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Schatten der Vergangenheit

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen~ Komplett anzeigen

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Erkenntnis

Mit leerem Blick starrte Harry auf seinen leeren Teller hinab, während die Schüler um ihn herum munter ihr Frühstück verzehrten. Ihm dagegen war jeder Appetit verflogen. Er hatte wirklich gehofft, dass er, wenn er das nächste Mal die Augen öffnete, aus diesem Albtraum erwachen würde, doch das Meer aus Grün und Silber, das ihn am Morgen begrüßt hatte, sowie vier neugierige Augenpaare, die sich in seine bohrten, und ein strahlend lächelnder Tom Riddle, der sich über ihn beugte, womit er Harry fast einen Herzinfarkt bescherte -das war nun wirklich kein Anblick, den man direkt nach dem Aufwachen ertragen konnte - hatten all seine Wünsche und Hoffnungen brutal im Keim erstickt. Und der Albtraum war sogar noch schlimmer geworden, auch wenn er es nicht für möglich gehalten hatte. Nicht nur, dass er sich ein Zimmer mit dem jungen Voldemort teilen musste, nein, ein Mitglied der Malfoy-Familie war ebenfalls mit von der Partie, unweigerlich an dem weißblonden Haar und den arroganten Gesichtszügen zu erkennen, die man wohl schon als Markenzeichen der Familie bezeichnen konnte, sowie ein Vorfahr der Lestranges und der Averys. Den größten Schock hatte ihm jedoch die exakte Kopie seines Patenonkels Sirius Black bereitet. Wenn auch um Jahre jünger, war die Ähnlichkeit zwischen ihnen fast beängstigend. Harry hatte jede Faser seiner Selbstbeherrschung aufbringen müssen, um dem Sirius-Klon nicht um den Hals zu fallen, als ihn die Erleichterung, seine einstige Vaterfigur und letzte Person, die er zu seiner Familie zählen konnte, wohlauf zu sehen, im Halbschlaf beinahe übermannte. Doch ein Blick auf Tom Verdammt-nochmal Riddle, der die Situation mit wachen Augen beobachtet hatte, holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Er durfte sich nicht verraten. Er musste sich unter Kontrolle halten. Mit aller Mühe hatte er versucht, seine Freude über Sirius' Anblick, wenn es auch nur ein Vorfahr und nicht er selbst war, zu unterdrücken. Doch an dem Misstrauen und der Verwirrung in Riddles kalten, blauen Augen hatte Harry erkennen können, dass seine Gesichtszüge etwas von dem inneren Sturm seiner Gefühle verraten hatte. Wenn er nicht bald in seine eigene Zeit zurückkehren könnte, würde er lernen müssen, seine Emotionen und seine Gesichtszüge besser unter Kontrolle zu halten... Hoffentlich fand er so schnell wie möglich einen Weg zurück.

Seufzend legte er seine Arme auf die Tischplatte und stützte sein Kinn auf eine Hand. Er fühlte sich wie erschlagen. Seine Glieder schmerzten wie nach einem Zauberduell und ein unangenehmes Pochen hinter seiner Stirn trieb ihn fast in den Wahnsinn. Als hätte Voldemort versucht, in seinen Verstand einzudringen. Aber.. das war nicht möglich. Voldemort war nicht hier, nun, zumindest nicht der Voldemort, und Riddle war noch zu jung, um diese Fähigkeit zu besitzen... oder? Eine böse Vorahnung schnürte ihm die Kehle zu. Die Frage war nicht, ob er es konnte, sondern was, wenn er es konnte? Dann war Harry erledigt, dachte er nüchtern, sich vollkommen darüber im Klaren, dass er in Okklumentik eine Niete war. Snape hatte ihm das mehr als deutlich zu verstehen gegeben. Sollte der junge Voldemort in seinen Verstand eindringen wollen, hätte er ihm wohl kaum etwas entgegen zu setzen. Und wenn er es bereits getan hatte?

