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Erinnerst du dich?

von

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Kapitel 6

Einige Tage nach dem „Unfall“ bat Gilbert mich um eine Privataudienz. Ich grinste. Dass er mir gesagt hatte, ich sei nicht in der Lage an einem Krieg teilzunehmen, würde ich ihm reichlich heimzahlen. Also ließ ich ihn erst einmal stundenlang in seinem Zimmer warten bis ich meinen Haushofmeister bat, ihn passieren zu lassen.
 

Wie ich bereits vermutet hatte, war er unglaublich wütend, als er den Essenssaal betrat, doch es gelang mir, ihn mit einem scheinheiligen Lächeln zu beruhigen.
 

„Oh, Preußen, schön, dass du da bist. Ich habe mich schon gefragt, warum du so lange gebraucht hast. Bitte setz dich doch.“
 

„Du hast mich bis Mittag in meinem Zimmer versauern lassen, ohne dass du etwas zu tun gehabt hättest! Den Awesome lässt man nicht warten!“, schrie er mich an und blieb an der anderen Seite des Tisches stehen.
 

„Was soll das heißen, ich hatte nichts zu tun? Ich hab tausend Verpflichtungen, um die ich mich Tag für Tag kümmern muss, also sei nicht so ein Blödmann und sag mir, was du von mir willst, ich hab's eilig“, log ich. Natürlich hatte ich nichts zu tun, schließlich war es der Tag des Herrn und ich hatte meine Pflichten beiseite gelegt, um mich mit Leib und Seele der Kirche widmen zu können.
 

Doch das konnte er nicht wissen, was das Lustigste an der Sache war.
 

„Spanien hat mit mir gesprochen.“
 

Und diese fünf Worten ließen meine Ernsthaftigkeit im Nu verschwinden. Als die Erinnerungen an den „Unfall“ wieder hochkamen, wurde ich angespannt, ich merkte wie mein Puls immer weiter anstieg, spürte wie sich ein Feuer in meinem Bauch entfachte und zur gleichen Zeit wie meine Kehle vor Angst zufror als ich daran dachte, dass Spanien ihm … etwas davon erzählt haben könnte. „Antonio, du idiotischer Bastard, worüber hast du mit Gilbert gesprochen? Ich schwöre, ich bring dich um.“
 

„Er hat mich davon überzeugt, mir beim Kampf gegen Österreich von dir helfen zu lassen“, ergänzte er, was mich wieder aufatmen ließ. Beim Gedanken, dass er ihm etwas von den Geschehnissen erzählt haben könnte, hätte ich fast einen Herzinfarkt bekommen. „Also mache ich eine Ausnahme für meinen guten Freund Antonio, auch wenn ein Awesome niemals seine Worte zurücknimmt. Das heißt, du kannst helfen, mit allem Drum und Dran.“
 

Langsam nickte ich und versuchte, mich wieder zu entspannen.
 

„Also erledige ganz schnell das, was du zu tun hast, weil ich morgen nämlich wieder in mein Land zurückfahre und du mit mir mitkommst. Ist das klar? Rüste deine Armee damit ich weiß, dass sie mehr als bereit ist.“
 

„Natürlich.“
 

Ohne sich zu verabschieden, verließ Preußen den Raum und ließ mich mit meinen Gedanken alleine. Ich lehnte mich mit geschlossenen Augen auf meinem Stuhl zurück. Auf einmal fiel mir wieder ein, dass dies derselbe Stuhl war, auf dem Frankreich mich beinahe … und von wo aus ich Antonio zu meiner Rettung kommen sah. „Alles in Ordnung?“, hatte er mich gefragt und ich konnte nichts Anderes tun, als zu zittern und mich wie ein Verlierer an ihn zu klammern. Wie armselig. Und dann … dann … hatte er mich …
 

„Geküsst.“ Bei der Erinnerung daran strich ich mir sanft über die Lippen und mir fielen all die Gefühle wieder ein, die ich damals verspürt hatte: Nervösität, Verwirrung … und Hitze. Mein Körper hatte gezittert und mein Herz geklopft wie ein durchgegangenes Pferd, ich glaubte, in dem Moment, vor Glück zu sterben und doch konnte ich mich nicht von ihm lösen. Von seinen Lippen, seiner Umarmung, seinen Haaren, seiner Zunge, die meinen Mund in Beschlag nahm, so als ob er ihn sein Leben lang kennen würde und damit bisher unbekannte Emotionen in mir hervorrief, die …
 

Nein. Es war nicht richtig. Ich hatte schon die ganze Zeit gewusst, dass meine Gefühle für ihn nicht normal waren. Man durfte keinen Mann lieben, es war gegen die Anordnungen der Kirche, gegen Gott. „Seid fruchtbar und mehret euch“, war sein Befehl gewesen. Außerdem war das alles fürchterlich und abstoßend, nein, das durfte nicht sein, egal wie weh es tat und ,verdammt, tat das weh …
 

Obwohl Gott aber auch gesagt hatte: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“, wie mir plötzlich einfiel.
 

Verwirrt machte ich mich auf den Weg in die Schlosskapelle. Mit Vater Stefano konnte ich nicht darüber sprechen, da dieser nur auf eine Ausrede wartete, um den ganzen Vatikan gegen mich aufzuhetzen. Also kniete ich mich vor dem Kreuz hin und betete mit Tränen der Hilflosigkeit:
 

„Vergib mir Vater, ich habe gesündigt“, dachte ich wie wenn ich mich an einen Priester wenden würde. „Jahrhundertelang habe ich einen Mann geliebt und ihn geküsst. Ich erlag dem Verlangen, doch ich bereue es, ich bereue, ich bereue es … Meine Seele ist verdorben, schmutzig, zerrissen, aber Herr, gewähre mir ein kleines bisschen Frieden von meinem Kummer, einen Hauch Deiner Gnade, um meine Zweifel zu zerstreuen. Verleih mir die Ruhe und die Gelassenheit, die ich benötige.“
 

Ich betete und betete bis meine Kehle ausgetrocknet war und meine Knie bluteten, doch als ich mich erhob, fühlte ich mich schon ein wenig besser. Und obwohl der Kummer verschwunden war, wusste ich, dass ich nicht aufhören würde, ihn zu lieben.
 

