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Call me Imshael: die Guten, die Bösen, und die Wahnsinnigen

... Und Magie ist nicht genug
von

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Die Tücken der Freiheit

Er hätte wissen müssen, dass das alles viel zu einfach gewesen war.

Nein, natürlich war es nie so einfach.

Dorian erinnerte sich bizarr genau an die Einzelheiten dieses Moments – an das raue, leicht rissige Pergament des Buches, das er hielt, den Nachgeschmack von Felandaris-Pfirsich-Tee in seinem Mund (herbes Bouquet, sahnig im Abgang, sehr originelle Mischung), das Jucken eines Insektenstichs in seinem Nacken. Sogar an den Winkel, in dem das Sonnenlicht in den Salon einfiel. Den Hauch von fremdem Parfüm, der in der Luft lag. Die teure, goldene Schreibfeder, die ungesäubert auf dem Schreibtisch lag, achtlos, die Tinte auf der Spitze war noch feucht.

So etwas sollte einen misstrauisch machen. Anscheinend hatte er einfach nichts gelernt in jetzt fast einundzwanzig Jahren in den obersten Rängen der Tevinter Gesellschaft.

Das Lächeln seines Vaters war leicht verkniffen gewesen, aber das war derart gewohnt, dass Dorian es kaum zur Kenntnis genommen hatte, ebenso wie den sengenden Unterton in Halwards Stimme, Dorian, sieh mich an, wenn ich mit dir rede.

Er hatte es einen Herzschlag zu spät getan, weil das Traktat, das Felix ihm zugesteckt hatte, wirklich interessant war. Eingedenk all der Todesarten und deren Einfluss auf die Nekromantie sicher nichts, was man während eines leichten Imbisses oder vor dem Schlafengehen las, aber nichtsdestotrotz äußerst interessant.

Leider hatte Halward Pavus nicht die Geduld, darauf zu warten, dass er Dorians geschätzte Aufmerksamkeit in ihrer weltbewegenden Fülle erhielt. Und wenn ein Magister aufhörte, das Studium der Magie vorbehaltlos zu unterstützen, war das ebenfalls etwas, das einen tunlichst misstrauisch machen sollte.

… Und ganz davon ab war es nicht seine Schuld, davon war Dorian nach wie vor überzeugt. Sein Vater hatte ihn in den Salon beordert, als sei er acht und reif für eine Portion 'ohne Abendessen ins Bett', und ihn dann dort warten lassen wie einen besonders unliebsamen Gast und/oder Staatsbeamten. Dass der alte Herr sich plötzlich aufregte, weil Dorian die Zeit sinnvoll nutzte, entzog sich seinem Verständnis, und das lag nicht an seinem Verstand.

Offenkundig.

„Gereon sagt, dass du gute Fortschritte gemacht hast.“

Noch etwas, was ihn extrem misstrauisch stimmen sollte – Magister untereinander sprachen sich vielleicht beim Vornamen an, aber in Abwesenheit hieß es stets 'Magister Alexius', und die Freundschaftskarte spielte Dorians Vater sonst nie. Passte auch nicht zu ihm. Dorian war seiner bescheidenen Einschätzung nach ein Genie, doch er brauchte keines zu sein, um zu wissen, dass sein Vater und sein Lehrmeister einander nicht sonderlich gut riechen konnten.

An diesem Punkt legte Halward jedoch ohnehin keine Pause ein, sodass Dorian nicht dazu kam, eine unschuldige Bemerkung zu machen. Hätte auch nichts genützt, aber hinterher war man immer schlauer, natürlich.

„Und er ist ebenfalls der Meinung, dass du dein Studium ohne Weiteres nebentätig betreiben kannst. Deine Mutter und ich...“

Endlich schrillte die Feuerglocke in Dorians Kopf. Die schlimmsten Dinge im Haus Pavus begannen mit 'deine Mutter und ich' – Dorian erwartete vollkommen, dass der Tod eines Tages auch mit diesem Satz an ihn herantreten würde, oder was für Schrecklichkeiten das Leben sonst noch bereithielt. Alles begann mit 'deine Mutter und ich'. Vermutlich sogar die Vernichtung Tevinters durch einen wirklich genervten Erbauer, die letzte Strophe des Gesangs des Lichts und die nächste Verderbnis. Alles!

