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Erinnerst du dich?

von

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Kapitel 5

Verdammter Spanien, dieser blöde Bastard, der glaubt, er wäre der sympathischte Hausherr der Welt mit seinem ewigen Lächeln und seiner ewigen Nettigkeit.
 

„Könntest du dich um die Tomatenernte kümmern, Lovino?“, hatte er mich ganz lieb gefragt und mir dabei sanft den Kopf gestreichelt. „Ich komme nächsten Monat zurück, das verspreche ich dir.“
 

Einer nach dem anderen waren die Monate vergangen, doch Antonio war nicht zurückgekehrt. Nicht, dass es mich überraschte, Spanien war immer viel zu sehr damit beschäftigt, Verträge abzuschließen, Kriege zu planen, gegen die Ureinwohner zu kämpfen, Feste zu organisieren und mit den anderen Ländern Champagner zu trinken. Selbst wenn er vorbeikam, um nach seinem Bediensteten zu sehen (also mir), blieb er ein paar Wochen um dann wieder mit einem Versprechen zu verschwinden, das er niemals hielt.
 

Wie konnte ich da also erwarten, dass er mir auch nur das kleinste bisschen Respekt entgegenbrachte? Wie konnte ich erwarten, von ihm als Land anerkannt zu werden, das diesselben Rechte und Pflichten wie all die anderen hatte? Wie konnte ich nur wollen, dasss er mich so ansah wie ich ihn und mich liebte …?
 

Als es drei Mal an der Tür klopfte, verschwanden diese Gedanken aus meinem Kopf. Na ja, gut, so stark hat er sich jetzt nicht verspätet. Es konnten Jahre vergehen, bis Antonio einen Fuß in dieses Haus setzte, aber natürlich würde ich ihn deswegen nicht mit offenen Armen empfangen, oh nein. Ich würde ihn wie immer mit einem wütenden Gesicht begrüßen, ihn von mir schieben wenn er mich umarmte, ihn mit dem Besen verhauen und ihn dann fragen wo, zur Hölle, er gesteckt ha-
 

„Hallo, Lovino“, grüßte mich ein blonder Junge von etwa 19 Jahren, der ein paar Köpfe größer war als ich.
 

„Äh ...“ Ich sah zu ihm hoch. Er schien eine lange Reise hinter sich zu haben, denn er roch nach Meer, Algen und Schweiß und hatte feuchte Kleidung und abgenutzte Stiefel an. Er zog sich den Hut vom Kopf und zauste sich ein wenig durchs Haar bevor er mich erneut ansah und dümmlich anlächelte. „Wer, zum Teufel, bist du?“
 

„Oh, Lovino, erinnerst du dich etwa nicht an mich? Wie enttäuschend, hahaha.“ Der Junge blickte mich an, seine ozeanblauen Augen glänzten einen Moment lang vor Belustigung. „Ach, komm schon, Lovino, ich bin Alfred.“
 

„A … Alfred?“, wiederholte ich ohne das alles so recht glauben zu können.
 

„Ja, Alfred. Oder die Vereinigten Staaten, wie ich jetzt genannt werde, hahaha. Du weißt schon, der Bru-, der ehemalige Bruder von England“, verbesserte er sich mit Traurigkeit in der Stimme.
 

Ich sah ihn nun mit neuen Augen. Es war einfach unmöglich, dass dieser junge Mann, der da vor mir stand, derselbe Alfred war, den ich vor einem Jahrhundert kennengelernt hatte. Jener Jugendliche, der ein sanftes Lächeln im Gesicht trug und der mich immer in Rage versetzte, wenn er näherkam um mich zu umarmen, konnte sich nicht in einen so großgewachsenen und selbstbewussten Mann verwandelt haben.
 

„Darf ich eintreten?“, fragte er mich verschmitzt.
 

„Na-Natürlich“, antwortete ich in dem Versuch, aus meinem persönlichen Schock herauszukommen. „Was willst du hier? Spanien ist nicht da.“
 

„Eigentlich bin ich wegen dir gekommen.“
 

Alfred nahm auf einem der Stühle, die am Eingang standen, Platz und trank einen Schluck vom Tee, den ich für mich gemacht hatte, doch bevor ich ihn in hohem Bogen hinauswerfen konnte, sprach er weiter.
 

„Weißt du noch, worüber Arthur und ich bei unserem Besuch geredet haben?“
 

„Ja ...“, antwortete ich schlechtgelaunt imd setzte mich ihm gegenüber. „Über diese blöde Unabhängigkeit.“
 

„Weißt du, ich hab mich von England unabhängig gemacht.“ Ein dunkler Schatten verdeckte seinen Blick für einen Moment. „Und … es geht mir besser als je zuvor.“
 

„Ja, das sehe ich“, dachte ich und verschränkte gelangweilt die Arme.
 

Und dann begann er mir zu erzählen wie großartig und wundervoll die Unabhängigkeit doch war. Er sprach von den Weizen- und Maisfeldern, die nach dem Krieg umgepflanzt wurden und dessen Ertrag einzig und allein für die Amerikaner bestimmt war. Nur der Überschuss wurde in andere Länder verkauft. Sie hatten schon einen eigenen Präsidenten, einen gewissen George Washington (was für ein dämlicher Name) und eine Erklärung, in der England seine Unabhängigkeit akzeptierte und ihm den größten Teil seiner Territorien zusicherte, außer dem Zugang zum Fluss Mississippi.
 