Doch ich konnte es heimlich tun. Schließlich war es genau das, was ich mein Leben lang gemacht hatte.
 

~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ *
 

Ich erwachte verängstigt, verwirrt und mir war schwindelig. Nicht einmal die Augen wollte ich öffnen, oder mich herumdrehen, um zu sehen, ob ich es nicht noch einmal schaffen könnte, einzuschlafen. Ich hatte keine Lust mehr, so zu leiden, indem ich in einer einzigen Nacht jeden Moment meines Lebens durchlebte. Es wäre besser gewesen, mehrere Tage hintereinander in einem tiefen Schlaf zu verbringen und sich an alles auf einmal zu erinnern, verdammt. Genauso wenig wollte ich, dass die Nationen glaubten, sie hätten das Recht, zu mir nach Hause zu kommen, in meine Privatsphäre einzudringen und mein Leben ohne jedes Schamgefühl öffentlich darzulegen, es zu zerschneiden wie ein Stück Fleisch. Ich hasste diese Situation. Ich hasste alles, was mit dieser ganzen Geschichte zu tun hatte. Und vor allem hasste ich es, dass meine selbsternannten „Freunde“ mit etwas überaus Wichtiges verheimlichten.
 

„Sogar Antonio ...“
 

Der Stachel, den ich in meiner Brust spürte, fing erneut an, mein Herz zu durchbohren. Allein die Erinnerung an seinen Kuss rief bei mir eine Gänsehaut und ein Kitzeln im Bauchbereich hervor, doch gleichzeitig war mir so, als ob meine gesamte Welt auf dem Kopf stehen würde. Alles, woran ich Zeit meines Lebens geglaubt hatte, war in sich zusammengestürzt als ich ihn kennenlernte, als ich in seine grünen Augen geblickt, mit ihm gesprochen, ihn berührt, umarmt, geküsst hatte … Ich hätte mich besser in ein schönes Mädchen aus gutem Hause verlieben und mit ihr die Zeit, die uns gewährt gewesen wäre, teilen sollen. Als ich Belgien kennenlernte, dachte ich, sie wäre dieses Mädchen: sie war wunderschön, nett, bescheiden und ehrlich und hatte ein blütenweißes Lächeln, das den ganzen Raum erleuchtete. Ich redete mir ein, dass wenn ich noch ein wenig wachsen würde, sie sich Hals über Kopf in mich verliebt und wir unsere Ewigkeit zusammen verbringen könnten. Aber nein. Ich musste mich ja ausgerechnet in diesen Typen mit den grünen Augen verlieben, den ich beinahe schon zu hassen begann, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte und der mich vor jeder einzelnen Nation beschützt hatte, der es in den Sinn kam, von mir profitieren zu wollen. Jahrhundertelang hatte er mich ertragen, hatte versucht, all meine Zweifel zu zerstreuen und hatte alle meine Launen gebilligt, egal wie unbedeutend sie waren. Und außerdem hatte er mich geküsst.
 

Zähneknirschend musste ich mir eingestehen, dass ich bis über beide Ohren in ihn verliebt war, auch wenn es gegen das Gesetz Gottes, gegen die Bibel und gegen die Heilige Katholische Kirche verstieß.
 

Und soweit ich wusste, schien auch er in mich verliebt zu sein.
 

„Was verbirgst du also vor mir, Antonio? Was ist das für eine Sache, die ich nicht erfahren soll?“, dachte ich als ich das Bett verließ und das Erstbeste anzog, was ich fand, das sich als ein kurzärmeliges T-Shirt und ein Paar blaue Hosen herausstellte. Ausnahmsweise war mir mein Aussehen völlig egal, mein Hirn war zu Brei zermanscht und meine Nerven am Boden. Würde ich jemals wieder zur Normalität zurückkehren?
 

Barfuß (warum nochmal wollte ich damals meine Seele für ein Paar Armani-Schuhe verkaufen?) ging ich desorientiert den Flur entlang mit einer fixen Idee im Kopf: „Capucchino, Capucchino, ein Königreich für einen Capucchino ...“ bis ich ein paar Stimmen vernahm, die aus der Küche kamen.
 

„Quoi? Kannst du das nochmal wiederholen, Antoine?“
 

„Ich hab dir doch schon tausend Mal gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst.“ Ein Seufzen drang an mein Gehör. „Aber es stimmt … gestern haben wir uns unterhalten … und ich hab ihn geküsst … Ay! Das hat wehgetan.“
 

„Das hast du verdient, weil du so ein Idiot bist“, murrte Gilbert. „Nach all der Mühe, die es dich gekostet hat, das Ganze zu vergessen, stehen wir jetzt wieder ganz am Anfang.“
 

„Gestern war ich zwei Stunden lang damit beschäftigt, alles abzusagen“, schnauzte Francis ihn an, der sich irgendwo in der Nähe der Tür befand. „Zwei Stunden. Und was jetzt? Soll ich sie erneut anrufen?“
 

„Nein.“ Jemand schlug mit der Faust auf den Tisch. „Er hat eine Entscheidung getroffen und ich muss sie akzeptieren, egal wie weh es tut. Das gestern war nur ein Ausrutscher.“ Und wieder machte sich der Stachel bemerkbar. „Wir müssen das was geschehen ist vergessen. Ich muss mit der ganzen Sache so schnell wie möglich fertig werden, das Ganze bringt mich noch um ...“
 

Ich schluckte. Entscheidung? Was für eine Entscheidung? Wovon, zur Hölle, redeten sie da? Verdammt, warum sagte mir Niemand etwas?
 

