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Osymandias und andere sehr kurze Kurzgeschichten

Levi x Erwin
von

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Osymandias

Die Bilder jenes schicksalhaften Nachmittages hatten sich auf eine Art in sein Gedächtnis gebrannt, die es ihm unmöglich machte, das, was geschehen war, jemals zu vergessen. Er kannte solche Szenen. In den vergangenen zehn Jahren hatte er sie schon zu oft gesehen. Und doch – an jenem Tag schienen die Dinge anders zu sein als sonst. Levi Ackermann stand in der großen Halle, welche den Eingang zum Kasernenkomplex der Hauptstadt bildete. Die Decken waren so hoch, dass man den Kopf in den Nacken legen musste, um alles zu überblicken. Weiß verputzt, so hatte man die unteren Abschnitte mit dunklem Eichenholz vertäfelt. Große, weitläufige Fenster boten der Sonne einen Weg ins Innere und tauchten das sich ihm bietende Bild in gleißendes Licht. Es herrschte ohrenbetäubender Lärm. Die Rufe der Ankommenden hatten sich unter die jener gemischt, die in den Rückkehrern ihre Freunde und Vertrauten suchten. Es war eine feststehende Regel, dass man nicht immer fündig wurde, wenn der Erkundungstrupp von seinen Missionen außerhalb der Mauern zurückkehrte, doch heute schienen die Verluste bemerkenswert hoch zu sein. Von einst hundert Mann entdeckte er kaum vierzig verbliebene und jene, die es geschafft hatten, waren in körperlich schlechter Verfassung. Es war etwas, was man mit der Zeit hinzunehmen gelernt hatte – obschon man sich nie recht daran gewöhnte.

Levi verschränkte die Arme vor der Brust und wartete mit unbewegter Miene. Er hielt sich bewusst im Hintergrund. Emotionslos glitten die graublauen Augen über die Menschenmenge. Suchend, doch ohne Hast nahm er jedes Detail in sich auf. Minuten zuvor noch hatte er in seiner Kammer gesessen und Berichte geschrieben. Geschrieben und gewartet. Im Gegensatz zu den jüngeren hatte er längst aufgehört, sich wegen jeder Expedition voll Sorge den Kopf zu zerbrechen. Und doch – seit Eren zu ihnen gestoßen war, hatten sich die Dinge verändert. Das Wenige an Sicherheit, was sie für sich hatten beanspruchen können, war endgültig dahin.

Mit der Rückkehr des Erkundungstrupps waren erste Gerüchte und Nachrichten eingezogen und hatten ihm, nachdem der Bote zum dritten Mal an seiner Tür geklopft hatte, das Arbeiten endgültig verleidet. Schließlich hatte er den Federkiel hingelegt und war her gekommen. Er wollte sich bei den anderen danach erkundigen, was stimmte - und was lediglich der Phantasie übereifriger Kadetten entsprang.

Bislang hatte er kaum Soldaten entdeckt, mit denen er öfter gesprochen hatte. Nur wenige kannte er mit Namen und Dienstrang. Die meisten von ihnen stammten aus Jahrgängen, die kaum ihre Grundausbildung vollendet hatten. Es war ein nie abreißender Strom von Frischlingen, der jeden Sommer in ihre Quartiere gespült wurde, idealistisch und enthusiastisch, unwissend, auf welchen Wahnsinn sie sich eingelassen hatten. Wenn der erste Schnee fiel, waren die meisten bereits dahin. Levi hatte aufgehört, sich ihre Gesichter zu einzuprägen, hatte aufgehört, sich ihre Namen zu merken. Sie kamen, sie gingen. Und meist kehrten sie nicht wieder. Wo es ihm möglich war, versuchte er, Distanz zu halten. Zwischenmenschliche Bande bildeten eine Fehlerquelle, die ihn im Gelände den Kopf kosten konnte. Und doch – nach allem war auch er nur ein Mensch. Und natürlich war auch er nicht davor gefeit, Sympathien zu entwickeln.

Für eine Sekunde blitzten die Bilder seiner Spezialeinheit vor seinem inneren Auge auf und jagten ihm einen Schauer über den Rücken. Die regungslosen Gesichter jener, die sich ihm bedingungslos anvertraut hatten, verfolgten ihn bei Tag und Nacht. Dennoch blieb er merkwürdig ruhig, wenn er daran dachte. Insgeheim fragte er sich, wann er den Punkt überschreiten würde, an dem ihn der Tod seiner Einheit mit aller Macht traf. Alles, was ihn bisher ereilt hatte, war nicht mehr als die Ruhe vor dem Sturm. Er dachte an Petra, die mit zerschmettertem Oberkörper am Baum lehnte, den trüben Blick gen Himmel gerichtet. An die Worte ihres Vaters. An jenem Tag hatte Levis Gesicht einer Maske geglichen. Er hatte sie erst abgelegt, als die Tür zu seinem Zimmer hinter ihm ins Schloss gefallen war.