„Magister Stretos und ich haben uns heute Vormittag über die Einzelheiten geeinigt. Zu Anfang des Herbstes wirst du Cressida Stretos heiraten.“

Was danach kam, war ehrlich gesagt nichts, an das Dorian sich gern erinnerte; es kamen eine Menge scharfer Worte darin vor, von seiner Seite zunehmend ausfallend und vulgär, auf der Seite seines Vaters eisig und mühsam beherrscht. Dass er kein einziges Mal brüllte und Dorian auf sein Zimmer schickte wie den besagten Achtjährigen, signalisierte allerdings beunruhigend deutlich, dass es ihm ernst war.

Diese Verlobung stand. Dorian kannte seine Rechte – er war zwar volljährig, doch sein Vater war das Familienoberhaupt und übertraf ihn an Rang. Wenn Halward ein Dokument (wie, sagen wir, einen Verlobungsvertrag, nur rein als Beispiel...) im Namen seines Sohnes unterschrieb, war es rechtsgültig.

Dorian hatte sich unvernünftig verraten gefühlt – und wenn er ehrlich war, tat er es noch. Nicht nur sein Vater wollte ihn in eine Form gießen, in die er nicht passte (das war nicht tatsächlich neu), selbst Alexius hatte anscheinend kein verdammtes Problem damit, seinen Lieblingsschüler 'freizustellen'.

Felix war nicht so viel jünger als Dorian, aber er verwettete seinen besten Stab aus roter Eisenborke, dass dieser nicht permanent 'Deine Mutter und ich' zu hören bekam!

Gut, Felix hatte ja auch nicht dieses Problem.

Felix vögelte ja keine Männer.

Da war dieser feine Unterschied, der es so zwingend notwendig machte, Dorian bald zu verheiraten.

Er kannte Cressida sogar – das hieß, er hatte sie ab und an mal als Tischgenossin gehabt, und offenbar nicht zufällig. Wie man es von einer jungen Frau von Stand erwartete, die als Hauptaufgabe ihre Blutlinie und ihre Juwelen spazieren trug, hatte sie kein Rückgrat, keine eigene Meinung und keinen Funken Humor; das hatte man ihr exzellent abgewöhnt, und Dorian erkannte gute Zucht, wenn er sie sah. Auf ihre Art war sie zu bemitleiden, aber sie wäre es noch viel mehr, wenn sie mit ihm verheiratet wurde. Und Dorian würde sich ebenfalls entsetzlich bemitleiden, mit ihr verheiratet zu sein.

Auf den Feierlichkeiten zur Sommersonnenwende, einem Fest, bei dem sich in Tevinter ganze Städte tagelang im Ausnahmezustand befanden, verkündete Halward Pavus die frohe Botschaft. Und dann erlaubte er Dorian außerdem großmütig, den Hausarrest zu beenden und sich mit seinen Freunden zu treffen und zu feiern.

Dorian traf sich mit ihnen. Die Feier hielt sich in Grenzen. Felix war teilnahmsvoll, ehrlich betroffen. Rilienus gratulierte ihm, aufrichtig anscheinend, herzlich, womöglich sogar erleichtert. Unter all den Reaktionen taten diese beiden am meisten weh.

Und dann war da dieser Küstensegler und... alles schien so einfach.
 

Dorian war selbst überrascht, wie leicht es war, auszureißen – nicht zu fassen, dass er das nicht schon viel eher getan hatte!

Er log ziemlich schamlos, und wo das nicht reichte, hatte er immer noch Geld. Und seine Magie. Zum ersten Mal war sie es, die ihn ausmachte, nicht sein Name.

Er ließ Qarinus bald hinter sich, indem der Küstenkreuzer ihn weiter westlich absetzte, reiste ein Stück auf dem losen Straßensystem – er hatte Glück mit einer Karawane. Er hatte allgemein ziemlich viel Glück. Und als er Perivantium erreichte, erlaubte Dorian sich sogar, an Glück zu glauben. Von hier aus konnte er den königlichen Hochweg betreten und gegen einen Wegzoll erheblich schneller nach Nevarra gelangen. In die Freiheit.

