier. Egal, was hier vorging, es spielte sich hinter dem Rücken der Krone ab.

„Es tut mir leid, Majestät, aber Ihr werdet nun sterben. Genauso, wie Euer Freund.“, sagte der Soldat, der ganz vorne stand. Offenbar war er ihr Anführer.

Laariel griff sofort nach der Sense, die er stets am Rücken festgeschnallt hatte. Sie war nicht besonders groß, um nicht zu behindern und besaß eine Scheide, die er leicht abstreifen konnte. Mit beiden Händen und einer außergewöhnlich beeindruckenden Körperhaltung machte er sich bereit. Gerald verschwieg jedes Lob und zog seine eigenen Sicheln. Zwar hatte er gehört, dass der Adlige die Rüstung nicht nur zum Schein trug, ebenso wenig, wie die Waffe, aber er hatte ihn niemals kämpfen sehen. Nun hoffte er inständig, dass das stimmte. Denn ihr einziger Vorteil war die Enge des Flurs, die verhindern würde, dass alle sie gleichzeitig angriffen.

Der Anführer und vier weitere griffen als erstes an. Dieses Mal durfte Gerald keine Fehler machen... Deshalb duckte er sich direkt unter ein Schwert weg und rammte dabei seine Sichel direkt in den Oberschenkel des Angreifers, um den Griff loszulassen und eine Schöpfung zu berühren, die unter Schreien verbrannte. Dann riss er seine Klinge wieder an sich und riss den Mann herum, um ihm die Kehle aufzuschlitzen. Im letzten Moment duckte er sich unter einer Hellebarde weg und trat dessen Führer direkt zwischen die Beine. Der Soldat jaulte schrecklich, aber zumindest gab es dem Feurer die Zeit, der nächsten Schöpfung direkt an die Hand zu greifen, die ebenso zu Asche wurde.

Rasch und panisch blickte der Krieger zu dem König, aber der hatte selbst bereits vier Gegner enthauptet. Das war wirklich beeindruckend! Trotz seiner schweren Waffe, die ihn langsamer angreifen ließ und der Rüstung, die ebenfalls einschränkte, bewegte er sich erschreckend grazil. Manche Angriffe wehrte er einfach nur mit seinen Panzerhandschuhen ab oder ließ sie auf die Schulterschütze preschen. Das würde etwas drücken und es machte Krach, aber ansonsten blieb Laariel unbehelligt. Durch den langen Schaft seiner Waffe, konnte er auch damit Angriffe ablenken und dann mit der riesigen Klinge einfach zuschlagen, um sie zu enthaupten oder Körperteile sauber abzutrennen.

Egal, wie beeindruckend es auch war, Gerald hatte genug eigenes zu tun. Aber da er nun wusste, dass der König solch ein exzellenter Kämpfer war, konnte er sich darauf konzentrieren, sich den Schöpfungen zu widmen. Immerhin musste er diese nur berühren, damit sie ihnen nicht mehr im Weg waren. Dabei schnitt er dennoch zwei Kehlen auf und musste sich oft unter Angriffe ducken und ein Mal sogar über ein Breitschwert springen. Seines Alters wegen wurde er unterschätzt und sie stürzten sich lieber auf den König, was ein fataler Fehler war. So dezimierten sie die Männer einfach immer weiter und hinterließen ein Massaker aus Blut, Körperteilen und Eingeweiden. Dabei roch Gerald, dass einige dieser Menschen sich voll gemacht hatten, was einfach nicht ungewöhnlich beim Sterben war.

Instinktiv sah sich der Feurer um und suchte nach weiteren Bedrohungen und das in allen Formen und Farben. Doch es kamen weder weitere Soldaten noch schienen andere Gefahren zu lauern. Deshalb widmete er sich nun Laariel, der schwitzte und schnaubte, aber wenigstens unverletzt war. Gerald aber merkte, dass man ihm drei Schnitte an den Oberarmen zugefügt hatte und einen an der Seite. Nur oberflächlich und es drang wenig Blut daraus, dennoch brannten sie unangenehm.

Wäre vielleicht doch besser, sich eine Rüstung anzuziehen..., grübelte Gerald, Aber die schränken so ein!

Nicht unbedingt vorsichtig durchforschte er die Leichen, ob sie vielleicht Wappen trugen oder irgendwas anderes, was ihre Loyalitäten klärte. Doch der, der sie geschickt hatte, war kein Dummkopf und hatte entweder kluge Männer gewählt oder vorher alles durchsucht, damit sie ihn nicht verraten konnten. An irgendwas hatte Cynthra ihn angesetzt und es schlug so große Wellen, dass er sich nicht sicher war, ob er nicht zu klein für das Ganze war.

Ähnlich ging es dabei auch dem König, der sehr fertig wirkte. Nicht nur durch den Kampf, sondern vor allem mental. Immerhin waren diese Männer mal in seinem Dienst gewesen und nun hatte er sie zusammen mit dem Feurer getötet. Das würde sein Gewissen noch lange behaften und kein Gemälde konnte das trösten. Es war alles so grotesk, aber man würde ihm sicher bald eintrichtern wollen, dass das als König normal war. Verrat war normal... Zweifel auch.

Zähne knirschend zwang er sich, diese Toten nicht weiter anzustarren und sich nicht mehr zu fragen, wieso sie das alles getan hatten. Das war schwierig, doch es war vorerst das Beste, was er eben tun konnte.

„Wer kann Euren Wachen noch Befehle geben?“, fragte Gerald, „Immerhin scheinen die nicht eure Freunde zu sein.“

„Abgesehen von mir, können die Hauptmänner und der Rat sie befehligen.“, antwortete Laariel gezwungen beherrscht.

Er macht das wirklich gut, dass muss man ihm lassen., dachte der Feurer mit einem Lächeln. Die Meisten wären schon hysterisch geworden.

Doch sie konnten nicht zwischen den Leichen auf dem Flur stehen bleiben. Es musste schon so seltsam wirken und sie wollten nicht direkt wieder angegriffen werden. Also griff er nach dem Oberarm des Größeren und zog ihn mit sich. Sie überwanden einige Flure und ihnen warfen Zofen wegen des Blutes und den gezückten Waffen seltsame Blicke zu, aber schließlich verschwanden sie in einigen Lagerräume. Es roch nach Gewürzen und alkoholischen Getränken, aber das war weitaus besser als Blut, Gedärme und Ausscheidungen.

„Erst haben sie mich in meinem Arbeitszimmer angegriffen...“, erklärte Gerald dann und lehnte sich an ein Fass, „Dann greifen Sie Euch an. Wahrscheinlich waren die sicher, sie hätten mich dann schon beseitigt und Ihr wäret alleine.“ Er machte eine Pause, doch sie wussten Beide, was das bedeutete.

„Jemand will uns los werden.“

„Offensichtlich.“

„Aber warum?“, fragte Laariel verwirrt, „Warum riskieren als Verräter der Krone zu gelten und dadurch hingerichtet zu werden? Das waren ziemlich öffentliche Angriffe.“

Das war nicht von der Hand zu weisen. Ungeduldig ging der Schwarzhaarige nun auf und ab und ging die Ereignisse durch, die er erlebt hatte seit er Cynthra jagte und besonders die, die im Schloss stattgefunden hatten. Er erinnerte sich an Warnungen, an Gesichter und Soldaten. Die Männer, die sie heute angegriffen hatten, kannte er nicht. Wahrscheinlich hatte der Hintermann genau das gewollt, damit die Wachen keine persönliche Bindung zu ihren Opfern aufbauen konnten, die sie vielleicht zum Zögern bewegt hätten.

Also mussten sich die Drahtzieher ihrer Sache sehr sicher sein und eine so gehobene Position haben, dass man fest an sie glaubte. Wahrscheinlich arbeiteten sie schon viele Jahre daran, die Krone zu unterwandern, damit sie selbst an die Macht kommen und eigene Interessen verfolgen konnten. Eventuell hatten sie es damals schon versucht als der Vater des jetzigen Herrscher abgedankt war...

Ob sie ihn vergiftet haben?, fragte sich Gerald, Es hieß, dass er seit längerem krank gewesen sei und ein bisschen Gift, um den Prozess zu beschleunigen, würde Niemandem auffallen.

Aber dann tauchte der versteckte Sohn Laariel auf. Dass Niemand von ihm gewusst hatte, war nicht ungewöhnlich, denn viele Könige versuchten ihre Kinder zu schützen, indem sie nur engsten Vertrauten mitteilten, dass ihre Frauen schwanger waren und schließlich einen Erben hervorgebracht hatten. Sonst bestand die Gefahr, dass man das Kind schon im Säuglingsalter zu töten versuchte. So aber wuchsen sie im Schutze der Unwissenheit auf, konnten lernen, was es hieß, ein König zu sein und andere nützliche Handwerke auch noch. Ebenso wie Sprachen und Kulturwissen dieses und aller anderen Reiche, damit er sich immer angemessen bewegen konnte. Auf diese Weise konnten auch keine anderen Parteien versuchen, das Kind zu beeinflussen und in eine bestimmte Richtung zu drängen oder bestimmte Völker zu bevorzugen.

Die Verwirrung war dann aber größer, wenn die Krönung des Sohnes angekündigt wurde, der bis dahin offiziell niemals existiert hatte. An diesem Punkt scheiterten dann auch viele der Erben, weil sie das erste Mal die echte Last auf ihre Schultern wuchteten oder ihre ersten Anschläge erfuhren. Da war Laariel eine positive Überraschung und Ausnahme gewesen, der nach kurzer Zeit viele Bewunderer gehabt hatte. Die waren nicht geschmälert wurden als er sich immer mehr zurückzog und sich mehr nach dem Rat gerichtet hatte.

„Entweder sie wollen uns etwas anhängen...“, begann Gerald endlich und durchbrach die Mauer des Schweigens, „... oder sie waren sich ihrer Sache so sicher, dass es egal war, wie sie es tun oder wo.“

„Was könnten sie uns denn anhängen wollen?“

„Mord.“

Der König wurde sofort um einige Nuancen bleicher als er das hörte. Das war bei so wenig Hautfarbe zwar nicht der entscheidende Unterschied, aber nun wirkte er ernsthaft krank.

So sollte er sich auch fühlen., knurrte der Feurer innerlich, Wir stecken echt in der Scheiße.

„Meint Ihr... Meint Ihr, dass das auch Cynthra passiert ist?“, fragte Laariel mit trockenem Mund.

„Wahrscheinlich.“

„Heißt das, dass sie meinen Vater nicht getötet hat?“

„Das weiß ich nicht.“, gestand Gerald, „Vielleicht hat sie es getan, aber vielleicht war es nie ihre Idee. Es kann aber auch sein, dass sie nur der Sündenbock ist.“

Nun musste sich der Hellhaarige setzen. Dafür wählte er eine alte Kiste aus Holz, in der offenbar einige Gewürze aufbewahrt wurden. Dass sein Vater von einer anderen Organisation getötet wurden war, die nun auch seinen Tod wollte, war sicher schwer zu verkraften. Der Feurer hielt es aber für sehr wahrscheinlich, dass man Cynthra all das angehangen hatte und man den König vergiftet und die Leiche dann verunstaltet hatte, um alles zu vertuschen und sie als Schuldige darzustellen.

„Wir müssen das Schloss verlassen, Euer Majestät.“, drängelte der Schwarzhaarige ihn, „Wir wissen nicht, wer da alles mit drin steckt. Hier sind wir auf keinen Fall sicher und wir können uns nicht ewig in Lagerräumen verstecken.“

„Ja... Ihr habt recht.“, gab Laariel ungern zu, „Aber wo sollen wir hin? Jeder kennt doch mein Gesicht.“

Genau das war der Punkt. Man würde ihn überall erkennen und wenn die Soldaten nach dem König fragten, würde das Volk ihnen sagen, wo sie ihn gesehen hatten und wo er sich versteckt hielt. Er wäre nirgendwo sicher. Aber Gerald konnte ihn auch nicht hier lassen und der unmittelbaren Gefahr aussetzen!

„Wer glaubt Ihr, ist für den Anschlag auf Euch verantwortlich?“

„Ich... vermute etwas, was mir nicht schmeckt...“, murmelte der König unbehaglich, „Johannes sagte, dass kluge Männer, die zu viele Fragen stellen, den Tod ereilen.“

„Meine Nachforschungen begrüßte er auch nicht besonders.“

„Er hat die Macht, die Soldaten zu beeinflussen und ihnen Befehle zu geben.“

„Sein Einfluss ist groß genug, damit man ihm in eine Rebellion folgt.“, fügte Gerald hinzu.

Ein gefährlicher, alter Mann..., musste er dennoch zugeben. Gefährlicher als er es ihm zugetraut hatte.

„Wir finden einen Weg, damit man Eure Spur nicht verfolgen kann, Euer Majestät.“, sagte der Feurer klar, „Aber als Erstes müssen wir aus dem Schloss fliehen. Möglichst ohne Aufsehen und ohne Tote.“

„Ich kenne die kürzesten Wege.“

Der Schwarzhaarige nickte und stieß sich vom Fass ab. Es wurde Zeit, dass sie sich unauffällig aus dem Staub machten und diesen Missständen auf den Grund gingen. Was immer vor sich ging und wie viele auch immer da drin steckten, er würde sie alle finden und sie würden bezahlen!

 

„Verrat, so sagen die Bücher, liegt tief in der menschlichen Seele verankert und lässt sich vom Anbeginn der Zeit bis heute zurückverfolgen.“, sagte Cynthra und setzte weiterhin perfekte Pinselstriche auf ihrer Leinwand, „So sei es nicht überraschend, dass eine Mutter, die Verrat begann, Kinder hervorbringt, die ebenfalls Verrat begehen. So sei es normal, dass alle Schöpfer dazu neigen, ihrer Krone den Eid zu versagen und ihren eigenen Interessen zu folgen.“ Die Schöpferin setzte erneut Striche und das mit verschiedenen Pinseln und verschiedenen Brauntönen. Manchmal hielt sie inne, um das Bild zu betrachten, ehe sie fortfuhr: „Schöpfer sind eine Familie. Sie sind vom gleichen Blut, so heißt es in der Studie über Verrat. Dass nicht alle Verräter sind, verdanke man nicht ihrer Charakterstärke, sondern viel mehr der starken Hand der Könige. Sie schicken Feurer und behalten im Auge. Der Verrat ist weniger verlockend, wenn die Konsequenzen immer unausweichlicher werden.“

„Warum gibt es dann laut dieser Studie trotzdem weiterhin Verrat?“, fragte Asran. Er saß auf der Fensterbank mit einem dünnen, zerfledderten Buch in der Hand und las es. Dennoch hörte er Cynthra aufmerksam zu und konnte sich auch entsprechend an der Unterhaltung beteiligen.

„Laut der Studie kann man auch durch eine feste Hand nicht aufhalten, was unaufhaltbar ist. Wenn Verrat im Blut steckt, dann wird es irgendwann ausbrechen.“, erwiderte sie gelassen, „Bei Manchen dauert es so lange, dass sie vorher sterben. Bei Anderen ist es so auffällig, dass man sie vor dem Verrat hinrichten kann. Der Rest sind die Geächteten.“

„Glaubst du daran?“

Cynthra lachte auf: „Dass unser Blut bestimmt, wer wir waren, sind und eins sein werden? Wohl kaum.“

„Woher glaubst du, kommt Verrat?“

„Aus Unzufriedenheit, Unglück und aus Hass.“

Das waren Ansichten, für die man die Schöpferin sehr schnell gehängt hätte. Wenn man nicht genau hinhörte - und das taten Aristokraten nie - dann konnte das wie eine scharfe Kritik an der Politik klingen. Kaum einer wagte es, solch eine Äußerung zu machen und schon gar nicht so salopp.

„Wie meinst du das?“

„Ein Mann gibt seinen Sohn in den Schoß der Armee und dieser Sohn stirbt in einem Scharmützel. Es heißt, er habe ehrenhaft gekämpft, aber ein weniger ehrenhafter Mann habe ihn dann doch niedergestreckt. Der Vater weiß aber, dass einer der eigenen Männer in dem Chaos den Überblick verlor und dabei seinen Verbündeten abgeschlachtet hat. Das bringt Unzufriedenheit mit der Führung des Militärs. Denn statt die Wahrheit zu sagen und sich Fehler einzugestehen, erfindet man eine Lüge, die leichter und angenehmer für die Krone ist, nicht aber für den Vater.“, erklärte sie und malte dabei eifrig weiter, „Unglück wäre, wenn eine Epidemie ausbricht und Familien nieder rafft. Oder ein angeborene Fehler bei einem Kind, wodurch es zu jung stirbt und den Eltern das Herz bricht. Der Verlust von Arbeit und Zuhause. Man wünscht sich irgendwann ein besseres Schicksal.“

„Und Hass?“

„Wenn man einfach die Familie der Krone hasst, weil sie in der Vergangenheit der eigenen Familie unrecht angetan hat oder man den Rat hasst, weil seine Entscheidungen dafür sorgen, dass man aus seinem Heim ausziehen muss oder man eben Sohn oder Arbeit verlor.“

„Das klingt so als stünden die drei Punkte in einer direkten Verbindung zueinander.“

„Das tun sie auch.“, antwortete Cynthra zufrieden mit seiner Erkenntnis, „Ein Unglück zieht Kummer mit sich, aber nicht zwingend Unzufriedenheit oder Hass, aber es schließt diese auch nicht aus. Je mehr Zeit nach dem Unglück vergeht desto mehr können die negativen Gedanken wachsen und die Gefühle Herr werden über Geist und Körper.“

Allmählich war sich der Gildenmeister nicht mehr so sicher, ob er diese Unterhaltung überhaupt mit ihr führen sollte oder ob es besser war, den Mund zu halten und zu lesen. Manche Dinge, die wollte man nicht weiter ergründen, aber es gab auch die, die der Verstand einen zwang, zu begreifen.

„Es klingt so als hättest du das am eigenen Leibe erfahren.“, stellte er also vorsichtig fest.

„Ich war eine Schöpferin am Hofe, Asran. Ich habe gesehen, gehört und mitempfunden, was manch eine Familie erlitten hat oder noch erleiden wird. Um das zu verstehen, muss ich es nicht selbst erlebt haben.“

Wenn es das ist, was dich nachts schlafen lässt, dann soll es so sein., dachte sich der Dieb und widmete sich wieder seiner Lektüre.

Das Gemälde von Cynthra nahm immer mehr Gestalt an. Es bekam immer mehr Schichten und Farben und langsam konnte man erste Details erkennen. Noch war es nicht am Ende angekommen und es würde wohl auch noch einige Zeit dauern, doch es war dennoch schon beeindruckend.

Asran hatte damals viele Schöpfer gesehen, doch die wenigsten waren so arrangiert, geschickt und vorausschauend gewesen wie sie. Sie wusste, was auf der Leinwand sein würde noch bevor sie die Leinwand besaß. Jeder Pinselstrich, jede Farbe, jede Unebenheit war in ihrem Kopf und wurde von ihren Fingern in Perfektion ausgeführt. Aus einem Nichts wurde ein Meisterwerk.

„Was liest du da eigentlich immer?“, fragte sie plötzlich, „Jedes Mal, wenn du hier bist, liest du dieses zerfledderte Ding. Es hat nicht gerade viele Seiten. Also entweder kannst du nicht lesen und versuchst es trotzdem oder du liest sehr langsam.“

„Du hast die dritte Variante außer Acht gelassen.“

„Und die wäre?“

„Ich könnte es jedes Mal lesen, weil es das einzige Buch in meinem Besitz ist und ich deshalb immer wieder von vorne anfange.“

Die Schöpferin musste wieder lachen als sie das hörte: „Ernsthaft? Und worum geht es?“

„Es sind eigentlich alte Forschungsunterlagen eines Wissenschaftlers im Dienste der Krone.“, erklärte Asran gelassen, „Es geht darum, warum eine Untergrundsgilde nicht ein Reich führen kann.“

„Wirklich?“, fragte sie etwas verwundert und ließ vom Gemälde ab, um ihn anzusehen, „Versuchst du etwa die Herrschaft an dich zu reißen? Die Diebesgilde mit den goldenen Herzen?“

„Wohl kaum.“, spottete der Gildenmeister, „Es geht dabei eher darum, wie eine Herrschaft durch das >einfache Volk< aussehen könnte, statt durch eine Königsfamilie. Halunken sind dabei eher außen vor.“

„Die armen Halunken.“

„Nicht wahr?“, lachte Asran amüsiert, „Immer werden wir schikaniert! Es geht eben darum, wieso geborene Könige besser auf diesem Posten sein sollen als jene, die auf der Straße aufwuchsen. Schließlich sind jene weltnaher, die diese erfahren haben und nicht in einem Schloss behütet aufwuchsen.“ Da war wohl was dran, auch wenn Cynthra nicht gerade überzeugt wirkte. Also überlegte der ehemalige Schöpfer, wie er ihr diese These etwas näher bringen konnte ohne sich absolut lächerlich zu machen. Eine Sache, der man bei ihr nur schwer entgehen konnte. Als er etwas fand, wappnete er sich: „Meinst du, wir säßen hier und würden über all diese Dinge sprechen, wenn du damals nicht als Schöpferin, sondern als einfache Frau geboren wurden wärst?“

„Ja.“

Erstaunt blinzelte Asran ein paar Mal und rang ein bisschen um Fassung. Diese Antwort hatte er keineswegs erwartet! Er sammelte all seine Fakten innerlich zusammen und suchte ein wenig Ruhe, ehe er fortfuhr: „Wie kommst du darauf?“

„Ich wäre immer noch eine kluge, hübsche und begabte Frau gewesen auch ohne die Gabe des Schöpfens. Darüber hinaus wäre ich in irgendeinen Dienst im Schloss getreten. Vielleicht als Beraterin, Ratsmitglied oder Forscherin.“, erklärte Cynthra gelassen und widmete sich wieder ihrem Kunstwerk, „Irgendwem hätte das ebenso wenig gepasst und man hätte mir ein Verbrechen angelastet. Sicher ein anderes als das, was nun an mir haftet und es wäre mir schwerer gefallen zu entkommen, aber am Ende wäre ich wieder hier. Obwohl ich wohl kein Gemälde malen würde.“

„Erstaunlich...“

„Meine Gabe des Schöpfens ist es nicht, die mich ausmacht, Asran. Ich bin es.“, sagte sie gefasst, „Es ist nur ein kleiner Teil des großen Ganzen. Es war nicht diese Gabe, die entschied, wer ich sein würde und es war auch nicht die Gabe, die mich hierher brachte, sondern das, was ich einfach bin und immer sein werde. Die Gabe hat eben nur vorherbestimmt, welchen Beruf ich erlernen würde, aber auch nicht, in welchen Bereich davon es mich führen würde. Auch das war ich alleine.“

„Und wenn ich kein Schöpfer geworden wäre?“

„Das Selbe.“

„Aber ich hätte niemals diesen Sohn schaffen können und ich hätte niemals auf diese Art und Weise das Gesetz brechen können.“, warf der ehemalige Schöpfer ein.

