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Iris Chronicles

Eine Laune der Götter
von

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Im Dickicht

Die Überreste eines Lagerfeuers rauchten müde in der kühlen Morgenluft. Erste Sonnenstrahlen stahlen sich zwischen den hohen, schneebedeckten Gipfeln des Drachenrückengebirges hindurch und erweckten die Nadelwälder um Valstedt. Ein Spatze flog über die kleine Lichtung und zwitscherte vergnügt, während ein junger Jäger aus seinem Schlaf erwachte und die Füße nach den wärmenden Kohlen des Feuers ausstreckte. Tau hing in seinen feuerroten Haaren und lief ihm über das bleiche Gesicht. Blinzelnd, noch halb schlafend zog er die Kapuze seines Umhangs zurück und drehte sich auf den Rücken, den Blick über das Himmelszelt schweifen lassend.

Über ihm zogen flauschige Schäfchenwolken über den noch tief blauen Himmel, der erst durch wenige Sonnenstrahlen aufgehellt wurde. In diesen Regionen bedeutete das baldigen Schneefall, der trotz des aufkommenden Frühlings zu kleineren Schneestürmen werden konnte und den Heimweg um gut einen halben Tag verlängern würde.

Zähneknirschend warf er seinen Umhang beiseite und tastete suchend nach seinem Jagdmesser. Prüfend nahm er seine Umgebung in Augenschein als er sich aufrichtete und streckte. Auch wenn er wenige Meilen von einem Fischerdorf kampierte, waren die Wälder um Valstedt tückisch und so mancher naiver Wildling wagte sich an einen Jäger heran. Doch heute war ihm Arusa wohlgesinnt und hatte ihm nicht nur einen sicheren Ort zum Kampieren beschert, sondern ihn auch vor Angreifern bewahrt. Mit einem Griff an seine Brust nahm er den handgeschnitzten Talisman aus Elchgeweih in die Faust und führte ihn zu einem stillen Gebet vor den Mund. Seine leicht aufgesprungenen Lippen formten seine gewohnte Danksagung an die Erdgöttin, bevor er seinen Bogen schulterte, den Köcher um die Hüfte hing und sein Jagdmesser in die geölte Scheide aus Leder an seiner Brust gleiten ließ. Mit einigen Handvoll Erde löschte er das schwelende Lagerfeuer, dann machte er sich auf den Weg ins dichte Unterholz.

Sein Schritt war sicher und schnell als er den Wildpfaden folgte, den Spuren zu urteilen nach war er noch immer den Rehen auf den Fersen, die er am gestrigen Morgen erspäht hatte. Dank des Wilds, dass ihm einen leichten Weg durch das Gestrüpp geebnet hatte, kam er geschwind voran, während der Wald um ihn herum erwachte. Amseln flatterten zwischen den Ästen hin und her und stoben von ihren Schauplätzen, wenn er sich näherte. Zwei Hasen eilten zurück in ihren Bau, als er von einem Hügel über ihre Köpfe hinweg sprang und im weichen Moss landete, nur um mit größeren Schritten weiterzulaufen. Die Jagd elektrisierte ihn, erfüllte ihn mit Elan. Auch wenn seine Beute noch einen guten Vorsprung hatte, brachte der Gedanke an frisch erlegte Beute sein Blut in Wallung.

Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht und er hielt einen Moment lang inne, seine Brust hob und senkte sich merklich doch war er nicht aus der Puste. Von dem Wurzelwerk auf dem er gerade stand blickte er in eine Senke hinab, durch die ein Bach verlief. Das Wasser plätscherte zwischen den dicht gewachsenen Wurzeln hindurch, über kleine Terassen aus Ästen und Steinchen, bis es sich in einem Tümpel lagerte. Dort, am Schilf des Tümpels nagend, stand eine Hirschkuh mit einem Rehkitz, das fröhlich von seiner Mutter Milch saugte. Sein Grinsen verging und er trat langsam zurück. Auf eine Hirschkuh war er aus, aber nicht wenn er ein Junges zurücklassen würde, denn beide könnte er nicht transportieren. Stattdessen entfernte er sich langsam, umrundete die Senke und überquerte den Bach weiter aufwärts.