Verstohlen warf Harry dem dunkelhaarigen Jungen mit den perfekt gekämmten Haaren und perfekten Tischmanieren einen misstrauischen Blick zu. Riddle benahm sich ihm gegenüber... nett. Verdächtig nett, um ehrlich zu sein, wenn er an sein eigenes, feindseliges Verhalten bei ihrer ersten Begegnung zurückdachte. Er war höflich, hilfsbereit, zuvorkommend. Genau wie man es von einem Vertrauensschüler gegenüber einem neuen Schüler erwartete. In den Augen der anderen war Riddles Benehmen keinesfalls seltsam oder beunruhigend. Harry dagegen hatte das ungute Gefühl, dass Riddle bereits etwas vermutete, was auch immer das sein mochte. Die Freundlichkeit, mit der der andere Junge ihn bedacht, kam ihm äußerst suspekt vor. Aber vielleicht war Harry auch einfach nur paranoid. Er betete inständig, dass dem so war, denn andernfalls, wusste er nicht, was er tun sollte. Er fühlte sich so ausgelaugt wie lange nicht mehr. Das letzte mal war er nach seinem Kampf gegen Voldemort und seinen Todessern im Zaubereiministerium in seinem fünften Schuljahr so geschafft gewesen. Die Nacht hatte ihm entgegen seiner Erwartungen keinerlei Erholung gebracht, auch wenn er zur Abwechslung mal von Albträumen verschont geblieben war. Was allerdings daran liegen mochte, dass er bereits einen Ehrenplatz in seiner ganz persönlichen Hölle direkt neben dem leibhaftigen Teufel in Gestalt eines Unschuldsengels sein eigen nennen durfte. Wie sollte er sich da entspannen? Und das aufgeregt Stimmengewirr sowie die neugierigen, misstrauischen, teils auch feindseligen Blicke seiner neuen Mitschüler halfen auch nicht gerade dabei, seine innere Ruhe wiederzufinden, um sich dem ganzen Schlamassel mit klarem Kopf stellen zu können. Harry brauchte Ruhe, um seine Gedanken zu ordnen, wenn er in Slytherin bis zu seiner Rückkehr in seine Welt überleben wollte. Er musste von Riddle wegkommen, doch der schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, Harry wie eine Klette an den Fersen zu hängen. Zuerst hatte er ihm seine neue Zimmerkameraden der Reihe nach vorgestellt: Julius Lestrange, Noctis Avery, Abraxas Malfoy -Harry konnte seine Begeisterung kaum in Grenzen halten- und Alphard Black, Sirius' Doppelgänger. Harry glaubte noch jetzt die argwöhnischen, taxierenden Blicke auf seiner Haut prickeln fühlen zu können, mit denen sie ihn gemustert hatten, außer Alphard, der sich alle Mühe hatte geben müssen, die Augen offen zu halten. Und Harry hatte gedacht, er hätte Probleme, morgens beizukommen. Alphard Black war da ein ganz anderes Kaliber.

Als die unangenehme Prozedur des Kennenlernens, Fragen Ausweichens und Abschätzens dann überstanden war, hatte Harry geglaubt, Riddle würde die Gelegenheit nutzen, den Neuen sich selbst zu überlassen, und sich mit den anderen Jungen zur Große Halle begeben, doch nachdem er aus dem Bad zurückgekehrt war, Alphard in seinem Schlepptau, der ihn nicht eines verschlafenen Blickes würdigte -Harry fragte sich schon, ob er sich seiner Anwesenheit in seinem übermüdeten Zustand überhaupt bewusst gewesen war- hatte er Riddle mit einem Buch in der Hand auf seinem Bett sitzend vorgefunden. Als er Harry bemerkt hatte, war aufgesprungen, ein freundliches Lächeln im Gesicht, das Harry Schauer über den Rücken sandte. Im ersten Augenblick hatte Harry die verzweifelte Hoffnung gehabt, der Voldemort-Verschnitt hätte auf Alphard gewartet, doch auch diese war unwiderruflich zerstört worden, als Riddle an dem jungen Black vorbei stolziert war, ohne ihn auch nur zu beachten. Harry hätte sich am liebsten die Haare gerauft. Was wollte er von ihm? Er hatte ihm doch schon letzte Nacht alle erklärt, was ein Neuankömmling über das Schloss wissen musste, um sich zurechtzufinden! Was war denn jetzt noch?

Die Frage musste Harry im Gesicht gestanden haben, denn Riddles Lächeln war noch eine Spur breiter -und unheimlicher- geworden, bevor er munter verkündet hatte: „Komm, ich begleite dich zur Großen Halle. Wir wollen doch nicht, dass sich der Neue an seinem ersten Schultag verläuft, nicht wahr? Das kann in Hogwarts ernste Konsequenzen haben.“

Harry gefror das Blut zu Eis. Das letzte bisschen hatte verdächtig nach einer Drohung geklungen.