„Eine andere Familie hätte dein Herz erweicht.“, erwiderte Cynthra, „Vielleicht wärst du ein Soldat gewesen und hättest in ihren Namen Rache genommen oder du wärst ein Finanzverwalter gewesen und hättest ihnen heimlich Geld zukommen lassen. So oder so: Irgendein Schicksal hätte deinen weichen Kern hervorgebracht und du hättest auf deine persönliche Art und Weise Hochverrat begannen.“

Ich wusste ja, dass es schwer ist, mit ihr zu diskutieren, aber langsam glaube ich, dass ich neben ihr ein absoluter Idiot bin., dachte er und ließ sich zurücksinken.

Seine Gedanken schwebten um diese Theorie und um das, was man in seinem Büchlein geschrieben hatte. Er versuchte zu vereinbaren und zu begreifen. Manchmal war genau das das Schwierigste an dem Denkprozess und am Malen. Sich einig zu werden und daraus einen endgültigen Gedanken zu schlussfolgern, mit dem man sich anfreunden und auszeichnen konnte. In diesem Falle war es schwer, denn ihm erschien Cynthras Theorie sehr schlüssig, aber andernfalls war es auch so simpel und so festgefahren, dass es nicht zuließ, dass Menschen anders sein konnten als man es ihnen ansah.

„Das klingt etwas so als würdest du die Forschungsarbeit über Verrat unterstützen.“

„Nein, das tue ich nicht, sondern ich widerlege sie sogar noch mehr dadurch.“

„Inwiefern?“

„Das Blut macht keinen Unterschied, welchen Werdegang ein Mensch anschlägt. Weder das Gen des Schöpfens noch das Gen des Feuers entscheidet, wie man wird und ob man eines Tages Verrat begeht.“, sagte die Schöpferin, „Unabhängig von seiner Familie und seinen Genen, geht man seinen Weg und kommt irgendwann dadurch an gewisse Punkte an, die dadurch einfach unausweichlich sind. Weil man eben ist, wer man ist und tut, was man dadurch einfach tut. Das heißt aber nicht, dass man automatisch ein Verräter ist oder deine Kinder es sein werden.“

„Warum wolltest du niemals selber forschen?“

„Wieso sollte ich das wollen?“

„Du bist klug, wortgewandt und gehst allen Mysterien auf den Grund ohne die Antworten zu scheuen oder aber Konfrontationen.“, erklärte er anerkennend, „Wahrscheinlich hättest du sogar herausfinden können, wieso wir existieren und wieso die Welt ist, wie sie eben ist. Vielleicht wären wir im Prozess nun viel weiter und könnten außergewöhnliche Gemälde erschaffen! Oder deine Theorien hätten ganz andere Bereiche revolutioniert.“

„Aber wenn ich all das haben kann, auch ohne an einem Schreibtisch zu sitzen, Notizen zu machen, Versuche zu starten und mich permanent zu langweilen? Ich kann doch auch ohne den Titel des Forschers die Mysterien der Welt erforschen und entdecken, wieso wir leben.“

„Doch Niemand würde es je erfahren.“

„Muss es denn immer die Welt wissen?“, hinterfragte sie, „Oder reicht es, wenn man es selbst weiß oder eben die eigenen Vertrauten?“

„Vermutlich reicht das...“, gestand er, „Aber du hättest mehr Mittel zur Verfügung gehabt und man würde dich mit anderen Augen betrachten.“

„Man hätte meine Forschungen im Auge behalten und mich auch. Wenn ich irgendwas erforscht hätte, was der Krone oder dem Rat nicht passt, dann hätte man meine Forschungen vernichtet und mich mit ihnen.“, knurrte Cynthra als habe sie genau das schon erlebt, „Am Ende wäre alles umsonst gewesen und es hätte auch Niemand, außer mir erfahren, was ich herausgefunden habe. Es hätte auch Niemand daran weiter geforscht und die Entwicklung, die ich dadurch erreichen wollte, wäre ausgeblieben.“

„Du klingst ziemlich verbittert.“

Über diese Feststellung zuckte sie nur mit den Schultern und widmete sich wieder konzentrierter ihrem Gemälde. Die Zeit drängte und das Gespräch schien sich um den Kreis zu drehen als jagte ein Hund seinen eigenen Schwanz. Man kam einfach nie am Ziel an.

Doch langsam fragte sich Asran, was genau Cynthra getan hatte und wieso sie es getan hatte. Er bezweifelte, dass man sie als Sündenbock ausgewählt hatte, weil sie zu klug war oder an den falschen Dingen geforscht hatte. Wahrscheinlicher war es, dass sie etwas in den Bann geschlagen hatte und man eben genau das gegen sie verwendet hatte. Durch diesen Verrat an ihr, war sie dann unglücklich geworden und mit dem Unglück, kam die Unzufriedenheit und je unzufriedener sie geworden war desto mehr Hass empfand sie gegen jene, die ihre Schwäche ausgenutzt hatten. Irgendwann hatte man all das so sehr gegen sie anwenden können, dass es ein Kinderspiel gewesen war, ihr den Tod des Königs anzuhängen, weil sie vielleicht wirklich etwas dazu beigetragen hatte.

Die besten Lügen sind die, die nah an der Wahrheit dran sind., überlegte der Dieb und blätterte auf die nächste Seite, Vielleicht gibst du mir immer so viel Happen der Wahrheit, dass sie sich dadurch nur noch mehr verzerrt und die Lügen eher deutlich werden. Doch ich frage mich, ob es ihre Lügen sind oder deine...

Er blickte auf und musterte das dunkle Haare, die leicht gebräunte, sommersprossige Haut und die hübschen Gesichtszüge. Sie sah aus wie ein wehrloses, junges Ding, das man behüten und beschützen musste. Es war schwer vorstellbar, dass sie irgendwem etwas antun könnte. Noch schwerer war zu glauben, dass sie an Intrigen beteiligt sein könnte.

Aber genau solche Personen waren ideal für Intrigen! Man sah es ihnen nicht an und deshalb vertraute man ihnen, auch wenn alle Warnsignale Alarm schlugen und man zur Flucht aufgefordert wurde.

Wenn ich sie weiter erforsche, dann wird mir womöglich nicht gefallen, was ich dabei finde. Es wird mich vielleicht in meinen Grundfesten erschüttern..., dachte der Gildenmeister bedauerlich, Doch das hat mich bisher nie aufgehalten, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.

Meisterwerk

„Warum sollte Johannes die Krone und das ganze Königreich verraten, nachdem er so lange gedient hat?“, fragte Laariel nicht das erste Mal.

Seit drei Wochen hielten sie sich versteckt. Dank Geralds Kontakten waren sie bisher nicht gefunden wurden, obwohl er seinen Freunden nicht gesagt hatte, mit wem er sich versteckt hielt. Die dachten wohl eher, dass es eine Frau war, mit der er eine heimliche Affäre hatte. Es wäre nicht das erste Mal...

Es zehrte an ihrer beiden Nerven und sie suchten nach Antworten. Das stellte sich bloß als sehr schwierig heraus, wenn man sich versteckt halten und man ansonsten vermummt rumlaufen musste. Überall in der Stadt hangen detaillierte Steckbriefe mit sehr hohen Belohnungen. Den König wollte man natürlich lebend und stellte ihn als Geisel dar, während bei Gerald die Aufschrift „Tod oder lebendig“ fett geschrieben war. Die Meisten würden ihn umbringen, weil es leichter war als einen Mann oder eine Frau gegen ihren Willen zu den gütigen Zahlern zu schleppen.

„Ich weiß es nicht, Euer Majestät.“, knurrte der Feurer genervt und das auch nicht zum ersten Mal, „Vielleicht reicht es ihm einfach nicht, nur zu dienen. Eventuell will er einfach nur mehr Macht und größere Verantwortung.“

„Er hätte doch nur fragen müssen!“

„Wahrscheinlich gibt es für Johannes irgendein Ereignis, das für ihn als Begründung für alles dient.“, erklärte er nun ruhiger, „Irgendwas, was ihn traumatisiert hat und was er glaubt so ändern zu können.“

„Zum Beispiel?“

„Der Tod von Jemandem... Der Verlust von etwas, was eine emotionale Bedeutung für ihn hatte. Das kann viele Gründe haben.“

„Oder er mag mich einfach nicht und hält mich für einen schlechten König.“, murmelte Laariel etwas abwesend.

„Oder das.“

Der König keuchte entsetzt auf und starrte zu dem Feurer, der vollkommen gelassen blieb: „Hey!“

„Eure Theorie, nicht meine. Ich habe Euch nur darin bestärkt, solchen Gedankenspielen nachzugehen.“

Er ist noch so jung..., dachte Gerald verstört, Noch sehr leicht aus dem Konzept zu bringen. Doch erstaunlicherweise überhaupt nicht leicht zu beeinflussen. Er macht sich seine Gedanken und führt diese so lange fort bis er zu einem Ergebnis kommt, dass ihm logisch erscheint. Egal, was Andere sagen oder denken... Das ist beeindruckend.

Noch beeindruckender waren die Forschungen von Cynthra und diesem Wilson und wie sie es geschafft hatte, ihre beiden Theorien zu einer verschmelzen zu lassen. Er hatte genug Zeit gehabt, um sich den Notizen zuzuwenden, statt sich mit dem Sinn des Lebens rumzuplagen. Die Theorien waren so interessant, dass er sich nun sicher war, dass er Cynthra endlich treffen musste! Wenn es stimmte, was da stand, dann würde das Leben aller Lichtheimer für immer verändert werden und die Grundfesten aller würden erschüttert werden.

Um sie zu finden, hatte er sich mit dem Untergrund in Verbindung setzen müssen. Das war anfangs sehr holprig gewesen, denn sie hatten die Schöpferin schützen wollen. Das machten sie bei jedem, der sich ihr Vertrauen verdient und ein Mitglied ihrer Organisation war. Das war auch nicht das beunruhigende an der ganzen Geschichte, sondern dass sie irgendwann doch nachgegeben hatten. Entweder hatte sie ihre Gunst verloren oder es war eine Falle...

„Ich werde mich nun um eine persönliche Angelegenheit kümmern.“, sagte der Feurer und blickte zum König, „Ihr bleibt hier und verhaltet Euch ruhig. Wenn irgendwas verdächtig scheint, kennt Ihr den Fluchtweg und das nächste Versteck.“

„Und was ist mit Euch?“

„Glaubt mir, dass ich nicht dumm bin und merken werde, wenn Ihr ausgeflogen seid.“

Laariel nickte besorgt: „In Ordnung.“

Er hat Angst, dass ich ihn verraten könnte..., dachte er zähneknirschend, Nach allem, was wir durchgemacht haben! Er ist wirklich klug.

Denn wenn eines wichtig war, dann dass man Niemandem blind vertraute. Auch dann nicht, wenn er einem bisher immer geholfen und ihn beschützt hatte. Jüngste Ereignisse zeigten das immerhin auch.

Kam es also zu einem Vorfall und Laariel glaubte, er müsse fliehen, dann würde er das tun und sich ein eigenes Versteck organisieren, das nichts mit ihrem zu tun hatte. Doch Gerald würde sein Versprechen wahr machen und ihn finden. Ganz egal, wo er sich auch immer aufhielt. Doch dafür musste er natürlich lebend aus dieser Sache herauskommen und der König musste derweil auch am Leben bleiben. Zwei Punkte, die immer schwieriger zu vereinbaren waren...

 

„Er kommt...“, murmelte Asran und blickte aus dem glaslosen Fenster, „Bist du sicher, dass du das tun willst?“

„Das Versteckspiel ist vorbei.“, antwortete Cynthra und wusch von ihren Fingern die restlichen Farben, die sehr hartnäckig waren, „Dieser Feurer hat die Spur verfolgt, sonst wäre es nicht so lange ruhig geblieben. Doch entweder glaubt er nicht, was er gefunden hat oder er kann es nicht glauben und hält es für eine Hinhaltetaktik.“

„Das war es ja auch.“

„Vor allem war es die Wahrheit, Asran.“

Die Wahrheit, die du dich weigerst auszusprechen., dachte der Gildenmeister verbittert.

„Wie du schon sagtest: Er ist ein Feurer.“, ergänzte er dann, „Er lässt sich weder täuschen noch kennt er Gnade, wenn es um Schöpfer geht.“

„Ich weiß.“

Mehr musste der Dieb und ehemalige Schöpfer nicht hören, weshalb er sich vom Fensterrahmen löste und einen letzten Blick zu Cynthra warf, ehe er ging.

Er glaubt nicht an mich..., dachte die Frau und sah ihm nach, Verübeln kann ich es ihm ja nicht.

 

Es war für Gerald keine Überraschung, dass er die Schöpferin in einem der alten Armenviertel suchen musste, die irgendwann hastig verlassen wurden waren. Er war zu jung, um sich daran zu erinnern. Sein Vater hatte ihm damals gesagt, dass die Götter diesen Menschen für irgendein Verbrechen böse waren und das Land deshalb verflucht wurde. Hier wuchs nichts mehr und die Häuser zerfielen unerwartet früh, obwohl die gleiche Witterung herrschte, wie in den anderen Gebieten und Vierteln dieser Stadt. Bisher hatte der Feurer das für abergläubischen Unsinn gehalten, doch nun, wo er selbst den Grad der Zerstörung sah - die kein Mensch zu verantworten hatte - haderte er langsam mit sich selbst, ob da nicht doch eine höhere Macht hinter steckte. Zu recht waren die betroffenen Familien jedenfalls dankbar für die Hilfe des damaligen Königs - Laariels Vater.

Er hatte ihnen neue Unterkünfte gestellt, die anfangs eigentlich nur Zelte gewesen waren, aber derweil hatte er neue Häuser bauen und ein neues Viertel errichten lassen. Die anderen Armenviertel ließ er sanieren. Er hörte sich die Belange der Armen an und kam diesen nach als sei das, was passiert war, keine Strafe für die Bewohner gewesen, sondern für ihn.

Doch irgendwann hatte das nachgelassen... Der König hörte immer mehr auf seinen Rat und irgendwann hatte er diesen alles entscheiden lassen. Etwa ein Jahr lang hatten diese alten Männer und Frauen die vollkommene Kontrolle über das Reich gehabt und alles entschieden, während der König sich verkrochen hatte. Das Volk war aber genau deshalb unzufrieden geworden. Obwohl er sich zurückgezogen hatte, liebten sie ihren König und wollte seine Entscheidungen und nicht die eines Rates.

Anfangs hatte der Rat noch versucht, Angst zu verbreiten, indem sie jene bestraften, die sich kritisch zu der neuen politischen Lage äußerten. Es hatte an sich auch funktioniert, aber nicht so, wie sie es sich erhofft hatten. Den König liebte das Volk, aber den Rat hatten sie gefürchtet! Sie folgten ihren Instruktionen, aber nicht, weil sie daran glaubten oder sie dem Rat vertrauten, sondern aus Furcht vor den Konsequenzen. Genau das hatte noch größeren Unmut hervorgerufen.

Damals hatte Gerald auch darüber nachgedacht zu rebellieren... Daran erinnerte er sich als wäre es gestern gewesen und noch mehr, wie sein Vater durchgedreht war. Ein paar Tage später hatte sein Vater dann einen Herzinfarkt bekommen und ihn auf dem Totenbett angefleht, die Krone niemals zu verraten. Er war an gebrochenen Herzen gestorben und Gerald war der Grund gewesen.

Aber das Leben wäre ja eintönig, wenn es nicht neue Überraschungen für einen gut hätte. Bald wurde eine Nachricht verbreitet. Sie war erschütternd und hatte viele Tränen hervorgerufen. „Der König wurde ermordet!“ Zwar war das Volk schon immer unzufrieden mit der Politik gewesen und sie hatten sich mehr Gerechtigkeit gewünscht und alle mehr Wohlstand, doch gleichzeitig hatten sie nie geglaubt, dass der König etwas dafür konnte. Er hatte es eine lange Zeit lang ändern wollen...

Vierzehn Tage und vierzehn Nächte hatte das Volk geweint und getrauert um ihren gutherzigen König, der irgendwann den Weg verloren hatte. Auch Gerald damals... Einige der Trauernden waren auch hier in diesem Armenviertel gewesen, um an den Lagerfeuern zu berichten, wie schlimm es aussah und dass der König sie alle gerettet hatte. Der Feurer hatte all diesen Geschichten zugehört und sein Herz war ihm schrecklich schwer geworden. Er fragte sich, was aus ihren Reich denn werden sollte, jetzt da der König ihrer Herzen gegangen war und ihnen nur dieser eiskalte Rat blieb.

Am vierzehnten Tag wurde dann eine Versammlung zusammengerufen. Das ganze Volk wurde um ihre Anwesenheit gebeten über Plakate, Rufer und Waisenkinder, die die Nachricht verbreiteten. Alle waren sich sicher gewesen, dass der Rat nun verkünden würde, dass sie die Führung übernahmen, weil sie als einzige qualifiziert waren. Deshalb hatten sie alle sehr geknickt zu Boden geschaut als sie sich auf dem Platz versammelten - auch Gerald. Er hatte sich an die Geschichten von dem Lagerfeuer erinnerte und an dieses Viertel, in dem sich nun Cynthra verbarg, die Antworten für ihn hatte. Er hatte sich erinnert, wie der damalige König den Armen versucht hatte zu helfen bis er dann einfach nicht mehr konnte oder wollte...

Dann betrat Laariel das Podest.

Zu der Zeit hatte er noch kürzere Haare gehabt und war ein bisschen weniger eindrucksvoll, aber majestätisch gewesen. Die edlen Gewänder hatten ihm gut gestanden und die Art und Weise, wie er sein Volk mit Liebe, Verständnis, aber auch der Strenge eines Vaters angesehen hatte, hatte sich in die Herzen vieler Leute eingebrannt. Auch in seines... Er hatte die Augen, die Haare und die Haut seines Vaters gehabt, aber irgendwie wirkte er besser, stärker als dieser. Anmutiger und aufrechter. Als wusste er, was er zu tun hatte noch bevor er es tun konnte.

Man stellte ihn als den einzigen Sohn und Erben des damaligen Königs vor und dann wurde er unter Jubel und Freudentränen gekrönt. Plötzlich hatte das Reich wieder eine Existenzbegründung. Es wurden vierzehn Tage und vierzehn Nächte gefeiert und der Name des neuen Königs geschrieen. Die gleiche Anzahl der Tage diente dazu, um die alte Trauer wieder abschwellen zu lassen und den Tod dennoch zu ehren, damit der Sohn den Platz einnehmen konnte.

Laariel hatte genauso wie sein Vater erstmal alles selbst gemacht und sich um das gemeine Volk gekümmert, doch irgendwann hatte er sich dann auch zurückgezogen und der Rat hatte wieder eine gewisse Kontrolle übernommen. Dennoch liebte das Volk ihn, denn er zog sich nicht komplett zurück, sondern setzte lediglich Prioritäten. Irgendwann erkennt ein Idealist in seiner Position, dass man nicht alles ändern konnte und schon gar nicht auf einen Schlag.

Nun, wo Gerald den König besser kennen gelernt hatte als er es je für möglich gehalten hätte, glaubte er sogar, dass Laariel seinen Rat so manipuliert hatte, dass sie stets getan hatten, was er wollte ohne es zu merken. Sie glaubten ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und die Krone dabei zu unterwandern, aber in Wirklichkeit dienten sie als Marionetten. Denn seit der neuen Herrschaft ging es nicht nur Lichtstein, sondern ganz Lichtheim wesentlich besser. Das bedeutete, dass sich etwas geändert hatte in der Struktur und die einzige Komponente, die sich seit der Herrschaft des Rates geändert hatte, war der König.