Etwas durchschnitt den Lärm der Rückkehrer und ließ Levi aufhorchen. Es handelte sich um Hanjis Stimme, die, wie immer, laut und penetrant über allem lag. Levi brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass sie seinen Namen rief, war anschließend jedoch augenblicklich hellwach. Ihrer Stimme wohnte ein Klang inne, der ihm nur zu bekannt war und der bisher selten Gutes verhieß.

Unbewegt verfolgte er, wie sie sich ihren Weg durch die Menschenmassen bahnte, hin und wieder mit jüngeren Kadetten zusammen stieß und diese unwirsch zur Seite schob. Die Schnelligkeit ihrer Bewegungen und der gehetzte Ausdruck in ihrem Gesicht bildeten düstere Vorboten dessen, was noch kommen sollte. Als sie ihn endlich erreichte, packte sie ihn heftig an den Schultern. Levi hasste es, wenn sie das tat, unterstrich es bloß, dass sie ein gutes Stück größer war als er. Darüber hinaus war er kein Freund körperlicher Nähe. Nach Möglichkeit hielt er seine Mitmenschen auf Abstand. Doch ihr Blick hielt ihn davon ab, sie deswegen zu rügen. Wie alle Rückkehrer, so war auch sie erschöpft und schmutzig. Die verbliebenen rostroten Flecken auf ihrer Uniform konnten unmöglich die eines Titanen sein und ließen nur den Schluss zu, dass es sich um Spritzer menschlichen Blutes handeln musste. Es stimmte also, was man sich erzählte. Diese Expedition musste ein einziges Gemetzel gewesen sein.

Einem Schraubstock gleich bohrten sich ihre Finger in seine Schultern und kündeten von der inneren Anspannung, unter der sie noch immer stehen musste. Sie neigte dazu, ihre Kollegen und Mitmenschen zu hart anzugehen. Oluo hatte davon ein Lied singen können, als er noch am Leben gewesen war. Wortlos ließ Levi den Blick über ihr Gesicht gleiten. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab und die großen, braunen Augen schienen ihn kaum recht wahrzunehmen. Allmählich wurde ihm unbehaglich zumute. In seiner Brust zog sich alles zusammen. Es war das Gefühl immenser Bedrohung und übler Vorahnung, welches ihn nur selten ergriff und noch seltener im Unrecht war. Damals, bevor er mit ansehen musste, wie Farlan und Isabel vor seinen Augen verschlungen wurden. Damals, als er durch den Wald gehetzt war, auf dem Weg zu seiner Einheit, die zu diesem Zeitpunkt schon nahezu vollständig ausgelöscht worden war – damals hattet er das gleiche Gefühl vernommen.

„Was ist los?“, presste er schließlich hervor und seine Stimme klang merkwürdig tonlos und spröde. Sein Mund war wie ausgetrocknet und der Schlag seines Herzens nahm langsam an Geschwindigkeit zu. Hanji, die endlich zu realisieren schien, dass sie sich an ihm festkrallte wie eine Ertrinkende, ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. Ihre Augen entblößten Sorge und tiefe Erschöpfung. Schließlich, nachdem sie einige Sekunden geschwiegen hatte, hob sie den Kopf und blickte Levi direkt an. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern, als sie den Mund öffnete.

„Es geht um Erwin.“

 
 

~*~
 

 
 

Ihre Schilderungen hatten ihm Stück für Stück den Boden unter den Füßen entrissen. Sie erzählte alles. Von Reiners und Bertholds Verrat, von Erens Entführung, Erwins Verwundung und der Tatsache, dass er die Mission in diesem Zustand noch zu Ende geführt hatte. Davon, wie er schließlich auf der Mauer zusammen gebrochen war. Noch am Leben, so hatten Schock und Blutverlust zu einem kritischen Zustand geführt, der über Tage offen ließ, ob Erwin überleben würde.

Als Levi das Krankenzimmer seines Vorgesetzten zum ersten Mal betreten hatte, hatte der Geruch nach frischem Blut noch schwer in der Luft gehangen. Er erinnerte sich an die kupferne Schüssel auf dem Beistelltisch am Kopfende des Bettes, deren Wasser einst klar gewesen sein musste, doch Stück für Stück die dunkelrote Farbe der blutdurchtränkten Verbände angenommen hatte. Das Aroma versengten Fleischs hatte sich in die hölzernen Balken gefressen. Man hatte die Wunde irgendwie veröden müssen.

Wie viele Stunden er am Bett des Anderen ausgeharrt hatte, vermochte niemand zu sagen. Mehrmals hatte er die Luft angehalten und mit großen Augen auf den regungslosen Körper unter den weißen Laken gestarrt, weil er nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob sein Freund noch atmete. Normalerweise ereilte der Tod sie plötzlich und ohne Vorwarnung. Mit einem solchen Siechtum konfrontiert zu werden, hatte sie alle überfordert.