Doch wenn eine Mutter mit ihrem Kitz dort ruhte, dürfte ihre Herde nicht weit sein. Nun in geduckter Haltung kletterte er über Wurzeln und Stämme, immer im Schatten eines Baumes, und schlich sich auf die gegenüberliegende Seite der Senke. Noch immer graste die Hirschkuh, während ihr Kitz nun vom tümpeligen Wasser trank. Dort wo sich die Senke öffnete, kam ein Hirsch aus dem Dickicht und blickte sich um. Hatte er ihn gewittert? Nein, der Wind schlug im sanft gegen das Gesicht, während vor ihm die Tiere ausharrten; sie konnten ihn gar nicht riechen.

Eine kurze Welle der Erleichterung durchlief ihn, als der Hirsch seinen Kopf senkte und am moosigen Gras fraß. Seine Chance war gekommen, die Jagd zu einem Ende zu bringen. Mit für ihn quälend langsamen Bewegungen glitt sein Arm zum Köcher, zog einen der mit Gänsefedern versehenen Pfeile und legte ihn an die Sehne an. Die matte, metallene Spitze schimmerte stumpf im Sonnenlicht. Minuten verstrichen in denen er so verharrte, denn noch wollte er den Pfeil nicht anziehen. Zu oft hatte das feine Gehör eines Tieres das leise Knarren der Sehnse vernommen und ließ es flüchten, doch eine stärkere Brise würde für eine Chance sorgen, weiterhin unbemerkt zu bleiben. Danach war alles nur noch Routine.

Weitere Minuten verstrichen, in denen der Hirsch umher streifte und Grasbüschsel aus dem Boden rupfte. Nun gab ihm Arusa eine solche Beute, dafür war ihm Wynna nicht mehr wohlgesonnen. Er versuchte nicht nervös zu werden, aber wenn nicht bald eine steife Brise aufkam, würden die Tiere weiterziehen und er müsste sich in vielleicht weitaus ungünstigeren Situationen heranschleichen. Mit einem stillen Stoßgebet flehte er die Windgöttin an, sie möge den richtigen Wind wehen lassen; er brauchte nur einen Augenblick.

Das Rauschen von Blättern war in der Ferne zu hören und es wurde lauter; es bewegte sich auf ihn zu. Seine schon etwas schwitzigen Finger verfestigten den Griff am Pfeil und machten sich bereit, die letzten Schritte zu unternehmen. Dann wiegte das Geäst über ihm und er zog die Sehne an. Noch immer graste der Hirsch, nichtsahnend, dass er heute Abend die Wand der Taverne zieren und die Mägen der Gäste füllen würde. Sein Blick wanderte zu der Stelle, andem das Herz des Tieres saß und mit ihm bewegte sich auch sein Bogen. Dann erklang ein leises Sirren und ein dunkler Schatten zischte zwischen den Bäumen hindurch, über die Hirschkuh hinweg und in die Flanke des Hirsches.

Mit einem gequälten Laut sprintete es wenige Meter, bevor es in die Knie und zu Boden ging. Die Hirschkuh mit ihrem Kitz hatte sich bereits verflüchtigt und entfernt hörte man das Trampeln der Herde, die sich entfernte.

Mit zügigen Schritten eilte er hinab zu seiner Beute, im Lauf zückte er noch sein Jagdmesser. Das Tier atmete nicht mehr und ein Hinterbein zuckte noch, die Augen wurden schon starr und sahen zu ihm hinauf. Der Pfeil hatte genau dort gelandet, wo er ihn angesetzt hatte und er musste nicht einmal einen letzten Todeskampf des Tieres beenden. Mit einem sicheren Handgriff zog er den Pfeil langsam aus der Wunde und versiegelte diese mit einem Finger aus Bienenwachs, dass das Tier nicht ausblutete.