Und genau deshalb muss ich es nun wissen., dachte Gerald ernst und verzog das Gesicht, Genau deshalb muss ich mich nun Cynthra stellen und herausfinden, ob ich richtig liege.

 

Als der Feurer das Gebäude betrat, sah er sie sofort. Es gab keine Verwechslungsmöglichkeiten... Ihr braunes Haar war wild und teilweise etwas verklebt und ihre gebräunte Haut schmutzig und rissig. Sie war trotzdem eine sehr schöne, junge Frau. Die zerrissene Kleidung sprach für das harte Leben auf der Straße. Auch wenn Gerald selbst kein leichtes Leben gehabt hatte, konnte er sich nicht vorstellen, wie es war, heimatlos auf den Straßen Lichtsteins zu verrotten. Ein Zuhause hatte er immer gehabt... Doch vermutlich sähe er Dank seiner Ausbildung nun besser aus als sie es tat.

„Ich will nur reden.“, sagte er beruhigend und hob seine Hände, damit sie sah, dass er keine Waffen in den Händen hielt.

Cynthra wirkte nicht begeistert als sie einen schlecht hergestellten Bogen zog und einen Pfeil darauf spannte: „Ich aber nicht.“

„Das kann nicht Euer ernst sein!“, empörte sich der Dunkelhaarige, „Ich will Euch wirklich nichts tun, Lady Cynthra! Feuer und Asche! Ich will nur reden!“

Entweder glaubte sie ihm nicht oder das Leben auf der Straße war einfach zu lange und zu hart gewesen. Was es auch immer war, es sorgte dafür, dass sie zu keinen Verhandlungen bereit war.

Sie schoss und Gerald musste zur Seite springen, doch er spürte dennoch, wie knapp der Pfeil an ihm vorbeirauschte. Als er sich abrollte, zog er seine beiden Sicheln und schlug den nächsten Pfeil beiseite. Der Feurer musste sich eingestehen, dass sie wirklich sehr gut schießen konnte und gleichzeitig fragte er sich, wo und wann sie das gelernt hatte. Schöpfer waren sonst der Kriegskunst abgeneigt und die Krone gestattete es ihnen eh nicht, den Waffenumgang zu lernen. Ihre Magie war schon machtvoll und gefährlich genug ohne dass man ihnen noch mehr Möglichkeiten in die Hände gab. Also hatte sie es entweder heimlich gelernt oder auf der Straße.

Doch eigentlich war Gerald das egal, denn sie spannte schon den nächsten Pfeil auf: „Ich will wirklich nur reden!“

Das blieb offenbar egal. Die Schöpferin zielte nicht großartig, sondern schoss und das erschreckend zielgenau. Wäre er nicht zur Seite gehechtet, dann wäre es dieses Mal ein Treffer gewesen.

Sie ist vollkommen versteift und unansprechbar., dachte er knurrend, Offenbar habe ich keine Wahl. Sie lässt mir ja keine Optionen!

Ärgerlich, da er wirklich vorgehabt hatte mit ihr zu sprechen. Der Feurer lief los und stürmte auf sie zu. Cynthra kreischte auf und warf den Bogen beiseite, um stattdessen zwei Dolche zu zücken. Nun war er sich sicher, dass sie das auf der Straße gelernt hatte. Im letzten Moment hob sie die Klingen und blockierte seine Sichel. Als er mit der anderen zuschlagen wollte riss sie einen Dolch beiseite und schlug die Waffe weg. Gerald schnaubte auf und ließ seine Klinge fallen, um stattdessen nach dem Handgelenk der Schöpferin zu greifen. Er riss sie herum, aber sie ließ die Dolche nicht fallen als seien ihre Hände daran festgeklebt. In ihren Augen brannte Leidenschaft.

Er musste zugeben, dass sie einen wirklich starken Überlebenswillen hatte, also musste der Feurer sie schließlich doch wegstoßen. Die Langhaarige stolperte und fiel rücklings zu Boden. Endlich verlor sie ihre Waffen! Gerald machte einen Hechtsprung voran und wollte seine Sichel niedersausen lassen, aber Cynthra bekam rechtzeitig ihren Dolch gegriffen und lenkte die Attacke gerade so noch ab. Dadurch vertiefte er sich in dem alten Holzboden. Er ruckte, bekam die Waffe aber nicht heraus.

Das ist doch absolut lächerlich!, fluchte er gedanklich.

Dann spürte er einen stechenden, brennenden Schmerz in seiner Seite und musste einfach aufkeuchen. Als er den Ursprung suchte, sah er, dass die Schöpferin ihren Dolch dort reingerammt hatte und mit aller Kraft versuchte, die Klinge noch tiefer zu bohren. Gerald packte ihre Hand, drehte das Gelenk um, sodass sie loslassen musste und sprang dann von ihr. Instinktiv griff er zu der Verletzung und schnitt sich dabei in den Zwischenraum von Daumen und Zeigefinger. Das erinnerte ihn daran, dass sie noch im Kampf waren und diese Frau bereit war alles zu tun, um als Siegerin hervorzugehen. Cynthra bewaffnete sich also wieder mit dem einen Dolch als sie auf die Füße kam, während er den aus seinen Körper riss und mit seiner blutigen Hand den Griff willensstark umfasste.

Cynthra holte ein paar Mal Luft, dann preschte sie voran mit einem Schrei auf den Lippen. Der Kampf laugte an ihr, wie an ihm, doch er war ein ausgebildeter Krieger, der mit dieser Belastung großgezogen wurde. Deshalb wusste er, dass er nur abwarten brauchte. Sie schlug nicht mehr sehr zielsicher zu, dafür wich er umso bewusster aus und ließ sie ihre Kraft sinnlos verschleudern.

Als Gerald eine günstige Lücke entdeckte, schlug er zu. Erst gegen ihre Klinge und das so heftig, dass sie sogar in ihrer Hand vibrierte. Die Schöpferin schrie auf und musste die Waffe fallen lassen. Nichts, was ihren Kampfesgeist schwächte, denn sie wollte sich auf ihn stürzen. Mit Bedauern duckte sich der Feurer und schlug dann erst zu, damit er ihre Kehle der Länge nach aufschlitzen konnte. Das Blut spritzte und erwischte den Feurer. Nicht das erste Mal und sicherlich nicht das letzte Mal.

Das war zu einfach..., dachte er als er sich über die Leiche beugte, die einfach zur Seite gekippt war, Das war viel zu einfach. Sie hat sich so lange gewunden! Ein Jahr der Jagd... Und Niemand war hier, um ihr zu helfen.

Mit ehrlichem Bedauern untersuchte er den leblosen Körper, der irgendwann aufhörte zu bluten. Ihr Herz schlug nicht mehr und alles, was Gerald in den letzten Monaten durchgemacht und was er erfahren hatte, erschien ihm plötzlich so sinnlos und albern. Er schloss die Augen dieser schönen Frau und dann erhob er sich mit festen Blick.

Seine Schritte waren sicher als er die brüchige Treppe hinaufhechtete, die unter ihm bedrohlich knarrte und sicherlich nicht mehr lange halten würde, ehe sie einstürzte. Nichts, was ihn interessierte. Unten hatte er keine Malsachen ausmachen können und auch sonst wirkte der Raum eher so als habe er ursprünglich nur als Durchgang gedient.

Entschieden riss der Feurer die baufällige Tür auf und da sah er sie...

 

Cynthra hatte sich das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit richtig gewaschen. Dabei hatte sie versucht, keine Körperstelle auszulassen und die Haare so gut, wie möglich von den Kletten zu befreien. Als sie das alles hinter sich gebracht hatte, nahm die Schöpferin ein Messer und schnitt die lange Mähne ab und kürzte sich ebenso den Pony. Kein besonders sauberer Schnitt, doch das spielte vorerst keine Rolle. Als sie sicher war, dass sie auch von den Haaren befreit war, schlüpfte sie in eine edle Robe, die recht schlicht gehalten war, aber von einem gewissen Wohlstand sprach. Es gab ein paar Bänder, die an den Ärmeln für Verzierung sorgten und einen Schmuckgürtel, der unterhalb ihres Busens für eine ansehnliche Form sorgte. Die eleganten Schuhe dazu waren unbequem, aber das war nicht ungewöhnlich in der gehobenen Gesellschaft.

All diese Dinge hatte Asran ihr besorgt. Duftwasser, Kleidung und mittelständische Schmuckstücke. Sogar ein bisschen Schminke! Das reichte aus, damit sie wie ein völlig anderer Mensch aussah.

Aber offenbar nicht genug..., dachte sie verbittert als sie sich zur Tür drehte und Gerald darin sah.

Dies war ihre erste, richtige Begegnung. Ein paar Mal hatte die Schöpferin ihn aus der Ferne beobachtet, doch vom nahen musste sie zugeben, dass er ein gutaussehender, junger Mann war. Wahrscheinlich hätte er mehr aus sich machen können, wenn man ihn gelassen hätte, denn seine Augen waren klug und listig. Eine tiefe Wunde klaffte an seiner Seite und sorgte dafür, dass das Blut sich in Leder und Lein sog. Teilweise tropfte es auch auf den alten, morschen Holzboden. Dennoch blieb er aufrecht und er schien nicht mal wirklich blass zu werden.

Sein Blick huschte von ihr auf das Gemälde, das quer hinter ihr Stand. Ihr Meisterwerk! Ein Selbstbildnis, das so detailliert und aufwändig war, dass es beinahe lachhaft war, nun eine so veränderte Frau daneben zu sehen. Sie war dieses Straßenkind nicht mehr, das man auf diesem Gemälde sah, aber vielleicht hatte sie sich geirrt. Dieser Feurer war nicht so dumm, wie sie gedacht und gehofft hatte. Obwohl das an sich auch nicht stimmte. Eigentlich hatte sie gehofft, dass er so klug war, damit er der Spur folgte.

„Also ist es wahr...“, murmelte Gerald.

„Ja, ist es.“

„Du hast eine Schöpfung erschaffen, die nicht mal ein Feurer als solche erkennen kann...“

„Ja.“, antwortete Cynthra als sei es nichts Besonderes.

„Das heißt, dass er... Er ist...“

„Ja, ist er.“

„Aber ich habe ihn angefasst!“, empörte sich der Dunkelhaarige, „Ich habe auch deine Schöpfung eben berührt! Sie haben nicht gebrannt... Sie haben nicht gebrannt!“

Dass er bei dieser Erkenntnis etwas hysterisch wurde, das wunderte die Schöpferin nicht. Gerade wurde seine ganze Welt auf den Kopf gestellt und alles, woran er jemals geglaubt hatte, stellte sich als eine Lüge heraus. Alles, was man ihm erzählt hatte, war nun bedeutungslos, denn sie hatte das Unmögliche einfach möglich gemacht. Damit wurden alle geltenden Gesetze außer Kraft gesetzt.

„Wenn ein Gemälde so detailliert und lebensecht ist, dann wird die Schöpfung daraus auch leben.“, begann Cynthra mit ruhiger Stimme, „Es bedarf dafür vieler teurer Zutaten und... Blut. Natürlich muss man auch entsprechend viel magisches Potenzial haben, sonst hätte das ja schon jeder Schöpfer hinbekommen. Doch wenn alles stimmt, dann erschafft man eine Schöpfung, die keine Schöpfung mehr ist. Diese Schöpfungen bluten, fühlen, entwickeln sich... Sie wachsen. Man muss ihnen nichts mehr beibringen, denn sie sind bereits Menschen und unterscheiden sich nicht im Geringsten von den anderen.“

„Aber... Ich habe das Gemälde verbrannt! Es geschah nichts!“

„Ein Mensch braucht kein Gemälde, um zu sein.“

Der Feurer musste mehrmals durchatmen, damit er nicht noch einfach umkippte. Er hechelte und sah wirklich nicht gesund aus, aber er schien allmählich zu verstehen, wenn auch jede Faser in seinem Körper sich genau gegen das sträubte. Gerald wollte es nicht verstehen! Doch es ging manchmal nicht darum, was wir wollen...

„Er wurde nie geboren...“, murmelte er und ließ sich langsam auf den Boden plumpsen, „Das ist nicht natürlich.“

„Warum?“

„Weil Menschen geboren werden! Sie wachsen als Babys auf zu Erwachsenen!“

„Wo steht das geschrieben?“

Gerald schnappte nach Luft und er wollte ihr wirklich gerne eine gepfefferte Antwort auf diese Frage geben, aber ihm fiel keine ein. Dafür war er viel zu verwirrt.

Cynthra wirkte dagegen vollkommen gelassen als sie fortfuhr: „Kennt Ihr die Entstehungsgeschichten, die strenge Gläubiger von Valira verfolgen?“

„Nein...“

„Laut dieser entstanden die ersten Menschen Gemälden. Ein Schöpfer war alleine auf der Welt und fühlte sich einsam, deshalb forschte er... Er suchte eine Methode, Gleichgesinnte zu schaffen.“, erklärte die Dunkelhaarige und betrachtete ihr Selbstportrait, „Er malte und probierte herum. Jede Schöpfung hielt nur für ein paar Stunden oder wenige Jahre. Aus seinem eigenen Blut schuf er dann endlich selbstständige und langlebige Schöpfungen, die waren, wie er.“

„Das könnt Ihr doch nicht glauben!“

„Bis vor einigen Jahren habe ich nicht daran geglaubt... Dann erschuf ich das erste Wesen, das kein Gemälde mehr brauchte. Aus meinem eigenen Blut.“

Da musste er dann doch schwer schlucken. Das bedeutete, dass dieser Mythos beim Wort genommen werden musste, damit eine Schöpfung wie ein echter Mensch wurde. Ihr eigenes Blut... Der Feurer hob seinen Blick nochmals ganz genau auf das Bild und nun meinte er es erkennen zu können. Nicht nur Plättchen und Staub von Metallen, sondern auch Spuren von Blut und vielleicht auch anderen organischen Beilagen.

Etwas gedankenverloren strich er über die raue Oberfläche, die nur an manchen Stellen glatt war, doch überall anschmiegsam. Dieses Gemälde würde sie vielleicht alle überleben und er hatte das, was daraus geschaffen wurden war, eben erst getötet. Eine perfekte Kopie dieser Frau!

„Die Formel ist sehr wichtig...“, erklärte die Schöpferin, „Es muss alles genau stimmen, sonst stirbt die Schöpfung genauso, wie alle anderen es auch tun. Etwas zu viel oder zu wenig einer Zutat in nur einer Farbe ruiniert das ganze Endprodukt. Zu wenig der Magie des Schöpfens und es läuft auf das Gleiche hinaus... Nur sehr mächtige Schöpfer können tun, was ich vollbrachte und die müssen dazu konzentriert und motiviert sein.“

„Weiß er es...?“, fragte Gerald bleiern.

„Wer weiß was?“

Unwohlsein ergriff seinen Magen als er sich von dem Bildnis löste und zu der Kurzhaarigen sah: „Weiß Laariel, dass er eine Schöpfung war, ist und immer sein wird? Dass sein Vater nie sein Vater war?“

„Nein.“

„Weiß es überhaupt irgendwer?“

„Ja.“

„Wer weiß es?“

Cynthra räusperte sich etwas und raffte dann ihre Schultern etwas straffer: „Johannes weiß es. Er hat mich damals erwischt als ich an dem neuen König gearbeitet hatte und er verstand sehr schnell, worum es ging.“

Das überrascht mich nicht. Deshalb will er uns auch loswerden... Eine Schöpfung auf dem Thron ist für ihn nicht vorstellbar., überlegte Gerald ernst, Und damit Niemand erfährt, dass das möglich ist, muss auch Cynthra sterben, die das als einzige umsetzen kann.

Es wurde still in dem Raum. Alle Fragen waren auf einen Schlag beantwortet wurden und das auf Kosten von Jemanden, der solch ein guter Mensch und König war. Vielleicht der beste, der jemals gelebt hatte! Es wäre sogar möglich, dass er sich noch mehr steigerte, wenn man ihm nur die Chance dazu ließe. Doch das änderte nicht, dass alles eine große Lüge war und nichts so war, wie es schien.

„Er wollte, dass ich es beende.“

„Was?“, fragte der Feurer erstaunt und blickte zu ihr auf, „Er wollte, dass du Laariel erschaffst?“

„Ja.“

„Aber... Wieso?“

„Das Königreich hatte sich gespalten, nachdem der König verstorben und der Rat die Macht an sich gerissen hatte. Es gab nur noch Unmut und Unzufriedenheit und alles zerfiel so rasend schnell, dass man darin zu ertrinken drohte...“, berichtete Cynthra, „Als ich beschloss, einen vermeidlichen Sohn zu schaffen, stand ich noch alleine da. Ich wollte das Reich so retten. Das hatte Johannes durchaus verstanden... Er besorgte mir etwas von dem Blut des früheren Königs und auch alle anderen Zutaten, die notwendig waren. Wir beratschlagten uns, wie die Vergangenheit und der Charakter von Laariel sein sollte. Nach und nach formte sich ein König, der seines Volkes würdig war...“ Auch wenn sie es gewollt hätte, konnte sie nicht anders als herzlich zu lächeln. Es wirkte warm und berührt, wie das Lächeln einer jungen Mutter, die über ihr Baby sprach. Das war Laariel wohl auch für sie... Dann fuhr die Dunkelhaarige fort: „Wir schmiedeten einen Plan: Ich schuf den neuen König und er würde ihn bei allem unterstützen, ihn beschützen und das Geheimnis versuchen zu bewahren. Dafür musste ich die vermeidliche Attentäterin sein, fliehen und selber sehen, wie ich klar komme. Er würde die Schuld auf mich lenken und damit auch die Aufmerksamkeit aller, damit Niemandem auffiel, was los war. Dabei erfand Johannes auch Geschichten, wie er bei Laariels Erziehung geholfen habe und gab ihm nach und nach ein Leben. So war ich zwar der Sündenbock, doch es gab genug Zeit, um den neuen König einzubinden.“

„Wieso versucht er uns dann umzubringen?!“

„Ich bezweifle, dass euch Johannes an den Fersen hängt. Eher hat er euch sogar versucht zu beschützen und zu warnen, aber ihr wart Beide vom Offensichtlichen verblendet.“

„Das Offensichtliche?“

„Dass er ein Geheimnis hat...“, antwortete Cynthra.

Sie hatte recht! Er hatte gespürt, dass da irgendwas war und dass er ihn von irgendwas ablenken wollte. Johannes hatte gewusst, was Gerald in den Aufzeichnungen finden könnte und er hatte ihn davon abbringen wollen, damit er nicht alles zerstörte. Der Argwohn hatte nicht ihm gegolten und auch nicht Laariel, sondern der Behütung dieses Geheimnisses. Deshalb war er auch so entsetzt gewesen, weil das Gemälde von Laariel verbrannt wurden war... Er war sich sicher gewesen, dass der geschaffene König dennoch mit diesem untergehen würde, doch das war nicht geschehen.

Deshalb hat er Laariel nicht das Bild weggenommen..., überlegte der Feurer, Er wusste, dass es bei ihm am sichersten sein würde. Wer wäre dumm genug, dem König ein Gemälde zu stehlen?

Am Ende war die Sorge um das Gemälde zwecklos gewesen, denn ein Mensch brauchte keines, um zu sein. Offenbar musste er nicht mal geboren werden... Laariel war ein Mensch, wie er einer war und er entwickelte sich genauso weiter. Sein Haar wuchs, er wurde mit den Jahren reifer und erwachsener. Irgendwann würde er alt sein... Vermutlich konnte der König sogar Kinder zeugen, wie alle anderen! So lange es ihm keiner sagte, würde er wohl niemals wissen als was er eins geboren wurden war und wozu. Wahrscheinlich war es so auch das Beste für alle.

Doch das warf dennoch neue Fragen auf. Gerald blickte erneut zu der Schöpferin als wüsste sie alles: „Wer will uns dann ans Leder?“

„Es muss Jemand sein, der viel Einfluss und Macht hat.“, erwiderte die Kurzhaarige gefasst, „Wahrscheinlich ein Ratsmitglied. Sie haben vor Jahren immerhin Blut geleckt und sie sind alle machtbesessene Idioten, die alles geben würden, damit sie wieder herrschen dürfen. Auch wenn sie damit Lichtheim stürzen...“

„Kennt Ihr den Rat? Habt Ihr eine Vermutung?“

„Bis auf mit Johannes hatte ich mit Niemanden von ihnen wirklich zu tun. Ich kann Euch nicht sagen, wer die Streu in diesem Weizen ist.“

„Und es weiß wirklich Niemand, außer uns und Johannes, was Laariel ist?“

„Ein Mensch? Doch, das wissen alle.“, antwortete Cynthra sarkastisch und verzog das Gesicht, „Aber wie er geboren wurde, weiß sonst keiner. Darum wird es nicht gehen, denn die Ratsmitglieder sind zu dumm, um das zu begreifen und ebenfalls, um meine Aufzeichnungen zu studieren. Selbst wenn sie es täten, würden sie nicht begreifen, was ich vor Fortschritte gemacht habe!“

„Vermutlich nicht...“

Egal, wie man es drehte und wendete, sie hatten einfach den Falschen gejagt. Johannes hatte weder die Soldaten noch die Verfolger geschickt, sondern eher noch versucht, das Schlimmste zu verhindern. Die ganze Zeit hatten sie seinen Argwohn falsch gedeutet und nun würden sie die Rechnung dafür wohl bezahlen müssen...