War die Decke verrutscht, hatte er sie gerichtet. Den Anblick des Stumpfs – er hatte ihn nur schwerlich ertragen. Sie waren die Besten der Besten. Sie waren bisher von jeder Expedition unbeschadet zurück gekehrt, waren geadelt durch das Überleben des Angriffs von 850. Und doch änderte es nichts daran, dass auch sie sterblich waren. Eine falsche Entscheidung genügte, um ihr Leben zu beenden. Das einzige, was man ihnen ließ, war die Chance, ihre Hoffnungen auf die richtige Seite der Münze gesetzt zu haben. Die meiste Zeit gelang es Levi, keinen bewussten Gedanken an solche Dinge zu verschwenden, die Last der Verantwortung, die auf seinen schmalen Schultern ruhte, zu ignorieren. Sie lebten von Tag zu Tag. Levi wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal Pläne geschmiedet hatte, die über das Ende einer Woche hinausgegangen waren.

„Levi.“

Es klopfte an der Tür. Levi, der mit verschränkten Armen in seinem Zimmer gestanden hatte, schreckte hoch. Er lehnte an dem Schreibtisch, der am Fußende des schmalen Bettes stand und war bis zu diesem Moment so in Gedanken versunken gewesen, dass er seine Umwelt vollständig ausgeblendet hatte. In den Fingern der rechten Hand hielt er ein kleines Buch, in dem er geblättert hatte, ehe seine Gedanken ihn fortgetragen hatten. Es handelte sich um Gedichte von Percey Shelley. Ein schlichter Einband, der schon bessere Tage gesehen hatte. Die Seiten waren speckig und vergilbt. Hellblauer Leinenstoff schützte ihn davor, auseinander zu fallen. Er verströmte den Duft, den Bücher anzunehmen pflegten, wenn sie ein gewisses Alter erreicht hatten und von dem manche zu sagen pflegten, dass es sich um die Seele des Buches handelte. Levi hielt von solchen Äußerungen nicht viel. Er war ein pragmatisch veranlagter Mann.

Sein Zimmer mochte das Zimmer eines Hauptmanns sein, doch verfügte es nicht über den Luxus, den man in den Stuben der Kommandanten vorzufinden pflegte. Ein Bett, ein Schreibtisch, eine Kommode. Ein Beistelltisch aus Kirsche mit zwei dazu passenden Stühlen. Große Fenster. Gardinen. Eine Öllampe aus Messing erhellte mit warmem Licht die abendliche Szene. Die Einrichtung war schlicht, doch dafür gemacht, Jahrzehnte zu überstehen. Die Lage des Zimmers, abseits von den großen Fluren und Treppenhäusern, garantierte Ruhe, wenn er sie wünschte. So sehr man auch suchte, nicht ein Staubkorn störte die Reinheit dieses Ortes.

Seit der Konferenz mit Kommandant Pixis und Erwin war eine knappe Woche vergangen. Es war jener Tag gewesen, an dem Hanji den Verdacht geäußert hatte, dass die Titanen menschlichen Ursprungs sein könnten. Levi erinnerte sich an das Lächeln in Erwins Gesicht und an die quälende Sorge, der fähigste Kopf unter ihnen könne im Begriff sein, unter den Geschehnissen der letzten Wochen den Verstand zu verlieren.

Levi hob den Kopf und blickte zur Tür, von dem das störende Geräusch zu kommen schien. Erwin stand im Türrahmen. Wie auch Levi, so trug er an diesem Abend zivile Kleidung. Eine dunkle Hose, lederne Halbstiefel, ein schlichtes, weißes Hemd und der Anhänger aus Lapislazuli verhüllten den massigen Körper. Der rechte Ärmel steckte, merkwürdig leer, im Hosenbund. Ein Paar wasserblaue Augen blitzten wach durch das schummrige Kerzenlicht. Erwin wirkte erholter als bei ihrem letzten Aufeinandertreffen. Die Haare saßen perfekt. Das Gesicht war glatt rasiert. Alles an ihm wirkte sauber und gepflegt. Seine Reinheit war etwas, das Levi immer an ihm geschätzt hatte.

„Erwin.“

Verwundert legte der Hauptmann die Stirn in Falten und verstand erst, als er die dunkelbraune Holzkiste sah, die unter Erwins linkem Arm klemmte. War er gedanklich so weit weg gewesen? Die letzten Tage war so viel geschehen, dass er sich zwischenzeitlich nicht einmal mehr an das Datum hatte erinnern können. Wie im Rausch waren die Tage an ihm vorbei gezogen. Sie alle hatten kaum Zeit gehabt, durchzuatmen, das Erlebte sacken zu lassen. Für einen Moment musterte Levi die schlanke, filigran gearbeitete Kiste. Jede Woche, stets an einem Sonntag, stand Erwin in seinem Zimmer und forderte ihn zu einer Partie Schach heraus. Kurz nachdem Levi dem Aufklärungstrupp beigetreten war, hatte Erwin damit angefangen. Anfangs nicht mehr als eine nervige Pflichtübung, hatte es sich zu einem wohltuenden Ritual in einer Welt absoluter Unsicherheit entwickelt.

Schach. Das Spiel der Könige.

Ohne ein weiteres Wort abzuwarten, trat Erwin ein und schob die Tür mit dem Fuß zu. Ein amüsiertes Zucken umspielte die Mundwinkel des blonden Kommandanten.

