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Five Days

von

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Tag 5

Tag 5
 

Am fünften Tag wurde die Besatzung des Helicarriers schleichend paranoid.

Noch vor dem Morgengrauen wurden rätselhafte Sichtungen gemeldet. In unbelebten Korridoren wandelten Schatten im diffusen, zunehmend ausfallenden Licht des Notstroms, flüsterten nicht vorhandene Windbewegungen die Namen der verängstigten Crewmitglieder. Einige sprachen sogar von Schreien. In den frühen Stunden des Tages häuften sich bereits die Nervenzusammenbrüche.

Mit Sedativa war den Halluzinationen beizukommen, doch die Medikation machte die Patienten untauglich für den Dienst an Bord. Diejenigen, die dem Infraschall in der Nähe des Zepters besonders ausgesetzt waren, klagten über unerklärliche Ängste und Attacken heftiger Übelkeit.

Längst waren Ruhe und Schlaf die seltensten aller Güter. Rarer noch als warmes Essen, warme Getränke oder Wärme an sich – denn mittlerweile hatte die Temperatur den Gefrierpunkt unterschritten. Dass der Helicarrier sich bereits im Anflug auf den pompös über Manhattan aufragenden Stark Tower befand, gab bestenfalls einen trügerischen Anlass zur Hoffnung.
 

Geschlafen hatten auch Romanoff, Stark und Rogers nicht. In den Quartieren war es so kalt wie an jedem anderen Ort, und so hatten sie sich, in ihrer Thermokleidung dicht aneinander gedrängt wie Küken im Nest, nicht aus dem Beobachtungsraum entfernt, von dem aus sie Thors Martyrium verfolgten. Der Prinz von Asgard hatte mittlerweile ebenso blaue Lippen wie sein unheimlicher, wahnsinniger Bruder, und sein Blick war glasig, nicht nur vor Müdigkeit, sondern auch, weil Loki alle Wärme aus ihm herauszusaugen schien. Raureif überzog Thors Haar, Bart und Wimpern, seine Schultern waren schlaff. Das Blut auf seinem Nacken, hervorgerufen durch Lokis Liebesbiss, sah aus wie eine gefrorene rote Blüte.

»Wir sollten … nach Phil suchen.« Romanoff kämpfte, an Rogers’ Schulter gelehnt, gegen eine überwältigende Müdigkeit, hervorgerufen durch Übernächtigung und Kälte. Vor allem durch Kälte. »Vielleicht … können wir die beiden betäuben und Thor rausholen.«

»Kein schlechter Plan.« Stark, ihnen gegenüber, rieb sich die Nase, die rot war und damit erkennen ließ, dass sie noch gegen die Erfrierung ankämpfte. »Wobei ich das … immer noch nicht kapiere.« Er schniefte. »Thor ist … zumindest in den Legenden … der stärkste Mann Asgards. Niemand kann seinen Hammer auch nur ’nen Millimeter anheben. Und jetzt hockt er da unten … und kriegt Loki nicht von der Pelle …«

»Vielleicht noch mehr Nebenwirkungen von Taps’ Wundermittel«, sagte Rogers verächtlich. Von ihnen dreien schien er die Kälte noch am besten zu vertragen. »Sie haben die Videoaufzeichnung gesehen, ich würde sagen, die erklärt sehr viel.«

»Die Frage ist, ob unsere Freunde Nick und Phil sie auch gesehen haben.«

»Sicherlich nicht. Ein Grund mehr, warum Sie sie ihnen unbedingt zeigen müssen. Taps hat dieses Experiment unter völlig falschen Voraussetzungen begonnen. Er hätte wissen müssen, dass es aus dem Ruder laufen würde. Sein Verhalten könnte ihn vor ein Kriegsgericht bringen.«

»Sie immer mit Ihrem Krieg.« Stark zog erneut die Nase hoch. »Oh, Mann … Ich krieg Schnupfen … Na toll … Hat mal jemand ein – …«

»Wir befinden uns im Krieg, haben Sie das vergessen?«, unterbrach Romanoff ihn etwas schroff, während sie ihm ein Taschentuch reichte. Es war eins ihrer letzten. »Unser hochtechnisiertes Flugzeug ist nur noch eine Ansammlung schwerster Pannen, für die es keine Erklärung gibt. Lokis Verbündete werden die Erde erreichen, wenn wir den Tesserakt nicht rechtzeitig bergen. Und ich gebe zu …« Ihr Blick wanderte wieder zu dem mit Eisblumen bewachsenen Fenster. »… ich persönlich setze keine Wette mehr darauf.«

Danach war es vorerst wieder still unter ihnen. Die ganze Nacht über hatte wenig Mitteilungsbedürfnis bestanden, und auch jetzt, da sie alle langsam wieder einigermaßen zu sich kamen, waren Konversationen wie diese eher nicht von langer Dauer. Romanoff hatte das Gefühl, dass die Situation alle an Bord lähmte – wie sonst war es zu erklären, dass innerhalb der letzten Stunden, in denen sie allein zu dritt Thor und Loki beobachtet hatten, niemand zu ihnen gekommen war? Sie hatten erwartet, dem Erstbesten, der hier nach dem Rechten sah, Meldung machen zu können, doch kein Aufsichtspersonal hatte sich blicken lassen. Jeder hatte, so schien es, momentan mit sich selbst genug zu tun. Offenbar galt das auch für Fury, Coulson, Hill und sogar Taps.

Minuten später sagte Rogers vorsichtig: »Ob es Dr. Banner gut geht?«

»Warum denn nicht?«, gab Stark lustlos zurück. »Er schläft inmitten von Eis. Genau wie Sie damals.«

»Wir sollten uns lieber Gedanken um Thor machen«, erinnerte Romanoff scharf, nicht bereit, sich ganz der einlullenden Gleichgültigkeit hinzugeben, die die Kälteeinwirkung ihnen überstülpte. »Er ist sehr widerstandsfähig, aber er wird nicht ewig durchhalten.«

»Gibt immer noch ’ne Möglichkeit, ihn und das ganze verfluchte Schiff zu retten«, wandte Stark ein.

Ihre Miene verfinsterte sich. »Sie wissen, was ich davon halte.«

»Haben Sie ja deutlich gesagt.«

»Ich lasse Sie das Experiment nicht sabotieren, Tony, egal wie zuwider es mir ist. Entweder Nick bricht es ab oder niemand.«

»Na fein, dann … suchen wir ihn jetzt. Bringt ja nichts, hier rumzusitzen.« Als Stark aus der Mitte der beiden rückte, um sich schwerfällig zu erheben, fühlten Romanoff und Rogers dort sofort die klamme Kälte und drängten unwillkürlich näher zueinander.

»Warten Sie«, hielt der Captain ihn auf. »In etwas mehr als einer halben Stunde steht die Besprechung an. Dann kann das ganze Team darüber beraten, was zu tun ist.«

Stark schnaubte. »Pah, vergessen Sie’s. Ich geh nicht mehr zu den Konferenzen. Das Experiment ist ’ne reine Farce und ich hab’s satt, das können Sie mir glauben. Ich schnapp mir jetzt Nick und zeig ihm, was Taps für ’n räudiger Hund ist. Sie beide können ja solange weiterkuscheln.«
 

Ächzend schleppte Stark sich den nebulös flackernden, arschkalten Korridor hinunter. Bei den Temperaturen war keine Sau auf dem Schiff unterwegs, wahrscheinlich hockten alle, die nicht mit erfrorenen Fingern und Nasen ihren Dienst auf der Brücke taten, bibbernd in ihren Quartieren und träumten von Saunas und Thermalquellen.

Das war zumindest das, wovon er die ganze Zeit träumte.

Doch anders als die armen, befehlsabhängigen Untertanen S.H.I.E.L.D.s hatte er gesehen, wie machtlos Thor – seines Zeichens Donnergott, und die Betonung lag auf Gott – in diesen klammkalten Stunden gegenüber Loki war, der ihn befingerte und abschleimte und auch sonst alles tat, damit es der andere möglichst unbequem hatte. Ein gewisses Pflichtgefühl, gepaart mit Loyalität gegenüber seinen Leidensgenossen, hielt Stark dazu an, in diesen für Thor unerträglichen Zustand einzugreifen.

Denn mal ehrlich, man packte seinem Bruder nicht an die Eier. Schon gar nicht nur deshalb, um sich an seiner Scham und Abscheu zu erfreuen.

Es war ja nicht so – zumindest glaubte Stark das nicht –, dass Loki Thor tatsächlich sexuell begehrte; seine gefühlsmäßige Hingezogenheit zu ihm wurde verursacht durch stimulative chemische Prozesse, die wiederum durch das potente Neuroleptikum künstlich induziert worden waren. Loki liebte Thor nicht wirklich, er wollte ihn nur um sich haben und mit ihm spielen. Ihm nahe sein und sein widerstrebendes Verhalten amüsant finden.

Kranker Freak.

Schniefend tastete Stark in seiner Hosentasche nach dem Taschentuch. Das Ding war jetzt schon total vollgerotzt. Er hasste Erkältungen. Endlich wusste er auch, wie es Steve Rogers gegangen war, so ganz und gar tiefgefroren wie ein ablaufendes Hähnchenbrustfilet. Kein Wunder, dass der Kerl das hier besser wegsteckte. Viel fehlte nicht mehr und es würde ihnen allen so ergehen wie ihm damals.

Im gleichen Moment gab sein Computer ein schwaches Geräusch von sich. Stark zog das Ding unter dem Arm hervor. Wow, es lief immer noch, obwohl das Display mit Raureif überzogen war und der Signalton alles andere als gesund klang. Er blieb stehen und überlegte; seine Hirnwindungen fühlten sich an wie eingefroren. Dann fiel es ihm wieder ein: Richtig, Coulson hatte ihn gebeten, aufgrund des Ausfalls aller Kommunikationsgeräte an Bord nach Funksignalen von außerhalb zu scannen. Gott, das schien schon wieder Tage her zu sein. Die Zeit verhielt sich merkwürdig in diesem langsam zufrierenden fliegenden Bunker.

Stark versuchte, die Herkunft des schwachen eingehenden Signals zu ermitteln, doch die Daten gingen nur verschlüsselt ein, und sie zu dekodieren dauerte wohlmöglich zu lange. Was also machte man mit einem Anruf, der höchstwahrscheinlich nicht für einen selbst bestimmt und dazu noch mit dem Prädikat ›Sender unbekannt‹ versehen war?

Natürlich, rangehen.

»Willkommen bei S.H.I.E.L.D., derzeit haben wir Eiswürfel in großen Mengen günstig abzugeben. Kann ich weiterhelfen?«

Der Funkkanal war dünn; zunächst war nur das Rauschen von Interferenzen zu hören. Dann ertönte eine misstrauisch klingende männliche Stimme: »Mit wem spreche ich?«

Stark starrte das Display an, als hätte es ihm die Zunge herausgestreckt. »Moment mal, mit wem spreche ich

»Identifizieren Sie sich, Agent.«

»Nein, nein, nein, Kumpel. Du hast mich angerufen. Du zuerst.«

Das andere Ende murrte. Dann kam ein etwas deutlicheres, widerwilliges: »Hier ist Agent Clint Barton. Mit wem von S.H.I.E.L.D. spreche ich?«

»Wow, Barton! Sie haben einfach mal ins Blaue gefunkt, wie?«

»Der Helicarrier ist auf keiner anderen Frequenz zu erreichen, ich habe alles versucht.« Ein kurzes verdächtiges Schweigen; dann die dämmernde Erkenntnis: »Sind Sie Tony Stark?«

»Woran haben Sie’s erkannt?«

»Ich muss sofort mit Director Fury sprechen. Oder …« Kurzes Zögern. »… mit Agent Romanoff.«

Stark hatte alle Aufmerksamkeit zusammengekratzt und konzentriert Bartons Stimme gelauscht, auf den Wortakzent, die Stimmlage, die Intonation. Klar, es war eindeutig der vermisste Wonderboy, aber ob er noch unter Lokis Fuchtel stand oder nicht, war unmöglich festzustellen.

»Ich glaube Ihnen nicht, Barton. Spricht da nicht noch ’n Ideechen bockiger Gott aus Ihnen?«

Wie zur Bestätigung seiner Authentizität ließ der andere ein missbilligendes Schnauben hören. »Loki«, grollte er, »möchte ich einen Pfeil durch die Augenhöhle schießen.«

Stark lächelte trotz des erbärmlichen Frierens. »Glückwunsch, Sie haben mich überzeugt. Einen Moment, ich verbinde Sie mit unserem fröhlichen Filialleiter.«
 

Er fand Fury dort, wo er als erstes nach ihm suchte, nämlich auf der Brücke, wo er mit eherner Miene der Flugbesatzung moralischen Beistand leistete. Schniefen, Husten und Jammern bildeten die vorherrschende Geräuschkulisse. Junge Männer und Frauen mit Leidensmienen kauerten, die Schultern hochgezogen, in dicken Mänteln vor ihren Bildschirmen und Steuerpulten. Nur Fury stand stumm und breitbeinig, die unbehandschuhten Hände hinter dem Rücken gefaltet wie eine ehrwürdige Statue. An seiner Augenklappe hing ein kleiner Eiszapfen.