Aber ich dachte an keines von diesen Dingen, sondern nur an die immer häufiger werdenden Angriffe von riesigen Gruppen von Italienern, die die Unabhängigkeit verlangten. Natürlich hatte es ich mir durch den Kopf gehen lassen, Spanien einen Vertrag zu übergeben, den er mit Sicherheit nicht unterschreiben würde, um dann damit auf die Straße zu gehen und ihn aus Protest anzuzünden! Aber ich hatte zuviel Angst vor der Unabhängigkeit … ich konnte mich kaum daran erinnern, wie es war ein richtiges Land zu sein ohne dass mir Jemand Befehle erteilte und mit dem ich meine freie Zeit verbrachte. Es war aber auch nicht so, dass ich Spanien „brauchte“, dass ich „ohne ihn nicht leben könnte“ oder dass ich „so viel Angst vor einem Leben ohne Spanien hätte, dass ich kaum in der Lage wäre, etwas zu unternehmen“. Nein, das war es nicht. Ich hatte einfach nur Angst … nicht das Land zu sein, das sich die Italiener erhofften.
 

Also eigentlich gab es da noch ein Problem, das mir nicht aus dem Kopf ging. Ich wuchs mit der Geschwindigkeit einer Schildkröte. Auf dem ersten Blick sah ich nämlich aus wie ein Fünfzehn- oder Sechzehnjähriger, wie könnte ich also erreichen, dass Spanien mich respektierte? Und Alfred, der mehr als tausend Jahre jünger war … nun ja, den Unterschied konnte man schon deutlich erkennen.
 

„ … und stell dir das mal vor! Du triffst deine eigenen Entscheidungen ohne dass dich Jemand zwingt, das Gegenteil davon zu tun!“, fuhr Alfred fort, ohne zu merken, dass ich nicht mehr zuhörte.
 

„Eine Frage, Alfred ...“ Dass ich ihn zum ersten Mal ansprach, überraschte ihn sichtlich. „Wann bist du eigentlich so gewachsen?“
 

Diese Frage schien den Jungen ein wenig aus der Fassung zu bringen.
 

„Äh … also … ich glaube, das war während meine Unabhängigkeit in vollem Gange war, als ich mehr Territorien bekam. Und als die Leute anfingen, sich für unsere Sache zu vereinigen, wurde ich stärker.“
 

Ich dachte einen Augenblick nach, genau die Zeit, die ich benötigte, um eine Entscheidung zu treffen.
 

„Perfekt. Da ist die Tür.“
 

Und dann schloss ich mich in meinem Zimmer ein. Die Zweifel, die mein Hirn all die Jahre lang bevölkert hatten, waren wie weggeblasen und als ich die Worte „Unabhängigkeitsvertrag von Italien“ niederschrieb, zitterte nicht einmal meine Hand.
 

Im Laufe der letzten Jahrhunderte war es sehr hart für mich, Jemanden zu lieben, für den ich nichts weiter als ein Kind war. Wenn ich also wollte, dass Spanien eines Tages etwas für mich empfindet … dann musste ich für immer mein Dasein als einfacher Untergebener aufgeben und ihm ebenbürtig sein.
 

~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ *
 

Erschöpft wachte ich auf. Sehr erschöpft. Ich konnte mich kein bisschen an dieses Gefühl gewöhnen alles wieder in den paar Stunden Schlaf, die ich bekam, wieder neu zu durchleben. Es war schon seltsam: Obwohl ich sehr wohl wusste, dass ich im Schlaf wieder alles zum zweiten Mal erlebte, war ich beim Insbettgehen viel zu aufgeregt, um einzuschlafen, auch wenn ich so müde war, dass ich kaum die Augen offen halten konnte. Ich konnte nicht aufhören zu denken: „Und was war mit meinem Bruder geschehen?“, „Was ist zwischen Arthur und Alfred passiert?“und „Wie hatte ich meine Unabhängigkeit erreicht?“ Natürlich verschwanden diese Zweifel beim Aufwachen, doch dieses Mal konnte ich einfach nicht ruhig bleiben. Da war er nun, der Beweis, dass meine Gefühle für Antonio im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zugenommen hatten. Und natürlich hatte er sie niemals erwidert, denn andernfalls hätte er den Unabhängigkeitvertrag nicht einfach so unterschrieben, ihn mir lächelnd zurückgegeben und sich dann so schnell wie immer aus dem Staub gemacht.
 

Was mich schrecklich traurig und einsam fühlen ließ.
 

Ah, ich muss aufhören, daran zu denken. Was geschehen ist, ist geschehen und es gab keine Möglichkeit, es zu ändern. Also stand ich auf, zog mir einen grauen Pullover und schwarze Jeans an , bereit, meine Vergangenheit noch einmal zu durchleben. Ich verließ das Zimmer und sofort durchbohrten stechende Kopfschmerzen mein Hirn, so wie jeden Morgen beim Aufwachen in diesem Haus.
 

Ich murrte und torkelte wie ein Betrunkener Richtung Küche, bereit, die ganze Kaffeekanne in einem Zug leerzutrinken. Als ich eintrat, entdeckte ich Antonio, der mit einer Tasse in der Hand dasaß und sein Handy der neuesten Generation anstarrte.
 