„Du siehst müde aus.“

„Der Schlaf kommt zu kurz in letzter Zeit.“

Auf das Gesicht des Blonden trat ein wissendes Lächeln. Es war allgemein bekannt, dass Levi kaum mehr als drei Stunden pro Nacht schlief. Mit einer Gelassenheit, die einem innewohnte, wenn man in der Stube eines alten Freundes schon oft zu Gast gewesen war, durchquerte Erwin den Raum und platzierte das Schachspiel auf dem Tisch. Anschließend begann er, es aufzubauen.

Stumm verfolgte Levi die Szene, ehe er das Buch aufgeschlagen auf den Tisch legte und ein Stück näher an den Beistelltisch heran trat. Seine Miene, obschon noch immer ernst, hatte sich um einige Nuancen aufgehellt. Man merkte es ihm nicht an, doch er freute sich darüber, den anderen endlich wieder in seiner Nähe zu wissen.

„Haben sie dich endlich gehen lassen?“

Das Lächeln auf Erwins Lippen blieb erhalten, während er die Figuren aufstellte. Es dauerte etwas länger als üblich, was der Tatsache geschuldet war, dass Erwin nur einhändig agieren konnte.

„Ja.“

Sie neigten dazu, überaus wortkarg miteinander zu agieren, doch bei allem, was sie taten, bei jeder Bewegung, jedem Blickkontakt, sprach aus ihnen eine bedingungslose Vertrautheit, die zeigte, dass sie einander auch ohne Worte verstanden.

Als er die letzte Figur platziert hatte, hob Erwin den Kopf und blickte Levi unmittelbar an. Sie wechselten einen langen Blick. Da war er wieder, der Gesichtsausdruck des Spielers, den Erwin stets aufsetzte, wenn es um absoluten Sieg oder Niederlage ging. Aus ihm sprach eine Selbstsicherheit, die unter ihren Kameraden Ihresgleichen suchte. Herausfordernd nickte er Levi zu.

„Bereit, geschlagen zu werden, Levi?“

Dieser schnaubte nur amüsiert und zog den Stuhl zurück.

„Sei dir da mal nicht zu sicher, Erwin.“

 

Ihre Schachpartien verliefen stets ähnlich. Begannen sie beide mit starken Zügen, so gewann Erwin im Verlaufe des Spiels langsam, aber stetig, die Oberhand. Es endete stets damit, dass Levi irgendwann mit dem Rücken zur Wand stand. Wie ein Tier, das man in die Ecke getrieben hatte, in seiner Verzweiflung wild um sich schlug, so wurden Levis Züge mit zunehmender Schwierigkeit impulsiver. Kämpfen war seine Stärke, doch der Stratege unter ihnen war eindeutig Erwin.

Schweigend starrten sie auf das Spielfeld. Erwin schien in sich zu ruhen. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck saß er in seinem Stuhl, die Hand lag in seinem Schoß. Levi hingegen saß vornübergebeugt. Er stützte sich mit den Ellenbogen auf der Tischplatte ab, während die Finger seiner rechten Hand mit einem Bauern spielten, den er Erwin einige Züge zuvor abgenommen hatte. Der Blick war gewohnt ernst, die Stirn lag in Falten. Das schwarze, seidige Haar hing ihm ins Gesicht und verdeckte die zusammen gekniffenen Augen, die wie gebannt auf der Suche nach einem passenden Zug das Spielfeld absuchten. Die Partie neigte sich dem Ende. Nur noch kurze Zeit, und der Sieger würde feststehen. Mit einem tiefen Atemzug streckte Levi den Arm aus und versetzte eine seiner schwarzen Figuren.

„König von D8 auf C7.“

Lediglich ein angedeutetes Nicken von Erwins Seite kündete Levi davon, dass dieser ihn verstanden hatte. Die blauen Augen huschten über das Feld, während er regungslos denn nächsten Zug erdachte. Obschon man es ihm von außen nicht ansah, so wusste Levi doch, dass Erwin innerlich, einem Algorithmus nicht unähnlich, Option für Option durchspielte, um jede noch so kleine Möglichkeit eines Fehlers auszuschließen. Abwartend blickte der Hauptmann seinen Vorgesetzten an. In einer Mischung aus Faszination und Argwohn war es ihm nicht möglich, den Blick von ihm abzuwenden. Erwin hatte das weiße Hemd, um dessen Kragen der blaue Anhänger hing, aus Gründen der Bequemlichkeit nicht vollständig zugeknöpft. Levi erkannte Ansätze des weißen Verbandes, der vom Armstumpf her über den Brustkorb verlief, damit er nicht verrutschen konnte. Er erinnerte sich an die blutgetränkten Laken und den Geruch des Todes, der tagelang das Zimmer dominiert hatte und atmete unmerklich tiefer ein, als sich ein kalter Klumpen in seinem Magen bildete. Er verzog die Lippen zu einem schmalen Strich. Erwin so zu sehen – er hatte auf eine merkwürdige Art und Weise stets die Aura des Unverwundbaren ausgestrahlt. Die Scharfsinnigkeit seines Geistes war einhergegangen mit körperlicher Makellosigkeit. Erwin hatte eine Verbissenheit im Herzen und eine Zielstrebigkeit an sich, die Levi sehr wohl vertraut war. Beide waren dazu imstande, ihre Menschlichkeit abzulegen, wenn es dazu diente, ein höheres Ziel zu erreichen. Sie waren einander ähnlicher, als er es sich zu Beginn ihrer Bekanntschaft gewünscht hätte. Es war der Grund, warum er Erwin damals, 844, am liebsten eigenhändig aus dem Weg geräumt hätte. Inzwischen wusste er das.

