Zum Inhalt der Seite

Five Days

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
... Habt Teil an den sonderbaren Gedanken, die mir immer dann kommen, wenn ich im Seminar aufpassen will.

Geschrieben habe ich das Dings vom 21. Dezember bis zum 13. Januar, also hauptsächlich über die Feiertage, bis mich nach Neujahr der Arbeitsalltag wieder stark ausgebremst hat.

Um’s vorweg zu nehmen: Es wird keine kuschelige Romanze geben. Mit Absicht. Aber Slash ist sowieso für mich Neuland und es wäre nichts geworden. ;)

Diese Kurzgeschichte ist in der Handlung von „The Avengers“ verankert. Ich habe Szenen aus dem Film zugrunde gelegt und mit einer eigenen, alternativen Geschichte verknüpft. Entstanden ist eine Art Kammerspiel, das sich ausschließlich auf dem Luftschiff abspielt und vorwiegend aus Dialogen besteht.

Ich hoffe, ich kann euch ein bisschen unterhalten. :D

Der komplette Einstieg ist aus dem Film übernommen, um zu zeigen, wo die Handlung eingebettet ist. Falls ihr den Film schon mitsprechen könnt, überfliegt diesen Teil oder überspringt ihn komplett, ganz wie ihr mögt.^^ (UPDATE April 2015: Alle Szenen aus dem Film sind raus bis auf eine einzige (Absatz 2). Mir wurde zugetragen, dass so viel Filmzeug abschreckend ist, dass ihr die Handlung sowieso auswendig kennt und ich auch die Charaktere nicht erst einführen muss; also werdet ihr jetzt einfach reingeschmissen und gut ist.) Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Tag 0

Tag 0

 

Lautlos wie der Flügelschlag eines Nachtvogels klappten die spiegelnden Schuppen, die aussahen wie die Haut eines silbernen Drachen, in ihre exakt berechneten Positionen. Im Vordergrund des mit federweißen Wolkenfetzen gesprenkelten Himmels verschwand der Helicarrier unter seiner Stealth-Schicht, bis er gänzlich unsichtbar war.

Es war kurz vor zwölf Uhr am Mittag, als die fliegende Zentrale der Organisation S.H.I.E.L.D. ihren Routinekurs wieder aufnahm. Dumpf drang das Röhren der Turbinen, gedämpft durch dicke Stahlwände, als stetiges Summen an die Ohren der geschäftig arbeitenden Besatzung. Fingerkuppen glitten über hochentwickelte Bildschirme, von aufmerksamen Augenpaaren beobachtet, Waffen wurden entsichert, Koordinaten notiert, Einsatztruppen in Alarmbereitschaft versetzt. Die Unruhe war spürbar an Bord. Auf sämtlichen Decks hielten sich Mensch und Maschine in Wachsamkeit bereit für eine mögliche Katastrophe. Niemandem war entgangen, welch illustre Gäste der Helicarrier in den frühen Morgenstunden, lange bevor eine blasse Sonne das Nachtblau zerstreute,  zur weiteren Beherbergung aufgenommen hatte.

 

Auf der Brücke musterte Phil Coulson seinen Gesprächspartner mit Nachsicht. Thor hatte sich abgewandt wie ein schmollender Junge, doch es war nur Verunsicherung, die ihn den Blick des S.H.I.E.L.D.-Agenten meiden ließ, der Unwille, eine Wahrheit in Worte zu fassen. Dennoch tat er es nach kurzem Zaudern, auf seine typische, etwas unbeholfene Art und in archaisch anmutendem Duktus, ganz wie Coulson ihn sympathisch zu finden gelernt hatte.

  »Als ich das erste Mal auf die Erde kam, folgte Lokis Wut mir nach, und die Menschen zahlten den Preis. Und jetzt erneut.« Zögerlich glitt sein missmutiger Blick durch den dünnen Vorhang aus blondem Haar zu Coulson, Kritik heischend, erinnerten sie sich doch beide nur zu genau, was der emotional instabile Ziehbruder des Donnergottes der Menschheit bei ihrer ersten Begegnung angetan hatte.

Coulson erwiderte den Blick mit höflicher Zurückhaltung. Er empfand die Lage als weit weniger gravierend. Thor schien vorzuhaben, die gesamte Last von Lokis Schuld auf seine eigenen Schultern zu laden, und bedauerte diese Bürde bereits jetzt. Die Menschen zu beschützen hatte er versprochen, doch Coulson wusste, dass seine Loyalität auf irrationale Weise auch Loki galt – schließlich hatte er erst kürzlich daran erinnert, mit folgenden Worten: »Loki mag irrsinnig sein, aber er ist aus Asgard. Und er ist mein Bruder.« Thor hatte Bruce Banner empfohlen, seine ›Zunge zu hüten‹, als dieser sich über Lokis Unzurechnungsfähigkeit geäußert hatte. Für Coulson bestand kein Zweifel, dass Thor nicht jede Art der Folter tolerieren würde, die vielleicht nötig wäre, um Loki die so wichtige Information über den Verbleib des Tesserakts zu entlocken. Jene hochpotente außerirdische Energiequelle speiste das bizarr geformte Zepter, dessen Spitze einen blau glühenden Kontaktsensor einfasste, dessen bloße Berührung den Willen eines Menschen unterwerfen und ihn Loki gefügig machen konnte. Zwei wichtige Mitarbeiter hatte S.H.I.E.L.D. auf diese Weise an die Kontrolle des manischen Asgard-Sprösslings verloren: den Wissenschaftler Dr. Erik Selvig, der mit der Untersuchung des Tesserakts betraut gewesen war, sowie Clint Barton, einen Agenten mit überdurchschnittlicher Effizienz. Beide waren augenblicklich nicht mehr Herr ihrer Sinne gewesen, als die manipulative Macht des Zepters ihre Herzen berührt hatte.

Nachdem Coulson nur aufmunternd zurückschaute, gab Thor es auf, einer Antwort zu harren, und starrte wieder geradeaus durch die Scheibe, hinter welcher die arbeitende Maschinerie zu sehen war, rollend und stampfend und zischend wie das Getriebe einer Dampfeisenbahn. »In meiner Jugend«, sagte er leise und beinahe reumütig, »habe ich den Krieg gesucht.«

  »Noch hat der Krieg nicht begonnen«, sagte eine schneidende Stimme zu Coulsons linker Seite. Sie gehörte Nick Fury, der plötzlich auf dem erhabenen Treppenabsatz im Vordergrund der metallisch glänzenden Wände erschienen war. Mit ernster Miene, undurchschaubar wie immer, wandte sich der imposante, dunkelhäutige Mann mit der Augenklappe an Thor. »Kannst du Loki dazu bringen, uns zu sagen, wo der Tesserakt ist?«

Coulson kommentierte diese Frage mit dem Anheben einer Augenbraue. Fury stellte niemals Bitten, von denen er sich keine positive Resonanz erhoffte. Bereits jetzt reifte ein Plan hinter diesem harten, scharfen Auge, da war der Agent sich sicher. Abwartend musterte er Thor.

Dieser ließ mit einem Seufzen den Atem entweichen. »Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Lokis Gedanken sind verworren. Es ist nicht nur Macht, die er sucht, sondern auch Rache. An mir. Kein Schmerz kann ihn von diesem Vorhaben abbringen.«

Als Antwort auf diese wenig zufriedenstellende Aussage kam Fury die kurze Treppe herunter und trat unmittelbar vor den Donnergott. Er war groß, doch Thor überragte ihn auch mit gesenktem Kopf.

  »Das denken viele«, ließ Fury den Asen wissen. »Bis der Schmerz eintritt.« Das dunkle Auge blinzelte nicht, als es den blonden Hünen ins Visier nahm.

Unglücklich erwiderte Thor den durchdringenden Blick. Er stand genau zwischen Fury und Coulson, und letzterer konnte den Ausdruck seiner Züge nicht sehen, nur erahnen. »Was genau soll ich tun?«

Es war zweifellos die Frage, auf die Fury gewartet hatte. Vielsagend gab er zurück: »Ich frage dich, was du bereit bist zu tun.«

Thor furchte die Stirn. »Loki ist ein Gefangener«, stellte er fest. Furys Andeutung schien ihn zu verunsichern.

  »Warum«, schnarrte Fury mehr als deutlich zurück, »wirkt er dann so, als wäre er der Einzige, der wirklich gern auf diesem Boot ist?«

Thors Schweigen zeugte davon, dass er nicht verstand.

  »Ich werde es dir erklären«, sagte Fury ruhig. »Dir und allen anderen.«

 

  »Sie hatten ganz Recht, Bruce. Er ist wirklich ein Schätzchen.«

Banner sah von seinem Computerbildschirm auf. »Was?«

  »Na, unser Kapellmeister.« Stark schwenkte, eine seiner ausdrucksstarken Grimassen schneidend, den kaum vier Zoll breiten Flachbildschirm, lediglich ein schmaler Rahmen mit leuchtendem Display, von dem aus er sämtliche Überwachungskameras des Flugzeugträgers nach Belieben ausspähen konnte. Momentan zeigte der Monitor die Arrestebene, wo Lokis feingliedrige Gestalt von kaltem, bläulichem Licht beschienen wurde. »Is’ ’n Ding, oder? Wir sind – warten Sie – wie lange in der Luft? Vier Stunden? Loki hat sich keinen Zentimeter von der Stelle gerührt. Will uns zeigen, was für’n harter Kerl er ist.«

  »Und wenn schon«, brummte Banner und versuchte, wieder alle Aufmerksamkeit der Suche nach dem Tesserakt zu widmen. Zusammen mit Stark verfolgte er nunmehr geordnet und friedlich die schwache Gammastrahlensignatur, die der vierdimensionale Würfel aussandte und die sich immer wieder der Reichweite ihrer feinfühligen Sensoren entzog. »Wir sollten ihn ignorieren. Sie wissen so gut wie ich, was er vorhat: einen Keil zwischen uns zu treiben. Das hat er uns schon gezeigt.«

  »Ach, kommen Sie, Banner!«, schmetterte Stark diese Ermahnung ab. »Wer könnte einen Keil zwischen Sie und mich treiben? Wir verstehen uns doch jetzt schon wie zwei Einsame auf ’ner Bohrinsel. Ich weiß genau, was Sie denken.« Prompt schob sich seine Hand zwischen Banners Gesicht und den Bildschirm, ihm das raschelnde Tütchen mit getrockneten Heidelbeeren unter die Nase haltend.

  »Ach.« Seufzend griff Banner nach der Süßigkeit und steckte eine kleine Handvoll in den Mund. »Es ist nur so, dass … Sie wissen, dass er mich manipuliert.«

  »Ach was, Bruce, ich hab Vertrauen in Sie. Sie haben doch allen gezeigt, dass Sie sich im Griff haben.« Starks Stimme klang herausfordernd, und als Banner den Kopf hob, sah er die typischerweise dabei in Mitleidenschaft gezogene Augenbraue sich heben. »Haben Sie etwa Angst vor ihm?«

  »Was? Nein.« Schnell wandte der Physiker sich wieder ab und lachte nervös.

  »Doch, geben Sie’s zu. Sie glauben, dass er Sie durch das da –« Stark nickte dorthin, wo das speerartige Zepter in seiner Fixierung auf einem Untersuchungstisch ruhte und matt vor sich hin leuchtete. »– beobachtet. Ich find das Ding auch tierisch unheimlich. Aber wenn wir Loki zeigen, dass wir Angst haben …« Er schnippte eine Beere in die Luft und fing sie prahlerisch mit den Zähnen. »… dann hat er uns bei den Eiern.«

Banner schluckte das unangenehme Gefühl, das ihn augenblicklich wieder beschlich, tapfer mit dem Rest der Trockenfrüchte hinunter. »Ich bin nicht wie Sie, Tony«, gestand er schließlich. »Ich kann nicht mit einer Bedrohung leben und einfach … so tun, als wäre sie nicht da.«

Stark musterte ihn prüfend; dann richtete sich sein Zeigefinger auf ihn, als hätte er ihn ertappt. »Angst.«

  »Nennen Sie’s, wie Sie wollen.«

  »Hören Sie, Bruce … Dieser außerirdische Freak wohnt in Ihrem Zimmer. Sie wissen, dass er diese superteure Scheibe mit keinem Spielzeug kaputt kriegt. Er ist da drinnen, Sie sind hier draußen. Demnach ist Ihr grüner Freund gerade nicht das Gefährlichste auf diesem Schiff. Lassen Sie nicht zu, dass Loki das ändert. Er kann Ihnen von da drinnen nichts tun. Denken Sie dran.«

Banner widerstand der Versuchung, sich fest auf die Unterlippe zu beißen. »Ich werd’s versuchen«, versprach er.

Kaum einen Augenblick später meldete sich Nick Furys Stimme über das Kommunikationssystem. »Dr. Banner, Mr. Stark. Kommen Sie bitte in den Konferenzraum. Ich erwarte Sie dort.« Die Durchsage endete.

Banner sah mit gefurchter Stirn zu Stark. »Er klang nicht gerade glücklich.«

Stark zuckte die Achseln. »Wann klingt der denn glücklich?«, erwiderte er und strich beiläufig mit den Fingern über den weiß leuchtenden Lichtkreis in der Mitte seiner Brust, ehe er den kleinen Handcomputer beiseite legte und in Richtung Ausgang schlenderte. »Gehen wir?«

  »Ich hoffe, es sind keine schlechten Neuigkeiten.« Banner schloss zu seinem Kollegen auf, und gemeinsam schlugen sie den Weg zum Besprechungsraum ein.

 

  »Gentlemen? Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«

Als sie den Saal betraten, gingen Tony Stark dreierlei Fragen durch den Kopf. Erstens: Warum sah jeder Raum in diesem fliegenden Aktenkoffer so grau und trist aus wie der Keller einer Reiswaffelfabrik im Elendsviertel von Shanghai? Zweitens: Welcher unsichtbaren Reinigungscrew war es zu verdanken, dass Wände und Boden hier ständig wie geleckt aussahen? Drittens: Wieso klang Furys Stimme eigentlich immer, als ginge ihm alles und jeder auf die Ketten?

Kritisch beäugte er das kleine Begrüßungskomitee am Ende des ebenfalls grauen Langtisches, das aus Fury, Coulson, Natasha Romanoff – und ja, diese Frau flößte selbst Stark Respekt ein – sowie Maria Hill bestand, jener ranghohen Agentin, deren einzige Aufgabe es zu sein schien, hinter Fury zu stehen und mit den Augen zu rollen.

Vor ihnen, Stark und Banner den Rücken kehrend, saßen bereits die anderen im Bunde: Steve Rogers, seines Zeichens loyaler Wachhund der U.S. Army, und Thor, das blondmähnige Muskelpaket aus dem Weltall, das sich als gutartig und aufrichtig erwiesen hatte, aber zweifellos nicht die hellste Kerze auf der Torte war.

  »Gut, da sind wir, legen Sie los«, ließ Stark in Furys Richtung verlauten, zog sich lässig einen freien Stuhl heran und genoss es, wieder einmal sämtliche Blicke auf sich zu wissen. Jeder hier kuschte vor S.H.I.E.L.D., vor allem vor Furys einäugigem Arsch-auf-Grundeis-Blick, doch er ganz sicher nicht. Sobald er zwischen Banner und Thor saß, grub er demonstrativ die Hand in sein Blaubeertütchen, als erwarte sie alle ein unterhaltsames Bühnenprogramm.

Mit steinerner Miene löste Fury den Blick von ihm und zog stattdessen eine kleine Fernbedienung heran, um eine Computerprojektion zu aktivieren, die ein gestochen scharfes, farbintensives Bild an die ausnahmsweise weiße, nicht graue, Wand hinter seinem Rücken warf. Es zeigte aktuell noch das eher unspektakuläre S.H.I.E.L.D.-Wappen. Stark fragte sich nicht zum ersten Male, was es eigentlich darstellen sollte.

  »Meine Herren, es gibt nicht nur ein Problem, das wir lösen müssen. Genau genommen sind es sogar verdammt viele Probleme.« Fury drückte ein Knöpfchen, und sofort glitt ein neues Bild auf die helle Fläche, eins, das sie alle nicht sehen wollten: Loki in seinem Glasgefängnis. Kleinstadtvandale, Massenmörder und Kulturbanause in einem. Stark merkte, wie seine Miene sich verdüsterte. Über die vergangenen Stunden hinweg hatte er Loki gelegentlich beobachtet, nur um enttäuscht festzustellen, dass der Mistkerl seinen Aufenthalt an Bord zu genießen schien. Er langweilte sich nicht einmal, denn jede Sekunde nutzte er dazu, Überlegenheit zu demonstrieren.

Am liebsten war es Stark, wenn Loki die vorübergehenden Wachsoldaten durch das Glas hindurch feindselig anstierte. Das schien natürlich, das entsprach den Erwartungen, und auch wenn der Blick äußerst unangenehm war, so war er doch zumindest nicht völlig fehl am Platz. Anders war es, wenn Loki lächelte wie ein Schwiegersohn. Dieses Lächeln war sanft, fast zärtlich, doch darunter gärte unverkennbar ein Sud aus Sadismus und Erbarmungslosigkeit, den man erst bemerkte, wenn man schon dabei war, instinktiv zurückzulächeln.

Doch Stark hatte keine Angst vor Loki. Nicht wirklich. Seit er durchschaut hatte, dass der Mann unter seinen abgespaceten Klamotten nicht mehr als ein getretener, bissig gewordener Hund war, glaubte Stark fest daran, dass Loki eine riesige Schwachstelle hatte, die nur darauf wartete, entdeckt zu werden. Wie der Endboss in einem schlechten Videospiel würde er selbst sie irgendwann darauf hinweisen, dass sie die bunten Bommeln, mit denen er sie unentwegt bewarf, gegen seine Rückseite schießen mussten, wo in leuchtender Schrift HIT AREA stand. Dieser Moment würde ganz sicher kommen.

Das Einzige, was Stark an Loki wirklich beeindruckte, war, dass dieser ein noch größeres Ego hatte als er selbst. Das war einige Anerkennung wert. Chapeau.

  »Das erste Problem war, ist und bleibt«, fuhr Fury nach einer Kunstpause monoton fort, »dass Loki keinerlei Informationen preisgibt.«

  »Das war zu erwarten«, sagte Rogers auf seine anbiedernd vernünftige Art, die Stark so nervte.

Fury nickte. »Natürlich. Aber unsere Zeit ist begrenzt. Das sind die weiteren Probleme: Wir müssen den Tesserakt finden, bevor Agent Barton und Dr. Selvig Lokis Plan zu Ende bringen, wie auch immer er im Einzelnen aussieht. Außerdem übt das Zepter vermutlich eine Art Einfluss auf uns aus, den wir weder wahrnehmen noch messen können. Gespürt haben wir ihn alle, denke ich.« Seine Augenbraue wuchs vielsagend in die Höhe. »Deshalb habe ich vor, ein Experiment einzuleiten, das uns möglicherweise vor Schlimmerem bewahrt. Aber dazu benötigen wir die Zuarbeit von Ihnen allen.«

  »Weil?«, hakte Stark nach. Er war neugierig, wollte sich dies aber auf keinen Fall zu deutlich anmerken lassen.

  »Weil wir genau beobachten müssen. Wir alle. Was wir zu sehen bekommen, wird uns vielleicht nicht immer gefallen. Und Sie, Stark, müssen mit Dr. Banner weiter nach dem Tesserakt suchen.«

  »Spannen Sie uns nicht auf die Folter, Nick. Den Würfel haben wir so gut wie gefunden, dieser Lolli ist gelutscht. Was wollen Sie mit Loki machen?«

Mehrere Paare kühler Augen richteten sich auf ihn.

  »Ich möchte Ihnen etwas zeigen«, wiederholte Fury das, was er bereits zu Anfang gesagt hatte.

Hinter ihm wechselte das Bild. Es zeigte die qualitativ eher mittelmäßige Filmaufnahme eines kleinen Affen, der aggressiv zwei Reihen spitzer Zähne bleckte und sich unmittelbar danach mit der Körperseite blindwütig gegen seine Gitterstäbe warf. Der nächste Ausschnitt zeigte ein gleichermaßen jähzorniges Opossum – ein Tier, das Stark noch nie in natura gesehen hatte –, das mit gesträubtem Rückenfell um sich biss. Die kurzen Impressionen wechselten zwischen beiden Tieren hin und her, und eine Einblendung am unteren Bildschirmrand zeigte eine Ziffer. 1 … 2 … 3 … 4 … 5. Es schien sich um die Phasen des angekündigten Experiments zu handeln, denn die Veränderung im Verhalten der Tiere war augenfällig: Sie wurden sichtlich ruhiger, zutraulicher, bis in der fünften Aufnahme eine menschliche Hand in die Käfige griff und sowohl den Affen als auch das Opossum vorsichtig berührte. Beide schmiegten sich voller Zuneigung an die kraulenden Finger des Pflegers und folgten ihnen sogar, um Liebkosungen bettelnd. Es war eine ganz und gar unnatürliche Szene.

Als Stark klar wurde, was ihm und den anderen dieser Zusammenschnitt mitteilen sollte, verschluckte er sich fast an seinen Trockenfrüchten. Der ganze Raum war von ungläubigem Schweigen erfüllt. Da niemand die absurde Vorführung kommentierte, fühlte Stark sich berufen, dies zu übernehmen.

  »Nick … Ich hoffe für Sie, dass das ein Witz ist. Und … er ist nicht besonders gut, wissen Sie. Daran sollten Sie wirklich arbeiten, Sie und Ihre … Gagschreiber.«

Fury überging ihn. »Wir haben diese Tierversuche angesetzt, um Wege zu finden, Schwerverbrecher für immer aus dem Verkehr zu ziehen. Es geht hier um mehr als nur darum, einen Delinquenten temporär gefügig zu machen. Wir sprechen hier von einer grundlegenden und dauerhaften Umkehrung von Verhaltensmustern.«

Nicht nur Fury sah aus, als wäre es ihm mit dieser Erklärung ernst; auch Agent Hill und Agent Romanoff stellten Grabesmienen zur Schau. Lediglich Coulson schaute – wie immer – drein, als begegnete er alldem mit einem geheimen Amüsement, das auf gar keinen Fall jemand bemerken durfte.

Stark riskierte einen Seitenblick auf Thor. Nein, der Austausch-Superheld hatte ganz sicher nicht kapiert, was das Video implizieren sollte. Seine bärtigen Züge zeigten ein Wechselspiel aus Misstrauen und Ratlosigkeit.

  »Was ist es?«, fragte Banner schließlich. »Eine Art … chemische Kastration?«

  Huiuiui, dachte Stark. Diese Frage hätte der Physiker besser für sich behalten sollen. Und doch, Thor schien auch mit dem Wort ›Kastration‹ nichts anfangen zu können, denn noch immer entgleiste seine Miene nicht. Gott, oder wem auch immer, sei Dank.

  »So ähnlich«, räumte Fury ein. »Es handelt sich um ein Kombinationspräparat, dessen Grundsubstanz Risperidon ist, ein Wirkstoff, der das Unterbewusstsein vom willentlichen Zugriff isoliert. Damit ist es uns gelungen, hochgradig aggressive und psychotische Zustände abzustellen. Innerhalb von fünf Tagen.«

  »Also geht es gar nicht mehr um den Tesserakt«, merkte Rogers an und heftete seinen Blick auf die vier S.H.I.E.L.D.-Mitglieder. »Jedenfalls nicht nur. Sie wollen Loki unschädlich machen.«

  »Ja«, gab Fury ohne jedes Zögern zu. »Und das möglichst für immer.«

Nun sprang, zu Starks Freude, endlich auch Thor auf die Sache an. »Dazu habt ihr kein Recht, Nick Fury«, belehrte er den Direktor. Er sprach wohl artikuliert, doch unterschwelliges Entsetzen schwang in seinem Tonfall mit. »Loki muss in Asgard gerichtet werden. Ihr könnt nicht einfach sein Wesen verändern ohne die Zustimmung meines Volkes.«

  »Dann soll dein Volk kommen und ihn dingfest machen«, gab Fury herausfordernd zurück. »Das wird es nicht, habe ich Recht? Wir müssen Loki aufhalten, es ist unsere Welt, die er bedroht, unsere Leute, die er tötet. Ich habe die Aufgabe, diese Welt zu beschützen, und ich werde tun, was nötig ist.«

  »Das kann ich nicht akzeptieren.« Thors Blick war eisern. Widerwillig gestand er: »Ich verstehe, dass du diese Welt schützen willst. Das will ich auch. Die Menschen sind meine Freunde. Aber es muss einen anderen Weg geben. Mein Bruder ist kein Affe. Und auch kein … Was für eine Kreatur ist das?«

  »Eine Beutelratte«, antwortete Agent Romanoff unumwunden.

  »Loki wird nicht zahm werden wie ein Tier«, fuhr Thor unbeirrt fort.

  »Doch, das wird er.« Auf der Tischplatte faltete Fury ruhig die Hände. Er war sich seiner Sache völlig sicher.

  »Ihr habt das Mittel nicht einmal an einem Menschen getestet.«

  »Weil es bisher keine Gelegenheit dazu gab. Jetzt gibt es eine, und wir müssen sie nutzen.«

  »Könnte spaßig werden«, meinte Stark anmerken zu müssen. »Was ist, werden Sie’s filmen und bei Youtube posten?«

  »Hören Sie auf damit!«, forderte Rogers ihn angewidert auf. »Jemanden einer Gehirnwäsche zu unterziehen ist alles andere als komisch, Stark!«

  »Wieso?« Stark reckte das Kinn vor. »Genau das hat Loki mit seinem blau leuchtenden Spielzeug doch auch gemacht. Was ist, vermisst hier noch jemand zwei Männer namens Barton und Selvig, oder bin das nur ich?«

  »All diese Umstände«, fasste Fury ruhig zusammen, ohne auf den aufflackernden Konflikt einzugehen, »untermauern nur die Dringlichkeit unseres Vorhabens. Thor, wir brauchen unbedingt deine Kooperation.«

Der blonde Kämpe sah alles andere als erfreut aus. Seine Miene war finster. »Welche Rolle soll ich bei diesem Experiment spielen?«

  »Die des Analytikers. Du kannst Lokis Verhalten am besten deuten. Unmittelbar nach Beginn der Behandlung öffnet sich ein Zeitfenster von etwa zweiundzwanzig Stunden, in dem das Opfer zugänglich für eine Art … Prägung wird«, erklärte Fury mit fester Stimme.

  »Prägung?«

Stark sah, wie Banner und Rogers simultan die Stirn in Falten legten.

  »Sie alle haben es in der Aufnahme gesehen.«

  »Sie meinen das liebestolle Gekuschel der Viecher mit dem Pfleger?«, entfuhr es Stark. »Das habe ich wirklich für einen Witz gehalten. Respekt, Nick, Sie können einem Angst machen. Die letzten Szenen verdienen eine Alterbeschränkung.«

Auch Thor wirkte jetzt mehr als nur mäßig konsterniert. Seine blauen Augen waren weit offen. »Wenn es das ist, worauf die Wirkung beruht«, ließ er mit kehligem Knurren verlauten, »dann ist es kein Heilmittel, sondern ein … Liebestrank.«

Fury sah ihn an und nickte bedächtig. »Das kann ich nicht ganz verneinen. Auch wenn die Bezeichnung ›Liebestrank‹ sehr vereinfachend ist und dem Sachverhalt nicht gerecht wird.«

  »Und weshalb nicht?«, verlangte Rogers zu wissen, der offensichtlich – rechtschaffener Weise – auf Thors Seite war.

  »Weil wir hier nicht von einer sexuellen Prägung sprechen, sondern von einer emotionalen.« Langsam die Umsitzenden nacheinander betrachtend nahm Fury das friedhofsgerechte Schweigen zur Kenntnis, das sich dieser Feststellung anschloss. »Was ist? Keine weiteren Einwände?«

  »Sie haben das vielfältig konnotierte Wort Sex gebraucht«, wandte Stark prompt ein. »Lassen Sie uns Zeit, uns das auf der Zunge zergehen zu lassen.«

  »Wie haben Sie überhaupt vor, die Droge zu applizieren?«, fragte Banner mit dem Interesse des Wissenschaftlers. »Er wird sich wohl kaum Injektionen geben lassen. Ein Aerosol?«

  »Einfacher, Doktor«, antwortete Fury. »Ich muss meine Häftlinge mit Wasser und Nahrung versorgen. Schließlich sind wir hier nicht in Guantanamo.«

  »Also Trinkwasser.«

  »Ja. Die am wenigsten aufwändige Darreichungsform.«

  »Wird er es nicht merken?«

  »Das will ich nicht hoffen.«

Postwendend mischte Stark sich ein: »Hey, und wer bitte wird das Lockvögelchen sein, dem der Bursche später aus der Hand fressen soll?«

  »Ich«, gab Romanoff bereitwillig Auskunft. Die dunklen Augen unter ihrem feuerroten Schopf waren wie kalte Kiesel. Nein, bei ihr bestand ganz sicher nicht die Gefahr, dass die Sache aus dem Ruder lief. Sie hatte ihre Gefühle unter Kontrolle.

  »Sie ist die beste Wahl für diese Aufgabe, vertrauen Sie mir«, versicherte ihm auch der Direktor.

  »Oh, ich zweifle nicht dran.« Stark wandte sich Agent Hill zu. »Sie hatten wohl keine Lust? Gefällt Ihnen der Kerl nicht?«

Furys dunkelhaarige Kollegin verzog nur ärgerlich das Gesicht.

  »Gott, Hören Sie endlich auf, sich über den Plan lustig zu machen!«, schleuderte Rogers ihm quer über den Tisch entgegen.

  »Das mache ich ja gar nicht. Ich hinterfrage nur alles. Könnte Lücken aufdecken. Aber ich sehe, Nick hier hat schon an alles gedacht.«

Wieder setzte Furys schneidende Stimme ein. »Ich sage Ihnen gleich, was nicht passieren wird«, wandte er sich an alle Umsitzenden. »Loki wird nicht nach einmaliger Gabe des Medikaments Agent Romanoff um den Hals fallen. Verabschieden Sie sich von unrealistischen Darstellungen aus dem Fernsehen, meine Herren. Es wird ein gewaltiges Stück Arbeit sein, Lokis Wahnsinn zu durchdringen, aufzuweichen und so zu formen, wie wir ihn gebrauchen können. Es wird allen Beteiligten mühsame Überwachung, Akkuratesse und psychologisches Einfühlungsvermögen abverlangen. Und es wird, Mr. Stark, ganz sicher nicht lustig werden.«

Der Angesprochene nickte einsichtig. »Hab schon verstanden, Nick, ich werd die Klappe halten und ein braver Junge sein.« Zumindest am Anfang, fügte er in Gedanken an.

Sein Blick ging zu Thor. Dieser hatte Kopf und Schultern sinken lassen und starrte missmutig auf die Tischplatte. Nein, so viel war sicher: Ihr Hammer schwingender Gast war mit dem Beschluss, den S.H.I.E.L.D. bezüglich seines Bruders gefällt hatte, alles andere als glücklich.

Tag 1

Tag 1
 

Am ersten Tag lag der Helicarrier ruhig in der Luft. Oberhalb einer dünnen Wolkenschicht badete seine glänzende Außenbeschichtung im Licht der Morgensonne und leitete die aufgenommene Solarenergie direkt in den Versorgungskern, wo sie unter anderem die Frischwassertanks erwärmte.

Dankbar für heißes Wasser war an diesem Morgen auch Natasha Romanoff, als sie in ihrem Quartier unter der Dusche stand. Ein leichter Kopfschmerz plagte sie schon seit dem Erwachen und wollte sich auch nach minutenlanger hartnäckiger Stirnmassage nicht vertreiben lassen.

Und wenn schon. Sie war Profi. Ihr Körper durfte sie nicht von der Arbeit ablenken, dazu war sie zu wichtig. Besonders jetzt.

Loki hatte längst unter Beweis gestellt, dass er keine Skrupel hatte, Leben zu nehmen, wo auch immer es ihm dazu diente, seine Macht zu beweisen. Die kurzlebigen Menschen bedeuteten ihm nichts; schlimmer noch, er betrachtete sie als Ungeziefer, das sich nicht wehren würde, das ihm lediglich als Platzhalter für ein Volk diente, das seiner Regentschaft würdig war.

Sie durfte auf keinen Fall versagen.
 

Das unangenehme Pochen in den Schläfen ignorierend betrat sie erhobenen Hauptes den Versammlungsraum, den sie und die anderen Betreuer des Projekts Five Days von heute an dreimal täglich zum Konferieren nutzen würden. Ursprünglich hatte Director Fury die Avengers zusammengetrommelt, um Loki zur Strecke zu bringen; nun waren sie spontan umfunktioniert worden, um ihn im Auge zu behalten, während ein hochkonzentriertes Drogengemisch sein psychisches Profil neu ausrichtete. Nicht gerade eine Aufgabe, die einer Handvoll Männern mit extravaganten Kampfeigenschaften zugedacht werden sollte. Der vorausgegangene Tag hatte bereits gezeigt, was zu viel Testosteron innerhalb von vier Wänden bewirken konnte. Hoffentlich würden ihre Kollegen sich zusammenreißen. Vor allem Stark.

»Kaffeechen, Agent Romanoff?« Starks Ton war unschuldig, als er vom Kaffeespender an der Wand aufsah und sie erwartungsvoll musterte.

»Hatte ich schon«, gab sie steif zurück und ließ sich an dem langen Tisch nieder, der den Raum fast ganz ausfüllte.

Außer ihr und dem Erfinder war noch niemand anwesend, sodass das Brummen des Heißgetränkeautomaten das einzige Geräusch war, das die kühle, gefilterte Luft erfüllte.

Minutenlang schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf den pochenden Schmerz oberhalb ihrer Augenbrauen. Sie stellte ihn sich als pulsierenden roten Fleck vor, den allmählich ein reines, makelloses Weiß einzunehmen begann. Als ihre Gedankenkraft den Schmerz schließlich unter kühlem Schnee hatte verschwinden lassen, glaubte sie, dass er tatsächlich kaum noch spürbar war.

Fury, Coulson und Hill erschienen wenige Minuten später als geschlossene Gruppe. Romanoff zweifelte nicht daran, dass die drei bereits irgendeine Art von Absprache getroffen hatten, deren Inhalte nicht für sie und die anderen bestimmt waren.

Pünktlich um neun Uhr waren tatsächlich alle Mitwirkenden schweigend versammelt und warteten darauf, dass jemand die Besprechung eröffnete. Es sah jedoch nicht so aus, als würde das in Bälde geschehen. Die drei S.H.I.E.L.D.-Mitarbeiter strahlten würdevolle Ernsthaftigkeit aus, während sie auf ihren Plätzen vor sich hin schwiegen, Dr. Banner drehte nervös seine Lesebrille in den Fingern, Thor sah nach wie vor verstimmt aus und Rogers, adrett wie immer, hatte die Hände auf dem Tisch gefaltet und verhielt sich geduldig ruhig. Nur Stark, der nie seine Klappe hielt, fühlte sich auch jetzt zum Nachhaken verpflichtet.

»Ähm … Worauf warten wir denn, wenn ich fragen darf?«

»Auf Agent Taps«, antwortete Fury. »Er hat die Herstellung des Medikaments überwacht und wird während dessen Einsatzes die Aufsicht leiten.«

»Ach ja? Sie haben uns gar nicht gesagt, dass noch jemand mitspielt.«

»Er hat die Testreihe mit den Versuchstieren geleitet, deshalb habe ich ihn vergangene Nacht an Bord holen lassen. Er wird Sie nicht stören.« Diese letzte Ansage galt Romanoff.

Auch für sie war die Information neu, dass nicht Coulson oder Hill die Aufsicht führten. »Ich muss mit Loki allein sein«, sagte sie nachdrücklich.

»Und das werden Sie«, wurde ihr versichert.

Hinter ihnen öffnete sich leise die Tür. Romanoff und die anderen vier, die nicht dem Eingang zugewandt saßen, drehten sich um und beobachten, wie sich eine hagere Gestalt durch den Spalt schob und vernehmlich hüstelte.

»Verzeihen Sie meine Verspätung, Director Fury.«

»Stattgegeben, Agent Taps. Setzen Sie sich. Wie ist Ihr erster Eindruck?«

Der schmale, grauhaarige Mann, dessen Kopf noch weniger Haar zierte als den von Coulson, nahm leise an der Tischfront neben Agent Hill Platz. Dass sämtliche Versammelten ihn beäugten, schien ihm nicht zu behagen. Seine Finger zitterten leicht und seine Stimme war dünn, als er sagte: »Nun. Ähm. Ich … habe mir das Subjekt heute Morgen angesehen.«

»Das was?«, fragte Thor ungehalten, und ausgerechnet Stark beugte sich hinüber, um ihm die gepanzerte Schulter zu tätscheln.

»Nicht aufregen, Großer. Ähm, Taps? Waren das Ihre Finger, die wir in Nicks Filmchen gesehen haben?«

Unter Starks scharfem Blick wurde der Agent in seinem glattgebügelten Anzug unwillkürlich kleiner. »Nun. Ja.«

»Glauben Sie, Ihr kuscheliges Opossum hat Sie gut auf das hier vorbereitet?«

»Stark!«, drohte Captain Rogers von Thors anderer Seite.

Romanoff fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Dieser Morgen war kein guter Auftakt für den ersten Tag.

»Ich …« Agent Taps räusperte sich. »… habe mit der Minimaldosis begonnen, abgeleitet von einer Schätzung des Körpergewichts. Zwar haben die Drucksensoren der Zelle einen Wert verzeichnet, aber ich meine, wir wissen nicht, wie viel diese Kleidung wiegt … dieses Leder … und Metall …« Er gestikulierte vage, Blicken ausweichend. »Nun ja … Im Laufe des Tages werden die Wirkstoffe sich im Organismus anreichern, sodass wir morgen die Prägungsphase einleiten können.«

»Erst morgen?« Romanoff ließ die Hand sinken, die gerade noch ihre drückenden Schläfen geknetet hatte. »Ich möchte heute noch zu ihm. Nick?« Sie hatten dies besprochen. Sie würde Loki nach Clint fragen. Sie musste nach Clint fragen. Und ganz nebenbei würde sie in Erfahrung bringen, weshalb um alles in der Welt Thors Bruder sich so bereitwillig S.H.I.E.L.D. ausgeliefert hatte. Es würde möglicherweise eine Katastrophe verhindern. Zeit, einen weiteren Tag zu warten, hatten sie nicht.

»Natürlich können Sie zu ihm«, nickte Fury das Gesuch ab. »Horchen Sie ihn aus, so gut es geht. Vielleicht hat er uns schon etwas mitzuteilen.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Wie oft bekommt Loki das Elixier?«, erkundigte Thor sich beunruhigt. »Was wird geschehen, wenn er zu viel davon aufnimmt?«

Agent Taps wandte sich ihm mit einem dünnen Lächeln zu. »Sie müssen Thor sein«, folgerte er. Es war kein großes Kunststück, das zu erkennen. »Nun. Seien Sie unbesorgt. Ich habe dafür zu sorgen, dass ihm eine genau berechnete Dosis zugeführt wird. Wir alle treffen uns dreimal täglich in diesen Räumlichkeiten – jeweils nach Applikation der Droge.«

Thor sah müde zurück. »Also hat er schon etwas davon zu trinken bekommen.«

»Nun. Die Minimaldosis. Wie gesagt. Wir erhöhen die Menge später.«

Es war unschwer zu erkennen, wie sehr dem Asen die Vorgehensweise immer noch missfiel. Vielleicht hatte er sogar die Missbilligung seines Volkes zu fürchten, wenn er den Verbrecher, der einer der ihren war, nicht in zurechnungsfähigem Zustand zurück nach Asgard brachte. Romanoff nahm sich vor, bei Gelegenheit mit ihm darüber zu sprechen, und hoffte, dass ihr nicht ein neugieriger und unsensibler Tony Stark zuvorkommen würde.
 

Da es nichts weiter zu beraten gab, lösten sie diese erste Konferenz auf und setzten die nächste für zwei Uhr am Nachmittag an.

Romanoff glaubte nicht, dass sich bis dahin viel verändern würde. Das schwarze Auge der Überwachungskamera hatte Lokis Hochsicherheitszelle während der Nacht rund um die Uhr beobachtet; er hatte sich selten von der Stelle gerührt, nicht geschlafen, kaum geblinzelt. Zu keinem Zeitpunkt hatte das weiche, überlegene Lächeln seine Züge verlassen. Er wartete. Lauerte wie eine Zecke auf warmes Blut.
 

Als sie zu ihm ging, spürte sie Kälte auf der Haut. Das Licht war matt, eine sparsame Beleuchtung ohne Wärme. Der gläserne Zylinder war von vier Zugängen eingefasst, ein grauer Korridor führte einmal ganz um die Zelle herum. Auf diese Weise war es möglich, sich dem Gefangenen von jeder Seite zu nähern. Lautlos trat sie von hinten an ihn heran.

Sie spürte es, als er sie bemerkte. Obwohl seine Haltung sich nicht änderte, wusste sie, dass er lächelte.

»Nicht viele vermögen es, sich an mich heranzuschleichen.« Ruhig wandte er sich ihr zu. Sein Blick war wach und lebhaft. Nicht müde. Und schon gar nicht mürbe.

»Aber du hast mich erwartet.« Es war eine Feststellung, die keiner Bestätigung bedurfte. Loki war hypersensibel. Eine Gänsehaut kroch über ihre bedeckten Arme, und sie war sicher, dass er es wusste.

»Nur später«, sagte er sanft, ihr ruhig gegenüber stehend. »Nach all den Folterungen, die Fury für mich aushecken kann, kommst du dann als Freundin. Als Balsam. Und ich vertraue mich dir an.« Er machte zwei Schritte auf sie zu, und sein Lächeln wurde breiter. Er genoss dieses Gespräch schon jetzt.

Sie schluckte. Nicht abbringen lassen, dachte sie, ohne eine Spur von Unruhe ihre Miene erschüttern zu lassen. Zieh es durch. Wirf den Köder aus. »Was hast du mit Agent Barton gemacht?«, fragte sie ihn mit leiser, aber fester Stimme.

»Ich habe seinen Horizont erweitert«, war Lokis lapidare Antwort. Im schwachen, weißen Licht sah er unnatürlich blass aus. Wie ein Geist.

»Und wenn du gewonnen hast …« Sie wagte es, näher an die Scheibe zu treten. Das Glas war dick. Ihr würde nichts geschehen. »… und dann der große König bist … Was passiert dann mit seinem Horizont?«

Zu ihrer Erleichterung nahm er den Köder an. Seine bläulichen Lippen kräuselten sich. »Oooooh. Ist das Liebe, Agent Romanoff?«

»Liebe ist etwas für Kinder«, belehrte sie ihn kalt. »Ich stehe in seiner Schuld.«

Das gefiel ihm. Oh ja. Er hatte angebissen. Mit einer Geste ermunterte er sie freundlich: »Erzähl’s mir.«

Sie zögerte, als ringe sie noch mit sich darüber, ob sie ihm wirklich vertrauen sollte. »Vor meiner Zeit bei S.H.I.E.L.D.«, begann sie schließlich langsam, »hab ich, äh …« Umständlich ließ sie sich auf einen der schwarzen, mit dünnem Kunstleder bezogenen Stühle sinken, die um die Zelle herum platziert waren. »… nun ja … Ich habe mir einen Namen gemacht. Ich habe sehr spezielle Fähigkeiten. Für wen ich sie einsetzte, war mir egal. Oder gegen wen.«

Loki hörte ihr jetzt aufmerksam zu. Er hatte sich auf der schmalen Pritsche niedergelassen, die an einer Seite der Zelle angebracht war, und sah sie unverwandt an.

»Ich bin als Feind mit S.H.I.E.L.D. in Berührung gekommen«, fuhr Romanoff fort. »Agent Barton sollte mich umbringen.« Der bisher gute Verlauf des Verhörs ermutigte sie, und so fügte sie eine dramatische Pause ein, ehe sie eröffnete: »Er hat sich dagegen entschieden.«

»Und was wirst du tun, wenn ich gelobe, ihn zu verschonen?«, fragte Loki, der ihre scheinbare Pein sichtlich genoss, in lockendem Ton.

»Nicht dich rauslassen.«

»Oh nein, aber das hier ist äußerst entzückend!« Seine Augen funkelten, und grinsend entblößte er seine weißen Zähne. Er war wahrlich begeistert. »Deine Welt auf Messers Schneide, und du weinst um einen Mann!« Es bereitete ihr Übelkeit zu sehen, wie er sich an ihren vorgespielten Gefühlen weidete. Er war widerwärtig.

Tapfer zuckte sie nur die Schultern. »Regime stürzen jeden Tag«, erwiderte sie leidenschaftslos. »Ich trauere deswegen nicht, ich bin Russin. Oder ich war’s.«

»Und was bist du jetzt?«

Seufzend erhob sie sich. »So kompliziert ist das gar nicht. Ich habe Schulden auf meinem Konto …« Entschlossen kreuzte sie die Arme vor der Brust. »… und die will ich begleichen.«

Loki bestaunte sie. »Kannst du das?« Seine sanfte Stimme bot einen krassen Gegensatz zum flammenden Wahnsinn in seinen Augen. »Kannst du so viel Schuld denn wirklich ausradieren? São Paulo … das Feuer im Krankenhaus … Barton hat mir alles erzählt.«

Offensichtlich hatte er das.

Romanoff wehrte den aufwallenden Fluchtinstinkt ab, der sie zu erfassen drohte. Gut, dass sie gar nicht erst versucht hatte, Loki eine Lüge aufzutischen. Er kannte diese Geschichte bereits. Er wusste alles über sie. Er hatte sie studiert. Und sicher nicht nur sie, sondern jeden Einzelnen auf diesem Schiff.

Loki stand auf und ging zur Scheibe, direkt auf sie zu. Nun war sein Tonfall nicht mehr freundlich, sondern kalt und spröde wie gefrorener Schnee. »Deine Schuld ist erdrückend«, zischte er sie an. »Sie ist getränkt mit Blut, und du denkst, einen Mann zu retten, der weniger rechtschaffen ist als du, ändert das?«

Sein ich ihr nähernder, bedrohlicher Schatten ließ sie weit die Augen öffnen, Angst vortäuschend. Es funktionierte. Er ließ sie seine Verachtung sehen, warf ihr seinen Ekel vor die Füße.

»Das ist nur dumme Gefühlsduselei!«, spie er. »Du bist wie ein bettelndes Kind! Bedauernswert!«

Weiter, Loki, bat sie in Gedanken, während sie ihre Züge in falscher Furcht sich verzerren ließ. Komm schon, spiel mit mir!

»Du lügst … und mordest …« Schneidend wie ein Messer zerteilte jedes seiner Worte die klamme Luft. »… im Auftrag von Lügnern und Mördern! Du gibst vor, anders zu sein … deinen eigenen Kodex zu haben … etwas, das all das Grauen sühnt … Aber es ist ein Teil von dir … und es wird niemals … weichen!«

Mit einem Mal donnerte seine Faust krachend gegen das Glas.

Erschrocken wich sie zurück, sah ihn an wie etwas restlos Furchterregendes.

»Ich rühre Barton nicht an!«, fauchte Loki, und seine scheußlich eisige Stimme fuhr ihr in die Glieder wie früher Frost. »Nicht, bis ich ihn dich langsam …« Seine Faust ballte sich, die Augen glommen. »… und inniglich … umbringen lasse! Auf jede Weise, die du fürchtest!«

Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie achtete darauf, dass er es gut sehen konnte.

»Und dann lasse ich ihn erwachen, gerade lang genug, um sein Werk zu sehen!«

Sie sperrte tonlos den Mund auf, vergrößerte hastig den Abstand zwischen ihnen. Ihre Schultern bebten.

»Und wenn er schreit …«

Jetzt fuhr sie keuchend herum. Als könne sie seinen Anblick nicht länger ertragen.

»… dann spalte ich seinen Schädel!«, endete Loki in boshaftem Triumph. »Das ist mein Angebot, du erbärmliches Weib!«

Romanoff holte tief Luft, um ein gequältes Wimmern auszustoßen. »Du bist ein Monster!«, presste sie bebend hervor. Insgeheim war sie ehrlich entsetzt über seinen Hass, doch niemals würde eine Art von Emotion ihre Arbeit beeinflussen. Niemals.

Hinter ihrem Rücken nahm Loki genüsslich wieder Haltung an. »Oh nein.« Sie hörte, wie seine Hand entspannt an der Scheibe herab glitt. »Das Monster«, ließ er sie wissen, »hast du hergeholt.«

Und damit hatte er sich verraten.

Ihr Kopf fuhr hoch. Ihre Schultern strafften sich. Alle Maskerade fiel von ihr ab, und nur ihr abgeklärtes Selbst stellte sich ihm dar, als sie ihn wissend ansah. »Also – Banner! Das ist dein Plan.«

Lokis Gesicht spiegelte Verwirrung. »Was?«, hauchte er.

Nun wäre es an ihr gewesen, den Sieg zu genießen, doch nüchtern schob sie diese Option beiseite. Es gab Wichtigeres zu tun.