„Gu … Guten Morgen.“
 

Er hob den Blick und seine eiskalten Augen hellten sich für einen Augenblick auf … bevor sie sich wieder verfinsterten.
 

„Hallo, Lovino, willst du Kaffee?“ Ohne auf eine Antwort zu warten reichte er mir eine Tasse.
 

„Danke“, murmelte ich gedehnt und führte die Tasse an meine Lippen. Der Kaffee war schwarz, heiß und sehr süß. So wie ich ihn mochte.
 

„Gut geschlafen?“, wollte er wissen während er aufstand um die Reste des gestrigen Abendessens wegzuräumen, das mein Bruder versprochen hatte, zuzubereiten.
 

„Wie immer … seit ich hier bin, kann ich nicht gut schlafen. Einschlafen ist unmöglich, wenn man weiß, dass man viele Dinge aus seinem Leben noch nicht kennt. Es macht mich … unsicher.“ Spanien nickte unmerklich während ich mir den Kopf zerbrach, warum ich so ehrlich zu ihm war. „Und was ist mit dir?“
 

Spanien glitt die Tasse aus der Hand, fiel auf den Boden und zersprang in tausend Stücke.
 

„Tut-Tut mir leid“, entschuldigte er sich und machte sich umgehend daran, die Scherben einzusammeln. „Ich habe seit drei Tagen nicht geschlafen.“
 

„Pass besser auf, du Idiot. Diese Tassen sind antik.“ Ich gesellte mich zu ihm und half ihm beim Aufräumen, vorsichtig, um mich nicht zu schneiden. „Es ist schlecht, so wenig … oder gar nicht zu schlafen“, murmelte ich und versuchte dabei, ihm nicht in diese grünen Augen zu blicken.
 

Doch dies gestaltete sich als eine Sache der Unmöglichkeit. Vor allem, als er mich bei den Wangen nahm und mich zwang, ihn direkt anzusehen. Er schien so … so traurig. So hilflos. Es muss schon etwas richtig Fürchterliches passiert sein, um ihn sein immerwährendes Lächeln und seine ewige Fröhlichkeit verlieren zu lassen. Ich hatte große Lust, ihn zu fragen was geschehen war, ihn zu umarmen und zu trösten, ihm den Kopf zu streicheln und ihm zu sagen, dass alles gut werden würde. Und dann … und dann …
 

„DA SIND WIR NUN!“, ertönten ein Paar Stimmen hinter unseren Rücken.
 

Nachdem ich den größten Schrecken meines Lebens bekommen hatte, drehte ich mich um, ein paar Beleidigungen bereits auf den Lippen parat. Ich musste zugeben, so einen Jungen hatte ich mein Leben lang nicht gesehen. Obwohl er sehr jung zu sein schien, hatte er gräuliches Haar und dazu noch rote Augen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, Jemanden mit so seltsamen Eigenschaften gekannt zu haben.
 

Den anderen kannte ich dafür sehr gut. Viel zu gut.
 

„Francis!“ Ich wich so weit wie möglich vom Eingang zurück und schnappte mir einen Holzlöffel zur Verteidigung, da ich mir ganz sicher war, dass er mich wieder jagen würde.
 

„Oh, Lovino, mon amour“, begrüßte er mich nachdem er Spanien umarmt hatte. „Und so empfängst du mich also? Nach all unseren schönen Momenten unter der Bettdecke als du mich angefleht hast, dich zu dem Meinen zu machen?“
 

„Wa-Was sagst du da? Sowas hätte ich niemals getan!“, fragte ich erschrocken.
 

„Honhonhon, er erinnert sich wirklich an nichts.“ Francis lächelte und ein kleines Vögelchen flog hinter seinem Rücken hervor um sich auf seine Schulter zu setzen. „Ganz ruhig, Lovino, ich werde dir nichts tun. Jetzt hab ich ja einen gewissen Kanadier zu Hause, dem ich all meine Liebe geben kann, stimmt’s, Pierre?“ Frankreich tätschelte liebevoll den Kopf seines Haustieres. „Unsere Geschichte d’amour ist seltsam, vous savez? Alles begann mit einer Wette …“
 

Weiterreden konnte Francis aber nicht, da sein kleines Vögelchen ihm von der Schulter sprang und auf den hölzernen Tisch zuflog, wo ein gelbes Küken auf es wartete, das ein wenig größer war als es. Sie hüpften aufeinander zu, doch bevor sie sich berühren konnten, kam der Albino und nahm das Küken hastig an sich.
 

„Nein, nicht schon wieder, Gilbird!“, tadelte er und steckte es in seine Jackentasche. „Und da bleibst du jetzt.“ Er drehte sich um und zeigte auf das Vögelchen, das angefangen hatte, zu protestieren. „Und du, du blöder Vogel, hör auf, die süße Unschuld meines kleinen Kükens auszunutzen! Komm Gilbird nicht näher als zwei Meter!“
 

Das war die irrealste Szene, die ich je in meinem Leben gesehen hatte.
 

„Ach, Gilbert! S’il vous plaît, c’est l’amour!“
 

„Halt die Klappe, Perversling, du weißt doch gar nicht, wovon du redest.“
 

Gilbert (ja, so hatte Frankreich ihn genannt) wandte sich mir zu, nahm mir den Löffel aus der Hand und legte mir den Arm um den Hals.
 