»Mr. Stark«, sagte er ruhig, als er den Ankömmling eintreten sah.

Stark grüßte zurück, indem er sich beiseite beugte und nieste.

»Gesundheit. Wo sind Captain Rogers und Agent Romanoff?«

»Oh, die haben … Thor und Loki beobachtet. Sie, mein Lieber, kriegen ja nichts mehr mit, seit die Kameras verreckt sind und Ihr Schiff hier langsam zur Yetihöhle verkommt. Sonst wüssten Sie, dass Thor Ihre Hilfe braucht. Oh, und dass Taps nicht mit offenen Karten spielt. Aber eins nach dem anderen. Hier ist erst mal jemand, der Sie sprechen möchte.«
 

»Wir haben den Tesserakt sichergestellt«, meldete Barton dem Direktor, sobald Stark diesen an Fury weitergereicht hatte. »Was auch immer Lokis Einfluss aufrechterhalten hat, er ist abgeklungen. Dr. Selvig ist wohlauf. Lokis Plan war, den Arc-Reaktor anzuzapfen, um den Würfel mit ausreichend Energie zu versorgen …«

»… und den Tunneleffekt zu stabilisieren«, endete Stark an seiner Stelle. »Darauf sind wir auch selber schon gekommen.«

»Wenn alles gut geht«, schloss Fury an, »sind wir in ein paar Stunden bei Ihnen, Agent Barton. Zurzeit haben wir ein paar …« Sein Blick begegnete dem von Stark. »… technische Schwierigkeiten an Bord.«

»Wir halten die Stellung«, versicherte Barton. »Aber lassen Sie sich nicht zu viel Zeit. Loki könnte inzwischen überall sein, und weiß der Geier, was er als nächstes ausheckt.«

Stark rechnete damit, dass Fury seinen Agenten nun darüber aufklärte, dass Loki sich an Bord befand und seinen Einfluss durch das Zepter auf ein gänzlich anderes Ziel gelenkt hatte, doch der Direktor gab Barton lediglich die Anweisung zu warten und beendete dann die Verbindung – obwohl es keinesfalls sicher war, dass sie erneut zustande kommen würde.

»Was wollten Sie mir noch sagen, Mr. Stark?« Furys dunkles Auge ruhte bedeutsam auf ihm. »Dass ich das Experiment beenden soll?«

Stark erwiderte den Blick unverwandt, aber innerlich war er verunsichert. Im Moment sprach Furys Verhalten keine Sprache, die er verstand.

»Ja«, sagte er schließlich. »Ja, Nick, genau das meine ich. Machen Sie die Schotten dicht. Nehmen Sie den Braten aus dem Ofen. Es ist genug passiert. Game over.«

Widerwillig wandte Fury sich ab und ging ein paar Schritte zwischen den Reihen seiner zähneklappernden Piloten. Seine Miene war ausdruckslos, als er die von Eis glitzernden Wände musterte, die im ungesunden Notlicht an das Innere eines Iglus erinnerten. Schließlich nickte er langsam. »Ich fürchte, Sie haben Recht.«
 

Romanoff war an Rogers’ Schulter eingenickt, als eilige Schritte zweier Personen die Stille langsam, aber sicher vertrieben. Als die Tür ging, war die Agentin augenblicklich hellwach, bereit, ihre Waffe zu ziehen und einem Gegner präzise zwischen die Augen zu schießen.

Dann sah sie, dass es nur Stark und Coulson waren, die da auf sie zukamen. Wie spät war es wohl inzwischen?

Mit seinem ungebrochenen, seltsamen Optimismus ließ Coulson verlauten: »Wir holen Thor jetzt da raus. Unsere Leute haben alles in die Wege geleitet. Ich hoffe, Sie sind bereit?« Er deutete nach dem Fenster, furchte die Stirn und merkte überrascht an: »Das ist ja schlimmer, als ich dachte …«

Rogers sah zu ihm auf und versuchte dann, sich vom Boden zu erheben. Erst sah es aus, als wollten seine steifen Glieder ihm nicht gehorchen, doch schließlich gelang es ihm mit einiger Anstrengung. »Der Plan ist also«, folgerte er, ungelenk seine Arme und Beine streckend, »Thor und Loki schlafen zu legen und dann in die Zelle zu gehen?«

»Exakt. Und dabei dürfen wir keine Zeit verlieren, denn sobald wir die Zuleitung des Narkosegases unterbrechen, werden die beiden schnell wieder zu sich kommen. Diese Art der Betäubung ist gut steuerbar, aber in unserem Fall riskant. Ich kann nicht sagen, wie lange sie vorhalten wird. Eile ist empfehlenswert.«

Dem nagenden Gefühl von Kälte und Ungewissheit einmal mehr ergeben, postierten alle vier sich vor dem Fenster. Die Positionen Thors und Lokis waren unverändert: Loki hielt Thor umschlungen wie eine Würgeschlange, die Wange an seine gedrückt, und nur diese eine Seite seines Gesichts war rosig; Thor, sein Los akzeptierend, ließ den Kopf hängen, doch noch immer zitterte seine Gestalt unübersehbar, und das bedeutete, dass noch Wärme in ihm war. Nach mehreren Minuten fragte sich Romanoff, ob nicht bereits etwas hätte passieren müssen, doch dann erst sah sie es – das Gas strömte als feiner, gräulicher Nebel aus der Belüftungszuleitung von oben ins Innere der Zelle.

Coulson seufzte unerfreut. »Eigentlich sollte das Gas unsichtbar sein und nicht bemerkt werden, aber die extreme Kälte macht es träge, fast flüssig. Die Verteilung im Raum wird eine Weile dauern.«

Starr sahen sie zu, wie der Nebel zum Boden der Zelle sank und dort als dicke Suppe behäbig hin und her waberte.

»Wenn es sich überhaupt verteilt«, murmelte Rogers verdrossen. »Sie können ja nicht die ganze Zelle damit füllen, es muss noch genug Sauerstoff vorhanden sein.«

»Das ist nicht das Problem«, entgegnete Coulson. »Das Abfluten geht sehr schnell. Aber wir müssen die beiden erst mal dazu bringen, ihr Schlafmittel einzuatmen.«

»Wird ’ne schöne Nasevoll denn reichen?«, fragte Stark.

»Eine vielleicht nicht, aber zwei oder drei sollten es tun.«

»Aha? Bei welchen Tieren? Opossums?«

»Löwen«, gab Coulson trocken zurück.

In der Zelle stieg der Pegel des halbflüssigen Dunstes rasch an. Schon reckten Thor und Loki alarmiert die Nasen, und dann – Damit hätten wir rechnen müssen, dachte Romanoff – kletterte Loki kurzerhand auf die Pritsche und zog Thor neben sich hoch, ihn ungeduldig anfauchend. Wahrscheinlich verlangte er von seinem Bruder Informationen, welche neue List dies sein sollte.

»Es wird ewig dauern«, stöhnte Stark. »Stellen wir uns drauf ein, dass wir Thor entweder hellwach oder halberstickt da rausziehen.«

»Ich hoffe eher, dass er sich bei dem zu erwartenden Sturz nicht schwer verletzt«, sagte Coulson pragmatisch.

Dem sich anschließenden Kampf der beiden Götter gegen das Anästhetikum zuzusehen hatte etwas Faszinierendes und Abstoßendes zugleich. Thor hatte Angst, das war zu erkennen; er starrte die wogende graue Masse grimmig an, als sei sie ein Tier, das ihm mit gefletschten Zähnen gegenüberstand. Romanoff erwartete halb, dass er die Hand ausstreckte und seinen Hammer verlangte, der zweifellos beizeiten das Glas sprengen und einen Fluchtweg eröffnen würde. Offenbar hielt ihn nur der letzte Funke von Verstand und Vertrauen davon ab, sein und Lokis Gefängnis in Scherben zu schlagen. Loki hielt den Kopf erhoben und musterte das Gas mit kalter Verachtung. Er wusste offenbar ganz genau, warum es sich handelte, und wollte die unausweichlich bevorstehende Niederlage so lange wie möglich hinauszögern. Hinzu kam, dass sein Körper eine äußerst niedrige Temperatur aufwies, weshalb das Druckverhältnis von Gas und Blut in seinem Gehirn anders sein musste als bei Thor; kurzum, es würde die Resorption der Droge nochmals aufschieben. Alles in allem sah es äußerst schlecht aus.

»Thor steht das vielleicht nicht durch«, hörte Romanoff sich sagen.

Stark widersprach ihr sofort: »Das ist ein Gott, der wird ja wohl was vertragen!«

Aber Thor hatte längst nicht mehr den Willen, sich aufzulehnen. Schon sank sein Kopf wieder herab, und das Gas umspielte kräuselnd seine bleichen Wangen. Langsam, sehr langsam wich die Spannung aus dem Körper des großen Mannes.

Loki, kleiner als er, aber sich mit aller Macht nach der klaren Luft reckend, zischte ihm etwas zu, trat ihn sogar gegen das Schienbein und rammte ihm wenig brüderlich die Faust in die Seite. Thor blieb unbeeindruckt, als durchdrängen diese Ausbrüche physischer Gewalt seine dicke Kleidung gar nicht; längst wurde er schläfrig und entspannt, und schließlich –

– Nein, entgegen Coulsons düsterer Prophezeiung stürzte er nicht. Stattdessen begannen seine Knie allmählich nachzugeben. Erst eine ganze Weile später sackten ihm die Beine weg, sodass er unsanft wieder auf der Pritsche zu sitzen kam. Diese rasche Bewegung wirbelte den Nebel durch das ganze Innere der Zelle. Thor sank gegen Lokis Hüfte, aber sein Bruder versetzte ihm einen wütenden Stoß, der ihn von der Liege auf den Boden beförderte. Thors Körper glitt seltsam formlos in eine seitlich liegende Position und wurde dann still.

Loki indessen kämpfte. Seine Atmung war flach und beherrscht, seine Muskeln gespannt. Feindselig stierte er von einer Seite des großen Raumes, dessen Mittelpunkt die Zelle bildete, zur anderen und dachte gar nicht daran, seiner wachsenden Ermattung nachzugeben.

Coulson sah stirnrunzelnd auf seine Uhr. »Die Löwen waren nach wenigen Sekunden weg. Das hier geht schon … zwölf Minuten.«

»Ich sag’s ja, Götter«, knurrte Stark. »Aber immun sind sie anscheinend nicht.«

Das Ende des Kampfes kam überraschend. Es sah ganz so aus, als habe sich die Wirkung des Schlafmittels lange von Loki unterdrücken lassen, nur um zuletzt auf hinterhältigste Weise zuzuschlagen. Nach sechzehn Minuten stand er noch immer aufrecht, doch dann, mit einem Mal, trat die Reaktion äußerst heftig in Erscheinung: Loki knirschte mit den Zähnen und fiel dann endlich um wie ein Stück Schlachtvieh nach dem Bolzenschuss. Nicht Thor, sondern er war es, der haltlos stürzte, und wo seine Stirn auf das Glas schlug, spritzte ein Blutfleck hervor, von aus dem einige breite, satt rote Streifen Richtung Boden rollten, ehe sie auf halbem Wege gefroren.

Dann war alles still.

»Und er ist noch nicht mal tot«, murrte Stark. »Die Flachpfeife atmet immer noch.«

»Keine Zeit zu verlieren«, sagte Coulson geschäftig. »Das Betäubungsgas wird gleich ausgeleitet werden, und dann haben wir nur wenige Minuten.«
 

Wie unsagbar stark Thor war, zeigte sich nun auch daran, wie schnell er die blockierende Wirkung des Anästhetikums abschüttelte. Noch ehe der gesamte graue Nebel in den Boden abgesaugt und durch Sauerstoff von oben ersetzt worden war, begann der Ase sich zu regen; seine Finger krümmten und streckten sich, seine Lider zuckten, und nur Sekunden später versuchte er bereits, den Kopf zu heben.

»Unglaublich«, murmelte Coulson, als er zusah, wie die drei Helden Thor umrundeten und ihn dann hartnäckig auf die Beine hievten. Er musste zugeben: Captain America blieb sein großer Liebling, doch Thor mit seiner schieren Unerschütterlichkeit war nahe daran, ihm den Thron streitig zu machen.

Sobald Thor auf den Beinen war, versuchte er vorwärts zu gehen und murmelte dabei undeutlich vor sich hin. Stark, Rogers und Romanoff bugsierten ihn zur offen stehenden Zellentür, und schon nach wenigen Schritten fing er sich, wurde trittsicher, biss die Zähne zusammen und schleppte sich, auf die anderen gestützt, ins Freie.

Der Gott war wahrlich ein Wunder.