Kurzerhand schaltete sie ihren Kommunikator ein und setzte sich raschen Schrittes in Bewegung. »Loki will den Hulk entfesseln!«, teilte sie ihren Verbündeten auf allen Kanälen mit. Der Überlistete musste gerade ein unglaublich dummes Gesicht machen. Sie gönnte sich den Anblick nicht. Noch nicht. »Haltet Banner im Labor fest«, fuhr sie routiniert fort, »ich bin auf dem Weg. Und schicken Sie auch Thor!«

Nun drehte sie sich doch noch einmal um. Sie musste ihm ins Gesicht sehen. »Danke«, sagte sie ruhig. »Für deine Kooperation.«

Leider kehrte ihr der Feind nur den Rücken.
 

»Ich rühre mich doch gar nicht«, wandte Banner verwirrt ein, als der Aufruhr um ihn herum weiter zunahm. Agenten riegelten die Türen ab, räumten Gerätschaften in sichere stählerne Schränke.

»Nicht aufregen, Bruce«, sagte Stark besänftigend und strich ihm im Vorbeigehen über den Arm.

»Das ist es ja, ich rege mich nicht auf! Aber wenn hier alle so tun, als würde ich mich aufregen, dann rege ich mich noch wirklich auf! Was ist hier los?« Banner verstand überhaupt nichts mehr.

»Hätten Sie mal Ihren Knopf im Ohr gehabt. Agent Romanoff hat’s gerade durchgegeben: Unser Freund im Einmachglas hat was mit Ihnen vor.«

»Und was?«

Stark zuckte die Schultern. »Tja, mehr war wohl nicht rauszuholen. Hey, Jungs, könnt ihr das bitte stehen lassen?«, hielt er zwei bewaffnete Streitkräfte auf, die sich anschickten, den futuristisch aussehenden Hauptrechner zur Tür hinauszutragen. »Wir müssen die Signatur des Tesserakts verfolgen, ihr wisst schon …«

Konsterniert fuhr sich Banner mit den Fingern durch das wirre Haar. Also manipulierte Loki ihn doch? Wie? Und was sollten sie dagegen tun? Der Kerl saß gerade in genau der Zelle, die für ihn, Banner, gebaut worden war! Das heißt, nein, natürlich nicht für ihn.

»Gibt es noch mehr solcher Käfige an Bord?«, hörte er sich hilflos fragen.

»Fürchte nicht«, antwortete Stark, der gerade den letzten Soldaten hinausbugsiert hatte. »Die 64 ist nur mit einem Modell ausgestattet. Naja, schließlich haben wir auch gedacht, dass das mehr als genug wäre.«

»Ich muss seinem Einfluss entkommen«, murmelte Banner, »ich muss mich vor ihm verstecken …«

»Ganz ruhig, Bruce. Erst mal haben wir Sie jetzt vor den meisten Reizen abgeschirmt.«

»Nehmen Sie’s mir nicht übel, Tony, aber auch Sie können ein ziemlicher Reiz sein.«

»Das hab ich nicht gehört.« Stark griff unter den Tisch und zog einen flachen Koffer hervor. Unter seinem Black-Sabbath-T-Shirt glühte matt der Magnet, der sein Herz am Schlagen hielt. »Ich bleib bei Ihnen, aber machen Sie sich keine Gedanken. Ich hab das hier.« Mit den Fingerkuppen trommelte er über die glatte Oberfläche des Koffers. Wahrscheinlich handelte es sich um die so-und-so-vielte Version seines Iron-Man-Anzugs, wie auch immer er die Dinger betitelte.

Stöhnend rieb Banner sich die Stirn. »Es muss dieser Speer sein … Wie sollte er es sonst machen?«

»Die Strahlensignatur des Speers hat sich nicht verändert. Die netten Jungs haben ihn trotzdem mitgenommen. Kein Grund zur Sorge.«

»Und Sie wollen sich wirklich nicht in Sicherheit bringen?« Zwischen seinen Fingern sah Banner matt zu dem aufrecht stehenden Kollegen auf.

»Hm.« Stark schürzte die Lippen. »Nö, glaub nicht.«

Im Lautsprecher an der Wand rauschte es kurz. »Mr. Stark?«, ertönte Nick Furys emotionslose Stimme. »Lassen Sie Dr. Banner für eine Weile in Ruhe und kommen Sie stattdessen zu mir. Dr. Banner? Sie versuchen jetzt mal, an nichts zu denken.«

»Guter Ratschlag«, murrte Banner, ließ sich auf einen der Stühle fallen und legte die Stirn auf die gefalteten Arme.

»Loki veralbert uns«, sagte Stark säuerlich. »Wird Zeit für eine Dosiserhöhung, finde ich. Bruce? Sie laufen mir nicht weg. Bin in ’ner Sekunde zurück.«

»Nur keine Eile«, seufzte Banner und betrachtete lustlos die hellgraue Wand, an welcher eben noch die wunderbarsten Messgeräte gestanden hatten, mit denen er je gearbeitet hatte.
 

»Er rechnet damit«, sagte Agent Romanoff und presste ihre schönen Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.

Stark war beeindruckt von ihrer Gefasstheit. Gerade hatte er erfahren, was Loki ihr um die Ohren gehauen hatte. War nicht gerade eine Freundschaftserklärung gewesen. An sadistischem Einfallsreichtum schien es dem Scheusal nicht zu mangeln.

»Womit rechnet er? Mit Ihnen?«

»Er geht längst davon aus, dass ich ihn manipulieren soll«, führte Romanoff aus. »Und leider weiß er jetzt auch, dass ich es kann

Stark ließ den Blick von ihr zu Fury gleiten, von Fury zu Taps und von Taps zu Thor. Sie alle sahen aus, als stünde die Welt kurz vor ihrem Untergang.

»Wir müssen mit der Behandlung fortfahren«, sagte Fury nüchtern. »Und vielleicht haben wir nicht genug Zeit, auf die Prägephase zu warten. Kommt es in Frage, die Dosis schneller zu erhöhen?«

»Ausgeschlossen!«, zeigte Agent Taps sich bestürzt. »Die Folgen wären nicht absehbar!«

»Tatsache ist, dass sich bisher überhaupt keine Wirkung zeigt«, drückte auch Romanoff ihren Finger in die Wunde. »Loki ist unverändert, keinesfalls gefügiger als vorher.«

»Nun! Sie müssen Geduld haben. Es geht nicht so schnell.« Wieder zitterte Taps kaum merklich. Stark fragte sich, was diesen armen Mann ständig so unter Strom setzte.

»Wann ist mit irgendeiner Art von Effekt zu rechnen?«, fragte Fury eindringlich.

»Nun. Gegen Abend, denke ich. Wenn er die dritte Einheit eingenommen hat. Diese wird immerhin doppelt so hoch sein wie die von heute Morgen.«

»Na, das klingt doch mal nach was«, erlaubte Stark sich festzustellen. »Nick, ich muss mir dringend dieses Zepter noch mal ansehen.«

»Gewährt, nehmen Sie es sich vor.« Fury wandte sich wieder Taps zu. »Wäre es vielleicht denkbar … wenn Loki nicht von sich aus zugänglich wird … den Druck durch äußere Einflüsse … anzupassen?« Die kräftige Braue über dem gesunden Auge hob sich kaum merklich.

Taps’ Augen weiteten sich in einer Verzückung, die Stark nicht gefallen wollte. »Die Umwelt als limitierender Faktor? Nun, das ist eine annehmbare Option, Director. Was schwebt Ihnen da vor?«

»Sie wollen’s ihm ungemütlich machen?«, übersetzte Stark das seltsame Vokabular für den ratlos dreinschauenden Thor. »Und wie?«

»Hat Ihre KI nicht längst in Erfahrung gebracht, dass die Lebenserhaltungssysteme der Arrestebene unabhängig gesteuert werden können?«, gab Fury eisig zurück. »Wir haben jede Menge Spielraum, um es Loki ungemütlich zu machen. So richtig ungemütlich, glauben Sie mir das.«

»Oh, das tu ich ganz bestimmt.«

Der S.H.I.E.L.D.-Direktor sah nicht aus, als bestünde in dieser Hinsicht auch nur die kleinste Unsicherheit. Er war fest entschlossen, das Projekt zu retten. Nichts dem Risiko auszusetzen.

Thor reagierte besonnener als erwartet. »Folter wird keine Wirkung haben«, sagte er fest.

»Davon war auch nicht die Rede«, erwiderte Fury. »Es geht hier viel eher um einen … kleinen Anstoß. Wir steigern uns langsam … genau wie die Dosis.«

»Ja!«, stimmte Agent Taps enthusiastisch zu.

Schräger Vogel, dachte Stark mit skeptisch gefurchter Stirn. Und er hatte gedacht, Coulson wäre gruselig mit seiner stets unbeeindruckten Art. Taps toppte wirklich alles mit dieser Ich-will-mein-Subjekt-leiden-sehen-Attitüde, die er soeben deutlich demonstriert hatte. Hoffentlich war der Kerl kein Held der Eigeninitiative.
 

Thor gefiel nicht, was er sah.

Seit Loki sich S.H.I.E.L.D. so widerstandslos ergeben hatte, spürte Odins Sohn einen Knoten aus unterschwelliger Furcht im Magen. Ein Gefühl, das er nicht gewohnt war. Krieger wie er kannten ihre Ängste, stellten sich ihnen und warfen sie nieder wie einen Feind.

Doch das hier war anders.

Sein Unbehagen war angewachsen, als man Loki, flankiert von schwer gepanzerten Soldaten, durch die Gänge des wunderlichen Fluggeräts geführt hatte. Sein festgenommener Bruder hatte gelächelt. In Thor hatte das widerwärtige Gefühl dräuenden Unheils sich aufgerichtet wie eine Schlange, die mit ihren giftigen Fängen droht. Als die gläsernen Türen der runden Zelle lautlos zugeglitten waren, hatte Thor an dieser Angst fast würgen müssen.

Loki lächelte sein furchtbares Lächeln. Den ganzen Tag. Die ganze Nacht. Und er, Thor, hatte gereizt mit den anderen gestritten, hatte wach gelegen, versucht, seinen nervös hämmernden Puls zu beruhigen. Eine Beklemmung, die er noch nie empfunden hatte. Die er nicht abzuschütteln vermochte.

»Hm«, kommentierte Stark, der Mann aus Metall, das kleine Bild, das sein magisches Handgerät ihm darbot. Sie waren beide allein in der Kemenate, die man dem Asen zum Nächtigen zugewiesen hatte. »Scheint schon gesunken zu sein.«

»Was bedeuten die Farben?«, fragte Thor mit neuerlichem Unwohlsein.

»Zeigen Wärmequellen an. Siehst du? Ich weiß zwar nicht, was es nützen soll, deinen Bruder buchstäblich auf Eis zu legen, aber …«

»Loki ist der Sohn eines Jotunen«, sagte Thor bedeutsam. »Eines Eisriesen.«

Stark hob eine Braue. »Ah ja? Dafür ist seine Temperatur aber ziemlich menschlich … jedenfalls jetzt noch.« Indem er die Fingerspitzen über die Bildfläche gleiten ließ, holte er Lokis undeutliches Abbild näher heran. Dessen unbekleidete Körperpartien hoben sich hell leuchtend von der Dunkelheit des Hintergrundes ab. »Thor, jetzt sprich mal Tacheles mit mir … Ist das echt in Ordnung für dich, was die Jungs hier machen?«

Thor verstand den Ausdruck ›Tacheles‹ nicht, doch ihm war deutlich, worauf der Mann hinauswollte. »Loki muss zum Reden gebracht werden«, sagte er einsichtig. »Meine Gefühle für ihn sind dabei nicht von Belang. Zudem weiß ich …« Kurz unterbrach er sich. Jetzt erst verformte sich eine bisher ignorierte Erkenntnis in seinem Kopf zu einer unangenehmen Wahrheit. »… dass er nie wieder mein Bruder sein wird wie früher. Ich habe ihn verloren. Und es ist meine Schuld.«

»Warum? Was hast du ihm getan? Ihm im Sandkasten die Buddelförmchen weggenommen?«

»Ich weiß es nicht.« Das war die traurige Wahrheit. »Aber es ist etwas, das er mir niemals verzeihen wird. Ganz gleich, wie oft ich versuche, ihn zur Vernunft zu bringen … Er wird nicht hören. Aber ich kann nicht davon ablassen, das zu glauben. Ich kann ihn nicht aufgeben.«

»Naja …« Tony Stark schnitt eine Grimasse. »Ist auch schwierig, schätze ich … Ich kann mich bis heute nicht an den Gedanken gewöhnen, dass mein Vater mich doch geliebt haben soll … Wird nie in meinen Kopf gehen.«

»Loki glaubt genauso, dass unser Vater ihn nicht schätzt«, sagte Thor bekümmert. »Und bei allem, was er seither angerichtet hat, haben auch die Meinen jedes Vertrauen in ihn verloren.«

Stark räusperte sich. »Ähm, ja. Sei nicht böse, Thor … aber dein Bruder kommt mir vor wie ein ausgewachsener Psychopath. Nichts für ungut. Aber Bruce hat Recht, wenn er sagt, dass Loki nach Wahnsinn riecht.«

»Ich weiß.«

Thors Blick glitt über das zerwühlte Bett und die kleine Kommode. Ihm war ganz und gar nicht danach, am Abend allein hierher zurückzukehren und schlaflos ins Dunkel zu starren.

»Wir behalten deinen Bruder zusammen im Auge«, versprach ihm Stark und berührte freundschaftlich seinen Arm. »Du wirst sehen, wir haben die fünf Tage ganz schnell hinter uns. Vielleicht kuschelt er schon morgen mit Agent Romanoff.«

Thor warf ihm einen entsetzten Blick zu.

»’Tschuldige, der war nicht so doll.« Hüstelnd wandte der Mensch sich ab. »Also, ich bin dann mal wieder an dem Tesserakt dran … und an dem Zepter. Wir sehen uns nachher bei der Mittagsbesprechung, hm? Lenk dich ein bisschen ab. Lies ’nen Comic.«

Mit einem Seufzen entließ Thor ihn. Und fragte sich, was er tun konnte, um den Verlauf des unheilvollen Experiments zu beschleunigen.
 

»Keine Veränderung, wie es scheint«, brachte Steve Rogers die unangenehme Wahrheit aufs Tapet und faltete säuberlich die Hände.

»Beobachten Sie ihn etwa auch die ganze Zeit?«, fragte Stark.

Rogers’ Miene verdüsterte sich. »Nein, weil ich weiß, dass Sie das schon tun. Ich bin hingegangen.«

»Und? Hat er Sie auch angestrahlt?«

»Er war völlig unbeeindruckt.«

»Was Sie nicht sagen.«

»Ist Dr. Banner immer noch im Labor eingesperrt?«

Alle schauten Director Fury an. Banners Platz war der einzige, der noch immer leer war. Fury seinerseits beantwortete die Frage nicht, sondern heftete sein schwarzes Auge auf Stark.

Dieser nahm bereitwillig das Wort. »Das Zepter«, erklärte er, »sendet Infraschall aus.«

Schweigen folgte auf diese Information.

Agent Romanoff legte den Kopf schief. »Wie kommt es, dass wir das nicht früher bemerkt haben?«

»Naja, wir haben uns bei der Suche auf anderes konzentriert. Unsichtbares Licht, radioaktive Strahlung, Funkwellen, Luftfluktuationen … Ich hab nicht sofort an ein Geräusch gedacht.«

»Wie ist es Ihnen aufgefallen?«

»War ’ne Vermutung. Nach dem Ausschlussverfahren blieb nichts anderes übrig. Und da bekannt ist, wie niedrigfrequente Töne auf die menschliche Psyche wirken, war es irgendwann recht naheliegend. Was ich nicht weiß, ist, wie der Ton erzeugt wird oder wie man ihn abstellen kann.«

»Ein Geräusch ist es, was uns reizbar macht?«, fragte Thor skeptisch.

»Ja. Reizbar, verstimmt, mies gelaunt … und sogar ängstlich.«

»Das Wirkungsspektrum von Infraschall ist groß«, räumte auch Coulson zu Furys linker Seite ein. »Ist Loki dafür verantwortlich?«

»Das sollten wir rausfinden, und zwar schnell«, merkte Stark an. »Sonst könnten wir alle ziemlich bald ziemlich eklig zueinander werden.«

Romanoff straffte sich auf ihrem Stuhl. »Ich werde es noch einmal mit Loki versuchen.«

»Das können Sie vergessen, bevor der nicht seine Abenddosis intus hat. Wie unser beliebter Captain Rogers schon bemerkt hat: Bisher keine Wirkung zu sehen.«

Ein unruhiges Regen auf Agent Taps’ Platz zeigte an, dass der Versuchsleiter etwas zu sagen hatte. »Nun. Dass sich noch gar nichts tut, das ist … in der Tat unerwartet.«

Fury bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Sind Sie sicher, dass wir die Dosis nicht erhöhen sollten, Agent Taps? Ihr Subjekt ist kein Tier. Und auch kein Mensch.«

»Dessen bin ich mir bewusst, Director. Ich verweise allerdings darauf, dass bei einer zu schnellen Steigerung die Wirkung gänzlich anders ausfallen könnte. Womöglich wird durch die Loslösung des Willens vom Unterbewusstsein und den gleichzeitig dämpfenden Effekt auf das Zentralnervensystem ein Zustand totaler Lethargie eintreten.«

»Selbst das wäre mir lieber als ein schädlicher Einfluss auf meine Mitarbeiter«, schnarrte Fury. »Besonders Dr. Banner kann eine weitere Überreizung nicht gut gebrauchen.«

Taps erwiderte den Blick scheel. »Wie Sie meinen. Einigen wir uns darauf, dass ich die dritte Tagesdosis verfrüht eingebe?«

»Wenn dadurch irgendeine Art von Effekt zu erwarten ist, tun Sie es.«

Der Agent nickte.

Thor sah aus, als wäre ihm schlecht. Er war auch der einzige Anwesende, an dessen Platz kein Kaffeebecher stand, obwohl der kühne Recke sich dem dunklen Gebräu gegenüber nicht abgeneigt gezeigt hatte.

»Das letzte Treffen setze ich für heute Abend um sieben an«, entschied Fury. »Ich hoffe, meine Herren, dass wir bis dahin etwas vorzuweisen haben.«
 

Als Banner über die Schulter sah, vermutete er, dass entweder Stark oder Fury nach dem Aufgleiten der Labortür hinter ihm stehen würde, doch es war Captain Rogers.

»Machen Sie Fortschritte mit dem Tesserakt, Doktor?«

»Das hätte ich Ihnen allen schon früher mitteilen können, wenn man mich nicht von der Besprechung ausgeschlossen hätte«, entgegnete Banner säuerlich und schob seine Tasse mit kaltem Kaffee beiseite, um beide Unterarme auf der leeren Ablagefläche abzustützen. »Wer hat Sie überhaupt zu mir gelassen?«

Rogers blinzelte in leichter Irritation. Légèrer Umgang war noch immer ungewohnt für ihn. »Da das Zepter sich nun in einem bewachten schalldichten Lagerraum befindet«, erklärte er schließlich, »wurde der Alarm für beendet erklärt. Sie können jetzt wieder tun und lassen, was Sie möchten.«

»Ah! Wie gut, dass ich das erfahre. Und gleichzeitig schickt Fury Sie, um mich nach dem Tesserakt zu fragen?«

Rogers blieb achtsam. Natürlich. Jedem, der sich auf diesem tonnenschweren Schlachtschiff befand, war eingeschärft worden, wie wenig ein tonnenschweres Schlachtschiff gegen Banners Alter Ego ausrichten konnte – jenes Wesen, das er den Anderen nannte.

»Wir alle sind nervös«, räumte der Soldat daher ein. »Umso erleichternder ist es, dass wir nun wissen, wie wir zumindest Lokis Beeinflussung entgehen können.«

»Oh, gut. Und was ist jetzt mit Loki?« Banner löste den Blick von Rogers, damit dieser seine Abscheu nicht sehen konnte. Gott, wenn die anderen merkten, wie gern er den Hulk auf Loki losgelassen hätte, würden sie ihn sofort wieder in diesem reizlosen Labor isolieren.

Rogers antwortete glatt: »Das wird sich zeigen. Agent Romanoff wird ihn noch einmal besuchen.«

»Er hat eine ziemlich heftige chemische Keule abbekommen, oder?«

»Drei Einheiten bis jetzt, ja. Ich weiß nicht, was S.H.I.E.L.D. tun werden, wenn am Abend immer noch keine Wirkung spürbar ist.«

Banner seufzte kopfschüttelnd. »Ich sag Ihnen was: Wir hätten die Mixtur zuerst an Lokis Bruder testen sollen.«

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Rogers’ Haltung sich versteifte.

»Das ist doch nicht Ihr Ernst, Doktor?«

»Natürlich nicht«, murmelte Banner und fuhr sich unbehaglich durchs Haar. »Tut mir Leid. Ich glaube, Starks Humor färbt ab.«

»Daran besteht wohl kein Zweifel«, stimmte der Captain mit finsterer Miene zu.

»Also.« Banner versuchte, ihn anzulächeln. »Sie hatten nach dem Tesserakt gefragt. Ich glaube, ich habe ihn gefunden. Oder zumindest etwas, das eine identische Gammastrahlensignatur aufweist.«

»Und wo befindet er sich?«

»In New York. Wenn er es ist.« Mit einem Schwung seines Drehstuhls wandte sich Banner wieder dem einzigen verbliebenen Bildschirm zu, der prompt ein dreidimensionales Koordinatengitter über einen Projektor mitten in den Raum spuckte. »Und ich kann es Ihnen sogar noch genauer sagen. Sie können sich schon mal darauf freuen, wenn ich es Stark mitteile. Es wird ihm nicht gefallen.«

Es hätte auch Einbildung sein können, doch er war ziemlich sicher, dass Rogers’ Mundwinkel bei dieser Nachricht kaum merklich zuckten.
 

Keine Kopfschmerzen mehr. Endlich. Agent Romanoffs Kopf fühlte sich an wie ein weiter, wolkenloser Himmel. Auf ihrem turbulenten Werdegang war sie mehr als einmal der mächtigen Wirkung niedrigfrequenter Töne begegnet, unter anderem waren sie im Krieg als Schallschleudern zum Einsatz gekommen, ein ebenso psychologisch wirksames wie tödliches Kampfinstrument. Nicht auszudenken, was für Schaden der Speer im Laufe von Stunden in ihrer aller Gehirnen hätte anrichten können.

Auch Loki musste bemerkt haben, dass sein Plan fehlgeschlagen war, denn er war frustriert.

Wie schon einmal im Laufe dieses Tages näherte sie sich seiner Zelle lautlos. Er hatte sie ohne Zweifel bemerkt, doch seine Haltung blieb unverändert. Vom kalten, blauen Licht beschienen kehrte er ihr den Rücken, ihre Anwesenheit ignorierend.

»Loki?«

Es war kühl. Fury hatte die Temperatur auf der Arrestebene drastisch herunterregen lassen. Romanoff unterdrückte den Wunsch, sich die frierenden Arme zu reiben.

»Es ist vorbei, Loki. Wir wissen, wie das Zepter wirkt.«

Noch immer stand er reglos. Es gab nichts zu sagen. Er würde ihr nicht verzeihen, dass sie sich als ihm ebenbürtig erwiesen hatte, nicht den Fehler machen, sich erneut auf sie einzulassen. Nein, Loki lernte aus seinen Fehlern. Sie waren das Einzige, das er wirklich fürchtete.

Sie spielte ihm eine weitere brisante Information zu: »Dr. Banner hat herausgefunden, wo der Tesserakt ist. Wir wissen, dass du den Arc-Reaktor anzapfen willst.«

Eine Reaktion blieb weiterhin aus. Entweder hatte er es längst gewusst, oder er verbarg seine Überraschung weit besser als bei ihrem letzten Treffen.

Irgendwie musste sie ihn dazu bringen, sie anzusehen. Mit ihr zu sprechen. Wenn er sich nicht prägen ließ, würde das Experiment nicht gelingen.

»Es wird kein Portal geben«, sagte sie ruhig. »Es gibt nichts mehr, das du tun kannst. Ich …« Sie schob ihre Unterlippe zwischen die Zähne. Ein wenig mädchenhaft. Unsicher. Lockend. »… Ich kann dir helfen.«

Zuerst glaubte sie sich zu täuschen, als sie ihn verhalten lachen hörte. Der Hall war verzerrt, schien von allen Seiten gleichzeitig auf sie niederzustoßen. Erst als seine Schultern bebten und sein Gelächter im Crescendo zu einer Kakophonie perverser Belustigung anschwoll, war ihr bewusst, wie wenig bereit er war, seinen sinnlosen Widerstand aufzugeben.

»Agent Romanoff«, sagte er sanft, ohne sich ihr zuzuwenden. »Du vergisst, dass Barton noch immer mein willenloses Schoßtier ist. Wenn du dich mir noch einmal näherst, wird er sich von Starks Turm in den Tod stürzen.«

Romanoff schluckte.

Nein, Loki hatte keinesfalls vergessen, welche Trümpfe er noch immer auszuspielen hatte. Das hier war aussichtslos. Auch die dritte Dosis des starken Medikaments schien bei ihm nicht angeschlagen zu haben. Er stand unverändert auf beiden Beinen. Aufrecht. Selbstsicher. Unbezwingbar. Wahnsinnig.

»Du kannst nicht gewinnen«, sagte sie ihm, und das war mehr, als ihre Vernunft ihr eingab zu sagen. Ihre Finger zitterten bereits. Sie wusste nicht, ob vor Kälte oder Zorn.

Ehe sie angesichts seiner ungebrochenen Resistenz die Beherrschung verlieren und das Projekt gefährden konnte, fuhr sie auf dem Absatz herum und verschwand genauso geräuschlos, wie sie eingetreten war.

Loki würdigte ihren Abgang keines Blickes.
 

»Bwah, ist doch nicht zu fassen!«

Rogers beobachtete mit verschränkten Armen, wie Stark sich mit allen zehn Fingern durch das kurze schwarze Haar pflügte.

»Der Kerl ist wie ’ne Gummiwand! Alles, was man dagegen wirft, kommt einem ins Gesicht geflogen!«

»Allmählich muss ich Dr. Banner Recht geben«, sagte Rogers leidenschaftlos. »Das Mittel hätte vor dem ersten Einsatz eine Testreihe an Personen durchlaufen müssen. Ein Affe und ein Opossum sind nun mal nicht mit einem größenwahnsinnigen Außerirdischen vergleichbar.« Ohne Genuss betrachtete er den Bildschirm in Starks Hand, der Lokis nunmehr wieder einsame Gestalt zeigte.

Mehr als vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seit er in die Hochsicherheitszelle gesperrt worden war, und außer wenigen Schritten in mal diese, mal jene Richtung sowie dem kurzen Hinsetzen während des ersten Gesprächs mit Agent Romanoff hatte der scheinbar dingfest gemachte Deliquent keine größere Bewegung untergenommen.

Stark knirschte mit den Zähnen. »Was hat er noch zu gewinnen? Wir haben das Zepter weggesperrt, den Tesserakt auf dem Stark Tower lokalisiert – gut, dumm gelaufen, hätte ich drauf kommen können – und es gibt so ziemlich nichts mehr, das Loki uns voraus hat. Wieso geht er nicht endlich in die Knie? Der müsste doch längst in den Seilen hängen bei der Menge Kaltmacher, die Taps in seinen Gänsewein gekippt hat!«

»Er ist zäh«, stimmte Rogers zu.

Stark knurrte. »Das Blöde ist, dass ich mich überhaupt nicht besser fühle. Obwohl der Keks mit der außerirdischen Invasion gegessen ist, kommt’s mir immer noch vor, als fällt uns hier jeden Moment die Decke auf den Kopf. Ich weiß nicht, geht’s Ihnen auch so?«

»Das ist ein typisches Phänomen bei längerem Aufenthalt in engen Räumen.« Rogers entsann sich dessen mit großem Widerwillen. Seine Gedanken führten ihn in die Vergangenheit, in den Krieg, hin zu Isolation, Ungewissheit, wochenlangem Warten. Bedrängtheit. Dem Gefühl, keine Luft zu bekommen. »Stützpunkte, U-Boote, Bunker, Lazaretts … Viele Menschen auf begrenzter Fläche. Keine Möglichkeit des Ausweichens. Keine Abwechslung der Umgebung. Nach einigen Tagen wird es … unangenehm.« Er wusste, Stark würde das Understatement verstehen. Der Mann war – leider – äußerst intelligent.

»Ich gebe zu, ich hab wenig Lust auf so was.«

»Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Fünf Tage dauert die Behandlung.«

»Fünf Tage, ja. Tolle Aussichten.« Ungeduldig wanderte Stark im leeren Korridor auf und ab.

»Es könnte sein, dass Loki die Wirkung noch viel länger hinauszögert.«

»Also, das halte ich nicht durch. Vorher werde ich aus Versehen das Knöpfchen drücken, das ihn in seiner Hamsterkugel aus dem Schiff feuert.«

Rogers verdrehte die Augen. Daran bestand wohl kein Zweifel: Wenn jemand aus Egoismus ein so wichtiges Projekt sabotierte, dann Tony Stark.

»Oh, hey, Steve, sehen Sie sich das an! Los, kommen Sie mal her«, forderte Letzterer ihn plötzlich auf.

»Was? Bewegt er sich etwa?« Rogers trat hinter den anderen, um über dessen Schulter auf den kleinen Bildschirm sehen zu können.

Eine weitere Gestalt zeichnete sich dort ab, wo vor wenigen Minuten noch Natasha Romanoff gestanden hatte. Sie war groß, muskulös – und nicht sehr zeitgemäß gekleidet.

Eifrig tippte Stark auf einen Punkt am unteren Rand, was die Lautstärke der Tonausgabe erhöhte. Man hörte Thor sprechen.

»Bruder.«

Und diesmal reagierte Loki. Er wirbelte herum und war mit zwei großen Schritten dicht an der Scheibe, um Thor in die Augen zu sehen. Stark holte ihn mit dem Zoom näher heran; das Gesicht des Gefangenen war zornig.

»Was willst du hier?«, fauchte er. »Spielt Fury nun seine letzte Karte aus? Glaubt er wirklich, du würdest mich zur Aufgabe überreden? Er muss wahrlich verzweifelt sein!«

Lokis Körpersprache war aggressiv; Thor jedoch wirkte so deeskalierend wie ein Soldat ohne Helm und Waffen, der Zivilbevölkerung aus einem Kriegsgebiet führt.

»Niemand schickt mich. Ich habe niemandem gesagt, dass ich zu dir gehe.«

Schnaubend wandte Loki sich ab, tigerte durch das Innere seiner Zelle. »Du bist ein Narr, Thor. Du glaubst noch immer daran, dass ich mit dir nach Asgard zurückkehre, mich Odin an die Brust werfe und um Vergebung bitte!«

Langsam schüttelte Thor den Kopf. »Ein Teil von mir hofft es noch. Aber glauben … nein, das nicht mehr.«

Loki stieß einen Laut der Verachtung aus. »Wie wahr. Du bist zu dumm, um zu lügen.«

»Und du zu klug, es nicht zu tun.«

»Weshalb bist du wirklich hier, Thor?«

Der Ase zögerte. Dann fragte er behutsam: »Hast du es warm genug?«

Gleichzeitig hoben Stark und Rogers die Köpfe, um einen ungläubigen Blick zu tauschen.

»Steve, hat er das gerade wirklich gefragt? Ich glaub, ich –«

»Psst!«, zischte Rogers, der Lokis Reaktion verfolgte, die nicht minder erstaunt anmutete.

»Warum sollte ich frieren?«, hörte man Loki in ehrlicher Verwirrung fragen.

»Weil du warm bist wie wir alle«, war Thors simple Antwort. »Ich habe es auf einem der Wunderschirme gesehen.«

Angewidert wandte sein Bruder sich ab und nahm das rastlose Umhergehen wieder auf. »Wenn es dich wirklich interessiert«, zischte er, »dann nimm zur Kenntnis, dass ich friere. Dass ich ermattet bin. Und dass mich nichts davon auch nur im Geringsten für die erbärmlichen Überzeugungsversuche deiner menschlichen Freunde empfänglich macht!«

Der andere nickte ergeben. Rogers sah ein, dass Thor mit seinem Besuch wohl wirklich keinen Plan verfolgte. Er hatte sich selbst ein Bild von der Verfassung seines Bruders machen wollen, das war alles.

»Ich werde dafür sorgen, dass du eine Decke bekommst«, versprach Thor. Dann wandte er sich mit verhärmter Miene ab und ging.

In der neuerlichen Verlassenheit hörte man Loki leise auflachen. »Sicher wirst du das«, spottete er in die Leere hinein und spie das Wort »Bruder!« hinterher wie ein ungenießbares Stück Speise.

Dann ging er langsam zu seiner Pritsche. Und blieb neben ihr stehen.

Mit einem Mal sah es aus, als fiele alle mühsame Selbstbeherrschung, aller unbeugsamer Stolz von Loki ab. Er legte sich hin, drehte sich auf die Seite. Ließ alle Spannung aus seinem Körper weichen. Ein tiefer Atemzug hob seine Brust, und unter der gefallenen Fassade kam unfassbare Erschöpfung zum Vorschein.

Eine Bewegung Starks ließ Rogers aufsehen. Der Wundertechniker hatte seinen Kommunikator ins Ohr gesteckt.

»Ähm, Nick? Ich stör Sie doch nicht beim Schönheitsschlaf? Mir ist da gerade was eingefallen, ist nix Großartiges, aber beschützt uns vielleicht alle vor dem Amoklaufen … Sehen Sie, Loki weiß genau, dass wir ihn weichkneten wollen. Er rechnet damit, dass jemand von uns ihn einzuwickeln versucht. Gibt aber einen, bei dem er nicht damit rechnet. Brüderchen will ihn doch sowieso die ganze Zeit in Watte packen, oder seh ich das falsch?«

Rogers verstand. Unwillkürlich hoben sich seine Brauen in die Höhe. Stark wollte auf eine Anpassung des Experiments hinaus. Der Mann war taktlos wie ein Stück Fels, doch, das musste der Captain zugeben, sein Verstand funktionierte so reibungslos wie die Maschinen, die er konstruierte.

»… Ja, machen Sie’s am besten heute noch und nageln Sie ihn drauf fest. Er wird nicht begeistert sein.« Stark nahm das Funksprechgerät wieder ab und zwirbelte es zwischen den Fingern, während er Rogers ansah. »Schlimmer als schlimmer kann’s nicht werden, oder?«
 

Als die abendliche Konferenz anstand, wurde Thor auf dem Weg zum Besprechungssaal von Fury und Coulson abgefangen.

»Schenken Sie uns mal einen Moment Ihr Ohr«, sagte Letzterer lächelnd und berührte seine Schulter.

Thor, dem Fury noch immer undurchschaubar erschien, der Coulson jedoch als Verbündeten akzeptiert hatte, leistete der Aufforderung Folge. »Was kann ich für dich tun, Couls Sohn?«

Es war Fury, der die Antwort übernahm. »Gestern habe ich dich gefragt, was du bereit bist zu tun, Thor.« Er sah ihm fest in die Augen. »Was bist du bereit zu tun?«

Unbehagen breitete sich in Thor aus. Vor weniger als einer Stunde war er an Agent Taps herangetreten und hatte darum gebeten, dass Loki etwas zum Zudecken erhalten möge. »Ihm ist kalt und er muss ruhen«, hatte er insistiert. Taps hatte das Gesuch ohne jede Überlegung abgelehnt. »Die unangenehmen Umweltbedingen sind Teil des Versuchsaufbaus«, hatte er erklärt. »Sie dienen dazu, das Subjekt zur Kooperation zu bewegen.« Noch immer war dem Asen nicht klar, was ein Subjekt war und warum es ein ›es‹ war und kein ›er‹, doch die Abweisung war zweifellos unhöflich und in seinen Augen nicht recht begründet, sodass er es sich erlaubt hatte, auf die Rechtslage in Asgard hinzuweisen, nach welcher Gefangene keinerlei Misshandlung zu fürchten hätten. Der Hinweis, es könnte Folgen für Taps haben, wenn er Loki schlecht behandelte, kam im Kern einer Drohung gleich und war auch so gemeint gewesen.

»Es tut mir Leid«, sagte er widerwillig zu Fury und Coulson, in der Vermutung, dass sie deswegen an ihn herangetreten waren, »aber wenn ihr das Experiment mit Folter verbindet, kann ich euch nicht länger meine Unterstützung zusichern.«

»Niemand ist böse auf Sie«, versicherte ihm Coulson sofort. »Im Gegenteil. Ihr Gespräch mit Loki hat das Experiment um einen interessanten Parameter erweitert.«

Misstrauisch furchte Thor die Stirn. »Was soll das bedeuten?«

»Dass Loki seine Decke bekommen wird«, sagte Fury schlicht.

»Und was muss ich dafür tun?«

»Wir möchten, dass du Loki auf eine falsche Fährte lockst. Er weiß, dass Agent Romanoff sein Vertrauen gewinnen soll, und so muss es weiterhin für ihn aussehen. Doch im Geheimen hat sich der Plan geändert. Wir haben vor, dich zu seiner Bezugsperson zu machen.«

»Mich?« Thor war so fassungslos, dass er sekundenlang nur ohne ein Wort in die Gesichter der beiden Männer starren konnte. Er sollte Loki mithilfe der Droge an sich binden? Das war mehr als abwegig. »Dieser Plan wird scheitern«, brachte er rau hervor. Tatsächlich hatte die Aussicht auf diese Möglichkeit ihn soeben derartig entsetzt, dass er kaum ein Wort an das andere zu reihen vermochte. »Loki … hasst mich. Jeder andere wäre besser geeignet als ich. Jemand, den er nicht kennt …«

»Nein, eben nicht«, widersprach Coulson lächelnd. »Thor, bitte denken Sie nach. Er wird bei jeder anderen Person Verdacht schöpfen. Nur nicht bei Ihnen, weil Ihre Sorge um sein Wohl nicht vorgespielt ist. Während er allen falschen Lockvögeln gegenüber seine Deckung bewahrt, wird sich Ihnen öffnen. Das war sehr gut zu sehen, als Sie bei ihm waren.«

»Sie haben auch das beobachtet?« Thor presste die Kiefer aufeinander. »Niemand hat es gewusst.«

»Loki wird rund um die Uhr überwacht. Und das ist auch gut so.«

Die beiden Männer sahen ihn erwartungsvoll an.

»Ihr Bruder, Thor«, sagte Coulson freundlich, aber eindringlich. »Wollen Sie ihn wiederhaben? Wenn der, wie Sie es nennen, Liebestrank richtig wirkt, wird er nicht anders können, als Sie zu lieben.«

»Ich …« Thor zauderte. Er dachte an das rattenartige Tier im Käfig, das sich an die Hand von Agent Taps geschmiegt hatte. Ein widernatürliches Verhalten, das – so sah es zumindest aus – nichts mit dem Zutrauen eines wirklich gezähmten Tieres gemeinsam hatte. »… Ich weiß nicht, ob ich das will.«

»Die Alternative ist«, erinnerte ihn Fury mit Nachdruck, »dass Loki weiterhin eine Bedrohung für deine und meine Welt bleibt und entweder sterben oder auf ewig eingesperrt werden muss.«

Coulson fügte bedeutsam hinzu: »Wir können ihn für immer entschärfen … wenn wir jetzt alles richtig machen. Tun Sie das, was für Ihren Bruder am besten ist.«

Wieder spürte Thor das Aufbäumen von unerklärlicher, beißender Angst. Seine Kiefer mahlten. Das, was diese Menschen mit Loki vorhatten, war ihm zuwider. Er wusste, dass sein Bruder keinerlei Schutz oder Schonung verdiente, doch diese ihm völlig fremde Methode des Einsperrens – des Gefangenhaltens im eigenen Geist – bereitete ihm eine Übelkeit, die so tief saß, dass sein Körper sie nicht auswürgen konnte.

»Wenn die fünf Tage vorüber sind«, presste er heiser hervor, »nehme ich Loki und den Tesserakt mit nach Asgard.«

»Selbstverständlich«, bestätigte Coulson, ehe sein Vorgesetzter antworten konnte.

»Auch dann, wenn das Experiment fehlgeschlagen ist.«

»Sofern wir zuvor unsere Leute, die noch unter Lokis Bann stehen, unversehrt zurückbekommen haben«, schränkte Fury die Bedingung ein.

Thor zwang sich zu einem Nicken als Zeichen der Zustimmung. Mehr brachte er nicht fertig. Er wusste, dass er das Richtige tat – doch sein Verstand protestierte, kratzte um sich.

»Dann werden wir den anderen Beteiligten unsere Plananpassung jetzt vorlegen.« Fury wandte sich um und machte eine Geste zur Tür des Konferenzraumes. »Nach Ihnen, meine Herren.«

Tag 2

Tag 2
 

Am zweiten Tag funktionierte der Kaffeeautomat nicht mehr.

»Können Sie ihn nicht reparieren, Tony? Mit einem Schwung Ihres kleinen Fingers?«, fragte Banner hoffnungsvoll, als sie sich beide über das Gerät beugten, das bisher jede Order des Morgens mit hartnäckiger Inaktivität beantwortet hatte.

»Och, ein böser Blick von Fury sollte es auch tun«, gab Stark reichlich unbeeindruckt zurück und ließ die Maschine stehen, um sich stattdessen am heißen Wasser und Instanttee direkt daneben zu bedienen. »Pfirsich-Maracujacreme, Himbeer-Hagebuttenpunsch oder Waldmeister-Vanillepudding, was ist Ihr Favorit?«

Banner wollte die aromatisierten Sorten soeben dankend ablehnen, als Steve Rogers den Besprechungsraum betrat.

»Warum sind Sie beide eigentlich immer die ersten?«, fragte dieser, ehe er den arbeitsverweigernden Automaten interesselos passierte.

»Unsere Quartiere sind am wenigsten weit weg«, antwortete Banner. »Und außerdem …« Er war nicht sicher, ob er den nervenstarken Captain unbedingt darauf hinweisen sollte, dass er sich auf dem Helicarrier des Nachts äußerst unwohl fühlte. Ein kurzer Austausch mit Stark hatte ihn in dem Verdacht bestätigt, dass sein Türnachbar ebenfalls schlecht schlief. »… ist die Umgebung immer noch ungewohnt.«

Rogers nickte unbeteiligt. Umgebungen waren für ihn keine Entschuldigung, er war Soldat. »Haben Sie sich Loki angesehen?«, fragte er stattdessen, um das Thema zu wechseln.

»Noch nicht. Was Spannendes?« Stark nahm seinen Computer zur Hand und zapfte einmal mehr die Überwachungskamera der Arrestebene an. »Na, sieh einer an … Wenn das nicht beruhigend ist.«

Banner ahnte es, ohne hinzusehen. »Schläft er?«

»Wie ein Kätzchen.«

»Nach mehr als achtundvierzig Stunden auch nicht überraschend, finden Sie nicht?«

»Er hat gut durchgehalten, muss man ihm lassen.«

Banner sah den verächtlichen Blick in Rogers’ jugendlichem Gesicht, mühsam hinter der üblichen Starre verborgen. Der Captain saß, genau wie er und Stark, unruhig auf seinem Platz und hatte sichtlich ebenso wenig Lust wie der Physiker, dem Projekt Five Days mehr Aufmerksamkeit zu widmen als unbedingt nötig. Andererseits waren die Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Helicarrier mittlerweile begrenzt; da sie den Tesserakt lokalisiert und längst Kurs auf Manhattan genommen hatten, gab es kaum noch etwas für die Insassen zu tun, und Loki zu beobachten bot sich als geeignete Abwechslung an, der einkehrenden Routine zu entfliehen. Zumindest Stark schien bereits jetzt ein wohl kaum wissenschaftliches Vergnügen daran zu haben, durch die Linse der Kamera auf das hinabzuspähen, was in der Glaszelle geschah.

Was vornehmlich nichts war. Jedenfalls momentan. Loki war zu stolz, um sich bei dem Versuch, dem Bedürfnis nach Ruhe zu trotzen, lächerlich zu machen, also hatte er beschlossen zu schlafen. Ein ebenso unspektakuläres wie nichtssagendes Verhalten. Noch immer gab es keinerlei Anhaltspunkte, ob die hohe Konzentration psychoaktiver Substanzen in seinem Blut irgendeine Veränderung hervorrief.
 

Dies bestätigte ihnen auch Fury, als sie endlich – wieder knapp verspätet – alle zusammen um den gepflegten Langtisch saßen. Der Projektor summte leise, während er das klare Abbild an die Wand warf.

»Ist das alles, Agent Taps?«, fragte der Direktor mit unangenehmer Betonung. »Völlige Inaktivität?«

»Ich habe Ihnen genau das prophezeit!«, erinnerte ihn der zittrige Agent hitzig. »Und was, wenn ich fragen darf, erwarten Sie eigentlich nach einer so langen Wachphase? Immerhin sehen wir kein Protestverhalten. Er hätte sich auch auf den Boden legen können.«

»Warum sollte er etwas tun, das zu seinem eigenen Nachteil ist?«, fragte Thor leise. Der Ase wirkte deutlich verändert im Vergleich zum Tag ihrer ersten Begegnung, fand Banner. Wenig kämpferisch und noch weniger trotzig saß er über den Tisch gebeugt, das weiße Licht spielte auf den silbernen Schuppen, die seine Schultern in eine Art futuristischen Drachenpanzer hüllten.

Stark hatte eine Antwort darauf. »Einfach, weil er’s kann. Er hat die Decke links liegen gelassen, oder nicht?«

Banner sah auf das dunkle Bündel in einer Ecke der Zelle, eine Zudecke aus grauem Fleece, noch immer zusammengefaltet und nicht einmal berührt. »Ich weiß nicht, ob das Protest ist.«

»Sondern?«

»Schalten Sie auf das Wärmebild um, bitte.«

Lautlos wechselte die Projektion. Viele dunkle und wenige helle Flächen nahmen nun die Wand ein.

»Sehen Sie? Er ist wärmer als gestern. Deutlich wärmer.«

Agent Taps’ Augen weiteten sich. »Endlich!«, stieß er frohlockend hervor. »Ich hätte nicht gedacht, dass es doch noch rechtzeitig dazu kommen würde. Die Wirkung hat sich gar nicht verzögert! Ein Fieberschub eröffnet typischerweise die kritische Phase der Therapie. Wir müssen bereit sein! Ab jetzt dürfen wir nichts mehr dem Zufall überlassen!«

»Thor.« Nick Furys Auge richtete sich auf den Genannten. »Wir verlassen uns auf dich.«

»Du bist dir also ganz sicher?«, sprach Agent Romanoff ihn sanft an. »Du wirst es wirklich tun?«

»Natürlich tue ich es«, antwortete Thor gepresst. »Ich will meinen Bruder wiederhaben. Den, mit dem ich spielte und kämpfte, den, mit dem ich alles teilen konnte. Wenn es auf diese Weise möglich ist, dann geschehe es.«

Daraufhin schwieg selbst Stark respektvoll. Es war unübersehbar, dass Thor für die Menschheit etwas zu tun bereit war, das seinen Prinzipien ganz und gar zuwider lief.

»Wenn er aufwacht, was müssen wir dann tun?«, wandte Fury sich an Taps.

»Kontakt zwischen Subjekt und Bezugsperson herstellen«, war dessen prompte Antwort. »So frequent und eng wie möglich.«

»Riskant«, warf Stark ein. »Sie wollen Thor zu ihm reinschicken? Wer garantiert dafür, dass Loki ihn nicht angreift? Das Bisschen Fieber wird den nicht lahmlegen. Wenn es Fieber ist. Ist es das?«

»Wenn seine Temperatur die Phase der Wirkung anzeigt, sollten wir darüber Protokoll führen«, schlug Rogers vor.

»Oh, großartige Idee! Wollen Sie reingehen und ihm einen Messfühler ins Ohr stecken? Ich mach’s nicht.«

»Ich tue es«, sagte Thor müde. »Ich werde jede Gelegenheit dazu brauchen, ihn zu … prägen. Besuche ohne Anlass würden ihn nur misstrauisch machen.«

»Ist was dran«, stimmte Stark zu.

Fury lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit mit einer knappen Geste wieder auf das nicht eben fesselnde Projektionsbild. Loki lag auf seiner Pritsche wie hingegossen, seine Brust hob und senkte sich langsam. »Gentlemen, ich rate Ihnen dazu, dass Sie, solange dieser Zustand anhält, gut aufeinander Acht geben. Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, doch …« Er unterbrach sich. Nicht umsonst hatte Stark ihn kürzlich als den ›Meister der dramatischen Pausen‹ bezeichnet. »… die Instrumente auf diesem Boot scheinen sich allmählich in gleichem Maße unwohl zu fühlen wie wir.«
 

»Ist es nicht gefährlich, Lokis Unterbewusstsein von seinem Bewusstsein abzukoppeln?«, hörte Stark seinen Kollegen zweifelnd fragen, während seine Finger im Gehen unablässig über das Touch-Display huschten.

»Das denke ich doch«, murmelte er und ließ Banner zu sich aufschließen. »Ich habe Jarvis gerade alle unangenehmen Informationen über Risperidon einsammeln lassen … Wie’s scheint, kann das Zeug ausgewachsene Psychosen hervorrufen … Und schließlich hat der gute Taps uns über die restlichen Zutaten seines Zaubertranks im Unklaren gelassen. Glaub nicht, dass es dabei nur um die Beseitigung von Nebenwirkungen ging.«

»Ich finde Taps’ Arbeitsweise auch ziemlich bedenklich«, gestand Banner.