Als er keine Anstalten gemacht hatte, sich in Bewegung zu setzen, hatte Riddle leise seufzend seinen Arm gepackt und ihn unnachgiebig in den Gemeinschatfsraum der Slytherins geschleift, wo Harry sich weiteren verblüfften und musternden Blicken ausgeliefert gesehen hatten, dann war er mehr schlecht als recht von Riddle in die Große Halle bugsiert worden, wo die Aufmerksamkeit aller auf ihm geruht hatte. Nicht nur am Tisch der Slytherins, der bereits halb von Schülern besetzt gewesen war, sondern auch an denen der anderen Häusern und dem der Lehrer hatten sich Köpfe in Harrys Richtung gewandt, sich Augen auf sein Gesicht geheftet und in seinen Rücken gebohrt, während Riddle ihn schweigend an einem Arm zu einem leeren Platz in der Mitte der Schülergemeinschaft geführt hatte, wo er sich elegant niedergelassen und Harry wie bestellt und nicht abgeholt stehen gelassen hatte, da es ansonsten keinen freien Sitzplatz in seiner Nähe mehr gab. Der Gryffindor, er weigerte sich, Slytherin als sein neues Haus zu akzeptieren, hatte sich bereits abwenden wollen, da hatte Riddle sein Gesicht einem blonden, schmächtigen Jungen mit einem fiesen Zug um Mund, Noctis Avery, wenn Harry sich recht erinnerte, zugedreht, der sich nur einen Herzschlag später erhoben, einen empörten Ausdruck auf dem bleichen Gesicht, und Harry mit einem Seitenblick versuchte hatte zu erdolchen, bevor er sich am Rand der hämisch kichernden Slytheringemeinschaft einen neuen Platz suchte. Harry hatte ihm etwas geschockt hinterher geschaut. Er hatte noch jetzt das ungute Gefühl, sich gerade einen neuen Feind gemacht zu haben, obwohl er rein gar nichts angestellt hatte. Das fing ja großartig an.

„Setz dich, Harry“, hatte Riddle ihn mit einem kameradschaftlichen Nicken auf den nun leeren Platz neben ihm aufgefordert. Harry hatten sich die Nackenhaare aufgestellt, als der Mörder seiner Eltern ihn so vertraut mit seinem Vornamen angesprochen hatte und tatsächlich für einen Moment mit dem Gedanken gespielt, ihn einfach zu ignorieren und sich am Ende des Tisches einen Platz so weit weg wie möglich von ihm zu suchen, doch so schnell wie er gekommen war, hatte er ihn wieder verworfen. Er hatte sich vorgenommen, sich unauffällig zu verhalten. Keinen Verdacht zu erregen, Riddles Misstrauen nicht noch mehr Stoff zu liefern. Er musste unscheinbar werden, damit der junge Dunkle Lord sein vorübergehendes Interesse an ihm wieder verlor. Und jeder normale Neuankömmling, der Riddles wahres Gesicht nicht kannte, wäre der Einladung des charmanten Vertrauensschülers ohne Umschweife nachgekommen. Er war freundlich, höflich, gutaussehend und an den bewundernden Blicken der Jungen und den verträumten Ausdrücken der Mädchen, mit denen sie Riddle bedachten, konnte Harry ganz klar erkennen, dass der junge Vordemort bereits ein beunruhigendes Maß an Einfluss im Haus der Slytherins besaß. Niemand bei klarem Verstand hätte sich gegen ihn gestellt. Nein, sein Interesse hätte ihnen wahrscheinlich auch noch geschmeichelt. Harry dagegen widerte es an, aber auch das durfte er sich nicht anmerken lassen. Er musste mitspielen, gute Miene zum bösen Spiel machen, bis er eine Lösung für dieses Chaos fand. Daher hatte Harry sich widerwillig neben Riddle niedergelassen, einen missmutig dreinblickenden Lestrange zu seiner Rechten.

Und so saß er hier, umgeben von Baby-Todessern. Das war ja einfach klasse. Da war ihm glatt der Appetit verflogen.

Harry fragte sich, wie weit Riddle wohl schon gegangen war? Hatte er schon jemanden getötet? Ob er die Kammer des Schreckens bereits gefunden hatte? Bei dem Gedanken horchte er auf. Die Kammer! Natürlich! Das würde er sofort überprüfen können!