Loki, in dessen Körper die Kälte auch den Abbau des Narkotikums verlangsamte, brauchte fast fünf ganze Minuten, ehe er wieder zu blinzeln begann. Seine linke Gesichtshälfte war blutverklebt, die roten, gefrorenen Krusten zogen sich bis unter das Kinn. Er kümmerte sich nicht darum. Schwer atmend und finster dreinblickend blieb er liegen, bis seine Sinne wieder beieinander waren; erst dann setzte er sich wohlkoordiniert auf und kehrte zu seinem Platz auf der nun vereinsamten Pritsche zurück. Wäre das Blut nicht gewesen, hätte Coulson in diesem Moment schwören können, es wäre rein gar nichts passiert. Der Verletzung gegenüber zeigte sich Loki völlig unbeeindruckt. Er war weit davon entfernt, klein beizugeben.

In der Tat gab Lokis Unbeugsamkeit Coulson Rätsel auf; er hatte mit Henry Taps sehr ausführlich über das Experiment gesprochen, ehe es begonnen hatte, und zuletzt dessen Enthusiasmus geteilt. Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits festgestanden, dass die Wirkstoffkombination bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit an einem Menschen getestet werden sollte. Als dann Loki in die Falle ging – so offensichtlich mit Absicht, dass es erschreckend war –, hatte man die Einschränkung ›Mensch‹ spontan in ›humanoide Lebensform‹ umdefiniert, um den Gegebenheiten zu begegnen. In gewisser Weise hatte die Therapie auch so gewirkt, wie sie sollte: Loki hatte sich dressieren lassen, wenn auch innerhalb eines eng gesteckten Rahmens, er war für Thor sensibilisiert worden, empfänglich, und er reagierte sogar stärker als erwartet auf dessen Nähe – und doch war er aggressiv geblieben, hatte sein Wille dazu, den Menschen zu schaden, sich nicht in Liebe zu seinem Bruder umkanalisieren lassen. Überhaupt war es zweifelhaft, ob Loki Thor liebte. Wenn ja, dann nicht als Bruder und erst recht nicht als Freund. Es war, als ob er sich zu Thor hingezogen fühlte und ihn zugleich dafür hasste. Diesen Hass ließ er seinen Bruder in demselben Maße spüren wie das bizarre, widernatürliche Bedürfnis nach Nähe und Berührung. Beide Extreme schienen in Loki miteinander zu ringen und ihn nur noch unberechenbarer zu machen.

Gezeigt hatte dies vor allem der mentale Amoklauf mit dem Speer als Medium. Dass Loki all die Ausfälle auf dem Schiff verursacht hatte, stand außer Frage, waren die Ausmaße der Katastrophe durch Schall und Schwingungen doch proportional zur Wirkstoffmenge in seinem Blut größer geworden. Ein Gutes hatte diese Entwicklung allerdings: Lokis Einwirkung durch das Zepter hatte sich ganz allmählich verlagert, hatte sich mehr und mehr auf den Helicarrier und seine Insassen verlegt, sodass die Kraft des Speers nun, am letzten Tag, nicht mehr ausreichte, um auch die geistigen Fesseln über Agent Barton und Dr. Selvig aufrecht zu erhalten. Ohne es zu wollen – denn sein Wille war machtlos geworden – hatte Loki seine beiden unfreiwilligen Handlanger freigegeben und damit auch die letzte Aussicht auf das Gelingen seines aberwitzigen Plans verloren.

Die Frage war nun, ob das für einen Sieg S.H.I.E.L.D.s ausreichte – oder ob dieses ›Glück‹ hier an Bord ein Desaster unabschätzbaren Ausmaßes nach sich ziehen würde.
 

Thor fühlte sich geschwächt und benommen. Seit Tagen hatte er weder gegessen noch geschlafen, und nun häuften sich auf diesem fliegenden Ungetüm die hässlichen Zwischenfälle. Der Hüne schluckte bittere Galle, als er daran zurückdachte, wie seine für gewöhnlich unübertroffene Kraft an Lokis Widerstand zerschellt war wie eine Welle am Kliff. Loki hatte ihn nicht gehen lassen. Sie hatten ihn mit einem Schlafnebel seiner Sinne berauben müssen. Thor dünkte, dass die seltsame Medizin zwar Lokis Willen Ketten angelegt, seinen Körper aber auf sonderbare Weise gestärkt hatte. Zwar war er deutlich später aus der Betäubung wieder erwacht, doch seine Muskeln hatten zu keiner Zeit versagt, ihre Kraft und Härte war geradezu entsetzend. Wenn Loki nach all dem hier in der Lage wäre, es in Sachen körperliche Kraft auch nur annähernd mit Thor aufzunehmen …

Und dann das Anfassen. Dieses Gebaren hatte Thor mehr verstört als alles andere. Eine einfache Tatsache, die er bisher nie für voll genommen hatte, drängte mit einem Mal in den Vordergrund seines Bewusstseins – nämlich die, dass Loki womöglich elementare Regeln von Liebe und Annäherung nie begriffen hatte. Jeder in Asgard hatte seine Frauen- oder Männergeschichten – oder beides –, und nichts daran war verwerflich; die Asen waren kein prüdes Volk, das vorgab, sich nur zu Zwecken der Fortpflanzung zu vergnügen. Auch Thor und seine Freunde, besonders Fandral, genossen in dieser Hinsicht einen gewissen Ruf. Bei Loki jedoch gab es keine solchen Geschichten. Thor hatte sich nie gefragt, warum sein Bruder scheinbar kein Verlangen empfand, doch nun dämmerte in ihm ein wilder Verdacht. Zweifellos war Loki nicht nur im alltäglichen Umgang gemieden worden. Odin würde es nicht gutheißen können, wenn er seine Gene weitergab, und hatte wohlmöglich dafür gesorgt, dass das nicht passierte. Möglicherweise hatte Loki als Reaktion auf die Ablehnung irgendwann damit angefangen, seine eigene Sexualität zu unterdrücken und zu leugnen. Jetzt, so viel später, erschien es Thor seltsam, dass er nie darüber nachgedacht hatte; es war eine absurde Theorie, doch nun, im diffusen Licht dieser unangenehmen Situation, war plötzlich alles denkbar.

Thor schüttelte sich in einem Kälteschauer. Sofort rückten seine Verbündeten näher an ihn heran. Sie hatten sich zu viert in dem kleinen Beobachtungsraum vor dem Fenster zusammengekauert, und Coulson hatte sie sehr schnell wieder verlassen.

»Und? Was hat Nick gesagt, als Sie ihm das Video gezeigt haben?«, fragte Steve Rogers mit unverhohlener Neugier Tony Stark.

Der dunkelhaarige Mann zögerte. »Ähm. Dafür gab’s nicht so die Gelegenheit. Barton hat angerufen, wissen Sie … Den musste ich erst mal durchstellen.«

Neben Thor war Agent Romanoffs zierlicher Kopf hochgeschnellt. »Barton?«, echote sie. »Ist er wohlauf? Ich meine …« Die plötzliche Weichheit ihrer Züge wich wieder der gewohnten Kühle. »… hat er sich zu dem Tesserakt geäußert?«

»Jap, dem Würfel geht’s gut, Doc Selvig auch, alle drei warten bei meinem Turm auf uns«, gab Stark bereitwillig Auskunft. »Wenn nicht auch noch der Antrieb ausfällt, sind wir in ein paar Stunden da.«

Thor sah Romanoff schlucken. Ihre Mundwinkel zuckten in der Andeutung eines scheuen Lächelns, während ihre Augen kurzzeitig einen Fixpunkt suchten. Er drückte warm ihre Schulter. Auch ihm waren die Nachrichten willkommen: Sein alter Freund Erik Selvig war unbeschadet, und Loki gebot offensichtlich nicht mehr über ihn. Warum, das leuchtete Thor nicht ein, doch er hatte es ohnehin aufgegeben, alle Auswirkungen des Experiments verstehen zu wollen.

»Von was für einem … Video … sprecht ihr da eigentlich?«, erkundigte er sich höflich. »Oder geht es mich nichts an?« Wobei ihm neue Geheimnisse nicht willkommen gewesen wären.

»Oh, doch, doch, und wie dich das was angeht, Großer.« Stark rückte näher zu im und hielt ihm seinen Wunderschirm hin. »Hier, pass auf. Du hast doch die Filmchen gesehen, die Taps uns vorgeführt hat, um uns zu überzeugen. Der Affe, das Opossum, süß und kuschelig und so. Aber das hier hat er uns nicht gezeigt.«

Thor beugte sich über den Bildschirm, auf dem Stark mit einem Fingerzeig ein Bild in Bewegung setzte. Es zeigte das sonderbare Tier, das sie gesehen hatten, bevor Loki zum ersten Mal der Liebestrank verabreicht worden war; es saß zufrieden mümmelnd in seinem Käfig, ehe eines der Gitter ausgeklappt wurde. Eine Hand – die von Taps, wie Thor sich entsann – reckte sich ins Innere und strich über den Kopf des Tieres. Es reagierte erfreut, schmiegte sich an und genoss die Liebkosungen, folgte gar den Fingern, als sie zurückgezogen wurden.

»Haben wir das nicht bereits gesehen?«, fragte Thor. »Ebenso unnatürlich verhält Loki sich auch.«

»Hingucken, geht noch weiter«, forderte Stark ihn auf.

Tatsächlich. Wo auf der Besprechung die Aufnahme geendet hatte, lief sie nun weiter. Taps zog seine Hand mit einem Ruck zurück, das Gitter schnappte zu, unmittelbar vor der Nase des rattenähnlichen Tieres. Es begann zu schreien. Sein graumeliertes Rückenfell sträubte sich zur Bürste, während es brüllte und knurrte, und dann begann es aus dem Nichts heraus, mit Zähnen und Krallen wild auf die Gitter einzudreschen. Es tobte minutenlang, und schließlich ertönte im Hintergrund eine gereizte Frauenstimme: »Herrgott, Henry, wie lange muss diese Kreatur noch bei uns bleiben?« Taps antwortete emotionslos: »Nun, wir stehen kurz vor einem Durchbruch, Liebes. Versteh das doch. Wenn unsere Wissenschaftler nur noch diese Nebenwirkungen in den Griff bekommen, können wir die internationale Verbrechensbekämpfung auf ein neues Level heben.«»Ich wusste gar nicht, dass S.H.I.E.L.D. neuerdings irgendwelche Medikamente an Tieren testet«, erwiderte sie giftig. »Liegt es daran, dass ich nur in der Verwaltung sitze, dass ich von solchen Dingen nichts weiß?«

Noch immer behielt das starre sehende Auge das sich wie toll gebarende Tier im Fokus. Gerade sah Thor etwas, das gar nicht sein konnte: Dort, wo das Wesen gegen die Gitter kämpfte, verbog sich das Metall unter der Einwirkung seiner scharrenden Pfoten. Als es die Kiefer um eine der Querstreben schloss und daran riss, zerknackste sie wie ein morscher Zweig. Schrill quietschend rammte das Tier erneut seinen Kopf in die entstehende Öffnung, und die scharfen Enden des durchgezwickten Stahls rissen Fell und Haut auf. Blutig und bösartig erkämpfte sich das Wesen den Weg ins Freie, während der Tonfall der zeternden Frau allmählich aggressiver wurde. Es schien, als würde die Art, wie sie mit Taps sprach, dem wilden Feuer im Inneren des Tieres neuen Zunder geben. Brüllend brach die Kreatur durch die Gitter, das Fell blutverschmiert, die Haut hier und dort bis auf die Knochen aufgerissen. Sobald es aus seinem Gefängnis heraus war, setzte es zum Sprung an und verschwand rasend aus dem Bild. Was folgte, waren der Schrei der Frau und ein wüstes Getöse. »Henry!«, kreischte sie. »Mein Finger! Gottverdammt, es hat mir den Finger abgebissen!!« Weiterer Lärm schloss sich an; dann endete die Aufzeichnung abrupt.

Stark nahm das Gerät wieder an sich. »Wie aus ’nem schlechten Horrorfilm, oder? Angriff des Killer-Opossums

»Eine widerwärtige Kreatur«, murmelte Thor. Er wollte gar nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. Sein Kopf weigerte sich einfach, das zu tun.

Im gleichen Moment zuckten alle zusammen, als ein dumpfes Krachen die Stille zerriss. Es kam vom Beobachtungsfenster. »Thoooor!«, schrie Loki aus dem Inneren seiner Zelle und schlug noch einmal mit der Faust gegen die Scheibe. Eigentlich hätte man hier oben kaum etwas hören dürfen. »Komm zurück!« Er fletschte die Zähne. »Was tut ihr mit ihm, ihr erbärmlichen, verzweifelten, minderbemittelten –«

»Die Ähnlichkeit ist jedenfalls verblüffend«, kommentierte Stark, während Loki seine Schimpftirade fortsetzte. »Ist nur ’ne Frage der Zeit, bis das Glas nicht mehr standhält.«

»Haben wir das Experiment denn jetzt beendet?«, fragte Rogers und sah vom einen zum anderen. »Sollten wir Loki nicht dauerhaft betäuben, bis wir beim Stark Tower sind? Es kann doch jetzt nicht mehr weit sein!«

»Und damit«, knurrte Stark, »ist das Experiment so oder so beendet. Fünf Tage sind um, es ist gescheitert. Jetzt wird’s Zeit für die Reißleine. Es sei denn …« Sein Blick wanderte forschend zu Thor.