„Läufer von G5 auf D8.“

Levi hob den Blick und verfolgte still, wie Erwin mit einem wissenden Blitzen in den Augen die Figur auf dem Feld verrückte. Nachdem er sie abgesetzt hatte, lehnte er sich einem zufriedenen Gesichtsausdruck zurück. Taktierend überflog Levi das Spielfeld mit den Augen und atmete schließlich tief ein. Anschließend hob er den Kopf und ihre Blicke trafen sich.

„Schach Matt.“

„Ich bin nicht blind, Erwin.“

Auf dem Gesicht des Kommandanten erschien der Ausdruck freundlichen Spottes.

„Ob ich es irgendwann erleben darf, dass du mich schlägst?“

Levis Augen sanken auf halbe Höhe, während er die Augenbrauen anhob. Er ignorierte Erwins amüsiertes Grinsen und stand auf, ohne ihm zu antworten. Mit langsamen Schritten ging er hinüber zur Kommode und öffnete sie mit geschickten Handgriffen, Erwin im Rücken.

„Du weißt, dass ich dich gewinnen lasse, oder?“, sagte er beiläufig und ignorierte das Lachen, welches er als Antwort erntete.

„Natürlich tust du das.“

Levi nahm eine Flasche aus durchscheinendem Kristall hervor, in der eine bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte. Dazu stellte er zwei schwere, irdene Gläser. Er konnte hören, wie Erwin im Hintergrund die Spielsteine ordnete. Offensichtlich richtete er alles für eine zweite Partie. Levi stöhnte innerlich auf. Seit fast zehn Jahren spielten sie und bis auf sehr wenige, ausgewählte Ausnahmen hatte Erwin die Duelle stets für sich entscheiden können. Levi verstand nicht, warum der Andere trotzdem so hartnäckig daran festhielt. Er selbst hätte schon längst gelangweilt das Weite gesucht.

Er streckte die Hand nach dem Verschluss aus und verharrte plötzlich mitten in der Bewegung. Für einen Sekundenbruchteil hörte sein Herz auf zu schlagen. Es waren die immer gleichen Bilder, die in Momenten der Unachtsamkeit vor seinem inneren Auge aufflackerten. Isabel. Farlan. Petra. Hatte ihn der erste Verlust innerlich in Stücke gerissen, so hatte es Tage gebraucht, bis er den Verlust seiner Einheit wirklich realisiert hatte. All die Jahre im Aufklärungstrupp hatten ihn stumpf werden lassen, wie ein Fenster, das man über Jahre nicht geputzt hatte. Irgendwann erreichte man einen Punkt, an dem auch die Sonnenstrahlen nur noch matt ins Innere fielen, unfähig, ihre ganze Schönheit zu entfalten. Normalerweise hielten sich diese Erinnerungsfetzen in Grenzen, doch in Zeiten wie diesen, in denen sich die Ereignisse überschlugen, wurde es zeitweise schlimmer. Er versuchte, sich nichts daraus zu machen. Jeder von ihnen hatte sein Päckchen zu tragen.

Still betrachtete Levi die runde Glaskugel, die den Verschluss der Flasche bildete. Sie war so sauber und klar, dass er sich darin spiegeln konnte. Müde, blutunterlaufene Augen starrten ihm entgegen. Sie hatten mehr erblickt, als man in einem Menschenleben sehen sollte. Er hatte sich kaum verändert in all den Jahren. Lediglich zarte Fältchen um seine Augen verrieten, dass es mehr als zehn Jahre zurück lag, dass er dem Aufklärungstrupp beigetreten war. Neben ihm, klein und verschwommen, erkannte er Erwin, der unbeirrt die Figuren ordnete. Manchmal zog die Möglichkeit einer anderen Realität so knapp an ihnen vorbei, dass Levi sie beinahe körperlich fühlen konnte. Nur eine Sekunde der Unachtsamkeit hatte gefehlt, und er säße jetzt allein in diesem Zimmer. Für einen Moment schloss er die Augen und schüttelte diesen Gedanken mit aller Macht ab.

„Der stärkste Soldat der Menschheit und gleichzeitig ihr größter Kopf? Das ist zu viel der Ehre.“

Seine Mundwinkel zuckten.

„Ich will dich nicht arbeitslos machen, Erwin.“

Er umfasste die Glaskugel und öffnete die Flasche. Als er den Schnaps in die Gläser goss, konnte er Erwin im Hintergrund lachen hören. Es war ein lockeres, ehrlich erfreutes Lachen. Überrascht wandte sich Levi um. Erwin, der die Figuren fertig aufgestellt hatte, betrachtete ihn amüsiert. An Kinn und Stirn entdeckte Levi Schrammen, die, kaum verheilt, rosig im Licht der Öllampe schimmerten.