Natürlich ging's dann schief.
 

Er war noch nie in einer Schenke gewesen... Nicht richtig. Er hatte es ein paar Mal ausprobiert, in Qarinus, in Minrathous, aber diese Städte waren so riesig, dass es gar nicht so einfach war, eine angemessen schäbige Kaschemme zu finden und sich den Rückweg zu merken. Hier war das einfacher. Außerdem hatte der harsche Wind der Ebenen seine Robe beschädigt und an den Rändern gräulich gefärbt, sodass er nicht viel besser aussah als das normale Volk hier. Seine Kleidung war sicherlich immer noch hochwertiger, zumal Dorian eine seiner schlichteren Festtagsroben trug, aber das fiel keinem auf. Sowieso war es hier nicht so dreckig, nur... belebt. Jeder hier war auf der Durchreise. Niemand achtete auf ihn. Und das war ziemlich aufregend!

Ähnlich aufregend wie er. Dorian wusste nicht, wann er hereingekommen war, nur dass es zu später Stunde war und ein warmer Schauer die Platten seiner Rüstung und seine haselnussbraune, glatte Haut benetzt hatte. An den Seiten seines Schädels war das Haar kurzgeschoren und zeigte eine ebenmäßige Kopfform, hohe Wangenknochen, im Vergleich zum Gesicht helle, leicht geschwungene Lippen. Er bewegte sich grazil, doch als ein Betrunkener beinahe gegen ihn stolperte, stieß er ihn ohne Zögern kräftig beiseite, ohne selbst aus der Balance zu geraten. Wenn er lachte, blitzten seine weißen Zähne auf.

Als er Dorian angelächelt hatte, musste dieser zurücklächeln. Und das war nicht nur der Alkohol.

Er war nicht mehr in Qarinus, an diesem Ort war er auch nur ein Reisender. Er konnte tun, was er wollte – mit wem er wollte – weil es jedem hier scheißegal war.

Was für ein verdammter Irrtum.

Aber es war es wert; die Sanftheit der rissigen Lederhandschuhe, fast wie das Pergament eines plötzlich öden Traktats über Nekromantie, und dabei viel lebendiger, die warme Stimme mit ihrem rauchigen Lachen, Lippen, die nach Bier und Holzfeuer schmeckten. Eine schwache bittere Note in einem der Küsse des Kriegers, wie der Tee, den Dorian im Salon seines Vaters getrunken hatte, jedoch süßer im Abgang.

Danach erinnerte er sich an nicht mehr allzu viel. Leider.
 

Dorians Erwachen war weder süß noch bitter. Es war ziemlich salzig. Genauer gesagt, eiskaltes Meerwasser mit einem penetranten Beigeschmack von Fisch, der ihn würgen ließ. Doch er beherrschte den Drang, und gleichzeitig kontrollierten seine Hände zitternd, ob seine Schädelnähte noch fest waren oder ob sein Hirn irgendwo an den Seiten heraustropfte. Denn so fühlte es sich an.

„Hey! Jetzt reicht's, wach auf!“

Dorian erkannte die Stimme. In seiner Erinnerung war sie allerdings um einiges sanfter und verheißungsvoller gewesen. Und hatte kein dröhnendes Hämmern in seinem Kopf ausgelöst.

„Kannst es ihm nicht verübeln, weißt du.“

„Woher sollte ich – du hast den Scheiß überdosiert, meine Zunge ist jetzt noch taub!“

„Ich merk' nichts davon, dass bei dir irgendwas taub ist, shem – außer deinem Hirn.“

„Halt's Maul, Kaninchen.“

„Was lernt ihr in der Armee: Zählen wohl nicht, ich sagte, einen Fingerhut. Was dachtest du, was der Kerl macht, häh, Wichser?!“

Ein winziges Zögern. Wäre dieser Wortwechsel nicht so schmerzhaft gewesen, hätten die Obszönitäten Dorian amüsiert, doch jetzt presste er nur die Augen zu und wartete, dass die beiden Stimmen nicht mehr in seinem Kopf nachhallten.