„Ah, Romano, du hast die Ehre, den Awesome zwei Mal kennenlernen zu dürfen. Bist du etwa nicht glücklich darüber? Kesesesesese.“
 

„Nimm die Hände da weg, du Idiot“, bat ich ihn mit meiner typischen Liebenswürdigkeit und zahlte es ihm mit ein paar Faustschlägen heim.
 

Rasch flüchtete ich mich an Spaniens Seite, der in einer Küchenecke stand und sich totlachte.
 

„Er … ist … ein guter Freund, Lovino. Er ist Preußen“, erklärte er mir während er sich die Tränen mit dem Handrücken wegwischte. Ich verstand kein bisschen, was daran so lustig war. „Deutschland ist in zwei Zonen unterteilt: den Osten und den Westen. Preußen gehört der östliche Teil des Landes …“
 

„Aber trotzdem kann sich ein Awesome wie ich doch nicht seinem kleinen Bruder unterordnen, das ist eine Beleidigung!“ Er kam auf mich zu und begann, zu meinem Entsetzen, in mein Ohr zu flüstern. „Wie würde es dir gefallen, wenn wir uns zusammenschließen, Lovino? Wir stürzen dann unsere kleinen Brüder und unsere jeweiligen Länder gehören uns ganz allein …“
 

„Ich hab dir doch gesagt, komm mir nicht zu nahe!“, schrie ich bevor ich ihm den wohlverdienten Schlag verpasste. Dieser war so kräftig, dass der Kerl auf dem Boden liegen blieb, mit der Hand auf der getroffenen Stelle im Gesicht.
 

Und wieder brachen Frankreich und Spanien in brüllendes Gelächter aus und machten sich über die verletzte Nation lustig. Hat er nicht gesagt, sie wären Freunde? Mir erschien ihre Beziehung viel zu seltsam, um „Freundschaft“ genannt zu werden.
 

„Das …ist … nichts für mich“, sagte Preußen und stand so würdevoll vom Boden auf wie es nur ging. „Und das wo, ich, so awesome wie ich bin, mich dazu niedergelassen habe, hierherzukommen und dir beim Erinnern zu helfen, verdammter Undankbarer.“
 

„Ich brauche deine beschissene Hilfe nicht, du Bastar-…“, aber bevor ich weiterschimpfen konnte, legte Antonio mir seine Hand auf den Mund.
 

„Wir sind dir sehr dankbar, dass du gekommen bist, Gilbert.“ Und dann schenkte ihm dieser Verräter auch noch ein strahlendes Lächeln, eins von der Sorte, die er mir in letzter Zeit fast gar nicht gezeigt hat. Ha, als ob mir das was ausmachen würde …
 

„Perfekt. Also, während Gilbert Lovino beim Erinnern hilft …“ Frankreich nahm Spaniens Handy. „ … helfe ich dir bei deinen Angelegenheiten.“
 

Plötzlich warf sich Antonio auf Francis und drückte ihn fest an sich. In diesem Moment spürte ich etwas Bitteres in meiner Kehle aufsteigen, keine Ahnung ob es Wut, Verwirrung oder einfach nur Mordlust war.
 

Als wir zum Wohnzimmersofa gelangten, das sich mittlerweile in unseren Treffpunkt verwandelt hatte, teilte man mir mit, dass Amerika angeboten hatte, Einkaufen zu gehen und mit England im Schlepptau gegangen war und dass mein Bruder Hand in Hand mit Deutschland irgendwohin verschwunden war (Spanien musste mich gut festhalten, damit ich ihnen nicht mit einem Gewehr nachlief). Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, zeigte mir Preußen ein sehr abgenutztes Buch mit gelblichen Seiten, auf dessen Einband in goldenen Lettern TAGEBUCH DES AWESOME BAND 157 stand.
 

„Oh nein, Gilbert, bitte sag mir nicht, dass du aus deinem Tagebuch vorliest“, flehte Antonio, immer noch meine Hand haltend, damit ich nicht weglief.
 

„Was glaubst du denn, warum ich so spät gekommen bin? Ich musste den Band finden, in dem Lovino zum ersten Mal auftaucht, und da ist er!“
 

„Oh, Gott, das wird ein langer Tag“, jammerte die grünäugige Nation bevor er es sich auf dem Sofa bequem machte und mit halbgeschlossenen Augen dasaß.
 

Wenig später verstand ich seinen gelangweilten Gesichtsausdruck.
 

„Ich fange an …
 

11. Februar im Jahre unseres Herrn 1858
 

So awesome wie ich bin, stand ich schon auf, bevor sich die Sonne hinter den Bergen erhob. Meine Köchin Caroline bereitete mir Rühreier mit vier Scheiben Brot, Milch und Honig zu. Da es ein langer Tag werden würde, musste ich Kräfte sammeln. Nach dem Frühstück ging ich los um meinen kleinen Bruder zu wecken und war sehr überrascht, festzustellen, dass Ludwig schon auf den Beinen war, vollständig angezogen und bereit, einen neuen Tag mit mir zu verbringen …“
 

„Warum gehen wir nicht direkt zu der Stelle, wo du mich kennenlernst und das war’s?“, fragte ich ein bisschen naiv.
 

„Aber das ist das Leben des Awesome! Und du hast die Ehre, es zu hören …“
 

„Das interessiert mich kein Stück“, warf ich ohne Nachzudenken ein.
 