„Ist das die Flasche von Kommandant Pixis?“

„Ja.“

Obschon ihm nicht zum Lachen zumute war, konnte er nicht anders, als ein zartes Lächeln anzudeuten. Pixis zwanzigjähriges Dienstjubiläum drei Monate zuvor. Es hatte sich um eine spröde, langwierige Veranstaltung gehandelt, bei der zu viele Männer, die sich selbst zu wichtig nahmen, trockene Reden darüber gehalten hatten, wie verdient sich Kommandant Pixis um das Königreich gemacht hatte. Fünf unendlich lange Stunden hatten sie dort festgesessen, bis man sie endlich hatte gehen lassen. In der Mitte war Hanji eingeschlafen und mit ihrem Kopf gegen Levis Schulter gesackt. Es war einer jener Nachmittage gewesen, bei denen sich Levi sicher gewesen war, dass der Kampf gegen die Titanen nicht das Schlimmste auf dieser Erde sein konnte. Die Rache des Aufklärungstrupps war unmittelbar erfolgt. Während Erwin die Umstehenden durch Konversation für sich vereinnahmt hatte, hatte Levi mit der Leichtfertigkeit eines Diebes die Flasche an sich genommen und aus den Räumlichkeiten geschmuggelt. Der alten Schnapsnase Pixis war es bis heute nicht aufgefallen.

Levi kehrte zum Beistelltisch zurück und drückte Erwin eines der Gläser in die Hand. Es wirkte ein wenig unbeholfen, wie Erwin das Glas an sich nahm, doch Levi zog es vor, Details wie diese durch ein gezieltes Absenken des Blickes zu ignorieren. Erwin war Rechtshänder gewesen. Obschon im beidhändigen Umgang mit den Schwertern geschult, würde es dauern, bis er sich ganz darauf eingestellt haben würde.

Lange ließ Levi den Blick auf dem Kommandanten ruhen, der das Glas an seine Lippen führte und einen Schluck nahm. Er wirkte wie sonst auch. Für das bloße Auge war bis auf den Verlust des Armes kein Unterschied feststellbar. War es möglich, trotz eines solchen Verlustes mit sich im Reinen zu sein? Wenn es so war, warum versetzte es ihm stets einen Stich, wenn er einmal mehr bemerkte, dass der rechte Arm unwiederbringlich verloren war?

Er schob die Hand in die Tasche seiner dunklen Anzugshose und führte das Glas an die Lippen. Das sanfte Brennen des Whiskeys holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Für einen Moment schwiegen beide. Stumm ließ Levi die Augen auf dem Inhalt des Glases ruhen. Die warme, weiche Farbe des Schnapses beruhigte ihn etwas.

„Was liest du?“

Levi hob den Kopf und verfolgte Erwins Blick, der an dem kleinen Einband hängen geblieben war, den Levi zuvor auf dem Schreibtisch zurück gelassen hatte.

„Den Gedichtband von Percey Shelley.“

Er sah kurz zum Buch hinüber, ehe er den Blick gedankenverloren durch den Raum gleiten ließ. Er war kein großer Leser, hatte mit all dem intellektuellen Zeug nie viel anfangen können. Wenn Hanji sich in ihren ausschweifenden wissenschaftlichen Monologen erging, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. In seinen Augen war das wissenschaftliche Fachvokabular bloß ein weiteres Mittel der herrschenden Klasse, mit der sie sich vom Bodensatz der Gesellschaft abzugrenzen versuchte. Es war ihm nicht nachvollziehbar, wie man seine Zeit mit Dingen verbringen konnte, die im echten Leben keinen unmittelbaren Nutzen abwarfen. Er hatte den Elfenbeinturm nie von innen gesehen und verspürte keinerlei Bedürfnis danach.

Der Einband selbst stammte von Erwin. Ein, zwei Jahre zuvor hatte er ihm diesen einst in die Hand gedrückt. Levi erinnerte sich nicht daran, ob Erwin ihn lediglich ausgelesen hatte, oder ob es sich um ein Geschenk zu einem besonderen Anlass handelte. Trotz allem war Erwin immer noch ein Kind seines Vaters, ein Sohn aus gut ausgebildetem, bürgerlichem Hause. Und obschon Levi eigentlich nicht las, so hatten die Gedichte, die er dort vorgefunden hatte, seinen Geist beflügelt.