Leider fand die Stimme aus seiner Erinnerung ihre... Stimme wieder. Es gab zu viele Stimmen. Es gab überhaupt zu viele Geräusche!

„Er ist'n Magier. Sagt doch alles, oder?“

„Er ist ein Mann, so was kriegt man in den Griff. Und das mein' ich ganz wörtlich, Krem.“

„Fick dich.“

„Jetzt sag' nicht, er hat dich-“

„Halt. Deine. Klappe. Oder ich stopfe sie dir mit irgendwas, was da drin stirbt.“

„Und was könnte das nur-“

Etwas Kühles legte sich in Dorians Nacken. Er lag auf dem Bauch und hatte die Augen gegen das Salzwasser zusammengepresst, zumal keiner der beiden Anwesenden ein weiteres Interesse an ihm gezeigt hatte. Doch nun drang die Umwelt schlagartig auf ihn ein. Muffiges, grobes Leinen kratzte an seiner Wange und seinem Hals. Und seiner Brust. Und seinen Zehen. Und an allem, was zwischen Brust und Zehen war.

Er war nackt. Großartig.

Zum Glück lag auch irgendetwas Kratzendes und ziemlich Dünnes über seinem Gesäß und seinen Beinen, er war also nicht komplett entblößt. Aber sofern er sich nicht selbst ausgezogen hatte (woran er sich nicht erinnerte, wobei diese Erinnerung ohnehin lückenhaft war), hatte ihn durchaus jemand so gesehen.

Scheiße.

Die Luft war warm und abgestanden. Neben seinem Kopf tat ihm nichts weh. Doch er spürte seine verdammte Magie nicht!

„Ganz ruhig.“

Die Stimme war tief wie ein Brunnenschacht und eigentümlich sanft. Sie schnitt die hitzigen Worte einfach ab, die Dorian zuvor gehört hatte, und er wusste instinktiv, dass sie auch für das Kühle in seinem Nacken verantwortlich war. Für einen Moment war es beinahe angenehm, still und lindernd.

Dann zog sein Verstand den bedauerlichen Schluss, dass es eine Klinge war... und der Länge nach eine ziemlich breite, schwere Klinge.

Scheiße!

'Ich bin ganz ruhig.'

Dorian hatte vorgehabt, das zu sagen – schnippisch und mit diesem Hauch von Arroganz, der in Salons seinen Diskussionsgegner in den Wahnsinn trieb.

Um der Wahrheit Tribut zu zollen, war es ein trockenes Krächzen, und selbst in seinen eigenen Ohren klang es nur wie: „Ch bn and uhi.“

Die Klinge tippte ihm schwach gegen die Wölbung des Atlaswirbels. Sie zitterte ansonsten kein bisschen, was vermutlich von exzellenter Körperbeherrschung zeugte, doch Dorian war so gar nicht in der Stimmung, das zu würdigen.

Die Stimmen von zuvor waren verstummt. Bodendielen knarrten protestierend, dann senkte sich ein wohltuender Schatten auf Dorian. Der Magier öffnete seine verklebten Augen einen Spalt und blinzelte.

Vor ihm türmte sich der größte Qunari auf, den er jemals gesehen hatte.

Das lag nicht nur daran, dass Dorian momentan lag und Qunari dazu neigten, ohnehin extrem groß und breit zu wirken. Dieser hier war riesig, und er war... bullig. Kein anderes Wort beschrieb ihn besser. Zwei massige Hörner stachen aus seinem Schädel ab und verjüngten sich vertikal zu drohenden Spitzen. Viel mehr konnte Dorian nicht erkennen, und das reichte ihm auch schon völlig.

Wenn die Lage vorher mies gewesen war, war sie jetzt... Wie sagte man doch gleich?“

„Vishante kaffas.“

Es war ein Zischeln, aber zumindest war es verständlich. Dorian schloss seine Augen wieder und atmete den Mief des Lakens unter sich ein.