Der Ase nahm automatisch eine drohende Haltung an. »Ich will mit all dem nichts mehr zu tun haben!«, grollte er. »Ich werde mit Taps nicht mehr kooperieren, nicht, nachdem er uns auf diese Weise belogen hat!«

»Er hat Recht«, sagte Romanoff gefasst. »Nach diesem Aufwand, nur um Thor wieder aus der Zelle zu holen, würde ich kein Risiko mehr eingehen.«

»Ich hab nicht erwartet, dass die den wieder richtig aufwachen lassen!«, sagte Stark verbittert. »Es war abgemacht, dass er ganz ausgeschaltet wird. Schwarzer Bildschirm! Aber nein, Phil hat ihn nur kurz auf Stand-by geswitcht und sofort wieder hochfahren lassen.« Er fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase und wandte sich übellaunig ab.

»Und wieso haben Sie Fury jetzt nicht das Video gezeigt?«, wollte Rogers stirnrunzelnd wissen.

»Weil er es weiß, verdammt!«

Die Augenbrauen des Captains gingen in die Höhe. »Sind Sie sicher?«

»Nein. Nein, bin ich nicht. Aber ich denke, er weiß es. Oder ahnt es. Jedenfalls sieht es danach aus. Ich weiß auch nicht.« Stark sah Romanoff an.

»Ich wusste nichts davon«, versicherte sie. »Zur Forschungsabteilung pflege ich so gut wie keinen Kontakt.«

»Tja. Dann wird es wohl ein Mysterium bleiben. Jedenfalls weiß Fury, dass wir bis zum Hals im Dreck stecken und nur noch mit viel Glück heil bei dem Tesserakt ankommen.«

Rogers schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, wir schaffen es. Das weiß ich. Aber Thor sollte sich von Loki fernhalten, bis wir da sind. Jede Begegnung macht es schlimmer.«

»Stimme zu.« Stark musterte Thor und hob eine Augenbraue. »Im eigenen Interesse, Großer: Du solltest dich in Acht nehmen, wenn Loki ›Knie nieder‹ sagt.«

Rogers verdrehte die Augen. »Das war ja mal wieder so was von unnötig.«

»Aber so was von wahr

Unangenehm berührt blickte Thor wieder durch die Scheibe, hinter der sich der Raum mit Lokis Zelle befand. Er hatte das Gefühl, die dünne Eisschicht habe sich ein wenig nach den Rändern zurückgezogen. »Ist es möglich, dass es wärmer wird?«, fragte er die anderen.

Romanoff nickte. »Wir befinden uns seit Längerem im Sinkflug, was bedeutet, dass wir allmählich wieder in wärmere Luftschichten eintauchen.«

»Die äußere Hülle ist schon fast zwölf Grad wärmer als letzte Nacht«, ergänzte Stark, auf seinen Bildschirm sehend. »Warm wie in Miami wird’s nicht werden, aber immerhin sollten wir aufgetaut ankommen. Also Beeilung, wer noch die neue Skipiste auf der Ausgleichsebene nutzen will.«

Thor wollte ihn gerade fragen, was eine Skipiste sei, als Starks Gesichtsausdruck sich plötzlich unangenehm veränderte. Zuerst sah er einfach nur überrascht aus, dann schien er sekundenlang in sich hineinzuhorchen, und schließlich breitete sich auf seinen Zügen wachsendes Entsetzen aus. Er schnellte hoch, packte das Revers seiner Winterjacke und riss das Kleidungsstück mit einer hastigen Bewegung über der Brust auseinander.

Thor wurde schlagartig klar, dass er dort etwas, das er sehen sollte, nicht sah. Der kleine Kreis aus Licht, der sonst Starks Gewänder zu durchleuchten pflegte, war nicht da.

Auch Rogers und Romanoff begriffen schlagartig. Der Captain sprang hinter den anderen Mann, der im selben Moment ächzend ins Taumeln geriet, und schlang die Arme um seinen Brustkasten, ehe er stürzen konnte.

»Natasha!«, rief er scharf, und die Agentin fuhr auf dem Fuß herum und sprintete zur Tür. Nur einen Augenblick später verklangen ihre Schritte.

Panisch presste Stark beide Hände dorthin, wo das Licht fehlte. »Oh, nein, nein, nein!«, keuchte er. »Spring an, Baby, spring an!« Seine Finger brachen in unkontrolliertes Zittern aus, das rasch seinen ganzen Körper vereinnahmte. »Verflucht noch mal!« Seine Miene verzerrte sich vor Verzweiflung. »Loki, du Mistkerl, das wirst du bereuen!«

Thor wünschte sich, er könnte helfen, doch das konnte er nicht. Er hatte keinerlei Vorstellung, auf welche Weise das kleine Zauberding in Starks Brust sein Herz am Schlagen halten sollte. Jetzt versagte es, eine der vielen Folgen von Lokis Einwirkung, und er, Thor, konnte nur hier stehen und zusehen, wie Rogers Stark festhielt und mit ihm zusammen langsam in die Knie ging, um den bewusstlos Werdenden auf den Boden zu legen.

So kurz vor dem Ziel.
 

»Er wird es schaffen.« Sie legte eine Hand auf Thors muskulösen Arm, den sie durch das Futter der Jacke kaum ertasten konnte. »Wir haben ihn ruhig gestellt, so wie Bruce. Ein künstliches elektromagnetisches Feld hält die Granatsplitter von seinem Herzen fern.«

»Was ist, wenn sich dieses Feld genauso unerwartet abschaltet?« In Thors Stimme lag keinerlei Zuversicht mehr. Ihre Berührung ignorierte er; er sah sie nicht einmal an. »Kaum noch jemand hat Kontrolle über dieses Fluggerät.«

»Es dauert weniger als eine Stunde, bis wir da sind.« Ihre Finger, die nicht mehr in Fäustlingen steckten, streichelten ihn mitfühlend. Thor war ein bisschen wie ein großes Kind. Sie wollte ihn beruhigen, wollte, dass er seinen Optimismus zurückgewann – denn von ihnen allen war er der Einzige, der bis zuletzt Hoffnung geschöpft hatte.

Rogers, Coulson und Fury hatten andere Probleme. Sie hatten versucht, mit Starks Computer den Kontakt zu Clint Barton wiederherzustellen, um Dr. Selvig darum zu bitten, auf irgendeine mögliche Weise dem Tesserakt die Energie zu entziehen. Wenn der Würfel den Speer nicht mehr speiste, wäre die Gefahr wohlmöglich gebannt. Kurz vor dem Ziel oder nicht – Starks versagender Herzmagnet hatte die Obrigkeit in allerhöchste Alarmbereitschaft versetzt. Jetzt riskierte Fury nichts mehr.

Nur – und das gab ihr allmählich zu denken – zu einem einzigen Schritt war noch immer niemand bereit, und das war jener, den Stark unlängst geplant hatte und nun nicht mehr durchführen konnte.

Loki loswerden.

Romanoff tat sich schwer damit, die Möglichkeit zu akzeptieren, dass Loki ihnen aus Rache für das Experiment einen guten Ausgang dieses Desasters unmöglich machen würde. Sein Hass hatte den hochmodernen, bestens gerüsteten Helicarrier innerhalb weniger Tage in einen derart desolaten Zustand versetzt, dass er kaum noch mehr leisten konnte als geradeaus zu fliegen. Schon die Landung würde problematisch werden. Falls sie denn landeten. Falls Loki nicht kurz vor dem Stark Tower, mitten über New York, das tonnenschwere Gefährt zum Absturz brachte.

Und er tat es nicht einmal mit Absicht. Das machte es noch schlimmer. Sie konnten ihn mit keinen Mitteln der Welt dazu bringen, seine zerstörerische Einwirkung aufzugeben. Einfach, weil ein Teil seines Verstandes nun unabhängig von seinem Willen arbeitete. Und innerhalb dieses Teils kochte und schäumte es. Das Zepter strahlte wie ein ganzer Reaktor. Nur dass seine Strahlung deutlich verheerender war. Nicht nur das Schiff fiel aus, auch die Menschen an Bord verloren zusehends ihre mentale Stabilität. Romanoff kannte das entwurzelnde Gefühl kognitiver Dissonanz sehr gut, jenes Entsetzen, das eintrat, wenn irdische Gegebenheiten, die dem Verstand eines Menschen Sicherheit vermittelten, etwa Naturgesetze oder das Prinzip von Ursache und Wirkung, plötzlich aufgehoben wurden. Dieser schauderhafte Verlust von Bodenhaftung war es, der die funktionierende Welt in den Köpfen aus den Fugen hob.

Auch sie kämpfte diese Angst nur mühsam nieder.

Wenn doch nur Clint bei ihr wäre. Seine Anwesenheit gab ihr das Gefühl von Schutz. Wenn sie sich auch niemals von Emotionen beherrschen lassen würde, so musste sie doch zugeben, dass diese winzige, unaufdringliche Art von Kontrollverlust ihr Kraft gab. Diese eine Schwäche ließ sie zu. Weil sie sie stärker machte.

In diesem Moment merkte sie, dass ihre Finger irgendwie über Thors Arm zu seiner Hand gefunden hatten. Kühl und reglos lag sie auf dem Tisch, fast doppelt so groß wie ihre. Etwas beschämt zog sie ihre Finger fort.

Er hatte es nicht einmal bemerkt. Geistesabwesend starrten seine weichen Augen die Wand an, an welcher erste, schmale Rinnsäle von Schmelzwasser hinabperlten.

Dann ging ein harter Ruck durch das Schiff.
 

»Großer Gott, Nick, stürzen wir ab?«, gellte Agent Hill in Furys Richtung, während sie nach einem der Steuerpaneels griff, um sich wieder auf die Beine zu ziehen.

Mehrere Crewmitglieder hatte es von ihren Stühlen gerissen. Stöhnend rappelten sie sich wieder auf, während andere, die sich besser gehalten hatten, bereits wieder wild auf ihre Konsolen einhackten.

Fury war natürlich stehen geblieben. »Status?«, bellte er in den Raum, ohne die hysterische Frage Hills zur Kenntnis zu nehmen.

Coulson, dem Captain America soeben aufgeholfen hatte, strich sich wenig beeindruckt den Staub vom Anzug. »Unsere Position scheint sich nicht zu verändern«, sagte er sachlich.

»Das ist richtig, Sir«, meldete ein junger Mann, einer der Steuerleute. »Die Triebwerke laufen noch, aber wir haben keinen Schub mehr. Das Schiff steht. Oder nein, sagen wir eher … wir … treiben.«

»Soll das bedeuten, der Antrieb hat uns im Stich gelassen?« Fury stieß sich grob von der Wand ab, die ihn während der kurzen Turbulenzen gestützt hatte. »Das können wir uns nicht leisten bei so niedriger Flughöhe! Bringen Sie das Boot wieder zum Laufen, egal wie!«

»Wir versuchen es ja, Sir«, ließ der Crewman verzweifelt verlauten. »Bisher keine Reaktion von den Maschinen.«

»Dann machen Sie weiter, Herrgott noch mal!«

Dass nun selbst der standhafte S.H.I.E.L.D.-Direktor unruhig wurde, versetzte die Mannschaft sichtbar in Spannung. Das Flugzeug hing bereits über Manhattan; ein Absturz würde unzählige Menschen in den Tod reißen.

Eine junge Frau fasste schließlich den Mut, die unangenehme Nachricht zu überbringen, die sich auf den Bildschirmen darbot: »Wir, äh … wir haben zurzeit weder Antrieb noch Kommunikation. Die Schubregler reagieren nicht … Wir schweben isoliert in der Luft.«

Agent Hill sah aus, als würde sie jeden Moment die Nerven verlieren. Selbst Coulsons schwer zu lesendes Gesicht zeigte ernsthafte Betroffenheit.

Im Hintergrund schwoll das Dröhnen der Maschinen langsam ab, wurde tiefer und leiser, bis es fast zum Erliegen kam.
 

»Es hat aufgehört«, stellte Romanoff fest.

Thor sah sie beunruhigt an. Dieses Schiff wurde ihm immer unsympathischer. Warum nur konnten die Menschen nicht auf leichtschnittigen, intuitiv steuerbaren Gefährten reisen wie sein eigenes Volk?

»Wir bewegen uns nicht mehr vorwärts … oder doch?« Fragend sah er die Frau an. »Der Lärm wird immer leiser.«

»Ich befürchte nichts Gutes, Thor.« Ihr zweifelnder Blick weckte wenig Vertrauen in ihm. »Wir müssen zu den anderen gehen. Niemand sollte allein sein, wenn …« Sie sah beiseite. Der Satz blieb unbeendet.

»Du hast Recht«, sagte er langsam, während sie ihn hinter sich her zur Tür zog. »Ich … Nein, warte. Ich muss nach Loki sehen.« Mit einer raschen Bewegung machte er sich von ihr los.