"Wahrhaft gütig, Wynna und Arusa", brachte seine brüchige Stimme wie ein Flüstern hervor. Nun galt es, den Kadaver zum Transport vorzubereiten. Dafür zog er aus seinem ledernen Rucksack einige Schnüre aus dick gesponnenem Hanf, griff die Läufe des Tieres und verzurrte diese sorgsam. Doch als er sich das tote Tier auf die Schultern hieven wollte, wurde ihm schnell klar, dass er damit nicht weit kommen würde; es war schlicht zu schwer für ihn. Mit einem langgezogenen Seufzer machte er sich daran, Holz für einen behelfsmäßigen Schlitten zu sammeln. Er brauchte vorallem dicke, gerade Äste von ungefähr gleicher Länge, sowie etwas dickere um den Rahmen zu bauen. Für einen Großteil der Äste musste er mit seinem Jagdmesser einige Bäume entzweigen.

"Mit der Hirschkuh wäre ich schon auf halbem Weg zurück...", murmelte er zu sich selbst, als er auf dem laubbedeckten Waldboden hockte und die einzelnen Äste mit Schnüren und der Rinde junger Bäume zu einem kruden Gerüst verarbeitete. Es musste nicht lange halten, nur wenigstens bis zum Fischerdorf, von wo aus er sein Pferd nehmen konnte. Und dann waren es nur noch drei mickrige Stunden, bis er sich mit einem Schwarzbier und Röstkartoffeln von den letzten drei Tagen erholen konnte.

Immer wieder viel sein Blick auf den Hirschkadaver, der wenige Fuß entfernt lag. Dass ihm Arusa einen solch prächtigen Hirsch schießen ließ war mehr als großzügig. Das Geweih war gut und gerne so groß wie vom Boden bis zum Maul des Tieres, fein verästelt mit einigen Spuren von vergangenen Revierkämpfen. Es war ein älterer Hirsch und ohne Zweifel ein kräftiges Exemplar, doch selbst ein solches Tier konnte sich nicht gegen kaltes, scharfes Metall wehren, dass mit Höchstgeschwindigkeit in sein Herz getrieben wurde.

Zur Befestigung der etwas wackeligen Äste, zurrte er diese an den dickeren fest und bildete so einen stabilen Rahmen, auf dem der Hirsch liegen konnte. Damit dieser auch nicht hinunter rutschte, befestigte er noch einige Äste quer zum Rahmen. Die Schnüre reichten schon lange nicht mehr, stattdessen benutzte er junge Zweige, die er viertelte und dann sorgsam miteinander verflochte. Das darauß resultierende Geschnür war fest genug, um als Bindungsmaterial zu dienen. Schlussendlich knotete er ein Ende seines Kletterseils am Rahmen fest und wickelte das andere Ende dick zusammen, um Halt und Griff zu haben. Den Hirschkadaver hievte er vorsichtig auf den Schlitten, griff sein Ende des Seils und zog daran, bis er leicht gekippt war - die Konstruktion hielt und er setzte sich in Bewegung.

Seine Beute aus der Senke herauszubekommen war noch die größte Herausforderung, da es über knochige Wurzeln steil bergauf ging. Mehrmals musste er kurz innehalten um den Halt zu wahren. Doch als dieses Hindernis überwunden war, galt es nur noch den ohnehin geebneten Pfad zurück zu nehmen. Auf dem Laub bedecketen Boden glitt er der Schlitten mehr oder minder mühelos, trotzdem war es deutlich anstrengender als ein junges Reh über den Schultern zu tragen. So lohnenswert so ein Hirsch auch sein mochte, ohne eine zweite Person bei der Jagd würde er sich lieber an Rehe halten.

Schnaufend und ächzend machte er an einem Bach Halt um seinen trockenen Hals mit frischem Quellwasser zu spülen. Sein Nachtlager hatte er bereits passiert und das Gelände wurde allmählich abschüssig, ein Zeichen dafür, dass das Fischerdorf nicht mehr weit war. Mit schwieligen und schwitzigen Händen griff er in das kühle Nass. Eine Wohltat, denn das raue Kletterseil hatte seine Hände angescheuert, so ließ er sie einige Momente nur in dem langsam fließenden Wasser ruhen, bevor er sich gierig mit beiden Händen den Durst löschte. Anschließend wusch er sich das dreckige Gesicht und füllte seine Feldflasche randvoll mit Wasser, dann griff er sich auch schon wieder das Seil und setzte seinen Marsch fort. Über ihm stand die Mittagssonne und schien durch das sich lichtende Blätterdach herab.



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