Wahrscheinlich war der König seinem Häscher sogar näher gewesen als er es je bedacht hatte! Immerhin schien er nicht wirklich an Johannes’ Verrat geglaubt zu haben, aber er musste nun in Betracht ziehen, dass es dennoch ein Ratsmitglied war, die fast jeden Tag mit ihm verbrachten. Einer von ihnen wünschte ihm den Tod und vermutlich hatte Cynthra recht und das hatte nichts mit dem zu tun, wie er eins geschaffen wurden war. Johannes hatte ihn von der Fährte abbringen wollen, um Laariel zu schützen, aber wer hatte ihn noch abbringen wollen? Wer hatte ihn besucht und ihn dabei als Gefahr empfunden? Irgendwer musste der festen Überzeugung gewesen sein, dass er dem König helfen würde, wenn er erfuhr, dass dieser bedroht wurde und hatte ihn deshalb vorher aus dem Weg haben wollen.

Egal, wie angestrengt Gerald überlegte, er wusste nicht, wer das gewesen war. Jeder aus dem Rat hatte in besucht! Wenn nicht persönlich, dann hatten sie einen Boten geschickt, der ihn ausgefragt hatte. Sie waren interessiert daran gewesen, wie weit er wegen Cynthra war und wann er entschied, sie endlich zu beseitigen. Das war nicht ungewöhnlich.

Vielleicht sollte ich nach dem Ungewöhnlichen forschen und nicht darüber nachdenken, wie normal sie sich verhielten..., dachte der Feurer, Wer hat Fragen gestellt, die ungewöhnlich sind? Eventuell versteckt und verborgen... Unterschwellig.

Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen! Innerlich verfluchte er sich für diesen Gedanken und er wollte sich einreden, dass das nicht möglich sei und es nur noch mehr Fragen aufwerfen würde. Er musste dieser Geschichte nachgehen! Er war der Krone loyal ergeben und ihm war dabei egal, ob die Krone vorher einem Gemälde entsprungen war oder ob sie aus einer Frau kam. Laariel war ein guter König, trotz seiner Macken. Wahrscheinlich machte genau das ihn dazu. Gerald mochte ihn aber nicht nur als seinen Herrscher, sondern auch als Menschen, deshalb würde er ihm bis zum Ende treu bleiben. Egal, was das bedeutete...

„Was werdet Ihr nun tun?“, fragte er die junge Schöpferin, „Ich scheine Euren Plan ruiniert zu haben und habe Euer Geheimnis gelüftet.“

„Nicht ganz.“

„Wie meint Ihr das?“

„Ihr könnt die Leiche immer noch mitnehmen und diese abliefern.“, sagte Cynthra und lächelte, „Ich würde als tot gelten und könnte ein neues Leben fernab von Lichtheim führen. Das vermeidliche Attentat wäre weiterhin geschehen, Laariel immer noch der Sohn von König Lawren, der seinen Sohn so sehr geliebt hatte, dass er ihn verborgen vor aller Augen aufziehen ließ. Der sich nur für ihn etwas mehr zurückzog und dabei dann immer kranker und labiler wurde...“

„Wie... starb er wirklich...?“, fragte Gerald langsam, „Wie starb der König tatsächlich?“

„Er war sehr krank und irgendwann gewann die Krankheit und er starb. Nur der Rat und die engsten Angehörigen haben es gewusst.“

„Wieso habt Ihr es gewusst?“

Es war fast so als habe er das erste Mal etwas kluges gefragt seit sie sprachen. Zumindest deutete der Feurer das mysteriöse Lächeln der Dunkelhaarigen so. Sie war eine wirklich schöne Frau, wenn sie auch durch die dunkle Haut, die ebenfalls dunklen Haare und Augen auch sehr ungewöhnlich war für einen Lichtheimer. Eigentlich konnte sie auch gut eine Kha’zak sein!

Feuer und Asche!, fluchte der Feurer gedanklich und starrte sie nochmals genauer an. Er hatte unrecht: Sie konnte zwar gut eine Kha’zak sein, wenn es um den Teint ging, doch diese weichen, abgerundeten Gesichtszüge, die Form ihrer Augen und der Schwung ihrer Lippen... Die Art und Weise, wie sich sanfte Fältchen bildeten, wenn sie lächelte und wie erhaben sie wirkte. Selbst jetzt noch, wo ihr Haar unsauber geschnitten war und sie zum Aufbruch bereit war.

„Du bist... seine Tochter...?“, fragte er atemlos, „Du bist die Tochter von König Lawren?“

„Eine uneheliche, aber ja.“

„Weil du ein uneheliches Kind bist, stand dir der Thron ohnehin nicht zu, also bist du in den Dienst der Schöpfung getreten als du dieses Talent entdecktest und dadurch konntet ihr einander nah sein...“, murmelte Gerald, „Ohne dass die Gesellschaft es wusste, konntet ihr Vater und Tochter sein. Der Ehebruch kam nie heraus und du hattest alle Mittel, um zu erreichen, was du nun kannst.“

„So sieht es aus.“

„Du bist sozusagen Laariels Halbschwester...“

„Na ja, vielleicht nicht ganz, aber so etwas in der Art wohl schon.“

Der Feurer räusperte sich etwas und raffte sich, damit er endlich angemessen vor der Schöpferin stand. Auch wenn ihr Titel ihr nicht offiziell zustand, so war sie dennoch eine Prinzessin und Hochwohlgeboren. Er aber war ein kleiner Feurer, der ihrer nicht würdig war! Er mochte mit dem König recht ruppig umgesprungen sein, doch es war etwas anderes, wenn man mit einer Dame verkehrte. Auch wenn diese sofort lachte als sie die Veränderung seiner Haltung bemerkte. Spott, der ihn nicht verletzte.

Vielleicht hätte man Cynthra den Thron sogar überlassen, wenn sie sich zu erkennen gegeben hätte. Nach der schlechten Herrschaft des Rates, wären die Leute froh gewesen, wenn es ein anderer versuchte. Unabhängig davon, ob er oder sie ein Bastard war oder ein offizielles Kind. Aber statt sich die Macht zu nehmen, hatte sie sich einen Halbbruder erschaffen, der an ihrer Stelle diesen Platz einnahm. Das ganze Erbe, die Macht und die Verantwortung war an Laariel übergegangen, während sie als Mörderin an ihrem eigenen Vater in die Verdammnis verbannt wurden war. Ein Schicksal, das ihm irgendwie nicht gerecht vorkam, auch wenn er verstand, wieso sie das auf sich genommen hatte.

„Also hast du das Vermächtnis deiner Familie bewahrt.“

„Letztendlich habe ich das wohl.“, gestand Cynthra.

„Wer war deine Mutter?“

„Du weißt vielleicht nicht, wer sie war, aber du kannst dir offenbar denken, was sie war.“

Gerald nickte: „Eine Kha’zak...“

„Ja, eine Kha’zak.“, stimmte die Schöpferin zu, „Eine schöne Kha’zak, die ungewöhnlich weiche Züge für eine eures Volkes hatte. Schön, klug und witzig... Er hatte sich mit einem Schlag verliebt. Ihre Affäre ging recht lange, doch als ich dieser dann entsprang, mussten sie eine Entscheidung treffen.“

„Sie entschieden sich gegen das, was sie wollten und für das, was das Beste war?“

„Genau.“

„Was wurde aus Eurer Mutter?“

„Sie starb einige Jahre, nachdem sich König Lawren abgewandt hatte und nach ihrem Tod wurde ich dann als Schöpferin ausgebildet.“, erklärte sie melancholisch, „Man erkannte schnell, dass ich ein unheimliches Talent besaß und besser war als alle anderen Schöpfer. Auch wenn man meine Herkunft mit Skepsis besah... Einen halben Kha’zak hatte es niemals als Schöpfer gegeben und dann war ich auch noch so begabt. Durch meine Begabung konnten sie mich nicht wegschicken... Und weil mein Vater sich dagegen aussprach.“

„Wussten irgendwer, wer Ihr seid?“, fragte Gerald.

„Johannes hat es gewusst.“, erwiderte sie und musste lächeln, „Niemand hatte es ihm gesagt, doch irgendwie wusste er es einfach. Er bewahrte dieses Geheimnis für das Wohl aller und behandelte mich, wie ein Onkel es tun würde. Er half mir durch meine Ausbildung und sorgte dafür, dass ich meinen Vater möglichst oft sehen konnte. Natürlich heimlich und vor Neugierigen verborgen... Er besorgte mir Bücher und Notizen, damit ich meine Fähigkeiten auch trotz des Argwohns erweitern konnte. Irgendwann liebte ich ihn wirklich, wie einen Onkel.“

„Wusste es sonst noch Jemand?“

„Nein, Niemand.“

So war Cynthra zumindest weitgehend sicher. Zumindest hoffte der Feurer das... Die akute Gefahr stellte nun Laariel dar, aber wenn herauskam, dass König Lawren ein Bastardkind gezeugt hatte, das nach Laariel einen greifbaren Anspruch auf die Krone hätte, dann würde man sie bis an das Ende der Welt hetzen. Außer man konnte die Wurzel des Übels herausreißen und ein für alle Mal festlegen, dass es der Königsfamilie gebührte, zu herrschen und der Rat zur Unterstützung diente.

Aber dafür musste er zurück in das Schloss... Und Laariel musste ihn begleiten. Ihnen würde Beiden nicht gefallen, was sie finden würden, das war Gerald klar, aber so war die Wahrheit einfach gestrickt: notwendig, doch meistens schwer zu verkraften.

Was ihn anbelangte, würde er Laariel nicht über seine Herkunft aufklären und ihm auch nichts von der indirekten Verwandtschaft zu der Schöpferin erzählen. In solche Angelegenheiten mischte man sich nicht ein, außer man wollte Ärger riskieren und das wollte er gewiss nicht. Auch Johannes’ Rolle würde er nicht detaillieren, dafür aber beteuern, dass er mit der Sache nichts zu tun hatte und als Verdächtiger aus dem Raster fiel. Mehr musste der König nicht wissen.

„Ich werde Eure Leiche mitnehmen und ich werde allen berichten, dass Ihr tot seid.“, schwor der Feurer ihr loyal, „Niemand wird nach Euch suchen und ich werde auch Niemandem berichten, was Ihr getan habt oder wer Ihr seid. Ihr habt mein Wort... Auch das Attentat lasse ich unaufgeklärt. Es wird bleiben, wie bisher... Nur, dass Ihr frei seid und ein neues Leben beginnen könnt. Vielleicht mit einer kleinen Farm, weit weg von Lichtstein und mit Kindern und einem Ehemann. Die Belange der Krone werden nicht mehr Eure sein. Es wird sein als wäret Ihr niemals an diesem Ort geboren wurden und hättet all das niemals ertragen müssen.“

„Für einen Feurer seid Ihr erstaunlich poetisch...“, sagte die Frau mit einem Lächeln, „Aber ich danke Euch dennoch. Ihr rettet mir nicht nur mein Leben, sondern ermöglicht mir ein neues ohne mein altes zu vernichten oder nutzlos zu machen.“

„Seid vorsichtig, egal, wohin es Euch am Ende treibt und was Ihr auch sein werdet. Diese Welt ist gefährlich, besonders für Frauen...“

„Ich werde auf mich Acht geben, versprochen.“

Es war alles gesagt und alle Fragen beantwortet, die von Bedeutung waren. Deshalb nahm sich Cynthra nun auch das Portrait von sich entgegen und entzündete es nach wenigen Augenblicken mit etwas Öl im Kamin. Es zischte und qualmte und dann war der Beweis zerstört, dass diese Leiche nur eine Kopie des Originals war. Es würde keine Bilder von dieser Frau mehr existieren und irgendwann wäre es so als habe sie niemals gelebt. Nur die Geschichtsbücher werden von dieser grausamen Attentäterin berichten, die ihren geliebten König umbrachte und dann floh. Vielleicht würde man auch von einem Feurer berichten, der sie dann ihrer gerechten Strafe zugeführt hatte... Aber am Ende würde man nur Cynthras Namen kennen und nicht seinen. Nichts, was Gerald jemals gestört hatte...

Es waren meistens die Feurer gewesen, die Könige zum Fall brachten und man erwähnte sie niemals lobend dafür. Das war so selbstverständlich, wie das Atmen! Sie dienten dem Reich, wie es die Soldaten taten und die kämpften ebenso selbstverständlich, wie die Feurer. Man musste sie nicht großartig ehren, nur, weil sie ihren Job taten. Er wusste, was er getan hatte und welchem Verbrechen er sich schuldig machte, doch es war ihm egal. Es war das Richtige! Sollten die Geschichtsbücher es doch anders schreiben, denn die Wahrheit wurde eben von denen geschrieben, die die Macht hatten. Auch dann, wenn sie die Wahrheit nicht kannten und niemals kennen würden...

 

Laariel war sich irgendwann sicher gewesen, dass der Feurer nicht wiederkehren würde. Er hatte sogar alles schon so weit gepackt, damit er zu dem nächsten Versteck aufbrechen konnte und sich dabei eingeredet, dass alles gut werden würde. Als der König von draußen schwere Schritte hörte, da war er sich sicher gewesen, dass seine Häscher ihn gefunden und er zu lange gewartet hatte! Dann sprang die Tür auf... Sofort zog er seine Sense und wappnete sich für einen schrecklichen Angriff.

Die Schritte von Gerald waren deshalb so schwer und laut gewesen, weil er den Leib einer dunkelhaarigen Frau mit sich trug. Ihren Verletzungen zu urteilen, war sie tot. Die eins so gebräunte Haut war nun blass. Ohne einen genauen Blick auf das Gesicht zu werfen, wusste er, wer sie war. Er hatte sie niemals kennen gelernt, aber irgendwie bedauerte der König dennoch, dass sie es nicht geschafft hatte. Es war ihm so als habe man ihm dadurch einen Teil entrissen... Natürlich war das lächerlich, aber es fühlte sich einfach so an! Das Gefühl verstärkte sich sogar als der Feurer sie ablegte und er ihr blasses, lebloses Gesicht sehen konnte, das immer noch erstaunlich schön war. Es wirkte ein bisschen so als würde sie gleich aus einem langen Schlaf erwachen und hier herumlaufen...

Das arme Ding..., dachte Laariel bedauernd, Sie war noch so jung. Sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich... Und irgendwie glaube ich nicht, dass sie meinen Vater wirklich getötet hat.

Der König hatte sogar von einigen Dienern erfahren, dass Cynthra recht viel Zeit mit diesem verbracht hatte. Einige hatten über eine Affäre zwischen ihnen getuschelt und behauptet, dass der Ehe des Königspaar deshalb niemals ein Kind entsprungen war. Seine Mutter war vor einigen Jahren gestorben - noch bevor er gekrönt wurden war - und hatte wohl niemals etwas gegen diese Gerüchte unternommen. Sie hatte es wohl für sicherer gehalten als wenn man erfuhr, dass er tatsächlich existierte.

Wenn diese junge Schöpferin aber nie seine Affäre gewesen war, dann fragte sich Laariel, wie sie dann zu seinem Vater gestanden hatte. Wieso hatte er ihr so viel seiner kostbaren Zeit geopfert? Hatte ihn das am Ende sein Leben gekostet?

Diese dunklen Gedanken schüttelte er rasch ab und nährte sich stattdessen dem Feurer. Dieser wies einige Verletzungen auf, die nicht alle ganz ungefährlich waren. Besonders dann, wenn sich eine davon entzünden sollte. Deshalb holte er sich ein paar saubere Verbände, die er auf dem Markt erstanden hatte und zog an dem Leder des überraschten Geralds. Dennoch ließ er es zu, damit der Hellhaarige die Wunden versorgen konnte. Sicherlich nicht so gut, wie es ein gelernter Medikus gekonnt hätte, aber Laariel hatte während seiner Kampfausbildung dennoch Wundversorgung gelernt. So konnte man auf dem Schlachtfeld, verbündete Verletzte versorgen und sich einen Sieg sichern.

Zumindest hatte der Krieger Glück, dass keine Muskeln durchtrennt waren und die Wunden auch sonst nicht tief genug gingen, damit man um die Knochen besorgt sein müsste. So lange sich das Ganze nicht infizierte, würde es keine weiteren Komplikationen geben. Höchstens ein paar kleine Narben. Von denen hatte Gerald immerhin mehr als genug und viele davon sprachen von lebensbedrohlichen Verletzungen, die man nur notgedrungen versorgt hatte. Nicht alle waren wohl seinem Beruf, dafür aber seiner Ausbildung zu verdanken. Das vermutete der König jedenfalls, der von der harten Ausbildung des Kha’zak-Stammes gehört hatte. Dagegen waren alle Soldaten der königlichen Armee richtige Weicheier! Von ihm selbst ganz zu schweigen... Wieso man das seinen Kindern antat, verstand Laariel sowieso nicht.

„Gab es keinen anderen Ausweg...?“, fragte der Hellhaarige, um das Eis endlich zu brechen.

„Leider nicht...“, erwiderte Gerald erschöpft, „Sie wollte sich einfach nicht selbst stellen. Ließ gar nicht mit sich reden und wehrte sich auf schmerzhafte Art und Weise.“

„Konntest du ihr denn einige Informationen entlocken?“

„Nicht besonders viele...“, log er ohne zu fackeln, „Aber ich bin mir nun hundertprozentig sicher, dass Johannes nichts mit den Anschlägen zu tun hat und weder Euch noch mir den Tod wünscht.“

Der Herrscher wirkte richtig erleichtert als er das hörte und seine Schultern erschlafften entspannt, während er laut ausatmete. Das war offenbar die beste Botschaft der letzten Wochen! Aber immerhin hatte er auch viel Zeit mit dem Ratsmitglied verbracht, das seine Identität auf diese Weise geschützt und ebenso den Verstand Laariels bewahrt hatte. Er würde es niemals ertragen, wenn er erfuhr, dass er eins einfach geschaffen wurden war.

König Laariel, der Sanftmütige..., dachte Gerald mit einem schiefen Grinsen.

„Und sie hat das Attentat gestanden.“, ergänzte er dann noch, „Sie sagte, dass sie das Getuschel um ihre vermeidliche Affäre mit dem König nicht mehr ertragen hat und ebenso seinen schlechten Zustand. Also beseitigte sie beides mit einem Schlag. Niemals hatte sie erwartet, dass man sie erwischen und verfolgen würde... Da es ja einen Erben gab, war sie sich ihrer Sache ziemlich sicher.“

Das wiederum stimmte den König unmutig, der seine Schultern wieder raffte: „Ich... verstehe. Das ist wirklich bedauerlich.“

„Um sie oder um Euren Vater?“

„Um sie beide.“

Darüber musste Gerald lächeln. In Laariel hatte er sich zumindest nicht getäuscht! Er war ein guter, mitfühlender und weitsichtiger Mann, der die Krone mehr verdiente als jeder Andere. Wenn man ihm nur die Chance lassen würde, seine Ideale und Ideen etwas mehr durchzusetzen! Doch das konnte man erst in Angriff nehmen, wenn sie sicher waren und alle Missstände aus der Welt geschaffen waren. Dann konnte der König endlich die Position einnehmen, die seinen Fähigkeiten würdig war und die dem Volk endlich eine gewisse Stabilität versprach.

Wenn sie etwas Glück hatten, dann würde man auch endlich von Cynthras angeblichen Attentat ablassen und die damalige Schreckensherrschaft des Rates würde auch in Vergessenheit geraten. Ein Neuanfang, damit Laariel mehr Mut und Kraft fassen konnte ohne negative Beeinflussung. Es musste ja nicht bleiben, wie es immer war. Vielleicht hatten sie alle den gleichen Ursprung und selben Schöpfer... Es konnte sein, dass es keine Rolle spielte, ob man geboren oder gemalt wurde, so lange man sich einfach entwickelte.

Zumindest wollte Gerald daran glauben und sich an diesem Gedanken festhalten. Es gab ihm Hoffnung für die Zukunft und Hoffnung für Lichtheim.

„Unabhängig davon, müssen wir zum Schloss zurück.“

„Was?“, fragte der König fassungslos, „Aber da will Jemand meinen Tod! Wir würden vielleicht direkt in eine Falle laufen.“

„Das könnte sein.“, gestand der Feurer und nickte, „Aber wir können uns nicht ewig verkriechen. Irgendwann müssen wir handeln, damit wir in Erfahrung bringen können, wer Euch ans Leder möchte und wieso. Diese Sache wird sich nicht einfach von selbst erledigen, Majestät.“

„Ja, ich weiß...“

„Dann ist Schluss mit Gezeter und Bangen!“, warf Gerald motivierter denn je ein, „Es wird Zeit, dass wir uns um das Problem kümmern, damit Ihr wieder Euren Posten als König antreten könnt.“

„Und... wenn es besser wäre, wenn nicht ich herrsche?“, fragte Laariel unsicher, „Wenn es besser wäre, wenn der Rat es an meiner Stelle täte? Ich habe doch seit den letzten Jahren eh kaum noch etwas beigetragen... Und wenn, dann hat man mich meistens nicht besonders ernst genommen.“

„Dann wird es Zeit, dass Ihr Euch Eier wachsen lasst!“

Sofort wurde der König rot um die Nase und wirkte vollkommen verlegen. Die Ehrlichkeit des Feurers schien ihm immer noch nicht so recht zu bekommen und das war ihm auch nur recht. Wenn es ihm half, damit er endlich aus sich herauskam, statt sich in eine sichere Blase zu hüllen.