»Thor!«, protestierte sie. »Bleib hier! Er tut das, hörst du? Er wird uns abstürzen lassen!«

»Nur euer Trank befähigt ihn dazu!«, schnappte Thor. »Wäre dieses Experiment nicht gewesen, könnte Loki dem Schiff nichts anhaben!«

In ihren Augen loderte es. »Er hätte es nur auf andere Weise getan! Er hätte unsere eigenen Leute benutzt, um das Schiff lahmzulegen – Clint und Dr. Selvig! Da bin ich hundertprozentig sicher!«

»Ich nicht«, sagte Thor hart.

Im Begriff, sie stehen zu lassen, wandte er sich der anderen Richtung des Korridor zu.

Wieder ergriff sie seinen Arm. »Thor, bitte!«

Ganz kurz durchzuckte ihn der Impuls, die Frau von sich zu stoßen. Entsetzen darüber erfüllte ihn sofort. Sie versuchte ihm zu helfen! Was war nur mit ihm los?

Sie konnte den Widerstreit in seinen Zügen lesen, das wusste er. Ihn eindringlich ansehend schloss sie zu ihm auf, packte seinen Arm fester.

»Sieh mich an«, verlangte sie.

Stumm ertrug er ihren prüfenden Blick, der ihn inspizierte, als sei er derjenige, der schleichend das Flugzeug zerstörte. Schließlich legte sie ihm eine Hand auf die Stirn.

»Du hast Fieber«, sagte sie erstaunt.

»Ich – was?«

Diese Information irritierte ihn, passte sie doch überhaupt nicht zu der kritischen Lage, in der sie sich befanden.

Ihre Lider zuckten, während ihr Geist dahinter zu rasen schien. Er sah sie schlucken.

Dann sagte sie unvermittelt: »Geh, Thor. Tu, was du für richtig hältst.« Es klang nicht aggressiv. Sie ließ ihn los und trat zurück. »Wir treffen uns auf der Brücke. Steve, Nick und Phil sind dort.«

»Ich beeile mich«, versprach Thor.

Er wusste nicht, was sie veranlasst hatte, so rasch ihre Meinung zu ändern, doch es hatte jetzt auch keine Bedeutung für ihn. Er musste Loki sehen. Er musste.

Nach einem letzten knappen Nicken machte sie Kehrt und ging. Auch er wandte sich ab. Mit großen Schritten hielt er auf den Zugang zur Arrestebene zu. Erst jetzt merkte er, wie unfassbar warm ihm war.
 

Als Thor außer Sichtweite geraten war, beschleunigte Romanoff ihren Schritt. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. In dem Moment, als sie seine Stirn berührt hatte, in die verwirrten, fieberglänzenden Augen gesehen hatte, war ihr ein Gedanke gekommen, der ihr so stark die Kehle zuschnürte, dass sie glaubte zu ersticken.

Als sie die Brücke betrat, hatte sie sofort die Aufmerksamkeit aller Versammelten.

Rogers’ Gesicht hellte sich auf, als er sie sah. »Natasha!«

»Agent Romanoff, wir hätten Ihre Hilfe gebrauchen können«, schnarrte Fury.

Sie ging wortlos an ihm vorüber und geradewegs auf Phil Coulson zu, der sie erwartungsvoll ansah. In seiner herabhängenden Hand lag Starks Computer.

»Was ist los?«, fragte er, als sie fordernd die Hand ausstreckte.

»Geben Sie mir das da.« Sie wies auf das Gerät.

Coulson zögerte nur einen Moment, dann händigte er ihr mit gefurchter Stirn den Computer aus. »Wo waren Sie die ganze Zeit?«

»Fragen Sie sich lieber, wo Agent Taps die ganze Zeit ist.«

Sie tippte auf den Bildschirm. Gott sei Dank, er funktionierte noch. Ein zähes Stück Technologie, das Tony da hatte. Ungeduldig suchte sie nach den Dateien, die der Erfinder ohne Erlaubnis aus dem Speicher geladen hatte. Schob Objekte und Ordner hin und her. Textfenster öffneten sich, Zahlenketten glitten Zeile für Zeile über die spiegelnde Oberfläche, bis Romanoff sie ärgerlich unterbrach.

Dann fand sie sie.

Die Akte Five Days.

Sie enthielt Lokis Daten während der gesamten fünf Tage. Taps hatte sein Verhalten stichpunktartig notiert, seine Werte vermerkt. Der aktuelle Eintrag war LOKI DAY 5. Er war noch leer.

Doch er war nicht der letzte.

Sie scrollte weiter. Und spürte das schmerzhafte Ziehen in der Brust als Reaktion darauf, dass eine unangenehme Ahnung zur Wahrheit wurde.

THOR DAY 2.

Sie hob den Kopf, blickte starr in die Gesichter, die sie ebenfalls ansahen. Rogers, Coulson, Hill, Fury. Sie alle warteten auf eine Erklärung. Aber in keinem der vier Augenpaare fand sie, wonach sie suchte. Sie wussten nichts. Nicht einmal Fury wusste irgendetwas.

Dabei war es so einfach. Wenn sich der Trinkwasseranschluss in Lokis Zelle selektiv kontaminieren ließ, dann war das auch bei jedem einzelnen der Quartiere möglich. So simpel. Und doch hatte niemand auch nur einen Gedanken daran verschwendet.

»Ich muss eine Katastrophe verhindern«, sagte sie nüchtern, reichte Coulson den Computer mit der geöffneten Datei und wandte sich zum Gehen.

Ihre Stimme hatte völlig sicher geklungen, und genauso sicher waren auch ihre Schritte, als sie zügig, aber beherrscht den Raum verließ und den Weg zur Arrestebene einschlug.
 

Als Thor die schwere automatische Tür, die den Weg zur Arrestebene blockierte und sich für gewöhnlich nur nach Autorisation öffnete, halb offen stehend vorfand, wusste er, dass er zu spät kam.

Aufkeuchend stolperte er durch den Spalt, mitten hinein in den hohen, dunklen Raum. Und blieb erstarrt stehen, als er seine Befürchtung bewahrheitet vorfand.

Die gläserne Tür der Hochsicherheitszelle stand offen. Nutzlos. Ihre computergesteuerte Verriegelung hatte versagt.

Loki stand noch in der Mitte der Zelle, aufrecht, lächelnd.

Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der nicht länger vorhandenen Blockade, stand Agent Taps.

»Thor.« Loki nahm seine Anwesenheit zur Kenntnis, ohne ihn anzusehen. Sein Blick blieb unverwandt auf Taps gerichtet. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Uns wird nie wieder etwas trennen. Aber ich empfehle dir, unsere Freunde künftig etwas weiser zu wählen.« Herablassend glitt sein Blick an Taps’ magerer Gestalt hinunter.

Der Agent atmete scharf ein. »Beleidige mich nicht, du – Ding! Ich habe deinen Geist unterworfen! Ich habe es geschafft, dich so lange in diesem Glas gefangen zu halten!«

»Du hast aber auch dafür gesorgt, dass ich freikomme«, erwiderte Loki wie beiläufig und wies auf die offene Tür zwischen ihnen. »Womit auch immer du mich vergiftet hast, es hat mich nicht nur all meiner rudimentären Empfindungsfähigkeit beraubt … sondern mir eine Macht verliehen, die nicht einmal ich selbst steuern kann.« Er grinste Taps an. »Verzweiflung tut Sonderbares mit euch Menschen.«

Thor wagte noch immer nicht, sich zu rühren. Sein Blick war verschwommen, sein Gleichgewichtssinn gestört. Der Raum schien zu schwanken. Erst jetzt merkte er, dass er am ganzen Leibe heftig zitterte. Obwohl es kaum noch kalt war.

»Noch bist du nicht frei«, knurrte Taps. »Erst musst du an mir vorbei. Und das wirst du nicht. Du bist mein Geschöpf. Ich habe dich neu erschaffen!«

»Wie wahr«, sagte Loki und lächelte sanft. »Das hast du. Und ich bin dir dankbar.« Noch immer machte er keine Anstalten, sich gewaltsam einen Weg aus der Zelle zu bahnen. Er stand einfach nur da und wartete. Lauerte.

Thor spürte Übelkeit in seiner Brust aufsteigen.

Taps, das wusste er nun, war ebenso irrsinnig wie Loki. Und nun wähnte er sich überlegen. »Ich wusste es«, sagte der Agent triumphierend und entblößte zwei funkelnde Zahnreihen. »Ich wusste, es würde funktionieren. Ganz egal, wie hoch eine Kreatur entwickelt ist – mein Medikament kann ihren Verstand unterwerfen! Ich habe ein Wunder gewirkt … Werde weitere Wunder wirken! Ein großartiger Durchbruch!« Er schien es selbst kaum begreifen zu können.

»So ist es«, bestätigte Loki ihm nur allzu bereitwillig. »Du wirst ein berühmter Mann deines Volkes sein, wenn du ihnen zeigst, was du mit mir gemacht hast.«

»Oh ja. Ja

»Alle Feinde deiner Welt … fünf Tage lang vergiftet, danach friedlich wie Schafe.«

»Ja! Ich verstehe jetzt, warum krimineller Abschaum wie du so nach Macht giert, nach Überlegenheit! Es fühlt sich wahrhaft wunderbar an!«, stieß Taps in Verzückung hervor. »Und es war so einfach! Jetzt werde ich es allen zeigen. Komm!«

Er trat von der offenen Glastür zurück. Eröffnete Loki den Weg.

»Nein!«, rief Thor aus und stürzte vorwärts.

»Bleib stehen!«, schrie Taps ihn an. »Du weißt gar nichts! Du bist nur ein unzivilisierter Wilder aus dem Weltall! Du warst nur das Mittel zum Zweck!« Mit wutverzerrtem Gesicht stellte er sich Thor in den Weg. »Bleib weg von meinem Subjekt! Es braucht dich nicht mehr. Die Behandlung ist abgeschlossen. Ich habe alles unter Kontrolle! Siehst du das nicht?« Er deutete hinter sich auf Loki, der unverändert vor der offenen Tür stand und eine Flucht überhaupt nicht im Sinne zu haben schien.

Thor verstand nicht. Er verstand gar nichts mehr. Ihm war furchtbar übel, und hinter seiner Stirn drehte sich alles.

»Siehst du? Er gehorcht mir!«, rief Taps in ekstatischer Freude aus. »Er wird von nun an uns allen gehorchen!«

Thor schluckte angestrengt den Brechreiz hinunter, der sich seine Kehle hinaufwürgte. »Gehorchen«, presste er hervor, »so wie die Beutelratte … die deiner Frau einen Finger abgebissen hat?«

»Was?« Taps’ Gesichtszüge entgleisten. »Was spinnst du dir da zusammen, du hirnloser Barbar? Alle meine Experimente waren ein voller Erfolg! Meine Frau ist …« Seine Augen glühten im Wahn. »… selbst Schuld! Sie hätte sich nicht einmischen dürfen, ihr Gezänk hat alles zunichte gemacht! Es geschah ihr recht

»Du bist wahnsinnig!«, ächzte Thor, der so viel Geisteskrankheit gar nicht begreifen konnte. In Taps’ Kopf geschah etwas ungeheuer Schreckliches, so schrecklich, dass es sogar seine Erinnerungen verzerrte und pervertierte.

»Du siehst es doch!«, fuhr Taps frohlockend fort, warf in Unbekümmertheit die Arme hoch und machte zwei beschwingte, fast tänzelnde Schritte nach rückwärts, die ihn dicht an die offene Glastür herantrugen. »Ich kann mit deinem Bruder machen, was ich will! Schau hin!« Und er trat in die Zelle.

»Nein!«, schrie Thor verzweifelt aus, jeden Moment mit dem Schlimmsten rechnend. Ein riesiger Sprung beförderte ihn vor die Glastür, die er keuchend mit seinem Körper versperrte. Aber zu spät.

Taps stand nun neben Loki, der immer noch völlig gelassen und zufrieden wirkte.

Nein, das konnte nicht sein. Taps machte einen Fehler, das wusste er. Den schlimmsten Fehler seines Lebens.

Doch noch immer triumphierte der fehlgeleitete Mann. Er spottete über Thors Panik. Sein breites Grinsen verwandelte sich jäh in einen Ausbruch abgehackten Gelächters, das immer heftiger wurde, so heftig, dass er sich schließlich auf die Knie stützen musste.

Loki an seiner Seite fiel unvermittelt in dieses Lachen ein. Thor stutzte; er hatte ihn lange nicht lachen sehen. Loki amüsierte sich sichtlich und hatte nun auch keinen Grund mehr, es zu verbergen. Der Unterschied war jedoch, dass Taps, während er lachte, immerfort Thor ansah, den Gegenstand seiner Belustigung, der, den er seiner Furcht wegen verhöhnte.

Loki jedoch sah Taps an.

Und dann passierte es.

Taps hatte sich so in sein Gelächter gesteigert, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Gleichfalls unausgesetzt lachend trat Loki hinter ihn, und kurz sah es aus, als wolle er dem anderen helfen, das Gleichgewicht zu halten.