„Er ist mir beim Aufräumen in die Hände gefallen.“

Eigentlich hatte er ihn nur kurz aufschlagen wollen um ihn im Anschluss fortzuräumen. Schließlich jedoch hatte er sich festgelesen, bis Erwin ihn mit seinem Klopfen aus den Gedanken gerissen hatte. Dieser nickte sachte, antwortete nicht, sondern nippte lediglich weiter an dem halb gefüllten Glas. Schweigend harrten sie nebeneinander aus, während Levis Gedanken zunehmend weiter abschweiften. Mit einem Mal ergriff eine plötzliche Traurigkeit von ihm Besitz, die er nicht weiter einordnen konnte und die deswegen umso verstörender war. Sein Herz wurde schwer. Sein Griff um das Glas festigte sich. Er machte sich nichts vor, das Leben war grausam. Sentimental zu werden war nicht seine Art. Er betrachtete die Dinge nüchtern und bodenständig. Und doch entflammte in ihm mit einem Mal die Angst davor, dass es eine Realität geben könnte, in der der blonde Kommandant nicht länger in seiner Nähe sein konnte. Es gab kaum jemanden, der für die Rettung der Menschheit mehr erreicht hatte als er. Es gab niemanden, dem er mehr vertraute. Der ihn besser kannte. Der ihn verstand. Und den er mehr schätzte. Mit einem Mal fühlte er sich allein und verloren. Etwas legte sich um sein Herz und drückte es, bis ein stechender Schmerz seine Brust erfüllte. Die grauen Augen auf Erwin gerichtet, öffnete er den Mund.

„Und auf dem Sockel steht die Schrift: ‚Mein Name ist Osymandias, aller Könige König. Seht meine Werke, Mächtige, und erbebt.“

Es war das Gedicht, das er zuvor gelesen hatte und dessen Zeilen ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen mochten. Mit jedem Wort, welches er sprach, realisierte er, wie sehr die Zeilen auf Erwin zugeschnitten waren. Dieser blickte noch immer zu Levis Schreibtisch, das Glas, welches er inzwischen ausgetrunken hatte, ruhte noch immer in seiner Hand. Selbst im Profil konnte Levi sehen, dass sich der Gesichtsausdruck des anderen veränderte, während er sprach. Die Selbstsicherheit, die von ihm ausgegangen war, als sie über dem Schachspiel gebrütet hatten, schwand zusehends, ließ das markante Gesicht müde und weich wirken. Wenig später war es Erwins Stimme, die den Raum erfüllte.

„Nichts weiter blieb. Ein Bild von düstrem Grame, dehnt um die Trümmer endlos, kahl, eintönig die Wüste sich, die den Koloß begräbt.“

Stille.

Levi betrachtete das Glas in seiner Hand und stellte zu seiner eigenen Verwunderung fest, dass sich ein zartes Zittern seiner Glieder ermächtigt hatte. Stumm musterte er den braunen, schwappenden Inhalt und hob den Kopf, als er aus den Augenwinkeln erkannte, dass Erwin ihn ansah. Mit einem Ausdruck zärtlicher Melancholie ruhten seine Augen auf ihm, ein dünnes Lächeln auf den Lippen. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und Levis Herzschlag beschleunigte sich. Der ernste, maskenhafte Gesichtsausdruck fiel zunehmend von ihm ab und gab ein zutiefst verunsichertes Antlitz frei. Er fühlte sich angreifbar und verletzlich, und er verabscheute diese Schwäche zutiefst.

„Levi?“

Er antwortete nicht. Stattdessen ließ er den Blick sinken und trank das Glas wortlos leer. Es half nicht. Das Zittern blieb.

„Levi.“

„Was?!“

Seine Antwort war kaum mehr als ein gepresstes Zischen. Der Blick des Hauptmannes verdüsterte sich binnen Sekundenbruchteilen. Wütende, graublaue Augen blitzten durch das Halbdunkel zum Kommandanten hinüber, der auf Levis Reaktion keinerlei Regung zeigte. Es war, als blickte Erwin direkt in sein Innerstes hinein. Es war wie damals, als er ihn dazu überredete, dem Aufklärungstrupp beizutreten, nachdem Isabel und Farlan verschlungen worden waren. Dieser an Allwissenheit grenzende Empathie haftete etwas Bedrohliches an. Levi wollte das nicht. Vor ihm konnte Levi keine Geheimnisse bewahren. Stets war es, als trug er seine geheimsten Gedanken auf dem Revers. Konnte Erwin ihn nicht einfach einige Sekunden in Frieden lassen, bis er sich wieder gefangen hatte?

Aus den Augenwinkeln vernahm Levi, wie Erwin langsam aufstand. Levi reichte ihm kaum bis zu den Schultern, überragte Erwin ihn doch um fast vierzig Zentimeter. Vorsichtig nahm dieser ihm das leere Schnapsglas aus den Fingern und stellte es auf den Beistelltisch. Anschließend packte er Levi an der Schulter und zog ihn mit einem Ruck gegen seine Brust. Der verbliebene Arm schlang sich um die Schultern des Jüngeren und auch, wenn dieser sich zu Beginn gegen die Umarmung wehrte, gab er bald auf. Resigniert sackte Levi in sich zusammen und ließ den Kopf gegen Erwins Brust sinken. Es war, als nahm jemand den Druck von seinen Schultern, der ihn die vergangenen Tage über kaum hatte atmen lassen. Er hatte funktioniert, um alles zu bewältigen, doch nun, wo er die Dinge langsam sacken ließ, musste er erkennen, dass der Schmerz um den Verlust des Armes nicht nur Erwins, sondern auch seiner war. Er schloss die Augen und schlang die Arme um den Oberkörper des Anderen, während erste, bittere Tränen über seine Wangen rannen. Ihn erfüllte eine an Verzweiflung grenzende Wut, die ihm jeden klaren Gedanken raubte. Wie konnte es sein, dass die Guten an der Front verheizt wurden, während die Regierung lediglich darauf bedacht war, sich in ihre eigenen Taschen zu wirtschaften? Warum hatte es sie erwischen müssen? Waren sie zu lange ohne Schaden davon gekommen? War das ihre Strafe dafür, weiter zu leben, während ihre Männer wie die Fliegen starben? Seine Finger krallten sich in den Stoff des frisch gestärkten Hemdes, während die Schultern unter all den hervorbrechenden Emotionen erzitterten.