Nebeneinander gingen sie in Richtung Labor, obwohl sie nicht wussten, was sie dort tun sollten. Man hatte ihnen zwar alle ihre Spielzeuge zurückgebracht, doch weder der Tesserakt noch das weggesperrte Zepter bedurften noch ihrer Aufmerksamkeit. Stark kannte sich selbst inzwischen nur zu gut und wusste, dass Untätigkeit ihm gewaltig auf die Stimmung schlagen würde. Langeweile war gefährlich, wenn man gezwungen war, tagelang mit denselben Personen in denselben Räumlichkeiten zuzubringen.

Sind nur noch vier Tage, sagte er sich. Und wenn Loki am Ende lammfromm ist, war’s das wert.

Bis dahin musste er seinen stets arbeitenden, ruhelosen Geist irgendwie beschäftigen. Gepaart mit seinem schwierigen Charakter würde er sonst schnell zum Störfaktor werden. Ob er Kontakt zu Pepper aufnehmen sollte? Fury hatte nichts dergleichen untersagt. Vielleicht hatte sie etwas zu erzählen, das ihn ablenkte, irgendwas Banales, was … Langweiliges.

»Checken wir Taps aus«, schlug er vor, als sie es sich im Labor bequem gemacht hatten. »Hab schon alles über ihn.«

Genauso leicht, wie er S.H.I.E.L.D.s Waffenentwicklungsprogramm ›Phase 2‹ geknackt hatte, lud Jarvis den streng geheimen Lebenslauf von Agent Henry Taps in den Speicher. Ein Wust an Schrift ergoss sich über den kleinen Bildschirm, in der oberen rechten Ecke das typisch biometrische Identifizierungsfoto.

»Hmmm. Highschool-Abschluss mit Auszeichnung … Studium in Harvard, SEAS, war ja klar. Komisch, hab nie von ihm gehört. Wie kam er zu S.H.I.E.L.D.?« Stark scrollte mit dem Finger und überflog den Text auf Hinweise danach.

»Wie kommt überhaupt jemand zu S.H.I.E.L.D.?«, fragte Banner grübelnd.

»Steht hier nicht. Wahrscheinlich werden die Jungs alle direkt von der Uni weggeschnappt.« Er erreichte das Textende, scrollte wiederholt auf und ab. »Nö … Alles sehr allgemein gehalten. Über seine Arbeit mit Neuroleptika steht hier gar nichts.« Er warf Banner einen vielsagenden Blick zu.

Der Physiker erwiderte ihn ungläubig. »Wozu die eigenen Leute im Unklaren lassen?«

»Tja. Vielleicht ist mehr Pipi im Pool als erlaubt?«

»Fury ist kein Idiot, Tony. Er sucht sich seine Leute sehr gründlich aus.«

Stark war sich dessen bewusst, dass Banner viel von dem Direktor hielt, mehr als er selbst, der seinerseits glaubte, dass Fury, so ehrwürdig und unerschrocken er auch auftrat, unter seiner Augenklappe mehr verbarg als nur eine entstellende Narbe. Er hatte nicht vergessen, mit welchen Mitteln der Spionagedienst ihn zur Zusammenarbeit – Überzeugungen hin oder her – mehr oder minder genötigt hatte. Und ihm gefiel nicht, dass S.H.I.E.L.D. nicht von Anfang an alle Karten auf den Tisch gelegt hatte. Wie es schien, hatte Fury das auch jetzt keinesfalls vor.

»Der gute Nick«, murmelte Stark. »Liebling des Nationalen Sicherheitsrats. Bin sehr gespannt, wie das hier ausgeht.«
 

Loki erwachte in den späten Stunden des Vormittags.

Erst regte er sich kaum, und es sah aus, als käme er nur langsam wieder zu sich; dann, um genau 11.26 p.m., schwang er sich plötzlich in eine aufrechte Position und schob seine langen Beine über den Rand des Feldbettes, um sich in derselben drohenden Manier zu erheben wie eine Viper nach dem Sonnenbad. Ausgeruht und lebhaft sah er aus, fand Romanoff, als sie das Überwachungsbild betrachtete. Weniger blass als am Tag zuvor. Nicht fiebrig. Nicht krank.

Gern hätte sie gesehen, ob noch immer das kalte Lächeln seine Züge verzerrte oder ob sich sein Gesichtsausdruck seither verändert hatte – ein lang ersehntes Zeichen des einbrechenden Widerstandes –, doch derart intime Details gab die Auflösung des Monitors nicht her.

Entsprechend den Anweisungen, die sie erhalten hatte, ging sie sofort zu Thors Quartier. Es dauerte, ehe er sie einließ, und konfrontiert mit seinem erregten und seltsam zerstreuten Verhalten folgerte sie, dass er – aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund – bereits Kenntnis von Lokis Erwachen hatte.

Indem er sich fruchtlos durch das wild zerwühlte Haar fuhr, versuchte Thor, sich ihr zu erklären. Zur exakt selben Uhrzeit, als sein Bruder sich von seinem Lager erhoben hatte, habe er jäh den heftigen Drang verspürt, das Luftschiff auf dem kürzesten Wege zu verlassen. »Ich weiß nicht, was einen derartigen … Fluchttrieb in mir ausgelöst haben könnte«, endete er entschuldigend.

Romanoff musterte ihn höchst besorgt. Ein kurzer Blick durch das Innere seines Quartiers genügte ihr, um festzustellen, dass er sich innerhalb dieser beengenden Wände mehr als unwohl fühlte. Er hielt es weder ordentlich noch ging er pfleglich mit dem Inventar um. Vieles, das ihm den Aufenthalt angenehmer gestalten sollte, lag unbeachtet auf dem Boden, als hätte der starke Mann es in einem Anfall von Tobsucht durch das Zimmer geschleudert.

Thor bemerkte ihren Blick. »Es ist … düster«, sagte er, wie um sich zu rechtfertigen. »Und kalt. Und eng. Und reizarm.«

»Glaub mir, Thor, im Moment geht es uns allen nicht viel besser«, tröstete sie ihn. Er tat ihr mehr Leid, als sie zugegeben hätte. »Keiner von uns ist es gewohnt, tagelang in einem grauen Kasten zu leben.« Sie versuchte, echtes Gefühl in ihre Stimme zu legen, doch es war nicht leicht. Jahrzehntelange Härte gegen sich selbst hatte sie dieser Fähigkeit nahezu beraubt. Neigte auch der durchschnittliche Mann nicht dazu, den Unterschied zwischen wahrer und aufgesetzter Anteilnahme zu erkennen – dem sensiblen Thor würde er nicht entgehen.

Als er sie nicht ansah, fiel sie wieder zurück in die Routine, die sie zu ihm geführt hatte. Eine Hand glitt in ihre Tasche und förderte einen winzigen Gegenstand zutage. »Hier. Sei vorsichtig damit.«

Behutsam nahm er ihr das kaum einen Millimeter lange Gerät ab. »Was ist das?«

»Ein wärmeempfindlicher Sensor. Damit wir Lokis Temperatur überwachen können. Sie zeigt uns, wann du auf ihn einwirken kannst.«

Thor schluckte unbehaglich. Sie sah zu ihm auf; er war viel größer als sie, und sie konnte keinen direkten Blick in seine Augen erhaschen.

»Was tue ich damit?«

»Das zeige ich dir, bevor du es selbst versuchst. Komm jetzt bitte mit.«

Er fügte sich in sein Schicksal und folgte ihr die sterilen grauen Korridore hinunter. Ihre Schritte wurden von der hellen, filzartigen Bodenbedeckung über dem Gitter gedämpft, und dennoch war es, als folge ihnen ein dumpfer Hall den ganzen Weg bis zur Arrestebene.
 

Vor der automatischen Tür, die den Weg zum Zellentrakt versperrte, erspähte Thor bereits Agent Coulson und Tony Stark.

Letzteren begrüßte Romanoff kühl mit den Worten: »Was machen Sie denn hier? Nur Thor sollte mit uns hier sein.«

»Hab euch beobachtet«, war die unschuldige Antwort. Stark war niemals um Worte verlegen. »Bruce hatte keine Lust, also … dachte ich, ich seh mir die Show alleine an.«

»Es wird keine Show geben«, erklärte Coulson mit der üblichen kühlen Lässigkeit. »Wir stecken Loki einen Knopf ins Ohr, mehr wird nicht passieren.«

»Ich will’s trotzdem in groß sehen. Hey, wieso ist Taps nicht da? Der hat schließlich von Sachen wie … frequentem Kontakt gesprochen.«

»Wir sind nicht auf die Einwilligung des Versuchsleiters angewiesen.« Unerwartet offen fügte der Agent hinzu: »Ich persönlich finde ihn auch nicht so … Sie wissen schon.«

Stark hob anerkennend eine Augenbraue. »Coulson, Sie und ich sollten mal was trinken gehen, wenn das hier vorbei ist.«

Thor ließ die angespannten Schultern fallen und wandte sich widerwillig an Romanoff. »Bitte zeig mir, wie ich den Sensor platziere.«

»Ganz einfach«, antwortete sie mit spitzem Lächeln und packte den unvorbereiteten Stark am linken Ohrläppchen.

»Hey, hey, hey, ich bin hier nicht das Meerschweinchen!«, protestierte dieser, allerdings nur mit halbem Ernst, denn er machte sich nicht einmal die Mühe, die vor der Brust gekreuzten Arme zu entfalten.

»Du schiebst ihn mit der Fingerspitze vorsichtig in den Gehörgang«, erklärte Romanoff an Thor gewandt und führte die Handhabung vor. Coulson neben ihr war gut amüsiert. »Die Temperatur wird mittels Infrarotstrahl erfühlt.«

»Nett«, kommentierte Stark, »aber kitzelt ’n bisschen. Nehmen Sie’s raus, bitte.«

»Ich hab ihn nicht tief reingeschoben. Schütteln Sie sich einfach kräftig.«

Stark legte den Kopf schief und klopfte sich auf das andere Ohr, bis der winzige Sensor auf seine offene Handfläche fiel. »Ist in etwa so leicht, wie Wasser aus dem Ohr zu kriegen«, ächzte er. »Meinen Sie wirklich, Loki kriegt das nicht hin?«

»Schon bald nicht mehr«, ließ Coulson zuversichtlich verlauten.

Thor nahm das Messgerät wieder in die Hand und schaute skeptisch in die drei Gesichter. »Wie verhält Loki sich im Moment?«

»Ruhig, wie es aussieht«, antwortete Coulson und widmete ihm einen besänftigenden Blick. »Munter, aber nicht aggressiv. Er hat auch nicht gelächelt, als ich ihn mir angesehen habe. Er sah … entspannt aus.«

»Und wenn er sich nicht fügt?«

»Dann versuchen wir es später noch einmal.«

Thor nickte und atmete tief durch. »Ich gehe jetzt zu ihm.«

»Und wir gehen nach nebenan und behalten Sie durch das Fenster im Auge. Viel Erfolg.«
 

Agent Romanoff ertappte sich dabei, wie sie auf ihrer Unterlippe kaute. Ein seltsames nervöses Verhalten, von dem sie geglaubt hatte, sie habe es seit Langem abgelegt. Es war, als würden die Tage auf dem Helicarrier in ihnen allen tief Verschüttetes wieder aufwühlen. Beunruhigend.

Schweigend postierte sie sich zwischen Coulson und Stark vor der verspiegelten Scheibe, durch die man von oberhalb gut das Innere der Hochsicherheitszelle einsehen konnte. Es war so still, dass sie glaubte, Lokis Atem hören zu können, als Thors hünenhafte Gestalt sich ihm vorsichtig näherte.
 

Das bläuliche Licht schien noch mehr Kälte auszusenden als am Tag zuvor. Thor spürte den eisigen Hauch bis auf die Knochen, frisch wie an einem nebligen Wintermorgen in Asgard. Seine Fingerspitzen wurden augenblicklich gefühllos, und er ballte die Hände zu Fäusten, um das letzte Bisschen Wärme darin festzuhalten. In der linken lag der Sensor.

Loki stand in der Mitte der Zelle und atmete langsam die kalte, gefilterte Luft. Sein Gesicht war glatt. Unlesbar. »Endlich kommst du«, sagte er heiser.

Thor fragte sich, was das bedeuten sollte. »Bruder«, bot er ihm an, betont ruhig. Im gleichen Moment schauderte ihn, als er sah, dass sein eigener Atem in feinen Wölkchen vor den Lippen kondensierte, der von Loki jedoch nicht. »Wie … wie fühlst du dich jetzt?«

»Seltsam.« Keine Regung war in den Zügen seines Bruders zu sehen. Als wären die vielen feinen Muskeln, die das Mienenspiel ermöglichten, über Nacht träge geworden. Auch seine Stimme war verändert, rau, wie gelähmt. »Was habt ihr mit mir gemacht, Thor? Was?«

Die Frage verwirrte den Krieger aufs Neue. Einerseits schien Loki, völlig entgegen allen Erwartungen, zu wissen, dass er beeinflusst wurde; andererseits reagierte er auf diese Entdeckung nicht mit Zorn, sondern mit geradezu schockierender Apathie. Obwohl er die Frage nach dem Grund gestellt hatte, wirkte er nicht wirklich interessiert an der Antwort. Abwartend betrachtete er Thor durch die dicke Glaswand.

»Ich erkläre es dir«, zwang Thor sich zu versprechen. »Aber du musst … mich zu dir lassen.« Tatsächlich hatte er noch keine Ahnung, was er sagen würde. Lügen war ihm weder eine Gewohnheit noch eine Kunst, die er beherrschte. Es war Lokis Kunst. Doch selbst sein Bruder schien in seiner gegenwärtigen Verfassung zu keiner Illusion oder sonstigen Hinterhältigkeiten in der Lage zu sein. Er war – ganz im Gegenteil – völlig passiv.

Doch was, wenn es nicht wirklich so war? Der Schein mochte trügen. Vielleicht war dies nur der erste Teil eines Ausbruchsplans. Möglicherweise war es die ganze Zeit Loki, der sie alle manipulierte …
 

»Oh-oh. Er hat den Bratapfel schon gerochen.«

Stark hörte Romanoff neben sich einen Fluch auf kehligem, rollendem Russisch ausstoßen und wünschte, er verstünde all die Unflätigkeiten, die sich da in sein Ohr ergossen.

»Das war nicht geplant«, stellte Coulson nüchtern fest. Wieso war dieser Mann eigentlich niemals wirklich schockiert? Immer gab er sich, als hätte er noch ein Ass im Ärmel. »Wir müssen hoffen, dass Thor ihm eine annehmbare Begründung nennt.«

»Oh, kommen Sie, Phil … Dass der nicht lügen kann, sieht jeder Idiot.«

»Wenn er sich jetzt bloß nichts anmerken lässt.« Agent Romanoffs schwarze Augen waren unverwandt auf die Szenerie gerichtet, die sich ihnen bot. »Geh rein, Thor … Komm schon. Mach jetzt keinen Schritt zurück!«
 

Kurz spannte Thor unter seiner Rüstung beide Arme an. Die Muskeln waren dick wie Baumstämme. Sollte Loki einen Vorstoß wagen, musste er ihn mit aller Gewalt am Entkommen hindern. Was in der geschlossenen Zelle geschah, war zweitrangig; nur hinaus durfte sein Bruder auf keinen Fall gelangen.

Ein runder schwarzer Druckknopf im weißen Rahmen der Glastür ließ deren unsichtbare Verriegelung zurückweichen. Thor konnte die Tür mit geringer Kraft manuell aufschieben, was sicherer war, als sie automatisch zu öffnen – gerade so weit, dass sich sein in schweres Metall gehüllter Körper hindurch schieben ließ.

Loki griff nicht an. Er machte einen langsamen Schritt nach rückwärts und ließ Thor ohne Abwehr näher kommen.

»Was kann ich für dich tun?«, wollte er wissen, indem er den Kopf schief legte, und eine Ahnung des bekannten süffisanten Untertons schwang dabei mit.

»Du musst mich dich berühren lassen«, antwortete Thor ohne Umschweife. Je weniger er lügen musste, desto besser. Er wollte das hier hinter sich bringen.

Mit seltsam unbeteiligter Gestik hob Loki die Schultern. »Dann tu es. Fass mich an.«

Thor hielt angespannt inne. Diese Einwilligung war deutlich zu schnell erfolgt. Er bereute, dass er nicht genau wusste, was der geheime Trank mit Lokis Willen tat, und beschloss, es so schnell wie möglich herauszufinden. Die Gefahr war groß, dass er es nicht einmal ansatzweise verstand, doch Taps würde es ihm so erklären müssen, dass es nicht länger wie Magie aussah. Magie war unberechenbar, und etwas Unberechenbares konnte keinesfalls hilfreich sein.

Erst nach langen Sekunden des wachsamen Abwartens überwand er sich und berührte sacht Lokis Schulter. Die unnatürliche Wärme seiner Haut durchdrang sogar das schwarze Leder. Rasch machte Thor einen Schritt auf ihn zu – er fiel sicherer aus als erwartet –, legte eine Hand um Lokis Kinn, um seinen Kopf zu fixieren, und drückte ihm mit der anderen das kleine Messgerät ins Ohr, so grob wie nötig, so behutsam wie möglich.

Loki verzog das Gesicht ob des unangenehmen Kontakts, und als Thor ihn losließ, schüttelte er sich und rieb sich die Ohrmuschel. »Was ist das?«, knurrte er, die Zähne bleckend. Er wirkte verwirrt, als wüsste er plötzlich nicht mehr, ob sein Feind Thor war oder das Ding in seinem Gehörgang. »Was tut ihr mit mir, was

Thor machte einen großen Schritt nach rückwärts – zu viel, denn schon stieß er unverhofft mit dem Rücken an das kalte Glas. Nicht gut. Er durfte nicht zu viel Vorsicht zeigen und schon gar keine Furcht. Das war gefährlich. »Du bist krank, Bruder«, sagte er so beruhigend wie möglich. »Du hast ein wenig Fieber, das ist alles.«

»Halte mich nicht für so minderbemittelt wie deine menschlichen Freunde!«, zischte Loki. »Ich weiß, dass ihr etwas mit mir tut. Mein Geist ist … verschwommen …«

Thor sah geradewegs in die fieberblanken Augen seines Bruders und tastete gleichzeitig fahrig hinter sich nach dem Türspalt. Sobald er ihn gefunden hatte, verließ er rückwärts strauchelnd die Zelle und ergriff den gläsernen Rand, um die Tür schwungvoll hinter sich zuzuziehen und die unüberwindbare magnetische Verriegelung wieder zu aktivieren.

Loki unternahm keinen Versuch, ihm zu folgen. Er starrte ihn nur an, eine bleiche, leere Maske. Erneut hob er die Hand und rieb sich krampfhaft das Ohr, in dem der Messfühler steckte.
 

Coulson, Stark und Romanoff atmeten gleichzeitig geräuschvoll auf, sobald Thor die Glaszelle hinter sich geschlossen hatte.

»Der Sensor ist nicht rausgefallen«, stellte die Agentin fest.

Coulson strich sich über die kahle Stirn und räumte ein: »Das hat er gut gemacht. Ich habe wirklich befürchtet, dass Loki uns täuscht … aber er scheint momentan tatsächlich nicht Herr seiner Sinne zu sein.«

»Wie es sich wohl anfühlt, wenn der Zugriff aufs Gefühlsleben blockiert ist?«, mutmaßte Stark und schnalzte mit der Zunge.

»Sollten Sie das nicht wissen?«, stichelte Romanoff. Diese Bemerkung hatte sie nicht zurückhalten können und bereute diese Unprofessionalität im gleichen Augenblick.

»Beharken Sie mich jetzt schon wie Rogers?«, warf Stark ihr berechtigterweise vor. »Jaah, wir alle wissen, dass ich vor Jahren mal Weltkriege finanziert habe, können wir davon bitte langsam wegkommen?«

»Also, ich muss doch sehr bitten.« Selbst Coulson verlor fast die Fassung angesichts solcher aus heiterem Himmel aufbrechender Aggressionen. »Beherrschen Sie sich. So unangenehm das alles hier auch für Sie ist, es wird vorüber gehen. Bleiben Sie wissenschaftlich.«

»Ich bin kein Wissenschaftler, ich bin Spionin«, knurrte Romanoff. »Und Stark sollte gar nicht hier sein.«

»Ich bin aber hier. Wollen Sie mich aus dem Schiff werfen?«

»Bitte!«, erhob Coulson die Stimme.

Augenblicklich war seine Miene wieder unter Kontrolle, aber Stark und Romanoff starrten ihn bereits an, als habe er soeben lachend die Hosen heruntergelassen.

»Phil, wenn Sie laut werden, bin sogar ich lieber still«, ließ Stark ihn wissen, »und glauben Sie mir, das heißt schon was.«

Romanoff atmete tief durch und begann, sich die Schläfen zu massieren. Irgendetwas mit der Atmosphäre auf dem Schiff stimmte nicht. »Tony«, sprach sie den anderen in versöhnlichem Ton an, »wir alle sollten uns vorsichtshalber eine Art … Druckausgleich suchen. Für alle Fälle.«

»Treiben Sie etwas Sport auf der Ausgleichsebene«, schlug Coulson vor. »Nach der Mittagsbesprechung. Ich bin sicher, die anderen werden sich Ihnen anschließen.« Ermunternd fügte er hinzu: »Vielleicht komme sogar ich dazu.«

»Ist ’ne Idee«, gestand auch Stark ein. »Aber ich fürchte, für einen länger anhaltenden Ausgeglichenheitseffekt brauche ich entweder Banners geheime Beherrschungstechnik … oder Ihnen fällt was ein, das auch meinen Kopf beschäftigt.«

Coulson lächelte ihn an. »Poker, Stark? Sie und ich?«

»Bin nicht abgeneigt.«

»Dann sagen Sie mir bescheid, wenn Sie geneigt sind.«

Unten vor der Scheibe hatte Thor mittlerweile die Arrestebene verlassen und damit Loki zu weiterer anhaltender Einsamkeit verdammt.
 

Bei der zweiten Konferenz des Tages fühlte Banner sich von Anfang an nicht besonders gut. Dies lag vor allem daran, dass das Mittagessen erst eine Viertelstunde zurücklag und er seinem Magen beim Dessert allzu viel zugemutet hatte. Während er also versuchte, nicht an Sahnepudding zu denken, hielt am Ende des Tisches Agent Taps einen wenig erquicklichen Vortrag über die Wirkweise des Antipsychotikums, das Loki mittlerweile in hohen Dosen zugeführt worden war und das seine eingefahrenen Denkprozesse bereits irreversibel gestört hatte.

Oder haben sollte.

»Nun. Um es für Sie alle verständlich zu machen«, schloss Taps soeben und bedachte dabei vor allem Thor mit einem wissenden Blick, »fasse ich es noch einmal knapp zusammen: Wird der Wille nicht mehr vom Unterbewusstsein beeinflusst, lösen Verhaltensmuster sich einfach auf. Unser Subjekt wird schlicht nicht mehr wissen, warum es der Menschheit schaden will …«

»Er«, korrigierte Thor mit fester Stimme. »Er heißt Loki und ist mein Bruder.«

»… was bedeutet, dass wir es rein emotional auf den Ausgangszustand eines Neugeborenen zurücksetzen«, fuhr der Agent unbehelligt fort. »Das ist die Phase, die wir gerade beobachten, jene Phase, in der wir keinerlei emotionale Stabilität mehr haben, keine sozialen Bindungen, keinen … Charakter. Das alles haben wir beseitigt und müssen es jetzt wieder aufbauen. Wir haben eine Festplatte gelöscht, die wir jetzt wieder bespielen können – mit allem, was uns gefällt. Damit das funktioniert, müssen wir zuallererst eine feste Bindung zur Bezugsperson herstellen. Diese Person wird alle Kontrolle über das Subjekt innehaben und es formen können, sozusagen mit … Administrationsrechten.« Er kicherte über die selbst erwählte Computermetaphorik, und Banner sah Stark die Augen rollen. Dann nahm die Stimme des Versuchsleiters jäh eine bedrohlich dunkle Färbung an, als er fortfuhr: »Ich möchte, dass wir uns alle noch einmal vergegenwärtigen, wie prekär diese Situation ist und dass wir hart arbeiten müssen, damit der bisherige Fortschritt uns nicht wieder entgleitet. Die nächste Begegnung mit der Bezugsperson darf nicht so planlos und stümperhaft durchgeführt werden wie das, was ich heute Morgen durch die Überwachungskamera gesehen habe. Das war alles andere als professionell. Und es hätte allen Erfolg zunichte machen können. Die Bezugsperson muss Sicherheit schaffen! Urvertrauen ist unabdingbar, sonst gerät alles außer Kontrolle und wir schaffen ein emotional instabiles … Monster.«

In der anschießenden Stille hätte man ein Haferflöckchen fallen hören können. Kurzzeitig musste Banner gegen sein Unwohlsein anschlucken und glaubte, damit alle auf sich aufmerksam zu machen. Doch die Blicke der Umsitzenden gingen ins Leere; die Kritik an Thor, seiner ungeschickten Annäherung an Loki sowie daran, dass Coulson diesen ersten Kontakt ohne Taps’ Einverständnis hergestellt hatte, hing unheilsschwanger im Raum.

»Wenn Sie glauben, das Experiment irgendwie manipulieren zu können, ohne dass ich es merke, irren Sie sich«, sagte Taps in einem freundlichen Ton, der wohl die offensichtliche Drohung dahinter kaschieren sollte.

Fury, Hill und Coulson sahen jedoch gänzlich unbeeindruckt aus. Vor allem Furys Miene war blank wie in Stein gemeißelt, als er ruhig zurückgab: »Niemand manipuliert dieses Experiment, Agent Taps. Das, nebenbei bemerkt, nicht Ihr Experiment ist.« Er faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. Es sah eher gelangweilt aus als bedeutungsvoll. »Unser Gast Thor hat bisher vergeblich auf Anweisungen von Ihnen gewartet, wie er Loki zu handhaben hat. Wenn Sie ihn anleiten wollen, dann tun Sie es auch. Mit Vernunft und Respekt, was ich fest voraussetze.«

»Nun, natürlich.« Taps beobachtete den Direktor triefäugig. »Ich werde ihn ausführlich instruieren.«

Mit einem wohlwollenden Nicken entfaltete Fury die Hände wieder und griff nach der Fernbedienung. »Gut. Dann widmen wir uns jetzt dem gegenwärtigen Status. Analysieren Sie.«

Wie gewohnt nahm auf der leeren Wand das Projektionsbild Form an, und alle wandten sich diesem zu.

Banner atmete wiederholt tief durch. Die Stimmung in diesem Raum machte seinen nervösen Magen nicht eben ruhiger.

Loki saß auf seiner Pritsche, die Schulterblätter gegen die Glaswand gelehnt, den Kopf gesenkt. Wie geistesabwesend rieb er sich immer noch das mit dem Sensor versehene Ohr. Seine Haut war fahl wie am Tag seiner Einkerkerung.

»Die Mittagsdosis ist fehlgeschlagen«, erklärte Coulson die Szene. »Er hat seit dem Morgen kein Wasser zu sich genommen, nicht einmal die sehr kleine Menge, die wir mit dem Wirkstoff versetzt haben.«

Taps nickte. »Nun, das ist erklärbar. Das Subjekt hat bisher vier Dosen erhalten, jede davon deutlich potenter als die vorausgehende. Die Chemikalien haben sich im Organismus angereichert und dieser reagiert auf die toxische Wirkung mit Unwohlsein. Wir dürfen nicht vergessen, dass es Gift ist, das wir ihm geben.«

»Sie wollen damit sagen, dass ihm einfach nur übel ist«, folgerte Romanoff kühl.

»Nun, ja. Eine erwartete Nebenwirkung. Und ein Zeichen für die hohe Wirksamkeit.«

Banner stöhnte leise. Jetzt wurde an diesem Tisch auch noch über Übelkeit diskutiert. Das half ihm nicht gerade dabei, seine eigene zu vergessen.

»Immerhin ist seine Temperatur gesunken, seit Thor bei ihm war«, merkte Agent Hill an. »Wenn sie auch noch keinen Normalwert erreicht hat.«

»Was ist denn der Normalwert, wissen wir das überhaupt?«, fragte Stark.

»Wir nutzen Thors Werte als Referenz«, schlug Rogers vor, vernünftig wie immer.

»Sehr sinnvoll! Haben Sie nicht aufgepasst? Die zwei gehören nicht zur selben Alienspezies, Thors Werte nützen uns überhaupt nichts.«

»Er hat Recht«, sagte Thor ernst. »Tatsächlich weiß ich nicht, wie Lokis Körper funktioniert. Es war nie notwendig, darüber nachzudenken. Er hat sich stets angepasst.«

»Wir werden die Untersuchungen wie begonnen fortführen.« Furys energische Stimme hatte die gleiche Wirkung wie immer: Niemand sprach dagegen an. »Thor. Lass dir von Agent Taps erklären, was du tun musst. Es hängt alles von dir ab.«

»Ich weiß, Nick Fury. Ich werde mein Bestes tun«, versicherte der Ase.

Aufs Neue schluckte Banner und rieb sich die Magengegend. Gott, warum nur fühlte sich das alles so ekelhaft falsch an?
 

»Haben Sie gemerkt, wie dick die Luft war?«, fragte Stark ihn, als sie die Konferenz, wie immer gemeinsam, verlassen hatten.

»Ja, Tony, habe ich«, murrte Banner und konnte nicht behaupten, dass es draußen im Korridor wesentlich besser war. Behäbig schleppte er sich den Gang hinunter, bedacht darauf, sich so normal wie möglich zu bewegen.

»Mann, sie war wirklich dick.«

»Ja.«

»Ich hätte Sandburgen aus ihr formen können, so verdammt dick war sie.«

»Ja, Tony.«

»Sie haben nicht zufällig Lust auf Poker mit Phil?«

»Oh …« Banner wurde langsamer. Ihm war glatt entfallen, dass sie einen gemeinsamen Freizeitnachmittag geplant hatten. »… Was wäre die Alternative?«

»Boxen mit Thor.«

»Oh. Besser nicht.«

»Hätte ich Ihnen auch nicht empfohlen. Schließlich müssen wir dafür sorgen, dass Ihr Puls unten bleibt, nicht wahr, Doktor?«

Starks kräftiges Schulterklopfen war beinahe mehr, als Banner in diesem Moment vertragen konnte. Unsanfter als beabsichtigt machte er sich von dem anderen los und vergrößerte den Abstand zwischen ihnen.

»Nichts für ungut, Tony«, erklärte er nach einem tiefen Luftholen, »aber ich fühle mich gerade nicht besonders. Ich werde mich stattdessen etwas hinlegen. Seien Sie nicht beunruhigt, falls ich nicht zum Abendessen erscheine.« Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte er sich zum Gehen.

»Ich muss mir doch keine Sorgen um Sie machen, Bruce?«, hakte Stark nach, der nicht vorzuhaben schien, ihm aufdringlich zu folgen. Immerhin.

»Nein. Gehen Sie ein bisschen toben. Wir sehen uns nachher.«

»Wie Sie meinen.«

Banner kehrte ihm den Rücken und beschleunigte den Gang hinunter. Er spürte den verwunderten Blick seines Kollegen noch bis zur nächsten Biegung im Rücken.
 

Thor war äußerst dankbar für die Möglichkeit der Zerstreuung, die sich ihm und seinen neuen Gefährten auf der so bezeichneten Ausgleichsebene bot. Die gerade nicht Dienst habenden Besatzungsmitglieder des Helicarriers verbrachten hier ihre Freizeit bei verschiedenen Arten von Sport und Spiel, die Thor sämtlich unbekannt waren. Was er allerdings gut kannte, war der waffenlose Übungskampf unter Freunden, hier Sparring genannt und offenbar ebenso beliebt wie auf Asgard.

Im kleinen gepolsterten Kampfring stellte Tony Stark ihn und Steve Rogers, einen feinen Mann mit eiserner Disziplin, was Thor sehr schätzte, zu einem harmlosen Duell gegeneinander auf und spielte mit sichtlichem Vergnügen selbst den Schiedsrichter, wozu es auch gehörte, die beiden Kämpfer nach jeder Runde mit den lächerlichsten Phantasienamen neu anzukündigen.

Thor musste zugeben, dass ihm die Regeln dieser Art von Kampf nicht sofort einleuchteten, aber er gab sich Mühe, sie richtig zu befolgen, auf harte Schläge zu verzichten und auch die seines Partners nur milde abzulenken statt ruppig zu kontern, wie es in seiner Heimat von ihm erwartet worden wäre. Was ihm ein wenig fehlte, war die johlende Menge, die den nicht selten rauen Schlagabtausch mit Genuss verfolgte und die, um diesem Gefallen Ausdruck zu verleihen, mit sämtlichen Gegenständen, die sich in Griffweite befanden, tosenden Lärm erzeugte. Hier und jetzt war der Kampf vergleichsweise langsam und unspektakulär, erlaubte das Regelwerk Midgards doch keine ausgefallenen Manöver, um die Zuschauer zu unterhalten. Der Einzige, der johlte, war Tony Stark, der es nicht erwarten konnte, den Verlierer abzulösen.

Einen kurzen Stich gab es dem Asen, als er an die Zeit zurückdachte, in der er und Loki, beide noch heranwachsende Männer, sich genauso ein ums andere Mal gegenseitig in den warmen Sand geworfen hatten, unter den wachen Blicken Odins, seines Hofes und der Sommersonne, die spärlich bekleideten Körper glänzend von Schweiß und rot vom klebrigen Staub. In jener Zeit waren sie noch Brüder gewesen, Loki und er. Und er hatte geglaubt, dass nichts und niemand sie trennen konnte.

»Du bist mein Bruder und mein Freund«, hatte Loki ihm gesagt.

Und ihm dabei ins Gesicht gelogen, wie er nun wusste.

Als Folge seiner Unaufmerksamkeit entschied Rogers diese Runde für sich. Anders als Stark schien er kein aufrichtiges Vergnügen an dieser Beschäftigung zu empfinden. Er war ein Soldat, wie Thor wusste; in seinem Kopf ging es um Leben und Tod, nicht um Spaß und Spiel. Rogers wusste, wie ernst und grausam ein echter Kampf sein konnte und dass er mitnichten so fair verlief wie hier in einem Ring, auf einem gepolsterten Boden. Ein echter Kampf war anders.

Thor ließ die Fäuste sinken. »Du hast den Sieg verdient, Steve Rogers. Ich konnte dir und diesem Kampf nicht meine volle Aufmerksamkeit widmen. Dafür möchte ich mich entschuldigen.«

Sein Gegner blinzelte und fuhr sich mit der behandschuhten Hand durch das schweißverklebte blonde Haar. »Schon in Ordnung«, gab er zurück. »Ich vermute, die Trainingsmethoden der Menschen langweilen dich.«

»Ich bin nicht an sie gewöhnt«, erwiderte Thor gutmütig.

»Das wirst du schon noch. Lass uns was trinken. Tony?«

Stark winkte ihnen von seinem Platz am beistehenden Tisch aus zu. »Was denn, war’s das schon?«

»Mit Ihnen nehme ich es morgen auf, versprochen.«

»Ich wusste, Sie kneifen«, stichelte Stark, was er augenfällig nicht ganz ernst meinte, denn anders als Rogers war er schließlich ausgeruht. »Aber mir gefällt, dass langsam auch die letzten Eiswürfel in Ihnen auftauen, Steve. Morgen laufen Sie mir nicht davon.«

»Was ist aus Ihrem Poker-Duell mit Agent Coulson geworden?«

»Auf nach der letzten Konferenz verschoben. Mal sehen, ob das noch was wird, immerhin hat Agent Taps uns noch ein Abendprogramm versprochen.« Stark nickte in Thors Richtung. »Nervös, Großer?«

Thor erwiderte den Blick nur kurz. Schlagartig war das Unbehagen, das in seiner Leibeshöhle saß, wieder fühlbar, wenn er an Loki dachte, der isoliert mit sich und seinen verworrenen Gedanken in einer gläsernen Zelle mit wenigen Ellen Durchmesser lag.

»Ich werde mein Bestes tun«, wiederholte er daher, was er bereits zu Coulson gesagt hatte.

»Daran zweifelt niemand«, versicherte ihm Rogers freundlich. »Sieh einfach zu, dass du dir das Ganze nicht zu sehr zu Herzen nimmst.«
 

Dieser Rat war leichter ausgesprochen als befolgt.

Wie angewiesen fand Thor sich kurze Zeit später in den Gemächern von Agent Taps ein, um die nötigen Instruktionen entgegen zu nehmen. Das Quartier des Versuchsleiters war genauso beengt wie sein eigenes, aber penibel ordentlich gehalten. Auf dem kleinen Tisch stand das gerahmte Abbild einer etwas traurig aussehenden Frau.

Taps begrüßte ihn mit den Worten: »Ich wünschte, Sie hätten eine fachkundige Ausbildung genossen. Wie Agent Romanoff. Sie war für diese Aufgabe vorgesehen, nicht Sie.«

Mit diesem Vorwurf verflog Thors Hoffnung darauf, mit dem Mann ein Verhältnis herstellen zu können, das auf Sympathie und Respekt gründete. »Es war nicht meine Absicht, den Ansprüchen nicht zu genügen, Agent Taps«, entgegnete er mit mühsamer Zurückhaltung.

Dieser schüttelte den Kopf, als wäre jede Diskussion Zeitverschwendung. »Nun, natürlich nicht. Ich wünschte nur, die erste Phase wäre anders verlaufen und das Subjekt hätte uns nicht durchschaut. Agent Romanoff hat die nötigen psychologischen Kenntnisse, um es exzellent zu kontrollieren. Wie auch immer, das alles lässt sich nicht mehr ändern und ich werde mit Ihnen Vorlieb nehmen. Wenn Sie nicht verstehen, wovon ich spreche, weisen Sie mich bitte umgehend darauf hin. Ja?« Taps sprach mit ihm wie mit einem dummen Kind.

Widerwillig nickte Thor und beobachtete den anderen finster. Eine Einladung dazu, sich zu setzen, würde er wohl nicht mehr erhalten, also blieb er stolz und aufrecht im Türrahmen stehen.

»Nun. Was ich von Ihnen im Umgang mit dem Subjekt erwarte, ist zuallererst: Ausstrahlung von Sicherheit. Kein Gestolper, kein Gestotter, kein Zurückweichen. Es wird jedes Zeichen der Unsicherheit bemerken. Aber Sicherheit muss es von Ihnen bekommen.«

»Er«, sagte Thor automatisch.

»Weiterhin: mehr, viel mehr Annäherung. Sie müssen es dazu bringen, Sie zu lieben. Indem Sie vortäuschen, es ebenfalls zu lieben.«

»Das brauche ich nicht vorzutäuschen. Loki ist mein Bruder, nichts wird das ändern.« Leider, fügte er im Geiste hinzu.

Auch über diese klare Ansage ging Taps leidenschaftslos hinweg. »Sie müssen es verführen«, sagte er eindringlich, und erstmals sah er Thor dabei fest in die Augen. »Keine Angst. Keine Zurückhaltung. Sie sind die einzige Abwechslung, die es zu sehen bekommt, ein Leuchtturm im Meer der Einsamkeit. Nur an Ihren Besuchen kann es überhaupt Tag und Nacht unterscheiden, verstehen Sie? Also halten Sie sich nicht zurück. Sprechen Sie mit ihm. Fassen Sie es an. Tun Sie alles, was nötig ist.«

Die Entschlossenheit in Taps’ Stimme versetzte Thor in höchste Reaktionsbereitschaft. Der ganze Körper des Mannes war wieder in Unruhe geraten, angespannt, zuckend. Nur seine schwarzen Augen waren fest auf den Asen gerichtet.

»Nun, Thor. Zeigen Sie mir, dass Sie es können.«
 

Thors Erwartungen an sich selbst waren fast ebenso hoch wie jene, die Taps an ihn stellte. Ihm war bewusst, dass er niemals gelernt hatte, wie man auf Personen einwirkte, sich nicht einmal für diese Kunst interessiert hatte. Loki jedoch hatte sie perfektioniert. Die Zeit, nachdem er Asgard verlassen hatte, musste er genutzt haben, um die Menschen intensiv zu studieren. Er steuerte sie so leicht wie ein passionierter Reiter sein zahmes Pferd, kannte ihre Geschichte, ihre Geheimnisse, ihre Gedanken. Jeden von ihnen sprach er sofort mit dem richtigen Namen an, zeigte, dass er bescheid wusste, nutzte dieses Wissen, um Unsicherheit zu säen und ausgewachsene Furcht zu ernten. Ja, Loki war ein Meister der Manipulation. Die naiven, kurzlebigen Menschen hatten ihn geschult.

Als Thor dieses Mal vor der durchsichtigen Zelle stand, pochte sein Herz wie die treibende Trommel eines Langschiffes. Dennoch zögerte er nicht, sofort hineinzugehen.

Sein Bruder lag auf der Pritsche, blass und teilnahmslos. Als er Thor sah, hob er matt den Kopf. Seine Augen verengten sich zu schmalen, moosgrünen Schluchten, deren Gründe der kränkliche blaue Schein nicht erreichte. Lautlos formten seine Lippen das Wort »Verschwinde«.

Thor gab sich unbeeindruckt. Er war selbst erstaunt über sein Zutrauen, als er ohne Umschweife zu Loki trat und neben dem Kopfende des Bettes in die Knie ging.

Keine Unsicherheit. Nur Offensive. Ganz gleich, wie unangenehm sie war. Er musste ihn überzeugen.

»Bruder«, sagte er zärtlich, »wie geht es dir nun?« Und er hob die Hand, um damit sacht über Lokis stumpfes Haar zu streichen.

Im gleichen Moment schnellte Loki von seinem Lager hoch und wich bis an die gegenüberliegende Glaswand zurück, geschmeidig wie eine Natter. Seine Muskeln krampften.

»Nein!«, fauchte er. »Geh, Thor. Geh, bevor mir wieder einfällt, was ich mit deinem wertlosen Leben vorhatte!«

Die offene Feindseligkeit kam unerwartet und traf Thors Unerschütterlichkeit an einem wunden Punkt. Er hob beschwichtigend die leeren Hände; etwas Besseres fiel ihm nicht ein.

Loki fixierte ihn. Seine Augen flammten.

Keine Illusion. Kein falsches Lächeln. Keine hauchzarten Lügen. Sein Bruder unternahm keinen einzigen Versuch, seine gefürchteten Künste anzuwenden. Er stand nur da, stierend, aufgebracht, wütend.

Leise sagte Thor: »Ich will dir helfen.«

»Nein, das willst du nicht«, grollte Loki. Er schien so sehr von Gefühlen gebeutelt, für die es kein Ventil gab, dass sein Körper der Last nicht Stand hielt. Langsam, sehr langsam gaben seine Knie unter ihm nach. Als er es bemerkte, lehnte er sich an das Glas, stemmte die Fersen in den harten Boden. »Ich weiß, dass ihr versucht, mich zu verzaubern. Ich weiß es, Thor. Es wird nicht funktionieren.« Seine weißen Zähne blitzten auf. »Ich lasse mich nicht unterwerfen wie ein Mensch!«

Und doch wirst du es, dachte Thor hoffnungsvoll und biss die Zähne zusammen. Ich hoffe es um deinetwillen.

Er wusste, dass dieser Besuch zu nichts mehr führen würde. Loki ließ ihn nicht an sich heran. Er hatte den Plan durchschaut. Er würde nicht nachgeben.

Und Agent Taps würde nicht erfreut sein.

Widerstrebend, aber einsichtig zog Thor sich aus der Zelle zurück – dem winzigen Revier, das sein Bruder zu verteidigen hatte und in das Thor ohne Erlaubnis eingedrungen war. Über die Decke, die noch immer unbeachtet an ihrem Platz lag, machte er einen großen Schritt.
 

»Es funktioniert nicht«, musste Thor kurz danach in der Abendkonferenz einräumen. Von Taps hatte er noch keine Rückmeldung erhalten, doch ihm war nur zu bewusst, wie wenig Erfolg versprechend Lokis heftige Reaktion auf ihn gewesen war. »Er ist … furchtbar wütend auf mich.« Mit einem kurzen Seitenblick auf Taps erwartete er dessen Schelte, die denen an ein ungezogenes Kind nicht unähnlich sein würden und die ihm gegenüber, dem Prinzen Asgards, alles andere als angebracht waren – und die er dennoch gezwungen sein würde hinzunehmen. In Midgard hatte er keine Sonderrechte.

Erstaunlicherweise fiel Taps’ Kritik milde aus.

»Nun, ich glaube schon, dass es funktioniert«, ließ er wohlwollend verlauten, »und ich muss mich für meine Zweifel an Ihnen entschuldigen, Thor. Die offene Aggressivität des Subjekts ist das beste Zeichen dafür, dass Sie auf es einwirken.«

»Wie darf man das verstehen?«, stellte Stark die unangenehme Frage, die Thor in diesem Moment nicht äußern mochte. »Loki wollte seinen Bruder von Anfang an unter die Radieschen schicken, daran scheint sich nichts geändert zu haben. Ich weiß ja nicht, was Sie unter Liebe verstehen, Taps, aber ich stelle mir da was anderes vor.«

»Ich denke, ich weiß es«, meldete sich Rogers zu Wort. »Wir müssen diese Sache von einem anderen Standpunkt aus sehen. Loki war weniger aggressiv, als er normalerweise gewesen wäre. Ich meine, er war … offensichtlich aggressiv. Er hat es nicht verhehlt. Er ist verwirrt. Er weiß, dass er Thor hassen sollte, aber jetzt entdeckt er in sich ganz neue Gefühle für ihn, und denen vertraut er nicht. Wie auch?«

»Eine exzellente Analyse, Captain Rogers.« Taps lächelte ihn an, ein ungewohnter Anblick. »Das Subjekt hat sich bereits in tief reichende emotionale Konflikte verstrickt. Ja, es wird gegen die Empfindungen, die in ihm aufkeimen, ankämpfen. Weil es weiß, dass wir es manipulieren. Es wird sich wehren, den Erfolg hinauszögern. Aber nicht lange. Fünf Tage sind fünf Tage. Daran kann auch ein starker Wille nichts ändern. Am Ende wird alles zu unserer Zufriedenheit sein.«

In diesem Moment fiel Thor auf, dass Dr. Banners Platz leer war. Der Physiker fehlte also noch immer.

Fury übernahm wie auch sonst die abschließenden Worte. »Gentlemen, es scheint, wir machen Fortschritte. Ich möchte Sie hiermit ermutigen, auch weiterhin mit Besonnenheit und Vernunft zu handeln. Die verbleibenden drei Tage werden wir auch noch schaffen – trotz der Beengtheit auf diesem Boot, die uns allen nicht gefällt, trotz der technischen Pannen, die sich seit gestern gehäuft haben.« Kurz sandte er einen unfreundlichen Blick in Richtung des Kaffeeautomaten. »Wenn wir unseren aktuellen Kurs und die Geschwindigkeit beibehalten, erreichen wir Manhattan in weniger als zweiundsiebzig Stunden. Bisher hat sich nichts daran geändert, dass die Spur des Tesserakts zum Stark Tower führt. Agent Barton und Dr. Selvig erwarten uns vermutlich dort. Ich wünsche uns, dass wir den Rest der Reise so komfortabel wie möglich hinter uns bringen. Hiermit sind Sie entlassen. Eine gute Nacht.«

Tag 3

Tag 3
 

Am dritten Tag flackerte das Licht.

Auf dem ganzen Schiff verfiel die Beleuchtung immer wieder in Wackelkontakt, zuckte minutenlang wie ein Blitzgewitter, ehe sie mit halber Intensität wieder ansprang. Stellenweise war das Flackern dauerhaft und dabei von so hoher Frequenz, dass das Auge es kaum verfolgen konnte, das überreizte Hirn jedoch mit Migräneattacken darauf reagierte. Es war, als wäre es dem System nicht mehr möglich, die nächtliche Notbeleuchtung voll gegen das künstliche Tageslicht auszutauschen. Unter Flimmern und Klicken saß die Steuermannschaft auf der Brücke vor den Geräten und kämpfte gegen wachsende Nervosität und Unwohlsein an. Bereits in den frühen Morgenstunden ereignete sich ein erster epileptischer Anfall, der den Austausch eines Crewmitglieds nötig machte.
 

Weit von einem epileptischen Anfall entfernt, aber dennoch alles andere als heiter gestimmt war an diesem Morgen Tony Stark, als er vor dem kleinen Spiegel in seinem Quartier stand – der im Übrigen kaum groß genug war, um die eigene Nase darin näher zu betrachten – und pünktlich während der Rasur von einem Beleuchtungsausfall überrascht wurde, was ihn zwang, die Morgentoilette zu unterbrechen.

Nur mit einem Feinripp-Unterhemd und Boxershorts und mit dem Gesicht voller Rasierschaum trat er schicksalsergeben vor die Tür und klopfte an die seines Nachbarn.

»Bruce?«, rief er ungeduldig. »He, haben Sie Licht?«

»Kommen Sie rein«, lautete die knappe Antwort von drinnen.