„Lovino, sei ein wenig netter. Gilbert ist gekommen, um dir zu helfen“, ermahnte Antonio mich liebevoll.
 

Er hatte Recht, das wusste ich. Ich war wohl ein wenig ungerecht zu ihm gewesen, doch ich war an dem Tag mit dem falschen Fuß aufgestanden als ich erfahren hatte, dass ich mein ganzes Leben lang in Spanien verliebt gewesen war und er niemals meine Gefühle erwidern würde … aber trotzdem versuchte, ich mich zu beherrschen.
 

„Na gut … ich denke, ich kann ein wenig vorspulen.“ Gilbert blätterte ein paar Seiten vorwärts. Er las und übersprang nochmals fünf. „Aha! Hier ist es …
 

Nach dem Mittagessen stattete Francis mir einen kleinen Besuch ab, der sich rasch in eine Besprechung verwandelte und noch schneller in ein Flehen.
 

„Sagst du mir jetzt endlich, was du von mir willst? Hör auf, um den heißen Brei herumzureden, ich hab sehr wichtige Dinge zu erledigen.“
 

„Ah, verehrter Gilbert, hab ich dir schon mal gesagt wie sehr ich dich wertschätze und bewundere für deine Genialität und ...“
 

„Das alles weiß ich schon selbst. Komm zur Sache.“
 

„Schon gut, schon gut. Du weißt sicher schon , dass Napoleon III sich mit Romano vereinigen will, weil er Verbündete braucht. Dafür hat er ihm sogar die Grafschaft Nizza versprochen. Gut, Romano hat sich tausend Mal geweigert, weil er weiß, dass ich hinter Napoleon stehe und er hasst mich, keine Ahnung warum ...“
 

„Er wusste nicht, warum ich ihn hasse?“, brach es plötzlich aus mir raus. „Aber er hat mich mit seinen Verfolgungsjagden keine Minute lang in Ruhe gelassen!“
 

„Ganz ruhig, Lovino.“ Antonio legte mir einen Arm um die Schultern, eine Geste, die mich ziemlich überraschte. „Das alles ist lange her ...“
 

„Schon, aber mir kommt es wie gestern vor“, erklärte ich ihm und schüttelte ihn ab. Er konnte nicht erwarten, dass seine Zärtlichkeiten erwiderte nachdem er mich tagelang links liegen gelassen hatte.
 

„Habt ihr vor, mich noch weiter zu unterbrechen?“
 

„Tut mir leid, Gilbert“, entschuldigte sich Antonio und versuchte, Distanz zwischen uns beiden zu schaffen.
 

„Gut, ich fahre fort …
 

„ … aber Romano hat zu einer Unterredung mit Napoleon eingewilligt, wenn du uns begleitest.“
 

„Ich? Was könnte dieses Kind von mir wollen? Ich kenne ihn nicht einmal, jedes Mal wenn ich mich um eine Angelegenheit in Bezug auf Italien kümmern musste, redete ich mit Spanien.“
 

„Er sind schon mehr als 60 Jahre vergangen, seit er sich unabhängig gemacht hat, mon chéri. Wir müssen damit anfangen, mit Romano politische Fragen zu behandeln.“
 

Es war ungewöhnlich „mon chéri“ mit einem deutschen Akzent zu hören, doch ich schluckte meine Bemerkungen hinunter und hörte weiterhin zu. Also, eigentlich gab es nichts mehr zum Zuhören, denn so wie es aussah, hatte Gilbert eine sehr lange Reise von Preußen nach Italien gemacht, die er uns mit allen Einzelheiten schilderte: dass sie von Banditen angegriffen wurden, an welchem Tag sie in welchem Dorf gegessen hatten, dass er und Francis sich in der inmitten der Reise gestritten und wieder versöhnt hatten – an der Stelle ist Gilbert verdächtig rot geworden - , dass er sich ein Buch gekauft und in Vollmondnächten gelesen hatte, dass sie geangelt und gejagt hatten, dass er ein Spielzeug für Ludwig gekauft hatte, und dann noch eins und noch ein drittes, wie sie gemerkt hatten, dass Pierre und Gilbird eine besondere Liebesgeschichte durchlebten … und danach kam noch ein riesiges Etcetera, das sich über mehr als 200 Seiten hinzog.
 

Als es dann schließlich 15 Uhr wurde und ich vor Hunger starb, kamen die beiden Nationen erschöpft in Italien an und wurden von mir, so wie es aussah, mit einem Festmahl begrüßt. Beim Essen hatte ich mich angeregt mit Napoleon III unterhalten, der sehr daran interessiert schien, mich persönlich kennenzulernen und als Verbündeten zu haben. Ich hatte mit Vergnügen eingewilligt, aber unter einigen Bedingungen (außer Nizza wollte ich noch Savoyen und bekam beides). Und nach dem Nachtisch hatte ich die Franzosen freundlich gebeten, sich zurückzuziehen, da ich noch Einiges mit Preußen zu besprechen hätte.
 

„Also echt, Lovino, du hast mich damals ziemlich überrascht.“
 

„Wieso?“, fragte ich und öffnete schlagartig die Augen, weil ich während des Reiseberichtes halb eingeschlafen war.
 

Und Preußen fing erneut an, aus seinem Tagebuch vorzulesen.
 