Ja, er hatte Angst gehabt, dass Erwin neben ihm sterben würde. Draußen konnte er eingreifen. Im Krankenzimmer war er machtlos gewesen. Es war egoistisch und dumm, etwas Derartiges für sich zu beanspruchen, vor allem in ihrer Position, doch auch er hatte ein Maß dessen, was er ertragen konnte. Dieses Jahr war ein Jahr großer Verluste gewesen und es hatte stets jene getroffen, von denen er gedacht hatte, sie würden noch einige Wochen, vielleicht auch Monate durchhalten.

Einige Minuten standen sie so da, bis die unterdrückten Schluchzer abebbten und sich Levis Geist allmählich beruhigte. Was blieb, war Leere. Kraftlos ruhte seine Stirn an Erwins Brust. So, wie er hier stand, in der Wärme des Anderen, erkannte er erst, wie erschöpft er eigentlich war. Müde schloss er die Augen.

„Wenn du stirbst“, presste er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. „Werde ich dich finden und deiner Leiche in den Arsch treten.“

Erwins Brustkorb erbebte unter leisem Lachen. Verwundert blickte Levi auf. Die wasserblauen Augen ruhten voll stiller Zärtlichkeit auf ihm.

„Dann lebe ich wohl besser weiter.“

Erwin beugte sich vor und drückte Levi einen langen Kuss auf die Stirn. Dann hob er die Hand und strich ihm vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht. Jede dieser Berührungen war wie Balsam auf seinen strapazierten Nerven. Es war das erste Mal, dass er vor Erwin derartig die Fassung verloren hatte und doch verspürte er keine Scham. Es war in Ordnung. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander. Ein leises Seufzen verließ Levis Kehle, ehe dieser den Kopf erneut gegen die Brust des Anderen sinken ließ. Erwin beugte sich vor, bis dessen Stirn Levis Schopf berührte.

„Wir werden der Sand sein, der den Koloss begräbt“, flüsterte er leise und ließ die Hand zärtlich durch Levis Haar fahren. Dieser nickte zaghaft. Langsam kehrte die kalte Zielstrebigkeit, die so charakteristisch für ihn war, in seine Augen zurück. Irgendwann würden sie hinter das Geheimnis der Titanen kommen und das Blatt für die Menschheit zum Besseren wenden. Er wusste weder, wie lange es dauerte, noch, ob sie am Leben sein würden, wenn dieser Moment kam. Doch solange sie Seite an Seite kämpfen konnten, gab es nichts, wovor Levi sich fürchten würde.

Erwins Fingerspitzen schoben sich unter sein Kinn und hoben sein Gesicht vorsichtig an. Für einen Moment trafen sich ihre Augen, ehe Erwin ihm einen Kuss raubte, so sanft und kurz, dass man glauben konnte, lediglich ein Windhauch sei über seine Haut gestrichen.

„Und wir werden leben.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo, liebe Leser!

Ich hoffe, euch hat die FF gefallen. Abschließend noch einige Worte zum Hintergrund. Wie die meisten von euch sicher wissen, basiert Erwin auf der Figur des Osymandias aus Watchmen. Osymandias wiederum ist ein Gedicht von Percey Shelley über Ramses II. Das gesamte Gedicht findet ihr im Internet. Ich fand es ganz interessant, das ganze einzubauen und auf SnK umzudeuten.

Kommentare sind natürlich gern gesehen - JA, ich freue mich auch über EINEN Satz :D

In dem Sinne (und vielleicht bis bald!),
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Chasmbogey
2015-04-21T21:53:37+00:00 21.04.2015 23:53
Das ist eine sehr, sehr gelungene Beschreibung von ohnmächtiger Wut, die Verzweiflung überdeckt. Ist meiner Meinung nach der einzig mögliche Zugang zu Levi, auch wenn ich ihm eine noch längere Aufwärmphase zutraute. Eine Ewigkeit wird wohl kaum reichen.Alles an Levi ist Interpretation. Dennoch kannst du sehr stolz auf deine Umschreibung sein. Ein gutes Werk!
LG. Chsm.
Antwort von:  MadameFleurie
26.04.2015 00:08
Vielen Dank für deinen schönen Kommentar. Hab mich sehr drüber gefreut :]


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