Hastig und mit neu gefundener Energie ließ er seinen Blick an dem Tisch der Gryffindors entlang wandern, die wild gestikulierend und übermütig lachend ihr Frühstück genossen, ganz im Gegensatz zu den Slytherins, die steif und verklemmt jeder Tischmanier folgten, die jemals erfunden wurde. Wie sehr Harry sich danach sehnte, inmitten der roten und goldenen Banner zu sitzen, anstatt von Grün und Silber umgeben zu sein . Er war ein Löwe, keine Schlange. Vielleicht -und das war ein großes Vielleicht!- hatte es damals in seinem ersten Schuljahr die winzig kleine Möglichkeit gegeben, dass er auch ein Slytherin hätte werden können, doch jetzt, Jahre und einige Kämpfe mit dem Erben besagten Hauses später, war es doch mehr als eindeutig, dass er ein Gryffindor war. Von Kopf bis Fuß. Mit ganzem Herzen. Was hatte sich der verdammte Hut nur dabei gedacht, ihn nach Slytherin zu stecken, fragte er sich zum wiederholten Male, ohne mit einer Antwort belohnt zu werden. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn sie aus dem Nichts aufgetaucht wäre. Hätte sein Leben zur Abwechslung ja auch mal um einiges leichter gemacht.

Harrys grüne Augen beobachteten weiterhin aufmerksam den Tisch der Löwen, doch noch immer fand er nicht, wonach er suchte. Und das bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Wenn er nicht mehr an der Schule war, dann hieß das... dass Tom Riddle die Kammer bereits geöffnet hatte. Aber... wie lange schon? War schon jemand gestorben? An den ausgelassenen Mienen der Schüler und Lehrer zu urteilen nicht. Aber dann...

„Suchst du jemanden, Harry?“, fragte ihn eine dunkle, samtene Stimmer zu seiner Linken.

Verschreckt zuckte Harry zusammen, atmete einige Male tief durch, um seine Panik und sein wild klopfendes Herz zu beruhigen, bevor er sich dem Jungen mit dem perfekten Gesicht zuwandte, der ihn aufmerksam mit seinen hellblauen Augen musterte.

„Nein, wieso?“ Sogar in seinen eigenen Ohren klang er nervös. Harry verfluchte sich.

Riddle legte den Kopf leicht schräg, wobei nicht auch nur eine Strähne seines sorgfältig gekämmten Haares verrutschte. Alles hielt... perfekt. Harry entwickelte so langsam eine Abneigung gegen dieses Wort.

„Weil du schon eine geraume Zeit den Tisch dort drüben beobachtest.“ Riddles Augen wurden eine Spur schmaler. „Als würdest du nach jemanden suchen.“

Harry gab ein unsicheres Lachen von sich. „Das bildest du dir ein. Ich bin neu. Ich kenne doch niemanden hier.“

Riddle schenkte ihm ein eisiges Lächeln. „Sicher?“

Harry nickte bestimmt. „Ganz sicher“, erwiderte er mit festerer Stimme, als er sich zugetraut hätte, während er Riddles bohrendem Blick standhielt. Keinen Verdacht erregen. Sich normal verhalten. Kein Misstrauen sähen. Das war der Plan.

Überrascht hob Riddle eine Augenbraue, doch bevor er auch nur zu einer weiteren Frage ansetzen konnte, erregte eine Bewegung am Eingang der großen Halle Harrys Aufmerksamkeit. Ein großer, fast riesiger Junge, der bei seiner Statur schon eher als 'Mann' durchgehen konnte, betrat soeben die Halle, die Haltung gekrümmt, als wollte er kleiner erscheinen, was ihm nicht gelang, das Gesicht verdeckt von einem Vorhang dunklen Haares, dennoch erkannte Harry ihn auf Anhieb und eine grenzenlose Erleichterung durchflutete ihn. Hagrid. Sein Freund Rubeus Hagrid war noch an der Schule. Das hieß Riddle hatte die Kammer noch nicht gefunden. Myrtle lebte also noch. Was dieses Wissen ihm nun brachte, wusste er selbst nicht, doch die Freude darüber, dass keiner der Menschen, die ihm an Herzen lagen, auch wenn Myrtle eindeutig ein Sonderfall war, bereits zu einem Opfer von Riddles Machenschaft geworden war, ließ ihn in diesem Moment alles andere vergessen. Er war einfach nur froh, ihn wohlauf zu sehen.