Stark tat wie geheißen und fand Banner zerzaust und müde auf seinem Bett sitzend vor. Der Wissenschaftler schenkte ihm ein mühsames Lächeln. »Lassen Sie sich Zeit. Ich war schon im Bad.«

Stark musterte ihn skeptisch. »Na, munter wie ’n Springmäuschen sehen Sie ja nicht aus. Wo waren Sie gestern Abend?«

»Ich hab geschlafen«, antwortete Banner spröde. »Den ganzen restlichen Tag. Ich weiß auch nicht, was los war. Irgendwas …« Er hielt inne, befeuchtete sich die Lippen und fuhr mit leiserer Stimme fort: »… Irgendwas stimmt auf diesem Flugzeug nicht, Tony.«

»Das sagen Sie jemandem, der’s längst bemerkt hat.« Achtsam ließ Stark vor Banners Spiegel den Klingenaufsatz über seine Wange gleiten. Pepper hasste es, wenn er nicht ordentlich rasiert war. Wie vermutlich die meisten Frauen. Durch die offene Tür des winzigen Badezimmers unterbreitete er dem Kollegen seine Theorie: »Die ganze Atmosphäre in diesem fliegenden Bunker wird übler, seit wir Loki an Bord haben. Und obwohl wir glauben, dass wir uns von seinem Einfluss abgeschottet haben, wird’s kein bisschen besser.« Er reckte das Kinn, um auch seinen Hals von Stoppeln zu befreien.

»Sie meinen, er ist es immer noch«, murmelte Banner.

»Jap. Das meine ich. Sie sind der Physiker, Bruce, was sagen Sie dazu? Wir alle fühlen uns mies, wir … sind unfreundlich zu einander, wenn’s nicht nötig ist …«

»Tony, meistens sind Sie unfreundlich, wenn es nicht nötig ist«, unterbrach Banner ihn von draußen.

Starks Hand mit dem Rasierer stoppte auf halbem Weg.

»Was ich meine«, fuhr Banner wesentlich sanfter fort, »ist, dass die anderen es hin und wieder nicht leicht haben, Ihre Sympathie zu gewinnen. Besonders Rogers lassen Sie ganz gerne mal abblitzen. Ist es nicht so?«

»Finden Sie?« Stark dachte darüber nach. Er hatte sich doch bisher wirklich gut benommen, oder nicht? Seine Abneigung gegen S.H.I.E.L.D., blinden Gehorsam und Experimente an Personen hatte er nicht mehr heraushängen lassen als es nötig gewesen war, um nicht durchzudrehen. Der Rest war einfach … er. So war er. Ging nicht anders. Deal with it. »Ich geb mein Bestes«, sagte er ehrlich. »Kuscheliger wird’s nicht.«

»Das dachte ich mir schon.« Stark hörte, wie der andere aufstand. Damit gab er wohl einer wachsenden inneren Ruhelosigkeit nach. »Wollen Sie wirklich hören, was ich denke?«

»Klar.«

»Das Gerät, mit dem wir Lokis Einfluss messen können, wurde noch nicht erfunden.«

Blinzelnd starrte Stark in sein eigenes braunes Auge. Es kam nicht oft vor, dass jemand anders das aussprach, was er dachte. »Der Kerl schickt irgendwelche Strahlen in unsere Köpfe und in die technischen Geräte. Wollen Sie das damit sagen?«

»Also … Ich weiß, es klingt absurd, aber … ja.«

»Gut. Seh ich auch so.« Er hörte, wie Banner sich rührte.

»Haben Sie einen Plan, Tony?«

»Nö, noch nicht. Aber der kommt schon noch.« Schwungvoll klatschte er sich zwei Handvoll Aftershave ins Gesicht. »Ich muss mir das Zepter noch mal ansehen.«

»Immerhin eine Beschäftigung«, seufzte Banner. »Sind Sie dann fertig?«

»Gleich.«

»Ich gehe schon vor. Machen Sie meine Tür einfach zu.«

»Geht klar.« Stark hörte Banner hinausgehen, während er weiterhin in den Spiegel starrte. Eigentlich hatte er gehofft, nach der Rasur wieder etwas frischer und gepflegter auszusehen – natürlich nicht so adrett wie Steve Rogers, das war schließlich unmöglich –, doch das Ergebnis fiel eher mäßig aus. Immer noch sah er, genau wie die anderen an Bord, irgendwie … erledigt aus. Stumpf. Grau. Abgekämpft. Dabei konnte seit den letzten Tagen von harter Arbeit keine Rede sein. Irgendetwas anderes war hier am Wirken. Und es gefiel ihm nicht.

Irgendwann trocknete er sich die Hände ab und machte sich gleichfalls auf den Weg zur Besprechung.
 

Thor wusste nicht, was an diesem Morgen in seinem Kopf vorging.

In schlafwandlerischer Benebelung erhob er sich von seinem Lager, wusch sich und kleidete sich an, ohne über die weiteren bevorstehenden Ereignisse nachzudenken, die seine Mitarbeit erforderten. Kaum beachtete er die Begrüßungen der anderen beim Frühstück, ließ die vorsichtigen Ansprachen am Tisch wie im Traum an sich abprallen, achtete nicht einmal wirklich auf das, was er aß, während sein Blick trübe durch den grauen Saal glitt, welcher der imposanten Speisehalle in der Residenz seiner Familie nicht annähernd gleichkam. Ohne jede Aufmerksamkeit stand er nach Beendigung der Routine wieder auf und ging, wohin auch immer seine schweren Füße ihn tragen mochten.

Und als er vollends zu sich kam, stand er vor Lokis Zelle.

Es war die Kälte, die ihn wachgerüttelt hatte. Das unstete, blinkende Licht, noch offensichtlicher künstlich als sonst, ließ den tristen Ort noch unheimlicher wirken, reizte seine trägen Sinne zu hellster Wachsamkeit.

Er konnte sich nicht erinnern, hierher gekommen zu sein. Konsterniert rieb er sich die Augen und die frierenden Arme. Was wollte er hier, ohne eine konkrete Anweisung? Ratlos spähte er ins Innere des Glaszylinders.

Loki schlief. Nach wie vor unbedeckt. Seine dunkle Gestalt lag hingestreckt und reglos, und nur in den wenigen Momenten, wenn das unzuverlässige Licht ihn beschien, war seine klammweiße Haut zu sehen, die geschlossenen Augen, die schlanken Hände mit den bläulichen Fingerspitzen.

Irgendetwas sagte Thor, dass das magische Auge, das die Zelle ständig beobachtete, in diesem Moment blind war. Niemand sah ihnen zu, zumindest nicht im Augenblick. Er wusste nicht, woher er diese Sicherheit nahm.

Einen kurzen Moment lang beobachtete Thor seinen schlafenden Bruder. Dann schob er, ohne den Auftrag dazu erhalten zu haben, die gläserne Tür auf und schlüpfte hindurch. Noch im Eintreten bückte er sich nach der dunkelgrauen Decke, faltete sie in der Luft auf. Und legte sie über seinen Bruder.

Loki erwachte nicht. Keiner seiner Muskeln zuckte, als Thor die Enden der Decke vorsichtig unter seinen Körper schob, damit die Wärme nicht entweichen konnte. Bis unter das Kinn zog er den Saum hoch, fast bis dorthin, wo in kurzen Abständen Lokis warmer Atem aus seinen Lungen zurückkehrte.

Dann trat Thor zurück und betrachtete sein Werk. Das hier war alles, was er tun konnte – und trotzdem viel zu wenig.

Erst lange Minuten später fiel ihm ein, dass er auf der Besprechung erwartet wurde.
 

»Nick, das hält man im Kopf nicht aus!«, beschwerte sich Agent Hill, als die fünf S.H.I.E.L.D.-Mitarbeiter endlich mit Verspätung im Konferenzraum erschienen.

Über ihnen summten und flimmerten die Lampen, jede zweite Sekunde versank das Zimmer mit dem glänzenden Tisch in gespenstischem Zwielicht, um plötzlich wieder taghell zu werden.

Fury schwieg ehern, während er sich setzte. Seine Miene zeigte keine Regung, auch dann nicht, als Hill neben ihm weiterhin verdrießlich auf ihn einredete.

Romanoff musterte ihre vier Kollegen eingehend von der Seite. Sogar Coulson sah erschöpft aus. Sie wusste, dass er die Dunkelheit nicht mochte und selbst zum Schlafen ein kleines Licht neben seinem Bett brennen ließ. Die ständigen Ausfälle der Beleuchtung hatten ihm zweifellos eine unruhige Nacht beschert.

Zu ihrer Erleichterung war Bruce Banner anwesend. Er schaute genauso trübsinnig drein wie das Gros der Versammelten, aber immerhin schien sein halbtägliches Fehlen am Vortag keinem ernsteren Gebrechen geschuldet zu sein. Den Umständen entsprechend munter hatten sich somit alle Beteiligten wie jeden Morgen eingefunden, um knapp die Lage zu erörtern.

Fast alle, wie ihr dann auffiel.

»Nick?«, flüsterte sie zu ihrer Linken. »Thor ist nicht da.«

Fury, auf dessen anderer Seite noch immer Hill leise zeterte, bewegte lediglich seine Augenbraue kurz nach oben, was bedeutete, dass er sie vernommen hatte.

Rogers, Stark und Banner – die Romanoff zwar allesamt für fähig hielt, denen sie aber hin und wieder die soziale Reife von Sandkastenknirpsen unterstellen wollte – diskutierten auf ihren Plätzen über Thors leeren Stuhl hinweg leise, aber hitzig das Technikproblem, das den Helicarrier heimgesucht hatte wie ein Fluch. Sie hoffte, dass Fury von sich aus Stellung zu der Misere beziehen würde, und hierin enttäuschte ihr Vorgesetzter sie nicht.

»Wie Ihnen aufgefallen sein dürfte«, ließ der Direktor ohne jede Herumdruckserei verlauten, »haben S.H.I.E.L.D.s beste Techniker bisher keins der ausgefallenen Geräte zur Wiederaufnahme des Betriebs überreden können. Für diese Unannehmlichkeiten möchte ich mich entschuldigen. Mir ist bewusst, dass dieses … Problem … nicht das beste Bild von unseren Leuten vermittelt.«

Romanoff erwartete irgendeinen ätzenden Kommentar von Tony Stark. Kurz fragte sie sich, weshalb keiner kam; dann fiel ihr wieder ein, dass Stark Industries an der Konstruktion des Luftschiffes maßgeblich beteiligt gewesen war.

»Ich versichere Ihnen, dass wir tun, was in unserer Macht steht. Leider sieht es nicht so aus, als wären die Schwierigkeiten bald behoben. Wir denken darüber nach, die Lichtanlagen vom Hauptstrom abzukoppeln und über den Notstrom zu betreiben, aber ob das die Lage ändert, wird sich zeigen.«

»Also könnten wir schon heute Abend im Dunkeln hier rumsitzen?«, fragte Stark mit gefurchter Stirn.

»Das hoffe ich nicht.«

»Erst kein Kaffee, jetzt kein vernünftiges Licht … Ich hoffe, das ist nicht so ein Belastungstest, Nick?«

»Glauben Sie mir, das einzige Versuchsobjekt an Bord befindet sich auf der Arrestebene«, versicherte Fury. »Was mich übrigens zu der Frage bringt, wo Thor ist. Hat ihn jemand gesehen?«

Niemand gab eine Antwort, und Romanoff wollte soeben darauf hinweisen, dass auf diesem Schiff sicherlich keiner den anderen rund um die Uhr beaufsichtigte – da kam Thor, wie herbeigerufen, zur Tür hereingestürzt. Er fing sich sofort und nahm Haltung an, um aus der Höhe den Tisch hoheitlich zu überblicken. Die erwartungsvollen Blicke zur Kenntnis nehmend klärte er seine Stimmbänder und wandte sich dann beinahe feierlich an den Direktor:

»Nick Fury. Du musst den Winterzustand in euren Verliesen beenden. Dort unten ist es kalt wie in Jotunheim.«

»Wie wo?«, fragte jemand.

Der Adressierte nahm die Kritik mit einem Nicken zur Kenntnis. »Das Absenken der Umgebungstemperatur gehörte zum Experiment.«

»Ich weiß. Trotzdem muss es jetzt aufhören.«

»Gut, wenn du darauf bestehst.«

»Moment!«, fiel Agent Taps, der bisher den Mund gehalten hatte, lauthals ein. »Director Fury, wir werfen doch jetzt nicht alle Pläne über Bord, nur weil ein Www…« Er stockte und taxierte Thor mit einer Ahnung von Abscheu im Gesicht. »… weil jemand das sagt? Es ist uns noch nicht gelungen, ein Einlenken zu erzwingen!«

»Doch, das ist es«, behauptete Thor und spannte die Schultern. »Seht auf eurem bewegten Bild nach. Loki ist zugedeckt. Es ist nicht mehr notwendig, ihn mit Kälte zu quälen. Er hat das Zugeständnis akzeptiert.«

»Als würde ich das glauben!«, höhnte Taps.

Fury griff schweigend nach der Fernbedienung und schaltete die Überwachungskamera zu. Ein flüchtiger Blick genügte, um Thors Aussage zu bestätigen.

Romanoff sah, wie Fury und Taps einen langen Blick tauschten. Nein, einig waren die beiden Männer sich in diesem Moment nicht.

»Wir werden die Temperatur auf der Arrestebene wieder anheben«, entschied Fury und beendete den Augenkontakt mit dem unbeliebten Versuchsleiter.

»Danke.« Thor neigte den Kopf und setzte sich auf seinen Platz.

Gleichzeitig erhob sich stattdessen Agent Hill, um den soeben von Fury erteilten Befehl zur Retemperierung weiterzuleiten. Dass sie dafür den Raum verließ, anstatt ihren Kommunikator zu benutzen, ließ Romanoff besorgt die Stirn runzeln. Der Verzicht auf diesen Luxus musste bedeuten, dass auch das Kommunikationssystem an Bord nicht mehr einwandfrei funktionierte. Sie fragte sich, ob es überhaupt eine Art von Gerät auf dem Helicarrier gab, das noch keine Störungen zu verzeichnen hatte. Es war wahrlich wie verhext. Direkt unheimlich.

In den nächsten Minuten wurden die weiteren Schritte des Experiments besprochen. Thor wurde angehalten, Lokis Kooperation weiter zu fördern, indem er einfache Untersuchungen an ihm vornahm. Diese setzten den als so zwingend notwendig erachteten Körperkontakt voraus und sollten, wie Romanoff vermutete, sowohl Loki als auch Thor die Scheu davor nehmen.

Sie selbst konnte sich indes nicht vorstellen, dass mit ihrem Gefangenen bereits eine derart tiefgreifende Veränderung vorgegangen sein sollte. Noch immer sah sie vor sich, wie Loki sie mit herablassendem Lächeln dazu aufforderte, ihr Schicksal vor ihm auszubreiten. Sah den Genuss in seiner Miene, als sie ihm von Agent Barton erzählte. Hörte den kalten, drohenden Ton seiner Stimme, als er ihr in aller Bildhaftigkeit ausführte, wie er den Mann zu töten gedachte, den sie liebte.

War es wirklich möglich, in Loki so etwas wie Zuneigung zu erwecken? Etwas in seine Hülle zu pflanzen, das es dort nicht gab? Loki liebte nicht, er hasste nur. Selbst ein so starkes Medikament würde ihm nicht vorgaukeln können, dass er einem anderen Geschöpf Gefühle entgegenbrachte. Daran glaubte sie nicht. Bei allem Vertrauen in die Wissenschaft, nein.

Thor sicherte Fury einmal mehr seine Mitarbeit zu. Taps hingegen würdigte er keines Blickes. Auf Coulsons direkte Nachfrage hin musste der Versuchsleiter einräumen, dass Lokis Temperatur, die er seit der Platzierung des Messfühlers überwacht hatte, auf einen bedenklich niedrigen Wert gesunken war, was einerseits anzeigte, dass die Kälteeinwirkung tatsächlich problematisch wurde, und andererseits, dass das kritische Zeitfenster sich geschlossen hatte. Der Fieberschub war vorüber und damit auch die so wichtige erste Prägephase.

»Aber der Köder ist ausgeworfen!«, betonte Taps und ließ pathetisch die flache Hand auf die Tischplatte fallen. »Wir müssen nur noch kräftig an der Schnur ziehen, um diesen Fisch an Land zu holen.«

Eine dämliche Metapher, fand Romanoff, aber ehe Stark oder sonst jemand einen Witz darüber machen könnte, kam Agent Hill wieder zur Tür herein. Dafür, dass sie lediglich einen Befehl hatte weiterleiten wollen, war sie unangemessen lange fort geblieben.

»Director«, wandte Hill sich so steif wie aufgelöst an Fury. »Ihre Anweisung zur Temperaturanhebung auf der Arrestebene habe ich übermittelt, aber … Nick, es gibt mehr Probleme, als wir dachten. Die Lebenserhaltungssysteme regieren auch nicht mehr. Wir bekommen Lokis Zelle nicht warm, und ich fürchte, bald werden wir es vielleicht auf dem ganzen Schiff nicht mehr warm haben.«
 

Als Thor aus dem Fenster sah, blickte er durch die vereisten Rahmen hinab auf finstere, tief hängende Wolken. Unter ihnen würde schon bald ein ausdauernder Regen über Midgards graugrüne Oberfläche niedergehen.

Gedankenverloren starrte er auf den weißen Nebel, der vor der Scheibe vorüber zog. Seine Notlüge war von Nick Fury ohne jedes Zögern akzeptiert worden. Dabei wusste Thor, dass die Menschen nur den Speicher ihres sehenden Apparates sichten mussten, um festzustellen, dass er Loki zugedeckt hatte und nicht sein Bruder sich selbst. Das taten sie aber nicht; niemand schien an seiner Ehrlichkeit zu zweifeln. War ein solches Detail denn überhaupt wichtig? Der Ase hatte nicht vor, Lokis Behandlung fehlzuleiten. Im Gegenteil. Seit er selbst angefangen hatte zu glauben, dass der Liebestrank wirkte, seit er Lokis tiefe Verunsicherung gespürt hatte, wünschte er sich nichts sehnlicher als ein gutes Ende für dieses Experiment. Er wollte einen gutwilligen, von Wahnsinn und Eifersucht geheilten Bruder zurück nach Hause bringen. Seine Familie wieder vervollständigen. Den Frieden seiner Kindheit wiedergewinnen. Nichts erhoffte er sich mehr als das, seit Loki ihn verraten und sich nach seiner Niederlage in den Abgrund des sterbenden Bifröst gestürzt hatte.

Schließlich fand er aufs Neue die Zuversicht, sich seiner Aufgabe zu stellen. Wissend, dass Taps und Coulson ihn diesmal beobachten würden, machte er sich auf den Weg zu dem gläsernen Verlies. Bei sich trug er drei Dinge des alltäglichen menschlichen Lebens: eine Uhr, einen Stift und ein Stück Papier. »Bitte nicht in Runen schreiben«, hatte Coulson lächelnd gesagt. Unnötig, ihn darauf hinzuweisen, dass das Futhark Zahlen und Laute mit denselben Zeichen wiedergab. Und etwas anderes als Zahlen würde er nicht aufschreiben müssen.

Thor hörte, wie sämtliche Zugänge zur Arrestebene sich mit einem dumpfen Geräusch abschotteten, sobald er eingetreten war. Auf diese Weise verhinderten die wachhabenden Supervisors, dass Loki, sollte Thor ihn wider Erwarten befreien, diesen Bereich verlassen konnte.

Schwarz lag die Zelle da. Das Licht des Notstromgenerators, oder wie auch immer dieses zweite Versorgungswunderding heißen mochte, war düsterer als das bläulich-weiße, eher violett, gespenstisch. Es ließ nur jene Flächen heller erscheinen, die von klarem Weiß waren. Dazu gehörten, wie Thor schaudernd bemerkte, auch Lokis weit geöffnete Augen sowie seine grinsend entblößten Zähne, als er seinen Bruder auf sich zukommen sah.

»Thor.«

Wie ein Schatten glitt Loki unter der Decke hervor und war mit einem Mal ganz dicht an dem Glas, das sie trennte. Thor sah das faszinierte Lächeln im Gesicht seines Bruders, das vor ihm im Nebel verschwand, als sein eigener Atem an der Scheibe beschlug. Lokis Lebenshauch dagegen blieb unsichtbar.

»Bruder«, brachte Thor heiser hervor. Ihm war kalt. Schon jetzt fühlte es sich an, als sei die Kälte ihm bis in die Knochen gekrochen.

»Wie rührend du dich um mich sorgst«, sagte Loki entzückt und drehte dabei langsam den Kopf, um sich nach der Pritsche umzusehen, auf der seine Decke lag. »Ist es deine? Sie riecht nach dir.«

Automatisch machte Thor einen Schritt zurück. Die feuchte Trübnis an der Scheibe schrumpfte zusammen. »Wir müssen … reden«, erklärte er.

»Ah, aber das tun wir doch«, erwiderte Loki lächelnd. Seine Lippen und Finger waren blau, doch er war bei klaren Sinnen, als rollte das Blut noch immer heiß und schnell durch seine Adern. Triumphierend fuhr er fort: »Deine menschlichen Freunde lassen nichts unversucht, um mir meinen Aufenthalt zu verleiden. Die Kälte … die Einsamkeit … das schreckliche Licht … Und du siehst, es beeindruckt mich nicht. Wann werden sie es einsehen?«

»Bruder …«, begann Thor vorsichtig, doch Loki unterbrach ihn.

»Was wollt ihr noch von mir, Thor? Ihr kennt meine Pläne. Glaubt ihr, ihr könntet mich dazu bringen, sie selbst zu vereiteln? Das Portal wird sich öffnen. Die Chitauri werden Midgard unterwerfen. Und ich werde herrschen.«

Thor nahm sich zusammen. »Von einer gläsernen Zelle aus kannst du keine ganze Welt beherrschen«, sagte er.

Mit einem abfälligen Kopfschütteln wandte sich Loki von der Scheibe ab und durchquerte sein Gefängnis. »Deine leeren Worthülsen langweilen mich.« Er setzte sich auf die Pritsche, den Blick finster auf Thor gerichtet. »Und doch bist du der einzige Zeitvertreib, den ich habe. Nur deshalb mag ich deine Besuche. Aber wie ich sehe, möchtest du dieses Mal nicht in meine Nähe kommen. Nicht in … Berührungsnähe.« Kurz kehrte das abstoßende Lächeln zurück. Seine Augen blitzten.

Thor fühlte das Aufwallen von Unwohlsein im Magen. Das hier war nicht, wie es sein sollte. Loki hatte kein Fieber mehr, war nicht länger verwirrt, nicht ohne jede Sicherheit wie noch am Abend zuvor. Stattdessen war er genau wie zu Beginn seiner Gefangennahme: unangreifbar. Es war, als hätten die drei Tage unter Medikation rein gar nichts bei ihm bewirkt. Woran mochte das liegen? Daran, dass er einen Teil des Tranks nicht eingenommen hatte, weil ihm übel gewesen war? Jetzt jedenfalls war er voller Zuversicht und dunkler Gier. Thor wurde klar, dass er nicht tun konnte, worum er gebeten worden war.

»Komm doch zu mir, Bruder. Öffne diese Tür und leiste mir Gesellschaft«, säuselte Loki. »Setz dich neben mich. Wärme mich.«

»Was?« Unsicherheit befiel Thor, jene Unsicherheit, die er eigentlich bei seinem Bruder erwartet hatte – nein, sogar vorausgesetzt hatte. Jäh verspürte er den Drang, Kehrt zu machen, wegzulaufen. Wieder ein Gefühl, das ihm bisher fremd gewesen war. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.

Loki legte den Kopf schief. Seine Lippen kräuselten sich in verborgenem Vergnügen. »Und ihr dachtet, ihr könntet mich gefügig machen. Mich vergiften.«

»Niemand vergiftet dich«, hörte Thor sich sagen.

Und dann war Loki blitzartig wieder an der Scheibe. Krachend prallte Seine Faust auf das Glas. »Lüg mich nicht an!«, schrie er, die Zähne gefletscht.

Thor war zurückgesprungen und fing sich strauchelnd. Sein Herz hämmerte. Als er hochsah, stand Loki wieder entspannt vor ihm.

»Ich sehe es sofort, wenn du lügst«, sagte er schlicht. »Darin bist du sehr ungeübt, Thor.«

Schwer atmend starrte Thor seinen früheren Bruder an. Nein, keine Sekunde länger würde er das hier ertragen. Die Beengtheit, das schlechte Licht, die Launen seiner Mitinsassen – all das hatte an seinem sonst so unerschütterlichen Nervenkostüm gezerrt, und Loki genoss es, auch noch die Reste davon in Stücke zu reißen. Wenn er nicht sofort von hier fort ging, würde ihm Mjolnir in die Hand fliegen.

Kurzerhand drehte er sich um und schritt aus.

»Warte!«

Lokis heller Ruf ließ ihn innehalten. Thor atmete keuchend aus. Was war es, das er in seiner Stimme gehört hatte? Wut … oder Angst?

Langsam drehte er sich um.

»Geh nicht«, bat Loki ruhig. Längst war nicht mehr zu erahnen, welche Emotion eben noch sein Gesicht gezeichnet haben mochte. »Es ist einsam, Bruder. Du wirst mich doch nicht allein lassen. Ich leide.« Er sagte es gerade weich genug, um den Anschein von Kummer zu erwecken – und zugleich so kühl, als hätte er alles unter Kontrolle, als stellte er eine Forderung, die auf jeden Fall erfüllt werden würde.

»So dumm bin ich nicht«, brummte Thor.

Loki lächelte überlegen. »Aber du willst den Menschen gefallen, deren Schoßtier du geworden bist.« Sein Blick ging hinunter zu Thors Hand. »Du hast etwas mitgebracht. Was wollen deine Freunde von mir? Soll ich etwas malen?« Er gluckste amüsiert. »Soll ich ihnen zeichnen, wie das Innenleben meiner Seele aussieht? Woraufhin sie Theorien über meinen Verstand aufstellen, um herauszufinden, was ich vorhabe? Wie ich mich gängeln lasse? Wie sie mich überreden können, ihnen zu helfen?«

Thor schluckte und sah beiseite, um das gehässige Grinsen nicht sehen zu müssen.

»Oh, ja. Ein Komitee der klügsten Menschen wird sich über den Tisch beugen, auf dem das Papier liegt, das ich restlos schwarz gemalt habe. Davon können sie dann ableiten, was sie jetzt noch nicht begreifen wollen: dass ich keine Gefühle habe, Thor, die es zu erwecken gilt.« Leise lachend durchwanderte Loki das beengte Innere seiner Glaszelle.

Thors Finger und Zehen waren erfroren. Beinahe glitten ihm Stift und Zettel aus den taub gewordenen Händen. »Ich werde jetzt gehen«, sagte er knapp.

»Oh nein, nein. Bleib hier.« Loki kam eilig wieder an die Scheibe. »Wir unterhalten uns doch so gut, Bruder. Und du möchtest ihnen doch gefallen. Warum tust du nicht, wozu du gekommen bist?« Einladend trat er von der Begrenzung zurück bis ganz ans Ende der Zelle. »Ich werde nicht davonlaufen. Komm nur herein.«

»Du wirst mich täuschen«, knurrte Thor. »Ich bin schon einmal zu oft darauf hereingefallen.«

»Oh, ja, das bist du.« Loki betrachtete ihn beinahe hingerissen. »Aber wie soll ich an dir vorbeikommen? Du warst immer der Stärkere von uns beiden.«

»Und du der Schnellere.«

»Versuche mich, Thor«, lockte Loki weiter. »Stelle deine Menschen zufrieden. Du wirst es nicht bereuen. Ich kooperiere … für den Moment.«

Das unheilvolle Lächeln war Thor nur zu bekannt. Er traute seinem Bruder nicht, konnte ihm nicht trauen, schon gar nicht in einer solchen Gemütsverfassung. Und dennoch war da noch etwas anderes in Lokis weichem, blassem Gesicht, eine Ahnung von … Angst. Er wollte nicht, dass Thor ihn verließ. Und noch weniger wollte er, dass Thor nicht wiederkam.

Vielleicht tat der Zaubertrank doch seine Wirkung.

Thor trat wieder an die Zelle heran und streckte die Hand nach dem öffnenden Druckknopf aus. Die Verriegelung glitt zurück.

Thor umfasste die Zellentür und drückte sie auf. Schob sich schnell hindurch und schloss sie wieder – wobei er Loki aus den Augen lassen musste – und brachte die klammen Sekunden, in denen er dem Wohlwollen seines Gegenüber ausgeliefert war, rasch hinter sich. Jeden Moment rechnete er damit, dass Loki auf ihn zuschnellte, ihn schlug, ihm eine versteckte Waffe in die Seite rammte. Doch nichts geschah. Loki stand ihm gegenüber, den Rücken dicht am Glas, und sah ihn erwartungsvoll an.

Als er endlich mitten in der Zelle stand, musterte Loki ihn voller Zufriedenheit. Dann ging er ohne zu zögern auf ihn zu.
 

»Sie können es auch nicht lassen, oder, Mr. Stark?«

Coulson schmunzelte, als sich den beiden Gesichtern, die sich im Beobachtungsfenster spiegelten, ein drittes hinzugesellte.

»Ich bin mehr an Psychologie interessiert, als Sie denken«, behauptete Stark. Er sah auch Taps kurz an, doch der schaute stur geradeaus, hinunter in Lokis Zelle. »Und von hier ist die Sicht einfach viel besser. Ich sehe, er hat’s mal wieder geschafft, unseren kleinen König um den Finger zu wickeln.«

»Es sah nicht von Anfang an danach aus«, gab Coulson zu bedenken und kreuzte nachdenklich die Arme vor der Brust. »Loki wirkt heute äußerst zurechnungsfähig.«

»Also, ich weiß nicht, ob ich einen Typen mit goldenen Ziegenhörnern auf dem Kopf, der Deutsche auf Englisch anschreit, vor ihm niederzuknien, als zurechnungsfähig bezeichnen würde.«

»Ich meine im Verhältnis«, erwiderte Coulson munter.

»Sie haben Ihre Niederlage im Poker noch nicht verkraftet, was?«

»Pssst!«, zischte Agent Taps. »Würdigen Sie gefälligst diesen unfassbaren Erfolg!« Sein nervös zuckender Finger zeigte überflüssigerweise auf Thor und Loki, die nebeneinander auf der Pritsche saßen.

Loki wirkte entspannt und selbstgenügsam, während Thor mit einiger Zurückhaltung die Untersuchungen vornahm, die überhaupt nicht notwendig waren und nur dazu dienten, beide Männer zusammenzubringen. Er beobachtete die Uhr, während er über eine ganze Minute Lokis Atemzüge zählte, um sie auf dem Papier zu notieren.

»Niedlich«, kommentierte Stark.

»Finden Sie es nicht unheimlich?«, fragte Coulson.

»Hmm. Sollte ich, oder? Loki wollte Thor töten. Und jetzt …« Er beugte sich weiter vor. Verblüfft sah er zu, wie Loki das Kinn hob, als Thor die Finger in seine Halsbeuge legte. Ein fast träumerischer Ausdruck hatte sich auf sein Gesicht gestohlen. »… Ähm …«

»Zumindest hat er gegen die Untersuchung nichts einzuwenden«, sagte Coulson nüchtern.

»Er lässt es sich gefallen«, pflichtete Stark murmelnd bei. »Als ob … er es mag …«

Agent Taps’ Züge verzerrten sich zu einem breiten Grinsen. »Nicht nur das, meine Herren. Er genießt es. Sehen Sie?«

Dort unten zählte Thor mit sichtbarem Unbehagen Lokis Pulsschläge. Er starrte auf die Uhr, nicht auf seinen Bruder, und hielt so viel Abstand wie möglich. Loki hielt still und schien fasziniert dabei zuzusehen, wie jeder seiner Atemzüge Thors blondes Haar bewegte.

Stark musste trocken schlucken. »Phil, stellen Sie mal den Ton lauter. Könnt schwören, dass der Kerl schnurrt.«

»Aber das ist wohl kaum eine richtige Berührung«, sagte Coulson ratlos, »das ist kein Streicheln, nichts Gefühlvolles, das ist ein simples … Pulsfühlen.«

»Loki ist schon jetzt wie das Opossum.« Stark fand sich unfähig, den Blick von dieser bizarren Szene loszureißen.

»Aber diesen Effekt sollten wir doch erst nach fünf Tagen haben?«

Taps giggelte. »Nun, ich glaube, ein so viel leistungsfähigeres Gehirn ist zu einer weit stärkeren Bindung fähig. Ich bin überaus neugierig, wohin uns dieses Experiment noch führen wird. Welche Einblicke in die menschliche Psyche uns noch bevorstehen!«

»Ich glaube, Sie vergessen, dass das da unten kein Mensch ist«, erinnerte Stark ihn nachdrücklich, »sondern ein Alien.« Der Sohn eines Eisriesen, hatte Thor ihm gesagt. Das erklärte, warum Loki die Kälte so gut verkraftete.

In der Zelle hatte Thor soeben das Zählen beendet. Rasch ließ er seinen Bruder los, wandte sich ab, notierte den ermittelten Wert. Den sich niemand ansehen würde. Sofort danach stand er auf und ging schnellen Schrittes zur Tür der Zelle. Loki sah ihm nach, mit einer Mischung aus Überraschung und Verdrossenheit auf den fahlen Zügen.

»Du wirst wiederkommen!«, rief er. »Ich weiß es!« Ungehalten ballte er die Fäuste, blieb aber sitzen.

Thors Verhalten ließ an überstürzte Flucht denken. Er schloss die Zelle hinter sich und hatte kein Wort des Abschieds für Loki übrig. Aufgerieben, wie Stark den besonnenen Hünen selten gesehen hatte, verließ Thor die Arrestebene, und wiederum allein blieb Loki zurück, der ihm lange mit erfrorener Miene hinterher starrte.
 

Thor zuckte zusammen, als ihm jemand eine Hand auf den Arm legte.

»Hey, gaaaaanz ruhig. Ich bin’s nur«, sagte Tony Stark ruhig und hielt ihm eine Tasse hin. »Ich dachte, vielleicht kannst du das gebrauchen … Siehst so durchgefroren aus.«

»Es ist wahrhaft kalt dort unten«, räumte Thor mit belegter Stimme ein, wofür er sich sofort schämte, und nahm dem anderen den Becher etwas ruppiger ab als beabsichtigt. Noch immer fror er, selbst in dem wohl temperierten Korridor. Er war gerade auf dem Weg zu seinem Quartier gewesen, wo er vorgehabt hatte, sich eine Decke um die Schultern zu schlagen und nachzudenken.

Stark zeigte vage auf die Tasse. »Das ist … irgendwas mit … Kräutern oder so. Dachte, das kennst du vielleicht am ehesten, so als … äh …« Er gestikulierte etwas hilflos und hob die Schultern. Wie immer wirkte er dabei nicht wirklich verlegen, sondern ganz so, als gehörte das alles zu einer größeren Show, deren Hauptrolle er spielte.

Thor nickte geistesabwesend. »Danke. Sei nicht ungehalten, wenn ich … einen Moment allein sein möchte.«

»Oh, nein, nein, klar doch. Ruh dich aus. Hey, schließlich bist du derjenige, von dem alles abhängt. Ähm … Wenn du was brauchst, sag bescheid.«

»Danke.« Konfus wandte Thor sich zum Gehen; dann hielt er noch einmal inne. In der Hand, die nicht die Tasse hielt, lag noch immer der Zettel mit den beiden Zahlen. 22 und 112. Fragend hob er das Papier hoch. »Braucht Agent Taps das?«

Stark hob die Brauen. »Nein. Das weißt du doch. Die Messungen waren ein Vorwand, damit Loki sich nicht wundert, wieso du ihn besuchst.«

»Ah. Ja, so war es.«

»Lass mal sehen.« Der andere Mann nahm den Zettel und warf einen kurzen Blick darauf. »Hm, sieht ’n bisschen erhöht aus. Emotionen?«

»Erregung.« Thors Stimme war ohne jeden Ton.

Missmutig wandte er sich von Stark ab und setzte ohne ein weiteres Wort den Weg in seine Räumlichkeiten fort.
 

Die Mittagsbesprechung fiel äußerst knapp aus.

Gute Neuigkeiten gab es keine, im Gegenteil; die Maschinerie an Bord des Helicarriers trat mehr und mehr in Streik, so etwa gab es neben der Arrestebene nun weitere Bereiche, in denen die Temperaturregulation ausgefallen war, etwa die Nahrungsspeicher.

»Die Wasserbassins befinden sich direkt nebenan«, sinnierte Agent Hill und beobachtete die Mienen ihrer S.H.I.E.L.D.-Kollegen. »Was tun wir, wenn uns das Trinkwasser gefriert?«

»Uns mit Eispickeln bewaffnen und kleine Taufeuerchen legen?«, schlug Stark vor.

»Was Sie nicht alles lustig finden«, schnaubte Rogers. »Diese Situation könnte schnell noch sehr viel schlimmer werden, sehen Sie das nicht?«

Bruce Banner neben ihm drehte unermüdlich einen Kugelschreiber zwischen den Fingern. »Die Sorge ist auf jeden Fall nicht unbegründet, wenn man bedenkt, dass wir in einer Flughöhe von etwa fünfzigtausend Fuß mit einer Außentemperatur von fast minus sechzig Grad unterwegs sind«, sagte er ernst.

Ein Grabesblick von Nick Fury folgte dieser Feststellung. »Mit den gegenwärtigen Statuswerten kann ich nicht einmal anbieten, die Fluggeschwindigkeit zu erhöhen. Wir werden New York City nicht früher als in zwei Tagen erreichen, solange wir gezwungen sind, langsam zu fliegen.«

»Dann müssen wir landen.« Rogers schien zu erwarten, dass niemand diesen Vorschlag begrüßte, und tatsächlich sprachen die Blicke, die auf ihm ruhten, Bände.

»Ich werde ein so bahnbrechend verlaufendes Experiment nicht abbrechen!«, kündigte Taps resolut an.

»Davon ist ja auch nicht die Rede. Verfrachten Sie Loki in eins Ihrer Labore und machen Sie dort weiter. Wir kommen schon auf anderen Wegen nach Manhattan. S.H.I.E.L.D. hat Wege, und davon genug, das weiß ich.«

»Tatsache ist«, schaltete sich nun auch Romanoff in gewohnt unberührter Manier ein, »dass wir weder eine Erklärung für die technischen Störungen an Bord haben noch sie beheben können, wie es scheint.«

»Ich muss zugeben, die Lage ist mehr als unangenehm«, bestätigte Fury. »Und ich muss Ihnen außerdem sagen, auch wenn es Ihnen nicht gefallen wird: Am schnellsten werden wir beim Stark Tower sein, wenn wir uns einfach zusammennehmen und durchhalten. Es sind noch etwas mehr als achtundvierzig Stunden bis zum Eintreffen. Ich glaube, dass wir es schaffen können.«

»Während uns Ihr Schiff unter dem Hintern auseinander fällt?«, empörte sich Rogers in ungewohnt aggressiver Wortwahl. »Director Fury, Sie riskieren im schlimmsten Fall Menschenleben!«

Der Gescholtene holte tief Luft und erklärte: »Ich biete an, dass alle, die die Mission nicht zu Ende führen wollen, bei einem Zwischenhalt von Bord gehen können, Captain Rogers.«

Nun klappte der Soldat den Mund zu. Dieses Zugeständnis war wohl mehr, als er erwartet hatte. Fury hatte einen klugen Zug gemacht: Eine Mission nicht zu Ende zu führen kam für einen beherzten und entschlossenen Mann wie Rogers, der um seine Vorbildfunktion wusste, nicht in Frage. Als Einziger das sinkende Schiff zu verlassen war in seinen Augen unvorstellbar, dessen war sich jeder bewusst, und als Rogers nun wie erwartet den Mund hielt, wandte die allgemeine Aufmerksamkeit sich rasch wieder anderen Dingen zu.

Agent Taps frohlockte, als er endlich damit beginnen konnte, die bisher errungenen Erfolge des Projekts Five Days noch einmal detailliert auszuführen. Die Umsitzenden waren unruhig; entweder weil sie bereits informiert waren oder weil zwischenzeitlich angeregte Flüstergespräche aufkamen. So etwa hörte man gegen Ende der Schilderungen Stark über den Tisch zu Banner wispern: »Verdammt, Bruce – doch, es war wie mit dem Affen …«
 

Unmittelbar nach der Entlassung durch Fury trat Agent Romanoff an den sitzen gebliebenenThor heran, der so farblos und frustriert aussah wie noch nie seit Beginn der Reise.

»Du siehst furchtbar aus«, sagte sie mit aller Anteilnahme, die ihr gemütsarmes Naturell aufzubringen vermochte. »Was ist passiert?«

Sie legte ihm die Hand auf den Arm, und daraufhin schien tatsächlich ein wenig Spannung von ihm abzufallen. Seine ungewöhnlich blauen Augen schauten hoch in ihre, scheu wie die eines Jungen.

Widerwillig sagte er: »Es macht mich krank.«

»Was?«, fragte sie zart.

»Alles. Das … mit Loki. Ich habe … Furcht verspürt, von Anfang an. Ich finde keine Ruhe. Ich schlafe kaum. Heute konnte ich meine Mittagsmahlzeit nicht bei mir behalten.«

Ihr war bewusst, dass Thor sich verpflichtet fühlte, immer die Wahrheit zu sagen, doch so viel Offenheit erstaunte sie. Die Auswirkungen von psychischem Stress waren ihr bekannt – mehr als ihr lieb war –, doch selten hatte sie so viel Angst gehabt, dass ihr Magen rebelliert hatte. Und etwas sagte ihr, dass auch Thor diese Erfahrung bisher absolut fremd gewesen war. Er war überfordert mit dieser Bangigkeit, für die er keine Erklärung hatte.

Doch sie konnte nicht mehr für ihn tun als aufmunternd seinen Arm zu drücken. »Halt durch«, sagte sie ihm.

»Welche Wahl habe ich schon?«, gab er kraftlos zurück.

Da ließ sie ihn gehen.
 

Es hatte lange gedauert, bis Banner es geschafft hatte, Agent Hill die Erlaubnis abzuringen, das Zepter noch einmal untersuchen zu dürfen.

»Es ist von sämtlichen Umwelteinflüssen abgeschottet«, erklärte sie schließlich, nachdem er sie fast eine Dreiviertelstunde lang bearbeitet hatte wie ein Bildhauer seinen Findling. »Sicherheitsstufe drei. Sie haben keinen Zugang, Dr. Banner.«

»Aber Sie«, sagte er mit entwaffnendem Lächeln.

Sie verdrehte die Augen. »Ja, genau das wollte ich gerade hinzufügen«, seufzte sie. »Also kommen Sie. Ehe Sie meine Nerven noch überstrapazieren. Ich weiß wirklich nicht, was Sie zu finden hoffen.«

»Es sieht ganz so aus, als wüssten Sie das sehr wohl«, stellte er fest. Er hatte scharf beobachtet, wie die Agentin während ihres Gesprächs im Labor auf und ab gegangen war, und noch während sie ihre endgültige Einwilligung erteilt hatte, hatte sie speziell gesicherte Schubladen geöffnet und Dinge herausgenommen, die er gut kannte: hier eine Ampulle, dort die passende Kanüle, schließlich ein Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit.

Wie ertappt sah sie sich nach ihm um. »Sie fragen mich doch hoffentlich nicht, wozu ich das mitnehme.«

»Tue ich nicht, nein.«

»Also dann …« Sie schob einen Plastikschutz über die Nadel der aufgezogenen Spritze und lud Banner mit einem Kopfnicken ein, ihr zu folgen.

Der Physiker ließ sie nicht warten.

Auf kurzem Wege führte Hill ihn tief in die dunklen Eingeweide des Helicarriers. Der Notstrom ließ das wenige Licht kränklich erscheinen wie die dünnen Strahlen eines blassen Mondes, und in etwa so effizient war es auch – man sah die Hand vor Augen, aber nicht viel mehr.

Hinter mehreren Hochsicherheitstüren, deren Passage zuerst einen Handscan, später sogar einen Netzhautscan nötig machte, kam schließlich eine dunkle Stahlverriegelung zum Vorschein.

»Infraschall von der Qualität, wie wir sie an der Speerspitze gemessen haben, durchdringt diese Wände nicht«, ließ Hill ihn wissen.

Banner unterließ es, sie darauf hinzuweisen, dass er keinesfalls mit derselben Geräuschemission rechnete wie noch am ersten Tag. Das Messgerät in der Hand sah er sie abwartend an, damit sie diese schwere letzte Pforte für ihn öffnete.

Mit dem, was ihn erwartete, hatte er nicht gerechnet.

Schon als die schützende Wand zurückzuweichen begann, spürte er das Anschwellen eines … Drucks, der auf seine Ohren und seine Schultern niedersank wie ein langsam zunehmendes Gewicht. Heftige Übelkeit überflutete ihn, sodass er taumelnd eine Hand auf den Mund presste, während die Barriere endgültig verschwand und die Sicht auf das vernichtende Werkzeug preisgab, das auf einem Metalltisch ruhte und aus seinem glühenden blauen Auge zornige Zerstörung aussandte. Wie Fausthiebe droschen Töne, Eiseskälte und grauenhaftes Wispern aus dem Leuchten heraus auf die Eindringlinge ein, sangen unfühlbare Winde ein scharfes, Verderben bringendes Lied.

Banner ballte die Hände zu Fäusten und ging in die Knie vor Verzweiflung. Neben ihm sah er, wie auch Hill sich krümmte.

Er hatte Recht gehabt. Es war das Zepter. Die ganze Zeit. Seine Macht hatte in gleichem Maße zugenommen wie Loki die Kontrolle über seinen Willen verloren hatte. Es war diese Mischung aus Schall, Druck und purer Energie, die die Ausfälle auf dem gesamten Schiff bewirkt hatte, genau wie all das Unwohlsein in den Reihen der Crew. Es war, als kämpfte Loki durch das Zepter gegen sie, weil er es anders nicht mehr konnte. Und er wurde immer stärker.

Dabei hätte er schwächer werden sollen. Er hätte kooperieren, aufgeben sollen. Doch das war nur scheinbar passiert. Nur oberflächlich.

Banner gelang es, Worte hervorzustoßen.

»Das Medikament!«, würgte er. »Es hat Lokis Unterbewusstsein von seinem Bewusstsein abgekoppelt – aber nicht von dem Zepter!«

Hill hustete etwas Abgehacktes, das er nicht verstand. Soeben begriff er, dass er ein noch viel schwerwiegenderes Problem hatte. Sein Herz hämmerte rasant und schmerzhaft in seiner Brust wie ein Presslufthammer. Hilflos drückte er eine Hand darauf. Fletschte die Zähne. Rang mit der Bestie, die sich brüllend in ihm aufbäumte.

»Tun Sie es!«, schrie er, und seine Stimme hatte sich bereits dunkel gefärbt. Hatte sich in die des Anderen verwandelt. »Tu es, verflucht noch mal!«

Hill handelte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie auf ihn zustolperte.

Schnell.

Sie hatte nur noch Sekunden.

Schon durchfloss seinen Arm der Impuls, seine Faust in ihr wild verzerrtes Gesicht zu schlagen.

Doch dann machte Hill unerwartet einen gewagten Satz, der sie auf seine andere Seite beförderte.

»Es tut mir Leid, Bruce!«, gellte sie.

Dann spürte er den erlösenden Einstich.

Schwärze hüllte ihn ein.

Frieden.
 

»Wir dürfen ihn damit nicht sich selbst überlassen«, sagte Rogers eindringlich. »Er leidet, das wissen Sie so gut wie ich.«

»Niemand überlässt Thor sich selbst«, versicherte Romanoff. »Es ist nur so, dass wir nichts für ihn tun können. Unser Zuspruch scheint ihn nur noch mehr zu verstören. Er kapselt sich regelrecht ab von uns.«

Zu viert saßen sie auf der Ausgleichsebene in dem kleinen Raum, der für das gesellschaftliche Beisammensein kleinerer Gruppen ideal war und der besonders gern für Pokerrunden unter der Besatzung genutzt wurde. Coulson hatte sich Romanoff, Stark und Rogers spontan angeschlossen, da er – wenn seine Gleichmütigkeit auch nicht unbedingt sofort darauf schließen ließ, wie er wusste – durchaus Anteil nahm an den Gedanken der großen Helden seiner Zeit, für die er sich so begeisterte. Und zu denen er sich selbst nicht zugehörig fühlte. Die Big Five, so viel stand fest, waren Captain America, Iron Man, Thor, Black Widow und der Hulk. Im äußersten Fall mochte man noch seinen Kollegen Agent Barton alias Hawkeye dazuzählen. Doch er, Coulson, war kein Held. Seine Arbeit sah anders aus. Er war dafür da, hinter dem Rücken seiner Helden die Fäden zu ziehen, damit deren Auftritte glatt über die Bühne gingen. Mit dieser Rolle war er vollauf zufrieden.

Und wenn er ehrlich war, hoffte er immer noch, dass Captain Rogers eines Tages seine Sammelkarten signierte.

»Gestern hat er sich noch nicht so zurückgezogen«, gab Stark zu bedenken. »Ich habe da ein wirklich gutes Boxmatch gerichtet. Übrigens, Steve, Sie schulden mir noch eins.«

Rogers betrachtete ihn angewidert. »Sie denken jetzt wirklich an Vergnügen, Stark?«

»Ich denke immer an Vergnügen. Hilft mir dabei, nicht an Verhängnis zu denken.«

»Ihre Egozentrik ist wie immer äußerst hilfreich!«, ätzte der Captain.