»Nein, nicht!« prustete Taps. »Ich mag es nicht, wenn man mich anfasst, verstehst du?«

»Ich verstehe«, erwiderte Loki lachend, packte mit einer raschen Bewegung Taps’ Kopf und drehte ihm den Hals um.

Es knirschte, als das Genick des Mannes brach.

Taps röchelte, die Augen weit aufgerissen – dann sank er leblos zu Boden.

Lokis Lachanfall erlebte einen neuen Höhepunkt. Mit dem Fuß trat er Taps’ Leichnam beiseite, ehe er mit dem Handrücken über seine Augen fuhr und sich langsam wieder beruhigte.

»Kurzzeitig war er wirklich unterhaltsam«, grinste er. Dann wurden seine Züge wieder hart. »Doch jedes Vergnügen muss enden. Komm, Bruder. Es ist Zeit.«

Thor rührte sich nicht von der Stelle. Er war so entsetzt, dass ihm die Worte fehlten; er wusste nicht mehr, wie er sich bewegen sollte, gar nichts mehr. Alles, was er tun konnte, war, Loki mit leerer Miene anzustarren.

Loki bemerkte seine Lähmung. Er musterte ihn ernst, dann trat er ruhig auf Thor zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Es ist Zeit«, wiederholte er mit weicher Stimme. Und als er die andere Hand auf Thors Brust legte und sie sanft nach rückwärts schob, machte Thor ihm Platz.

»Na siehst du.« Loki dirigierte ihn, bis er nicht länger im Weg stand. Thor konnte nicht gegenhalten. Er gab nach wie ein Stück weiches Leder, in das eine Zierniete eindringt. Loki trat aus der Zelle heraus, und als er neben Thor stand, hauchte er ihm einen kühlen Kuss auf den Hals, kurz unter dem Kiefer.

Thor begann erneut, heftig zu beben. All das war zu viel für ihn. Er wusste nicht, was mit ihm vor sich ging, war nicht mehr Herr seiner Sinne und seiner Muskeln. So viel Kraft – und er wusste nicht, wohin damit.

Als er Lokis Hand auf seinem Rücken spürte, gaben plötzlich seine Beine unter ihm nach. Er fiel hart auf Knie und Hände, würgte hilflos und mit aller Kraft, aber sein Magen war seit Tagen leer und konnte nichts hervorbringen. Nur dünner Speichel troff von seinen Lippen auf den Filzboden. Zitternd und entkräftet verharrte er in der Hocke, mühsam um Bewusstsein ringend.

»Jetzt weißt du, wie es mir ging.« Lokis Stimme sickerte in sein Ohr wie warmer Honig. Unentwegt rieb seine Hand zärtlich Thors Rücken, schweißnass unter der dicken Jacke. »Komm mit mir, Thor. Diese Menschen sind wertlos. Lass uns sie ihrem unausweichlichen Schicksal überlassen.«

»Hmmmmm.« Thors Mund brachte kein deutliches Wort hervor.

Loki umfasste seine Schulter. »Steh auf, Thor. Uns bleibt nicht viel Zeit. Du musst bei mir bleiben.«

Mit wirren Gedanken sammelte Thor seine verbliebenen Kräfte zusammen und fand, dass es mehr waren als erwartet. Er spannte seine Muskeln, zwang sich hoch, kam strauchelnd auf die Füße. Loki hielt ihn fest, gab ihm Halt.

Was für eine seltsame Situation.

Wie bizarr.

Wie unnatürlich.

Sie mussten fort von hier.

»Halt!«, rief eine energische Stimme. »Ihr geht nirgendwohin!«

Loki erspähte den Ankömmling, ehe Thor auch nur die vage Herkunft der Worte ermitteln konnte.

»Ah! Unsere Freundin Agent Romanoff.«

Benommen sah Thor, wie sie näher kam, eine riesige, wunderlich aussehende Waffe auf Lokis Brust gerichtet.

»Warum bist du nicht in deinem Käfig, Meister der Lügen? Geh wieder rein. Sofort!«

»Und dann?«, fragte Loki und lächelte unschuldig. »Wohin wollt ihr mit einem Schiff ohne Antrieb? Spielt es noch eine Rolle, ob ich hier bin oder nicht?«

»Für mich schon«, entgegnete sie unnachgiebig. »Und falls du meinst, du bräuchtest dich nicht zu fürchten: Diese Waffe hier haben wir nach dem Vorbild eures Destroyers konstruiert. Glaub mir, es wird wehtun.« Ihre Augen blieben hart, doch ihr Mund lächelte. »Wie Tony sagen würde: Das Baby macht tüchtig Bums.«

Trotzig erwiderte Loki ihren einschüchternden Blick. »Und was tust du mit Thor?«, fragte er herausfordernd. »Wirst du auch auf ihn schießen?«

»Wenn es sein muss«, antwortete sie ohne zu zögern. Thor kannte sie, er wusste, sie würde sich keine Unsicherheit anmerken lassen. »Also los. Beweg dich.«

Loki rührte sich nicht. »Hast du vergessen, was ich mit Barton vorhabe?«, fragte er geschmeidig.

»Nein. Aber du hast keine Macht mehr über ihn.«

»Vorerst. Aber heute war kein Gift in meinem Wasser, weißt du das? Bald schon hole ich mir jeden Einzelnen von euch. Und ihr werdet qualvoll sterben. Alle

»Loki …« Thor keuchte. Immer noch war der Griff seines Bruders fest, ließ nicht zu, dass er wieder einknickte. »… nicht …«

»Oh, du bist nicht gemeint«, sagte Loki zärtlich in sein Ohr. »Wir werden die Menschen gemeinsam in den Staub werfen, wo sie hingehören.«

»Was?«, kam es verständnislos von Romanoff. Thor sah die Verblüffung im Gesicht der Agentin. Ihr argwöhnischer Blick huschte von ihm zu Loki und zurück. »Also hat es tatsächlich funktioniert …«, wisperte sie in die Stille.

»Geh aus dem Weg«, verlangte Loki beherrscht. »Ich werde dich nur einmal dazu auffordern.«

»Damit ihr aus dem Flugzeug springen und sanft zu Boden schweben könnt?« Sie schüttelte den Kopf. »Niemals.«

»Gut.«

In diesem Moment stürzte ein Mann hinter ihr durch den offenen Zugang. »Natasha!«

Sie fuhr herum, sichtlich erschüttert. »Clint! Aber –«

Mehr Zeit brauchte Loki nicht. Er packte Romanoff im Nacken und stieß sie grob zu Boden, ehe sie ihren Fehler bereuen konnte. Der athletische Mann hinter ihr löste sich in Nichts auf.

»Komm, Bruder!«

Loki zerrte Thor mit sich. Hüllte sie beide in ein Trugbild. Sie stiegen über Romanoff, die sich verzweifelt nach ihrer zu Boden gefallenen Waffe reckte, und hielten auf die Tür zu.

In diesem Moment wurde Thor klar, dass Loki, sobald er den Moment für schicklich hielt, alle an Bord töten würde. Alle. Weil er glaubte, dass sie ihm, Thor, geschadet hatten.

Da begehrte er endlich auf. Und rammte so wild die Fersen in in das schwarze Bodengitter, dass es hallend krachte.

»Zaudere nicht!«, zischte Loki. »Ich lasse nicht zu, dass sie dir noch einmal etwas antun!«

Grimmig löste Thor seinen harten Griff von seinem Arm, streckte diesen weit aus. Rief nach Mjolnir.

Loki wich vor ihm zurück. Sein Gesicht spiegelte Verwirrung. »Nein, Thor. Das kannst du nicht wollen. Ich bin dein Bruder. Ich liebe dich.«

Wann immer er diesen Satz bisher gesagt hatte, war es eine Lüge gewesen. Das wusste Thor nun. Umso schlimmer, dass Loki dieses Mal nicht log. Heute, am fünften Tag, hatte der Trank seine volle Wirkung entfaltet.

Hinter der Wand polterte es. Dinge fielen zu Boden, andere zerbarsten. Das Getöse wurde lauter und fand abrupt ein Ende, als das, was sich inmitten all dieser Gegenstände befunden hatte, freikam. Mjolnir, der schrecklichste aller Hämmer, schoss durch die offene Stahltür, an Loki vorbei, hinein in Thors Hand.

Furcht verzerrte Lokis weiche Züge. Rasch vergrößerte er den Abstand zwischen sich und Thor. Er sah aus, als habe er zum ersten Male Schmerzen. Wie ein geschlagenes Tier.

Thor hielt den schweren Griff fest umschlungen. »Geh wieder in die Zelle«, forderte er seinen Bruder auf. »Bitte. Mach es nicht noch schlimmer.«

»Nein!«, spie Loki zurück. In seiner Verzweiflung bückte er sich nach der am Boden kauernden Romanoff, griff in ihren Haarschopf und zog sie halb vom Boden hoch.

Die Agentin schlug um sich – aber nicht aus Angst, sondern aus Wut. »Thor, verdammt noch mal!«, zischte sie. »Tu endlich, was nötig ist!«

Und als Thor sie ansah, wie sie sich von Loki losriss, und danach das echte Entsetzen im Gesicht seines Bruders erfasste, der all dies gar nicht mehr wollte –

– da wusste er plötzlich, was nötig war.
 

Romanoff haderte mit sich, weil sie diese eine Chance vertan hatte. Sie war auf den ältesten Trick der Welt hereingefallen – jedenfalls den ältesten, seit es Illusionisten gab.

Clint.

Sie schüttelte sich innerlich. Loki hatte ihre Schwäche exzellent ausgenutzt. Nie hätte sie das zulassen dürfen. Die alptraumhafte Reise auf dem Helicarrier hatte ihre eiserne Disziplin tiefer erschüttert, als sie für möglich gehalten hätte.

Plötzlich ließ der ruppige Zug an ihrem Haar los. Sie hob den Kopf, robbte ungelenk nach rückwärts, so schnell sie konnte.

Thor war vor Loki getreten. Und hatte einen Arm um ihn gelegt. Einen Arm, mit dem er ihn jetzt sacht, aber bestimmt zu sich zog.

Was um alles in der Welt hatte er jetzt vor?
 

Langsam, ganz langsam führte Thor seinen Bruder den kurzen Weg zurück. Den ersten Schritt schaffte er bereits, als Loki noch fast eine Armlänge entfernt war; danach sträubte der Jüngere sich halbherzig, die List durchschauend, aber unfähig, vollen Willens dagegen zu handeln. Dafür war Thors Nähe zu kostbar. Es war das erste Mal, dass er sich – scheinbar – freiwillig Loki zuwandte. Thor wusste, dass er jetzt den einzigen brauchbaren Rat befolgen musste, den Agent Taps ihm jemals gegeben hatte: Verführ ihn.

Und das tat er.

»Nein, Thor … Du wirst mich nicht dazu bringen, wieder in dieses … Ding zu gehen …«, knirschte Loki, aber gleichzeitig folgte er Thor entgegen seinem Willen, schmiegte sich zitternd an ihn. Immer wich Thor in jenem zerbrechlichen Moment zurück, wenn ihre Körper sich warm berührten. Er hatte die Jacke geöffnet, um Loki noch mehr zum Folgen zu ermuntern. Bisher gelang es. Doch diese Hoffnung war fragil. Er durfte nichts falsch machen. Keine Kleinigkeit.

Loki forderte mehr von ihm, drängte stärker an Thor heran und schien im selben Moment zu spüren, wie ausgeliefert er war. Widerstrebend kam er mit, wenn Thor sich entfernte, doch diesem war bewusst, dass das zarte magische Band jeden Moment reißen würde, wenn er sein Angebot nicht mit jedem Schritt, den er Loki abverlangte, attraktiver gestaltete.

Also ließ er zu, dass Loki ihn wieder berührte. Die Hand unter seine Kleidung schob. Etwas in ihm scheute zurück, doch er hielt es unter Kontrolle. Keine Abscheu würde dies alles zunichte machen. Er musste überzeugend sein.

»Es ist ein schreckliches Gift«, brachte Loki zähneklappernd hervor. »Ich hasse es. Es ist die stärkste Art von Magie, die ich kenne … und ich wünschte, ich könnte sie beherrschen …« Er seufzte, als seine Hand über Thors Brust glitt. »Was tue ich hier, Thor … Was haben deine Freunde aus mir gemacht …?«

Mit zusammengebissenen Zähnen zog Thor ihn mit sich. Es waren jetzt nur noch wenige Schritte, die sie von der Zellentür trennten. Nicht aufgeben. Durchhalten. Es war zu schaffen. Ganz sicher.

Loki begann, gegen das Band zu kämpfen. Unwillig zischend versuchte er, den Abstand zu halten, doch Thor zog ihn unnachgiebig an sich.

»Komm, Bruder«, sagte er zärtlich. »Komm.« Es klang so echt. So liebevoll. Gar nicht nach dem mächtigen Thor. Nicht annähernd.

Sie waren fast bei der Schwelle. Nur noch hindurch. Hindurch!