Sekunden verstrichen, in denen er leise lächelnd beobachtete, wie Hagrid zum Tisch der Gryffindors stapfte und sich schwerfällig auf einer Bank niederließ, wodurch einige andere Schüler in die Luft gefedert wurden, was mit brüllendem Lachen und verschrecktem Quietschen kommentiert wurde, erst dann fiel ihm wieder ein, neben wem er eigentlich saß. Sofort vertrieb er das Lächeln aus seinem Gesicht, bemühte sich um eine ausdruckslose Miene, doch die brennende Neugier, die er in Riddles Augen erkannte, als er ihm aus den Augenwinkeln einen Blick zuwarf, und die leise Erkenntnis, die dahinter schimmerte, machten all seine Bemühungen wieder zunichte. Verdammt, er musste vorsichtiger werden!

Riddles Mundwinkel hoben sich zu einem gewinnenden Lächeln, von dem Harry sofort wusste, dass es nicht echt war. Nichts an diesem Monster war echt.

„Jemand, den du kennst?“ Sein Ton war leicht, beiläufig, doch Harry ließ sich davon nicht täuschen. Dieses Mal würde er auf der Hut sein.

Er erwiderte Riddles Lächeln, versuchte, es etwas unsicher wirken zu lassen. Als hätte Riddle ihn bei etwas ertappt. Hoffentlich war es überzeugend.

„Nein“, log Harry, auch wenn es wohl nur eine halbe Lüge war, denn diesen Hagrid kannte er wirklich nicht, nur sein zukünftiges Ich. Wie sehr sie sich wohl voneinander unterschieden?

Riddle hob eine Augenbraue, Zweifel stand ihm ins Gesicht schrieben, daher fuhr Harry hastig fort: „Es ist nur... er ist riesig! Er überragt alle anderen Schüler! Wie groß ist er? Zwei Meter?“ Da! Viel besser als vorher, dachte Harry, zufrieden mit seiner Vorstellung. Dieses Mal klang sein Ton glaubhaft. Zumindest in seinen Ohren.

Gespielt neugierig reckte Harry den Hals, gab vor, einen besseren Blick auf den jungen Hagrid erhaschen zu wollen, versuchte den Eindruck zu erwecken, sein Interesse an dem Jungen würde ausschließlich auf seiner ungewöhnlichen Größe beruhen, während sich ein Paar eisblaue Augen unablässig in seine Kopfhaut brannte. Harry bemühte sich, seine Maske aufzubehalten, dieses Mal nichts von seinen wahren Gefühlen zu offenbaren, was ihm wohl tatsächlich, entgegen aller Erwartungen, gelang, denn nach wenigen Sekunden drang ein ergebenes Seufzen an sein Ohr, dann verschwand das unangenehme Kribbeln auf seinem Gesicht. Etwas überrascht, dass Riddle so leicht von ihm abließ, wandte er dem anderen Jungen den Kopf zu, was sich als fataler Fehler herausstellte, denn just in diesem Moment richtete sich Riddles Blick abermals auf Harry, als hätte er genau dieses Verhalten vorhergesehen. Eisiges Blau bohrte sich unnachgiebig in lebendiges Grün. Instinktiv wollte Harry vor dem durchdringenden Blick seines Gegenübers zurückweichen, doch er hielt stand, weigerte sich, klein beizugeben. Das wäre doch gelacht. Im Innern war er nach wie vor ein Gryffindor, was auch immer der plappernde Hut behaupten mochte. Er hatte dem erwachsenen Voldemort schon oft genug im Angesicht des sicheren Todes gegenübergestanden und war ihm doch jedes Mal entkommen. Wenn auch meistens nur um Haaresbreite, aber das musste man ja nicht laut sagen. Da wäre es doch ein schlechter Scherz, wenn er nicht gegen den jungen Möchtegern-Lord ankäme. Er hatte weder die Macht noch die Gefolgschaft, die sein zukünftiges Schlangen-Ich sein eigen nannte! ...Hoffte Harry zumindest. Außerdem hatte er Dumbledore auf seiner Seite, der von Natur aus ein gesundes Misstrauen gegenüber Riddle hegte, wie Harry sowohl an seinem Verhalten in der Erinnerung in seinem zweiten Schuljahr als auch an seiner gestrigen Reaktion auf Riddles Anwesenheit im Krankenflügel erkannt hatte. Dumbledore traute dem Möchtegern-Lord nicht über den Weg, obwohl er nicht wissen konnte, dass der unschuldig wirkende Junge einmal zu einem wahnsinnigen Massenmörder aufsteigen würde. Harrys Respekt für Dumbeldore wuchs stetig. Er froh, wenigstens einen Verbündeten in dieser Zeit zu haben. So war er zumindest nicht vollkommen alleine.