Er steckte bis zu den Ohren in der Scheiße, und demnächst musste er einatmen. Auch metaphorisch.

„Nicht, dass ich wüsste.“ Die tiefe Stimme – vom Qunari ausgehend – klang rumpelnd und amüsiert.

Das war einer der vulgärsten Flüche, die Dorian kannte, und wörtlich übersetzt bedeutete es, dass ihm jemand auf die Zunge gekackt hatte. Das... war seines Wissens tatsächlich nicht passiert, danke der Nachfrage, doch es war noch viel beunruhigender, dass der Qunari Tevene sprechen konnte, die Sprache des Imperiums. Die Sprache des zivilisierten Volks, nicht diese Grunzlaute des Qunlat.

Dorians Magen verknotete sich kunstvoll und rollte sich irgendwo unter seinem hämmernden Herzen zusammen. Er stöhnte leise.

„Wessen Idee war das mit dem Wasser?“, erkundigte der Qunari sich gelassen. Für jemanden seiner Rasse hatte er erstaunlich viel Satzmelodie.

„Meine.“ Das war wieder die Stimme, die Dorian kannte. Sie klang jetzt ruhiger, mürrisch.

„Na schön. Komm hoch, kleiner Magier.“

Dorian hörte das Lächeln in der Stimme, gleichzeitig hob sich das kühle Gewicht von seinem Nacken. Sein Herz schlug daraufhin nicht nennenswert langsamer, doch er stieß sich mit einer Schnelligkeit hoch, die ihn selbst überraschte, und setzte sich auf. Alles ringsum drehte sich, und erneut musste er ein Würgen unterdrücken. Eine grabschaufelartige Hand legte sich auf seine Schulter und hielt ihn aufrecht. Sonnenlicht fing sich im Blatt einer Axt, das gut und gerne so viel maß wie Dorians Brustkasten. Und die Axt hatte derer zwei.

Blätter, nicht Brustkästen. Immerhin.

Er befand sich in einer kleinen Kammer, die von einem schmalen Bett, einem Schemel und insgesamt vier Personen (von denen eine ein Hüne mit einer gigantischen Axt war) nahezu ausgefüllt wurde. Durch ein kleines Fenster fiel goldenes Licht, Frischluft schien sich nicht einstellen zu wollen. Neben dem Fenster lehnte eine Elfe, die ihr mausbraunes Haar in einem Zopf an ihrem Hinterkopf festgezurrt hatte und deren Hände unablässig an ihrem Gürtel herumfingerten – Dorian hatte Messerhändler gesehen, die weniger Klingen bei sich trugen. Selbst für ihre Rasse war die Elfe klein und schmächtig, vermutlich als Kind unterernährt. Sie trug eine eigenartige Mischung aus Häme und Trotz zur Schau, und ihre aufgeschürften Knöchel waren weiß vor Anspannung.

Auf dem Schemel saß der seidenhäutige Jüngling von der Nacht zuvor. Nur dass Dorian jetzt, wo er nicht im Taumel der Freiheit war, nicht betrunken war und die Beleuchtung auch besser war, ein paar Dinge erkannte, die ihm vorher entgangen waren.

Die Wangen des Kriegers waren tatsächlich sehr glatt, der Adamsapfel klein. Er trug zudem keine Rüstung, sondern Hosen und eine derbe Tunika, in die Platten aus speckigem Leder eingenäht waren. Dadurch waren gewisse, obwohl verblichene Attribute zu erkennen, beispielsweise die muskulösen, aber trotzdem schmalen Schultern und die runde Form der Hüften.

„Fasta vass, ein Weib“, knurrte Dorian rau und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um den Schmerz dorthin zurückzuschieben.

Er hätte fast mit einer Frau geschlafen – sein Vater wäre außer sich vor Begeisterung, wenn er das wüsste! Man schicke sofort einen Eilboten für die frohe Nachricht, auf dass ein Freudenfest im Hause Pavus stattfand!

Außer, dass sie ihn offenbar betäubt hatte, bevor sie zur Tat hatten schreiten können. Der Teil war nicht ganz das, was Dorians Vater erwartete. Andererseits hatten sie diese Feinheiten des standesgemäßen Ehelebens nie erörtert.