Coulson kam seiner Rolle als Hüter des Friedens nach und hob beschwichtigend die Hände. »Das Schlimmste, was passieren kann«, sagte er ruhig, »ist, dass wir damit anfangen, gegeneinander zu arbeiten. In dieser Hinsicht muss ich Ihnen allen ein Lob aussprechen: Obwohl Sie nicht gerade Busenfreunde sind, halten Sie in dieser Situation zusammen. Was ich sehr vernünftig finde.«

»Es ist ja nicht so, als könnten wir einander aus dem Weg gehen«, lenkte Stark ein. »Es ist nicht einfach, aber wir halten uns gut.«

»Zumindest jetzt noch«, sagte Rogers spröde.

»Sie wollen doch hoffentlich nicht der Erste sein, der sein Eis in den Sand schmeißt?«

»Nein, Stark. Ich werde mich zusammennehmen, wie es sich für einen Soldaten gehört.«

Stark hob eine Braue an. »Heißt also, Sie gehen nicht von Bord?«

»Natürlich nicht.«

»Gut, Captain, diese Einstellung gefällt mir.«

Mit Entzücken sah Coulson, wie ein ermunterndes Lächeln die Runde machte. Zart, aber sichtbar.

»Was also können wir für Thor tun?«, brachte Romanoff sie zurück zum ursprünglichen Thema. »Ihm scheint es sehr viel schlechter zu gehen als uns.«

»Ich sag euch, was wir machen sollten«, sagte Stark unumwunden, »aber jammert nicht, wenn’s euch nicht gefällt. Das Einzige, was wirklich helfen würde, ist –« Er ließ die rechte Faust in die offene linke Hand fallen. »– Loki den Garaus machen.«

Der Tisch schwieg.

Coulson nahm zur Kenntnis, dass kaum jemand überrascht aussah. Einem jeden schien dieser Gedanke bereits gekommen zu sein.

Es war erneut Rogers, der vorsichtig einwandte: »Das Experiment zu sabotieren wäre ein schweres Vergehen.«

»Natürlich wär’s das«, beharrte Stark, »aber ich bin kein Soldat, Steve, ich sehe die Sache anders. Ich sehe, dass wir von Loki nichts mehr gewinnen können. Lebend nützt er uns rein gar nichts mehr, im Gegenteil, er macht uns allen das Leben zur Hölle, indem er einfach nur da ist. Warum ihm nicht das Licht auspusten? Ich weiß, das klingt selbst für mich brutal und kaltschnäuzig, aber er ist ein Massenmörder. Und er möchte weitere Massen morden. Irgendwo muss doch mal Schluss sein. Barton und Selvig wären sofort von seinem Einfluss befreit … höchstvermutlich jedenfalls. Thor könnte in Ruhe schlafen. Wir alle könnten in Ruhe schlafen. Wenn Loki es irgendwie schafft zu entkommen, fangen wir wieder von vorne an. Es gibt de facto keinen Grund, ihn am Leben zu lassen. Und dieses Experiment – seien wir ehrlich – ist ein Witz. Der Einzige, der das toll findet, ist Taps. Für seinen Lebenslauf.« Mit einem vielsagenden Blick in die Runde kreuzte er die Arme im Nacken und lehnte sich demonstrativ zurück.

»Ihre Sichtweise leuchtet mir ein«, gestand Rogers. »Aber mir widerstrebt es, einen so strikten Befehl zu missachten. Lebend könnte Loki S.H.I.E.L.D. von großem Nutzen sein. Er hat immenses Wissen, Kenntnisse von Welten, die auch Thor nicht kennt, Zugang zu mächtiger Technologie. Wenn er kooperiert, könnten wir durch ihn in künftigen intergalaktischen Kriegen einen großen Vorteil erlangen.«

»Der Punkt ist aber, Steve«, widersprach Stark hitzig, »dass Loki nur mit einem kooperieren wird, und das ist Thor. Und der, so gern ich den Großen auch hab, ist nun mal ein eher schlichtes Gemüt. Er würde sowieso mit Loki nach Asgard abhauen. Thor will Frieden haben, auf seinem weißen Ross über Wiesen galoppieren, rohen Lachs essen und was nordische Götter sonst noch alles so machen. Außerdem …« Seine Miene wurde schlagartig besorgt. »… hasst er das, was gerade mit Loki passiert. Natasha hat es uns doch gesagt. Und ich hab’s gesehen. Phil, Sie auch. Es ist widernatürlich. Kuschelnde Opossums sind eine Sache, kuschelnde Superschurken eine ganz andere. Loki verwandelt sich nicht in einen netten Schwiegersohn, sondern in ein psychisches Wrack. Seine Gefühle werden ihn auffressen. Diese Droge wird aus seinem genialen Hirn Gelee machen.«

Coulson konnte nicht anders, als langsam zu nicken. Er hatte ebenfalls gesehen, was Stark schilderte. Zwar war es nicht spektakulär gewesen, doch es war nur eine leise Ahnung dessen, was ihnen noch bevorstand. »Loki verliebt sich in Thor, so viel steht fest«, musste er einräumen. »Und zwar gegen seinen Willen. Es wird nicht gut gehen.«

»Meine Rede, Phil.« Sekundenlang taxierte Stark die Runde, legte dann bedeutsam einen Finger an die Lippen und fuhr leise fort: »Wenn es keinen anderen Weg mehr gibt, müssen wir tun, was nötig ist. Lokis Zelle kann mittels Geheimcode aus dem Flugzeug abgeworfen werden. Nicht mal er würde einen Fall aus einer Höhe von dreißigtausend Fuß überleben. Fünfzigtausend, mittlerweile.« Entschlossen wandte er sich an Romanoff: »Natasha, Sie haben doch sicher den Code.«

Die rothaarige Frau mit der undurchschaubaren Mimik erwiderte seinen Blick kalt. »Tun Sie, was Sie für richtig halten«, sagte sie abweisend und erhob sich in einer fließenden, lautlosen Bewegung von ihrem Stuhl. »Aber ich werd’s nicht tun.« Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Raum und ließ die drei Männer allein.

Nach einigen Sekunden schweigender Verblüffung sah Coulson wieder zu Stark.

Dieser öffnete den Mund und schloss ihn wieder.

»Ihr Plan stößt nicht auf Begeisterung«, merkte Rogers an.

»Ähm. Ja. War mir irgendwie klar.« Stark befeuchtete sich die Lippen. »Andererseits … gibt’s noch andere Wege, an den Code zu kommen.« Er nickte Coulson zu. »Und genau vor mir sitzt einer.«
 

Bei der Abendbesprechung fehlten Thor und Bruce Banner. Agent Hill erklärte mit blassem Gesicht, dass sich Letzterer bis zum Ende der Reise unter Dauermedikation befinden werde. Außerdem erläuterte sie die erschreckende Feststellung, die sie und der Wissenschaftler zuvor gemacht hatten: dass sämtliches technisches wie menschliches Versagen, das auf dem Schiff wütete, auf den stetig wachsenden Einfluss des unheilvollen Speers zurückzuführen sei.

Es sah ganz danach aus, als würde die Bedrohung von allen Seiten keinesfalls geringer – vielmehr schien die schicksalhafte Reise des Helicarriers in einer Katastrophe zu gipfeln, die für die Menschen an Bord einem Krieg gegen Lokis dunkle Armee in nichts nachstand.

Tag 4

Tag 4
 

Am vierten Tag war es auf allen Decks kalt.

Auf der Brücke saß die Steuercrew bereits mit leichten Jacken, ehe sich die Sonnenscheibe ganz über den Horizont geschoben hatte. Die Temperatur sank langsam, aber stetig auf dem ganzen Gefährt. Auf sämtlichen Monitoren, die die Besatzung allerorts mit den neusten Informationen versorgten, waren nun zusätzlich die immer kritischer werdenden Reiseparameter eingeblendet:

altitude: 49.834 ft (AGL)

outside temperature: -58°F

Um den Sinkflug einzuleiten, was die Außentemperatur immerhin leicht erhöhen würde, war es noch viele Stunden zu früh.
 

Als Thor aus einem erdrückenden Gewirr wilder und verstörender Träume erwachte, wusste er nicht, wie spät es war. Das bogenförmige Display mit der Digitalanzeige, praktischerweise direkt über dem schmalen Bett angebracht, war tot. Die unnatürliche Dunkelheit, die in sämtlichen Quartieren herrschte, da sie fensterlos angelegt waren, hatte Thors innere Uhr von Beginn an irritiert, war er es doch gewohnt, mit dem ersten Sonnenlicht zu erwachen. Nun lag er in undurchdringlicher Schwärze. Selbst das ununterbrochene matte Leuchten des Alarmknopfes neben der Tür war erloschen.

Unruhig stieß Thor die Decke von sich und wälzte sich auf die linke Seite. Kalte Luft berührte den Nachtschweiß auf seiner Haut. Sekundenlang zweifelte er sogar daran, dass er sich noch auf dem fliegenden Schiff befand; dann aber berührten seine Zehenspitzen den Zimmerboden aus grauem Filz. Ja, er war hier. Alles war unverändert. Und so sehr er diesen Ort auch verabscheute, so wusste er doch, dass in den Kammern direkt neben seiner eigenen Menschen nächtigten, die ihm wohlgesinnt waren.

Ein langgezogener, ferner Ruf ließ ihn innehalten. Er glaubte, seinen Namen gehört zu haben, doch der Hall war schon verschwunden. Angespannt lauschte er ins Dunkel.

Da war es wieder. Unwirklich und aus weiter Ferne drang sein Name an sein Ohr, wie durch dicke Stoffe gedämpft, ohne jedes Echo. Durch Wände, die keinen Schall hereinließen.

Ihn schauderte. An seinem ganzen Körper richteten sich die feinen Härchen auf. Alles stand unter Spannung. Er konnte nicht anders, als wieder zu horchen.

»Thor!«

Strauchelnd kam er neben dem Bett auf die Füße, stieß mit dem Schienbein gegen den Rahmen und knirschte mit den Zähnen. Mit ausgestreckter Hand tastete er sich zur Zimmertür vor. In diesem Moment war er dankbar dafür, dass der Raum so klein war.

Als er die Tür aufzog, strömte blasses Licht hinein. Der Notstrom funktionierte noch. Ein leises Summen erfüllte den Korridor, der ansonsten völlig still war. Es musste noch früh am Tag sein.

»Thor!«

Es bestand kein Zweifel, wer da nach ihm rief. Er kannte diese Stimme seit frühester Kindheit. Kannte jede Facette an ihr, das gesamte Frequenzspektrum. Kannte sie wie die Stimmen seiner Eltern.

»Thor!«

Was hatten sie diesmal mit ihm gemacht? Thor war nicht auf der Besprechung am letzten Abend gewesen. Er hatte sich einfach zu verwirrt und entkräftet gefühlt, um der emotionslos geführten Debatte über die Handhabung seines Bruders beizuwohnen. Was hatten sie ihm jetzt angetan? Welche neue Marter war ihnen eingefallen, um seine Zuarbeit zu erwirken?

»Thor!«

Er beschleunigte seinen Schritt, kämpfte sich den Korridor hinunter. Seine nackten Zehen waren bereits wie erfroren. Er trug keine Rüstung, nicht mal richtige Kleidung, nur eine Art lange graue Tunika, wie sie jedem an Bord als Schlafbekleidung zur Verfügung gestellt worden war.

Den Weg zur Arrestebene hätte er inzwischen blind gefunden. Er war ihm so vertraut wie der Weg nach Hause.

Zwei müde aussehende junge Männer in Jacken kamen ihm entgegen. Er passierte sie, ohne innezuhalten. Ignorierte ihre fragenden Blicke.

»Thor!«

»Ja …«

Seine Stimme klang wie das Krächzen der beiden Raben, der Späher seines Vaters. Grimmig ging er weiter. Fand die Tür zu den Verliesen verriegelt. Versuchte, sie gewaltsam aufzuschieben – und schaffte es nur mit großer Mühe.

Sein Mangel an Kraft hätte ihn überraschen müssen. Doch in diesem Moment war in seinem Bewusstsein kein Raum für Verwunderung. Selbst die Furcht vor dem, was er vielleicht sehen würde, hielt ihn nicht zurück.

»Thor!«

Hastig atmend trat er ein.

Wie immer stiegen Wolken aus Nebel vor seinem Gesicht auf. Die eisige Luft erschlug ihn beinahe.

Loki lag reglos auf seiner Pritsche. Die Decke hatte er über sich gezogen. Er hatte dem Zugang den Rücken gekehrt, nur sein dunkler, strähniger Scheitel und die Spitzen seiner Schuhe waren im klammen, flimmernden Licht zu sehen.

In diesem Moment fiel Thor auf, dass die Rufe hätten lauter werden müssen. Es war nicht möglich, dass sie sich kein bisschen verändert hatten, während er sich ihrer vermeintlichen Quelle näherte.

Eine Sinnestäuschung.

Aber wie war das möglich? Loki schlief. Und schlafend konnte er nicht wirken.

Frierend füllte Thor seine Lungen mit der schrecklich kalten Luft und trat barfuß an die Zelle heran. Seine Finger wollten ihm kaum gehorchen, als er sie um die entriegelte Tür schloss. Kein Blut floss in die gefühllosen Muskeln, und er brauchte mehrere Anläufe, um sich Zugang zu verschaffen.

Innen waren die Glaswände mit feinem Frost bedeckt. Eisblumen rankten dort, wo der Rahmen das Glas einfasste. Jede noch so kleine Menge Feuchtigkeit schlug sich nieder.

Thor sah zum Kopfende der Pritsche, wo der Wasserspender eingelassen war. Er sah genauso aus wie der in seinem eigenen Quartier, eine kleine Schale, die sich automatisch füllte, wenn Druck auf ihren Grund ausgeübt wurde. Wie eine Pferdetränke. Nun hing an ihr ein harter, klarer Tropfen. Lokis Trinkwasser war gefroren. Thor fragte sich, wie groß der Anteil des Liebestranks darin mittlerweile war. Ohne darüber nachzudenken trat er zu seinem Bruder und umfasste dessen schlaffe Gestalt mit den Armen, um sie aufzurichten und sich neben ihn zu setzen. Auf der Pritsche kauernd zog er die Beine an und schlang die Decke um sie beide.

Loki sank widerstandslos gegen ihn. Sein Haar war voller Raureif, eine feine weiße Kristallschicht hüllte die Spitzen ein. Unter der farblosen Gesichtshaut schimmerten bläuliche Adern wie feine Fäden.

Es dauerte nur Sekunden, bis Thor zu zittern anfing. Die graue Decke war ein ärmlicher Schutz gegen die alles durchdringende Kälte. Von Lokis Körper ging keine Wärme aus. Er brauchte sie nicht. Er war in einer solch harschen Welt geboren. Sein falscher Bruder.

Thor schloss die Augen und rang mit dem unkontrollierten Schlottern, das seinen ganzen Körper einzunehmen drohte. Fast konnte er das Zähneklappern nicht mehr unterdrücken. Wo der Dampf seines Atems seine Augen berührte, hingen Perlen aus Eis in den Wimpern.

Lokis Kopf an seiner Schulter regte sich. Mit einem zärtlichen blauen Lächeln sah er zu Thor auf.

»Friert dich, Bruder?«

»Nnnn … nein.«

»Oh, dir ist also warm?« Loki quittierte die furchtbar schlechte Lüge mit einem nachsichtigen Lächeln.

Thor schnaufte. Er wusste nicht, warum er hier war, warum er sich dieser Kälte aussetzte. Er wollte von hier fort. »Ich k-kannnn … nnicht bei d-dir bleiben.«

»Du kannst nicht gehen«, sagte Loki ruhig und legte den Kopf wieder an seine Schulter. »Ich war zu lange allein. Ich habe Angst, allein zu sein, Thor. Auf mich selbst zurückzufallen … ist unerträglich für mich.«

Thors Gedanken wurden müde. Während sein Leib noch immer heftig gegen die Kälte kämpfte, schwamm sein Geist langsam in die Ferne davon.

»Warum … Loki … Warum t-tust du … mir das an? All das …« Seine Zunge wurde lahm.

»Das weißt du genau«, entgegnete Loki mit einem Anflug von Zorn in der Stimme. »All die Jahre, in denen ich hinter dir zurückstehen musste. Jede Möglichkeit hast du ergriffen, um vor Vaters Augen in einem besseren Licht dazustehen. Auch zu meinem Nachteil. Ohne Rücksicht. Du hast mich nur dann geliebt, wenn ich dir nicht im Weg war. Dann hast du mit mir geteilt, dich mir großmütig zugewandt. Vorgegeben, dich um mich zu sorgen. Mir einen Teil deines Ruhmes abzugeben. Der rührende große Bruder.« Dunkler Neid troff nun aus seiner Stimme. »Falsche Bescheidenheit. Hinterhältigkeit. Sobald auch mir Aufmerksamkeit zuteil wurde, hast du mich auf meinen Platz verwiesen. Hartherzig. Du hast auch meinen Verdienst an dich gerafft, wenn es deinem Ansehen zuträglich war. Alle liebten den mächtigen Thor. Den großen Thronerben. Es gab nichts, das du nicht konntest. Alles hast du getan, um den Ruhm zu ernten. Auch dann, wenn ich ihn verdient hatte. Aber wer hörte auf mich? Nicht einmal Vater. Er sah immer nur dich. Nur dich.« Loki zitterte jetzt ebenfalls. Es war kein Beben vor Kälte, sondern vor Hitze, ein inneres Toben, das nach außen drang wie das schmelzende Magma im Inneren eines Vulkans. In Loki glühte noch Feuer. Das Feuer des Hasses. »Dich loszuwerden war die einzige Möglichkeit. Ich hielt es nicht mehr aus. Die Eifersucht zerfraß mich. Hätte ich dich nicht beseitigt, hätte ich den Verstand verloren.«

In Thors Sichtfeld war alles verwaschen und schemenhaft. Sein Körper zitterte nicht mehr so sehr. Eigentlich kaum noch. Er konnte nicht mehr richtig sehen, hörte Lokis Worte nur noch von fern. Ihr Sinn erreichte sein Bewusstsein nur schleppend.

»Ich … ich wusste nicht …«, begann er lahm. »Ich wollte … es nicht …« Seine Augen glitten in ihren Höhlen ziellos umher. Sein Kinn sank mehr und mehr auf seine Brust.

»Doch, du wusstest«, wisperte Loki. »Und du wolltest.« Wie um seine Worte Lügen zu strafen, drückte er sich enger an Thors erfrierenden Körper, rieb seine eiskalte Wange an der empfindungslos gewordenen seines Bruders.

»Nein …« Thor versuchte, sich zu bewegen. Leben in seine tauben Glieder zu bringen. Träge rollte das Blut durch seinen Leib. Viel zu langsam. Ohne Wärme.

Loki atmete in seine Halsbeuge. Der kalte Hauch eines Jotunen, der das blonde, eisverkrustete Haar bewegte. Dann küsste er sanft die zarte Haut an Thors Nacken. Dort wuchs eine Eisblume auf den feinen Härchen. Loki hob die Lippen dicht unter sein Ohr.

»Ich liebe dich, Bruder«, flüsterte er hinein, und seine Stimme war wie das Klirren von Eis. »Und eines Tages werde ich dich töten.«
 

Der Schlaf fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Schatten glitten vorüber, Stimmen durchflossen die Stille. Thor lag auf Watte. Fühlte sich geborgen. Erfüllt von Ruhe.

Die unsanften Berührungen störten ihn. Er schob sie fort.

Die Stimmen wurden zu laut. Sie schmerzten in seinen Ohren. Er versuchte, nicht auf sie zu hören.

Dann jedoch kam das Feuer.

Brennend hüllte es ihn ein, versengend, verzehrend. Thors Fleisch warf Blasen. Sein Körper bäumte sich auf. Ein markerschütternder Schrei zerriss die Schatten. Es war sein eigener.

»Ruhig, Thor, ruhig!«

Hände packten ihn, fixierten ihn. Er zerrte wild an ihnen. Schrie und kämpfte.

»Thor, hör zu!«

»Es verbrennt mich!«, heulte er und erkannte seine Stimme kaum wieder.

Licht drang in seine Augen, und die Hände, die ihn festhielten, wurden noch mehr. Mit Tausenden und Abertausenden von Nadeln stach das Feuer auf seine Haut ein. Er krümmte sich unter Qualen.

»Thor, das Wasser ist nur lauwarm!«

»Sieht nicht so aus, als ob ihn das interessiert.«

»Halten Sie die Klappe und nehmen Sie seine Beine, bevor er noch aus der Wanne springt!«

»Verdammt, Steve, haben Sie eigentlich gar keinen Humor?«

»Nicht in solchen Situation, Herrgott noch mal!«

Thor wand sich und stieß ein langgezogenes Stöhnen aus. Noch immer schlug und trat er um sich, doch seine Bewegungen wurden von den vielen, vielen Peinigern gehemmt. Zwanzig oder dreißig von ihnen rangen mit ihm, ließen nicht zu, dass er aus der sengenden Hitze entkam.

Nur langsam klärte sich sein Blick. Er sah einen gekachelten Raum. Das Licht kam aus einer surrenden Lampe, die auf einem Sockel ruhte.

»Es ist nur lauwarm, hörst du?«, insistierte die Frauenstimme dicht über ihm. »Du verbrennst nicht! Es ist gerade so warm wie meine Hand!«

»Naja, wärmer kriegen wir’s auch nicht«, murrte der Mann auf der anderen Seite.

Thor kannte die Stimmen. Er kämpfte darum, wieder an die Oberfläche zu dringen, die Schatten zu vertreiben. Es ging quälend langsam. Schnaubend ertrug er das kochend heiße Wasser auf seiner Haut. Lange würde er diese Schmerzen nicht mehr aushalten, das wusste er.

»Er beruhigt sich ein bisschen, oder?«

»Na, hoffentlich. Noch so ein Ruck und er kugelt mir beide Schultern aus. Gott, hat der Kerl einen Bums!«

Thor begann wieder zu zittern. Ohne dass er etwas dagegen tun konnte, brach sein ganzer Körper in unkontrolliertes Schütteln aus.

»Na endlich, er wird warm. Festhalten, Jungs und Mädels! Ist gleich durchgestanden.«

Eine Hand, die eben noch fest ihre Fingernägel in das Fleisch seiner Schulter gegraben hatte, löste sich und begann stattdessen, seine Schläfe zu streicheln. Unwillig bog er den Kopf beiseite. Wasser rieselte ihm in die Augen.

»Okay, okay, raus mit ihm. Handtuch. Und Decke! Oder besser zwei.«

Ein Choral einatmender Stimmen brandete um ihn herum auf. Die Griffe wurden fester. Dann rief jemand: »Eins – zwei – drei!«

Stöhnend wuchteten die vielen Menschen Thors widerstrebenden Körper aus dem Wasser und über den Rand des großen Metallgefäßes, in dem er gelegen hatte. Er kam auf etwas Weichem zu liegen, und jemand breitete ein riesiges Tuch über ihm aus. Viele Hände rieben ihm den Bauch und den Rücken, massierten seine Gliedmaßen.

Blinzelnd öffnete Thor die Augen. Und diesmal sah er mehr.

Undeutlich schwammen die Gesichter seiner Gefährten heran. Romanoff, Rogers und Stark knieten direkt über ihm; weitere, ihm unbekannte Helfer umringten sie. Sämtliche Hände kneteten an ihm herum.

»Was …«, brachte er mühsam hervor, »… ist passiert?« Das Zittern war noch lange nicht verebbt, doch allmählich wurde er Herr darüber. Als auch noch mehrere weiche Decken auf ihn gelegt wurden, spürte er, wie die Wärme auch in die entlegensten Winkel seines Körpers zurückkehrte.

»Was passiert ist, solltest du uns lieber sagen, Großer.« Tony Stark, der neben seinem Kopf kniete, sah streng auf ihn herab. »Was hast du dir dabei gedacht, nur mit einem Nachthemdchen in diese Tiefkühltruhe zu klettern? Du wärst fast erfroren!«

Thor war verwirrt. Seine Gedanken bewegten sich noch nicht so schnell wie üblich. »Wie … habt ihr … mich hierher …?« In seiner blassen Erinnerung war er bei Loki gewesen. Im Inneren der Glaszelle. Waren sie dort hineingegangen?

»Wir haben dich getragen«, antwortete ihm Natasha Romanoff und trocknete ihm fürsorglich das Haar mit einem kleineren Tuch. »Tony hat zufällig Loki beobachtet und gesehen, dass du bei ihm warst. Bevor wir kommen konnten, hast du es geschafft, dich von ihm loszumachen. Du hast seine Zelle hinter dir geschlossen und bist unmittelbar danach unterkühlt zusammengebrochen.«

»Wirklich?« Thor spürte das Stechen von Scham in seinen Eingeweiden. Unbehaglich sah er beiseite, blickte auf die kahle Wand. »Ich habe mich schändlich verhalten. Es tut mir Leid. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«

»Du schuldest niemandem eine Entschuldigung«, beruhigte ihn Steve Rogers. »Wir wissen, was mit dir los ist. Loki manipuliert dich. Uns alle. Aber er merkt es nicht, weil das Neuroleptikum ihm den Zugriff auf sein Unterbewusstsein blockiert. Das Zepter strömt Energie aus, die nach und nach das ganze Schiff lahm legt und uns in den Wahnsinn treibt. Egal wie gut wir es abschotten, wir können dem Einfluss nicht entkommen. Nicht hier an Bord.«

Thor nahm diese Kunde mit Staunen auf. An das Chitauri-Zepter hatte er gar nicht mehr gedacht. Er schluckte; seine Kehle war trocken. »Wie hat Loki reagiert, als … ich …?«

»Oh, er hat gebrüllt«, erzählte Stark ihm mitleidslos. »Sehr lange und sehr laut. Immer wieder deinen Namen. Und er hat sich gegen die Scheibe geworfen wie ein Irrer. Wir haben ihn zwei Decks drüber noch gehört. Der ist reif für die Gummizelle, wenn das hier vorbei ist.«

»Für was?«, fragte Thor schwach.

»Oh … so ein gepolsterter Raum für … Spinner.«

Mit einem tiefen Seufzen richtete Thor seinen Oberkörper auf. Die raue Decke kratzte auf seiner Haut. Erst jetzt nahm er zur Kenntnis, dass er unter ihr völlig nackt war.

»Ich trage keine Kleidung«, stellte er fest.

»Naja. Nein. Wäre dein Hemd nass geworden, hätten wir es bis heute Abend nicht wieder trocken gekriegt. Unser Boot wird langsam aber sicher zum Kühlschrank. Wir haben dir was Wärmeres zum Anziehen mitgebracht.« Stark wies auf ein Bündel Kleidung, das auf einem Stuhl neben der Wanne ruhte. Zuoberst lag eine gefütterte Jacke.

»Das Fell eines Bergschafes würde gute Dienste tun.«

»Das glaube ich dir. Leider sind Bergschafe hier an Bord nicht allzu häufig.« Stark tätschelte ihm die Schulter und erhob sich dann in den Stand.

Rogers und Romanoff taten es ihm gleich, ebenso wie viele der anderen Helfer.

»Es wird Zeit«, sagte Rogers. »Wir müssten längst auf der Besprechung sein. Agent Taps erwartet uns.«

»Agent Taps kann mich mal«, gab Stark unbeeindruckt zurück. »Nick wird ihn schon hinhalten. Wir bringen Thor jetzt in sein Quartier und machen ihm ’nen heißen Tee, solange wir noch Wasser kochen können.«

Damit waren alle anderen sofort zufrieden. Thor fragte nicht, weshalb. Am Vortrag musste mehr passiert sein, als er sich vorstellen konnte.

Seine drei Gefährten begleiteten ihn den Gang hinunter, nachdem sie die anderen Menschen dankend weggeschickt hatten. In der warmen Jacke und mit einem Schal um den Hals fühlte Thor sich bereits wesentlich besser, wenn er auch noch reichlich schwach auf den Beinen war. Fast so tief in den Knochen wie die unerbittliche Kälte saßen ihm Lokis Anschuldigungen. Waren sie ein Produkt seiner Phantasie gewesen, hervorgerufen durch die Wirkung der Medizin, oder hatte er ihre brüderliche Beziehung wirklich als so demütigend empfunden? Etwas in der Art hatte Thor bei Lokis erstem Verrat zwar schon vermutet, doch erklärt hatte sein Bruder sich ihm bis heute nicht, und er hatte geglaubt, irgendein Erlebnis habe Lokis Vertrauen zu ihm erschüttert und sei in seinem Kopf gewuchert wie ein Geschwür. Die Aufdeckung seiner Herkunft war es jedenfalls nicht, denn davon hatte Thor selbst erst viel später erfahren. Also war er von irgendeinem harmlosen Konflikt ausgegangen, irgendeiner ihrer vielen rivalitätsbedingten Auseinandersetzungen, aus der Loki im Nachhinein mehr gemacht hatte, als wirklich gewesen war. Jetzt zu hören, dass der Jüngere ihn schon seit Langem gehasst und seine Zuneigung stets nur geheuchelt hatte, stieß ihm bitter auf.

Mehr als bitter sogar.
 

»Das hat aber sehr lange gedauert«, merkte Taps mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Hat Ihr Halbgott aus dem Weltall sich so sehr geziert?«

»Er war massiv unterkühlt«, meldete Romanoff, ihre Empörung unterdrückend. Arg verspätet waren sie nun alle versammelt, aber Thor hatten sie in weiser Voraussicht in seinem Quartier mit Tee und einer Heizdecke zurückgelassen. »Es kann nicht in Ihrem Sinne sein, wenn Ihr … Subjekt … seine Vertrauensperson verliert.«

Der triefäugige Agent war unbeeindruckt. »Ich hätte ihm genug Kraft zugetraut, diesen Zwischenfall besser zu tolerieren.«

»Oh, Kraft hat er!«, versicherte Stark. »Wir haben zwanzig Mann gebraucht, um ihn in der Wanne zu halten. Schade, dass Sie nicht dabei waren, aber Sie hatten ja Wichtigeres zu tun, hm?«

»Nun. In der Tat.« Taps faltete die Hände und warf Fury neben sich einen kurzen Blick zu. »Der Direktor und ich haben uns darüber beraten, wie man der prekären Situation, in der wir uns befinden, Herr werden könn–«

Fury, sichtlich enerviert, unterbrach ihn kurzerhand. »Damit das klar ist«, schnarrte er, »unsere Alternativen sind begrenzt. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir New York in einem Stück erreichen können, aber dass wir hier bei einer Beleuchtung, die diese Bezeichnung nicht verdient, in Wintermänteln sitzen, ist mehr als bedenklich.« Er ließ seinen einäugigen Blick durch den dünn erhellten Saal schweifen. »Unsere Reihen haben sich gelichtet. Dr. Banner wird den Rest der Reise unter Sedativa zubringen – womit es für ihn zumindest deutlich angenehmer werden dürfte als für uns.«

»Wenigstens einer, der noch Spaß hat«, murmelte Stark. Er hatte, fand Romanoff, in den letzten Tagen einen großen Teil seiner Schlagfertigkeit und seines Optimismus’ eingebüßt.

Wie wir alle, dachte sie müde.

»Der Nationale Sicherheitsrat ist vom Verlauf des Projekts auch nicht eben begeistert. Ich kann es nun nicht mehr ablehnen, das Ziehen der Notbremse in Erwägung zu ziehen. Loki scheint durch die Therapie emotional so instabil zu sein, dass er uns alle in große Gefahr bringt. Die Ultima Ratio wäre, das Medikament abzusetzen und ihn in denselben Zustand zu versetzen wie Dr. Banner, bis wir den Tesserakt und unsere Vermissten sichergestellt haben.«

»Nein!«, rief Taps sofort aus, und sein lauter Zwischenruf ließ alle am Tisch zusammenzucken. »Ausgeschlossen, das hatte ich doch schon dargelegt! Warum machen Sie alle sich in die Hosen wegen einer kleinen depressiven Verstimmung? Wir beobachten hier etwas völlig Neuartiges! Und er –« Fahrig wies er auf Thors leeren Stuhl. »– muss aufhören zu jammern und sich zusammenreißen! Wir haben eine kritische Phase erreicht, viel schneller, als wir dachten! Das Subjekt wendet sich ihm zu, und er muss es an sich binden, so fest wie nur möglich! Es verführen! Sie verstehen hier doch alle nichts davon!«

Romanoff schluckte gegen ihren Ärger an; diesen anmaßenden Tonfall würde Fury sich nicht gefallen lassen, so viel stand fest – und tatsächlich bewegte sich wieder einmal seine Augenbraue kritisch in die Höhe, ehe er gefährlich leise sagte:

»Agent Taps, wenn Sie nicht auf der Stelle den Mund halten, lasse ich Sie zu Ihrem Subjekt in die Zelle sperren.«

Jemand am Tisch kicherte. Unschwer zu erraten, wer.

»Ich –«, setzte Taps an, doch wieder fiel der Direktor ihm ins Wort.

»Sie haben hier nicht das letzte Wort, was das Projekt betrifft. Wenn das Leben meiner Leute gefährdet ist, geht mir Ihre Wissenschaft am Arsch vorbei.«

Endlich mal klare Worte. Unerwartet direkt, aber mehr als überfällig. Sogar Rogers’ Mundwinkel zuckten in Schadenfreude.

»Wie lange also, bis wir Loki über Bord werfen?«, fragte Stark lächelnd. »Können wir schon einen Countdown starten? Wird’s Drinks geben?«

»Immer langsam«, gab Fury behäbig zurück. »Ich behalte mir vor, diese Maßnahme zu ergreifen, aber vorerst wird sich an unserem Plan nichts ändern. Zumal wir nicht einmal wissen, ob es etwas nützen würde, Loki ruhig zu stellen. Das Zepter jedenfalls können wir nicht einfach über Bord werfen. In einer Beziehung hat Agent Taps leider Recht: Wir sind immer noch vor allem auf Thor angewiesen.«

»Thor empfindet dieses Experiment als tief verstörend«, wandte Rogers behutsam ein. »Und ich kann ihn verstehen. Wir alle haben gehofft, dass er Loki unter Kontrolle haben würde, aber das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Immer noch.«

»Das wird sich zeigen«, sagte Fury seufzend. »Ich bitte Sie, Thor gut im Auge zu behalten. Seien Sie versichert, dass wir diese letzten Stunden überstehen – ob wir nun abbrechen müssen oder nicht. Ich werde nicht riskieren, dass jemandem an Bord etwas zustößt.« Er lehnte sich zurück und machte eine lockere Handbewegung. »Danke, Gentlemen, Sie sind fürs Erste entlassen.«
 

Steve Rogers folgte Stark, der im Gehen augenfällig frustriert auf seinem Handcomputer herumtippte. Das Display blieb schwarz, so viel konnte er über die Schulter des anderen Mannes hinweg erkennen.

»Versagt Ihre Technik jetzt etwa auch schon?«

Stark schien ihn erst jetzt zu bemerken, bedachte ihn aber nur mit einem knappen Blick. »Nein«, sagte er abwesend, »Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich auf diesem Geisterschiff Probleme kriege … Nein, was hier versagt, sind die Überwachungskameras. Leider.«

Rogers verstand. »Sie können Loki nicht mehr beobachten.«

»Sagen Sie jetzt nicht, Sie hätten es nicht auch spannend gefunden. Endlich mal eine nicht gefakte Reality-Show.«

»Als wäre da viel zu sehen gewesen.«

»Och, schon allein ihn in einem Glaskasten zu sehen hat meine sadistische Ader gekitzelt.«

Rogers seufzte. »Kann ich Sie was fragen, Tony?«

»Oh, sicher, bitte, fragen Sie mich. Wenn es nicht gerade um die Namen aller Frauen in meinen Betten geht.«

»Wieso der Plural?«

»Bei ›Frauen‹?«

»Nein, bei ›Betten‹.«

»Wie, Sie haben nur eins?«

»Tony …« Rogers trat näher an ihn heran, unruhig im leeren Gang um sich blickend, als könnte sie jemand belauschen. »… Sagen Sie … Hören Sie auch … Stimmen?«

Starks Augenbrauen schossen in die Höhe. Daran, dass er nicht sofort einen sarkastischen Kommentar beispielte, erkannte der Captain, dass er ihn kalt erwischt hatte.

»Sie meinen … hier an Bord?«

»Jap, hier an Bord«, nickte Rogers.

»Na jaah, dazu muss man sagen … schlechtes Licht, Schlafmangel, Infraschall … und wer weiß, was für Konservierungsstoffe hier im Essen sind …«

»Ja oder nein, Tony?« Rogers sah ihn fest an.

»Also … ein bisschen vielleicht.« Starks Blick ging an ihm vorbei. »Nennen wir es mal … Flüstern. So was wie tote Menschen höre ich nicht, keine Nachrichten aus der Twilight Zone. Einfach nur … Flüstern.«

»Unverständlich, nehme ich an.«

Stark zögerte. »Manchmal denke ich, ich verstehe was. Aber dann ist es, als ob der Sinn nicht in meiner Großhirnrinde ankommt.«

»Finden Sie … es auch unheimlich?«, fragte Rogers und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme bange klang. Nicht wie die eines Supersoldaten.

Stark dachte darüber nach. »Ähm … nicht wirklich. Wissen Sie, ich weiß schließlich, was bei Halluzinationen im Kopf passiert und dass das Zepter Schuld daran ist. Ich komm damit klar.« Dann musterte er Rogers mit einem Anflug von Spott. »Wenn Sie also denken, Sie könnten heute bei mir schlafen, vergessen Sie’s.«

Rogers musste grinsen. »Nehmen Sie mir die Frage nicht übel.«

»Nein. Ich glaube, es geht uns hier allen gleich mies.«

»Meinen Sie?« Er selbst bezweifelte das. »Bei Agent Taps sieht es nicht danach aus.«

»Pah. Taps. Taps ist Doktor Frankenstein im Armani-Anzug. Den könnten wir zu Loki ins Einweckglas stecken und es wären immer noch einhundert Prozent eingeweckter Wahnsinn.«

»Halten Sie an Ihrem Plan fest?«

»An welchem? Den Partykönig rauszuschmeißen?«

»Nicht so laut.« Rogers sah sich unsicher um, doch Stark machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Die Überwachungstechnik ist doch sowieso ausgefallen. Ja, ich hab das immer noch vor, auch wenn’s mir genauso wenig gefällt wie Ihnen, Fury in den Rücken zu fallen. Seine Autoritätsmasche gefällt mir zwar manchmal nicht …«

»Und Natasha?«, bohrte Rogers weiter. »Sie ist loyal.«

Stark zuckte die Achseln. »Immerhin einer. Vermutlich hat Sie Fury schon bescheid gesagt. Er wird uns nicht aus den – Pardon, aus dem Auge lassen.«

Rogers lächelte freudlos. »Seien Sie vorsichtig bei Ihrem Komplott.«

»Aber ja.« Stark lächelte und sah auf seine teure Uhr. »Ah! Vor dem Komplott gibt’s erst mal Kompott. Mittagessen. Kommen Sie mit?«
 

Als Natasha Romanoff zu Thor kam und ihn darum bat, ihnen beim Essen Gesellschaft zu leisten, hätte er sie am liebsten weggeschickt, doch sie ließ nicht locker.

»Komm schon«, ermunterte sie ihn lächelnd und zog an seinem Arm, bis er sich endlich schwerfällig von seinem Bett erhob. Er wusste, sie war eine Meisterin darin, sich zu verstellen; sie brauchte keine Illusionen wie Loki. Sicherlich war ihr Optimismus, ihre Munterkeit auch jetzt nur aufgesetzt. Keines der Gefühle, an denen sie ihn teilhaben ließ, war wirklich.

»Mit den warmen Mahlzeiten ist es leider vorbei«, teilte sie ihm mit, als er ihr über die Flure folgte. »Wir können nicht mehr kochen.«

»In meiner Welt kochen wir wenig«, sagte er teilnahmslos. Er sprach nur, um nicht der Stille ausgesetzt zu sein. »Wir bevorzugen hartes Brot, festen Käse, gebeizten Fisch mit Kräutern …« Er blieb stehen. Seine Füße hielten einfach an, während die Frau noch ein paar Schritte weiterging, ehe sie irritiert stehen blieb und sich nach ihm umsah.

»Was ist?«

»Er …« Thors Mund war plötzlich trocken wie Dünensand. »… Er ruft mich.« Und bevor er darüber nachdenken konnte, machte er Kehrt.

»Thor!«

Romanoff sprang ihm nach, umfasste seinen Arm. Er stieß sie von sich.

»Du kannst nicht helfen. Ich muss zu ihm. Diesmal wird mich eure Kleidung vor der Kälte schützen.«

»Aber …!«, protestierte sie.

»Mir wird nichts geschehen.« Ein weiteres Mal drehte er sich nicht nach ihr um. Er hörte, wie ihre Schritte abrupt endeten, kurz innehielten und sich dann in die andere Richtung entfernten.
 

»Ich werde nicht dein zahmes Bilgenschwein sein, das dir auf deinen Befehl Pilze aus dem Schlamm gräbt!«, fuhr Thor seinen Bruder durch die beschlagene Scheibe hindurch an. Seine Finger glitten sinnlos über das Glas, brachten mit ihrer Hitze die feine Eisschicht zum Schmelzen.

Loki stierte ihn feindselig an. »Wovon sprichst du überhaupt?«

»Wie kannst du das fragen? Du dringst in meine Gedanken ein!«, polterte Thor in Rage. »Du schlingst unsichtbare Fesseln um mich, wann immer dir danach ist! Du glaubst, du kannst mich beherrschen!« Er schlug gegen die Scheibe. »Das kannst du nicht!« Hastig atmend und mit bebenden Schultern stand er vor dem durchscheinenden Gefängnis. Nein, er wollte sich jetzt nicht beruhigen. All das hier wurde ihm zu viel.

Loki hatte keine Regung getan. Ohne auch nur die geringste Spur des Unbehagens war er mitten in der Zelle stehen geblieben; nun kam er mit zwei langen Schritten auf Thor zu.

»Es ist genau andersherum, du Einfaltspinsel«, gab er trocken zurück. »Ihr glaubt, ihr könntet mich beherrschen. Und darum habt ihr dafür gesorgt, dass nicht einmal ich mich noch beherrschen kann.« Diesmal lächelte er nicht. Seine Züge boten ein Bild mühsam unterdrückter Wut. »Ich kann nicht auf dich einwirken, auf keinen von euch! Ich kann nicht einmal mehr nachdenken! Nicht planen … nicht einmal träumen kann ich … Nein, Thor, wenn ihr nicht wisst, was ich als nächstes tun werde, dann weiß es niemand!«

Thor starrte ihn an. Sein Zorn wich mehr und mehr Verblüffung. »Was meinst du damit?«

Loki hob eine Hand und öffnete sie zur Scheibe hin. Die blauen Finger zitterten unkontrolliert. »Siehst du das?«, zischte er. »Sieh dir das an! Ich – ich habe keine Kontrolle über mich! Nicht über meine Gedanken … und bald auch nicht mehr über meinen Körper!« Tröpfchen seines Geifers spritzten gegen das Glas und gefroren dort sofort. »Ihr habt meinen Geist vergiftet …«, würgte er, »meinen Verstand … in Ketten gelegt … Ich bin nur noch ein Schatten, Thor … Ich bin … leer …« Langsam ließ er die Hand sinken und trat zurück. Seine Gestalt verschwamm hinter der hauchdünnen Wand aus Feuchtigkeit. »Wenn ich dein Bruder bin, Thor … Dann beende es.«

Es klang nicht wie ein Flehen.

Sondern wie eine Drohung.

Thor sah ihn an. Lange. Und wortlos. Sah zu, wie Loki sich zuletzt wieder auf seine Pritsche setzte und mit gesenktem Kopf die Decke um sich schlug. Obgleich er sie nicht brauchte. Er selbst war kälter als der ganze Raum.

»Wenn ihr mich weiterhin vergiftet«, ließ Loki ihn schließlich wissen, »werde nicht nur ich am Ende dieser Reise tot sein.«

Thor wandte sich ab. Das war mehr gewesen, als er hatte hören wollen. Längst spürte er, wie die Kälte sich einen Weg durch seine warme Kleidung bahnte.

Als er sich zu gehen anschickte, sprang Loki wieder auf. Zornig rief er: »Bleib hier!«

»Warum?«, fragte Thor resigniert und sah über die Schulter. »Du kannst nicht meinen, was du sagst, wenn du mich um dich haben willst. Ich weiß, dass es nur der Trank ist, der deine Gefühle verwirrt.«

»Ich habe keine Gefühle!«, fuhr Loki ihn an. »Ich ertrage nur das Wissen nicht, dass Sie …! Dass auch du …! Dass sie dir …!« Unverhofft schien er die Worte zu verlieren, bleckte in wilder Verzweiflung die Zähne. So außer sich hatte Thor ihn selten gesehen, und es erschreckte ihn. »Bleib bei mir, Thor, nicht bei ihnen

»Du bist irrsinnig, Bruder. Deine Gedanken sind abstrus.« Die unguten Gefühle, die in dem Asen aufstiegen, drohten unerträglich zu werden. »Ich komme wieder, wenn du ruhiger bist.«

»Nein!«, grollte Loki, doch es änderte nichts daran, dass Thor seinen Weg zum Ausgang fortsetzte. »Nein, komm zurück!«

Ein weiterer Tobsuchtanfall drohte. Thor blieb eisern. Es hatte keinen Sinn zu versuchen, weiter auf Loki einzuwirken. Schon öffnete er die Tür, die ihn aus dieser kalten Welt hinausführen würde.

»Komm zurück!«, schrie Loki ihm nach. Es klang, als fiele etwas Schweres donnernd gegen die Scheibe. »Du Narr! Komm zurück

Die Tür fiel zu. Der Schrei verebbte.

Thor ging schneller. Seine Füße trugen ihn nun wieder sicher und zuverlässig.

Inmitten dieses Wahnsinns musste er seine geistige Gesundheit hüten wie einen Schatz.

Sonst würde Lokis Drohung wahr werden.

Das wusste er.
 

Wenig später saß er mit seinen vier Gefährten im Labor. Die Mittagsmahlzeit war unerquicklich ausgefallen, und er bedauerte nicht, daran nicht teilgenommen zu haben.

Da Thor wusste, dass Lokis Zelle nicht mehr über das kleine sehende Auge beobachtet werden konnte, hatte er sich verpflichtet gefühlt, für Romanoff, Stark und Rogers noch einmal alles zu wiederholen, was sich zugetragen hatte. Es war nicht viel gewesen, doch es beunruhigte die anderen in demselben Maße wie ihn.

»Er ist richtig süchtig geworden, was deine Nähe betrifft«, sagte Stark.

»Es ist, als ob er versucht, mir etwas zu sagen.« Thor stützte das Kinn auf die Faust und legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Ich verstehe ihn nicht.«

»Weil er selbst nicht weiß, was in ihm vorgeht«, folgerte Romanoff, wie üblich vernünftig und sachlich. »Mag sein, dass Lokis Verhalten und das, was er sagt, dich ängstigt, aber es darf dich nicht zu sehr beeindrucken. Das chemische Gleichgewicht in seinem Gehirn ist gestört, die Aktivität der Nerven verändert. Bei Patienten unter Risperidon sind tagsüber Hirnareale hochaktiv, die eigentlich verstärkt im Schlaf arbeiten. Was er denkt, sagt und tut, sind momentan drei ganz verschiedene Dinge.« Ihr Ton wurde bitter: »Und dass er seine Handlungen nicht im Griff hat, zeigt die verheerende Wirkung des Zepters nur zu gut.«

Nervös blickten sie alle zu der Liege an der Wand hinüber, wo unter einer weißen Decke Bruce Banner auf dem Rücken lag und abwesend vor sich hin blinzelte.

»Hört er uns zu?«, fragte Thor vorsichtig.

»Nö, glaub nicht«, erwiderte Stark. »Der ist in ’nem ganz anderen Film. Hill ist kein Risiko eingegangen.«

»Wenn wir nicht alle so enden wollen, sollten wir die Finger von Loki lassen«, sagte Rogers düster. »Thor, warum weigerst du dich nicht einfach, deine Arbeit mit ihm fortzusetzen? Das könnte dir Kummer ersparen.«

»Es würde nichts an der Wirkung des Speers ändern«, gab Thor ihm zu bedenken. »Lokis Unterbewusstsein hat sich durch den Speer ein … Ventil geschaffen, um gegen uns zu arbeiten. Und …« Diese unangenehme Wahrheit bedurfte der Aussprache. » … ganz gleich, wie viel des Liebestranks er zu sich nimmt, er … hasst mich noch immer. Ich weiß es. In den Momenten, in denen er mich liebt, versucht er zur gleichen Zeit, mir zu schaden. Er weiß, dass seine … Berührungen … in mir Unbehagen erwecken. Deshalb genießt er sie umso mehr. Je unwohler ich mich fühle, desto mehr … erregt es ihn.« Er ließ den Kopf hängen.

Kurzzeitig gab die Runde sich unangenehm berührtem Schweigen hin. Erst nach Minuten formulierte Rogers umständlich die Frage, die sich vielen von ihnen stellte.