Sekunden verstrichen, in denen sich die beiden Jungen einfach nur anstarrten, keiner bereit dem anderen die Genugtuung eines Triumphs zu gönnen, indem er den Blick abwandte, dann breitete sich ein leises Schmunzeln auf Riddles Gesicht aus, das den Bann zu brechen schien und Harrys Misstrauen in die Höhe schnellen ließ. Was hatte er vor?!

Stumm beobachtete Harry, wie Riddle sich von ihm wegdrehte, die Arme nach den Speisen auf dem Tisch ausgestreckt, dann häufte er einen Berg der dampfenden Köstlichkeiten auf seine unberührte Platte. Auf Harrys verdatterten Blick hin schenkte Riddle ihm ein warmes Lächeln.

„Du hast den ganzen Morgen noch nichts gegessen, Harry, das macht mir Sorgen“, erklärte Riddle sein Benehmen in übertrieben fürsorglichem Ton, ganz der Musterschüler, der sich um den Neuen kümmerte. Harry drehte sich der Magen um.

„Danke, aber ich habe keinen Hunger“, entgegnete er wahrheitsgemäß, doch sein Ton klang wohl eine Spur zu bissig, denn alle Baby-Todesser um ihn herum drehten ihm fast gleichzeitig die Köpfe zu, einen anklagenden Ausdruck in den Augen, der unmissverständlich zeigte, dass sie es nicht duldeten, wenn man ihrem Möchtegern-Lord widersprach. Harry schluckte. Gar nicht gut.

Riddle ignorierte Harrys Worte gekonnt. Stattdessen schaufelte er noch mehr Essen auf seinen Teller, griff dann nach einer silbernen Gabel und drückte sie Harry entschieden in die Hand.

„Iss.“ Riddles Ton glich einem Befehl, hart, gebieterisch, unnachgiebig, den auch das perfekte Lächeln auf seinem Gesicht nicht verbergen konnte, doch wenn er glaubte, Harry damit einzuschüchtern, war er an der falschen Adresse.

Stur legte er die Gabel auf das dunkle Holz und verschränkte die Arme. „Wie gesagt, keinen Hunger.“ Wieder blickte er Riddle geradewegs in die Augen, seine Nerven zum Zerreißen gespannt. Was tat er hier eigentlich? Das widersprach allem, was er sich vorgenommen hatte! Wie war das noch mit 'keine Aufmerksamkeit erregen'? Das hier war das genaue Gegenteil, verdammt!

Riddles Lächeln schien auf seinem Gesicht zu gefrieren, ein bedrohliches Glitzern erschien in seinen Augen, das Harrys Nackenhaare dazu veranlasste, sich alarmierend aufzustellen, dann verschwand es auch schon wieder, machte einem betroffenen Ausdruck Platz, der Harry abermals aus der Bahn warf. Wie machte Riddle das nur?! Er konnte von einem Augenblick auf den anderen seine ganze Ausstrahlung verändern! Das war doch unheimlich! Warum fiel das niemandem sonst auf?

Beschämt ließ Riddle den Kopf hängen. „Verzeih, Harry, ich wollte dich nicht zwingen.“ Lügner. „Ich dachte nur, es wäre besser, den ersten Schultag mit vollem Magen zu beginnen. Man weiß nie, was einen in Hogwarts erwartet“, ja, davon konnte Harry ein Lied singen, „da wirst du deine Energie brauchen.“

Harry spürte, wie es in seinem Inneren brodelte. Dieser Mistkerl war ein hervorragender Schauspieler und ein noch begabterer Lügner. Nach seinem Erlebnissen im zweiten Schuljahr war ihm klar gewesen, dass Voldemort schon in jungen Jahren verschlagen gewesen war, sogar gefährlich, schließlich hatte er vorgehabt, Ginny ihre Lebenskraft zu entziehen, um selber real zu werden. Dieses Monster hätte ein unschuldiges, kleines Mädchen ohne mit der Wimper zu zucken für seine eigennützige Zwecke geopfert. Schon alleine seine Anwesenheit war Harry zuwider. Er... er musste hier weg. Weg von Riddle und seinen Gefolgsleuten. Er brauchte Ruhe. Zeit zum Nachdenken. Er musste mit Dumbledore reden, ihn um Rat fragen. Er brauchte irgendjemanden, mit dem er über den ganzen Mist reden konnte.