„Endlich lernen wir uns kennen.“
 

„Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hab ich das Gefühl, dich schon zu kennen, Lovino. Spanien hat viel von dir gesprochen.“
 

Nachdem er diese Worte vernahm, hüllte sich Romano in kurzes Schweigen. Doch es dauerte nicht lange. Er ignorierte meine letzte Bemerkung und schlug mir ein seltsames Angebot vor, das ich ohne Weiteres ablehnte: Jeder wusste, dass der Krieg gegen die Österreicher immer näher kam, und er bat mir seine Hilfe in Form von Waffen, Soldaten und Lebensmitteln an. Im Gegenzug wollte er die Region Venetien, die zu Österreich gehörte.
 

„Venetien? Venetien gehört seit dem Wiener Kongress Österreich und das weißt du ganz genau.“
 

„Besieg ihn und erobere Venetien. So einfach ist das.“
 

„Da sieht man, dass du noch ein Kind bist, Romano. Glaubst du etwa, Krieg sei ein Spiel für kleine Kinder, bei dem sich jeder das nimmt, was er will? Bedaure, es dir sagen zu müssen, aber so einfach ist das nicht.“
 

„Aber du brauchst doch Lebensmittel und Soldaten!“
 

„In jedem Krieg braucht man Lebensmittel und Soldaten, doch du bist nicht in der Lage, sie mir zu geben. Lass dir mal eine Sache erklären: wenn ein Land gerade seine Unabhängigkeit erreicht hat, dann haben seine Einwohner keine Lust, es zu verlassen. Sie beginnen, ihre Freiheit zu genießen indem sie Dörfer bauen, Felder pflügen, Waren kaufen und verkaufen und damit letzten Endes die Wirtschaft des Landes auf die Beine bringen. Gewöhnlich bringen sie ihre Kinder und Enkel dazu, dasselbe zu tun, also rechne ich damit, dass du noch eine Generation warten musst, bis du Außenpolitik machen kannst. Ich will deine Hilfe nicht, die du mir sowieso nicht geben kannst.“
 

Und mit diesen Worten erhob ich mich vom Tisch und ging in mein …
 

Preußen erzeugte einen Spannungsmoment und las das Geschriebene noch einmal mit gerunzelter Stirn und ungläubigem Gesichtsausdruck durch.
 

„Seltsam“, murmelte er nachdem er das Tagebuch geschlossen und sorgfältig in einem antiken Wams versteckt hatte. „Ich erinnere mich an den Krieg gegen Österreich, nun ja, ich erinnere mich an alle Kriege“, fügte er lächelnd hinzu. „ … und ich glaube, ich hatte dich als Verbündeten, aber das kann eigentlich nicht sein, ein Awesome nimmt niemals seine Worte zurück.“
 

„Und … Warum dann?“ Das verschmitzte Grinsen, das sich auf Antonios Lippen ausbreitete, gefiel mir kein bisschen.
 

Aber bevor ich es schaffte, auch nur eine einzige Frage zu stellen, erschien Francis in der Tür und gab Spanien sein Handy, das nun einen leeren Akku hatte, wieder zurück.
 

„Alles erledigt, mein Lieber. Du kannst dich beruhigen“, kommentierte Francis und setzte sich neben ihn.
 

„Vielen Dank, ich … ich wüsste nicht, wie ich das sonst schaffen sollte.“ Er sah ziemlich betrübt aus.
 

„Kann mir eigentlich Jemand verraten, was hier los ist?“, fragte ich, verärgert, weil alle Welt seltsame Geheimnisse zu haben schien und Keiner mir etwas erzählte.
 

Die drei verstummten und blickten sich gegenseitig fragend an. Keiner von ihnen sagte auch nur ein verdammtes Wort.
 

„Ah, mir ist gerade etwas Lustiges eingefallen, was in der Nacht als wir nach Italien kamen, passiert ist“, warf Francis mit einem perversen Grinsen ein.
 

Antonio erblasste.
 

„Wag es ja nicht, ihm davon zu erzählen“, drohte er stotternd.
 

„Das wird lustig.“ Und mit diesen Worten machte Gilbert es sich auf dem Sofa gemütlich und beobachtete leicht grinsend Antonios Reaktionen.
 

Francis räusperte sich bevor er weitersprach.
 

„Ich weiß es noch ganz genau: der zunehmende Mond, der Wind, der das Gras hin-und her wiegte und die Blätter der Bäume über meinem Kopf. Ich hatte mir meine besten Kleider angezogen, um dir einen kleinen Besuch abzustatten, Lovino, und mit dir wie ein Kavalier zu sprechen, doch wir kamen nicht dazu.“
 

„Warum nicht?“, fragte ich naiv.
 

„Ist es wirklich nötig, dass ich das mitanhöre?“ Spanien stand vom Sofa auf und machte sich bereit, zu gehen, als Preußen ihn packte und wieder nach unten zog.
 