Er fürchtet sich, dass er so endet, wie sein Vater eins und das Volk sich langsam abwendet..., dachte Gerald mitleidig, Letztendlich ist es ja naheliegend, wenn König Lawren wirklich krank gewesen war. Vieles wird vererbt... Sie sind nur über machtvolle Pinselstriche verbunden, doch das weiß er nicht. Er wird es auch niemals erfahren, wenn alles gut geht.

Letztendlich konnte der Krieger es darauf schieben, dass sie wohl alle durch Pinselstriche der Macht geschaffen wurden waren. Vielleicht nicht direkt, sondern nur über ihre Vorfahren, aber es liefe auf das Gleiche hinaus. Es spielte ja auch gar keine Rolle, so lange die Herzen am rechten Fleck waren und man nicht auf der Stelle trat. Denn sie waren Menschen und keine Gemälde. Sie würden nicht immer gleich aussehen, denken oder handeln. Es stand ihnen offen zu werden, was sie wollten und sich so zu entwickeln, wie es ihnen beliebte. Egal, ob sie eins nur Farbkleckse auf einer Leinwand gewesen waren oder eine liebende Mutter sie aus sich gepresst hatte. Am Ende war ihr Blut rot, ihre Herzen schlugen an der selben Stelle und sie hatten ihre Träume und Wünsche.

Mit dieser Erkenntnis erschien es dem Kha’zak ungerecht, dass man so viele Schöpfungen einfach als Soldaten einsetzte und an die Front stellte. Man opferte sie, weil die geborenen Menschen ihnen kostbarer erschienen als jene, die an ein Bild gebunden waren. Obwohl viele ihrer Mitkameraden sie nicht als solche erkannten und sich mit ihnen sogar richtig anfreundeten, blieben sie nur halbe Menschen, die nur einem Zweck dienten und zu mehr nicht gebraucht wurden... So wie letztendlich auch die Feurer. Sie dienten der Verfolgung von abtrünnigen Schöpfern und vielleicht noch als Söldner, aber ansonsten wollte man mit ihnen und den Kha’zaks so wenig wie möglich zu tun haben. Ob sie lebten oder starben interessierte nur ihresgleichen. Bei den Schöpfungen interessierte es ja teilweise nicht mal ihre Schöpfer, ob sie verstarben...

Laariel würde die große Ausnahme sein! Wenn er mal sterben würde, dann würde das Volk um ihn trauern und er wäre ein wahrer Verlust für Lichtheim und seine Verbündeten. Um diese Schöpfung würde man weinen. Ein kostbarer Mensch, der sein Volk liebt und weise versucht, das Richtige zu tun. Und dennoch trachtete man ihm nach seinem Leben, um etwas zu bekommen, was nur der Krone zustand.

„Ihr werdet schon zu dem Mann werden, der Ihr sein sollt.“, lenkte Gerald endlich ein, „Vielleicht wird es schwer werden und Ihr werdet um jeden Zentimeter Anerkennung kämpfen müssen. Sowohl beim Rat als auch im Volk. Es wird Tage geben, an denen werdet Ihr Euch wünschen, dass Ihr das niemals angegangen wärt und an manchen Tagen werdet Ihr richtig schwanken. Manchmal schwankt Ihr so sehr, dass Ihr es aufgeben wollt... Doch Ihr werdet erkennen, dass es die Sache wert ist, weiterzumachen. Und irgendwann wird es dann besser werden und Ihr braucht nicht mehr wanken und nicht mehr bedauern. Ihr werdet einfach wissen, was das Richtige ist und es tun. Ihr werdet ein König sein, der seinen Rat nur noch braucht, damit er beratschlagt und unterstützt und nicht mehr ein Hofnarr, der dem Rat als Marionette dient.“

„Wieso... seid Ihr Euch da so sicher?“

„Weil, wenn ich in Eure Augen blicke, ich es sehen kann. Ich sehe den König, der Ihr sein werdet und die Menschen, die Euch zujubeln und vergöttern. Ihr seid dafür geboren wurden, um zu herrschen. Niemand vor Euch hatte dieses Anrecht jemals so inne, wie Ihr...“, sagte der Feurer ehrlich und aufrichtig, „Zum Ratsmitglied kann man ausgebildet werden, ebenso wie zum Soldaten. Als König muss man geboren werden. Ihr seid als König geboren wurden! Unabhängig davon, wer Eure Eltern waren oder nicht waren, ist es Euch einfach bestimmt.“

Es war wie Balsam für seine Seele. Auch wenn Johannes ihn stets irgendwie unterstützt und ihn belehrt hatte, hatte dennoch Niemand je richtig an ihn geglaubt. Jedenfalls nicht so. Man hatte ihn als König toleriert und das Volk hatte Hoffnungen in ihn gesteckt, aber am Ende keine Erwartungen und auch keine Zuversicht. Gerald glaubte an ihn, wie er früher auch an seinen Vater geglaubt hatte und genau das war nicht erschüttert wurden.

Das alleine war es wert, dafür zu kämpfen.

„Warum reden wir dann noch darüber?“, fragte der hellhaarige König und plusterte sich auf, „Es wird Zeit, dass wir zu meinem Schloss zurückkehren und herausfinden, wer mich in meinen eigenen vier Wänden töten lassen möchte. Und das von meinen eigenen Soldaten! Und wenn wir ihn haben, dann wird er den Preis für diesen Frevel bezahlen.“

„Das klingt doch schon eher nach einem König.“, sagte der Feurer grinsend, „Also locken wir die Ratten aus ihren Löchern, damit wir alle wieder unseren Geschäften nachgehen können. Außerdem sollten wir die Sache mit Cynthra klären, bevor sie anfängt zu stinken.“

„Ja... Das sollten wir wohl.“

Wurzel des Verrats

Es war seltsam wieder im Palast zu sein. Einige der Diener waren erschrocken stehen geblieben als sie den König erblickten und hatten ihn fassungslos angestarrt. Sehr unhöflich, wie er fand. Aber offenbar war das Gerücht gestreut wurden, dass der König entführt wurden war und vermutlich tot war. Hauptverdächtiger hierbei war natürlich Gerald, der zu allem Überfluss direkt neben ihm schritt. Er ließ sich nicht von den Blicken aus der Ruhe bringen, sondern blendete diese sogar aus.

Vielleicht wäre er der bessere König..., dachte Laariel und blickte immer wieder zu dem Feurer, Er ist immer so lässig und lässt sich nicht von Außenstehenden beeinflussen oder aus der Ruhe bringen. Dagegen komme ich mir wie ein dummes Kind vor!

Zumindest gab es bisher keine weiteren Angriffe, was den Adligen erleichterte. So kamen sie recht problemlos bei den gewünschten Gemächern an, von denen Gerald die Tür aufzog ohne zu klopfen, damit sie hinein schlüpfen konnten. Gesehen hatte sie vermutlich keiner, aber da konnte man sich in solch einem Palast niemals sicher sein.

„Johannes...“, sagte der König um das Ratsmitglied auf sie aufmerksam zu machen. Eine Weile wurden sie mit offenen Mund und einer sehr beunruhigenden Schnappatmung angestarrt. Laariel beunruhigte das so sehr, dass er ihn schon nach seinem gesundheitlichen Zustand fragen wollte, aber da sprang der ältere Mann schon auf: „Ihr lebt!“

„Sieht ganz danach aus.“

„Alle erzählten, dass Ihr entführt wurdet von diesem... diesem... Kerl!“, keuchte er und deutete dabei auf den Feurer.

Gerald blieb ruhig und grinste schief, während er sich lässig an eine Wand lehnte: „Eine bessere Beleidigung fiel Euch nicht ein? Ihr enttäuscht mich, alter Mann. Aber vielleicht beim nächsten Versuch.“

„Ihr!“

„Ruhig Blut! Ruhig Blut!“, drängelte der hellhaarige Herrscher und stellte sich eilig zwischen die Streithähne, „Ich denke, dass wir uns einig sind, dass wir dafür definitiv gerade keine Zeit haben, oder? Immerhin bin ich angeblich tot und mein angeblicher Mörder steht hier.“

Die Wahrheit hinter dieser Äußerung ließ sich nicht leugnen, auch wenn die Männer es zu gerne getan hätten, um sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Dennoch atmete Johannes einige Male durch und zwang sich zur inneren und äußeren Ruhe. Nur Gerald wirkte noch auf Krawall gebürstet, sagte aber zumindest nichts mehr, was provozieren könnte. Es war ein Anfang, wenn es auch sicherlich eine schwierige Zwecksgemeinschaft zwischen ihnen werden würde. Sie alle waren unterschiedlich und hatten andere Vorstellungen von Richtig und Falsch.

„Was genau ist denn bitte los?“, fragte das Ratsmitglied verwirrt, „Wieso wart Ihr so lange verschwunden? Warum wusste ich nichts davon?“

„Ehrlich gesagt-...“

Der Feurer schnitt ihm das Wort ab, bevor er dazu kam, um die Sache herum zu drucksen: „Wir dachten, dass Ihr ein Verräter seid.“

„Gerald!“, keuchte der König entsetzt, „Das hätte nun auch feinfühliger sein können!“

„Wieso sollte ich ein Verräter sein?“

„Sagen wir einfach, dass die Zeichen dafür recht eindeutig waren. Aber ähnlich wie bei Cynthra waren sie einfach ZU eindeutig und deshalb konnte es nicht sein. Das haben wir aber zu spät erkannt.“

„Soll das heißen, dass Jemand wollte, dass ich wie ein Verräter wirke?“

„Ja.“, drängelte sich Laariel wieder in das Gespräch, damit es nicht aus den Fugen geriet, „Es muss Jemand sein, der viel Macht besitzt. Wahrscheinlich ein Ratsmitglied... Er oder sie will seine oder ihre Macht ausbauen. Ich soll gestürzt werden und alles, was wir bisher kennen, ebenfalls. Ohne einen Rat und ohne einen König kann jede Partei an die Macht gelangen und das unangefochten. Da es immer einen Erben gab, war die Thronfolge immer klar.“

„Vermutlich wurde der vorherige König auch von dieser Person vergiftet.“, warf Gerald dann ein, „Von Laariel war ja nichts bekannt, aber den König offensichtlich töten, ging trotzdem nicht. Also ein Gift, das langsam wirkt und aussieht, wie eine Krankheit. So kann man ohne Aufhebens und ohne Kriege den Thron erhalten. Aber dann tauchte Laariel auf, erhielt die Krone und erfreute sich einer ähnlichen Beliebtheit, wie Lawren vor ihm.“

Johannes verstand durchaus, was er ihm sagen wollte und er wusste auch, dass der Feurer erfahren hatte, was er zusammen mit Cynthra getan hatte. Doch es war weder die Zeit noch der Ort, um das auszudiskutieren.

Es war die richtige Entscheidung!, sagte er sich, Damals war es die richtige Entscheidung einen neuen, gerechten König zu erschaffen. Ich habe getan, was notwendig war...

Hätte er das nur ein Mal laut ausgesprochen, dann hätte er gewusst, dass der Dunkelhaarige diese Entscheidung ebenso unterstützte und es ebenfalls als den einzigen Weg ansah, um ein Reich wie dieses zu beschützen und zu führen. Wer auch immer die Macht wollte, der hatte sie sich nicht verdient, denn als der Rat über das Königreich geherrscht hatte, funktionierte das auch nicht. Da hatte er oder sie die erste Chance gehabt.

So wie es jetzt war, war es natürlich nicht perfekt, doch sie alle wussten, dass es wesentlich schlechter ging. Es gab viel zu viel Luft nach unten und mit Mordanschlägen an Königen füllten sie diese schon ziemlich gut aus.

„Wer immer diesen Verrat anführt, muss im Rat zu finden sein und sich schon verdächtig gemacht haben.“, schlussfolgerte der Feurer. Kurz danach hörte er, wie es hinter ihm klatschte. Sie drehten sich alle wie eine erschrockene Katze um und starrten den ungebetenen Zuhörer an als sei er ein Geist. Nicht nur er, sondern auch einige Soldaten, die hinter ihm standen.

Im ersten Moment wusste offenbar Niemand etwas zu sagen. Weder zu dem sarkastischen Klatschen noch zu dem spöttischen Grinsen. Auch wenn Gerald es geahnt, aber nicht auszusprechen gewagt hatte, schockierte es ihn dennoch, dass er recht hatte. Manchmal verfluchte er es, dass er nicht als Dummkopf zur Welt gekommen war. Gerade in Momenten wie diesen! Am Liebsten hätte er die Augen geschlossen, um sie dann wieder zu öffnen als erwache er aus einem sehr langen Albtraum. Wie hatte seine Jagd nach einer aufsässigen Schöpferin nur so aus den Fugen geraten können? Wie war es nur dazu gekommen, dass er in den Kampf um einen Thron geraten war? Er hatte doch immer nur seine Pflicht tun wollen! Gegenüber der Krone und seines Erbes. Irgendwann hatte der Dunkelhaarige dann heiraten und Kinder zeugen wollen, um etwas abseits ein ruhiges Leben zu führen. Doch in seiner Fantasie hatte er sich niemals in solch einer Lage gesehen.

„Blair!“, stieß Johannes entsetzt hervor und durchbrach so die Mauer des Schweigens und Entsetzens. So fanden sowohl der König als auch der Feurer die Fassung wieder.

„Es ist beeindruckend, auf wie viel die Ratten von sich aus gekommen sind und wie hilflos und verwirrt sie trotzdem weiterhin sind.“, spottete der Kha’zak, „Na gut, es war aber auch offensichtlich, dass der Verrat aus dem Rat kommen muss. Also habt ihr damit kein Kunststück vollführt.“

„Wieso tut Ihr das?“, wollte der Herrscher wissen und trat einen Schritt näher, „Ihr habt der Krone Treue geschworen!“

Blair zuckte mit den Schultern als sei das bedeutungslos: „Das haben wir doch alle getan. Das heißt aber nicht, dass wir der Krone deshalb treu sind oder an das glauben, was sie vollbringt.“

„Wie viele wissen es?“, fragte Gerald bleiern.

„So gut wie alle.“, antwortete der Verräter ihm mit einem hämischen Grinsen, „Nur die, die der Krone gegenüber absolut treu sind, haben es nicht erfahren. So wie du. Die Kha’zaks wollen eben nicht nur Außenseiter sein, die nur dann von Nutzen sind, wenn sie das Gen der Feurer haben. Wir sind klüger und standfester als alle anderen Völker! Nur wir haben die Möglichkeit die Schöpfer zu zügeln! Es ist einfach lächerlich, dass die Könige in Lichtheim keine besonderen Fähigkeiten oder Begabungen haben und trotzdem an der Macht sind. Sie könnten diese Parasiten von Schöpfern nicht mal zügeln, wenn es darauf ankäme! Ihr seid unbedeutend. Die ganze Königsfamilie ist lachhaft unbedeutend.“

„Du bist gar kein Feurer.“, sagte Gerald kalt, „Du hast die ganze Zeit gelogen!“

„Wie kommst du darauf? Was erzählst du?!“

Der Dunkelhaarige verengte die Augen und griff nach seinen Sicheln: „Du hast mir Schöpfungen geschickt als du mich versucht hast, töten zu lassen. Ein Feurer würde einem anderen Feurer niemals Schöpfungen schicken! Immerhin sind sie ihnen gegenüber stark im Vorteil.“

Es wurde wieder still. Es wirkte fast so als mussten alle Anwesenden darüber nachdenken und sich zurückerinnern. In Wirklichkeit war so etwas eine unangenehme Aufdeckung einer Lüge, denn diese schien so tief gegangen zu sein, dass selbst der Lügner an die Wahrheit dahinter geglaubt hatte.

Oder zumindest hat er an sie glauben wollen..., dachte Gerald angewidert, Er redet davon, dass Laariel so unbedeutend sei, aber er ist nicht mehr als ein gewöhnlicher Mann!

Aber Genie und Wahnsinn schienen ja meistens dicht beieinander zu liegen, denn dumm war Blair auf keinen Fall. Über viele Jahre hatte er sie alle getäuscht! Nicht nur, was seine Fähigkeiten anbelangte, sondern vor allem auch, was ihn und sein Wesen betraf. Man hatte ihn für einen ruhigen, zurückhaltenden Mann gehalten, der gesittet dem Leben seinen Lauf ließ. Doch das war er offenbar niemals gewesen. Doch er wusste offenbar auch nicht, wer er war und wer er sein sollte. Sehr bedauerlich, wie Gerald fand, denn der Kha’zak hätte ein wirklich guter Politiker sein können, wenn er sich nicht selbst so verstrickt hätte.

„Wie konntest du die Prüfungen zum Feurer bestehen?“, fragte Johannes, der immerhin selbst geholfen hatte, den Rat zusammenzustellen. Die Regeln dafür waren eindeutig gewesen! Eine Anzahl von Fünf. Durch die ungleiche Zahl kam es immer zu einem Ergebnis. Mindestens zwei weibliche Mitglieder, der Rest sollte männlich sein. Ein Feurer und ein Schöpfer mussten dabei sein. Außerdem musste der Rat aus sowohl jüngeren als auch älteren Mitgliedern bestehen, die aus unterschiedlichen Schichten stammten. So wollten sie jedes Volk, jede Partei und jede Schicht optimal berücksichtigen, während die jüngeren Teilnehmer für einen frischen Wind sorgten. Blair war von seinem Volk als Feurer nominiert wurden und schließlich auch gestellt. Gwen war als Schöpferin gewählt wurden. Er selbst war das älteste Mitglied, während Schöpfer und Feurer Beide eher jung waren. Es war perfekt gewesen! Doch offensichtlich nicht ganz so perfekt, wie sie es alle gehofft hatten...

„Die Kha’zaks wollten mich unbedingt im Rat haben.“, erwiderte das Ratsmitglied als es sich wieder gefasst hatte, „Ich bin von guter Herkunft und habe ein hohes Verständnis für Politik und dessen Spielchen. Den Rat zu unterwandern und ihn in die Richtungen zu drängen, in denen ich ihn haben wollte, war ein Kinderspiel. Und ihr habt es nicht mal gemerkt! Doch leider ist mein Gen inaktiv...“

„Ein anderer Feurer hat dir gesagt, welche der Prüfungsobjekte die Schöpfungen waren.“, schlussfolgerte Gerald angewidert, „Er gab dir Zeichen als klar war, dass du es nicht kannst. So hast du dein Zertifikat bekommen... Und dann waren auch die anderen Kha’zaks überzeugt und haben dich gewählt, damit du in den Rat eintreten kannst. Nachdem du ein offizielles Mitglied warst, wird dich keiner mehr groß nach Schöpfungen gefragt oder dich getestet haben. Wenn, dann hast du einfach geraten oder auf gewisse Anzeichen geachtet. Aber mit der Zeit wurdest du dann nachlässiger und träger... Du hast begonnen, deine Lügen zu glauben. Es wäre besser gewesen, wenn ein verbündeter Feurer die Soldaten ausgewählt hätte.“

„Vermutlich wäre es das.“

Trotz allem, was gesagt wurden war und all den Lügen, die sich gelüftet hatten, schien weder Blair Gewissensbisse zu haben noch seine verbündeten Soldaten in ihrer Überzeugung zu schwanken. Er hatte seine Männer mit Bedacht gewählt und das war auch zu erwarten gewesen. Blair wollte den Thron! Er wollte die Macht und eine Revolution. Wahrscheinlich würde er alle Schöpfer jagen und töten lassen - unabhängig von ihrer Treue oder Untreue. Es gab nicht mal eine Garantie, dass die gewöhnlichen Lichtheimer eine besonders hohe Lebenserwartung haben würden. Eher wären sie Sklaven, die all die Arbeiten tun mussten, die Niemand machen wollte. Lichtheim würde zerfallen in der verblendeten Diktatur des Kha’zaks.

Das Schlimmste daran ist, dass sich irgendwann alle gegen Blair und die Kha’zaks erheben würden., dachte Gerald zähneknirschend, Sein wahnwitziger Gedanke, dass eine Gabe über Herrschaft entscheidet, würde man auf alle seines Volkes übertragen. Irgendwann wird man uns alle verfolgen und töten lassen. Niemand wird einen Unterschied machen, wenn sie ihre Familien und Freunde rächen wollen.

Jedoch war es sinnlos das seinem Landsmann zu sagen. Ein König musste eine besondere Gabe haben in einem Reich wie Lichtheim. Er musste die Macht besitzen, alle zu kontrollieren und im Zaum zu halten. Laariel konnte das und er musste dafür weder schaffen noch Schöpfungen erkennen können. Es war seine Gabe zu wissen, was gut für das Volk war, auch wenn er manchmal schwankte.

Doch das tun wir alle mal..., dachte der Feurer mit einem müden Lächeln. Er selbst war ja auch fehlerhaft und offensichtlich war er auch blind genug gewesen, damit er nicht erkannt hatte, dass die alten Werte bei den Kha’zaks an Bedeutung verloren hatten. Das, was sein Vater ihn eins gelehrt hatte, war nicht mehr so tief verankert, wie es gut gewesen wäre. Wahrscheinlich war es gut so, dass er das hier nun nicht miterlebte. Sein Vater wäre durchgedreht! Das erste Mal seit vielen Jahren war er sogar seiner Meinung. Das alles war absurd und dumm!