Unvermittelt schnellte Harry in die Höhe. Von seiner plötzlichen Bewegung überrascht zuckten einige seiner Tischnachbarn vor ihm zurück und schauten aus großen Augen zu ihm auf. Riddle dagegen blieb die Ruhe selbst.

„Wo willst du denn hin, Harry?“, fragte er entspannt, den Kopf leicht schräg gelegt. Seine Miene zeigte Hilfsbereitschaft, doch in seinen eisigen Augen entdeckte Harry eine brennende Neugierde.

Wortlos stieg Harry über die Holzbank, auf der die anderen Schüler saßen, die das Geschehen allesamt wortlos, jedoch eindeutig interessiert beobachteten.

„Harry?“ Riddles Ton wurde eine Spur kälter, mahnender. Anscheinend hasste er es, ignoriert zu werden.

Harry speicherte diese Information sorgfältig ab, bestimmt würde sie noch einmal nützlich sein, bevor er sich höflich lächelnd Riddle zuwandte. Das war schwerer als gedacht. Harry glaubte schon zu fühlen, wie sich seine Gesichtsmuskeln verkrampften.

„Ich wollte mir nur schon mal den Unterrichtsraum für die erste Stunde ansehen. Verteidigung gegen die Dunklen Künste hattest du gesagt, ja? Ich kann es gar nicht erwarten!“

Gott, er hörte sich ja schon wie Hermine an. Hoffentlich würde er sich nicht zu einem Streber entwickeln.

Zu Harrys Entsetzen machte Riddle Anstalten, sich ebenfalls zu erheben, gefolgt von einigen seiner Gefolgsleuten. Ihm wurde Angst und Bang.

„Was hast du vor?“

Riddle warf ihm einen verständnislosen Blick zu. „Aber, Harry, du kennst den Weg doch gar nicht.“ Oder?, schien sein Blick zu sagen und Harry hätte sich am liebsten gegen die Stirn geschlagen. Natürlich, Neuling. Er hätte sich in Hogwarts gar nicht auskennen dürfen, auch wenn Riddle ihm die Wege zu den wichtigsten Räumlichkeiten erklärt hatte. Ein neuer Schüler hätte sich in Hogwarts niemals alleine zurecht gefunden. Verdammt! Der Plan war ja schön nach hinten losgegangen.

„Ah, ja, jetzt, wo du es sagst“, murmelte Harry kleinlaut. Mit einer Handbewegung deutete er dem charmant lächelnden Riddle, er sollte vorgehen.

Der Möchtegern-Lord stieg ebenfalls über die Bank, sehr viel eleganter als Harry zuvor, dann drehte er sich seinen Todessern in spe zu, die ihm folgen wollten.

„Ihr könnt ruhig noch euer Frühstück genießen, Harry und ich schaffen das schon alleine“, hielt er sie zurück, was ihm einige geschockte, sowie verärgerte Blicke einbrachte. Lestrange im Besonderen schien von seinen Worten gekränkt zu sein.

„Wir sehen uns dann später.“

Riddles Aufmerksamkeit kehrte zu Harry zurück, der sich alle Mühe gab, ihn nicht mit seinen Blicken zu erdolchen. Warum konnte er ihn nicht in Ruhe lassen?!

„Kommst du, Harry?“ Riddle blendete ihn mit einem strahlenden Zahnweiß-Lächeln.

Ein ergebenes Seufzen unterdrückend nickte Harry. „Geb den Weg vor.“

Niedergeschlagen folgte er einem verdächtig gut gelaunten Tom Riddle, doch bevor sie die große Halle verlassen hatten, warf er dem jungen Hagrid noch einmal einen verstohlenen Blick zu. Er war wirklich froh, dass es seinem Freund gut ging, auch wenn er nicht wusste, wie lange das noch so bleiben würde.