Wieder versuchte Loki loszukommen. Er machte sich steif, drängte nach rückwärts, versuchte auszubrechen. »Nein … Nein! Du wirst mich nicht … dazu bringen …« Seine Finger auf Thors bloßem Körper griffen fest in das feuchte Fleisch seiner Flanke. Loki war so stark. Thor hielt die Luft an, unterrückte einen Schmerzensschrei. Fahrig griff er nach Loki, in seine Kleidung, um sich ebenfalls Zugang zur Haut zu verschaffen. Er musste ihn stärker reizen. Noch viel stärker.

Als Loki seiner Bemühungen gewahr wurde, half er ihm sofort. Seine Tunika unter der Rüstung aus Leder und Metall war nicht dafür gemacht, eine Körperstelle unbedeckt zu lassen, deshalb führte er Thors Finger kurzerhand an seinen Hals, dorthin, wo bläulich die Vene unter dem Schlüsselbein und harten Sehnen verschwand.

Thor hatte ihn zurückgewonnen. Hingebungsvoll die weiche Kuhle zwischen den Muskeln streichelnd zog er Loki zurück in sein gläsernes Gefängnis.

Ein Gefängnis, das jetzt auch seins war.

Blitzschnell ließ er Loki los, wandte sich der Tür zu und riss sie mit beiden Händen und aller Kraft in ihre ursprüngliche Position zurück. Er hörte, wie die magnetischen Schlösser scharf klickend einrasteten.

Es war getan.

Loki stürzte sich zähnefletschend auf ihn. Stieß ihn mit enormer Wucht gegen die durchsichtige Wand, als könne er Thors Körper zum Einschlagen des Glases benutzen. »Was hast du getan!«, schrie er ihn an. »Wie oft willst du mich noch einsperren? Wie oft dich noch an meinem Leid erfreuen, daran, mir überlegen zu sein? Stärker zu sein als ich?« Wieder versetzte er Thor einen derben Stoß, der ihn gegen das Glas prallen ließ. Dann schlang er, zu Thors Entsetzen, die bleichen Finger um den Griff von Mjolnir.

Erschrocken packte Thor das lederumwickelte Holz fester. »Du weißt, dass du ihn nicht heben kannst!«, ächzte er, indem er Loki abzuwehren suchte. »Du weißt es!«

»Und du weißt, dass ich nicht dumm genug bin, mich betrügen zu lassen!«

Eine Stimme sagte: »Aber verliebt genug.«

Thor fuhr er herum. Agent Romanoff stand vor der Zelle und wandte sich soeben, ohne eine Sekunde Zeit zu verlieren, dem kleinen Steuerpaneel zu. »Nicht nur Nick kennt den Code«, belehrte sie die beiden Männer. »Ich hoffe, zumindest dieser Mechanismus funktioniert noch. Aber da das Öffnen der Luke mittels Hydraulik geschieht, erwarte ich keine Probleme.«

Ihre Finger huschten über den Schirm. Fünfmal berührte sie in schneller Folge verschiedene Punkte; dann hielt sie noch einmal inne und sah Thor fest in die Augen.

Unter dem Boden der Zelle tat sich pfeifend und singend der winddurchwehte Abgrund auf.

»Es tut mir Leid«, sagte sie ehrlich. »Aber du bist Teil von Taps’ Experiment geworden. Er hat dich auf Loki geprägt. Du wirst ihn nicht töten, egal wie sehr du es willst.« Ihre Finger schwebten über der letzten großen Taste. »Verzeih mir.«

Nach allem, was passiert war, erschreckte Thor diese Nachricht nicht mehr. Er schluckte und nickte. »Ich verzeihe dir. Tu es. Es gibt keine andere Möglichkeit.«

»Nein. Viel Glück.« Romanoff brach den Blickkontakt. Ihre Hand ging auf den Schirm nieder.

Mit einem Klicken gaben die Halterungen nach. Alles sackte ruckartig nach unten.

Dann kam der freie Fall. Thor und Loki wurden gegen die Zellendecke geschleudert, und dann ging es abwärts, abwärts, immer tiefer, und die Stadt raste heran, immer schneller, dreißigtausend Fuß in die Tiefe.
 

Der Lärm verebbte rasch.

Eine Ewigkeit starrte Romanoff auf die leere Stelle in der Mitte des Raumes. Ihre Hand lag auf dem Schaltpaneel, Minute um Minute. Sie zitterte nicht.

Irgendwann – sie wusste nicht, wie viel später – waren Schritte hinter ihr zu hören. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Kurz hatte sie die irre Hoffnung, es möge Clint sein, doch natürlich war er es nicht.

»Sie haben es wirklich getan«, stellte Rogers mit einer gewissen Faszination fest. »Das war sicher nicht leicht. Meinen Respekt, Natasha.« Er ließ sie los und ging um die käfigartigen Streben herum, die die gläserne Zelle in ihrer Halterung eingefasst hatten. »Gut gezielt haben Sie auch. Agent Hill sagt, die Kapsel wäre in einem wenig belebten Viertel auf einem leeren Platz aufgekommen und hätte den Boden durchschlagen – mitten in einen Ausläufer des stillgelegten U-Bahn-Netzes. Das klingt wie sechs Richtige im Lotto, finden Sie nicht?« Er versuchte, sie anzulächeln, doch seine Miene wirkte seltsam verzerrt. Nein, auch er war nicht glücklich. Er konnte nur besser damit umgehen. Er war Soldat.

»Wir müssen nach Thor suchen«, sagte sie tonlos. »Oder nicht?«

Rogers zögerte. »Natasha …« Er suchte nach Worten. Nach den richtigen. »Hören Sie, ich habe gerade mit Nick und Phil darüber gesprochen. Es ist vielleicht … nicht klug, eine Suche anzufangen.«

Sie wusste bereits, was er sagen würde. Es klang so richtig. So logisch.

»Ich meine«, fuhr Rogers unbeholfen fort, »in gewisser Weise haben wir das Ziel unserer Mission erreicht. Loki hat den Menschen mit Krieg gedroht. Wir haben ihn aufgehalten. Die Menschen zu beherrschen hat in seinem Kopf an Bedeutung verloren, er … ist jetzt auf Thor fixiert. Was auch immer da für ein riesiges Loch in Loki war, das ihn so nach Macht hat dürsten lassen … Thor füllt es jetzt. Die Gefahr ist abgewendet. Verstehen Sie?« Er sah Romanoff eindringlich an. »Es gibt nichts mehr, das wir tun können. Die beiden, falls sie den Aufprall überlebt haben, sind jetzt mit sich selbst beschäftigt. Das ist mehr, als wir uns am Anfang hätten wünschen können.«

Sie nickte langsam. Er hatte Recht. Keine weiteren Menschen waren Lokis Tobsucht zum Opfer gefallen. Wenn er und Thor wirklich noch lebten, dann hatten sie miteinander genug zu tun. Für Menschen oder Weltherrschaft war da kein Platz mehr. Sie hatten eine jahrhundertelange vergiftete Beziehung aufzuarbeiten.

Bei diesem Gedanken lächelte sie gequält. Was für abscheuliche fünf Tage es doch gewesen waren. All die Beklemmung, die Ungewissheit. Die ständige drohende Gefahr. All das war nun vorbei.

Wie zur Bestätigung dieser Vermutung sprang plötzlich das Licht über ihren Köpfen an. Flackernd begann eine Leuchtstoffröhre nach der anderen zu brennen, bis alle in demselben satten, weißen Licht leuchteten. Es war so hell, dass sie die Augen zusammenkneifen musste.

Gleichzeitig nahm der Maschinenlärm wieder zu. Das Dröhnen der Schubmotoren schwoll an, bis es sich zu einem hellen Summen oberhalb des menschlichen Hörvermögens gesteigert hatte. Mit einem kurzen Schwanken, das sich anfühlte, als hätte etwas Weiches der Außenhülle einen Stups versetzt, geriet der Helicarrier in Bewegung.

Romanoff sah in das erleichterte Gesicht des Captains, aus dem innerhalb eines kurzen Augenblickes aller Harm verschwunden war. Die bösen Tage waren vorüber. Endlich, endlich ging es bergauf.

Über ihnen knackte es in der Leitung.

»Captain Rogers, Agent Romanoff«, erfüllte eine bekannte sonore Stimme den Raum. »Marsch mit Ihnen auf die Brücke. Wir haben den Stark Tower im Visier. Raten Sie mal, was uns da entgegen leuchtet.«

Rogers atmete tief ein. »Wir sollten gehen«, sagte er aufmunternd. »Kommen Sie?«

»Oh, und Agent Romanoff?«, fuhr Fury unverhofft fort. »Wir sehen da auf dem Turm auch jemanden warten, der sich freuen wird, Sie zu sehen.«

Romanoff erschauerte. Wärme stieg in ihrer Brust auf und strömte bis in die Finger- und Zehenspitzen. Er war da. »Ja, wir … sollten gehen«, stimmte sie Rogers zu und setzte sich wie automatisch in Bewegung.

Furys Meldung hatte auch die letzten Zweifel in ihr vertrieben. Nun wusste sie ganz sicher, dass alles gut werden würde.

Nachdem sie eilig an Rogers vorbeigegangen war, damit er ihr Gesicht nicht sehen konnte, erlaubte sie sich, die verräterischen Tränen fortzuwischen. Sie wusste, dass es eine Zeitlang dauern würde, bis sie ihre kühle Beherrschung wiedererlangt hatte.

Sei es drum.
 

Viele Meter unter der mit Steinen und Mörtel beschichteten Erdoberfläche scharrte etwas im Geröll. Eine Schienentrasse, jahrzehntelang unbenutzt, ruhte unter Staub und Verfall. Schimmelnde Reste von Plakaten, modernde Kunststoffverkleidungen, von Ratten zerfressene Kabel; alles erfüllte die erdig-stickige Luft mit seinem Dunst von Schwund und Vergessenheit.

Stöhnend wälzte Thor die dicke Glaswand von seinem taub gewordenen Körper. Ihre scharfen Ränder hatten tief in sein Fleisch geschnitten, die gierige Ede sein Blut getrunken. Mehrere seiner Rippen waren gebrochen. Seine linke Speiche entzwei.

Alles würde heilen, und zwar in einem Tempo, von dem ein Mensch nur träumen konnte.

Jetzt aber hatte er Schmerzen. Und davon nicht wenig. Er konnte sich kaum bewegen, ohne nahezu das Bewusstsein zu verlieren.

In seiner Hand lag Mjolnir. Die Waffe hatte einen Krater geschlagen, der in seinen Ausmaßen größer war als Thor selbst. Nun half sie ihm nicht mehr weiter. Er hatte mühsam das Gefängnis gesprengt, doch nicht schnell genug. Innerhalb der von Rissen durchzogenen Glaswände waren sie auf Stein geprallt, erneut gefallen, wieder hart gelandet. Nun lag er hier, halb verschüttet unter den Resten des durchsichtigen Käfigs.

Geräusche in der Nähe zeigten an, dass auch Loki noch lebte. Thor hörte seinen langsamen, schleppenden Schritt. Aufsetzen. Schleifen. Aufsetzen. Schleifen. Er zog ein Bein nach.

»Bruder?«, keuchte Thor. Seine Stimme war ungewohnt dünn, kraftloser noch als in den kältesten Stunden auf dem Flugschiff.

Der Schritt verstummte kurz; dann wurde er schneller. Kam näher.

Mühsam hob Thor den Kopf. Sein Gesichtsfeld kreiste. Mjolnir ließ er nicht los, während er darum kämpfte, sich aufzusetzen.

Loki geriet in Sichtweite. Blutüberströmt. Hinkend. Aber lächelnd.

»Bruder«, sagte er liebevoll und näherte sich der Kuhle, in der Thor halb auf dem Rücken lag. »Die Frage, ob du wohlauf bist, ist wohl überflüssig.« Sein Blick wanderte zu dem Hammer, der in Thors Hand zitterte. »Wir sind allein«, stellte er fest. »Nur du und ich, Thor.«

»Ich weiß.« Thor atmete tief durch. Und nahm sich zusammen. Mit einem kurzen, heiseren Schrei kam er halb vom Boden hoch. Gelenke knackten. Einer seiner Rückenwirbel knirschte schmerzhaft in der Verankerung.

Es war nicht wichtig. Verletzungen heilten. Schmerzen vergingen.

Mjolnir war da. Sein Schwert und Schild zur gleichen Zeit.

»Nur wir beide«, sagte er unter schwerem Atem, gebeugt im Krater sitzend. »Wir müssen es beenden, Bruder.«

Loki kniete sich neben ihn. Beugte sich zu ihm, bis sein kühler Atem Thors Hals berührte. »Das müssen wir«, stimmte er zu. »Ich werde nicht in einer Welt leben, in der ich nie mehr sein kann, wie ich war. Tu es nur. Schlag mir den Schädel ein.« Er lächelte kummervoll. »Aber vorher …« Seine Stimme wurde leiser, als er sich noch näher an das blutige Ohr seines Bruders beugte. »… solltest du mich küssen.«

Thor war nicht entsetzt. Nicht mehr. Er war nicht einmal wirklich überrascht. »Wenn das dein Wunsch ist«, sagte er ruhig.