„Du bekommst weder mein Leben noch meine Krone.“, schnaubte Laariel und nahm seine Sense vom Rücken. Auch die Soldaten von Blair zogen nun ihre Waffen und bleckten angriffslustig ihre Zähne. Es überrascht Gerald nicht, dass Blair keine Waffe zog. Ein König machte ja sicherlich seine Finger nicht schmutzig! Nur dann, wenn es nicht anders ging.

Und genau das zeigte sich auch im nächsten Moment als sich der Verräter abwandte und mit einigen Zeichen seinen Soldaten signalisierte, dass sie nun seinen Platz einzunehmen hatten. Lächerlich war daran, dass sie es taten als könnte sie nichts von dem erschüttern, was sie eben gehört hatten. Sie waren so loyal, dass sie sogar Hochverrat begannen! Für einen Mann, der sich einer Lüge ergab und daran zu glauben versuchte, um all das zu rechtfertigen. Sie kreisten sie ein. Ihre Gesichter wirkten kühl und gefasst. Blair hatte aus den Fehlern der Vergangenheit zumindest etwas gelernt und dieses Mal wohl wirklich einen Feurer zu Rate gezogen. Unter ihnen befand sich keine einzige Schöpfung... Gerald lächelte müde über diese Tatsache, denn offenbar war sein Ratschlag bezüglich der Soldatenwahl überflüssig gewesen.

Das verräterische Ratsmitglied verschwand mit einem Grinsen von dort. Er würde im Nachhinein vermutlich behaupten, dass diese Soldaten alle Verräter seien und seine Empörung wegen ihren Taten aussprechen. Es war unwahrscheinlich, dass den Männern das klar war. Sie gingen wohl eher von Beförderungen und Belobigungen aus. In ihren Köpfen formten sie sicher schon die Lieder, die die Barden über sie eins singen würden! Dabei fielen aber gewiss nicht die Wörter „Verrat“ oder „hinterlistiger Überfall“. Aber vermutlich würden sie es auch nicht glauben, wenn man es ihnen versuchte zu sagen. Das geplante Massaker würde keine Gewinner kennen und das fand der Feurer irgendwie nicht besonders tröstlich.

Aber darüber nachdenken konnten sie eh nicht. Die Männer preschten direkt auf sie zu mit grimmigen Gesichtern als machten sie gerade Jagd auf Bestien, die Kinder fraßen. Ohne Gnade hieben sie auf sie ein. Johannes konnte nur knapp sein Ohr behalten, weil er im rechten Moment zur Seite gestolpert war. Er war das Ziel Nummer Eins, da er keinerlei Waffen mit sich führte und auch keine Rüstung oder Leder trug, die seinen Leib vor Waffen schützte. Dazu kam, dass er ein gewöhnlicher alter Mann war, der keine magischen Fähigkeiten besaß oder eine besondere Ausbildung. Außer die zum Politiker, die ihm in dieser Situation aber nicht wirklich half. Doch die Soldaten bedachten nicht, dass er dafür etwas anderes besaß: Einen König, der ihn nicht sterben lassen würde. Laariel stürzte sich zwischen die Männer und das Ratsmitglied und pferchte sie mit einigen Hieben mit seiner Sense einfach weg. Sie stoben auseinander, wie verschreckte Tiere, die einen Löwen unter ihren Reihen bemerkten. Sehr zutreffend, wie Gerald fand, denn diese anmutigen Wesen waren immerhin auch Könige.

Der Herrscher riss im letzten Moment seine Zweihandwaffe hoch und schnitt einem Angreifer dabei von unten bis zum Kinn auf. Kein schöner Anblick als das Blut raus quoll und kurz darauf auch einige der Innereien. Doch an seine Stelle trat direkt der nächste Mitstreiter. Gerald wich aus und schlitzte direkt zwei Widersacher mit seinen Sicheln auf. Dem einen durchtrennte er die Kehle als er aus einer Pirouette heraus zuschlug, während er sich unter dem Angriff des zweiten wegduckte, um ihm dann quer über die Seite zu schlagen. Keine Wunde, die sofort tötete, aber den Mann ausschaltete, der am Boden nun langsam verbluten würde. Für Mitleid blieb ihnen aber einfach keine Zeit. Knapp parierte der Feurer den nächsten Hieb und tänzelte darunter durch, um dem Mann ein Mal über die ganze Wirbelsäule zu schlagen, der keuchend und gurgelnd zu Boden ging. Offenbar war er sehr ungünstig auf seine eigene Waffe gefallen.

Schließlich kämpften sie Rücken an Rücken, doch irgendwie schienen die Reihen der Angreifer einfach nicht weniger zu werden. Für jeden, den sie fällten, kamen zwei neue. Man konnte über Blair sagen, was man wollte, aber er bereitete sich erstaunlich gut vor, wenn er wusste, worauf er zu achten hatte. Ort, Zeit und Anwesenden hatte er praktisch bestimmt und sie befanden sich in einer ernsten Lage.

Johannes keuchte ätzend auf als er einen stechenden Schmerz spürte. Ein Messer bohrte sich langsam zwischen zwei seiner Rippenbögen und verkeilte sich dann in den Knochen. Der hinterlistige Angreifer riss und zog, bekam ihn aber mangels Kräften nicht mehr hinaus. Das war gut für den älteren Mann, der schmerzhaft auf seine Knie fiel und zittrig nach der Waffe griff, die in seinen Körper eindrang und zu einem Teil von ihm wurde. Ein sehr schmerzhafter Fremdkörper, den er nicht ziehen durfte und es ohnehin nicht gekonnt hätte. Doch es änderte nichts daran, dass der Mann allmählich einen Schwindel und Übelkeit spürte. Noch nie war er derartig verletzt wurden und wenn er ehrlich war, dann hätte er darauf auch gut verzichten können.

Eben diese Verletzung sorgte auf der Seite des Königs aber dafür, dass er sich wie ein Berserker durch die Reihen an Feinden metzeln wollte. Schreiend und wie von Sinnen um sich schlagend. Dabei fällte er immerhin vier Gegner, die diese Situation falsch eingeschätzt hatten und verletzte drei weitere ziemlich schwer. Einer davon konnte dadurch immerhin nicht mehr sein Schwert halten und musste sich deshalb zurückziehen. Auch der ideale Moment für Gerald, um endlich mal nach Luft zu schnappen und ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Er sah sich genauer um. Er suchte nach Schöpfungen oder eben den Männern, die so verängstigt aussahen, dass sie vielleicht zu Fehlern neigen konnten. Aber selbst die Männer, die neu in dieser Schlacht eintrafen, waren keine Schöpfungen. Wer immer Blair als Feurer zur Seite stand, verstand sein Handwerk und machte keine Fehler. Er hatte gewiss darauf bestanden, dass kein einziger Mann, der bei dieser Sache beteiligt war, eine Schöpfung war. Vermutlich eine Person, die ihn kannte und wusste, wie geübt er im Verbrennen war, aber auch im normalen Kampf.

Plötzlich tat sich ein Hoffnungsschimmer auf. So perfekt war ihr Widersacher offenbar doch nicht! Als der berauschte Laariel immer mehr Feinde fällte oder kampfunfähig machte, strömten endlich auch Schöpfungen in das Zimmer. Es hatte vielleicht nicht genug Lichtheimer gegeben, die vertrauenswürdig gewesen waren oder sich von dem Ganzen hatten überzeugen lassen. Gerade als der Feurer die Wesen berühren wollte, fielen ihm zwei Dinge an ihnen auf: Sie waren kaum als Schöpfung zu erkennen, so gut waren sie und sie griffen die feindlichen Soldaten an. Absolut fassungslos beobachtete er, wie ein Soldat nach dem anderen fiel. Auch der König sah so aus als verstünde er die Welt nicht mehr, während Johannes eh nicht mehr mitbekam, was um ihn geschah. Die Schöpfungen, die die Uniformen der Palastwachen trugen und die Gerald für Mitstreiter gehalten hatten, mähten derweil die Angreifer nieder. Offenbar waren sie auch vollkommen überrumpelt und verstanden nicht, wieso ihre Kameraden sie gerade verrieten. Am Ende schienen sie es endlich begriffen zu haben, doch da war es einfach zu spät gewesen.

Ungläubig standen sie da in Blut und Innereien und starrten die Schöpfungen an, die sich offenbar auch nicht wohl fühlten. Immerhin hatten sie gerade viele Leben beendet. Einige von diesen Männern waren sicherlich mal ihre Freunde gewesen oder sie hatten ihre Familien kennen gelernt. Das alles änderte aber auch nichts an ihrem Verrat und an der Gräueltat, die sie hatte begehen wollen und die ihnen gelungen wären, wenn man nicht eingegriffen hätte. Als Gerald den Blick hob, war er sich sicher, dass nun Cynthra da stehen würde, aber stattdessen war da Gwen. Sie war die Schöpferin im Rat und außerdem das jüngste Mitglied. Ihr silbernes Haar hatte sie zu einem nachlässigen Dutt zusammengefasst, während sie recht enge Kleidung aus einer Kombination von Stoff und Leder trug. Auch wenn Laariel sie nie für etwas Besonderes gehalten hatte, änderte er allmählich seine Meinung über sie. Zwischen Blut und Leichen schien sie gerade die schönste aller Frauen zu sein. Nicht zuletzt, weil sie ihnen offenbar das Leben gerettet hatte!

„Woher wusstet Ihr, was hier vor sich geht?“, fragte Gerald, der als einziger offenbar die Fassung behielt.

„Cynthra.“, antwortete die junge Frau, „Wir waren schon länger Freundinnen, bevor sie zur Verräterin abgestempelt wurden. Einige Studien haben wir zusammen durchgeführt und gegenseitig die Theorien getestet. Wir hatten weiterhin heimlich Kontakt und sie riet mir, nach den Lordschaften zu suchen und das nicht alleine zu machen.“

„Ich möchte diese Frau knutschen!“

„Davon bin ich überzeugt...“, murmelte Gwen und trat eilig an Johannes’ Seite, „Wie geht es Euch?“

Der alte Mann lächelte erschöpft: „Es ging mir niemals besser, Lady Gwen. Ich trage gerne ein Messer an dieser Stelle... Ihr nicht?“

„Doch, gewiss, gewiss. Nicht ganz dort, aber recht nah.“

Ihr seid ein verdammter Kämpfer, alter Mann!, dachte Gerald grinsend, Ihr wurdet schwer verletzt, aber Ihr nehmt es mit Humor, damit sich Niemand sorgt. Panik würde uns wohl auch nicht helfen.

Natürlich half es ihnen auch nicht, wenn sie die gefährliche Situation runterspielten. Krächzend ließ sich Johannes von dem König wieder auf die Beine helfen, doch die Stütze übernahm die junge Schöpferin. Das war gar nicht so einfach, aber beklagen tat sie sich nicht.

„Farbe und Glanz!“, fluchte sie dann doch auf, „Ihr seid schwerer als man es Euch ansieht!“

„Lasst mich einfach hier. Ich bin nun sowieso keine Hilfe...“

Gwen schüttelte energisch den Kopf: „Nein. Ich werde Euch, mein König, meine Schöpfungen zur Seite stellen. Sie sind Euch gegenüber absolut loyal und lassen sich nicht beeinflussen. Setzt sie aber dennoch mit Bedacht ein und opfert ihre Leben nicht leichtfertig. Derweil werde ich Johannes zu einem Medikus bringen, damit man ihm so schnell wie möglich helfen kann.“

„Ich werde mich daran halten, Lady Gwen.“, erwiderte der Herrscher, „Ich danke Euch für alles, was Ihr getan habt und auch alles, was Ihr noch tun werdet.“

„Dankt mir lieber nicht zu früh. Noch ist nichts gewonnen oder entschieden... Haltet Blair auf! Zum Reden haben wir genug Zeit, wenn Ihr das geschafft habt. Ansonsten haben wir im Tod eben genügend Zeit, um uns auszuruhen und unsere Fehler zu analysieren.“

Es überraschte Niemanden, dass die Schöpferin recht kühl kalkulierte, was ihnen blühen konnte und dass sie recht unbekümmert es aussprach. Ihr Volk war einfach so!

Mit einem letzten Nicken nahmen sie Abschied voneinander, ehe Gerald und Laariel sich auf den Weg machten, während die zahlreichen Schöpfungen ihnen folgten. Es waren etwa zwanzig Stück, die alle so gut hergestellt wurden waren, dass man die Fasern nur sah, wenn man sich konzentrierte. Manche waren so gut, dass es dem Feurer trotzdem schwer fiel sie als solche zu erkennen, obwohl er ja wusste, dass sie Schöpfungen waren. Gwen musste wirklich viel mit Cynthra studiert und gelernt haben! Vermutlich konnte sie auch einen echten Menschen erschaffen, wie es der König einer war und wie es die Kopie vor ihrem Tod gewesen war. Man musste ihr nur das richtige Material geben, die Zeit und eine entsprechende Langzeitmotivation, aber es würde wahrscheinlich ein ähnlich gutes Ergebnis bringen.

Lenkt es mich ab, wenn ich darüber nachdenke?, fragte sich der Dunkelhaarige verwirrt, Es ändert gerade rein gar nichts an der gegebenen Situation. Selbst wenn wir Blair aufhalten können, wird es auf jeden Fall Folgen für alle Kha’zaks haben! Besonders für die Feurer unter ihnen... Die Lichtheimer werden nicht begreifen, dass er niemals einer von uns gewesen ist und nicht alle Kha’zaks so denken, wie er es tut.

Egal, wie sehr Laariel sein Volk vom Gegenteil versuchte zu überzeugen, sie würden es nicht erkennen. Sie würden an ihrem Glauben festhalten, dass es auf diese Rasse zurückzuführen war, dass all das passieren konnte und sie würden anfangen, sie zu jagen. Erst ganz offensichtlich, woraufhin der König Gesetze dagegen erheben würde. Dann würden sie es heimlich machen... Parteien würden sich bilden und geheime Organisationen, die Räumlichkeiten für Folter und Tod stellten und es würden schreckliche Dinge getan werden. Am Ende würden die meisten Kha’zaks fliehen, um nicht endgültig ausgerottet zu werden und die Schöpfer hätten keinen Gegenwind mehr. Geriet einer von ihnen auf die schiefe Bahn, dann konnte er ganz Lichtheim unter sich und seinen Schöpfungen begraben. Keine rosige Aussicht für die Zukunft, aber immer noch besser als wenn Blair sie direkt alle in den sicheren Abgrund warf. Der würde immerhin auch einige Genozide begehen und alle töten, die er als Verräter einstufte.

Mit einem stummen Abschied zu dem Leben, wie er es kannte, riss Gerald die mächtige Flügeltür zum Thronsaal auf. Ein Ort, den sie einfach zu schnell erreicht hatten.

 

Es überraschte Laariel keineswegs, dass er in seinem Thronsaal nicht nur Blair auffand, sondern vor allem noch etwas fünfzig Soldaten, die auf einen Kampf brannten. Nur einige von ihnen wirkten verunsichert als sahen sie gerade einen Geist oder einen Untoten. Was ihn aber überraschte, war die Tatsache, dass Vera und Wilfried auch hier waren. Die beiden Geschwister sahen auch so aus als sahen sie gerade ein Gespenst. Vermutlich gingen sie auch davon aus, denn an sich war sich Blair sicher gewesen, dass sie den Übergriff der Soldaten nicht überleben würden. Da Gerald sowieso schon als sein Entführer verkauft wurden war, rechnete man mit ihm an seiner Seite noch weniger und auch nicht mit einigen Soldaten in seinem Rücken. Für einen Toten wusste er sich verdammt gut zu wehren.

„Ihr habt gesagt, dass er tot sei!“, kreischte Vera auf und wirkte um einige Nuancen bleicher als sowieso schon, „Ihr sagtet, dass dieser Feurer ihn verraten hat und dabei umkam, ebenso wie der König! Ihr sagtet, dass einige Soldaten ihn betrogen haben und Ihr die Leiche selbst gesehen habt!“

Wilfried knirschte wütend mit seinen Zähnen: „Wir haben Euch gerade fast zum Thronfolger gemacht bis ein anderer Kandidat gefunden wäre... Ihr habt uns betrogen!“

Zumindest scheint er nicht den Rest des Rates von seinen Plänen überzeugt zu haben., dachte der König erleichtert. Weder Johannes und Gwen noch Vera und Wilfried hatten offenbar geahnt, was in Blair vorging und welche Pläne er im Hintergrund geschmiedet hatte. Sie waren auf seine unscheinbare Gestalt hereingefallen, so wie auch Gerald und Laariel. Er wäre damit ja auch durchgekommen, wenn er die Schöpferin des Rates nicht so unterschätzt hätte.

„Wirklich bedauerlich...“, murmelte der Kha’zak in einem gelangweilten Unterton, „Ihr lasst Euch einfach nicht töten. Ihr seid wirklich wie ein Parasit, den man nicht mehr los wird, wenn man ihn erstmal hat.“

„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben.“, zischte der hellhaarige König und kam mit gezogener Waffe näher, „Ihr bekommt weder mein Leben noch meine Krone. Das sagte ich bereits! Ihr solltet besser zuhören, Verräter.“

„Verräter?!“, hinterfragte Blair entsetzt und vollkommen aufgebracht, „Ich versuche nur die Missstände dieses Reiches zu beheben! Die Fehler zu bereinigen, die all die Jahre lang dafür gesorgt hatten, dass wir unter solch schlechten Bedingungen leben müssen. Das ist kein Verrat! Ihr seid die Verräter, wenn ihr alle an diesem Regime festkrallen wollt!“ Mehrmals atmete er schwer durch, aber er war so wütend über die Behauptung, dass er ein Verräter sei, dass es ihm wahnsinnig schwer fiel, sich wieder zu beruhigen. Auch wenn sich der Dunkelhaarige innerlich dazu ermahnte, da er durch den Zorn zu kurzsichtig sein würde. Das brachte Fehler mit sich... Immer noch wütend starrte er seine Widersacher an: „Ihr habt die Schöpfer gefördert und beschützt. Das war ein Fehler! Sie sind gefährlich und sollten gar nicht existieren! Ein König, der das nicht erkennt und sie nicht zu zügeln weiß, ist der wahre Verräter.“

„Ihr könnt Euch noch so sehr aufregen, aber es ändert nichts an dem, was Ihr seid.“, schnaubte Gerald, „Ihr habt alles verraten und Euch hinter einer Lüge versteckt. Ihr würdet eine Schöpfung nicht mal dann erkennen, wenn sie direkt vor Euch stünde! Nicht mal dann, wenn man das dazugehörige Gemälde vor Eure Nase stellt. Geschweige denn davon, wie Ihr diese verbrennen wollt!“

Stille trat ein. Offensichtlich hatten die Geschwister dieses Detail auch nicht gewusst und viele der anwesenden Soldaten ebenfalls nicht. Man hatte sie wohl rufen lassen als der angebliche Tod des Königs und der Verrat in den eigenen Reihen bekannt geworden war. Also würde nur ein Teil von ihnen loyal gegenüber Blair sein. Das bedeutete natürlich auch nicht, dass sie ihre Treue unter die Krone stellten oder sie wirklich verstanden, was hier vor sich ging. Aber es war besser so, denn alle Palastwachen gegen sie wäre zu viel gewesen.

Allerdings war auch Blairs Überzeugung, die Fehler dieses Reiches zu beseitigen, einfach zu viel. Er wurde dadurch absolut unberechenbar und kaltherzig, was Vera kurz darauf zu spüren bekam. Sie riss er am Arm zu sich und rammte ihr dabei sein Schwert ein Mal durch den kompletten Körper, sodass die Spitze blutig aus ihrem Körper herausragte. Sie japste fassungslos und mit glasigen Augen nach Luft, während ihr langsam auch Blut aus dem Mund lief. Wilfried schrie entsetzt auf als ihr Körper einfach zu Boden gestoßen und dieser noch mehr von ihrem Lebenssaft eingefärbt wurde. Ihr Leben endete nicht unbedingt schnell, dafür aber stetig und schmerzhaft. Ihr Bruder hob sie an und umfing ihre Hand, während die Sterbende ihre matter werdenden Augen nur auf ihm behielt. Sie hatten die Situation falsch eingeschätzt und vieles in ihrer Amtszeit falsch gemacht, aber dieses Ende hatten sie dennoch gewiss nicht verdient gehabt. Das sah Blair anders, der sein Schwert hob und es blitzschnell auch durch Wilfrieds Körper stach und dabei auch nochmals Vera aufspießte. Der Kha’zak hatte dabei weder Bedauern in seinem Blick noch eine Spur von Zweifeln. Die Beiden hatten nicht zu ihm gestanden, also hatten sie es verdient, dass er sie hinrichtete, wie Getier, um sie an ihrem eigenen Blut ersticken zu lassen.