Stinksauer betrat ich die Küche, was die drei selbstverständlich sofort verstummen ließ, nahm mir die Kaffeekanne und schenkte mir eine Tasse Kaffee ein, der abscheulich schmeckte (sicher war es Gilbert, der ihn gekocht hatte).
 

„Scheiße, was guckt ihr so? Ihr tut so, als hättet ihr einen Geist gesehen.“ Ich schüttete den Kaffee in die Spüle und eilte zum Sofa, auf das ich mich mit verschränkten Armen fallen ließ. „Will heute denn Keiner kommen, um mir was zu erzählen?“, schrie ich, damit das Idiotentrio es auch mitbekam.
 

Plötzlich hörte ich, wie sich eine Tür sehr langsam öffnete.
 

„Ve, Fratello, nicht so laut, ich will noch schlafen“, sagte mein Bruder während er sich streckte. Er trug nichts weiter als ein Hemd … tausend Mal größer als die, die er sonst trug.
 

„Feliciano.“ Mit sehr ernstem Gesicht stand ich auf. Es war erst 11 Uhr vormittags, doch ich war bereits jetzt schon sicher, dass dieser Tag nicht schlimmer kommen konnte. „Wem gehört dieses Hemd und wieso hast du es an?“
 

Als Feliciano sah wie wütend ich war, wich er einen Schritt zurück.
 

„Es … es gehört Niemandem. Es lag in meinem Schrank und ich hab's angezogen“, stotterte er, unauffällig die Tür zu seinem Schlafzimmer schließend.
 

„Darf ich reingehen, Feli?“, fragte ich und ohne eine Antwort abzuwarten, warf ich mich gegen die Tür und nahm den Türknauf.
 

„Nein, nicht!“, schrie er und packte mich am Handgelenk. „Antonio, Hilfe!“
 

„Hör auf, um Hilfe zu bitten, Feli, das geht die anderen nichts an.“ Ich mühte mich noch ein wenig weiter mit der Tür ab, bis ich spürte wie sanfte Hände meine Hüfte liebkosten.
 

„Lovi, hör auf“, flüsterte mir Antonio ins Ohr. Als ich seinen warmen Atem spürte, hielt ich inne, aber … wieso tat ich das, nur weil er es mir sagte? Immer wenn sein Körper so nah war, hatte ich keine Kontrolle mehr über mich.
 

„Lass mich los, du Bastard.“ Mit ein paar Schlägen zwang ich ihn, sich zu entfernen. Falls dieser blonde Riese mein Brüderchen ausgenutzt haben sollte, dann musste er dafür büßen. „Komm da raus, wenn du ein Mann bist, Deutschland! Komm raus und lasgg mich … veerg!“ Nein, ich hatte keinen Schlaganfall erlitten, es war Antonio, der mir den Mund zuhielt. Konnte mich denn Niemand auch nur für eine Minute in Ruhe lassen?
 

Und das war noch nicht alles, die beiden anderen Idioten hatten die Küche verlassen und nun waren sie alle zusammen dabei, mich nach hinten zu schieben.Mehr als bereit, mir den Kartoffelmacho (Ha, endlich erinnerte ich mich an den Spitznamen, den ich ihm gab) vorzuknöpfen, wehrte ich mich nach Leibeskräften, doch es war nicht genug. Und als ich endlich freikam, fielen wir natürlich alle lärmend zu Boden. Ich war kurz davor, mit dem Kopf an dem Holzboden aufzuschlagen, doch Antonio fing mich im letzten Moment auf und umarmte mich, damit ich mich nicht verletzte. Nach einem Moment der Verwirrung als ich das Gewicht meines Bruders auf mir spürte und von mehreren Leuten Wehklagen hörte, öffnete ich die Augen, die seinen grünen begegneten. Beschämt stieß er ein Kichern aus. Ich wendete den Blick ab und …
 

Die Haustür ging auf.
 

„Oh. Mein. Gott. Rod, her mit der Kamera, aber sofort.“ Ich hob den Kopf, um mir die gerade Eingetroffenen anzusehen, doch das Sofa versperrte mir die Sicht. „Sowas sieht man nicht alle Tage, was für ein Glück! Du wirst schon sehen, wenn ich das Japan erzähle.“
 

„D-Das ist nicht das … wonach es aussieht“, vernahm ich Gilberts Stimme, gedämpft von den ganzen Körpern, die auf ihm lagen.
 

„Du enttäuschst mich, Gilbert.“ Obwohl Antonio mich im Arm hielt und wärmte, lief mir ein Schauder über den Rücken als ich diese Stimme hörte. Sie war so kalt wie Eis. „Ein Kavallier macht so etwas nicht.“
 

„Halt's Maul, Roderich“, zischte Gilbert als er sich mit Mühe und Not aus unserer Pyramide aus Körpern befreite.
 

Mein Bruder zupfte sich das Hemd zurecht („Nicht nach unten sehen, was auch immer passiert, Lovino, schau nicht nach unten“) und half mir beim Aufstehen. Ohne Antonio anzusehen, der ein wenig von der Idee abneigt war, mich loszulassen, besah ich mir die, die gerade gekommen waren: sie waren zu zweit, ein Mann und eine Frau. Sie war von kleinem Wuchs, hatte sehr langes lockiges Haar und schaute sehnsüchtig in eine Tüte, die sie über der Schulter trug. Der Mann war … wie soll ich das erklären … eine Salzsäule. Leblos. Starr. Als er uns ansah, blitzte ein Hauch von Missbilligung in seinen veilchenblauen Augen. Er hob eine Hand an sein schwarzes Haar und kämmte es mit der Eleganz einer Katze.
 