„Aber sicher doch. Bitte, erzähl weiter, Francis.“
 

„Vielen Dank, Gilbert.“ Er räusperte sich noch einmal theatralisch. „Wo war ich? Ah, ja. Also, der Grund, warum ich nicht mit dir sprechen konnte, war, weil du eine ganze Flasche Wein in dich hineingeschüttet hattest und am Tisch eingeschlafen warst. „Antonio, Antonio … Bastard“ murmeltest du und lauter solche Sachen. Und da konnte ich natürlich nicht widerstehen …
 

Ich begann, dir ins Ohr zu flüstern um dich aufzuwecken. Du öffnetest die Augen einen Spalt weit und drehtest den Kopf nach hinten. „Was willst du, Idiot?“, fragtest du. „Dich.“ Und so fing ich an, dich langsam und bedächtig auf die Lippen zu küssen. Ich weiß noch, dass du nach Wein schmecktest, nach Alkohol … und nach Schmerz, da du angefangen hast, mich mit all deiner Kraft ins Gesicht zu schlagen. Doch du warst betrunken und ich der Stärkere, also hielt ich dich an den Armen fest und küsste dich immer fester und fester. Ich hatte so viele Jahrhunderte darauf gewartet, dich zu küssen, dass ich ganz bestimmt nicht die Chance verstreichen lassen würde, dich zu dem Meinen zu machen. Genau dort, auf jenem Tisch.“
 

„Im Ernst, Francis, ich will nichts mehr hören.“ Ich hielt meinen Arm so fest, dass es wehtat, um ihm nicht die Ohrfeige zu geben, die er so sehr verdiente.
 

„Leise, jetzt kommt die beste Stelle“, mahnte Preußen.
 

„Ich stieß die leere Weinflasche zusammen mit dem Glas vom Tisch“, fuhr Francis fort. „ … die beide auf dem Boden zerschellten und legte dich auf den Mahagonitisch.
 

Du hast weiterhin protestiert und geschrieen, doch nachdem ich deine Lippen gekostet hatte, konnte mich Niemand mehr aufhalten … nun ja, Niemand außer Spanien, der in diesem Moment den Essenssaal betrat, mich von dir wegzog und so schlimm verprügelte wie noch nie zuvor in meinem Leben.
 

„Lovino, alles in Ordnung? Hat er dir irgendwas getan?“ Und diese Worte waren das Letzte, was ich vernahm bevor ich auf dem Boden liegend das Bewusstsein verlor, mit Wunden, die Monate brauchen würden, um zu heilen.
 

~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ *
 

Antonio weigerte sich, mir zu erzählen, was in dieser Zeitspanne passiert war. Nachdem er das alles gehört hatte, stürmte er einfach durch die Tür und wurde nicht mehr gesehen. Er kam weder zum Mittagessen, noch zur Merienda [Anmerkung: Zwischenmahlzeit in Spanien zwischen Mittag-und Abendessen] und auch nicht, um sich mit seinen „Freunden“ zu unterhalten oder zu erklären, warum, zum Teufel, er so viele Stimmungsschwankungen an nur einem Tag hatte (er war doch keine Frau!).
 

Die Schnauze voll von diesem ganzen Mist, ging ich spätabends los, um ihn zu suchen. Ich wusste ganz genau, wo er sich aufhielt, nämlich auf diesem Hügel, hundert Meter von meinem Haus, mit dem Rücken an den einzigen Apfelbaum gelehnt, die Beine an die Brust gezogen und den Sonnenuntergang beobachtend.
 

Und ich hatte mich nicht geirrt.
 

„Antonio?“, fragte ich als ich mich ihm näherte. „Antonio, komm, gehen wir wieder ins Haus, Idiot, es wird langsam kalt hier.“
 

„Ja … ich komme“, antwortete er mir träge ohne den Blick von dem orange-rötlichen Leuchten abzuwenden, das sich hinter dem Gebirge versteckte.
 

Ich seufzte. Dieses Mal war er nicht nur ein tausendmal größerer Idiot als sonst, sondern auch noch unvernünftig, was ich ihn mit einem kräftigen Tritt ans Schienbein wissen ließ.
 

„Na dann denke ich nicht daran, mich von hier wegzubewegen, bis du wieder ins Haus gehst.“ Und so setzte ich mich stinksauer und mit verschränkten Armen neben ihn. Wenn er schon dickköpfig war, dann konnte ich es noch tausend Mal mehr sein.
 

So verbrachten wir die nächsten Minuten. Er außerstande, mir den Kopf zuzudrehen und mich anzusehen und ich völlig den Verstand verlierend von dieser dämlichen Nation, deren Anwesenheit mein Herz schneller schlagen ließ.
 

Die Farbe des Himmel wandelte sich zu einem bläulichen Violett und als die ersten Sterne anfingen, zu funkeln, brachte ich endlich den Mut auf, ihn erneut anzusprechen.
 

„Kann ich dich eine Sache fragen?“
 

„Bitte frag mich nicht, was passiert ist, nachdem ich dich vor Frankreich gerettet hab.“
 

„Nein … das ist es nicht.“ Man sah es ihm an, dass ihm diese Sache ziemlich viel Unbehagen bereitete, also wollte ich das Ganze nicht noch verschlimmern. „Warum … Warum hast du mir die Unabhängigkeit so schnell verliehen? Du hast weder mit mir gestritten, noch für mich gekämpft, du hast gar nichts gemacht um sie zu verhindern. Obwohl ich vermute, dass es andere, wichtigere Angelegenheiten gab, um die du dich kümmern musstest ...“
 

Antonios Lachen war leise, kühl und abweisend.
 