Es war ein grotesker Anblick zu sehen, wie Wilfried über seiner Schwester zusammensackte als das Schwert aus ihnen gerissen wurde und sie langsam starben. Nur einige letzten Tränen zeigten, wie wenig bereit sie waren und wie schmerzhaft es sein musste. Nun fielen aber auch die Zweifel von den Soldaten ab, die nicht zu Blair gehörten. Das alles hier geschah nicht im Interesse des Volkes und schon gar nicht zu ihrem eigenen. Gerade hatte der Kha’zak zwei wehrlose Lichtheimer getötet, die bereit gewesen waren, Blair zum König zu machen, weil Laariel angeblich einem Attentat zum Opfer gefallen war. Sie hatten tun wollen, was richtig war, um das Reich am Leben zu halten und dafür waren sie mit dem Schwert gerichtet wurden. Ohne Chance auf Gegenwehr und ohne ein Wort der Warnung...

Die entsetzten Soldaten zogen ihre Waffen und wappneten sich für einen harten Kampf. Es waren nur etwas mehr als zehn, die sich gegen Blair und seine Männer stellten, wodurch sie immer noch in der Unterzahl waren. Doch Laariel wusste, dass das nicht bedeutete, dass sie schon verloren hatten. Immerhin waren die meisten Schöpfungen bessere Kämpfer als die gewöhnlichen Lichtheimer, besonders die, die so erschaffen wurden waren, dass sie nicht in ihrem Glauben schwankten. In einer Situation wie dieser konnte sich der König keine besseren Mitstreiter vorstellen, auch wenn das sicherlich egoistisch und hart klang. Doch da die Soldaten, die loyal hinter Blair standen, auch ihre Waffen zogen, war es eh an der Zeit, die Gedanken nicht mehr schweifen zu lassen.

„Es wird Zeit, dass Ihr endlich sterbt, Euer Majestät.“, knurrte der Verräter gereizt, „Und dieses Mal wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr es auch wirklich tun würdet! Tötet sie alle! Keine Gnade!“

„Wenn es nicht unbedingt sein muss, dann lasst sie am Leben, doch wenn es nicht anders geht, dann tötet sie!“, befahl Laariel streng und erhaben, „Stellt euer Leben nicht unter das eurer Angreifer! Nicht nachgeben und erst recht nicht aufgeben!“

 

Die Soldaten preschten aufeinander zu und kreuzten ihre Waffen. Es wurde ausgewichen und geduckt, während nach Schwachstellen Ausschau gehalten wurde. Solche Kämpfe waren nicht einfach. Die Meisten hatten gemeinsam ihre Ausbildung absolviert, sie kannten ihre Familien und hatten schon öfters zusammen die Zechen geprellt. Nun standen sie als Feinde gegenüber und durften nicht schwanken, damit sie nicht ihr eigenes Leben verloren. Was aber Laariel wirklich erstaunte, war, dass selbst die Schöpfungen echtes Bedauern in ihren Mimiken zeigten. Sie kämpften und sie versuchten nicht zurückzuweichen, aber all das machten sie nicht gerne und am Liebsten wären auch diese Männer nun woanders. Es war erstaunlich, wie menschlich sie sein konnten, wenn ihre Schöpfer es nur zuließen. Je näher sie der Realität kamen desto weniger konnte man sie von gewöhnlichen Menschen unterscheiden. Abgesehen davon, wenn ein Feurer mit im Spiel war, doch von deren Fähigkeiten verstand der König nicht so viel, wie er gerne wollte.

Wir sind in der Unterzahl, obwohl Blairs Ziele und Ideale absoluter Wahnsinn sind., dachte Laariel zähneknirschend und verfluchte den Kha’zak immer mehr.

Verluste gab es auf beiden Seiten schon sehr früh. Da immer einer der Männer schwankte, konnten die Feinde das für sich ausnutzen und ihm dafür das Leben nehmen oder ihn zumindest so schwer verletzen, dass er keine Waffe mehr heben konnte und damit wehrlos war. Selbst wenn solche Verletzte entkamen, würden sie ihren Beruf nach diesem Tag nicht mehr ausüben können, egal, welche Partei auch gewinnen würde. Ein Mann, der nicht arbeiten konnte, konnte auch seine Familie nicht ernähren und damit war er im Leben, wie auch im Tod gleichermaßen nutzlos. Deshalb schwor sich Laariel, dass wenn er diesen Tag überlebte und seinen Thron behalten dürfte, dass er genau diesen Familien helfen würde. Unabhängig davon, auf welcher Seite die Soldaten heute gekämpft hatten. Ihre Frauen und Kinder konnten immerhin nichts für die Entscheidung, die getroffen wurden war.

Beinahe wäre seine Abwesendheit ihm nicht zu Gute gekommen als ein versprengter Soldat schreiend seine Axt hob und dem König den Kopf nehmen wollte. Aber Gerald sprang zwischen sie, kreuzte seine Sicheln und blockte so den Angriff des Hünen. Der Feurer zögerte nicht lange, sondern ging direkt zum Angriff über. Wie eine Furie hieb er schnell, aber präzise zu und versuchte die Verteidigung seines Gegners zu durchbrechen. Nicht unbedingt durch Kraft, sondern eher durch flinke Hiebe, die ganz geschickt die Schwachstellen trafen. So durchzog immer wieder ein vibrierender Schmerz die Arme des Soldaten, der immer lahmer und verwirrter wurde. Schließlich schaffte der Dunkelhaarige es, dass die Axt zu weit gesenkt wurde und er mit seiner Sichel die Kehle aufschlitzen konnte. Blut spritzte und besprenkelte Gerald, doch der ließ sich davon nicht ablenken. Stattdessen nahm er die Armbrust von seinem Rücken und legte einen Bolzen ein. Diese Waffe besaß zwar einen hohen Durchschlag, dafür brauchte es auch lange bis man sie nachgeladen hatte. Da waren Bogenschützen im Vorteil, wenn ihre Pfeile auch nicht unbedingt Rüstungsteile durchschlagen konnten. Doch zurzeit waren die Kämpfenden noch miteinander beschäftigt, sodass der Kha’zak genug Zeit hatte, um seine Waffe zu laden, dann anzusetzen und zu feuern. Er traf einen ihrer Feinde direkt zwischen den Augen und rettete so einer der Schöpfungen das Leben. Die Ironie dahinter ignorierte er und lud direkt nach. Allerdings hatte diese Einmischung dafür gesorgt, dass sie nun nicht mehr unbehelligt von der Aufmerksamkeit blieben. Drei Männer sonderten sich ab und wollten Gerald töten, bevor dieser noch mehr ihre Reihen ausdünnte.

Sofort drängelte sich Laariel dazwischen und schwang dabei seine Sense mit viel Kraft, aber wenig Tempo. Er verletzte keinen dabei, aber die Männer strauchelten zurück und mussten sich erstmal wieder fangen. Das nutzte der Feurer und schoss einen von ihnen einen Bolzen direkt in das ungeschützte Herz einer beschädigten Rüstung, während der hellhaarige Herrscher nun einem anderen den Kopf abschlug. Das Blut spritzte hellrot und verteilte sich überall, aber für Ekel blieb ihnen einfach keine Zeit. Nun brach das Chaos endgültig aus. Die Soldaten vermengten sich untereinander und es war nicht mehr ganz klar, wer eigentlich Freund oder Feind war. Die Uniformen und Rüstungen machten es an sich vollkommen unmöglich zu erkennen, wer zu Blair und wer zu Laariel gehörte. Nur Gerald konnte eindeutig die Schöpfungen davon trennen. Doch das eigentliche Problem bestand darin, dass der Verräter aus dem Thronsaal verschwunden war. Egal, wie sehr sich der König umsah, er konnte Blair nicht ausmachen und auch in das Kampfgeschehen war er bisher nicht eingetaucht, sah man von den toten Ratsmitgliedern ab. Es gab Geheimgänge, die in Fällen von Belagerungen, Überfällen oder Attentatsanschlägen genutzt werden konnten. Gänge, die in die Kanäle führten, die wiederum zahlreiche Komplexe und Wege nach draußen hatten. Es war ein Kinderspiel für einen König und sogar mit einer Eskorte dort zu fliehen, bevor man seinen Kopf forderte. Nur auserwählte Personen kannten die Geheimgänge, doch nur der König und seine Garde wussten die Wege und hatten Karten von den aufwändigen Verzweigungen dort. Als Ratsmitglied kannte der Verräter die Geheimgänge, doch er konnte nicht wissen, welche Wege er nehmen musste, wenn er entkommen oder an bestimmten Orten rauskommen wollte. Anderseits konnte er die Kanäle schon erforscht haben als er seinen Verrat geplant hatte.

„Geh’!“, rief Gerald und schoss einem Mann direkt zwischen die Schultern, „Finde diesen Idioten, bevor er noch mehr Dummheiten anstellen kann! Ich halte die Stellung hier. Beeilung!“

„In Ordnung! Sei vorsichtig.“

 

Sich durch die Kämpfenden zu drängeln, war nicht unbedingt eine leichte Angelegenheit. Es flogen Schwerter, Pfeile, Äxte und andere scharfe Gegenstände und nicht jeder ausgeführte Schlag wurde mit Bedacht gemacht. Manches Mal wäre Laariel beinahe von seinen eigenen Männern erschlagen wurden! Gerald hatte zwar versucht ihm den Rücken freizuhalten, aber das hatte sich als äußert schwierig herausgestellt. Am Ende hatte der König es doch zu dem geheimen Durchgang hinter dem Thron geschafft, den man öffnen konnte, indem man einen Hebel zog. Durch diverse Zahnräder und anderen Mechaniken, von denen der Herrscher keine Ahnung hatte, wurde dann eine unechte Mauer zur Seite bewegt. Dahinter lag absolute Dunkelheit. Er nahm sich eine der Fackeln und entzündete diese mit Hilfe von etwas Brennöl und von Funken, die er durch Steine erzeugte. Eine Fackel fehlte, also war Blair hier wohl wirklich lang gekommen. Unbehaglich fühlte sich Laariel schon als er alleine in die dunkle Kanalisation stapfte, während oben der Kampf um sein Königreich stattfand. Es fühlte sich etwas so an als sei er ein Feigling, der vor einer Schlacht floh und dann zurückkam, wenn alles vorbei war, um dann den Ruhm zu ernten.

Wahrscheinlich fühlt es sich so an, weil es am Ende genau so sein wird!, dachte er verbittert.

Das Feuer der Fackel spendete ihm kaum Licht. Immer wieder stolperte der König über Steine, Geröll oder einfache Unebenheiten. Ein Mal war er sich sogar sicher, dass er in das Abwasser neben sich stürzen würde, das nicht wirklich angenehm roch und sehr ungesund aussah! Wer auch immer sich diesen Fluchtweg ausgedacht hatte, wollte wohl nicht, dass irgendwer hier freiwillig folgte. Jedenfalls konnte sich Laariel weitaus angenehmere Orte vorstellen. Angefangen mit seinem eigenen Kerker.

Jeder Schritt hallte, genauso wie die Tropfen, die von der Decke auf den Boden fielen. Die Luftfeuchtigkeit war beinahe so schlimm, wie der Gestank, der einem pausenlos in der Nase lag. Doch schlimmer war, dass Blair ihn lange vorher hören würde und ein Überraschungsmoment vollkommen unmöglich war. Natürlich beruhte das auf Gegenseitigkeit. Doch der König wusste, dass der Verräter ihn hören und sich dann verstecken konnte, um ihn schließlich zu überfallen. Das Fackellicht spendete so wenig Licht und es gab so viele Ecken, Kanten, Lücken und andere Möglichkeiten, um sich die Situation zu Nutzen zu machen. Allerdings vermutete er, dass er eh wusste, wo er sein würde. Sofern Blair die Tunnel vorher ausgespäht hatte, dann gab es nur einen Ort, den er darüber anpeilen würde. Aufgeben kam immerhin nicht in Frage, denn dafür hatte das alles zu viele Opfer gefordert und viel zu viele erwarteten, dass er es zu Ende brachte. Also beschleunigte der König seine Schritte und ignorierte den Lärm, den er dabei verursachte, während er immer wieder schwer schluckte, um die Gerüche ausblenden zu können und sich nicht doch noch zu übergeben.

Endlich erreichte er den Ausgang, aber der war nur über eine sehr beunruhigende Leiter erreichbar. Das Holz wirkte vollkommen vermodert und einige der Balken waren auch schon durchgebrochen oder so rissig, dass der Bruch nicht mehr lange auf sich warten ließ. Trotzdem überwand er sich und stieg die Leiter rauf, was nicht unbedingt leicht war. Immer wieder knirschte oder krachte das Holz bedrohlich und ab und an zerbrach es auch direkt unter seinen Füßen. Nur knapp hatte der hellhaarige Herrscher verhindert, dass er in die Tiefe stürzte, indem er sich mit beiden Händen in einen der stabileren Balken geklammert hatte. Als er oben endlich durch das kleine Loch klettern konnte, war er mehr als erleichtert und betete, dass er da nicht wieder runter musste. Schnaubend sah er sich in der kleinen Kammer um. Die Tür zum nächsten Raum stand offen, weshalb es naheliegend war, dass Blair dort war. Sonst war diese Tür nämlich verschlossen.

Der Moment der Wahrheit..., dachte Laariel unruhig, Es wird sich nun also entscheiden, wer am Ende das Königreich erhält. Die Wahrheit wird vom Sieger geschrieben... Du würdest alles tun, damit du die Wahrheit dieses Tages nach deinen Wünschen umformen kannst.

Das schloss einen Königsmord ein, das wusste er. Wenn er also in den Raum kam und sich dem ehemaligen Ratsmitglied stellte, dann mit dem Wissen, dass es vielleicht das letzte Mal war, dass er eine Türschwelle übertrat. Der König atmete tief durch und vertrieb die Angst, die für ein Unwohlsein in seinem Magen sorgte, während er nach der Sense auf seinem Rücken griff, die er abschnallte. Seine Finger umschlossen den Schaft der Waffe so fest, dass ihre Gelenke bereits weiß wurden, aber es half ihm. Ginge es hierbei nur um ihn und nicht um ein ganzes Königreich und zahlreiche Rassen, dann wüsste er nicht, was er getan hätte. Vermutlich wäre er weggelaufen und hätte alles hinter sich gelassen. Vor einigen Wochen hätte er es wohl sogar getan, auch wenn sein Volk darunter leiden würde. Aber er war ein Anderer geworden. Die Gefahr im Nacken und die Dinge, die er in den letzten Tagen erfahren und gelernt hatte, waren in seinem Verstand und hatten sich tief eingebrannt.

Er hatte den Thron niemals gewollt und auch nicht die Verantwortung, die das mit sich brachte. Doch nun war er bereit dafür zu kämpfen, es nicht zu verlieren.

 

Die Waffenkammer war prall gefüllt mit allerlei Waffen für den Nah- und den Fernkampf. Alles war in Holzkisten eingelagert, die man in Regale gestapelt hatte. Schilder markierten hierbei, in welcher Kiste sich welche Dinge befanden und wie viel davon. Entnahm ein Soldat etwas, musste er die Veränderung in das Schild ritzen und es dann noch einem der Quartiermeister melden, die darüber Listen führten. Regelmäßig wurden die Kisten kontrolliert, damit sofort bemerkt wurde, ob mehr Waffen, Pfeile oder Bolzen entwendet wurden waren als die Männer angegeben hatten. War das der Fall, dann musste eine Untersuchung eingeleitet werden. Entweder gab es einen Dieb, der die Materialien auf dem Schwarzmarkt verkaufte oder einen eigenen Mann, der sich daran bereicherte. Es gab auch die Möglichkeit, dass sich irgendwelche Rebellen damit ausrüsteten. Deshalb waren die Standorte der vier Waffenkammern nur auserwählten Personen bekannt und den Soldaten, die die Waffen herausholten. Alle Waffenkammern waren allerdings über die Kanäle erreichbar, damit die Königsgarde sich ausrüsten oder man sich verschanzen konnte. Diese Kammer war dem Palast am Nächsten und war mit Abstand am Besten ausgestattet. Nicht nur durch die Mengen, sondern vor allem auch wegen der Qualität der Waffen, die hier lagerten. Es war naheliegend, dass Blair nach den Waffenkammern gesucht hatte und auch die Verbindungswege ausgespäht hatte, damit er seine eigenen Soldaten ausrüsten konnte.

Trotzdem freute sich Laariel nicht darüber, dass er recht behielt. Blair stand bei den Waffenkisten und hatte drei davon bereits aufgebrochen. Wahrscheinlich würden noch einige seiner Leute hierher kommen und das zu einer vereinbarten Zeit. Sie würden zahlreiche gute Waffen bekommen und diese gegen alle anwenden, die sich wehrten oder nicht akzeptierten, dass der Kha’zak nun der neue König war. So weit durfte Laariel es allerdings nicht kommen lassen!

„Blair!“, rief er, damit der Mann auf ihn aufmerksam wurde, „Hier endet es! Versuche nicht schon wieder abzuhauen, sondern stell’ dich!“

Der Verräter drehte sich mit einem wütenden Blick zu ihm, um dann spöttisch zu lachen: „Der große König kommt also alleine? Sehr mutig! Doch vor allem dumm.“

„Das mag sein, aber wenigstens laufe ich nicht weg.“

Das Lachen verging dem Dunkelhaarigen mit einem Schlag, der es offensichtlich nicht besonders gut fand, dass man ihn indirekt als Feigling bezeichnete. Auch wenn er niemals ein echter Feurer gewesen war, hatte er dennoch die Ausbildung absolviert. Er hatte gelernt, mit einem Schwert und einem Bogen meisterhaft zu kämpfen. Auch er war ein Krieger, so wie Gerald auch einer war und die hatten ihren Stolz.

„Ihr solltet mich wirklich nicht reizen, Euer Majestät.“, knurrte Blair, „Bisher ist Euch das nicht gut bekommen.“

„Schlecht bekommen ist es mir aber auch nicht. Ich lebe und erfreue mich bester Gesundheit!“, spottete der Herrscher, „Noch könnt Ihr es beenden. Lasst ab von diesem Wahnsinn und ich lasse Euch unbehelligt ziehen. Ich werde diesbezüglich Gnade zeigen, aber nur, wenn Ihr es hier und jetzt aufgebt.“

„Nun... Offenbar habe ich mich geirrt.“

„Inwiefern?“

„Ihr seid noch naiver und dümmer als ich gedacht habe!“, lachte der Kha’zak kalt und zog dabei eines der hochwertigen Schwerter aus der Kiste. Ein paar Schläge in die Luft reichten ihm aus, um die Balance zu erproben und zu wissen, dass sie von Länge und Gewicht für ihn passte.

Mehr musste Laariel nicht hören und sehen. Ihre Verhandlungen waren beendet und gescheitert. Deshalb hob er seine Sense und verschloss den Mund. Alles weitere wäre nur eine Verschwendung seiner Kraft. Es überraschte den König nicht, dass der Widersacher als erstes vorpreschte und ihn angriff. Verblendet vom Zorn und seinen Idealen nahm er sich keine Zeit, um nach eventuellen Schwachstellen bei seinem Gegenüber zu suchen, die aber vorhanden waren. So war es leicht, einfach die Waffe quer zu nehmen und im richtigen Moment etwas nach vorne zu schlagen, sodass er den Angriff nicht nur blocken, sondern vor allem parieren konnte. Es brachte Blair ins Straucheln. Laariel hob sofort die Waffe über seinen eigenen Kopf und holte mit viel Schwung aus, doch der Kha’zak fing sich erschreckend schnell und wich dem Angriff aus. Als Blair so zur Seite tänzelte, nutzte er auch den Augenblick und schlug mit der Klinge nach dem König, traf aber nur den stabilen Brustpanzer. Er beulte ein und es zog schmerzhaft, doch der König kam ohne größere Verletzungen davon. Sofort machte der Hellhaarige eine Drehung um die eigene Achse, um zu verhindern, dass er das Schwert von hinten zwischen die Schultern gerammt bekam und schlug direkt die Sense um sich. So verschaffte er sich wieder etwas mehr Luft. Als Laariel erneut mit seiner Zweihandwaffe ausholte und die Luft damit durchschnitt, beugte sich der Kha’zak einfach nach vorne, spürte aber deutlich den Luftzug über sich und wie die Klinge an seinem Körper vorbei rauschte. Dann kam der Verräter wieder hoch und schlug erneut mit seinem Schwert zu. Dieses Mal erwischte er den Oberarm und das rote Lebenselixier verteilte sich spritzend in der Kammer. Der König keuchte, vermied es aber nach der Wunde zu greifen.

„Ihr hättet nicht alleine kommen sollen.“, amüsierte sich Blair, „Gerald hätte vielleicht eine Chance gehabt, aber Ihr? Ihr seid ein lachhafter Gegner.“

Der Schwertkämpfer umkreiste ihn wie eine Katze auf der Pirsch nach einer ahnungslosen Maus, die zwar ahnte, dass eine Gefahr drohte, doch außer Stande war, das Unvermeidliche zu verhindern. Laariel wollte nicht glauben, dass er so weit unter dem Verräter in der Nahrungskette stand und es nicht zu verhindern war, dass er diesen Kampf verlieren würde. Aber er musste zugeben, dass er wirklich im Vorteil war. Schnell, geschickt und die harte Ausbildung hatten aus den jungen Mann einen ausgewogenen und gefährlichen Kämpfer gemacht. Der König selbst hatte viel gesessen und sehr viel die Feder geschwungen, statt seine Sense. Oftmals war er nicht zum Training gekommen... Es wäre wohl wirklich besser gewesen, wenn er den Feurer geschickt hätte, doch der war im Thronsaal in der einzigartigen Lage gewesen, die Schöpfungen zu erkennen und die echten Feinde zu erledigen. Das hätte er wiederum nicht gekonnt.