„Halt, aber warum steht ihr denn auf?“, wollte die Frau wissen als sie endlich die besagte Kamera herausgeholt hatte. „Das sollte ein Teil der Sammlung meiner wertvollsten Schätze werden.“
 

„Sie ist Ungarn, Lovino“, sagte Antonio mit einem meiner Meinung nach etwas gezwungenem Lächeln. „Du kannst sie auch Elisabeth nennen.“
 

„Oh, das stimmt!“ Sie steckte die Kamera wieder in die Tüte und mit ein paar Schritten, die mir wie die einer Ballerina vorkamen, stellte sie sich mit mir auf Augenhöhe und fasste mich an den Wangen. „Der kleine Lovi-Love erinnert sich an gar nichts, mein armer Junge. Wenigstens ist Tonio da, um dir zu helfen, nicht wahr? Was wärst du nur ohne ihn.“ Sie kneifte mir so fest die Wangen, dass sie rot wurden (Oh nein, das war nicht wegen ihrer Bemerkung über Antonio!). Murrend löste ich mich von ihr und wich zurück. Dieser Tag würde sich als extrem schlecht erweisen. „Schau, Lovi, mein Schatz, das ist Roderich. Er ist Österreich. Liebling, sag Hallo zu Romano.“
 

Mit einer kleinen Berührung seiner Finger rückte Österreich sich die Brille zurecht, verschränkte die Arme hinter seinem Rücken, kam langsam auf mich zu und gab mir die Hand ohne auch nur ein Wort zu sagen.
 

„Romano“, sprach sie weiter während sie mir das Hemd ein wenig richtete. „Könntest du uns etwas zu essen machen? Wir waren die ganze Nacht unterwegs und sterben vor Hunger. Komm schon, bitte, wir haben nämlich Hunger ...“
 

Ohne viel Lust, etwas zu kochen, begab ich mich in die Küche, um ein paar Thunfisch-Tomaten-Sandwiches zuzubereiten, ohne den Blick von meinen hochverehrten Gästen abzuwenden. (Wann, lieber Gott, wann hören diese Nationen endlich auf, hierherzukommen und über mein Leben zu tratschen?).
 

„Soll ich dir helfen?“, hörte ich Spanien hinter meinem Rücken sagen.
 

Ihn erneut so nah bei mir zu haben, war das Letzte, was ich wollte, also schüttelte ich den Kopf und beobachtete weiter die Anderen. Gilbert hatte sich neben Elisabeth gesetzt und davon angefangen, wie awesome er und wie fantastisch sein Leben war. Das Mädchen fing umgehend an, sich zu langweilen und befahl ihm, die Klappe zu halten als sie sich in die Arme ihrer Freundes fallen ließ, der sie mit einem Lächeln empfing, doch … irgendetwas war komisch. Warum hörte Roderich nicht auch nur für eine Sekunde auf, Gilbert anzustarren?
 

„Seltsam ...“, kommentierte ich mit leiser Stimme, ohne mich zurückhalten zu können.
 

Antonio lachte. Ohne auf mich zu hören, schnitt er ein paar Tomaten und half mir bei der Zubereitung der Sandwiches.
 

„Ja … es ist eine heikle Lage. Frag lieber nicht.“ Er nahm mir das Messer ab und machte die Arbeit zu Ende, wobei er mich ein wenig verwirrt dastehen ließ.
 

„Wieso? Was ist zwischen ihnen los?“
 

Antonio seufzte und flüsterte so leise, dass ich Mühe hatte, es mitzubekommen.
 

„Ich sage es mal so, Gilbert ist in Elisabeth verliebt, Eli in Roderich und Rod … in Gilbert.“
 

Ich blinzelte einige Male in dem Versuch, das gerade Gehörte zu verdauen.
 

„Es ist also … so eine Art Dreiecksbeziehung ...“ Als ich mir die Protagonisten der schlechtesten Liebesgeschichte, die ich jemals gehört hatte, ansah, verstand ich es endlich.
 

„Ja. Sie tauschen ab und zu ihre Partner untereinander aus … ein guter Kompromiss, wenn man so darüber nachdenkt.“
 

„Ich finde es schrecklich“, sagte ich während ich Österreich beobachtete. „Obwohl diese Liebe an sich schon schrecklich ist, aber so haben sie es sich nun mal ausgesucht.“
 

Ich nahm die Sandwiches und stellte sie, ohne zurückzublicken, auf den Couchtisch. Dann setzte ich mich neben Gilbert, der mit allen Mitteln versuchte, die Szene, die sich vor seinen Augen auftat, zu ignorieren: Elisabeth, die auf Roderichs Schoß saß und ihm ein belegtes Brötchen reichte.
 

„Und?“, fragte ich als ich merkte, dass Keiner etwas sagte.
 

„Was, und?“ Österreich sah verärgert aus, weil wir wohl seine Luft atmeten oder so etwas in der Art.
 

„Seid ihr nicht hierhergekommen, um mir etwas zu erzählen?“
 

„Doch, aber dazu benötigen wir noch Felicia-… aber was rede ich denn da! Wir brauchen Niemanden mehr, wenn der Awesome schon da ist!“
 

„Feliciano! Wie konnte ich ihn nur vergessen?“ Hastig stand ich auf, doch Preußen packte mich am T-Shirt und zwang mich, mich wieder hinzusetzen. „Das wirst du mir büßen, Gilbert. Und du auch, Feli!“, schrie ich, damit mein Bruder mich hörte.
 

„Gut, wir sollten anfangen, meint ihr nicht auch?“, sagte Österreich in einem schneidernden Tonfall.
 