„Seltsam, das Gleiche hast du mich auch damals gefragt ...“ Er seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Es lässt sich wohl nicht vermeiden. Ich werde dir erzählen, was passiert ist.“
 

„Aber das war doch nicht meine Frage!“, dachte ich, beschloss aber, den Mund zu halten um nicht noch mehr kaputtzumachen.
 

„Sobald ich erfuhr, dass Frankreich dich zusammen mit Napoleon besuchen kommen würde, nahm ich mir ein Schiff und fuhr so schnell wie es nur ging zu dir nach Hause. Du standest nicht mehr unter meinem Schutz, da konnte ich mir gar nicht vorstellen, was dieser Perverse dir antun könnte. Leider habe ich mich nicht geirrt …
 

Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine rasende Wut in mir aufkam als ich dich unter seinem Körper liegen sah, protestierend und um dich tretend und nicht in der Lage, dich aus seinem Griff zu befreien. Also eilte ich so schnell wie ich konnte zu ihm, warf ihn zu Boden und ich erinnere mich nicht mehr genau an die Schläge, die ich ihm verpasste, aber ich glaube, meine Knöchel hatten sofort angefangen zu bluten.
 

Obwohl mir das natürlich völlig egal war.
 

„Lovino, alles in Ordnung? Hat er dir irgendwas getan?“, fragte ich mit bebender Stimme. Fast auf der Stelle umarmtest du mich und fingst an, fürchterlich zu zittern. Du hattest schreckliche Angst durchgestanden, doch nicht einmal halb soviel wie ich. Langsam nicktest du und drücktest dich an mich.
 

„Müsstest … du … nicht … eigentlich in deinem blöden Land sein?“ Ich lächelte. Trotz des Traumas, das du gerade hinter dir hattest, hattest du immer noch genug Kraft, um mich zu beschimpfen.
 

„Das Wichtigste ist jetzt, dass ich hier bin und dir nichts mehr Schlimmes passieren wird, Lovi, das versprech ich dir.“
 

„Du solltest nicht hier sein.“ Mit überraschender Kraft hast du mich nach hinten gestoßen und bist vom Tisch hinuntergestiegen. „Du und ich, wir haben nichts mehr miteinander zu tun.“
 

„Wie bitte? Ich s-schätze dich immer noch sehr.“
 

„Daran hättest du denken müssen bevor du mir die Unabhängigkeit verliehen hast, du Trottel.“
 

„Lovi“ Ich nahm dein Gesicht in meine Hände. In den sechzig Jahren, die wir uns nicht gesehen hatten, warst du so sehr gewachsen. Du warst so groß, so gutaussehend und so schlecht gelaunt wie noch nie. „Ich schenkte dir die Unabhängigkeit, weil du mich darum gebeten hast und wie du ja schon weißt, kann ich dir nie etwas abschlagen.“ Du bist rot geworden und hast mich erneut von dir geschoben. „Die Zeit war gekommen, dich gehen zu lassen und egal was für Schmerzen es mir bereitete, in wäre nicht in der Lage, dich noch länger bei mir zu behalten.“
 

„Du bist ein Idiot.“
 

„Das weiß ich, du hast ja gar keine Ahnung, was für einer.“
 

Und dann küsste ich dich.
 

Antonio küsste mich nicht nur in der Vergangenheit, im 19. Jahrhundert, sondern auch jetzt, in der Gegenwart unter dem Apfelbaum. Mit der einen Hand hatte er meine genommen und mit der anderen meine Wange gestreichelt, dann war er mir langsam nähergekommen und war nun dabei, mich zu küssen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, auf der einen Seite konnte ich mich nicht daran erinnern, ihn jemals geküsst zu haben und wusste deshalb nicht, was zu tun war, doch andererseits reagierte mein Körper ganz von allein. Ich zog ihn enger an mich, meine Hände in seinen Haaren. Es war so, als würde ich dieses unglaubliche Glücksgefühl bereits kennen, wusste aber gleichzeitig nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Also schloss ich die Augen und ließ mich von jenem Gefühl treiben, das meinen gesamten Körper erschaudern ließ.
 

Ganz langsam begannen wir, uns voneinander zu lösen. Mein Herz klopfte wie eine Lokomotive in voller Fahrt und meine Hände hatten immer noch nicht die Absicht, sich aus seinen Haaren zu lösen. Ich wollte mehr von Spanien, viel mehr als nur einen einzigen Kuss, egal wie intensiv dieser auch gewesen sein mochte. Schließlich nahm er meine Hände und legte sie mir in den Schoß.
 

„Danach versprach ich dir, mit Gilbert zu sprechen“, erzählte er weiter, so als ob nichts gewesen wäre. „damit er dich als Verbündeten akzeptiert und dann … verschwand ich.“
 

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Zwar wollte ich über das gerade Geschehene sprechen, doch gleichzeitig bekam ich kein Wort heraus. Ich war so verwirrt, ich wollte ihn schlagen, ihn umarmen, ihn erneut küssen und dann wieder von diesem unglaublichen Gefühl mitgerissen zu werden. Doch ich konnte nichts machen, da Spanien sich erhob, sich die Hose richtete und auf mich hinunterblickte.
 

„Gehen wir?“
 

Immer noch berauscht von dem Geschmack seiner Lippen, nickte ich langsam. Schweigend stand ich auf und wir gingen beide ins Haus zurück, der Stille der Nacht lauschend.



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