»Von … von was für einer Art von Erregung sprechen wir hier eigentlich?«, wandte er sich vorsichtig an Thor. »Taps hat uns versichert, dass Loki auf eine emotionale Weise an dich gebunden wird. Nicht auf eine …« Er verstummte. Seine Wangen waren plötzlich etwas weniger blass.

»Hemmungen, es beim Namen zu nennen?«, fragte Stark spöttisch.

Thor hob entschieden die Hand, ehe der andere weitersprechen konnte. Das, was Stark da zur Sprache bringen würde, wollte er nicht hören. »Es bereitet ihm Vergnügen, mich leiden zu sehen«, lenkte er ab. »Das ist nicht erst so, seit er den Trank einnimmt. Es ist … eine Folge meines eigenen Verhaltens und dessen meines Vaters. Aber jetzt äußert es sich anders.«

»Nur um das mal zusammenzufassen«, nahm Stark eifrig wieder das Wort. »Du willst damit sagen, dass Loki sich an allem aufgeilt, was dich abstößt?«

Thor sah ihn bestürzt an.

»Also, wenn dir der Arsch auf Grundeis geht, dann geht ihm einer ab?«

»Was …? Ich verstehe nicht …«

Captain Rogers rollte die Augen. »Das war ja wieder mal mehr als taktlos. Sei froh, dass du nichts verstehst, Thor. Ich sage, wir müssen dieses Experiment beenden.«

»Na, genau das sag ich doch auch?«

»Nein, Sie finden es lustig, wie sich alles entwickelt!«

»Schhh!«, fuhr Romanoff dazwischen. Sie schien nicht fassen zu können, dass selbst in einer derart zugespitzten Lage immer noch Raum für Streitigkeiten und barsche Worte war.

Jedoch lenkten beide Männer sofort ein.

»Das Einzige, was ich an dem Experiment lustig finde«, räumte Stark nüchtern ein, »ist – und das geb ich zu –, dass wir Loki einfach mal so richtig verarscht haben. Haben wir doch. Natasha sollte ihn um den Finger wickeln, er hat’s spitz gekriegt, dann lassen wir Thor auf ihn los und – bäm! Stockholm-Syndrom. Die Lage kann sein, wie sie will, aber das Experiment war ein Erfolg. Irgendwie. Die Phase mit dem kuschelnden Opossum, die haben wir doch schon erreicht.«

»Die Frage ist, was kommt danach?«, sagte Rogers bedeutsam. »Wollen Sie Ihre Energie nicht lieber mal dazu verwenden, in Taps’ persönlichem Speicher nach weiteren Aufzeichnungen zu suchen?«

»Was Sie nicht sagen!«, stieß Stark entzückt hervor. »Brillante Idee, Captain! Wenn Sie’s wissen wollen, ich bin schon seit heute Morgen dabei, die Daten runterzuladen. Der Server ist leider inzwischen so ausgebremst, dass es ewig dauert.«

»Können wir irgendwas tun, damit es schneller geht?«, bot ihm Romanoff an.

»Fürchte nein … Wir scheinen kurz vor ’nem Systemcrash zu stehen …« Thor beobachtete fasziniert Starks Finger, die flink über das leuchtende Fenster in seiner Hand huschten. »… Aber was ich schon habe, sind Taps’ Einträge. Scheint penibel Buch zu führen über das Affentheater. Und er überwacht immer noch Lokis Temperatur, die … oh, wow … dem Gefrierpunkt ziemlich nahe ist.« Argwöhnisch richtete er einen schiefen Blick auf Thor. »Ist das normal bei dem?«

»Loki toleriert die Kälte«, sagte Thor steif.

»Du hast mir gesagt, er wäre ein … Eis…dingsbums. Da frag ich mich: Wieso hast du ihn zugedeckt?«

»Hat er?«, fragte Romanoff irritiert.

»Ja, hat er?«, kam es ebenso ungläubig von Rogers.

Stark tippte auf den Bildschirm. »Hab’s genau gesehen.«

Unbehaglich versuchte Thor sich zu erklären: »Dass er die Kälte aushält, heißt nicht, dass er sie mag. Ich habe gehofft, ich könnte ihn … menschlich halten.«

»Indem du ihn warm hältst?«

»Es ist ganz gleich, was ich tue.« Thor schlug die Augen nieder. »Er wird nicht aus eigenem Antrieb Vernunft annehmen. Wenn er zuletzt gehorsam ist, so liegt es daran, dass ihm diese Gefühle aufgezwungen werden. Mittlerweile glaube ich nicht mehr, dass er in diesem Zustand in Asgard willkommen wäre.«

Rogers starrte mit dämmrigem Blick an Thor vorbei auf die Wand. »Erst mal wird sich zeigen, wer das alles hier mit weniger Schaden übersteht: er oder wir. Werden wir beim Stark Tower ankommen oder wird dieses Flugzeug vorher in seine Einzelteile zerfallen sein?«

Über diese Option mochte Thor nicht nachdenken. Noch nicht. Doch eines war sicher: »Je mehr wir ihn quälen, desto mehr wird er uns quälen.«

»Es sei denn, Fury hält Wort und schaltet ihn rechtzeitig aus.« Der Captain wandte sich an Romanoff. »Wie würde das aussehen?«

»Simpel«, antwortete die Spionin. »Die Zelle lässt sich mit Narkosegas fluten. Wir rechnen damit, dass wir eine große Menge davon einsetzen müssen und dass es eine sehr tiefe Bewusstlosigkeit erfordern wird, Lokis Einfluss durch das Zepter zu verringern. An seinen normalen Schlaf- und Wachphasen lässt sich schließlich kein Unterschied in der Wirkung feststellen.«

»Richtig, wir müssten ihn ganz, ganz, ganz tief schlafen legen«, betonte Stark, »so tief, dass die Hirnaktivität fast zum Erliegen kommt.«

»Das ist der Plan«, nickte sie.

»Und was muss noch passieren, damit Fury den Befehl gibt? Warum aufs Spiel setzen, dass wir in einem Stück nach Manhattan kommen?«

Romanoff erwiderte Starks Blick aus ihren großen, dunklen Augen, in denen nie etwas zu lesen war. »Weil er hofft, dass dieses Mittel uns in Zukunft eine große Hilfe im Umgang mit mächtigen Gegnern sein wird. Gegnern von Lokis Kaliber.«

»Und er will’s so genau wissen, dass er eine Katastrophe riskiert?«

»Ja«, war ihre aufrichtige Antwort. »Sie machen sich keine Vorstellung von den Bedrohungen, die von allen Seiten auf die Menschheit starren.«

»Doch, mache ich.«

»Lassen Sie’s gut sein«, forderte ihn Rogers auf. »Wir werden diese Sache gemeinsam aussitzen. Thor?«

Der Angesprochene hob den Kopf. »Ja?«

»Wirst du vor der Abendkonferenz noch mal zu ihm gehen?«

»Wenn ihr euch davon etwas versprecht«, seufzte Thor. »Aber ich glaube nicht, dass er schon morgen tun wird, was ich ihm sage.«

»Lassen wir es auf den Versuch ankommen.«

Thor sah das blasse, aufmunternde Lächeln und versuchte ungeschickt, es zu erwidern.
 

Gegen fünf Uhr nachmittags fiel sämtliche Kommunikation an Bord aus. Exakt wie die bereits zuvor versagende Technik waren nun auch die Ohrstücke nutzlos geworden; keine Art der Energiezufuhr erweckte die Geräte wieder zum Leben.

»Nicht nur ich werde am Ende dieser Reise tot sein.«

Thor wälzte diese Worte im Kopf umher, bis sie dort gediehen wie widerwärtiges Unkraut.

Er hatte versprochen, das Experiment fortzusetzen, und ja – er würde es noch genau einmal versuchen. Wenn Loki jetzt, zur Neige des vierten Tages, immer noch dieses seltsame Gebaren zwischen Zutraulichkeit und Unberechenbarkeit an den Tag legte, würde gewiss auch die letzte Nacht nicht mehr viel daran ändern.

Und diese Nacht fürchtete Thor. Sie würde kalt sein, denn im Laufe des Tages war die Temperatur an Bord stetig gesunken. Außerdem wusste er, dass ihn die wilden, abstoßenden und zugleich seltsam erregenden Träume erneut unentrinnbar heimsuchen würden. Und diesmal würde Loki darin zweifellos eine Rolle spielen.
 

Als er die Arrestebene betrat – jenen fremd gewordenen Teil des fliegenden Schiffes, dessen Wände mit bizarren, kalt glitzernden Eisranken überwuchert waren –, wusste Loki längst, dass er kommen würde. Erwartungsvoll stand er vor der Scheibe, beide Handflächen darauf abgestützt. Thor schauderte, als er sah, wie auf der Oberfläche des Glases die Eiskrusten Lokis blaue Finger eingeschlossen hatten, als wären sie ein Teil seines Körpers. Er musste stundenlang in dieser Position verharrt haben. Als er Thor sah, teilte unverhehlte Freude seine gleichfalls blau gefrorenen Lippen. Seine Augen – dies ließ Thor umso mehr den Frosthauch spüren – hatten nun einen abscheulichen, leuchtend roten Stich.

Er wusste, was das bedeutete. Herausgerissen aus der Welt, in die er nie gehör hatte, begann Lokis Körper sich zu erinnern, was er wirklich war.

»Ich wusste, du besuchst mich wieder.«

»Tritt zurück«, verlangte Thor von ihm.

»Oooh.« Lokis Augen blitzten auf. »Diesmal willst du näher kommen. Wie erfreulich.« Er wich von dem Glas fort. Knisternd lösten seine Hände die zerbrechlichen Fesseln, die sie an die Scheibe hefteten. Feiner Eisstaub rieselte zu Boden.

Thor zwang die gläserne Pforte beiseite, sobald Loki gedankenverloren lächelnd auf seiner Pritsche saß, und füllte ihre Öffnung mit seinem Körper, jederzeit bereit, einen wilden Angriff abzuschmettern, ehe er den Zugang wieder geschlossen hatte.

Keiner der beiden machte eine schnelle Bewegung. Loki blieb entspannt sitzen, und Thor, nun innerhalb des Gefängnisses, zog den Schal aus grober Schurwolle, den Natasha Romanoff ihm gegeben hatte, enger um den Hals.

Der herablassende Blick seines Jotunbruders forderte ihn geradezu dazu auf, in die Offensive zu gehen. Thor war fest entschlossen, seine Abscheu niederzuzwingen und zu tun, was nötig war. Festen Schrittes ging er auf Loki zu – und stoppte auf halbem Wege, als etwas Kleines, Hartes unter seiner Sohle scharf knackste. Noch ehe er den Fuß gehoben hatte, wusste er, was es war. Betroffen nahm er das winzige zerstörte Zauberding in die Hand und hörte, wie Loki auflachte.

»Es hat mich gestört. Mein Ohr wurde schwerhörig«, erklärte er in spöttischem Ton.

Thor ließ den Temperaturfühler fallen. Es spielte ohnehin keine Rolle mehr.

Als er zu dem Feldbett kam, machte Loki ihm sofort Platz, und sobald Thor saß, lehnte der andere sich gegen ihn. Thor zitterte innerlich. Er war dazu angehalten worden, seinem Bruder Körperkontakt aufzuzwingen, doch genau andersherum geschah es.

»Wieso hast du den Kampf aufgegeben?«, fragte er ihn tonlos. »Du sagtest, du könntest mich niemals lieben.«

»Ich habe nicht aufgegeben«, sagte Loki dicht an seinem Ohr, und die Kälte seines Atems bescherte Thor Schüttelfrost. »Ich habe … mich überzeugen lassen.«

Sein Arm schob sich unter Thor Schulterhöhle durch, vergrößerte die Berührungsfläche. Sein Kinn kam auf Thors Oberarm zu liegen. Indes wirkte sein Haar seltsam weiß vom Eis; jede einzelne Strähne war gefroren.

Thor beruhigte sich mit dem Gedanken daran, dass all das hier unter Kontrolle war. Zumindest jetzt noch. Er konnte Loki jederzeit von sich stoßen. Seine Freunde beobachteten ihn durch ihr großes Fenster. Sie würden helfend eingreifen.

»Kehr mit mir zurück nach Hause«, bat er, während er vorsichtig seinen Arm aus Lokis Griff befreite und ihn seinerseits um dessen schmale Schultern legte, ihn sanft an sich ziehend.

»Glaubst du wirklich, ich zöge das in Erwägung?«, gab Loki abfällig zurück. »Mein Leben ist eine einzige Lüge. Ich kann nicht so tun, als wäre alles wie früher zu unserer Kindheit. Wir sind beide nicht mehr, was wir waren. Und ich war niemals das, was du von mir glaubtest. Ich war niemals dein Bruder. Und niemals dein Freund.«

Noch während er diese zurückweisenden Worte aussprach, hatten seine Lippen sich wieder Thors Hals genähert. Er schien den Geruch der Haut zu inhalieren; dann schob er mit kalten Fingern den schützenden Schal beiseite und berührte die weiche Stelle unter dem Kieferknochen, dort, wo warm die Halsschlagader pulsierte, vorsichtig mit der Spitze seiner Zunge.

Thor konnte nicht anders; sobald er die kalte Feuchte spürte, zuckte er zurück und widerstand nur mit größter Beherrschung dem Impuls, sich auf der Stelle zu befreien. Seine Glieder brachen in Zittern aus; ein krampfartiges Schnauben füllte die Luft mit Atemnebel.

Nein. Keine Flucht. Er musste dies zulassen. Kein Weg führte daran vorbei. Es musste sein.

Keuchend und bebend ließ er Loki gewähren. Hielt aus, dass dieser sich an ihn schmiegte und genüsslich in sein Haar atmete.

Es war nicht richtig. Es hätte anders verlaufen sollen.

Und dann schaute er zur Seite, sah seinen Bruder an – und entdeckte einen geheimnisvollen Vorgang, der im spärlichen, flimmernden Licht beinahe unsichtbar war: Dort, wo Lokis eiskalte Haut Thors warme berührte, wich das klamme Blau langsam zurück. Schon hatten Lokis Wangen wieder eine gesunde Farbe – bleich, aber nicht erfroren – und seine Augen, die kaum lange genug aufblickten, um sich eingehend mustern zu lassen, waren wieder klar, ohne jeden roten Schimmer.

Es ist die Wärme, dachte Thor. Sie ist es tatsächlich. Ich hatte Recht.

Aus einem Impuls heraus nahm er Lokis Hände fest in seine und sah zu, wie in die schlanken Finger das Leben zurückkehrte. Genauso, das wusste er inzwischen, hatte es sich zugetragen, als Odin Loki als Neugeborenes gefunden hatte: Die Berührung einer warmen Hand, die Annahme und Zuwendung neuer, sorgender Eltern hatten einen Eisriesen die Gestalt eines der Ihren annehmen lassen. Eine unerklärliche, wundersame Verwandlung.

Mit einem scharfen Atemholen entzog Loki Thor seine Hände und schob sie gierig und völlig unerwartet durch die über der Brust geöffnete Jacke unter die warm haltende Weste und das Hemd darunter. Thor stieß einen erstickten Laut aus, als die noch immer eiskalten Finger sich an seine nackte Haut pressten. Unwillkürlich umklammerte er Lokis Handgelenke, versuchte, sie wieder unter seinem Wärmepanzer hervorzuziehen.

Und musste mit Erschrecken feststellen, dass Loki um ein Vielfaches stärker war als er. Sein Bruder schüttelte ihn mühelos ab. Thors Widerstand ignorierend forderte er hartnäckig die Wärme ein, die ihm so lange verwehrt geblieben war. Seine Hände glitten zu den tieferen, noch heißeren Zonen am unteren Bauch, seine Zunge fuhr über Thors Hals und überzog die feine Haut mit knisternder Kälte. Sein Atem ging immer schneller, tiefer und geräuschvoller. Thor spürte dort, wo seine Hände krampfhaft die von Loki umklammerten, ihrer beider hämmernden Puls.

Zugleich war er so aufgewühlt, dass ihm nicht einmal kalt wurde. In einem Hin und Her aus Fluchtreflex und Kampfinstinkt heizte sich sein Leib auf, wärmte sie beide. Immer noch ertrug er die begierigen, Wärme aufsaugenden Liebkosungen, obwohl seine Gedanken rasten. Wie sollte er sich von Loki befreien, wenn er – …

Und genau in diesem Moment wurde seine Angst davor, Loki könnte zudringlich werden, Wirklichkeit.

Wild drückte sein Bruder die Hand dorthin, wo sie nicht hingehörte, und fixierte Thor mit einem messerscharfen Blick, heftig atmend, die Zähne entblößt.

»Nein, Thor! Du wirst mich nicht noch einmal zurücklassen. Nicht, nachdem du endlich mir gehörst. Mir allein!«

Und mit diesen Worten packte er zu, während er die Zähne bittersüß in Thors Hals grub.
 

Vor dem großen Beobachtungsfenster starrten Rogers, Stark und Romanoff fassungslos auf die Szene nieder, die sich ihren ungläubigen Augen darbot.

Minutenlang schwiegen sie perplex. Ihre Münder standen offen.

Erst viel später brachte Stark als Erster mit heiserer Stimme einen Kommentar hervor.

»Er … geht … ihm mächtig an die Wäsche …«

Rogers bewegte kurz die Lippen, wie um etwas zu erwidern, ließ es aber ratlos bleiben. Er konnte genauso wenig wie die anderen den Blick abwenden.

»Wir müssen … jemanden informieren«, ließ Romanoff mit dünner Stimme verlauten. »Nick … oder Phil …«

»Sie denken genauso wenig an Taps wie ich.« Stark brachte seine Zunge nur mühsam unter vollständige Kontrolle. »Der hat uns versprochen, dass so was nicht passiert. Dumm gelaufen.«

Rogers schüttelte sich in unwillkürlicher Abscheu. »Das ist nicht, was wir sehen wollten«, murmelte er, »das ist völlig … übers Ziel hinausgeschossen!«

Noch immer starrten die drei auf Loki und Thor, eng umschlungen auf der Pritsche kauernd und nicht in gleicher Weise glücklich damit.

Dann ließ Starks Computer, kaum gesichert in der lose gewordenen Hand hängend, ein affirmatives Geräusch ertönen. Wie aus einer Starre erwacht hob sein Besitzer es vor die Augen.

»Oh … Der Download ist endlich fertig.« Zweimal huschte sein Finger über das Display, einmal hin, einmal zurück. »Viel mehr Videomaterial, als wir zu sehen bekommen haben … Mal gucken, ob da was Spannendes bei ist … was, das uns das da erklären kann …« Ihm war anzumerken, dass selbst er, trotz aller Unerschütterlichkeit, noch immer ganz befangen war. Schließlich nahm seine Stimme einen noch alarmierenderen Ton an, sodass auch seine beiden Leidensgenossen sich genötigt sagen, aufzusehen: »Wow, wow, Stopp, nein, das kann nicht dein Ernst sein!«, stieß er aus. Und dann, noch lauter: »Taps, du verlogener Mistkerl!«

Tag 5

Tag 5
 

Am fünften Tag wurde die Besatzung des Helicarriers schleichend paranoid.

Noch vor dem Morgengrauen wurden rätselhafte Sichtungen gemeldet. In unbelebten Korridoren wandelten Schatten im diffusen, zunehmend ausfallenden Licht des Notstroms, flüsterten nicht vorhandene Windbewegungen die Namen der verängstigten Crewmitglieder. Einige sprachen sogar von Schreien. In den frühen Stunden des Tages häuften sich bereits die Nervenzusammenbrüche.

Mit Sedativa war den Halluzinationen beizukommen, doch die Medikation machte die Patienten untauglich für den Dienst an Bord. Diejenigen, die dem Infraschall in der Nähe des Zepters besonders ausgesetzt waren, klagten über unerklärliche Ängste und Attacken heftiger Übelkeit.

Längst waren Ruhe und Schlaf die seltensten aller Güter. Rarer noch als warmes Essen, warme Getränke oder Wärme an sich – denn mittlerweile hatte die Temperatur den Gefrierpunkt unterschritten. Dass der Helicarrier sich bereits im Anflug auf den pompös über Manhattan aufragenden Stark Tower befand, gab bestenfalls einen trügerischen Anlass zur Hoffnung.
 

Geschlafen hatten auch Romanoff, Stark und Rogers nicht. In den Quartieren war es so kalt wie an jedem anderen Ort, und so hatten sie sich, in ihrer Thermokleidung dicht aneinander gedrängt wie Küken im Nest, nicht aus dem Beobachtungsraum entfernt, von dem aus sie Thors Martyrium verfolgten. Der Prinz von Asgard hatte mittlerweile ebenso blaue Lippen wie sein unheimlicher, wahnsinniger Bruder, und sein Blick war glasig, nicht nur vor Müdigkeit, sondern auch, weil Loki alle Wärme aus ihm herauszusaugen schien. Raureif überzog Thors Haar, Bart und Wimpern, seine Schultern waren schlaff. Das Blut auf seinem Nacken, hervorgerufen durch Lokis Liebesbiss, sah aus wie eine gefrorene rote Blüte.

»Wir sollten … nach Phil suchen.« Romanoff kämpfte, an Rogers’ Schulter gelehnt, gegen eine überwältigende Müdigkeit, hervorgerufen durch Übernächtigung und Kälte. Vor allem durch Kälte. »Vielleicht … können wir die beiden betäuben und Thor rausholen.«

»Kein schlechter Plan.« Stark, ihnen gegenüber, rieb sich die Nase, die rot war und damit erkennen ließ, dass sie noch gegen die Erfrierung ankämpfte. »Wobei ich das … immer noch nicht kapiere.« Er schniefte. »Thor ist … zumindest in den Legenden … der stärkste Mann Asgards. Niemand kann seinen Hammer auch nur ’nen Millimeter anheben. Und jetzt hockt er da unten … und kriegt Loki nicht von der Pelle …«

»Vielleicht noch mehr Nebenwirkungen von Taps’ Wundermittel«, sagte Rogers verächtlich. Von ihnen dreien schien er die Kälte noch am besten zu vertragen. »Sie haben die Videoaufzeichnung gesehen, ich würde sagen, die erklärt sehr viel.«

»Die Frage ist, ob unsere Freunde Nick und Phil sie auch gesehen haben.«

»Sicherlich nicht. Ein Grund mehr, warum Sie sie ihnen unbedingt zeigen müssen. Taps hat dieses Experiment unter völlig falschen Voraussetzungen begonnen. Er hätte wissen müssen, dass es aus dem Ruder laufen würde. Sein Verhalten könnte ihn vor ein Kriegsgericht bringen.«

»Sie immer mit Ihrem Krieg.« Stark zog erneut die Nase hoch. »Oh, Mann … Ich krieg Schnupfen … Na toll … Hat mal jemand ein – …«

»Wir befinden uns im Krieg, haben Sie das vergessen?«, unterbrach Romanoff ihn etwas schroff, während sie ihm ein Taschentuch reichte. Es war eins ihrer letzten. »Unser hochtechnisiertes Flugzeug ist nur noch eine Ansammlung schwerster Pannen, für die es keine Erklärung gibt. Lokis Verbündete werden die Erde erreichen, wenn wir den Tesserakt nicht rechtzeitig bergen. Und ich gebe zu …« Ihr Blick wanderte wieder zu dem mit Eisblumen bewachsenen Fenster. »… ich persönlich setze keine Wette mehr darauf.«

Danach war es vorerst wieder still unter ihnen. Die ganze Nacht über hatte wenig Mitteilungsbedürfnis bestanden, und auch jetzt, da sie alle langsam wieder einigermaßen zu sich kamen, waren Konversationen wie diese eher nicht von langer Dauer. Romanoff hatte das Gefühl, dass die Situation alle an Bord lähmte – wie sonst war es zu erklären, dass innerhalb der letzten Stunden, in denen sie allein zu dritt Thor und Loki beobachtet hatten, niemand zu ihnen gekommen war? Sie hatten erwartet, dem Erstbesten, der hier nach dem Rechten sah, Meldung machen zu können, doch kein Aufsichtspersonal hatte sich blicken lassen. Jeder hatte, so schien es, momentan mit sich selbst genug zu tun. Offenbar galt das auch für Fury, Coulson, Hill und sogar Taps.

Minuten später sagte Rogers vorsichtig: »Ob es Dr. Banner gut geht?«

»Warum denn nicht?«, gab Stark lustlos zurück. »Er schläft inmitten von Eis. Genau wie Sie damals.«

»Wir sollten uns lieber Gedanken um Thor machen«, erinnerte Romanoff scharf, nicht bereit, sich ganz der einlullenden Gleichgültigkeit hinzugeben, die die Kälteeinwirkung ihnen überstülpte. »Er ist sehr widerstandsfähig, aber er wird nicht ewig durchhalten.«

»Gibt immer noch ’ne Möglichkeit, ihn und das ganze verfluchte Schiff zu retten«, wandte Stark ein.

Ihre Miene verfinsterte sich. »Sie wissen, was ich davon halte.«

»Haben Sie ja deutlich gesagt.«

»Ich lasse Sie das Experiment nicht sabotieren, Tony, egal wie zuwider es mir ist. Entweder Nick bricht es ab oder niemand.«

»Na fein, dann … suchen wir ihn jetzt. Bringt ja nichts, hier rumzusitzen.« Als Stark aus der Mitte der beiden rückte, um sich schwerfällig zu erheben, fühlten Romanoff und Rogers dort sofort die klamme Kälte und drängten unwillkürlich näher zueinander.

»Warten Sie«, hielt der Captain ihn auf. »In etwas mehr als einer halben Stunde steht die Besprechung an. Dann kann das ganze Team darüber beraten, was zu tun ist.«

Stark schnaubte. »Pah, vergessen Sie’s. Ich geh nicht mehr zu den Konferenzen. Das Experiment ist ’ne reine Farce und ich hab’s satt, das können Sie mir glauben. Ich schnapp mir jetzt Nick und zeig ihm, was Taps für ’n räudiger Hund ist. Sie beide können ja solange weiterkuscheln.«
 

Ächzend schleppte Stark sich den nebulös flackernden, arschkalten Korridor hinunter. Bei den Temperaturen war keine Sau auf dem Schiff unterwegs, wahrscheinlich hockten alle, die nicht mit erfrorenen Fingern und Nasen ihren Dienst auf der Brücke taten, bibbernd in ihren Quartieren und träumten von Saunas und Thermalquellen.

Das war zumindest das, wovon er die ganze Zeit träumte.

Doch anders als die armen, befehlsabhängigen Untertanen S.H.I.E.L.D.s hatte er gesehen, wie machtlos Thor – seines Zeichens Donnergott, und die Betonung lag auf Gott – in diesen klammkalten Stunden gegenüber Loki war, der ihn befingerte und abschleimte und auch sonst alles tat, damit es der andere möglichst unbequem hatte. Ein gewisses Pflichtgefühl, gepaart mit Loyalität gegenüber seinen Leidensgenossen, hielt Stark dazu an, in diesen für Thor unerträglichen Zustand einzugreifen.

Denn mal ehrlich, man packte seinem Bruder nicht an die Eier. Schon gar nicht nur deshalb, um sich an seiner Scham und Abscheu zu erfreuen.

Es war ja nicht so – zumindest glaubte Stark das nicht –, dass Loki Thor tatsächlich sexuell begehrte; seine gefühlsmäßige Hingezogenheit zu ihm wurde verursacht durch stimulative chemische Prozesse, die wiederum durch das potente Neuroleptikum künstlich induziert worden waren. Loki liebte Thor nicht wirklich, er wollte ihn nur um sich haben und mit ihm spielen. Ihm nahe sein und sein widerstrebendes Verhalten amüsant finden.

Kranker Freak.

Schniefend tastete Stark in seiner Hosentasche nach dem Taschentuch. Das Ding war jetzt schon total vollgerotzt. Er hasste Erkältungen. Endlich wusste er auch, wie es Steve Rogers gegangen war, so ganz und gar tiefgefroren wie ein ablaufendes Hähnchenbrustfilet. Kein Wunder, dass der Kerl das hier besser wegsteckte. Viel fehlte nicht mehr und es würde ihnen allen so ergehen wie ihm damals.

Im gleichen Moment gab sein Computer ein schwaches Geräusch von sich. Stark zog das Ding unter dem Arm hervor. Wow, es lief immer noch, obwohl das Display mit Raureif überzogen war und der Signalton alles andere als gesund klang. Er blieb stehen und überlegte; seine Hirnwindungen fühlten sich an wie eingefroren. Dann fiel es ihm wieder ein: Richtig, Coulson hatte ihn gebeten, aufgrund des Ausfalls aller Kommunikationsgeräte an Bord nach Funksignalen von außerhalb zu scannen. Gott, das schien schon wieder Tage her zu sein. Die Zeit verhielt sich merkwürdig in diesem langsam zufrierenden fliegenden Bunker.

Stark versuchte, die Herkunft des schwachen eingehenden Signals zu ermitteln, doch die Daten gingen nur verschlüsselt ein, und sie zu dekodieren dauerte wohlmöglich zu lange. Was also machte man mit einem Anruf, der höchstwahrscheinlich nicht für einen selbst bestimmt und dazu noch mit dem Prädikat ›Sender unbekannt‹ versehen war?

Natürlich, rangehen.

»Willkommen bei S.H.I.E.L.D., derzeit haben wir Eiswürfel in großen Mengen günstig abzugeben. Kann ich weiterhelfen?«

Der Funkkanal war dünn; zunächst war nur das Rauschen von Interferenzen zu hören. Dann ertönte eine misstrauisch klingende männliche Stimme: »Mit wem spreche ich?«

Stark starrte das Display an, als hätte es ihm die Zunge herausgestreckt. »Moment mal, mit wem spreche ich

»Identifizieren Sie sich, Agent.«

»Nein, nein, nein, Kumpel. Du hast mich angerufen. Du zuerst.«

Das andere Ende murrte. Dann kam ein etwas deutlicheres, widerwilliges: »Hier ist Agent Clint Barton. Mit wem von S.H.I.E.L.D. spreche ich?«

»Wow, Barton! Sie haben einfach mal ins Blaue gefunkt, wie?«

»Der Helicarrier ist auf keiner anderen Frequenz zu erreichen, ich habe alles versucht.« Ein kurzes verdächtiges Schweigen; dann die dämmernde Erkenntnis: »Sind Sie Tony Stark?«

»Woran haben Sie’s erkannt?«

»Ich muss sofort mit Director Fury sprechen. Oder …« Kurzes Zögern. »… mit Agent Romanoff.«

Stark hatte alle Aufmerksamkeit zusammengekratzt und konzentriert Bartons Stimme gelauscht, auf den Wortakzent, die Stimmlage, die Intonation. Klar, es war eindeutig der vermisste Wonderboy, aber ob er noch unter Lokis Fuchtel stand oder nicht, war unmöglich festzustellen.

»Ich glaube Ihnen nicht, Barton. Spricht da nicht noch ’n Ideechen bockiger Gott aus Ihnen?«

Wie zur Bestätigung seiner Authentizität ließ der andere ein missbilligendes Schnauben hören. »Loki«, grollte er, »möchte ich einen Pfeil durch die Augenhöhle schießen.«

Stark lächelte trotz des erbärmlichen Frierens. »Glückwunsch, Sie haben mich überzeugt. Einen Moment, ich verbinde Sie mit unserem fröhlichen Filialleiter.«
 

Er fand Fury dort, wo er als erstes nach ihm suchte, nämlich auf der Brücke, wo er mit eherner Miene der Flugbesatzung moralischen Beistand leistete. Schniefen, Husten und Jammern bildeten die vorherrschende Geräuschkulisse. Junge Männer und Frauen mit Leidensmienen kauerten, die Schultern hochgezogen, in dicken Mänteln vor ihren Bildschirmen und Steuerpulten. Nur Fury stand stumm und breitbeinig, die unbehandschuhten Hände hinter dem Rücken gefaltet wie eine ehrwürdige Statue. An seiner Augenklappe hing ein kleiner Eiszapfen.

»Mr. Stark«, sagte er ruhig, als er den Ankömmling eintreten sah.

Stark grüßte zurück, indem er sich beiseite beugte und nieste.

»Gesundheit. Wo sind Captain Rogers und Agent Romanoff?«

»Oh, die haben … Thor und Loki beobachtet. Sie, mein Lieber, kriegen ja nichts mehr mit, seit die Kameras verreckt sind und Ihr Schiff hier langsam zur Yetihöhle verkommt. Sonst wüssten Sie, dass Thor Ihre Hilfe braucht. Oh, und dass Taps nicht mit offenen Karten spielt. Aber eins nach dem anderen. Hier ist erst mal jemand, der Sie sprechen möchte.«
 

»Wir haben den Tesserakt sichergestellt«, meldete Barton dem Direktor, sobald Stark diesen an Fury weitergereicht hatte. »Was auch immer Lokis Einfluss aufrechterhalten hat, er ist abgeklungen. Dr. Selvig ist wohlauf. Lokis Plan war, den Arc-Reaktor anzuzapfen, um den Würfel mit ausreichend Energie zu versorgen …«

»… und den Tunneleffekt zu stabilisieren«, endete Stark an seiner Stelle. »Darauf sind wir auch selber schon gekommen.«

»Wenn alles gut geht«, schloss Fury an, »sind wir in ein paar Stunden bei Ihnen, Agent Barton. Zurzeit haben wir ein paar …« Sein Blick begegnete dem von Stark. »… technische Schwierigkeiten an Bord.«

»Wir halten die Stellung«, versicherte Barton. »Aber lassen Sie sich nicht zu viel Zeit. Loki könnte inzwischen überall sein, und weiß der Geier, was er als nächstes ausheckt.«

Stark rechnete damit, dass Fury seinen Agenten nun darüber aufklärte, dass Loki sich an Bord befand und seinen Einfluss durch das Zepter auf ein gänzlich anderes Ziel gelenkt hatte, doch der Direktor gab Barton lediglich die Anweisung zu warten und beendete dann die Verbindung – obwohl es keinesfalls sicher war, dass sie erneut zustande kommen würde.

»Was wollten Sie mir noch sagen, Mr. Stark?« Furys dunkles Auge ruhte bedeutsam auf ihm. »Dass ich das Experiment beenden soll?«

Stark erwiderte den Blick unverwandt, aber innerlich war er verunsichert. Im Moment sprach Furys Verhalten keine Sprache, die er verstand.

»Ja«, sagte er schließlich. »Ja, Nick, genau das meine ich. Machen Sie die Schotten dicht. Nehmen Sie den Braten aus dem Ofen. Es ist genug passiert. Game over.«

Widerwillig wandte Fury sich ab und ging ein paar Schritte zwischen den Reihen seiner zähneklappernden Piloten. Seine Miene war ausdruckslos, als er die von Eis glitzernden Wände musterte, die im ungesunden Notlicht an das Innere eines Iglus erinnerten. Schließlich nickte er langsam. »Ich fürchte, Sie haben Recht.«
 

Romanoff war an Rogers’ Schulter eingenickt, als eilige Schritte zweier Personen die Stille langsam, aber sicher vertrieben. Als die Tür ging, war die Agentin augenblicklich hellwach, bereit, ihre Waffe zu ziehen und einem Gegner präzise zwischen die Augen zu schießen.

Dann sah sie, dass es nur Stark und Coulson waren, die da auf sie zukamen. Wie spät war es wohl inzwischen?

Mit seinem ungebrochenen, seltsamen Optimismus ließ Coulson verlauten: »Wir holen Thor jetzt da raus. Unsere Leute haben alles in die Wege geleitet. Ich hoffe, Sie sind bereit?« Er deutete nach dem Fenster, furchte die Stirn und merkte überrascht an: »Das ist ja schlimmer, als ich dachte …«

Rogers sah zu ihm auf und versuchte dann, sich vom Boden zu erheben. Erst sah es aus, als wollten seine steifen Glieder ihm nicht gehorchen, doch schließlich gelang es ihm mit einiger Anstrengung. »Der Plan ist also«, folgerte er, ungelenk seine Arme und Beine streckend, »Thor und Loki schlafen zu legen und dann in die Zelle zu gehen?«

»Exakt. Und dabei dürfen wir keine Zeit verlieren, denn sobald wir die Zuleitung des Narkosegases unterbrechen, werden die beiden schnell wieder zu sich kommen. Diese Art der Betäubung ist gut steuerbar, aber in unserem Fall riskant. Ich kann nicht sagen, wie lange sie vorhalten wird. Eile ist empfehlenswert.«

Dem nagenden Gefühl von Kälte und Ungewissheit einmal mehr ergeben, postierten alle vier sich vor dem Fenster. Die Positionen Thors und Lokis waren unverändert: Loki hielt Thor umschlungen wie eine Würgeschlange, die Wange an seine gedrückt, und nur diese eine Seite seines Gesichts war rosig; Thor, sein Los akzeptierend, ließ den Kopf hängen, doch noch immer zitterte seine Gestalt unübersehbar, und das bedeutete, dass noch Wärme in ihm war. Nach mehreren Minuten fragte sich Romanoff, ob nicht bereits etwas hätte passieren müssen, doch dann erst sah sie es – das Gas strömte als feiner, gräulicher Nebel aus der Belüftungszuleitung von oben ins Innere der Zelle.

Coulson seufzte unerfreut. »Eigentlich sollte das Gas unsichtbar sein und nicht bemerkt werden, aber die extreme Kälte macht es träge, fast flüssig. Die Verteilung im Raum wird eine Weile dauern.«

Starr sahen sie zu, wie der Nebel zum Boden der Zelle sank und dort als dicke Suppe behäbig hin und her waberte.

»Wenn es sich überhaupt verteilt«, murmelte Rogers verdrossen. »Sie können ja nicht die ganze Zelle damit füllen, es muss noch genug Sauerstoff vorhanden sein.«

»Das ist nicht das Problem«, entgegnete Coulson. »Das Abfluten geht sehr schnell. Aber wir müssen die beiden erst mal dazu bringen, ihr Schlafmittel einzuatmen.«

»Wird ’ne schöne Nasevoll denn reichen?«, fragte Stark.

»Eine vielleicht nicht, aber zwei oder drei sollten es tun.«

»Aha? Bei welchen Tieren? Opossums?«

»Löwen«, gab Coulson trocken zurück.

In der Zelle stieg der Pegel des halbflüssigen Dunstes rasch an. Schon reckten Thor und Loki alarmiert die Nasen, und dann – Damit hätten wir rechnen müssen, dachte Romanoff – kletterte Loki kurzerhand auf die Pritsche und zog Thor neben sich hoch, ihn ungeduldig anfauchend. Wahrscheinlich verlangte er von seinem Bruder Informationen, welche neue List dies sein sollte.

»Es wird ewig dauern«, stöhnte Stark. »Stellen wir uns drauf ein, dass wir Thor entweder hellwach oder halberstickt da rausziehen.«

»Ich hoffe eher, dass er sich bei dem zu erwartenden Sturz nicht schwer verletzt«, sagte Coulson pragmatisch.

Dem sich anschließenden Kampf der beiden Götter gegen das Anästhetikum zuzusehen hatte etwas Faszinierendes und Abstoßendes zugleich. Thor hatte Angst, das war zu erkennen; er starrte die wogende graue Masse grimmig an, als sei sie ein Tier, das ihm mit gefletschten Zähnen gegenüberstand. Romanoff erwartete halb, dass er die Hand ausstreckte und seinen Hammer verlangte, der zweifellos beizeiten das Glas sprengen und einen Fluchtweg eröffnen würde. Offenbar hielt ihn nur der letzte Funke von Verstand und Vertrauen davon ab, sein und Lokis Gefängnis in Scherben zu schlagen. Loki hielt den Kopf erhoben und musterte das Gas mit kalter Verachtung. Er wusste offenbar ganz genau, warum es sich handelte, und wollte die unausweichlich bevorstehende Niederlage so lange wie möglich hinauszögern. Hinzu kam, dass sein Körper eine äußerst niedrige Temperatur aufwies, weshalb das Druckverhältnis von Gas und Blut in seinem Gehirn anders sein musste als bei Thor; kurzum, es würde die Resorption der Droge nochmals aufschieben. Alles in allem sah es äußerst schlecht aus.

»Thor steht das vielleicht nicht durch«, hörte Romanoff sich sagen.

Stark widersprach ihr sofort: »Das ist ein Gott, der wird ja wohl was vertragen!«

Aber Thor hatte längst nicht mehr den Willen, sich aufzulehnen. Schon sank sein Kopf wieder herab, und das Gas umspielte kräuselnd seine bleichen Wangen. Langsam, sehr langsam wich die Spannung aus dem Körper des großen Mannes.

Loki, kleiner als er, aber sich mit aller Macht nach der klaren Luft reckend, zischte ihm etwas zu, trat ihn sogar gegen das Schienbein und rammte ihm wenig brüderlich die Faust in die Seite. Thor blieb unbeeindruckt, als durchdrängen diese Ausbrüche physischer Gewalt seine dicke Kleidung gar nicht; längst wurde er schläfrig und entspannt, und schließlich –

– Nein, entgegen Coulsons düsterer Prophezeiung stürzte er nicht. Stattdessen begannen seine Knie allmählich nachzugeben. Erst eine ganze Weile später sackten ihm die Beine weg, sodass er unsanft wieder auf der Pritsche zu sitzen kam. Diese rasche Bewegung wirbelte den Nebel durch das ganze Innere der Zelle. Thor sank gegen Lokis Hüfte, aber sein Bruder versetzte ihm einen wütenden Stoß, der ihn von der Liege auf den Boden beförderte. Thors Körper glitt seltsam formlos in eine seitlich liegende Position und wurde dann still.

Loki indessen kämpfte. Seine Atmung war flach und beherrscht, seine Muskeln gespannt. Feindselig stierte er von einer Seite des großen Raumes, dessen Mittelpunkt die Zelle bildete, zur anderen und dachte gar nicht daran, seiner wachsenden Ermattung nachzugeben.

Coulson sah stirnrunzelnd auf seine Uhr. »Die Löwen waren nach wenigen Sekunden weg. Das hier geht schon … zwölf Minuten.«

»Ich sag’s ja, Götter«, knurrte Stark. »Aber immun sind sie anscheinend nicht.«

Das Ende des Kampfes kam überraschend. Es sah ganz so aus, als habe sich die Wirkung des Schlafmittels lange von Loki unterdrücken lassen, nur um zuletzt auf hinterhältigste Weise zuzuschlagen. Nach sechzehn Minuten stand er noch immer aufrecht, doch dann, mit einem Mal, trat die Reaktion äußerst heftig in Erscheinung: Loki knirschte mit den Zähnen und fiel dann endlich um wie ein Stück Schlachtvieh nach dem Bolzenschuss. Nicht Thor, sondern er war es, der haltlos stürzte, und wo seine Stirn auf das Glas schlug, spritzte ein Blutfleck hervor, von aus dem einige breite, satt rote Streifen Richtung Boden rollten, ehe sie auf halbem Wege gefroren.

Dann war alles still.

»Und er ist noch nicht mal tot«, murrte Stark. »Die Flachpfeife atmet immer noch.«

»Keine Zeit zu verlieren«, sagte Coulson geschäftig. »Das Betäubungsgas wird gleich ausgeleitet werden, und dann haben wir nur wenige Minuten.«
 

Wie unsagbar stark Thor war, zeigte sich nun auch daran, wie schnell er die blockierende Wirkung des Anästhetikums abschüttelte. Noch ehe der gesamte graue Nebel in den Boden abgesaugt und durch Sauerstoff von oben ersetzt worden war, begann der Ase sich zu regen; seine Finger krümmten und streckten sich, seine Lider zuckten, und nur Sekunden später versuchte er bereits, den Kopf zu heben.

»Unglaublich«, murmelte Coulson, als er zusah, wie die drei Helden Thor umrundeten und ihn dann hartnäckig auf die Beine hievten. Er musste zugeben: Captain America blieb sein großer Liebling, doch Thor mit seiner schieren Unerschütterlichkeit war nahe daran, ihm den Thron streitig zu machen.

Sobald Thor auf den Beinen war, versuchte er vorwärts zu gehen und murmelte dabei undeutlich vor sich hin. Stark, Rogers und Romanoff bugsierten ihn zur offen stehenden Zellentür, und schon nach wenigen Schritten fing er sich, wurde trittsicher, biss die Zähne zusammen und schleppte sich, auf die anderen gestützt, ins Freie.

Der Gott war wahrlich ein Wunder.

Loki, in dessen Körper die Kälte auch den Abbau des Narkotikums verlangsamte, brauchte fast fünf ganze Minuten, ehe er wieder zu blinzeln begann. Seine linke Gesichtshälfte war blutverklebt, die roten, gefrorenen Krusten zogen sich bis unter das Kinn. Er kümmerte sich nicht darum. Schwer atmend und finster dreinblickend blieb er liegen, bis seine Sinne wieder beieinander waren; erst dann setzte er sich wohlkoordiniert auf und kehrte zu seinem Platz auf der nun vereinsamten Pritsche zurück. Wäre das Blut nicht gewesen, hätte Coulson in diesem Moment schwören können, es wäre rein gar nichts passiert. Der Verletzung gegenüber zeigte sich Loki völlig unbeeindruckt. Er war weit davon entfernt, klein beizugeben.

In der Tat gab Lokis Unbeugsamkeit Coulson Rätsel auf; er hatte mit Henry Taps sehr ausführlich über das Experiment gesprochen, ehe es begonnen hatte, und zuletzt dessen Enthusiasmus geteilt. Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits festgestanden, dass die Wirkstoffkombination bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit an einem Menschen getestet werden sollte. Als dann Loki in die Falle ging – so offensichtlich mit Absicht, dass es erschreckend war –, hatte man die Einschränkung ›Mensch‹ spontan in ›humanoide Lebensform‹ umdefiniert, um den Gegebenheiten zu begegnen. In gewisser Weise hatte die Therapie auch so gewirkt, wie sie sollte: Loki hatte sich dressieren lassen, wenn auch innerhalb eines eng gesteckten Rahmens, er war für Thor sensibilisiert worden, empfänglich, und er reagierte sogar stärker als erwartet auf dessen Nähe – und doch war er aggressiv geblieben, hatte sein Wille dazu, den Menschen zu schaden, sich nicht in Liebe zu seinem Bruder umkanalisieren lassen. Überhaupt war es zweifelhaft, ob Loki Thor liebte. Wenn ja, dann nicht als Bruder und erst recht nicht als Freund. Es war, als ob er sich zu Thor hingezogen fühlte und ihn zugleich dafür hasste. Diesen Hass ließ er seinen Bruder in demselben Maße spüren wie das bizarre, widernatürliche Bedürfnis nach Nähe und Berührung. Beide Extreme schienen in Loki miteinander zu ringen und ihn nur noch unberechenbarer zu machen.

Gezeigt hatte dies vor allem der mentale Amoklauf mit dem Speer als Medium. Dass Loki all die Ausfälle auf dem Schiff verursacht hatte, stand außer Frage, waren die Ausmaße der Katastrophe durch Schall und Schwingungen doch proportional zur Wirkstoffmenge in seinem Blut größer geworden. Ein Gutes hatte diese Entwicklung allerdings: Lokis Einwirkung durch das Zepter hatte sich ganz allmählich verlagert, hatte sich mehr und mehr auf den Helicarrier und seine Insassen verlegt, sodass die Kraft des Speers nun, am letzten Tag, nicht mehr ausreichte, um auch die geistigen Fesseln über Agent Barton und Dr. Selvig aufrecht zu erhalten. Ohne es zu wollen – denn sein Wille war machtlos geworden – hatte Loki seine beiden unfreiwilligen Handlanger freigegeben und damit auch die letzte Aussicht auf das Gelingen seines aberwitzigen Plans verloren.

Die Frage war nun, ob das für einen Sieg S.H.I.E.L.D.s ausreichte – oder ob dieses ›Glück‹ hier an Bord ein Desaster unabschätzbaren Ausmaßes nach sich ziehen würde.
 

Thor fühlte sich geschwächt und benommen. Seit Tagen hatte er weder gegessen noch geschlafen, und nun häuften sich auf diesem fliegenden Ungetüm die hässlichen Zwischenfälle. Der Hüne schluckte bittere Galle, als er daran zurückdachte, wie seine für gewöhnlich unübertroffene Kraft an Lokis Widerstand zerschellt war wie eine Welle am Kliff. Loki hatte ihn nicht gehen lassen. Sie hatten ihn mit einem Schlafnebel seiner Sinne berauben müssen. Thor dünkte, dass die seltsame Medizin zwar Lokis Willen Ketten angelegt, seinen Körper aber auf sonderbare Weise gestärkt hatte. Zwar war er deutlich später aus der Betäubung wieder erwacht, doch seine Muskeln hatten zu keiner Zeit versagt, ihre Kraft und Härte war geradezu entsetzend. Wenn Loki nach all dem hier in der Lage wäre, es in Sachen körperliche Kraft auch nur annähernd mit Thor aufzunehmen …

Und dann das Anfassen. Dieses Gebaren hatte Thor mehr verstört als alles andere. Eine einfache Tatsache, die er bisher nie für voll genommen hatte, drängte mit einem Mal in den Vordergrund seines Bewusstseins – nämlich die, dass Loki womöglich elementare Regeln von Liebe und Annäherung nie begriffen hatte. Jeder in Asgard hatte seine Frauen- oder Männergeschichten – oder beides –, und nichts daran war verwerflich; die Asen waren kein prüdes Volk, das vorgab, sich nur zu Zwecken der Fortpflanzung zu vergnügen. Auch Thor und seine Freunde, besonders Fandral, genossen in dieser Hinsicht einen gewissen Ruf. Bei Loki jedoch gab es keine solchen Geschichten. Thor hatte sich nie gefragt, warum sein Bruder scheinbar kein Verlangen empfand, doch nun dämmerte in ihm ein wilder Verdacht. Zweifellos war Loki nicht nur im alltäglichen Umgang gemieden worden. Odin würde es nicht gutheißen können, wenn er seine Gene weitergab, und hatte wohlmöglich dafür gesorgt, dass das nicht passierte. Möglicherweise hatte Loki als Reaktion auf die Ablehnung irgendwann damit angefangen, seine eigene Sexualität zu unterdrücken und zu leugnen. Jetzt, so viel später, erschien es Thor seltsam, dass er nie darüber nachgedacht hatte; es war eine absurde Theorie, doch nun, im diffusen Licht dieser unangenehmen Situation, war plötzlich alles denkbar.