Uh. Vielleicht musste er sich doch übergeben.

Etwas an seinem Tonfall missfiel der Kriegerin unverständlicherweise – sie schoss vom Schemel hoch, die perlweißen Zähne drohend gebleckt und die Fäuste geballt. Obwohl sie nicht unverhältnismäßig groß war, ragte sie innerhalb des kleinen Raums und der unverhohlenen Aussicht auf ein paar ausgeschlagene Zähne geradezu auf. Und Dorian hatte weder einen Ausweg noch seine Magie zur Hand.

Hand. Die Hand, die bisher seine Schulter gehalten hatte, löste sich bedächtig, und der riesige Schatten des Qunari schob sich in Dorians Peripherie. Was bei Weitem nicht so unanständig war, wie es einem drogenvernebelten und verkaterten Verstand womöglich schien.

„Das ist vielleicht keine so gute Idee“, bemerkte der Qunari, und Dorian fragte sich unweigerlich, zu wem er eigentlich sprach.

Die Kriegerin knirschte leise mit den Zähnen, lockerte die Spannung ihrer Muskeln. „Boss.“

Eine Hand zuckte hoch, und Dorian erkannte den Abbruch eines Saluts, wie er in der Armee allgemein gebräuchlich war. Etwas, das der Qunari anscheinend nicht verlangte, das jedoch unbewusst als Bezeugung von Gehorsam benutzt wurde.

Eine Deserteurin. Oder vielmehr ein... Deserteur, denn was den Dienst an der Waffe anging, hatte das Heer des Imperiums ziemlich genaue Vorstellungen. Und die schlossen Frauen ohne Zweifel davon aus.

„Skinner, schick' mir die Kleine. Wir brechen auf, sobald die anderen zurück sind.“

Es war vermutlich illusorisch, den Namen der Elfe nur darauf zurückzuführen, dass sie klein und dürr war... Obwohl sie immer noch unterdrückte Aggression ausstrahlte, schob Skinner sich an ihren Spießgesellen vorbei – nicht ohne die Deserteurin, die sie 'Krem' genannt hatte, mit einem triumphierenden Blick zu streifen. Diese ging allerdings nicht darauf ein; während sie sich wieder auf den Schemel setzte, bildete sich eine steile, abwesende Falte zwischen den Augenbrauen.

Die strohgefüllte, dünne Matratze katapultierte Dorian beinahe in die Höhe (und ließ seinen Magen unangenehm kribbeln), als der Qunari sich auf das Fußende setzte. Er wurde dadurch kaum kleiner, und das Bettgestell ächzte unter seinem Gewicht.

Dorian hatte Qunari wie ihn auf diversen Sklavenmärkten gesehen, und es war ein längst überfälliger Ekel in ihm aufgekommen, wenn er diese Wesen betrachtet hatte. Sklavenhändler züchteten die männlichen Qunari wie Vieh, wenn sie ihrer habhaft werden konnten (was selten genug geschah, doch die Wunder der Blutmagie machten einiges möglich!). Auf genau diese Attribute: verroht, primitiv, mit einer gewissen Ästhetik hinter ihren stumpfen, grauen Gesichtern.

Dieser hier hätte einen guten Preis erzielt. Er war muskelbepackt, seine breite Knochenstruktur und seine deutlich sichtbaren Ansätze der Muskelfasern ließen erkennen, dass er von Kindheit an auf Stärke getrieben worden war. Vermutlich hatte er interessante Wirbelknochen. Als gutaussehend konnte man ihn mit dem hervorspringenden Kinn, der typischen flachen (und in diesem Fall auch noch mehrfach gebrochenen) Nase und dem kahlen Schädel kaum bezeichnen, außerdem fehlte ihm das linke Auge, und Bartstoppeln verdunkelten seinen Unterkiefer. Den Bart an seiner Oberlippe fand Dorian grauenhaft und gegen jede Regel des Anstands. Genau wie die zwei spitz zulaufenden Hörner, die seitlich aus dem Schädel wucherten und die Dorian an Kaminbesteck erinnerten.