Jene schwarzen Gedanken schüttelte der Sensenschwinger einfach ab. Selbst wenn er hier heute starb, dann war es immer noch richtig gewesen. Die Schachfiguren waren so verteilt wurden, dass ihre Vorteile vollkommen ausgekostet werden konnten, auch wenn einige davon nicht optimal gesetzt waren. Hier und jetzt war er an der richtigen Position, genauso wie Gerald.

Gerald..., dachte der König mit einem schwachen Lächeln, Mein einziger Freund. Mein einziger Freund ist ein Feurer, der mich immer wieder in Verlegenheit bringt. Doch in Wirklichkeit schreibe nicht ich heute Geschichte und wenn doch, dann auf seinen Schultern. Er hat viel für mich getan... Und das werde ich ihm alles zurückgeben.

Mit diesem Gedanken und etwas mehr Hoffnung, griff der König nun als Erster an. Seine Waffe hielt er dabei sicher in beiden Händen, während sein Verstand die Verletzung einfach ausblendete. Wie von Sinnen schlug der König nach Blair, der seine liebe Mühe und Not hatte, diesen Attacken zu entgehen. Er spürte sogar, wie die scharfe Klinge ihm über den Unterarm und die Wange schlitzte. Feine Blutstropfen quetschten sich aus diesen Schnitten heraus und brannten unangenehm, aber der Kha’zak war Schmerzen gewohnt, die teilweise tausendfach schlimmer gewesen waren. Sein Körper war gezeichnet von Narben der Ausbildung und Kämpfen, die danach gefolgt hatten. Deshalb trieben ihn diese kleineren Verletzungen, die er durch den berserkerhaften Angriffsstil des Königs erhielt, nur noch mehr in Rage und Kampfwut.

Geschickt rollte sich der Verräter unter einen der Hiebe ab und sprang direkt wieder auf die Füße, um dann nach seinem Gegner zu schlagen. Den ersten Angriff konnte Laariel noch mit dem Ende seines Schaftes abwenden, doch der zweite traf ihn direkt in den Oberschenkel. Er keuchte auf und sackte zur Seite weg, doch statt sich den Schmerzen und einer Niederlage zu ergeben, schüttelte der König den Kopf und warf die Schmerzen damit beiseite. Mit einem Kampfschrei auf den Lippen kam er hoch und schlug erneut nach dem Dunkelhaarigen, der das aber vorausgesehen hatte und nicht mal viele Anstrengungen tätigen musste, damit er ausweichen konnte.

Es war für den Herrscher fatal, dass er nun so unkonzentriert wurde und seine Schläge weniger sicher ausgeführt wurden. Langsam aber sicher benebelten die Schmerzen seinen Verstand, während das Blut, das seinen Körper stetig verließ, eine Schwäche bei ihm hinterließ. Er verfluchte es, dass er so oft sein Training versäumt hatte, griff aber seinen Gegner trotzdem weiter an. Blair wich ihm immer wieder mit Leichtigkeit aus und gewann zunehmend an Selbstbewusstsein, aber nicht an ignoranter Arroganz. Jeder Schlag wurde genau abgeschätzt und die Kraftreserven bemessen und als er sicher war, dass der König nicht mehr ausweichen oder kontern konnte, sprang der Kha’zak zur Seite und schlug nach der Wade des anderen Beines. Sofort sackte sein Widersacher zu Boden und ächzte furchtbar unter den Schmerzen, während das Blut aus den Wunden strömte. Nur zur Sicherheit schlug Blair noch nach dem rechten Unterarm, damit dieser erlahmte und ebenso Blut verlor. Manche entwickelten immerhin in Angesicht des Todes Bärenkräfte und mähten ihre Feinde nieder, obwohl sie so schwer verletzt waren. Doch das war nun sehr unwahrscheinlich.

Tiefenentspannt wanderte Blair in die kleine Kammer, um sich eine der Fackeln zu holen, die immer noch munter vor sich her züngelte. Mit einem zufriedenen Grinsen kam er zurück und stellte sich damit über den König, der unbegreifbare Schmerzen erlitt. Das Blut sickerte immer mehr in den harten Boden und malte das Grau rot an, wie ein Schöpfer der weißen Leinwand Farbe verlieh.

„Ich mag kein Feurer sein,...“, begann der Verräter triumphal, „... aber das bedeutet nicht, dass ich nicht dafür sorgen kann, dass Ihr nun brennt, wie eine dieser verdammten Schöpfungen.“

So endet es also..., dachte Laariel und sah, wie der Mann die Fackel losließ. Sie schien in Zeitlupe immer weiter in die Tiefe und damit auf ihn zu zufallen. Viele Soldaten berichteten, dass sie bei einer Nahtoderfahrung ihr Leben vor ihren Augen sahen. Alles, was sie mal getan hatten, jeden Fehler und alles, was gut und richtig in ihrem Leben gewesen war, lief dann vor ihren geistigen Augen ab, aber das konnte der König nicht bestätigen. Er sah die Zukunft und welchen Schrecken seine Herrschaft bringen würde. Die Verfolgung jener Rassen, die in den Augen von Blair kein Existenzrecht hatten und wie Frauen um ihre Kinder weinten, weil sie die falschen Väter gehabt hatten. Aber dennoch bereute er immer noch nicht, dass er den Schritt gewagt und hierher gekommen war. Der Versuch war nicht strafbar sein Volk zu retten und es war nicht falsch, dass er sein Volk so sehr liebte, dass er dafür starb.

Es dauerte zu lange. Eigentlich müsste sich Hitze ausbreiten und ein stechender Schmerz müsste ihn übermannen, während der Qualm ihm das Atmen unmöglich machte. Es fehlte auch der Gestank von verbrannten Fleisch und Stoffen. Obwohl er sich darauf einstellte, kam es nicht. Deshalb blinzelte der Hellhaarige auch gegen die verschwommene Sicht an und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Erst nach einigen Sekunden sah er, dass die Fackel zwar neben ihm auf den Felsboden langsam erlosch, aber nichts an ihm entzündete, während Blair reglos da stand und ihm irgendwas aus Mund und Nase lief. Laariel blinzelte noch drei Mal, dann erkannte er, dass es eine rote Flüssigkeit war und schlussfolgerte, dass es Blut sein musste. Das war überaus verwirrend, aber endlich fiel ihm auch der Mann auf, der hinter dem Verräter stand und nun einfach ein langes Kurzschwert minderer Qualität aus ihm herausriss. Eine Weile stand Blair noch da als konnte er nicht glauben, was passiert war, dann aber sackte er zusammen. Das Leben wich schnell aus seinem Körper und seinen Augen. Mehrere Stichwunden färbten den Rücken des Kha’zaks rot und kurz darauf auch den Boden. Das Blut der beiden Männer vermischte sich und doch waren sie immer noch nicht eins. Weder bei ihren Idealen noch als Personen.

„Euer Majestät?“, hörte er eine unbekannte Stimme verzerrt über sich sprechen, „Hilfe wird bald kommen. Haltet noch etwas durch. Bleibt bei mir!“

Zwar war ihm die Stimme fremd, doch Laariel meinte, dass er die Konturen seines Retters irgendwie kannte. Das helle Haar und die dunklen Augen machten klar, dass er ein Bürger Lichtheims war, doch die blasse Haut war verschmutzt und auch die Haarspitzen wirkten nicht unbedingt gepflegt. Der schmutzige, leicht zerfressene Mantel sprach auch dafür, dass er eher auf der Straße lebte. Der König zwang sich, aber er konnte sich einfach nicht erinnern und den Schmerz, wie auch die Schwäche nicht länger ausblenden. Er wollte etwas sagen, schreien und fluchen, aber bevor er dazu kam, wurde dem hellhaarigen Herrscher ganz Schwarz vor den Augen. So lag er neben der Leiche seines größten Widersachers und seinem eigenen Blut, während ein Fremder über ihn wachte, den er doch zu kennen glaubte. Das Bewusstsein verlor er rasch als ihn immer mehr die Kräfte verließen, dennoch schwor er sich, dass er nicht vor hatte, hier zu sterben.

Das hatten sich viele geschworen, die dann trotzdem ihren Verletzungen auf dem Schlachtfeld erlagen...

Nach all dem Blutvergießen

Es schien offensichtlich gewesen zu sein, was sich im Palast und im nahen Umfeld abgespielt hatte, doch eigentlich hatte es kaum einer mitbekommen. Nur die eingeweihten Personen von Blair und die, die in die Schussbahn geraten waren, konnten Geschichten davon berichten. Doch das taten sie nicht. Es gab zu viele wichtige Persönlichkeiten zu betrauern und zu viele Scherben, die aufgehoben und zusammengefügt werden mussten. Familien hatten ihre Kinder, Ehepartner oder Großeltern verloren. Andere hatte ihr Glaube an eine ungerechte Sache vollkommen aus der Bahn geworfen und sie suchten nach neuer Standfestigkeit. Etwas, woran sie glauben konnten, wie sie zuvor an Blairs Ideale geglaubt hatten. Bei sehr extremen Fällen hatte man sogar Jagd auf die Verräter machen müssen, um die Pläne im Keim zu ersticken und keinen Fanatiker mehr freie Hand zu lassen. Doch all das war im Verborgenen geschehen, damit es niemals mehr wurde als eine Tragödie in einem Buch. Natürlich ließen sich einige Verluste einfach nicht vertuschen, weil sie dafür zu sehr in der Öffentlichkeit gestanden hatten. Darunter waren die drei Ratsmitglieder: Blair, Vera und Wilfried. Auch das Fehlen des Königs blieb nicht lange unbemerkt und die Menschen stellten zahlreiche Fragen, was passiert sei.

Die Wahrheit wurde verschwiegen, denn Gerald und Johannes waren sich einig, dass wenn sie berichteten, dass ein Feurer, der niemals wirklich ein Feurer gewesen war, versucht hatte die Krone zu stürzen, würde eine Hetzjagd losgehen. Dazu kam, dass ein Verräter im eigenen Rat auch nicht das Vertrauen der Bürger weckte, die an diesen glauben wollten und mussten. Deshalb starben all diese armen Seelen und über die Hälfte des Rates, weil einige Attentäter sich in die eigenen Reihen geschmeichelt hatten und in einem günstigen Moment zuschlugen. Es wurde verkündet, dass es unbekannt sei, ob sie von einem anderen Land geschickt wurden waren und wenn ja, von welchem. Rassen wurden auch aus der Sache herausgehalten. Sie vermieden, dem Volk Zunder für eine Panik und Verfolgung zu geben. Aber es brachte ihnen dennoch nicht viel Ruhe und die Fragen wurden immer lauter und bekamen mehr Nachdruck.

Erst nach mehr als zwei Monaten konnte Laariel sich wieder seinem Volk zeigen und bestätigen, dass er den Anschlag überlebt hatte. Der hohe Blutverlust und die tiefen Wunden hatten ihren Tribut gefordert und erst lange Ruhe hatten dafür sorgen können, dass er sich wieder bewegen konnte. Hier und da war mal ein Humpeln zu erkennen, doch in Angesicht dessen, wie schwer Blair ihm zugesetzt hatte, war es gar nichts. Da es ihm aber weitgehend gut ging und man sich nicht um ein frühes Ableben sorgen musste, beruhigte die Lage sich erstaunlich schnell. Es wurde getrauert und Niemand erfuhr, was sich in jenen Tagen wirklich abgespielt hatte. Doch die Veränderungen fielen dafür umso mehr auf! Der König war wieder viel bestrebter, sich seinem Volk zu zeigen und hautnah zu erfahren, was sie beschäftigte. Er kümmerte sich darum, dass jeder Mensch eine Behausung bekam und förderte die Familie, die Verluste erlitten hatten. Der triste Alltag endete und der Rat nahm endlich wieder die Position ein, die er haben sollte: Als Berater nicht als Herrscher. Ihn wieder zu füllen war auch nicht so schwer gewesen, obwohl Laariel den neuen Feurer dieses Mal fünf Mal getestet hatte. Unter anderem auch mit der Hilfe von Gerald. Es war deshalb unwahrscheinlich, dass man sie wieder betrogen hatte.

Johannes hingegen war von seinem Posten zurückgetreten, nachdem sich neue Mitglieder gefunden und diese eingewiesen wurden waren. Natürlich eilte er zur Hilfe, wenn der König nach ihm verlangte, doch ansonsten befand er sich in seinem eigenen Häuschen und kümmerte sich um einen Kräutergarten, der ihm Ruhe spendete. Die Politik hatte zu lange sein Leben bestimmt und ihn zu hart nach außen werden lassen, doch das wollte er nun nicht mehr. Es hatte ihn fast getötet und als Verräter gebrandmarkt. Außerdem wusste er nun, weshalb seine Schwester hatte sterben müssen. Blair hatte den früheren König vergiftet und es wie eine Krankheit aussehen lassen. Und auch wenn er ihn nicht mehr fragen konnte, war Johannes sich dennoch sicher, dass es bei ihr das gleiche Gift war. Als Schöpferin hatte sie vermutlich herausgefunden, dass er ein Betrüger war und um das zu vertuschen, musste sie sterben. Es war nicht fair, doch die große Frage war nun geklärt und er konnte wahr machen, was er sich stets geschworen hatte: Seinen Posten aufgeben und Ruhe finden.

 

„Geht es dir gut?“, fragte Laariel liebevoll.

„Ja.“, erwiderte Gwen und streichelte über ihren kugelrunden Bauch, „Wenn du da bist, geht es uns immer gut. Unser Baby freut sich dann, wenn er Papis Stimme hört und ich weiß, dass ich in Sicherheit bin.“

Der König lächelte als er näher an seine Ehefrau herantrat, um zärtlich über den Bauch zu streicheln, in dem ein kleines Wunder heranwuchs. Es waren nun fünfzehn Jahre seit dem Verrat von Blair vergangen und acht Jahre seit er diese wunderbare Frau geheiratet hatte. Nicht nur, weil sie ihm das Leben gerettet hatte und sie ihm so erst richtig aufgefallen war, sondern weil er sich seither oft mit ihr getroffen hatte. Die Schöpferin war eine kluge, witzige und selbstbewusste Frau, die für ihn stets gute Ratschläge gehabt hatte, doch auch einfach nur seinen Sorgen zuhörte, wenn er das wünschte. Irgendwann war aus der subtilen Freundschaft eine intensive Liebe entstanden und aus dieser Liebe entstammte nun auch ihr runder Bauch, der sie nur noch schöner machte. Als er Gerald von ihrer Schwangerschaft berichtet hatte, wirkte dieser vollkommen fassungslos als sei es unmöglich, dass Gwen ein Kind austrug. Dann aber hatte er gelacht und etwas davon gesagt, dass in Papier eben doch mehr steckte als man dachte. Verstanden hatte Laariel das nicht und der Feurer ihn nicht über seine Herkunft aufgeklärt. Es war besser so. Und vermutlich war es auch gut, dass es dieses Mal ganz offiziell einen Erben gab, der auf natürliche Weise geboren wurde.

„Ist es wirklich nicht schlimm für dich, dass du nicht mehr im Rat sein kannst?“

„Wieso sollte es schlimm sein?“, fragte die Silberhaarige lächelnd, „Stattdessen bin ich Königin und bald sogar Mutter. Mehr hatte ich niemals zu melden als jetzt.“

Der König lachte über diese erfreuliche Einstellung: „Da hast du recht. Nun herrscht du über ein ganzes Königreich und über mein Herz, meine Königin. Mehr habe ich mir niemals zu hoffen gewagt.“

„Wie geht es Gerald so?“

„Ich weiß nicht.“, gestand Laariel, „Er hat sich eine Zeit nicht gemeldet. Seit er vor vierzehn Jahren Lichtstein verließ und sozusagen seinen Beruf an den Nagel hing, ist er immer viel beschäftigt. Aber er hatte versprochen, dass er uns besuchen kommt, sobald unser Kind da ist.“

„Ich freue mich schon darauf. Dann bist du etwas beschäftigt und ich habe mal meine Ruhe.“

„Wie nett“, amüsierte er sich, fühlte sich aber nicht angegriffen.

 

„Gerald!“, hallte es durch ein kleines Wäldchen abseits von allen möglichen Dörfern und Städten. Die erreichte man dennoch recht einfach, wenn man es wollte. Die Strömung eines Flusses konnte einen mit der Hilfe eines Floßes direkt zu einem Dorf bringen oder man bewegte sich etwas abseits des Waldes und nahm dann eine Straße zu einer Hauptstadt. So kam man leicht an Medikamente oder Materialien, die man weder im Wald finden noch anders erbeuten konnte. Davon abgesehen war man wunderbar mit Wild, Kräutern, Wasser und seliger Ruhe versorgt. Sah man von diesem kreischenden Weib ab!

Der Feurer schulterte drei Kaninchen, die ihm gerade in die Falle getappt waren und griff mit der freien Hand nach dem Korb, in dem er frische Pilze hatte und einige Kräuter. Es hatte nicht allzu lange gedauert das alles zu besorgen, aber es würde ein Festmahl ergeben, wenn es erstmal mühevoll zubereitet wurden war. Wieder hallte sein Name durch den Wald, aber der Dunkelhaarige hetzte sich nicht, sondern fand den Rückweg in einem normalen Tempo und ohne Komplikationen. Inzwischen lebte er lange genug hier, damit er auswendig den Weg fand.

An der Tür seiner kleinen, aber schönen Hüte stand die schreiende Frau. Ihre gebräunte Haut, das dunkle Haar und das puppenhafte Gesicht mit den braunen Augen, stellten einen extremen Kontrast zu ihrer Herkunft als Schöpferin dar. Die waren normalerweise das Ebenbild eines Lichtheimers mit den hellen Haaren, der blassen Haut und den dunklen Augen. Ihr Haar war inzwischen wieder gewachsen, ebenso wie ihr Drang, ihn zu maßregeln. Ernsthaft stören, tat es ihn nicht.

„Du hast nach mir geschrieen, wunderschöne Cynthra?“, fragte er etwas spöttisch und warf die gesammelten Lebensmittel auf einen kleinen Holztisch, den sie draußen stehen hatten. Eine Schöpfung von Cynthra, die ihre Fertigkeiten stark erweitert hatte und wohl noch in Zukunft erweitern würde.

„Wo warst du so lange?“, fragte sie gereizt, „Die Kinder haben mich permanent nach dir gefragt. Angeblich hast du ihnen versprochen, dass du ihnen zeigst, wie man Hasen ausnimmt. Stimmt das?“

„Sie hatten so gequengelt.“

Gerald musste nicht aufblicken, damit er wusste, dass die Dunkelhaarige ihn gerade mehr als tadelnd anblickte. Ihr Sohn und ihre Tochter wuchsen recht behütet auf und wenn es nach seiner Frau ging, dann würden sie niemals Blut zu Gesicht bekommen. Auch nicht das von Tieren, die sie essen sollten.

„Wenn sie sehen und riechen, wie eklig das Ganze ist, dann werden sie nicht mehr deshalb nerven.“, erklärte der Feurer also lächelnd, „Es wird ihnen vergehen und sie widmen sich wieder ihren anderen Spielereien. Vielleicht muss ich danach sogar weniger auf die Jagd, weil ihnen Fleisch Unbehagen bereitet... Dadurch wäre ich mehr hier.“

Sofort entspannte sich Cynthras Gesicht wieder. Wenn sie eine Sache mochte, dann wenn man gewitzte Pläne hatte und mit Hinterlist Menschen dazu bewegte, am Ende doch das zu tun und zu wollen, was man selber sich vorstellte. Es war nicht so, dass sie ihre Kinder unterdrücken wollte, aber gewisse Dinge gefielen ihr dennoch nicht. Die Schöpferin selbst aß nicht viel Fleisch und bevorzugte es, wenn Gerald möglichst viel bei ihr war. So vereinigte er also mehrere Dinge auf ein Mal in dieser Sache.

Deshalb drehte sich die junge Frau auch direkt um: „Kinder! Euer Papi ist da und will euch nun zeigen, wie man Kaninchen ausnimmt!“

Voller Freude stürmten die Beiden heraus und sprangen und hüpften um ihren Vater herum. Ihre großen Augen strahlten. Ihre Tochter hatte die Augen des Feurers in einem schönen Blau, während der Junge ein hübsches Braun aufwies. Beide waren recht stark gebräunt und hatten dunkle Haare, wobei ihr Töchterchen einige Sommersprossen aufwies. Sie waren seine beiden Traumkinder und anders wollte er sie auch nicht.

Gerald kam sich zwar etwas fies vor als er sich mit seinen Schützlingen an den Tisch setzte, um sich von seiner Frau die Messer bringen zu lassen, aber am Ende würde ihnen die Lust nach Blut und Innereien vergehen, was alle Beteiligten sehr erleichtern würde. Außerdem würden sie so etwas dann auch nicht ansprechen, wenn sie in einigen Wochen den Palast besuchten, um das Kind seines besten Freundes zu begutachten. Zumindest erschien es dem Feurer nicht als ein sehr angemessenes Thema...

Das alles war eigentlich niemals sein Traum gewesen, doch es war zu seinem geworden als er nach einigen Hin und Her die Schöpferin gefunden hatte. Ihr Traum war schließlich zu seinem geworden und bisher bereute er es an keinem einzigen Tag.



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