Thor schüttelte sich in einem Kälteschauer. Sofort rückten seine Verbündeten näher an ihn heran. Sie hatten sich zu viert in dem kleinen Beobachtungsraum vor dem Fenster zusammengekauert, und Coulson hatte sie sehr schnell wieder verlassen.

»Und? Was hat Nick gesagt, als Sie ihm das Video gezeigt haben?«, fragte Steve Rogers mit unverhohlener Neugier Tony Stark.

Der dunkelhaarige Mann zögerte. »Ähm. Dafür gab’s nicht so die Gelegenheit. Barton hat angerufen, wissen Sie … Den musste ich erst mal durchstellen.«

Neben Thor war Agent Romanoffs zierlicher Kopf hochgeschnellt. »Barton?«, echote sie. »Ist er wohlauf? Ich meine …« Die plötzliche Weichheit ihrer Züge wich wieder der gewohnten Kühle. »… hat er sich zu dem Tesserakt geäußert?«

»Jap, dem Würfel geht’s gut, Doc Selvig auch, alle drei warten bei meinem Turm auf uns«, gab Stark bereitwillig Auskunft. »Wenn nicht auch noch der Antrieb ausfällt, sind wir in ein paar Stunden da.«

Thor sah Romanoff schlucken. Ihre Mundwinkel zuckten in der Andeutung eines scheuen Lächelns, während ihre Augen kurzzeitig einen Fixpunkt suchten. Er drückte warm ihre Schulter. Auch ihm waren die Nachrichten willkommen: Sein alter Freund Erik Selvig war unbeschadet, und Loki gebot offensichtlich nicht mehr über ihn. Warum, das leuchtete Thor nicht ein, doch er hatte es ohnehin aufgegeben, alle Auswirkungen des Experiments verstehen zu wollen.

»Von was für einem … Video … sprecht ihr da eigentlich?«, erkundigte er sich höflich. »Oder geht es mich nichts an?« Wobei ihm neue Geheimnisse nicht willkommen gewesen wären.

»Oh, doch, doch, und wie dich das was angeht, Großer.« Stark rückte näher zu im und hielt ihm seinen Wunderschirm hin. »Hier, pass auf. Du hast doch die Filmchen gesehen, die Taps uns vorgeführt hat, um uns zu überzeugen. Der Affe, das Opossum, süß und kuschelig und so. Aber das hier hat er uns nicht gezeigt.«

Thor beugte sich über den Bildschirm, auf dem Stark mit einem Fingerzeig ein Bild in Bewegung setzte. Es zeigte das sonderbare Tier, das sie gesehen hatten, bevor Loki zum ersten Mal der Liebestrank verabreicht worden war; es saß zufrieden mümmelnd in seinem Käfig, ehe eines der Gitter ausgeklappt wurde. Eine Hand – die von Taps, wie Thor sich entsann – reckte sich ins Innere und strich über den Kopf des Tieres. Es reagierte erfreut, schmiegte sich an und genoss die Liebkosungen, folgte gar den Fingern, als sie zurückgezogen wurden.

»Haben wir das nicht bereits gesehen?«, fragte Thor. »Ebenso unnatürlich verhält Loki sich auch.«

»Hingucken, geht noch weiter«, forderte Stark ihn auf.

Tatsächlich. Wo auf der Besprechung die Aufnahme geendet hatte, lief sie nun weiter. Taps zog seine Hand mit einem Ruck zurück, das Gitter schnappte zu, unmittelbar vor der Nase des rattenähnlichen Tieres. Es begann zu schreien. Sein graumeliertes Rückenfell sträubte sich zur Bürste, während es brüllte und knurrte, und dann begann es aus dem Nichts heraus, mit Zähnen und Krallen wild auf die Gitter einzudreschen. Es tobte minutenlang, und schließlich ertönte im Hintergrund eine gereizte Frauenstimme: »Herrgott, Henry, wie lange muss diese Kreatur noch bei uns bleiben?« Taps antwortete emotionslos: »Nun, wir stehen kurz vor einem Durchbruch, Liebes. Versteh das doch. Wenn unsere Wissenschaftler nur noch diese Nebenwirkungen in den Griff bekommen, können wir die internationale Verbrechensbekämpfung auf ein neues Level heben.«»Ich wusste gar nicht, dass S.H.I.E.L.D. neuerdings irgendwelche Medikamente an Tieren testet«, erwiderte sie giftig. »Liegt es daran, dass ich nur in der Verwaltung sitze, dass ich von solchen Dingen nichts weiß?«

Noch immer behielt das starre sehende Auge das sich wie toll gebarende Tier im Fokus. Gerade sah Thor etwas, das gar nicht sein konnte: Dort, wo das Wesen gegen die Gitter kämpfte, verbog sich das Metall unter der Einwirkung seiner scharrenden Pfoten. Als es die Kiefer um eine der Querstreben schloss und daran riss, zerknackste sie wie ein morscher Zweig. Schrill quietschend rammte das Tier erneut seinen Kopf in die entstehende Öffnung, und die scharfen Enden des durchgezwickten Stahls rissen Fell und Haut auf. Blutig und bösartig erkämpfte sich das Wesen den Weg ins Freie, während der Tonfall der zeternden Frau allmählich aggressiver wurde. Es schien, als würde die Art, wie sie mit Taps sprach, dem wilden Feuer im Inneren des Tieres neuen Zunder geben. Brüllend brach die Kreatur durch die Gitter, das Fell blutverschmiert, die Haut hier und dort bis auf die Knochen aufgerissen. Sobald es aus seinem Gefängnis heraus war, setzte es zum Sprung an und verschwand rasend aus dem Bild. Was folgte, waren der Schrei der Frau und ein wüstes Getöse. »Henry!«, kreischte sie. »Mein Finger! Gottverdammt, es hat mir den Finger abgebissen!!« Weiterer Lärm schloss sich an; dann endete die Aufzeichnung abrupt.

Stark nahm das Gerät wieder an sich. »Wie aus ’nem schlechten Horrorfilm, oder? Angriff des Killer-Opossums

»Eine widerwärtige Kreatur«, murmelte Thor. Er wollte gar nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. Sein Kopf weigerte sich einfach, das zu tun.

Im gleichen Moment zuckten alle zusammen, als ein dumpfes Krachen die Stille zerriss. Es kam vom Beobachtungsfenster. »Thoooor!«, schrie Loki aus dem Inneren seiner Zelle und schlug noch einmal mit der Faust gegen die Scheibe. Eigentlich hätte man hier oben kaum etwas hören dürfen. »Komm zurück!« Er fletschte die Zähne. »Was tut ihr mit ihm, ihr erbärmlichen, verzweifelten, minderbemittelten –«

»Die Ähnlichkeit ist jedenfalls verblüffend«, kommentierte Stark, während Loki seine Schimpftirade fortsetzte. »Ist nur ’ne Frage der Zeit, bis das Glas nicht mehr standhält.«

»Haben wir das Experiment denn jetzt beendet?«, fragte Rogers und sah vom einen zum anderen. »Sollten wir Loki nicht dauerhaft betäuben, bis wir beim Stark Tower sind? Es kann doch jetzt nicht mehr weit sein!«

»Und damit«, knurrte Stark, »ist das Experiment so oder so beendet. Fünf Tage sind um, es ist gescheitert. Jetzt wird’s Zeit für die Reißleine. Es sei denn …« Sein Blick wanderte forschend zu Thor.

Der Ase nahm automatisch eine drohende Haltung an. »Ich will mit all dem nichts mehr zu tun haben!«, grollte er. »Ich werde mit Taps nicht mehr kooperieren, nicht, nachdem er uns auf diese Weise belogen hat!«

»Er hat Recht«, sagte Romanoff gefasst. »Nach diesem Aufwand, nur um Thor wieder aus der Zelle zu holen, würde ich kein Risiko mehr eingehen.«

»Ich hab nicht erwartet, dass die den wieder richtig aufwachen lassen!«, sagte Stark verbittert. »Es war abgemacht, dass er ganz ausgeschaltet wird. Schwarzer Bildschirm! Aber nein, Phil hat ihn nur kurz auf Stand-by geswitcht und sofort wieder hochfahren lassen.« Er fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase und wandte sich übellaunig ab.

»Und wieso haben Sie Fury jetzt nicht das Video gezeigt?«, wollte Rogers stirnrunzelnd wissen.

»Weil er es weiß, verdammt!«

Die Augenbrauen des Captains gingen in die Höhe. »Sind Sie sicher?«

»Nein. Nein, bin ich nicht. Aber ich denke, er weiß es. Oder ahnt es. Jedenfalls sieht es danach aus. Ich weiß auch nicht.« Stark sah Romanoff an.

»Ich wusste nichts davon«, versicherte sie. »Zur Forschungsabteilung pflege ich so gut wie keinen Kontakt.«

»Tja. Dann wird es wohl ein Mysterium bleiben. Jedenfalls weiß Fury, dass wir bis zum Hals im Dreck stecken und nur noch mit viel Glück heil bei dem Tesserakt ankommen.«

Rogers schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, wir schaffen es. Das weiß ich. Aber Thor sollte sich von Loki fernhalten, bis wir da sind. Jede Begegnung macht es schlimmer.«

»Stimme zu.« Stark musterte Thor und hob eine Augenbraue. »Im eigenen Interesse, Großer: Du solltest dich in Acht nehmen, wenn Loki ›Knie nieder‹ sagt.«

Rogers verdrehte die Augen. »Das war ja mal wieder so was von unnötig.«

»Aber so was von wahr

Unangenehm berührt blickte Thor wieder durch die Scheibe, hinter der sich der Raum mit Lokis Zelle befand. Er hatte das Gefühl, die dünne Eisschicht habe sich ein wenig nach den Rändern zurückgezogen. »Ist es möglich, dass es wärmer wird?«, fragte er die anderen.

Romanoff nickte. »Wir befinden uns seit Längerem im Sinkflug, was bedeutet, dass wir allmählich wieder in wärmere Luftschichten eintauchen.«

»Die äußere Hülle ist schon fast zwölf Grad wärmer als letzte Nacht«, ergänzte Stark, auf seinen Bildschirm sehend. »Warm wie in Miami wird’s nicht werden, aber immerhin sollten wir aufgetaut ankommen. Also Beeilung, wer noch die neue Skipiste auf der Ausgleichsebene nutzen will.«

Thor wollte ihn gerade fragen, was eine Skipiste sei, als Starks Gesichtsausdruck sich plötzlich unangenehm veränderte. Zuerst sah er einfach nur überrascht aus, dann schien er sekundenlang in sich hineinzuhorchen, und schließlich breitete sich auf seinen Zügen wachsendes Entsetzen aus. Er schnellte hoch, packte das Revers seiner Winterjacke und riss das Kleidungsstück mit einer hastigen Bewegung über der Brust auseinander.

Thor wurde schlagartig klar, dass er dort etwas, das er sehen sollte, nicht sah. Der kleine Kreis aus Licht, der sonst Starks Gewänder zu durchleuchten pflegte, war nicht da.

Auch Rogers und Romanoff begriffen schlagartig. Der Captain sprang hinter den anderen Mann, der im selben Moment ächzend ins Taumeln geriet, und schlang die Arme um seinen Brustkasten, ehe er stürzen konnte.

»Natasha!«, rief er scharf, und die Agentin fuhr auf dem Fuß herum und sprintete zur Tür. Nur einen Augenblick später verklangen ihre Schritte.

Panisch presste Stark beide Hände dorthin, wo das Licht fehlte. »Oh, nein, nein, nein!«, keuchte er. »Spring an, Baby, spring an!« Seine Finger brachen in unkontrolliertes Zittern aus, das rasch seinen ganzen Körper vereinnahmte. »Verflucht noch mal!« Seine Miene verzerrte sich vor Verzweiflung. »Loki, du Mistkerl, das wirst du bereuen!«

Thor wünschte sich, er könnte helfen, doch das konnte er nicht. Er hatte keinerlei Vorstellung, auf welche Weise das kleine Zauberding in Starks Brust sein Herz am Schlagen halten sollte. Jetzt versagte es, eine der vielen Folgen von Lokis Einwirkung, und er, Thor, konnte nur hier stehen und zusehen, wie Rogers Stark festhielt und mit ihm zusammen langsam in die Knie ging, um den bewusstlos Werdenden auf den Boden zu legen.

So kurz vor dem Ziel.
 

»Er wird es schaffen.« Sie legte eine Hand auf Thors muskulösen Arm, den sie durch das Futter der Jacke kaum ertasten konnte. »Wir haben ihn ruhig gestellt, so wie Bruce. Ein künstliches elektromagnetisches Feld hält die Granatsplitter von seinem Herzen fern.«

»Was ist, wenn sich dieses Feld genauso unerwartet abschaltet?« In Thors Stimme lag keinerlei Zuversicht mehr. Ihre Berührung ignorierte er; er sah sie nicht einmal an. »Kaum noch jemand hat Kontrolle über dieses Fluggerät.«

»Es dauert weniger als eine Stunde, bis wir da sind.« Ihre Finger, die nicht mehr in Fäustlingen steckten, streichelten ihn mitfühlend. Thor war ein bisschen wie ein großes Kind. Sie wollte ihn beruhigen, wollte, dass er seinen Optimismus zurückgewann – denn von ihnen allen war er der Einzige, der bis zuletzt Hoffnung geschöpft hatte.

Rogers, Coulson und Fury hatten andere Probleme. Sie hatten versucht, mit Starks Computer den Kontakt zu Clint Barton wiederherzustellen, um Dr. Selvig darum zu bitten, auf irgendeine mögliche Weise dem Tesserakt die Energie zu entziehen. Wenn der Würfel den Speer nicht mehr speiste, wäre die Gefahr wohlmöglich gebannt. Kurz vor dem Ziel oder nicht – Starks versagender Herzmagnet hatte die Obrigkeit in allerhöchste Alarmbereitschaft versetzt. Jetzt riskierte Fury nichts mehr.

Nur – und das gab ihr allmählich zu denken – zu einem einzigen Schritt war noch immer niemand bereit, und das war jener, den Stark unlängst geplant hatte und nun nicht mehr durchführen konnte.

Loki loswerden.

Romanoff tat sich schwer damit, die Möglichkeit zu akzeptieren, dass Loki ihnen aus Rache für das Experiment einen guten Ausgang dieses Desasters unmöglich machen würde. Sein Hass hatte den hochmodernen, bestens gerüsteten Helicarrier innerhalb weniger Tage in einen derart desolaten Zustand versetzt, dass er kaum noch mehr leisten konnte als geradeaus zu fliegen. Schon die Landung würde problematisch werden. Falls sie denn landeten. Falls Loki nicht kurz vor dem Stark Tower, mitten über New York, das tonnenschwere Gefährt zum Absturz brachte.

Und er tat es nicht einmal mit Absicht. Das machte es noch schlimmer. Sie konnten ihn mit keinen Mitteln der Welt dazu bringen, seine zerstörerische Einwirkung aufzugeben. Einfach, weil ein Teil seines Verstandes nun unabhängig von seinem Willen arbeitete. Und innerhalb dieses Teils kochte und schäumte es. Das Zepter strahlte wie ein ganzer Reaktor. Nur dass seine Strahlung deutlich verheerender war. Nicht nur das Schiff fiel aus, auch die Menschen an Bord verloren zusehends ihre mentale Stabilität. Romanoff kannte das entwurzelnde Gefühl kognitiver Dissonanz sehr gut, jenes Entsetzen, das eintrat, wenn irdische Gegebenheiten, die dem Verstand eines Menschen Sicherheit vermittelten, etwa Naturgesetze oder das Prinzip von Ursache und Wirkung, plötzlich aufgehoben wurden. Dieser schauderhafte Verlust von Bodenhaftung war es, der die funktionierende Welt in den Köpfen aus den Fugen hob.

Auch sie kämpfte diese Angst nur mühsam nieder.

Wenn doch nur Clint bei ihr wäre. Seine Anwesenheit gab ihr das Gefühl von Schutz. Wenn sie sich auch niemals von Emotionen beherrschen lassen würde, so musste sie doch zugeben, dass diese winzige, unaufdringliche Art von Kontrollverlust ihr Kraft gab. Diese eine Schwäche ließ sie zu. Weil sie sie stärker machte.

In diesem Moment merkte sie, dass ihre Finger irgendwie über Thors Arm zu seiner Hand gefunden hatten. Kühl und reglos lag sie auf dem Tisch, fast doppelt so groß wie ihre. Etwas beschämt zog sie ihre Finger fort.

Er hatte es nicht einmal bemerkt. Geistesabwesend starrten seine weichen Augen die Wand an, an welcher erste, schmale Rinnsäle von Schmelzwasser hinabperlten.

Dann ging ein harter Ruck durch das Schiff.
 

»Großer Gott, Nick, stürzen wir ab?«, gellte Agent Hill in Furys Richtung, während sie nach einem der Steuerpaneels griff, um sich wieder auf die Beine zu ziehen.

Mehrere Crewmitglieder hatte es von ihren Stühlen gerissen. Stöhnend rappelten sie sich wieder auf, während andere, die sich besser gehalten hatten, bereits wieder wild auf ihre Konsolen einhackten.

Fury war natürlich stehen geblieben. »Status?«, bellte er in den Raum, ohne die hysterische Frage Hills zur Kenntnis zu nehmen.

Coulson, dem Captain America soeben aufgeholfen hatte, strich sich wenig beeindruckt den Staub vom Anzug. »Unsere Position scheint sich nicht zu verändern«, sagte er sachlich.

»Das ist richtig, Sir«, meldete ein junger Mann, einer der Steuerleute. »Die Triebwerke laufen noch, aber wir haben keinen Schub mehr. Das Schiff steht. Oder nein, sagen wir eher … wir … treiben.«

»Soll das bedeuten, der Antrieb hat uns im Stich gelassen?« Fury stieß sich grob von der Wand ab, die ihn während der kurzen Turbulenzen gestützt hatte. »Das können wir uns nicht leisten bei so niedriger Flughöhe! Bringen Sie das Boot wieder zum Laufen, egal wie!«

»Wir versuchen es ja, Sir«, ließ der Crewman verzweifelt verlauten. »Bisher keine Reaktion von den Maschinen.«

»Dann machen Sie weiter, Herrgott noch mal!«

Dass nun selbst der standhafte S.H.I.E.L.D.-Direktor unruhig wurde, versetzte die Mannschaft sichtbar in Spannung. Das Flugzeug hing bereits über Manhattan; ein Absturz würde unzählige Menschen in den Tod reißen.

Eine junge Frau fasste schließlich den Mut, die unangenehme Nachricht zu überbringen, die sich auf den Bildschirmen darbot: »Wir, äh … wir haben zurzeit weder Antrieb noch Kommunikation. Die Schubregler reagieren nicht … Wir schweben isoliert in der Luft.«

Agent Hill sah aus, als würde sie jeden Moment die Nerven verlieren. Selbst Coulsons schwer zu lesendes Gesicht zeigte ernsthafte Betroffenheit.

Im Hintergrund schwoll das Dröhnen der Maschinen langsam ab, wurde tiefer und leiser, bis es fast zum Erliegen kam.
 

»Es hat aufgehört«, stellte Romanoff fest.

Thor sah sie beunruhigt an. Dieses Schiff wurde ihm immer unsympathischer. Warum nur konnten die Menschen nicht auf leichtschnittigen, intuitiv steuerbaren Gefährten reisen wie sein eigenes Volk?

»Wir bewegen uns nicht mehr vorwärts … oder doch?« Fragend sah er die Frau an. »Der Lärm wird immer leiser.«

»Ich befürchte nichts Gutes, Thor.« Ihr zweifelnder Blick weckte wenig Vertrauen in ihm. »Wir müssen zu den anderen gehen. Niemand sollte allein sein, wenn …« Sie sah beiseite. Der Satz blieb unbeendet.

»Du hast Recht«, sagte er langsam, während sie ihn hinter sich her zur Tür zog. »Ich … Nein, warte. Ich muss nach Loki sehen.« Mit einer raschen Bewegung machte er sich von ihr los.

»Thor!«, protestierte sie. »Bleib hier! Er tut das, hörst du? Er wird uns abstürzen lassen!«

»Nur euer Trank befähigt ihn dazu!«, schnappte Thor. »Wäre dieses Experiment nicht gewesen, könnte Loki dem Schiff nichts anhaben!«

In ihren Augen loderte es. »Er hätte es nur auf andere Weise getan! Er hätte unsere eigenen Leute benutzt, um das Schiff lahmzulegen – Clint und Dr. Selvig! Da bin ich hundertprozentig sicher!«

»Ich nicht«, sagte Thor hart.

Im Begriff, sie stehen zu lassen, wandte er sich der anderen Richtung des Korridor zu.

Wieder ergriff sie seinen Arm. »Thor, bitte!«

Ganz kurz durchzuckte ihn der Impuls, die Frau von sich zu stoßen. Entsetzen darüber erfüllte ihn sofort. Sie versuchte ihm zu helfen! Was war nur mit ihm los?

Sie konnte den Widerstreit in seinen Zügen lesen, das wusste er. Ihn eindringlich ansehend schloss sie zu ihm auf, packte seinen Arm fester.

»Sieh mich an«, verlangte sie.

Stumm ertrug er ihren prüfenden Blick, der ihn inspizierte, als sei er derjenige, der schleichend das Flugzeug zerstörte. Schließlich legte sie ihm eine Hand auf die Stirn.

»Du hast Fieber«, sagte sie erstaunt.

»Ich – was?«

Diese Information irritierte ihn, passte sie doch überhaupt nicht zu der kritischen Lage, in der sie sich befanden.

Ihre Lider zuckten, während ihr Geist dahinter zu rasen schien. Er sah sie schlucken.

Dann sagte sie unvermittelt: »Geh, Thor. Tu, was du für richtig hältst.« Es klang nicht aggressiv. Sie ließ ihn los und trat zurück. »Wir treffen uns auf der Brücke. Steve, Nick und Phil sind dort.«

»Ich beeile mich«, versprach Thor.

Er wusste nicht, was sie veranlasst hatte, so rasch ihre Meinung zu ändern, doch es hatte jetzt auch keine Bedeutung für ihn. Er musste Loki sehen. Er musste.

Nach einem letzten knappen Nicken machte sie Kehrt und ging. Auch er wandte sich ab. Mit großen Schritten hielt er auf den Zugang zur Arrestebene zu. Erst jetzt merkte er, wie unfassbar warm ihm war.
 

Als Thor außer Sichtweite geraten war, beschleunigte Romanoff ihren Schritt. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. In dem Moment, als sie seine Stirn berührt hatte, in die verwirrten, fieberglänzenden Augen gesehen hatte, war ihr ein Gedanke gekommen, der ihr so stark die Kehle zuschnürte, dass sie glaubte zu ersticken.

Als sie die Brücke betrat, hatte sie sofort die Aufmerksamkeit aller Versammelten.

Rogers’ Gesicht hellte sich auf, als er sie sah. »Natasha!«

»Agent Romanoff, wir hätten Ihre Hilfe gebrauchen können«, schnarrte Fury.

Sie ging wortlos an ihm vorüber und geradewegs auf Phil Coulson zu, der sie erwartungsvoll ansah. In seiner herabhängenden Hand lag Starks Computer.

»Was ist los?«, fragte er, als sie fordernd die Hand ausstreckte.

»Geben Sie mir das da.« Sie wies auf das Gerät.

Coulson zögerte nur einen Moment, dann händigte er ihr mit gefurchter Stirn den Computer aus. »Wo waren Sie die ganze Zeit?«

»Fragen Sie sich lieber, wo Agent Taps die ganze Zeit ist.«

Sie tippte auf den Bildschirm. Gott sei Dank, er funktionierte noch. Ein zähes Stück Technologie, das Tony da hatte. Ungeduldig suchte sie nach den Dateien, die der Erfinder ohne Erlaubnis aus dem Speicher geladen hatte. Schob Objekte und Ordner hin und her. Textfenster öffneten sich, Zahlenketten glitten Zeile für Zeile über die spiegelnde Oberfläche, bis Romanoff sie ärgerlich unterbrach.

Dann fand sie sie.

Die Akte Five Days.

Sie enthielt Lokis Daten während der gesamten fünf Tage. Taps hatte sein Verhalten stichpunktartig notiert, seine Werte vermerkt. Der aktuelle Eintrag war LOKI DAY 5. Er war noch leer.

Doch er war nicht der letzte.

Sie scrollte weiter. Und spürte das schmerzhafte Ziehen in der Brust als Reaktion darauf, dass eine unangenehme Ahnung zur Wahrheit wurde.

THOR DAY 2.

Sie hob den Kopf, blickte starr in die Gesichter, die sie ebenfalls ansahen. Rogers, Coulson, Hill, Fury. Sie alle warteten auf eine Erklärung. Aber in keinem der vier Augenpaare fand sie, wonach sie suchte. Sie wussten nichts. Nicht einmal Fury wusste irgendetwas.

Dabei war es so einfach. Wenn sich der Trinkwasseranschluss in Lokis Zelle selektiv kontaminieren ließ, dann war das auch bei jedem einzelnen der Quartiere möglich. So simpel. Und doch hatte niemand auch nur einen Gedanken daran verschwendet.

»Ich muss eine Katastrophe verhindern«, sagte sie nüchtern, reichte Coulson den Computer mit der geöffneten Datei und wandte sich zum Gehen.

Ihre Stimme hatte völlig sicher geklungen, und genauso sicher waren auch ihre Schritte, als sie zügig, aber beherrscht den Raum verließ und den Weg zur Arrestebene einschlug.
 

Als Thor die schwere automatische Tür, die den Weg zur Arrestebene blockierte und sich für gewöhnlich nur nach Autorisation öffnete, halb offen stehend vorfand, wusste er, dass er zu spät kam.

Aufkeuchend stolperte er durch den Spalt, mitten hinein in den hohen, dunklen Raum. Und blieb erstarrt stehen, als er seine Befürchtung bewahrheitet vorfand.

Die gläserne Tür der Hochsicherheitszelle stand offen. Nutzlos. Ihre computergesteuerte Verriegelung hatte versagt.

Loki stand noch in der Mitte der Zelle, aufrecht, lächelnd.

Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der nicht länger vorhandenen Blockade, stand Agent Taps.

»Thor.« Loki nahm seine Anwesenheit zur Kenntnis, ohne ihn anzusehen. Sein Blick blieb unverwandt auf Taps gerichtet. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Uns wird nie wieder etwas trennen. Aber ich empfehle dir, unsere Freunde künftig etwas weiser zu wählen.« Herablassend glitt sein Blick an Taps’ magerer Gestalt hinunter.

Der Agent atmete scharf ein. »Beleidige mich nicht, du – Ding! Ich habe deinen Geist unterworfen! Ich habe es geschafft, dich so lange in diesem Glas gefangen zu halten!«

»Du hast aber auch dafür gesorgt, dass ich freikomme«, erwiderte Loki wie beiläufig und wies auf die offene Tür zwischen ihnen. »Womit auch immer du mich vergiftet hast, es hat mich nicht nur all meiner rudimentären Empfindungsfähigkeit beraubt … sondern mir eine Macht verliehen, die nicht einmal ich selbst steuern kann.« Er grinste Taps an. »Verzweiflung tut Sonderbares mit euch Menschen.«

Thor wagte noch immer nicht, sich zu rühren. Sein Blick war verschwommen, sein Gleichgewichtssinn gestört. Der Raum schien zu schwanken. Erst jetzt merkte er, dass er am ganzen Leibe heftig zitterte. Obwohl es kaum noch kalt war.

»Noch bist du nicht frei«, knurrte Taps. »Erst musst du an mir vorbei. Und das wirst du nicht. Du bist mein Geschöpf. Ich habe dich neu erschaffen!«

»Wie wahr«, sagte Loki und lächelte sanft. »Das hast du. Und ich bin dir dankbar.« Noch immer machte er keine Anstalten, sich gewaltsam einen Weg aus der Zelle zu bahnen. Er stand einfach nur da und wartete. Lauerte.

Thor spürte Übelkeit in seiner Brust aufsteigen.

Taps, das wusste er nun, war ebenso irrsinnig wie Loki. Und nun wähnte er sich überlegen. »Ich wusste es«, sagte der Agent triumphierend und entblößte zwei funkelnde Zahnreihen. »Ich wusste, es würde funktionieren. Ganz egal, wie hoch eine Kreatur entwickelt ist – mein Medikament kann ihren Verstand unterwerfen! Ich habe ein Wunder gewirkt … Werde weitere Wunder wirken! Ein großartiger Durchbruch!« Er schien es selbst kaum begreifen zu können.

»So ist es«, bestätigte Loki ihm nur allzu bereitwillig. »Du wirst ein berühmter Mann deines Volkes sein, wenn du ihnen zeigst, was du mit mir gemacht hast.«

»Oh ja. Ja

»Alle Feinde deiner Welt … fünf Tage lang vergiftet, danach friedlich wie Schafe.«

»Ja! Ich verstehe jetzt, warum krimineller Abschaum wie du so nach Macht giert, nach Überlegenheit! Es fühlt sich wahrhaft wunderbar an!«, stieß Taps in Verzückung hervor. »Und es war so einfach! Jetzt werde ich es allen zeigen. Komm!«

Er trat von der offenen Glastür zurück. Eröffnete Loki den Weg.

»Nein!«, rief Thor aus und stürzte vorwärts.

»Bleib stehen!«, schrie Taps ihn an. »Du weißt gar nichts! Du bist nur ein unzivilisierter Wilder aus dem Weltall! Du warst nur das Mittel zum Zweck!« Mit wutverzerrtem Gesicht stellte er sich Thor in den Weg. »Bleib weg von meinem Subjekt! Es braucht dich nicht mehr. Die Behandlung ist abgeschlossen. Ich habe alles unter Kontrolle! Siehst du das nicht?« Er deutete hinter sich auf Loki, der unverändert vor der offenen Tür stand und eine Flucht überhaupt nicht im Sinne zu haben schien.

Thor verstand nicht. Er verstand gar nichts mehr. Ihm war furchtbar übel, und hinter seiner Stirn drehte sich alles.

»Siehst du? Er gehorcht mir!«, rief Taps in ekstatischer Freude aus. »Er wird von nun an uns allen gehorchen!«

Thor schluckte angestrengt den Brechreiz hinunter, der sich seine Kehle hinaufwürgte. »Gehorchen«, presste er hervor, »so wie die Beutelratte … die deiner Frau einen Finger abgebissen hat?«

»Was?« Taps’ Gesichtszüge entgleisten. »Was spinnst du dir da zusammen, du hirnloser Barbar? Alle meine Experimente waren ein voller Erfolg! Meine Frau ist …« Seine Augen glühten im Wahn. »… selbst Schuld! Sie hätte sich nicht einmischen dürfen, ihr Gezänk hat alles zunichte gemacht! Es geschah ihr recht

»Du bist wahnsinnig!«, ächzte Thor, der so viel Geisteskrankheit gar nicht begreifen konnte. In Taps’ Kopf geschah etwas ungeheuer Schreckliches, so schrecklich, dass es sogar seine Erinnerungen verzerrte und pervertierte.

»Du siehst es doch!«, fuhr Taps frohlockend fort, warf in Unbekümmertheit die Arme hoch und machte zwei beschwingte, fast tänzelnde Schritte nach rückwärts, die ihn dicht an die offene Glastür herantrugen. »Ich kann mit deinem Bruder machen, was ich will! Schau hin!« Und er trat in die Zelle.

»Nein!«, schrie Thor verzweifelt aus, jeden Moment mit dem Schlimmsten rechnend. Ein riesiger Sprung beförderte ihn vor die Glastür, die er keuchend mit seinem Körper versperrte. Aber zu spät.

Taps stand nun neben Loki, der immer noch völlig gelassen und zufrieden wirkte.

Nein, das konnte nicht sein. Taps machte einen Fehler, das wusste er. Den schlimmsten Fehler seines Lebens.

Doch noch immer triumphierte der fehlgeleitete Mann. Er spottete über Thors Panik. Sein breites Grinsen verwandelte sich jäh in einen Ausbruch abgehackten Gelächters, das immer heftiger wurde, so heftig, dass er sich schließlich auf die Knie stützen musste.

Loki an seiner Seite fiel unvermittelt in dieses Lachen ein. Thor stutzte; er hatte ihn lange nicht lachen sehen. Loki amüsierte sich sichtlich und hatte nun auch keinen Grund mehr, es zu verbergen. Der Unterschied war jedoch, dass Taps, während er lachte, immerfort Thor ansah, den Gegenstand seiner Belustigung, der, den er seiner Furcht wegen verhöhnte.

Loki jedoch sah Taps an.

Und dann passierte es.

Taps hatte sich so in sein Gelächter gesteigert, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Gleichfalls unausgesetzt lachend trat Loki hinter ihn, und kurz sah es aus, als wolle er dem anderen helfen, das Gleichgewicht zu halten.

»Nein, nicht!« prustete Taps. »Ich mag es nicht, wenn man mich anfasst, verstehst du?«

»Ich verstehe«, erwiderte Loki lachend, packte mit einer raschen Bewegung Taps’ Kopf und drehte ihm den Hals um.

Es knirschte, als das Genick des Mannes brach.

Taps röchelte, die Augen weit aufgerissen – dann sank er leblos zu Boden.

Lokis Lachanfall erlebte einen neuen Höhepunkt. Mit dem Fuß trat er Taps’ Leichnam beiseite, ehe er mit dem Handrücken über seine Augen fuhr und sich langsam wieder beruhigte.

»Kurzzeitig war er wirklich unterhaltsam«, grinste er. Dann wurden seine Züge wieder hart. »Doch jedes Vergnügen muss enden. Komm, Bruder. Es ist Zeit.«

Thor rührte sich nicht von der Stelle. Er war so entsetzt, dass ihm die Worte fehlten; er wusste nicht mehr, wie er sich bewegen sollte, gar nichts mehr. Alles, was er tun konnte, war, Loki mit leerer Miene anzustarren.

Loki bemerkte seine Lähmung. Er musterte ihn ernst, dann trat er ruhig auf Thor zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Es ist Zeit«, wiederholte er mit weicher Stimme. Und als er die andere Hand auf Thors Brust legte und sie sanft nach rückwärts schob, machte Thor ihm Platz.

»Na siehst du.« Loki dirigierte ihn, bis er nicht länger im Weg stand. Thor konnte nicht gegenhalten. Er gab nach wie ein Stück weiches Leder, in das eine Zierniete eindringt. Loki trat aus der Zelle heraus, und als er neben Thor stand, hauchte er ihm einen kühlen Kuss auf den Hals, kurz unter dem Kiefer.

Thor begann erneut, heftig zu beben. All das war zu viel für ihn. Er wusste nicht, was mit ihm vor sich ging, war nicht mehr Herr seiner Sinne und seiner Muskeln. So viel Kraft – und er wusste nicht, wohin damit.

Als er Lokis Hand auf seinem Rücken spürte, gaben plötzlich seine Beine unter ihm nach. Er fiel hart auf Knie und Hände, würgte hilflos und mit aller Kraft, aber sein Magen war seit Tagen leer und konnte nichts hervorbringen. Nur dünner Speichel troff von seinen Lippen auf den Filzboden. Zitternd und entkräftet verharrte er in der Hocke, mühsam um Bewusstsein ringend.

»Jetzt weißt du, wie es mir ging.« Lokis Stimme sickerte in sein Ohr wie warmer Honig. Unentwegt rieb seine Hand zärtlich Thors Rücken, schweißnass unter der dicken Jacke. »Komm mit mir, Thor. Diese Menschen sind wertlos. Lass uns sie ihrem unausweichlichen Schicksal überlassen.«

»Hmmmmm.« Thors Mund brachte kein deutliches Wort hervor.

Loki umfasste seine Schulter. »Steh auf, Thor. Uns bleibt nicht viel Zeit. Du musst bei mir bleiben.«

Mit wirren Gedanken sammelte Thor seine verbliebenen Kräfte zusammen und fand, dass es mehr waren als erwartet. Er spannte seine Muskeln, zwang sich hoch, kam strauchelnd auf die Füße. Loki hielt ihn fest, gab ihm Halt.

Was für eine seltsame Situation.

Wie bizarr.

Wie unnatürlich.

Sie mussten fort von hier.

»Halt!«, rief eine energische Stimme. »Ihr geht nirgendwohin!«

Loki erspähte den Ankömmling, ehe Thor auch nur die vage Herkunft der Worte ermitteln konnte.

»Ah! Unsere Freundin Agent Romanoff.«

Benommen sah Thor, wie sie näher kam, eine riesige, wunderlich aussehende Waffe auf Lokis Brust gerichtet.

»Warum bist du nicht in deinem Käfig, Meister der Lügen? Geh wieder rein. Sofort!«

»Und dann?«, fragte Loki und lächelte unschuldig. »Wohin wollt ihr mit einem Schiff ohne Antrieb? Spielt es noch eine Rolle, ob ich hier bin oder nicht?«

»Für mich schon«, entgegnete sie unnachgiebig. »Und falls du meinst, du bräuchtest dich nicht zu fürchten: Diese Waffe hier haben wir nach dem Vorbild eures Destroyers konstruiert. Glaub mir, es wird wehtun.« Ihre Augen blieben hart, doch ihr Mund lächelte. »Wie Tony sagen würde: Das Baby macht tüchtig Bums.«

Trotzig erwiderte Loki ihren einschüchternden Blick. »Und was tust du mit Thor?«, fragte er herausfordernd. »Wirst du auch auf ihn schießen?«

»Wenn es sein muss«, antwortete sie ohne zu zögern. Thor kannte sie, er wusste, sie würde sich keine Unsicherheit anmerken lassen. »Also los. Beweg dich.«

Loki rührte sich nicht. »Hast du vergessen, was ich mit Barton vorhabe?«, fragte er geschmeidig.

»Nein. Aber du hast keine Macht mehr über ihn.«

»Vorerst. Aber heute war kein Gift in meinem Wasser, weißt du das? Bald schon hole ich mir jeden Einzelnen von euch. Und ihr werdet qualvoll sterben. Alle

»Loki …« Thor keuchte. Immer noch war der Griff seines Bruders fest, ließ nicht zu, dass er wieder einknickte. »… nicht …«

»Oh, du bist nicht gemeint«, sagte Loki zärtlich in sein Ohr. »Wir werden die Menschen gemeinsam in den Staub werfen, wo sie hingehören.«

»Was?«, kam es verständnislos von Romanoff. Thor sah die Verblüffung im Gesicht der Agentin. Ihr argwöhnischer Blick huschte von ihm zu Loki und zurück. »Also hat es tatsächlich funktioniert …«, wisperte sie in die Stille.

»Geh aus dem Weg«, verlangte Loki beherrscht. »Ich werde dich nur einmal dazu auffordern.«

»Damit ihr aus dem Flugzeug springen und sanft zu Boden schweben könnt?« Sie schüttelte den Kopf. »Niemals.«

»Gut.«

In diesem Moment stürzte ein Mann hinter ihr durch den offenen Zugang. »Natasha!«

Sie fuhr herum, sichtlich erschüttert. »Clint! Aber –«

Mehr Zeit brauchte Loki nicht. Er packte Romanoff im Nacken und stieß sie grob zu Boden, ehe sie ihren Fehler bereuen konnte. Der athletische Mann hinter ihr löste sich in Nichts auf.

»Komm, Bruder!«

Loki zerrte Thor mit sich. Hüllte sie beide in ein Trugbild. Sie stiegen über Romanoff, die sich verzweifelt nach ihrer zu Boden gefallenen Waffe reckte, und hielten auf die Tür zu.

In diesem Moment wurde Thor klar, dass Loki, sobald er den Moment für schicklich hielt, alle an Bord töten würde. Alle. Weil er glaubte, dass sie ihm, Thor, geschadet hatten.

Da begehrte er endlich auf. Und rammte so wild die Fersen in in das schwarze Bodengitter, dass es hallend krachte.

»Zaudere nicht!«, zischte Loki. »Ich lasse nicht zu, dass sie dir noch einmal etwas antun!«

Grimmig löste Thor seinen harten Griff von seinem Arm, streckte diesen weit aus. Rief nach Mjolnir.

Loki wich vor ihm zurück. Sein Gesicht spiegelte Verwirrung. »Nein, Thor. Das kannst du nicht wollen. Ich bin dein Bruder. Ich liebe dich.«

Wann immer er diesen Satz bisher gesagt hatte, war es eine Lüge gewesen. Das wusste Thor nun. Umso schlimmer, dass Loki dieses Mal nicht log. Heute, am fünften Tag, hatte der Trank seine volle Wirkung entfaltet.

Hinter der Wand polterte es. Dinge fielen zu Boden, andere zerbarsten. Das Getöse wurde lauter und fand abrupt ein Ende, als das, was sich inmitten all dieser Gegenstände befunden hatte, freikam. Mjolnir, der schrecklichste aller Hämmer, schoss durch die offene Stahltür, an Loki vorbei, hinein in Thors Hand.

Furcht verzerrte Lokis weiche Züge. Rasch vergrößerte er den Abstand zwischen sich und Thor. Er sah aus, als habe er zum ersten Male Schmerzen. Wie ein geschlagenes Tier.

Thor hielt den schweren Griff fest umschlungen. »Geh wieder in die Zelle«, forderte er seinen Bruder auf. »Bitte. Mach es nicht noch schlimmer.«

»Nein!«, spie Loki zurück. In seiner Verzweiflung bückte er sich nach der am Boden kauernden Romanoff, griff in ihren Haarschopf und zog sie halb vom Boden hoch.

Die Agentin schlug um sich – aber nicht aus Angst, sondern aus Wut. »Thor, verdammt noch mal!«, zischte sie. »Tu endlich, was nötig ist!«

Und als Thor sie ansah, wie sie sich von Loki losriss, und danach das echte Entsetzen im Gesicht seines Bruders erfasste, der all dies gar nicht mehr wollte –

– da wusste er plötzlich, was nötig war.
 

Romanoff haderte mit sich, weil sie diese eine Chance vertan hatte. Sie war auf den ältesten Trick der Welt hereingefallen – jedenfalls den ältesten, seit es Illusionisten gab.

Clint.

Sie schüttelte sich innerlich. Loki hatte ihre Schwäche exzellent ausgenutzt. Nie hätte sie das zulassen dürfen. Die alptraumhafte Reise auf dem Helicarrier hatte ihre eiserne Disziplin tiefer erschüttert, als sie für möglich gehalten hätte.

Plötzlich ließ der ruppige Zug an ihrem Haar los. Sie hob den Kopf, robbte ungelenk nach rückwärts, so schnell sie konnte.

Thor war vor Loki getreten. Und hatte einen Arm um ihn gelegt. Einen Arm, mit dem er ihn jetzt sacht, aber bestimmt zu sich zog.

Was um alles in der Welt hatte er jetzt vor?
 

Langsam, ganz langsam führte Thor seinen Bruder den kurzen Weg zurück. Den ersten Schritt schaffte er bereits, als Loki noch fast eine Armlänge entfernt war; danach sträubte der Jüngere sich halbherzig, die List durchschauend, aber unfähig, vollen Willens dagegen zu handeln. Dafür war Thors Nähe zu kostbar. Es war das erste Mal, dass er sich – scheinbar – freiwillig Loki zuwandte. Thor wusste, dass er jetzt den einzigen brauchbaren Rat befolgen musste, den Agent Taps ihm jemals gegeben hatte: Verführ ihn.

Und das tat er.

»Nein, Thor … Du wirst mich nicht dazu bringen, wieder in dieses … Ding zu gehen …«, knirschte Loki, aber gleichzeitig folgte er Thor entgegen seinem Willen, schmiegte sich zitternd an ihn. Immer wich Thor in jenem zerbrechlichen Moment zurück, wenn ihre Körper sich warm berührten. Er hatte die Jacke geöffnet, um Loki noch mehr zum Folgen zu ermuntern. Bisher gelang es. Doch diese Hoffnung war fragil. Er durfte nichts falsch machen. Keine Kleinigkeit.

Loki forderte mehr von ihm, drängte stärker an Thor heran und schien im selben Moment zu spüren, wie ausgeliefert er war. Widerstrebend kam er mit, wenn Thor sich entfernte, doch diesem war bewusst, dass das zarte magische Band jeden Moment reißen würde, wenn er sein Angebot nicht mit jedem Schritt, den er Loki abverlangte, attraktiver gestaltete.

Also ließ er zu, dass Loki ihn wieder berührte. Die Hand unter seine Kleidung schob. Etwas in ihm scheute zurück, doch er hielt es unter Kontrolle. Keine Abscheu würde dies alles zunichte machen. Er musste überzeugend sein.

»Es ist ein schreckliches Gift«, brachte Loki zähneklappernd hervor. »Ich hasse es. Es ist die stärkste Art von Magie, die ich kenne … und ich wünschte, ich könnte sie beherrschen …« Er seufzte, als seine Hand über Thors Brust glitt. »Was tue ich hier, Thor … Was haben deine Freunde aus mir gemacht …?«

Mit zusammengebissenen Zähnen zog Thor ihn mit sich. Es waren jetzt nur noch wenige Schritte, die sie von der Zellentür trennten. Nicht aufgeben. Durchhalten. Es war zu schaffen. Ganz sicher.

Loki begann, gegen das Band zu kämpfen. Unwillig zischend versuchte er, den Abstand zu halten, doch Thor zog ihn unnachgiebig an sich.

»Komm, Bruder«, sagte er zärtlich. »Komm.« Es klang so echt. So liebevoll. Gar nicht nach dem mächtigen Thor. Nicht annähernd.

Sie waren fast bei der Schwelle. Nur noch hindurch. Hindurch!

Wieder versuchte Loki loszukommen. Er machte sich steif, drängte nach rückwärts, versuchte auszubrechen. »Nein … Nein! Du wirst mich nicht … dazu bringen …« Seine Finger auf Thors bloßem Körper griffen fest in das feuchte Fleisch seiner Flanke. Loki war so stark. Thor hielt die Luft an, unterrückte einen Schmerzensschrei. Fahrig griff er nach Loki, in seine Kleidung, um sich ebenfalls Zugang zur Haut zu verschaffen. Er musste ihn stärker reizen. Noch viel stärker.

Als Loki seiner Bemühungen gewahr wurde, half er ihm sofort. Seine Tunika unter der Rüstung aus Leder und Metall war nicht dafür gemacht, eine Körperstelle unbedeckt zu lassen, deshalb führte er Thors Finger kurzerhand an seinen Hals, dorthin, wo bläulich die Vene unter dem Schlüsselbein und harten Sehnen verschwand.

Thor hatte ihn zurückgewonnen. Hingebungsvoll die weiche Kuhle zwischen den Muskeln streichelnd zog er Loki zurück in sein gläsernes Gefängnis.

Ein Gefängnis, das jetzt auch seins war.

Blitzschnell ließ er Loki los, wandte sich der Tür zu und riss sie mit beiden Händen und aller Kraft in ihre ursprüngliche Position zurück. Er hörte, wie die magnetischen Schlösser scharf klickend einrasteten.

Es war getan.

Loki stürzte sich zähnefletschend auf ihn. Stieß ihn mit enormer Wucht gegen die durchsichtige Wand, als könne er Thors Körper zum Einschlagen des Glases benutzen. »Was hast du getan!«, schrie er ihn an. »Wie oft willst du mich noch einsperren? Wie oft dich noch an meinem Leid erfreuen, daran, mir überlegen zu sein? Stärker zu sein als ich?« Wieder versetzte er Thor einen derben Stoß, der ihn gegen das Glas prallen ließ. Dann schlang er, zu Thors Entsetzen, die bleichen Finger um den Griff von Mjolnir.

Erschrocken packte Thor das lederumwickelte Holz fester. »Du weißt, dass du ihn nicht heben kannst!«, ächzte er, indem er Loki abzuwehren suchte. »Du weißt es!«

»Und du weißt, dass ich nicht dumm genug bin, mich betrügen zu lassen!«

Eine Stimme sagte: »Aber verliebt genug.«

Thor fuhr er herum. Agent Romanoff stand vor der Zelle und wandte sich soeben, ohne eine Sekunde Zeit zu verlieren, dem kleinen Steuerpaneel zu. »Nicht nur Nick kennt den Code«, belehrte sie die beiden Männer. »Ich hoffe, zumindest dieser Mechanismus funktioniert noch. Aber da das Öffnen der Luke mittels Hydraulik geschieht, erwarte ich keine Probleme.«

Ihre Finger huschten über den Schirm. Fünfmal berührte sie in schneller Folge verschiedene Punkte; dann hielt sie noch einmal inne und sah Thor fest in die Augen.