Ein scharfer Stich zuckte durch sein Herz, als Harry daran dachte, dass er das Unglück, das Hagrids Leben auf Hogwarts zerstören würde, mit seinem Wissen verhindern könnte. Er könnte Riddle vielleicht davon abhalten, die Kammer zu finden. Dann würde niemand zu Schaden kommen, niemand würde sterben...

Entschieden schüttelte er den Kopf. Nein, er durfte die Vergangenheit nicht verändern. Das hatte Hermine ihm unnachgiebig eingeschärft, als sie den Zeitumkehrer genutzt hatten, um Sirius vor seiner Hinrichtung zu bewahren. Es durften keine große Veränderungen vorgenommen werden, vielleicht kleine Korrekturen hier und da, aber mehr auch nicht. Die Konsequenzen wären zu verheerend. Nein, er durfte sich nicht einmischen, solange er hier war. So war es für alle das Beste.


Nachwort zu diesem Kapitel:
X3 Harry, versuch es erst gar nicht. Du kannst Tom sowieso nicht entkommen. ;) Das lassen weder er noch ich zu~ <3
Über Feedback würde ich mich sehr freuen. ;)

LG,
Zerina Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Liar
2015-05-17T09:55:11+00:00 17.05.2015 11:55
Oh mein Gott! Ich liebe dieses Chapter. Es ist granios.

Hi^^

also mit diesem Chapter hast du dich echt selbst übertroffen, finde ich. Ich liebe es, es ist so klasse. Wirklich! Auch die Darstellung der Charaktere einfach wunderbar, ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen und ganz ehrlich ich will jetzt und sofort wissen wie es weiter geht, darum bitte schreib schnell weiter.
Aber zum Chapter selbst^^
"Niemand bei klarem Verstand hätte sich gegen ihn gestellt." Wie gut das unsere Harry noch nie einen klaren Verstand besessen hat, denn sonst würde er sich nicht gegenTom stellen. Oh ich bin sicher die Beiden werden noch die besten Freunden *ja auch mal fies sein will*
Aber wie du Tom und sein Gefolge rüber bringst klasse, Baby-Todesser, ich musste so lachen. Herrlich!
Harry hat es echt nicht leicht im Haus der Schlangen und ich denke mal er hat sich gerade eben keine Freunde gemacht, ich will [s]gar[/s] nicht wissen was die Schlangen mit ihm machen, wenn Tom mal nicht anwesendt ist um sein Besitz an Harry zu sichern.
Abwarten was Harry tun wird, ich bin wirklich sehr gespannt darauf wie es weiter gehen wird und vor allem was Tom noch so alles vorhat, den er schafft es unseren guten Harry mehr als in die Enge zu treiben und es ist toll^^

LG Liar
Antwort von:  Liar
17.05.2015 11:56
Ahh mist, nicht granios sondern : Grandios
Sorry
Antwort von:  Zerina
17.05.2015 17:43
Hallo~

Dankeschön~ <3 Ich freue mich riesig, dass dir das Kapitel so gut gefallen hat.
Sorry, dass ich dir dieses mal keine ENS geschickt habe, aber ganz ehrlich: du warst zu schnell. XD Ich habe erst jetzt hier reingeguckt und gesehen, dass das Kapitel on ist, aber da hattest du schon entdeckt. Vielleicht bin ich beim nächsten schneller. ;) Hochgeladen ist es, braucht nur noch die Freischaltung. X3

O///O Vielen Dank. Schön, dass ich die Charaktere getroffen habe. Das ist immer meine größte Sorge. ;)
X3 Tja, der liebe Harry schafft es halt immer wieder, der Vernunft die Stirn zu bieten. ;)
"Beste Freunde". Ja, so kann man es natürlich auch ausdrücken. XD Sie werden bestimmt noch ein Herz und eine Seele~
Schön, dass dir die Wortschöpfung gefällt. Ich brauchte einen Begriff für Harry, mit dem er Toms Gefolge beschreiben und gleichzeitig ins Lächerliche ziehe kann. ;)
X3 Nimm dich in Acht Harry~ Die Autorin dieser Geschichte gehört schließlich auch zu Slytherin. Xd Ich habe noch viel mit ihm vor.^^
XD Tom hat voll und ganz die Kontrolle in dem... Spiel übernommen. ;) Naja, er hat auch etwas mehr Erfahrung in dem Ganzen, aber Harry wird das schon lernen. X3 Für Tom ist er der perfekt Spielgefährte. XD

Vielen Dank für deinen Kommi.

LG,
Zerina


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