Großer Gott, was für ein hochnäsiger Typ.
 

„Alles klar, Romano … erinnerst du dich endlich daran, wie ich dir die Erlaubnis gab, an meinem Krieg gegen diesen Idioten Österreich teilzunehmen?“
 

„Ein wenig Respekt, Gilbert“, murmelte dieser.
 

„Ja, es ist mir wieder eingefallen.“ Erlaubnis, also na ja, er war wohl eher verzweifelt, mich in seinen Reihen zu finden, soweit ich wusste.
 

„Also gut, das, was ich dir jetzt erzählen werde, geschah am darauffolgenden Tag ...“
 

„Am darauffolgenden Tag?“
 

„Oh Gott, so kommen wir nie im Leben zu einem Ende“, dachte ich während ich es mir mit verdrehten Augen auf dem Sofa gemütlich machte. „Warum beschleunigst du die Geschichte nicht ein wenig? Ich will das Ganze heute abschließen.“
 

„Das wird nicht möglich sein“, verkündete Preußen, so als wäre es die beste Nachricht von der Welt. „Am darauffolgenden Tag, als wir zu meinen awesomen Schloss aufbrechen wollten, erschienst du ganz ohne Gepäck, sondern nur mit vier Briefen in der Hand, die an dich gerichtet waren …“
 

„Hast du etwa dein Tagebuch nicht dabei?“, bemerkte ich.
 

„Nein, diesmal nicht. Ich erinnere mich sehr gut an alles …
 

„Was hast du da?“, fragte ich und sah mir die Papiere an, die du mir reichtest.
 

„Vier Briefe von meinen vier besten Männern, die in ganz Europa verstreut sind.“
 

„Was? Du betreibst Spionage? Moment mal … hast du auch in meinem Land Spione?“
 

„Diese vier Männer haben mich darüber informiert, dass ich überall Feinde habe: Russland, England, Portugal, Griechenland“, erzähltest du weiter ohne meine Fragen zu beantworten. „Jedes Einzige von diesen Ländern ist gerade dabei, eine Armee aufzubauen, um meine Nation anzugreifen und zu zerstören. Keine Ahnung, wozu ich mich von Spanien getrennt hab, wo jetzt ganz Europa ein Stückchen von mir haben will.“ Du zerknülltest die Briefe in deiner Faust und übergabst sie mir. „Wie du sicher verstehen wirst, kann ich nicht mit dir mitkommen. Ich muss mein Land verteidigen.“
 

„Aber wie willst du es verteidigen?“, warf ich ein als ich mir die Briefe durchsah. „Wenn mehr als 20.000 Engländer kommen, 30.000 Griechen ….und 50.000 Russen! Du kannst dein Land nicht alleine beschützen, das ist schier unmöglich.“
 

„Und was dann, Gilbert? Was kann ich sonst tun? Einfach so zusehen, wie alles verschwindet, wofür ich gekämpft hab, ohne zurückzuschlagen, ohne mein Land zu verteidigen? Nein, ich bleibe hier. Wenn ich tausend Verträge unterzeichnen und tausend Gefälligkeiten tun muss, um meine Unabhängigkeit beizubehalten, dann werde ich es tun.“
 

„Wärst du sogar bereit, Frankreich um Hilfe zu bitten?“
 

Du zittertest ein wenig und verzogst das Gesicht, doch als du mir antwortetest, war dein Blick voller Entschlossenheit:
 

„Wenn mir nichts Anderes übrigbleibt, als zu Frankreich zu gehen, dann mach ich es.“
 

Als ich sah, wie ernsthaft du trotz deines jungen Alters warst, lachte ich, gab dir die Briefe zurück und führte dich zurück ins Schloss.
 

„Sei nicht so dramatisch, das ist gar nicht awesome. Komm, trockne deine Tränen ...“
 

„Ich heule nicht!“
 

„ … und geh wieder rein, um dir einen Plan auszudenken. Es wird sicher eine Lösung geben. Und dann erzählst du mir, was passiert ist. Geh mit Gott.“
 

„Was? Du gehst?“, fragtest du als du von mir ins Schlossinnere geschleift wurdest.
 

„Natürlich gehe ich, ich muss noch Vieles vorbereiten und kann es mir nicht leisten, meiner Nation länger als nötig fernzubleiben.“
 

„Also war es eine Lüge, dass ein Awesome seine Worte niemals zurücknimmt. Wie tief du doch gesunken bist.“
 

„Hör auf mich zu erpressen, Kleiner. Obwohl du viel älter bist als ich, hab ich mehr Erfahrung im Umgang mit dem Schwert. Ich kann dir in weniger als einem Herzschlag einen Schnitt von der einen zur anderen Seite verpassen. Willst du dich davon überzeugen?“
 

„Feigling.“
 

Wie alle hier im Raum Versammtelten es sicher wissen, hat es noch Keiner jemals gewagt, mich Feigling zu nennen. Es ist eine Beleidigung meiner Person, meines Lebens, meines Stolzes, meines Mutes, meiner Nation und meiner Einwohner. Also schnappte ich dich mir, und wir schlossen uns im Essenssaal ein, zusammen mit deinem neuen König (keine Ahnung, wer es war, ich weiß nur noch, dass er einen riesigen Schnurrbart hatte und nicht einmal die Fassung verlor als er erfuhr, dass etwa hunderttausend Soldaten aus der ganzen Welt unterwegs waren, um das Land anzugreifen und zu überfallen). Und wir drei haben etwas sehr Wichtiges festgestellt: es war an der Zeit, die italienische Halbinsel wiederzuvereinen. Nach mehr als einem Jahrtausend Dasein als Zusammenschluss von Städten sollte sie sich nun in ein großartiges Land verwandeln, das in der Lage war, gegen Angriffe von außen vorzugehen.
 