Und dennoch... Er strahlte etwas so animalisch Urtümliches aus, eine so rohe Kraft, die über den Umfang seiner Muskeln hinausging und sich in seinem einzigen, glimmenden Auge in der Farbe von dunklem Bernstein kanalisierte...

Für einen Moment dachte Dorian an Rilienus, die fein gemeißelten, aristokratischen Züge, die kohlschwarzen Locken, das winzige Muttermal in seinem Mundwinkel. Er wusste nicht einmal, warum.

Aber das hatte auch damit zu tun, dass sein Kopf vor Schmerz hämmerte und der Qunari ihn mit einem blöden, wissenden Grinsen musterte. „Wieder da, kleiner Magier?“

Dorian hasste ihn. Augenblicklich.

Da seine Stimme immer noch ein trockenes Krächzen war, beschränkte Dorian sich auf eine höchst unangemessene Geste seiner Finger, die von dem Qunari mit mäßigem Interesse hingenommen wurde. Er warf dem... Wesen namens Krem einen kurzen Blick zu. „Soll ich mich in 'ne Sardine verwandeln oder so, ist das Blutmagie?“

Krem riss ein Blatt von Kautabak ab und schob es sich in die Wange. Als Dorian vor Abscheu das Gesicht verzog und bei dem feuchten Knirschen ein neues Würgen unterdrückte, schmunzelte es. Neutrum. „Du sollst dich ins Knie ficken. Deine Mutter auch, wenn du kannst, aber was das angeht, seid ihr Grauen ja verdammt in den Arsch gekniffen.“

„Hat seine Vorteile, wie man sieht.“ Der Qunari sah zurück zu Dorian. Seine Mundwinkel kräuselten sich amüsiert, und er verpasste Dorians Unterschenkel einen Klaps, unter dem man im Stehen hätte zusammenbrechen können. Sobald er sicher war, dass sein Schienenbein nicht gebrochen war, zog Dorian das Bein sofort weg und erntete ein amüsiertes Schnauben.

Der Dreckskerl hatte absolut keine Angst vor ihm! Zugegeben, Dorians Magie war betäubt, und derzeit war er nicht als Altus zu erkennen, geschweige denn als Meisterschüler von Gereon Alexius oder Erbe des Hauses Pavus. Aber.... trotzdem!

„Wie heißt du, Junge?“

Und für wie jung hielt ihn der verfluchte Ochsenmensch?! Dorian durchbohrte ihn mit einem vernichtenden Blick, würdigte ihn jedoch nicht mit einer Antwort.

Der Qunari schien sich nicht zu wundern, noch provozierte es ihn erkennbar. Das Bett stöhnte gequält, als er sich leicht zurücklehnte. „Ich bin der Eiserne Bulle“, sagte er, ohne dass Dorian erkennen konnte, warum ihn das interessieren sollte. Er wollte, dass sein Kopf aufhörte, sich um sein Hirn in kleine Schollen aufzulösen, und er wollte es jetzt!

„Das ist Krem. Wenn du deine Zähne in der Zahl und Anordnung magst, die sie jetzt haben, solltest du dir merken, dass er ein Mann ist.“

Am Arsch war das ein Mann – Dorian wusste, wie ein Mann aussah und sich anfühlte, und das war keiner!

Hatte ihn letzte Nacht allerdings im Stich gelassen, dieser unfehlbare Instinkt. Dorian beschränkte sich auf ein finsteres Stirnrunzeln.

Krem schob den Kautabak in die andere Wange und stocherte mit sich dem kleinen Finger im Ohr herum. „Ich glaube, ich würde bei diesem lächerlichen Schnurrbart anfangen, Boss.“

Lächerlicher Schnurrbart?! Kretin! Dorians Stimme gewann angesichts dieser ungeheuerlichen Kränkung etwas Kraft zurück, doch er wandte sich betont nicht an Krem. Eine Spur des alten Eises fand sich sogar wieder und klirrte an den Rändern seiner Worte. „Was hat das alles zu bedeuten?“

Die Augenbraue des Qunari ruckte fragend nach oben. „Du hast ihm nichts gesagt?“

In diesem Moment öffnete sich die einzige Tür der Kammer einen Spalt, um eine junge Zwergin einzulassen, die ein Tablett balancierte. Zu Dorians Verblüffung übersah sie die beiden... Individuen im Raum und lächelte ihn an, während sie die kurze Distanz überwand – er konnte nicht mal Spott in dem von tausend Sommersprossen gezeichneten, runden Gesicht erkennen. Sie schien aufrichtig erleichtert, ihn wach zu sehen.