Unter dem Boden der Zelle tat sich pfeifend und singend der winddurchwehte Abgrund auf.

»Es tut mir Leid«, sagte sie ehrlich. »Aber du bist Teil von Taps’ Experiment geworden. Er hat dich auf Loki geprägt. Du wirst ihn nicht töten, egal wie sehr du es willst.« Ihre Finger schwebten über der letzten großen Taste. »Verzeih mir.«

Nach allem, was passiert war, erschreckte Thor diese Nachricht nicht mehr. Er schluckte und nickte. »Ich verzeihe dir. Tu es. Es gibt keine andere Möglichkeit.«

»Nein. Viel Glück.« Romanoff brach den Blickkontakt. Ihre Hand ging auf den Schirm nieder.

Mit einem Klicken gaben die Halterungen nach. Alles sackte ruckartig nach unten.

Dann kam der freie Fall. Thor und Loki wurden gegen die Zellendecke geschleudert, und dann ging es abwärts, abwärts, immer tiefer, und die Stadt raste heran, immer schneller, dreißigtausend Fuß in die Tiefe.
 

Der Lärm verebbte rasch.

Eine Ewigkeit starrte Romanoff auf die leere Stelle in der Mitte des Raumes. Ihre Hand lag auf dem Schaltpaneel, Minute um Minute. Sie zitterte nicht.

Irgendwann – sie wusste nicht, wie viel später – waren Schritte hinter ihr zu hören. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Kurz hatte sie die irre Hoffnung, es möge Clint sein, doch natürlich war er es nicht.

»Sie haben es wirklich getan«, stellte Rogers mit einer gewissen Faszination fest. »Das war sicher nicht leicht. Meinen Respekt, Natasha.« Er ließ sie los und ging um die käfigartigen Streben herum, die die gläserne Zelle in ihrer Halterung eingefasst hatten. »Gut gezielt haben Sie auch. Agent Hill sagt, die Kapsel wäre in einem wenig belebten Viertel auf einem leeren Platz aufgekommen und hätte den Boden durchschlagen – mitten in einen Ausläufer des stillgelegten U-Bahn-Netzes. Das klingt wie sechs Richtige im Lotto, finden Sie nicht?« Er versuchte, sie anzulächeln, doch seine Miene wirkte seltsam verzerrt. Nein, auch er war nicht glücklich. Er konnte nur besser damit umgehen. Er war Soldat.

»Wir müssen nach Thor suchen«, sagte sie tonlos. »Oder nicht?«

Rogers zögerte. »Natasha …« Er suchte nach Worten. Nach den richtigen. »Hören Sie, ich habe gerade mit Nick und Phil darüber gesprochen. Es ist vielleicht … nicht klug, eine Suche anzufangen.«

Sie wusste bereits, was er sagen würde. Es klang so richtig. So logisch.

»Ich meine«, fuhr Rogers unbeholfen fort, »in gewisser Weise haben wir das Ziel unserer Mission erreicht. Loki hat den Menschen mit Krieg gedroht. Wir haben ihn aufgehalten. Die Menschen zu beherrschen hat in seinem Kopf an Bedeutung verloren, er … ist jetzt auf Thor fixiert. Was auch immer da für ein riesiges Loch in Loki war, das ihn so nach Macht hat dürsten lassen … Thor füllt es jetzt. Die Gefahr ist abgewendet. Verstehen Sie?« Er sah Romanoff eindringlich an. »Es gibt nichts mehr, das wir tun können. Die beiden, falls sie den Aufprall überlebt haben, sind jetzt mit sich selbst beschäftigt. Das ist mehr, als wir uns am Anfang hätten wünschen können.«

Sie nickte langsam. Er hatte Recht. Keine weiteren Menschen waren Lokis Tobsucht zum Opfer gefallen. Wenn er und Thor wirklich noch lebten, dann hatten sie miteinander genug zu tun. Für Menschen oder Weltherrschaft war da kein Platz mehr. Sie hatten eine jahrhundertelange vergiftete Beziehung aufzuarbeiten.

Bei diesem Gedanken lächelte sie gequält. Was für abscheuliche fünf Tage es doch gewesen waren. All die Beklemmung, die Ungewissheit. Die ständige drohende Gefahr. All das war nun vorbei.

Wie zur Bestätigung dieser Vermutung sprang plötzlich das Licht über ihren Köpfen an. Flackernd begann eine Leuchtstoffröhre nach der anderen zu brennen, bis alle in demselben satten, weißen Licht leuchteten. Es war so hell, dass sie die Augen zusammenkneifen musste.

Gleichzeitig nahm der Maschinenlärm wieder zu. Das Dröhnen der Schubmotoren schwoll an, bis es sich zu einem hellen Summen oberhalb des menschlichen Hörvermögens gesteigert hatte. Mit einem kurzen Schwanken, das sich anfühlte, als hätte etwas Weiches der Außenhülle einen Stups versetzt, geriet der Helicarrier in Bewegung.

Romanoff sah in das erleichterte Gesicht des Captains, aus dem innerhalb eines kurzen Augenblickes aller Harm verschwunden war. Die bösen Tage waren vorüber. Endlich, endlich ging es bergauf.

Über ihnen knackte es in der Leitung.

»Captain Rogers, Agent Romanoff«, erfüllte eine bekannte sonore Stimme den Raum. »Marsch mit Ihnen auf die Brücke. Wir haben den Stark Tower im Visier. Raten Sie mal, was uns da entgegen leuchtet.«

Rogers atmete tief ein. »Wir sollten gehen«, sagte er aufmunternd. »Kommen Sie?«

»Oh, und Agent Romanoff?«, fuhr Fury unverhofft fort. »Wir sehen da auf dem Turm auch jemanden warten, der sich freuen wird, Sie zu sehen.«

Romanoff erschauerte. Wärme stieg in ihrer Brust auf und strömte bis in die Finger- und Zehenspitzen. Er war da. »Ja, wir … sollten gehen«, stimmte sie Rogers zu und setzte sich wie automatisch in Bewegung.

Furys Meldung hatte auch die letzten Zweifel in ihr vertrieben. Nun wusste sie ganz sicher, dass alles gut werden würde.

Nachdem sie eilig an Rogers vorbeigegangen war, damit er ihr Gesicht nicht sehen konnte, erlaubte sie sich, die verräterischen Tränen fortzuwischen. Sie wusste, dass es eine Zeitlang dauern würde, bis sie ihre kühle Beherrschung wiedererlangt hatte.

Sei es drum.
 

Viele Meter unter der mit Steinen und Mörtel beschichteten Erdoberfläche scharrte etwas im Geröll. Eine Schienentrasse, jahrzehntelang unbenutzt, ruhte unter Staub und Verfall. Schimmelnde Reste von Plakaten, modernde Kunststoffverkleidungen, von Ratten zerfressene Kabel; alles erfüllte die erdig-stickige Luft mit seinem Dunst von Schwund und Vergessenheit.

Stöhnend wälzte Thor die dicke Glaswand von seinem taub gewordenen Körper. Ihre scharfen Ränder hatten tief in sein Fleisch geschnitten, die gierige Ede sein Blut getrunken. Mehrere seiner Rippen waren gebrochen. Seine linke Speiche entzwei.

Alles würde heilen, und zwar in einem Tempo, von dem ein Mensch nur träumen konnte.

Jetzt aber hatte er Schmerzen. Und davon nicht wenig. Er konnte sich kaum bewegen, ohne nahezu das Bewusstsein zu verlieren.

In seiner Hand lag Mjolnir. Die Waffe hatte einen Krater geschlagen, der in seinen Ausmaßen größer war als Thor selbst. Nun half sie ihm nicht mehr weiter. Er hatte mühsam das Gefängnis gesprengt, doch nicht schnell genug. Innerhalb der von Rissen durchzogenen Glaswände waren sie auf Stein geprallt, erneut gefallen, wieder hart gelandet. Nun lag er hier, halb verschüttet unter den Resten des durchsichtigen Käfigs.

Geräusche in der Nähe zeigten an, dass auch Loki noch lebte. Thor hörte seinen langsamen, schleppenden Schritt. Aufsetzen. Schleifen. Aufsetzen. Schleifen. Er zog ein Bein nach.

»Bruder?«, keuchte Thor. Seine Stimme war ungewohnt dünn, kraftloser noch als in den kältesten Stunden auf dem Flugschiff.

Der Schritt verstummte kurz; dann wurde er schneller. Kam näher.

Mühsam hob Thor den Kopf. Sein Gesichtsfeld kreiste. Mjolnir ließ er nicht los, während er darum kämpfte, sich aufzusetzen.

Loki geriet in Sichtweite. Blutüberströmt. Hinkend. Aber lächelnd.

»Bruder«, sagte er liebevoll und näherte sich der Kuhle, in der Thor halb auf dem Rücken lag. »Die Frage, ob du wohlauf bist, ist wohl überflüssig.« Sein Blick wanderte zu dem Hammer, der in Thors Hand zitterte. »Wir sind allein«, stellte er fest. »Nur du und ich, Thor.«

»Ich weiß.« Thor atmete tief durch. Und nahm sich zusammen. Mit einem kurzen, heiseren Schrei kam er halb vom Boden hoch. Gelenke knackten. Einer seiner Rückenwirbel knirschte schmerzhaft in der Verankerung.

Es war nicht wichtig. Verletzungen heilten. Schmerzen vergingen.

Mjolnir war da. Sein Schwert und Schild zur gleichen Zeit.

»Nur wir beide«, sagte er unter schwerem Atem, gebeugt im Krater sitzend. »Wir müssen es beenden, Bruder.«

Loki kniete sich neben ihn. Beugte sich zu ihm, bis sein kühler Atem Thors Hals berührte. »Das müssen wir«, stimmte er zu. »Ich werde nicht in einer Welt leben, in der ich nie mehr sein kann, wie ich war. Tu es nur. Schlag mir den Schädel ein.« Er lächelte kummervoll. »Aber vorher …« Seine Stimme wurde leiser, als er sich noch näher an das blutige Ohr seines Bruders beugte. »… solltest du mich küssen.«

Thor war nicht entsetzt. Nicht mehr. Er war nicht einmal wirklich überrascht. »Wenn das dein Wunsch ist«, sagte er ruhig.

»Es ist befremdlich genug. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass das einmal mein Wunsch sein würde.« Loki schenkte ihm sein abnormes Lächeln, überheblich und spöttisch, dennoch seltsam bittersüß im Moment des nahen Todes.

Als er sich noch näher zu Thor hinunterbeugte, hob dieser unter Schmerzen den gebrochenen Arm, der Mjolnir hielt, bis er dicht über Lokis Scheitel schwebte.

Ihre Lippen berührten sich auf eine keusche, zaghafte Weise. Sie waren wie Kinder, die etwas Verbotenes taten. Jene Kinder, die sie früher gewesen waren. Die alles geteilt hatten.

Thors Muskeln spannten sich stärker.

Er wusste, was er zu tun hatte.
 

ENDE


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein Wort zum Geleit:

Ich gebe zu, das Ende … Also, bei der Planung fand ich, es hätte eine ganz gute Dynamik. Mittlerweile finde ich es ziemlich kitschig … Aber was soll’s. Hätte viel schlimmer kommen können. ;)
Die Offenheit ist Absicht. Ich weiß selber nicht, wie es ausgeht. Mehrere Möglichkeiten bieten sich an. 1) Thor tötet Loki. Wäre stimmig. 2) Loki tötet Thor. Er hat ihn die ganze Zeit ausgetrickst und ergreift die nächstbeste Gelegenheit, sich doch noch Mjolnir zu krallen. Ob er ihn heben kann … Wer weiß … 3) Thor erkennt im Moment des Kusses, dass er Loki nicht töten kann. Beide überleben. Und dann ist wieder alles möglich …
Wie gesagt, ich weiß es nicht. Werde es nie erfahren. In meinem Kopf ging die Geschichte nie weiter als bis hier. Und vielleicht ist das ja auch gut so. ;)

Vieles an der Geschichte sah in der Planung noch überhaupt nicht so aus und hat sich während des Schreibprozesses völlig anders ergeben. Tony z.B. sollte eigentlich eher der Bad Guy sein, der sich immer stärker gegen Thor wendet, der ja Loki immer noch helfen will. Hat nicht funktioniert, stattdessen hat er Thor bis zuletzt unterstützt. Eigentlich sollten auch alle Avengers immer heftiger aneinander geraten, sich zuletzt bekämpfen, selber nicht wissend, wieso. Hat auch nicht funktioniert. Sie haben zusammengehalten. Früher hab ich Schreiber insgeheim belächelt, die sagten „Aber meine Figuren wollten das nicht!“ Jetzt hab ich kapiert, was das wirklich bedeutet. Die wollten das nicht. Partout nicht! Eine Erfahrung, die ich bisher noch nie gemacht habe. Sehr lehrreich.

Auf wiedersehen und danke fürs Reinschauen! Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (19)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -WeiWuxian-
2017-05-18T17:14:20+00:00 18.05.2017 19:14
mehr mehr mehr bitte
Antwort von:  CaroZ
11.06.2017 14:28
Danke dir für den Kommentar! :D
Aber ich finde, mehr kann man hier nicht rausholen, die Geschichte ist einfach zu Ende. Aber ich freue mich, dass sie dir anscheinen gefallen hat!

Liebe Grüße
Von:  Dango-sama
2016-05-14T13:58:55+00:00 14.05.2016 15:58
Wow. Mehr weiß ich gerade gar nicht zu sagen. Wow.
Ich lese selten deutsche Fanfics, aber diese ist eine der seltenen sehr guten und sogar eine, die mich so gefesselt hat, dass ich sie am Stück gelesen habe. :) (Und das könnte eine längere Review werden, sorry.)
Erstmal zu deinem Schreibstil: Ich mag ihn sehr. Man merkt, dass du Schreiberfahrung hast (oder es wirkt zumindest so xD) und auch wortgewandt bist. (Wortgewandtheit finde ich immer sehr gut, findet man aber leider selten bei dt. Fanfics.)
Dadurch kamen die wissenschaftlicheren Erklärungen bzw. psychologischen/physiologischen Wirkungsweisen der Droge überzeugend rüber. Auch die unterschiedliche sprachliche Ausdrucksweise der Charaktere ist gut rübergebracht und IC (z.B. dass Thor und Loki eher archaische Wörter wie "verleiden", "Marter" usw. benutzen, dafür Tonys Sprachprofil natürlich eher "bums" hat und Fury eher authoritär/streng ist).
Das gilt auch für den Rest der Charakterisation. Ensemble-Fics sind immer recht schwierig zu schreiben, da so viele Charaktere IC gehalten werden und glaubhaft miteinander interagieren müssen. Ist dir aber sehr gut gelungen.
Ich persönlich mag tatsächlich das Pairing Thor/Loki, aber dank der Situation und deiner Erzählweise waren mir die heikleren Szenen tatsächlich fast so unangenehm wie Tony, Steve und Co. ^^ (Hätt ich nicht gedacht.) Auch für mich kam "die Hand an einem Ort, an dem sie nichts zu suchen hat" überraschend. Gut, dass niemand meinen Gesichtszirkus und das "... OH!" in dem Moment mitgekriegt hat. Bei Rechtschreibung/Grammatik sowie der Kapitelaufteilung auf die entsprechenden Tage gibt's auch nichts zu beanstanden. ^^

Außerdem mag ich auch die schleichende und individuelle Entwicklung der Menschen/Situationen an Bord. Wie die negative Beeinflußung zunächst sehr unterschwellig mit Bruces leichten Magenbeschwerden und dem Platzmangel beginnt. Zuerst denkt man sich nichts dabei und es werden andere Gründe vorgeschoben (wie die moralische Bedenklichkeit des Experiments an sich, dass vllt. auf einige Leute wirkt), bis die Charaktere und der Leser dann immer mehr bemerkt, dass etwas ungewöhnliches vor sich geht und schließlich dann erkennt, was wirklich los ist (als es fast schon zu spät ist). Exzellentes Erzähltempo und nicht zu viel Foreshadowing. :) Gerade so, dass man mit den Charakteren auf einem Stand ist und sich als Leser nicht schon frühzeitig den weiteren Plot denken kann. Das hat es sehr spannend gehalten. Ich habe mich wirklich recht lang gefragt, ob das Experiment denn nun überhaupt funktioniert oder doch nicht funktioniert oder fehlfunktioniert oder ganz übers Ziel hinaus schießt. Bis die Charas es ebenfalls festgestellt haben.

Ich nehme an deswegen hast du auch nie wirklich aus Lokis Sicht erzählt, sondern meist aus Thors, Tonys, Bruces, Natashas etc. Lokis Sichtweise hätte dem Leser zu viel verraten über das, was wirklich mit ihm und ggf. dem Zepter passiert. :)

Gerade diese Unklarheiten und der nicht vorhersehbare Plot haben es sehr interessant gemacht, sodass man mit allen Charakteren in den späteren Chaptern richtig mitgelitten hat. Wenn eine Fanfic das schafft, ist sie gut. ;) Diese gedrückte, hoffnungslose Stimmung, bei der jeder sieht, dass das wohl auf eine Katastrophe hinausläuft und man trotzdem praktisch nichts machen kann außer durchhalten. Oh man.

Auch war ich mir beim letzten Chapter nicht sicher, wie du das nun enden lassen würdest. Für einige Momente dachte ich, Loki hat es irgendwie geschafft den Spieß umzudrehen und Thor so an sich zu binden, dass Thor das willenlose Subjekt ist (da er in der Prägungsphase war) und er nach Natashas Überwältigung mit ihm in die Freiheit flieht. (So ein bittersüßes "Ritt in den Sonnenuntergang"-Ende, was praktisch kein Happy End für Thor wäre, hätt ich jetzt auch nich schlecht gefunden.)
Doch es ging weiter und das richtige Ende hat dann nochmal reingehauen. So perfekt wie bittersüß und traurig. Ach man, diese zwei Jungs ey...
Hach, die anderen Reviewer haben auch schon ganz gut erklärt, was ich an der Story alles so gut fand. Ich fass meine ersten Gedanken nach dem Ende jetzt nochmal ganz gewandt zusammen: "woah..." ;) Fasst die Fanfic an sich auch sehr gut zusammen.
Deine Arbeit und Mühe für diese Fanfic haben sich echt gelohnt und das sieht man. :) Du solltest weitere fanfics schreiben! :)
LG
Dango

Antwort von:  CaroZ
16.05.2016 16:41
Moin Dango!

Vielen, viiielen Dank für das tolle und lange Review! Ich lese jedes Wort mit Genuss! =D

Ich freue mich über lange Kommentare! Allerdings kommt nun auch eine lange Antwort auf dich zu. ;)

Cool, dass du dieser deutschen Geschichte eine Chance gegeben hast. Ich weiß, sie geraten immer mehr in Verruf, aber ich fühle mich im Deutschen immer noch am ehesten zu Hause. Da kann ich einfach mehr machen. Im Englischen habe ich immer noch viel weniger Wortschatz und Sprachgefühl – aber beides ist mir eben so wichtig.

Yay, danke auch für dein Lob! Die Geschichte war wirklich ein ganz großes Experiment auf Neuland – ich habe mein sicheres Gebiet der extrem laaaangen Plots und alteingesessenen Fandoms verlassen und mich an was für mich ganz Neuem versucht. Den Charakteren allen gerecht zu werden war wirklich schwierig, hat aber Spaß gemacht – und vor allem freut mich, dass es offenbar gelungen ist!

>>Ich persönlich mag tatsächlich das Pairing Thor/Loki, aber dank der Situation und deiner Erzählweise waren mir die heikleren Szenen tatsächlich fast so unangenehm wie Tony, Steve und Co. ^^<<

Mwahaha, das ist ja geil. xD Dass das klappt, hätte ich nicht gedacht.

Schön, dass du die Entwicklung bemerkt hast. So „Hintergründiges“ wird ja manchmal gar nicht wahrgenommen. Aufmerksame Leser, die so was wertschätzen, muss man auch erst mal finden!

Ich hab ja teilweise selber nicht immer gewusst, wo genau es hingeht, denn irgendwie musste ich von meinem Plan recht oft abweichen. Es gab noch so eine zweite Entwicklung neben der eigentlichen. Das war besonders cool.

Das mit Lokis Sicht: Exakt! Das ist der Grund dafür.^^ Loki sollte immer nur das Objekt sein, das Patiens, man sollte nie wissen, wie es in ihm aussieht.

Freut mich, dass das alles so gut aufgegangen ist, mit der Atmosphäre und der veränderten Wahrnehmung. Mit Farben und Effekten wie im Film kann man ja leider nicht arbeiten.

Auch dass du das Ende magst, beruhigt mich. Ein schlechtes Ende kann jede Geschichte ruinieren, und so glücklich war ich letztlich damit gar nicht mehr … Aber von Anfang an wollte ich dieses Kitschige. Jaja, die zwei … Hätte besser ausgehen können für sie …

Ich hab schon überlegt, ob ich mal wieder was zu den beiden schreibe, hab auch Pläne, aber keine Zeit. Wie immer. xD

Also, danke noch mal für die vielen lieben Worte! Da weiß man eben, wofür man schreibt. :)

Wünsche dir noch einen wunderschönen Pfingstmontag!

Liebe Grüße
Caro
Von: abgemeldet
2016-01-31T12:33:53+00:00 31.01.2016 13:33
Hi,

Schöne Geschichte, die mir stilistisch viel Spaß gemacht hat. Die Dialoge waren lebendig, die Beschreibungen stets den Umständen angepasst. Für mich war es die erste Story, an der ich an Lokis Zuneigung nichts zu mäkeln fand, denn das Neuroleptikum hat exakt die richtigen Schalter gedrückt und mit der Interaktion zu den anderen wurde die Angelegenheit rund. Thor hat für mich durch die Sprechweise den O-Ton des Originals perfekt imitiert, obwohl Stark ein wenig warmlaufen musste - in der Gesamtbetrachtung ist es dir dennoch gelungen, die Genreeinordnung makellos umzusetzen, die Charaktere mitsamt ihrer Macken zu treffen. Extrem cool auch dass am Anfang die Sache mit dem Szepter oder auch das Apathische eingebunden wurde.
Warum eigentlich keine Charakterbeschreibung oder Cover? Fakt ist, sehr einsteigerfreundlich, auch für Laien, und packend.

Cylk
Antwort von: abgemeldet
31.01.2016 13:38
Hmpf, da hat er einen Absatz gelöscht: Kompliment hier im letzten Kapitel nicht nur für die Technik, sondern auch den Funk mitsamt Barton. Wäre die Story nur das gewesen, hätte ich es sinnbildlich mit Herzen beklebt. An der Stelle hatte es Kinoqualität. Exakt die perfekte Mischung aus Dialog und Beschreibung.
Antwort von:  CaroZ
31.01.2016 16:10
Hallochen!

Ich danke dir herzlich für den lieben Kommentar. Macht den Tag gleich schöner.^^ Es ist ja meine erste und einzige FF in dem Bereich, da freue ich mich, dass sie so gut ankommt. Yay! xD

>>Warum eigentlich keine Charakterbeschreibung oder Cover?<<

Hm, mit den Charakterbeschreibungen werde ich nicht so wirklich warm, zugegeben … Erstens hat man die bei gedruckten Geschichten und anderen FF-Archiven auch nicht (Animexx ist da, glaub ich, wirklich die Ausnahme), zweitens würde wohl niemand, der die Figuren nicht kennt, eine FF zu ihnen lesen. Oder vielleicht doch? Ich lasse da gerne meinen Horizont erweitern.^^ Bisher hielt ich Charakterbeschreibungen höchstens bei OCs für sinnvoll, jedenfalls dann, wenn es unübersichtlich viele gibt.
Und Titelbilder … hätte ich eigentlich gerne für alle meine Storys, aber ich kann einfach nicht gut genug zeichnen/malen. Und Bildmaterial eines anderen verwenden will ich auch nicht. Was ich mir für diese FF als Titelbild vorstelle, ist eine Außenaufnahme von der Glaszelle (leer, niemand im Bild), schön in dem kalten, bläulichen Licht, mit Frost an den Scheiben und evtl. ein paar Eiszapfen von der Decke. :)

Aber ja, vielleicht hast du Recht, ich werde mich mit beidem mal befassen, irgendwie.^^°

>>Fakt ist, sehr einsteigerfreundlich, auch für Laien, und packend.<<

Danke!!
Ich muss nur nachhaken: Was meinst du mit „einsteigerfreundlich für Laien“? Meinst du damit Leute, die sonst keine Fanfics lesen, oder Leute, die sich mit den Avengers nicht auskennen, oder Leute, denen inhaltlich manches fremd ist (Psychopharmaka usw.)?

Hihi, danke auch noch mal für das Lob zur Barton-Szene. Die hat mir auch viel Spaß gemacht. =]

Insgesamt noch mal ein Danke fürs Lesen und Kommentieren, hat mich sehr gefreut!

Liebe Grüße
Caro
Antwort von: abgemeldet
02.02.2016 15:33
Ich meine mit "laienfreundlich", dass man die Serie nicht kennen muss, um bei dir alle auseinanderhalten zu können. Sie werden originalgetreu und prägnant geschildert, sodass man am Ende sagen kann: Schaut die Person sich nun die Filme an, ist kein Unterschied festzustellen. Thor ist Thor, quasi. :)

Sonst sprech ich nur für mich: Gerade bei den YUALs schaue ich auch bei mir unbekannten Fandoms herein, und freue mich über Beschreibungen/Bilder.
Teils hast du auch in Bücher-Glossaren noch Angaben, wie z.B.: "Charly - Bruder von X".

Aber du hast Recht: Es ist Geschmackssache. Ich war nur neugierig. ;-)
Cylk
Von: abgemeldet
2016-01-20T19:00:41+00:00 20.01.2016 20:00
Eine interessante Idee, ich muss zugeben, ich bin neugierig, wie du das umsetzen wirst. Das Paring ist zugegeben nicht mein Fall, aber mal schauen xD
Die Charaktere sind bis hierher auf jeden Fall sehr schön umgesetzt, gerade Nick Fury und Natascha fand ich unheimlich gelungen - und Tony natürlich. Grandios finde ich auch die Beschreibung von Lokis Verhalten, das nur zu deutlich macht, dass er sich nicht als der in der unterlegenen Position betrachtet.
Dass sich die Leute nicht einig sind, wenn es um die Anwendung dieses Mittels geht, war vorhersehbar, ich muss allerdings Kerstin zustimmen, dass der Konflikt etwas arg schnell gelöst wird. Mal schauen, vielleicht gehst du ja an anderer Stelle noch einmal darauf ein. Schön wäre es auf jeden Fall!
Antwort von:  CaroZ
21.01.2016 11:12
Hallöchen,

Danke für deinen netten Kommentar!
Ich mag Slash nur sehr bedingt und das Pairing ebenfalls, deswegen wollte ich auch nicht die typische Slash-Geschichte schreiben. Es wird auch nicht gerade viel Geturtel geben ... eher im Gegenteil.
Danke auch für das Lob. Ich hoffe, ich habe das Thema auch im Folgenden differenziert genug gehandhabt. Denn natürlich ist der Konflikt nicht so schnell zu lösen.

Liebe Grüße!
Caro
Von:  Flying-squirrel
2016-01-04T16:17:44+00:00 04.01.2016 17:17
Auf mich machte die Kurzbeschreibung auch erstmal keinen guten Eindruck: Psychopharmaka und dann Thor/Loki, das klingt nicht wie etwas, was ich gerne lesen würde. Das erste Kapitel finde ich doch deutlich besser, als ich erwartet hätte, aber es ist auch nicht wirlich mein Genre. Das ist allerdings mein subjektives Empfinden, anderen wird die Handlung sicherlich besser gefallen.
Den Schreibstil dagegen finde ich gut, zudem merkt man deutlich die charakterlichen Unterschiede der Personen. Man sollte diese Geschichte auch verstehen, ohne viel Hintergrundwissen zu besitzen.
Antwort von:  CaroZ
04.01.2016 17:21
Halloli,

Danke für deine ehrliche Meinung! Ich bin gespannt, ob dich der Rest vielleicht noch überzeugen kann. Wenn nicht, ist es aber auch nicht schlimm. Ich lese auch nicht gerne Geschichten, die mich nicht interessieren, und ziehe deshalb meinen Hut, da du es trotzdem tust. ^.~

Grüßli
Caro
Von:  scippu
2016-01-02T21:47:54+00:00 02.01.2016 22:47
CaroZ, diese Geschichte.... also, ehrlich. Der Wahnsinn! Es gibt nichts, absolut nichts, was ich daran nicht phänomenal finde.
Eine der besten Fanfiktions, die ich je gelesen habe. Sie ist makellos.

Nun gut, das stimmt nicht. Ein paar Kommarfehler, ab und zu mal fehlt ein Wort. Aber auf die Wortzahl ist es sehr gering. Da saß ein aufmerksamer Beta dran.



Der Stil ist fantastisch. Knackig und gut. Absolut präzise, verhält nicht palavernd an unwichtigen Stellen, sondern steht der Handlung phänomenal zur Seite.

Die Aufteilung der Kapitel bot sich auf diese Art an. 5 Kapitel für 5 Tage, eines einführens als Erklärung.
Richtig genial waren die Perspektivwechsel, so dass jeder Avenger mal dran kam. Alle waren großartig getroffen und glaubwürdig.
Aber dazu später mehr.
Der Clou mit der Prägung Thors kam als Überraschung. Aber im Nachhinein kann man die Anzeichen erkennen. So was zu schaffen ist sehr schwer und zeichnet einen richtig guten Plot aus!
Dramaturgisch an sich stimmt hier außerdem alles.

Gedanken und Gefühle der Charaktere sind unheimlich passend.
Durch sie erfährt man immer stückchenweise was eigentlich los ist, genau in dem Maße, wie sie es herausfinden.
Alles ist glaubhaft und absolut in charakter.
Jedes Wort stimmt.
Ich kann mich darüber wirklich nicht genug auslassen.
Tonys Darstellung strauchelte anfangs etwas für mich. Aber er ist auf Deutsch auch echt wirklich schwer darzustellen. Aber du findest ihn sehr, sehr schnell und er erfüllt dann absolut passend seine Rolle: das lose, scharfe Mundwerk eines chronisch unterforderten Genies, der auf seine dreiste Art wichtig für den Fortlauf der Story ist.

Tja... die Idee ist außergewöhnlich, großartig geplottet und extrem gut umgesetzt.
Ich habe selten so eine gute Geschichte gelesen.

Und wenn ein Autor es schafft, mich so sehr zu überraschen, dass ich während des Lesens eine so starke Reaktion zeige (in meinem Fall plötzliches hörbares Einatmen, kurzes Stocken, die Hand schlägt an den Mund und dann kommt kaum zu unterdrücktes Kichern... aus einem Anfall völlig schutzlos getroffener präpubertärer Veranlagungen und gezierter Schockierung), dann muss da schreiberisch was Großes geschehen sein.
Die Hand an 'einem Ort an dem sie nichts zu suchen hat' kam so aus dem Nichts, dass ich völlig perplex da saß. Es muss göttlich gewesen sein.

YUAL absolut verdient. Danke, es hat einen riesen Spaß gemacht!!!
Antwort von:  CaroZ
03.01.2016 23:02
Hallo liebe scippu,

Ich bin immer noch total happy über die YUAL-Kür, das macht mich immer noch ganz wuschig. :D

Danke für das viele Lob, das ist echt ein wunderschöner Start ins Jahr. Bin sehr froh, dass die Geschichte doch noch ein paar liebe Menschen unterhalten kann.^^

>>Ein paar Kommarfehler, ab und zu mal fehlt ein Wort.<<

Oh no no no! >.< Ich hab den Texte gefühlt 1000 mal gelesen und er ist immer noch nicht sauber. :/ Also, falls du rein zuuuufällig noch weißt, wo was falsch ist, wäre ich dankbar für Hinweise. Aber wirklich nur, wenn’s für dich kein Aufwand ist. Man sieht eben doch nie alles, grrrml.

>>Da saß ein aufmerksamer Beta dran.<<

Da saß gar keiner dran, daran liegt’s wahrscheinlich. Für dieses Fandom hab ich keinen Testleser bisher.

Danke auch hier noch mal für die vielen freundlichen und bestärkenden Worte!

>>Tonys Darstellung strauchelte anfangs etwas für mich.<<

Ah, interessant. Dann merkt man am Anfang wohl wirklich, dass ich zu dem Fandom noch nie was geschrieben hatte und Tony eine ganz neue Art von Charakter für mich war.^^

>>Aber er ist auf Deutsch auch echt wirklich schwer darzustellen.<<

Hmja, das kommt hinzu. Um auf Englisch zu schreiben, dazu fühle ich mich in der Sprache einfach nicht sicher genug. Lesen ja, aber Schreiben … ist doch wieder was ganz anderes.

Was den Plot betrifft … Das war auch für mich totaaaal neu. Ich hab noch nie vorher so was Kurzes und Dramatisches geschrieben und hatte keine Ahnung, wie das wird. Es war ein Experiment und hat viel Spaß gemacht. Umso schöner, wenn die Idee gut ankommt.

Und dass ich dir eine sichtbare Reaktion entlocken konnte, schmeichelt mir sehr. :3

Ich bedanke mich für die Kür und dieses schöne, ausführliche Review. Einen guten Start ins Jahr und ein erfolgreiches 2016 wünsche ich dir!

Liebe Grüße
Caro
Von:  Kerstin-san
2016-01-02T15:16:59+00:00 02.01.2016 16:16
Hallo,
 
Lokis Unterbewusstsein ist richtig zerstörerisch und jetzt rächt sich, dass der Carrier nicht früher gelandet ist, als S.H.I.E.L.D. noch die Kontrolle über das Luftschiff hatte und nicht auf Lokis Gnade angewiesen war.
 
Ich gebe zu, dass mich Tonys, Steves und Nataschas Lethargie am Anfang etwas entsetzt hat. Wollen die Thor jetzt einfach in der Zelle erfrieren lassen und tatenlos dabei zuschauen?
Das sich Coulson dann bequemt, die beiden in Tiefschlaf zu legen, um Thor doch noch aus der Zelle zu befreien, hat mich dann wieder etwas milde gestimmt. Und auch hier sieht man, dass Loki einen viel stärkeren Willen hat, als Thor. Bis zum Schluss kämpft er gegen das Unvermeidliche.
Was ich mich nur gefragt habe, warum narkotisiert man Loki nicht dauerhaft, so wie bei Bruce? Am Anfang hieß es doch, wenn Loki bewusstlos ist, würde auch der zerstörerische Einfluss des Zepters nachlassen bzw. man hofft darauf, warum nutzt man diese Option also nicht?
 
Die Schattenseite des Opossumexperiments ist wirklich heftig. Die körperliche Stärke und dieser ausgeprägte Beschützerinstinkt bzw. diese immense Aggression gegen Personen, die der Bezugsperson schaden wollen. Richtig verstörend..
 
Oho, das dann Tonys Reaktor den Geist aufgibt und er damit auch ausgeschaltet wird, ist gar nicht gut. Immerhin hat der Carrier noch genug Saft, um dieses rettende Magnetfeld herzustellen, was mich ehrlich gesagt auch verwundert. Kaum was an Bord funktioniert noch, aber so ein Magnetfeld kriegt man dann noch zu Stande. Na ja, wer weiß schon, auf was genau das Zepter so abzielt.
 
Der Kniff, dass Thor selbst unbeabsichtigt Teil des Experiments geworden ist hab ich am Anfang gar nicht geschnallt. Hut ab vor Nataschas Scharfsinn. Lokis Verstand ist mittlerweile völlig zerrüttet und doch sind da diese Momente völliger Klarheit. Wo er genau weiß, was gerade mit ihm passiert und doch nichts dagegen tun kann. Ein richtiges Trauerspiel.. Wie er aber mit einer einzigen beiläufigen Handbewegung Taps das Genick bricht, hab ich ihm aber nicht verdenken können. Ganz ehrlich, da hat es niemand falschen getroffen.
 
Was das Ende angeht, ich kann überraschenderweise damit leben und ich favorisiere ja eindeutig Variante 1 :)
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  CaroZ
02.01.2016 20:10
Und zum Letzten!

>>Ich gebe zu, dass mich Tonys, Steves und Nataschas Lethargie am Anfang etwas entsetzt hat. Wollen die Thor jetzt einfach in der Zelle erfrieren lassen und tatenlos dabei zuschauen?<<

Oh, mir war nicht klar, dass das so krass rüberkommt. Die sollten eigentlich nur ein wenig … eingelullt wirken durch die Kälte. Und natürlich, wie bisher, total verunsichert.

>>Was ich mich nur gefragt habe, warum narkotisiert man Loki nicht dauerhaft, so wie bei Bruce? Am Anfang hieß es doch, wenn Loki bewusstlos ist, würde auch der zerstörerische Einfluss des Zepters nachlassen bzw. man hofft darauf, warum nutzt man diese Option also nicht?<<

Das muss man sich wirklich fragen und das ist sicherlich eine Schwachstelle in der Logik. Deshalb habe ich auch die Figuren das fragen lassen. Klar stößt diese Lösung auf Unverständnis. Dass Fury starrsinnig hofft, dass am Ende doch noch das Experiment gelingt, wenn sie nur die gesamte Zeit durchhalten, ist schon ein wenig arg zurechtgebogen.

>>Immerhin hat der Carrier noch genug Saft, um dieses rettende Magnetfeld herzustellen, was mich ehrlich gesagt auch verwundert. Kaum was an Bord funktioniert noch, aber so ein Magnetfeld kriegt man dann noch zu Stande.<<

Also, da hatte ich eigentlich den Plan, dass vor allem die dynamisch-kinetische Technik nach und nach versagt, also alles, was irgendwie mit Bewegung und Energieübertragung zusammenhängt. Das Magnetfeld stelle ich mir da ein wenig unabhängiger und leichter in der Aufrechterhaltung vor. Richtig wäre dann aber der Einwand, dass die Lebenserhaltungssysteme ja auch „nur“ aufrechterhalten werden müssten – wenn auch unter Einsatz von deutlich mehr Energie.

Fandest du Lokis Darstellung denn so in Ordnung oder hab ich ihn arg entfremdet? Würdest du was anders machen?

>>Was das Ende angeht, ich kann überraschenderweise damit leben und ich favorisiere ja eindeutig Variante 1 :)<<

Schön, das war auch mein Favorit. ;)

Nochmals vielen Dank fürs aufmerksame Lesen und die tollen, vielschichtigen Kommentare! Ich freue mich immer, wenn Leser mich an ihren Gedanken teilhaben lassen und dabei auch ehrlich sind.

War mir eine Ehre!

Liebe Grüße
Caro :)
Antwort von:  Kerstin-san
03.01.2016 10:41
Wenn ich jetzt einfach nur das letzte Kapitel gelesen hätte, hätte ich ihn als völlig OoC empfunden. Aber du baust das ja schön kontinuierlich auf, was Lokis agieren dann völlig nachvollziehbar macht. Von daher fand ich seine Darstellung sehr überzeugend. Er ist ja immer noch Loki, nur eben nicht mehr Herr über sich selbst.
Von:  Kerstin-san
2016-01-02T14:45:42+00:00 02.01.2016 15:45
Hallo,
 
so langsam aber sicher mutet die Atmosphäre wie in einem Horrofilm an, wo man genau weiß, dass alles auf eine einzige riesige Katastrophe zuläuft und man genau weiß, dass die prognostizierte Katastrophe nicht aufzuhalten ist. Es scheint alles schon so unausweislich festgelegt zu sein. Ein richtig beklemmendes Gefühl.
 
Dieses Gruselgefühl kam nochmal richtig auf, als Thor anfängt diese Stimme zu hören, wo man doch genau weiß, dass das von Loki kommen muss und das es bestimmt besser wäre die Stimme zu ignorieren. Man würde ihm am Liebsten zurufen bloß Abstand von der Arrestzelle zu halten, obwohl glasklar ist, dass er sie eh betreten wird. Lokis Todesdrohung wirkt umso intensiver, weil er sie so ruhig ausspricht und wieder stellt sich mir die Frage, ob das Experiment auch nur ansatzweise so verläuft, wie von Fury und Taps geplant. Unglaublich, dass sie das einfach nicht abbrechen wollen.
Es ist doch völlig offensichtlich, wie verbohrt Taps ist und das alles schon völlig aus dem Ruder gelaufen ist.
 
Schön, dass du Tony auch mal ein bisschen auftauen lässt (gerade gegenüber Steve) und uns einen kurzfristigen Blick hinter seine Fassade gewährst.
 
Mittlerweile frage ich mich ehrlich, ob irgendjemand Tag 5 überleben wird oder ob nicht alle gemeinsam in einem großen Knall untergehen.
 
Loki macht auf mich zunehmend den Eindruck von einem Parasit. Er kann nicht ohne Thor sein und doch scheint er ihn mehr und mehr durch seine Nähe und sein Verhalten zu zerstören.
 
Was Tony jetzt wohl für brisantes Videomaterial entdeckt hat?
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  CaroZ
02.01.2016 20:00
’n Abend. :3

>>so langsam aber sicher mutet die Atmosphäre wie in einem Horrofilm an, wo man genau weiß, dass alles auf eine einzige riesige Katastrophe zuläuft und man genau weiß, dass die prognostizierte Katastrophe nicht aufzuhalten ist. Es scheint alles schon so unausweislich festgelegt zu sein. Ein richtig beklemmendes Gefühl.<<

Ooooooh, das hör ich gern! *schnurrrr*
So war das gedacht.

>>Unglaublich, dass sie das einfach nicht abbrechen wollen.<<

Hm, ja. Ich hab versucht, denen keine andere Möglichkeit zu lassen. Aber mir ist klar, dass das ein bisschen dünn wirkt.

>>Es ist doch völlig offensichtlich, wie verbohrt Taps ist und das alles schon völlig aus dem Ruder gelaufen ist.<<

Stimmt schon. Sollte eigentlich allen klar sein.

>>Loki macht auf mich zunehmend den Eindruck von einem Parasit. Er kann nicht ohne Thor sein und doch scheint er ihn mehr und mehr durch seine Nähe und sein Verhalten zu zerstören.<<

Ui, das ist eine interessante Deutung! Die ist mir noch nicht in den Sinn gekommen, aber du hast Recht. Ein schöner neuer Denkanstoß.

So, gleich noch zum letzten Review!

Grüßli
Caro
Von:  Kerstin-san
2016-01-02T14:22:16+00:00 02.01.2016 15:22
Hallo,
 
ich kann mir nicht helfen, aber ich würde die ganzen technischen Pannen, die zunehmende Angespanntheit unter allen Anwesenden wirklich Loki zuschreiben, aber ich hab keine Ahnung wie er sowas bewerkstelligen soll. Wie kann er alles an Bord verrückt spielen lassen, wenn er doch in einer ausbruchssicheren Zelle herum sitzt und noch nicht mal den Versuch unternimmt zu fliehen? Wenn es ihm psychisch zunehmend schlechter geht und er eigentlich völlig mit sich selbst beschäftigt ist? Aber allein das Thor wie schlafwandelnd durch den Carrier geht und plötzlich bei Lokis Zelle landet, spricht für sich. Ist Loki so ein guter Schauspieler, dass er alle täuschen kann und gar nicht so stark von dem Experiment betroffen ist, wie es scheint?
 
Diese Psychospielchen die Loki mit Thor treibt (und anders kann man es wirklich nicht nennen), wirken schon so, als hätte er eigentlich die Oberhand über Thor und nicht umgekehrt, wie es ja eigentlich geplant war. Und trotzdem sind da immer wieder ein paar Aussagen, die mich - ähnlich wie Thor - zweifeln lassen, ob alles nur gespielt ist oder ob er sich nicht insgeheim doch nach Thors Aufmerksamkeit und seiner Nähe sehnt.
Kein Wunder, dass dieses ganze Hickhack Thor zunehmend belastet. Zu sehen, wie seltsam sich Loki verhält und was für ambivalente Signale er ständig aussendet, das würde jeden mitnehmen.
 
Oh und dann hast du ja doch viele meiner Fragen beantwortet. Was ein pfiffiger Schachzug! Es ist Loki und doch ist er sich dessen gar nicht bewusst. Na das Experiment ist ja mal gründlich nach hinten losgegangen, wenn sich Lokis Unterbewusstsein durch das Zepter kanalisiert. Allein die Beschreibung des Zepters, das so lebendig wirkt, hat mir einen richtigen Schauer über den Rücken gejagt. Einerseits ist es natürlich gut, wenn man den Grund für die eigene Uruhe, Angespanntheit etc. und alles andere kennt, aber ob das im Endeffekt besonders viel nützt, wenn man sich dem ganzen trotzdem nicht entziehen kann?
 
Bäm, genau dafür liebe ich Tony. Für diese schnörkellöse Art einem all das direkt an den Kopf zu knallen, was insgeheim jeder denkt, aber keiner sich je trauen würde, laut auszusprechen. Und ehrlich, ich kanns ihm nicht verübeln. Gefühlt züchten die sich gerade einen noch unberechenbaren Loki heran und wenn der mal richtig außer Kontrolle gerät, na dann viel Spaß. Selbst jetzt, wo er in seiner Zelle sitzt und man meinen sollte, dass S.H.I.E.L.D. alle Fäden in der Hand hält, wurde einem ja gerade vor Augen geführt, dass es eben nicht so ist. Wundert mich ehrlich gesagt nur, dass Natascha, die sonst immer so pragmatisch veranlagt ist, so dagegen ist. Hätte ich gerade von ihr nicht erwartet.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  CaroZ
02.01.2016 19:56
Moooin!

Hier war ich wirklich angenehm überrascht, wie viele Fragen du dir zu den Hintergründen gestellt hast, statt alles einfach hinzunehmen. Ich hoffe, die Erklärungen konnten dich zufriedenstellen. Natürlich hat sich nicht alles restlos erschlossen, um dem Ganzen nicht das gewisse Mystische, Unerklärliche zu nehmen … falls das denn überhaupt spürbar war. Ich hoffe es. ^.~

Und Thor … Also, ich hab wirklich versucht, ihn trotz aller Verstörtheit nicht wie ein totales Sensibelchen/Weichei wirken zu lassen. Ich gebe zu, dass ich mich da bei ihm gefährlich nahe an der Grenze des Glaubwürdigen bewege.

>>Wundert mich ehrlich gesagt nur, dass Natascha, die sonst immer so pragmatisch veranlagt ist, so dagegen ist. Hätte ich gerade von ihr nicht erwartet.<<

Okay, du kannst Recht haben. Mir persönlich erschien das nicht so unplausibel, aber es ist immer gut, weitere Ansichten dazu zu erfahren!

Danke weiterhin für die schönen und differenzierten Reviews!

Grüßli
Caro
Antwort von:  Kerstin-san
03.01.2016 10:38
Im Gegenteil, ich finde nicht, dass Thor ein Sensibelchen geworden ist. Loki ist einfach sein wunder Punkt. Von daher fand ich das schon passend.
Von:  Kerstin-san
2016-01-02T13:52:22+00:00 02.01.2016 14:52
Hallo,
 
so langsam aber sicher entsteht eine unangenehme Atmosphäre. Die zunehmende Angespanntheit, das Gefühl des eingepfercht seins, gepaart mit der erzwungenen Untätigkeit schlagen Bruce und Tony verständlicherweise am ehesten aufs Gemüt. Aber allgemeint scheint sich jeder unwohl zu fühlen. Erstaunlich dass erst Tag 2 ist. Kommt mir vor, als wären alle schon viel länger auf dem Helicarrier.
Ich hab gerade eine gruselige Vorstellung vor Augen, wie Loki aus diesem Experiment nicht als umgemodelter Loki, sondern als von Psychosen zerfressener Loki hervorgeht..
 
Das Experiment scheint auf jeden Fall erste Früchte zu tragen. Loki so zu erleben, ist beängstigend. Er weiß genau, dass irgendwas komplett falsch läuft, aber seine Schutzinstinkte und Fluchtimpulse scheinen irgendwie nur auf Standby zu laufen. Es ist so ungewohnt ihn so antriebslos und na ja hilflos zu sehen.
 
Ich warte drauf, dass es zwischen Taps und Thor irgendwann mal richtig kracht. Nicht gerade die cleverste Strategie so herbalassend über Loki und Thor selbst zu reden, wenn sein Gegenüber ein mächtiger, leicht reizbarer Gott ist.
 
Hm, auch wenn er verwirrt ist, ist das definitiv wieder mehr von Loki, als noch bei der ersten Begegnung. Der alte Kampfgeist ist wohl noch nicht völlig verschüttet. Auch wenn Taps so von einem Erfolg überzeugt scheint, wäre ich noch nicht so siegesgewiss. Loki wird ein harter Gegner werden.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  CaroZ
02.01.2016 19:50
Tach mal wieder. ;)

Ui, gut! Mit der beklemmenden Atmosphäre zu arbeiten war interessant und es freut mich, dass die Wirkung offenbar so ist wie erhofft. Ich wollte, dass sich das alles merklich zuspitzt und auch die Umwelt das widerspiegelt, d.h. dass der Helicarrier als Aufenthaltsort nach und nach immer unwirtlicher wird.

Hihi, und mit vielen, was du hier prognostiziert hast, lagst du ja durchaus richtig! :)

Danke und bis gleich
Caro


Zurück