Ich muss schon zugeben, dein Krieg hat echt viel Spaß gemacht. Trotz deiner äußeren Erscheinung wusstest du viel über die Kunst, mit Schwert und Schild zu kämpfen, deshalb warst du mal ausnahmsweise kein Klotz am Bein. Auch beim Preußisch-Österreichischen Krieg haben wir uns gut amüsiert, da der junge Herr hier sich geweigert hat, dir deinen Bruder zu überlassen, damit er unterschreiben konnte.“
 

„Wo wir gerade davon sprechen, wo ist eigentlich Francis?“, fragte Elisabeth sich im Raum umschauend. „Und Spanien?“
 

„Vielleicht machen sie gerade einen Spaziergang, was weiß ich, unterbrich mich nicht mehr“, sagte Gilbert, verärgert darüber, dass er seiner eigenen Stimme nicht mehr lauschen konnte.
 

„Ich unterbreche dich wann immer ich will!“
 

„Elisabeth, mach nicht bei seinem Spielchen mit, du weißt doch, dass es genau das ist, was er beabsichtigt“, riet Österreich ihr.
 

„Ja, Eli, befolg die Ratschläge des jungen Herrn, dann wird es dir sehr gut gehen“, scherzte Gilbert mit einem bösen Grinsen.
 

„Kommen wir mal endlich zum Ende?“ „Ich hab die Schnauze echt voll von den beschissenen Dummheiten dieser drei Verliebten.“
 

Eine Sekunde lang fragte ich mich ob ich nicht auch so verbittert aussah wie diese drei … ein Gedanke, den ich sofort beiseiteschob. Ich war nicht verbittert, ich war … wütend. Ja genau, ich war zornig und das nicht nur, weil dieser Idiot Spanien mich geküsst und es gleich wieder bereut hatte. Liebe? Ha, wer braucht die schon? Außerdem war ich gar nicht verliebt! Wer hat das überhaupt behauptet? Wer auch immer es war, er irrte sich gewaltig …
 

Gott sei Dank, holte mich Gilberts Stimme wieder aus meinen Gedanken.
 

„Wo waren wir?“ Er räusperte sich und schlug die Beine übereinander. „Ah, ja, der Preußisch-Österreichische Krieg, der war lustig. Leider haben wir verloren … obwohl es wohl vielmehr Frankreich war, der uns verraten hat, aber gut, seine Strafe hat er bereits erhalten.“
 

„Ich denke, jetzt bin ich an der Reihe mit Erzählen, glaubst du nicht auch?“, fragte Österreich, der Ungarn seinen Sitzplatz überließ und sich neben mich setzte. „Wo wir von Verrat sprechen, wäre es besser, sich dem interessanten Teil zuzuwenden, Preußen.“
 

„Das nennst du Verrat? Meiner Meinung nach war es eher ein Ausrutscher“, spottete Gilbert eine Grimasse ziehend.
 

„Ausnahmsweise bin ich mal seiner Meinung, Liebling“, sagte Elisabeth lächelnd.
 

„Ihr habt euch doch alle abgesprochen, um ...“
 

„Warum erzählt ihr mir nicht endlich, was geschehen ist, verdammte Scheiße nochmal?“ „Ich schwöre, das ist das letzte Mal, dass ich ihre dämlichen Debatten ertrage, das nächste Mal werfe ich sie raus und gehe schlafen, so bekomme ich mein Gedächtnis bestimmt viel schneller zurück ...“
 

Österreich seufzte und richtete sich mit einer Geste der Erschöpfung die Brille.
 

„Es war im Sommer des Jahres 1866. Ich weiß noch, dass Jules Verne damals seinen neuesten Roman veröffentlicht hatte und einer meiner Diener nach Paris gegangen ist, um mir die Erstausgabe zu kaufen. Am selben Tag als ich das Buch in Händen hielt und mehr als bereit war, es vor Einbruch der Dunkelheit zu Ende zu lesen, betratest du zusammen mit Gilbert mein Arbeitszimmer ohne um Einlass zu bitten.
 

„Österreich, du hast keinen meiner Briefe beantwortet“, sagtest du.
 

„Ich habe vergessen, meine Post durchzusehen, genau wie du deine Manieren. Was fällt dir ein, einfach so hineinzugehen ohne anzuklopfen?“
 

„Versuch nicht, uns für blöd zu verkaufen, du weißt ganz genau, warum wie hier sind“, fuhr Preußen mich ohne einen Hauch von Benehmen an.
 

„Und ich dachte schon, ihr wärt intelligenter. Ich werde Feliciano nicht an euch abtreten, weil, abgesehen davon, dass er jahrhundertelang in meiner Obhut stand, es mir auch keinerlei Nutzen bringen würde.“ Ich stand vom Tisch auf und zeigte euch, wo sich die Tür befand, doch ihr habt weiterhin hartnäckig darauf bestanden, mich bei meiner Lektüre zu stören.“
 

„Feliciano muss unterschreiben, wir brauchen ihn, um Italien wiederzuvereinigen. Verdammte Scheiße, was willst du denn noch? Ich hab dir doch schon mehrere fruchtbare Gebiete versprochen und dazu noch wichtige Städte und ...“
 

„Ich will nichts anderes als Veneziano“, entschied ich. „Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet, ich habe viel zu tun.“
 

„Das bedeutet Krieg, Roderich.“ Gilbert schien jedes Wort davon zu genießen.
 

„Ich hoffe ganz ehrlich, dass ihr wisst, was ihr tut ...“
 

Österreich verstummte für einen Moment um sich die Brille mit einem seidenen Putztuch zu säubern. Ungarn schien nicht zu wissen, wohin sie ihre Blicke richten sollte und Preußen sah so aus, als hätte er einen Heidenspaß.
 