Was Dorian ahnen ließ, dass er aussehen musste wie Dreck.

„Trinkt etwas Wasser.“ Die Zwergin gab ihm einen Becher aus gebranntem Ton, in dem leidlich klares Wasser umherschwappte, und befeuchtete dann einen Lappen, der zumindest sauber wirkte. „Wenn Ihr Eure Schläfen kühlt, lässt das Pochen nach. Für die Übelkeit...“

„Mach nicht so einen verdammten Aufstand wegen dem Idioten, Lacey“, knurrte Krem, gerade als Dorian den Becher angewidert zurückweisen wollte – wer wusste, was diesmal drin war.

Die Augen der Zwergin funkelten grimmig. Dorian kannte diesen Ausdruck von seiner Großmutter. Und nahm reflexartig den Becher, weil man keiner Frau im Weg sein wollte, die dieses Funkeln in den Augen hatte.

„Für dich immer noch Harding“, spie sie und drehte sich zu Krem um, ohne dass ihre Hände dabei innehielten, das Tuch zu befeuchten und auszudrücken. „Wenn du kein so verblödeter Grobian wärst, wäre er gar nicht so übel dran!“

„Scheiße noch mal, ist es meine Schuld, wenn der Idiot-“

„Es ist immer deine Schuld, und wenn du mich noch mal unterbrichst, rutscht mir Skinners Tinktur mal über deinem Becher aus.“

Der Qunari, der sich als der Eiserne Bulle – und da hatte Dorian sich definitiv nicht verhört! - vorgestellt hatte, neigte den Kopf. Ihn schien der Streit zu amüsieren, doch wie zuvor schnitt seine Stimme mühelos durch den Disput und ließ Krem seinen Mund wieder schließen.

Dorian erkannte außerdem einen Beziehungsstreit, wenn er einen sah.

„Will ich wissen, was dich davon abgehalten hat, die Honneurs zu machen, Creme de la Krem?“

Orlaisianisch aus diesem Mund klang so falsch.

Krem winkte unwillig ab, wobei seine Bewegung etwas ruckartig geriet. Die Zwergin namens Harding tupfte Dorian derweil über die Stirn, bevor er sich dagegen wehren konnte, und drückte das Tuch dann sanft gegen seine Schläfe.

Entweder kompensierte sie auf ungesunde Weise, oder ihr schlechtes Gewissen war echt.

„Tschuldige, Boss.“

„Du bist dazu da, die Reden zu halten.“

„Weil du keinen Bock dazu hast, deswegen.“

„Deswegen. Also...“ Der Eiserne Bulle erhob sich, wobei das schmale Bett vor Erleichterung tief seufzte. Dorian zwang sich zu einem Schluck Wasser, bevor er den Kopf hob und Harding energisch, aber langsam beiseite schob (Krem beobachtete ihn ziemlich genau). Sein Blick heftete sich an den breiten Rücken des Qunari, als dieser sich unmissverständlich zur Tür wandte.

„Was ist mit mir?“, wiederholte er seine Frage mit mühsam unterdrückter Gereiztheit.

Der Bulle sah über die Schulter, als erinnerte er sich erst jetzt an ihn. Und es gab nicht viele, die einen Magier in ihrem Rücken vergessen konnten.

„Vergessen“, brummte er lapidar und musterte Dorian flüchtig aus seinem einen Auge. Die andere Augenhöhle war bedeckt durch eine metallene Augenklappe, die Doria auf unheimliche Art ebenso anzusehen schien.

„Willkommen bei den Sturmbullen. Du bist unsere Geisel.“



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