„Und? Was ist passiert?“
 

„Er hat verloren, Lovino“, antwortete Gilbert und legte mir einen Arm um die Schultern. „Der junge Herr hier hat nämlich nicht gemerkt, dass du den Awesome als Verbündeten hattest. Und Frankreich hat trotz seiner Feigheit gut gekämpft. Nichts im Vergleich zu mir, aber er war nicht übel. Und du … du hast auch was getan.“
 

„Aber Österreich hatte zu der Zeit Schwierigkeiten mit seinen internationalen Beziehungen“, verteidigte ihn Ungarn.
 

„Ich bat um Hilfe, die mir nicht gewährt wurde, das ist etwas Anderes.“
 

„Genau … es ist durchaus wahrscheinlich, dass keiner der von dir abgeschickten Briefe sein Ziel erreicht hat, natürlich aus uns völlig unbekannten Gründen“, lachte Gilbert.
 

„Das war sehr niederträchtig.“
 

„Hey, schau mich nicht so an, er hier war's.“ Und dann zeigte dieses Arschloch auf mich, wohl wissend, dass ich mich nicht wehren konnte. „Seine genauen Worte waren: Wenn er schon keinen von meinen Briefen gelesen hat, dann sorgen wir dafür, dass der Rest der Welt seine nicht lesen kann.“
 

Bei jeder anderen Gelegenheit hätte ich mich mit einer sehr überzeugenden Rede über die Ehre der Nation, die wir lieben und der wir dienen, aus der Sache herauswinden können … wenn da nicht Österreich anklagende Blicke wären, die mir langsam die Seele durchbohrten. Ich war kaum in der Lage, eine einfache Entschuldigung auf Italienisch zu stammeln.
 

Ach, verdammt, wenn Spanien hier wäre, wäre das alles ganz anders ausgegangen.
 

„Nach der Schlacht bei Königgrätz gab Österreich seine Niederlage zu und übergab uns Veneziano ganz bereitwillig …“, kommentierte Preußen kichernd.
 

„Das ist nicht witzig.“
 

Ich atmete tief durch in dem Versuch, mich zu entspannen.
 

„Was ist wirklich geschehen?“, fragte ich ohne zu wissen, was die ganze Geheimnituerei sollte.
 

„Sagen wir es mal so: der Awesome hat den jungen Herrn mit nicht sehr orthodoxen Mitteln dazu gebracht, den Friedensvertrag zu unterzeichnen.“, bemerkte er grinsend.
 

„Eine ganze Woche lang hat keiner von den Beiden Rods Zimmer verlassen“, erklärte mir Elisabeth als sie merkte, dass ich immer noch etwas verloren aussah. „Als Österreich wieder das Tageslicht zu sehen bekam, stellte er fest, dass er unterschrieben hatte, und nicht nur die Anerkennung seiner Niederlage, sondern auch den Verzicht auf alle Rechte, die er über Feliciano hatte. Doch als er etwas dagegen unternehmen wollte, war es bereits zu spät. Veneziano war Italien, eine Nation mit all ihren eigenen Rechten und Pflichten.“
 

„Das war ein sehr schmutziger Spielzug. Selbst für dich, Gilbert.“ Trotzdessen sah Roderich nicht verärgert aus, sondern eher das Gegenteil.
 

„Hey, du hast eine schöne Zeit mit mir verbracht, oder etwa nicht?“
 

„Eine schöne Zeit? Ihr seid nicht einmal zum Essen rausgekommen. Ich war überrascht, dass ihr danach noch so viel Energie hattet“, sagte Elisabeth.
 

„Ganz ruhig, wir zwei hatten sehr viel Energie. Außerdem hatte ich das Hausmädchen angewiesen, uns jeden Tag das Essen vor die Tür zu stellen ...“
 

Als ich sah, dass ich nicht mehr gebraucht wurde, stand ich vom Sofa auf und verließ das Zimmer. Verblüffend, dass die drei so offen über so ein heikles Thema reden konnten. Elisabeth ist nicht wütend geworden, als sie erfahren hat, dass ihr Freund mit einem Anderen ins Bett gegangen war, noch schien Österreich beschämt darüber zu sein und … gut, Preußen war Preußen, ich glaubte nicht, dass er dabei irgendetwas fühlte. Trotzdem fand ich es erstaunlich, dass trotz ihrer Lage Keiner von Ihnen den Mut verlor oder Ähnliches. Es musste viel Mühe gekostet haben, sich an so eine seltsame Beziehung zu gewöhnen, doch Niemand schien wirklich unzufrieden mit der Abmachung zu sein. Und noch dazu kam es mir so vor, als würde Elisabeth eine tiefe Zuneigung für Gilbert (ja, ich verstand es auch nicht) empfinden und als würde Roderich Ungarn aufrichtig lieben. Und es gab auch noch die Möglichkeit, nur eine Möglichkeit, dass Gilbert irgendwie gelernt hatte, Roderich zu ertragen. (Ich war mir nämlich sicher, dass kein vernünftiger Mensch eine Woche zusammen mit ihm verbringen könnte ohne danach Selbstmordgedanken zu hegen.)
 

Liebe musste schon etwas sehr Kompliziertes sein, wenn sie es schaffte, drei so unterschiedliche Menschen zusammenzubringen. Letztendlich war das Ganze wohl doch nicht so schrecklich.
 

„Fratello!“, rief Feli als er mich in Gedanken versunken und mit den Händen in den Hosentaschen auf dem Rasen spazieren gehen sah. Er kam angerannt und fiel mir um den Hals. „Bist du immer noch böse?“
 

Ich seufzte. Ich hatte Besseres zu tun als mir wegen des Kartoffelmachos Sorgen zu machen.
 

„Nein. Ganz ruhig, alles ist in Ordnung. Aber lass dich nicht in seiner Nähe erwischen.“
 

Feliciano erstarrte für einen Moment und blickte mit halb geschlossenem Mund in die Leere. Als ich ihn ein wenig an den Schultern rüttelte, begann das kleine Getriebe in seinem Hirn wieder zu arbeitenund ließ ihn natürlich auf der Stelle das Thema wechseln.
 

„Ve, hast du Hunger? Wir haben fast nichts mehr da, die Pasta ist fast alle, gehen wir Einkaufen.“
 

Meine Vorstellungen von Einkaufen waren ganz verschieden von denen, die ich an jenem Nachmittag erlebte. Ich tauschte Armani und Dolce&Gabana gegen Luici-Nudeln und Pizza Tarantella, doch wenigstens war es keine absolute Zeitverschwendung. Feliciano war dabei, mir zu erzählen, was passiert war, nachdem wir wieder angefangen hatten, zusammenzuleben. Er erklärte mir, dass die Entscheidung, ihn die ganze Last der Nation tragen zu lassen, zur Vorbeugung gedacht war, falls Österreich mal wieder beschloss, seine Nase hineinzustecken und welche wirtschaftlichen Unterschiede unsere beiden Gebiete aufwiesen. Meins war aus logischen Gründen sehr viel ärmer und es hatte uns sehr viel Mühe gekostet, die Situation auszugleichen. Obwohl mein Bruder von außen dumm aussehen mochte, war er in Wirklichkeit sehr intelligent, er erinnerte sich ganz genau an die heikle Lage mit der Viehzucht in unserem Land Anfang des Jahrhunderts und wie wir die Wirtschaft mit dem Export unserer Weine in das restliche Europa gesteigert hatten.
 

Leider hörte ich ihm nur mit halbem Ohr zu.
 

Gegen meinen Willen (ja, gegen meinen Willen, verdammt, ich muss aber auch alles erklären) konnte ich nicht aufhören, an Antonio zu denken. An seine Worte an diesem Morgen, wie er ohne ein Wort verschwunden war, wo er wohl stecken mochte … Und wenn ihm etwas zugestoßen war? Natürlich war es nicht so, dass es mich interessieren würde … Würde er eines Tages zurückkommen? Sicher würde er zurückkommen, schließlich hatte er seine Sachen hiergelassen und soweit ich wusste, konnte man ohne Ausweis kein Flugzeug betreten, stimmt's?
 

Am Abend war ich so besorgt, dass ich keinen Bissen von der köstlichen Lasagne, die mein Bruder gemacht hatte, hinunterbekam. Er hat mich sogar gefragt, ob ich nicht krank sei.
 

Um ehrlich zu sein, fragte ich mich das Gleiche.
 

Es war doch nicht normal, den ganzen verdammten Tag an ein-und diesselbe Person zu denken. Ich musste krank sein, sehr krank. Aber natürlich war das alles die Schuld dieses spanischen Idioten, der mir ohne Grund so viele Sorgen bereitete. Scheiße, wäre es denn zuviel verlangt, wenn er eine verdammte Nachricht hinterlassen hätte? Oder Jemandem mitgeteilt hätte, wo er hinging oder sowas in der Art, verdammt noch mal. Und, um dem Ganzen eine Krone aufzusetzen, hatte Francis sich auch ohne ein Wort aus dem Staub gemacht, was mich kein bisschen beruhigte. Obwohl er gesagt hatte: „Oh, là là, ich hab mich gebessert, jetzt hab ich ja einen wunderschönen Kanadier, der zu Hause auf mich wartet“, schluckte ich kein Wort davon. Ich kannte ihn viel zu gut, wusste wie er war und deshalb gefiel es mir kein Stück, dass die beiden zusammen waren (weil es klar war, dass sie zusammen waren), und das mitten an einem kalten Abend Mitte März … Zusammen. Allein. Im Dunkeln. Gott, wie abstoßend das war.
 

Ich hatte keine Ahnung, wann ich letztendlich auf dem Sofa sitzend eingeschlafen war, versuchte aber, aufzuwachen, als ich spürte, wie ich plötzlich hochgehoben wurde.
 

„Wo hast du gesteckt?“, fragte ich ohne die Augen aufzumachen als ich merkte, dass es Antonio war, der mich trug.
 

„Du solltest besser in deinem Bett schlafen, dafür ist es schließlich da.“ Er öffnete die Tür und legte mich auf meiner Matratze ab.
 

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Ich gähnte und zog mir schnell die Schuhe aus, um mich unter die Decke zu flüchten. „Aber du antwortest nie auf Fragen … also … ist es nichts Neues.“
 

Ich war gerade dabei, erneut in den Schlaf zu sinken als ich seine Hand auf meinem Kopf spürte.
 

„Morgen“, flüsterte er.
 

„Was ist morgen?“, fragte ich und flehte insgeheim, dass er nicht wieder wegging. Dass er mir nicht alleinlassen würde, sondern bei mir bleibt, mich liebkost, mich umarmt und meine Hand nimmt.
 

„Morgen bekommst du all deine Antworten. Das verspreche ich dir.“
 

Ich seufzte. Zwar wollte ich etwas sagen, aber mein Kiefer weigerte sich, sich zu öffnen und meine Stimmbänder versagten ihren Dienst
 

Doch kurz bevor ich vollständig in meine Vergangenheit eintauchte und mich an das kleinste Detail, von dem, was mir widerfahren war, an jeden Laut, jedes Gespräch, jeden Brief, jede Geste und jede Entscheidung erinnerte, hörte ich ihn sagen:
 

„Das Härteste an der ganzen Sache ist, dass ich dich immer noch liebe, Lovino.“
 

Aber ich konnte ihn nicht mehr fragen, was er damit meinte.



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