»Es ist befremdlich genug. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass das einmal mein Wunsch sein würde.« Loki schenkte ihm sein abnormes Lächeln, überheblich und spöttisch, dennoch seltsam bittersüß im Moment des nahen Todes.

Als er sich noch näher zu Thor hinunterbeugte, hob dieser unter Schmerzen den gebrochenen Arm, der Mjolnir hielt, bis er dicht über Lokis Scheitel schwebte.

Ihre Lippen berührten sich auf eine keusche, zaghafte Weise. Sie waren wie Kinder, die etwas Verbotenes taten. Jene Kinder, die sie früher gewesen waren. Die alles geteilt hatten.

Thors Muskeln spannten sich stärker.

Er wusste, was er zu tun hatte.
 

ENDE


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein Wort zum Geleit:

Ich gebe zu, das Ende … Also, bei der Planung fand ich, es hätte eine ganz gute Dynamik. Mittlerweile finde ich es ziemlich kitschig … Aber was soll’s. Hätte viel schlimmer kommen können. ;)
Die Offenheit ist Absicht. Ich weiß selber nicht, wie es ausgeht. Mehrere Möglichkeiten bieten sich an. 1) Thor tötet Loki. Wäre stimmig. 2) Loki tötet Thor. Er hat ihn die ganze Zeit ausgetrickst und ergreift die nächstbeste Gelegenheit, sich doch noch Mjolnir zu krallen. Ob er ihn heben kann … Wer weiß … 3) Thor erkennt im Moment des Kusses, dass er Loki nicht töten kann. Beide überleben. Und dann ist wieder alles möglich …
Wie gesagt, ich weiß es nicht. Werde es nie erfahren. In meinem Kopf ging die Geschichte nie weiter als bis hier. Und vielleicht ist das ja auch gut so. ;)

Vieles an der Geschichte sah in der Planung noch überhaupt nicht so aus und hat sich während des Schreibprozesses völlig anders ergeben. Tony z.B. sollte eigentlich eher der Bad Guy sein, der sich immer stärker gegen Thor wendet, der ja Loki immer noch helfen will. Hat nicht funktioniert, stattdessen hat er Thor bis zuletzt unterstützt. Eigentlich sollten auch alle Avengers immer heftiger aneinander geraten, sich zuletzt bekämpfen, selber nicht wissend, wieso. Hat auch nicht funktioniert. Sie haben zusammengehalten. Früher hab ich Schreiber insgeheim belächelt, die sagten „Aber meine Figuren wollten das nicht!“ Jetzt hab ich kapiert, was das wirklich bedeutet. Die wollten das nicht. Partout nicht! Eine Erfahrung, die ich bisher noch nie gemacht habe. Sehr lehrreich.

Auf wiedersehen und danke fürs Reinschauen! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2016-01-31T12:33:53+00:00 31.01.2016 13:33
Hi,

Schöne Geschichte, die mir stilistisch viel Spaß gemacht hat. Die Dialoge waren lebendig, die Beschreibungen stets den Umständen angepasst. Für mich war es die erste Story, an der ich an Lokis Zuneigung nichts zu mäkeln fand, denn das Neuroleptikum hat exakt die richtigen Schalter gedrückt und mit der Interaktion zu den anderen wurde die Angelegenheit rund. Thor hat für mich durch die Sprechweise den O-Ton des Originals perfekt imitiert, obwohl Stark ein wenig warmlaufen musste - in der Gesamtbetrachtung ist es dir dennoch gelungen, die Genreeinordnung makellos umzusetzen, die Charaktere mitsamt ihrer Macken zu treffen. Extrem cool auch dass am Anfang die Sache mit dem Szepter oder auch das Apathische eingebunden wurde.
Warum eigentlich keine Charakterbeschreibung oder Cover? Fakt ist, sehr einsteigerfreundlich, auch für Laien, und packend.

Cylk
Antwort von: abgemeldet
31.01.2016 13:38
Hmpf, da hat er einen Absatz gelöscht: Kompliment hier im letzten Kapitel nicht nur für die Technik, sondern auch den Funk mitsamt Barton. Wäre die Story nur das gewesen, hätte ich es sinnbildlich mit Herzen beklebt. An der Stelle hatte es Kinoqualität. Exakt die perfekte Mischung aus Dialog und Beschreibung.
Antwort von:  CaroZ
31.01.2016 16:10
Hallochen!

Ich danke dir herzlich für den lieben Kommentar. Macht den Tag gleich schöner.^^ Es ist ja meine erste und einzige FF in dem Bereich, da freue ich mich, dass sie so gut ankommt. Yay! xD

>>Warum eigentlich keine Charakterbeschreibung oder Cover?<<

Hm, mit den Charakterbeschreibungen werde ich nicht so wirklich warm, zugegeben … Erstens hat man die bei gedruckten Geschichten und anderen FF-Archiven auch nicht (Animexx ist da, glaub ich, wirklich die Ausnahme), zweitens würde wohl niemand, der die Figuren nicht kennt, eine FF zu ihnen lesen. Oder vielleicht doch? Ich lasse da gerne meinen Horizont erweitern.^^ Bisher hielt ich Charakterbeschreibungen höchstens bei OCs für sinnvoll, jedenfalls dann, wenn es unübersichtlich viele gibt.
Und Titelbilder … hätte ich eigentlich gerne für alle meine Storys, aber ich kann einfach nicht gut genug zeichnen/malen. Und Bildmaterial eines anderen verwenden will ich auch nicht. Was ich mir für diese FF als Titelbild vorstelle, ist eine Außenaufnahme von der Glaszelle (leer, niemand im Bild), schön in dem kalten, bläulichen Licht, mit Frost an den Scheiben und evtl. ein paar Eiszapfen von der Decke. :)

Aber ja, vielleicht hast du Recht, ich werde mich mit beidem mal befassen, irgendwie.^^°

>>Fakt ist, sehr einsteigerfreundlich, auch für Laien, und packend.<<

Danke!!
Ich muss nur nachhaken: Was meinst du mit „einsteigerfreundlich für Laien“? Meinst du damit Leute, die sonst keine Fanfics lesen, oder Leute, die sich mit den Avengers nicht auskennen, oder Leute, denen inhaltlich manches fremd ist (Psychopharmaka usw.)?

Hihi, danke auch noch mal für das Lob zur Barton-Szene. Die hat mir auch viel Spaß gemacht. =]

Insgesamt noch mal ein Danke fürs Lesen und Kommentieren, hat mich sehr gefreut!

Liebe Grüße
Caro
Antwort von: abgemeldet
02.02.2016 15:33
Ich meine mit "laienfreundlich", dass man die Serie nicht kennen muss, um bei dir alle auseinanderhalten zu können. Sie werden originalgetreu und prägnant geschildert, sodass man am Ende sagen kann: Schaut die Person sich nun die Filme an, ist kein Unterschied festzustellen. Thor ist Thor, quasi. :)

Sonst sprech ich nur für mich: Gerade bei den YUALs schaue ich auch bei mir unbekannten Fandoms herein, und freue mich über Beschreibungen/Bilder.
Teils hast du auch in Bücher-Glossaren noch Angaben, wie z.B.: "Charly - Bruder von X".

Aber du hast Recht: Es ist Geschmackssache. Ich war nur neugierig. ;-)
Cylk
Von:  scippu
2016-01-02T21:47:54+00:00 02.01.2016 22:47
CaroZ, diese Geschichte.... also, ehrlich. Der Wahnsinn! Es gibt nichts, absolut nichts, was ich daran nicht phänomenal finde.
Eine der besten Fanfiktions, die ich je gelesen habe. Sie ist makellos.

Nun gut, das stimmt nicht. Ein paar Kommarfehler, ab und zu mal fehlt ein Wort. Aber auf die Wortzahl ist es sehr gering. Da saß ein aufmerksamer Beta dran.



Der Stil ist fantastisch. Knackig und gut. Absolut präzise, verhält nicht palavernd an unwichtigen Stellen, sondern steht der Handlung phänomenal zur Seite.

Die Aufteilung der Kapitel bot sich auf diese Art an. 5 Kapitel für 5 Tage, eines einführens als Erklärung.
Richtig genial waren die Perspektivwechsel, so dass jeder Avenger mal dran kam. Alle waren großartig getroffen und glaubwürdig.
Aber dazu später mehr.
Der Clou mit der Prägung Thors kam als Überraschung. Aber im Nachhinein kann man die Anzeichen erkennen. So was zu schaffen ist sehr schwer und zeichnet einen richtig guten Plot aus!
Dramaturgisch an sich stimmt hier außerdem alles.

Gedanken und Gefühle der Charaktere sind unheimlich passend.
Durch sie erfährt man immer stückchenweise was eigentlich los ist, genau in dem Maße, wie sie es herausfinden.
Alles ist glaubhaft und absolut in charakter.
Jedes Wort stimmt.
Ich kann mich darüber wirklich nicht genug auslassen.
Tonys Darstellung strauchelte anfangs etwas für mich. Aber er ist auf Deutsch auch echt wirklich schwer darzustellen. Aber du findest ihn sehr, sehr schnell und er erfüllt dann absolut passend seine Rolle: das lose, scharfe Mundwerk eines chronisch unterforderten Genies, der auf seine dreiste Art wichtig für den Fortlauf der Story ist.

Tja... die Idee ist außergewöhnlich, großartig geplottet und extrem gut umgesetzt.
Ich habe selten so eine gute Geschichte gelesen.

Und wenn ein Autor es schafft, mich so sehr zu überraschen, dass ich während des Lesens eine so starke Reaktion zeige (in meinem Fall plötzliches hörbares Einatmen, kurzes Stocken, die Hand schlägt an den Mund und dann kommt kaum zu unterdrücktes Kichern... aus einem Anfall völlig schutzlos getroffener präpubertärer Veranlagungen und gezierter Schockierung), dann muss da schreiberisch was Großes geschehen sein.
Die Hand an 'einem Ort an dem sie nichts zu suchen hat' kam so aus dem Nichts, dass ich völlig perplex da saß. Es muss göttlich gewesen sein.

YUAL absolut verdient. Danke, es hat einen riesen Spaß gemacht!!!
Antwort von:  CaroZ
03.01.2016 23:02
Hallo liebe scippu,

Ich bin immer noch total happy über die YUAL-Kür, das macht mich immer noch ganz wuschig. :D

Danke für das viele Lob, das ist echt ein wunderschöner Start ins Jahr. Bin sehr froh, dass die Geschichte doch noch ein paar liebe Menschen unterhalten kann.^^

>>Ein paar Kommarfehler, ab und zu mal fehlt ein Wort.<<

Oh no no no! >.< Ich hab den Texte gefühlt 1000 mal gelesen und er ist immer noch nicht sauber. :/ Also, falls du rein zuuuufällig noch weißt, wo was falsch ist, wäre ich dankbar für Hinweise. Aber wirklich nur, wenn’s für dich kein Aufwand ist. Man sieht eben doch nie alles, grrrml.

>>Da saß ein aufmerksamer Beta dran.<<

Da saß gar keiner dran, daran liegt’s wahrscheinlich. Für dieses Fandom hab ich keinen Testleser bisher.

Danke auch hier noch mal für die vielen freundlichen und bestärkenden Worte!

>>Tonys Darstellung strauchelte anfangs etwas für mich.<<

Ah, interessant. Dann merkt man am Anfang wohl wirklich, dass ich zu dem Fandom noch nie was geschrieben hatte und Tony eine ganz neue Art von Charakter für mich war.^^

>>Aber er ist auf Deutsch auch echt wirklich schwer darzustellen.<<

Hmja, das kommt hinzu. Um auf Englisch zu schreiben, dazu fühle ich mich in der Sprache einfach nicht sicher genug. Lesen ja, aber Schreiben … ist doch wieder was ganz anderes.

Was den Plot betrifft … Das war auch für mich totaaaal neu. Ich hab noch nie vorher so was Kurzes und Dramatisches geschrieben und hatte keine Ahnung, wie das wird. Es war ein Experiment und hat viel Spaß gemacht. Umso schöner, wenn die Idee gut ankommt.

Und dass ich dir eine sichtbare Reaktion entlocken konnte, schmeichelt mir sehr. :3

Ich bedanke mich für die Kür und dieses schöne, ausführliche Review. Einen guten Start ins Jahr und ein erfolgreiches 2016 wünsche ich dir!

Liebe Grüße
Caro
Von:  Kerstin-san
2016-01-02T15:16:59+00:00 02.01.2016 16:16
Hallo,
 
Lokis Unterbewusstsein ist richtig zerstörerisch und jetzt rächt sich, dass der Carrier nicht früher gelandet ist, als S.H.I.E.L.D. noch die Kontrolle über das Luftschiff hatte und nicht auf Lokis Gnade angewiesen war.
 
Ich gebe zu, dass mich Tonys, Steves und Nataschas Lethargie am Anfang etwas entsetzt hat. Wollen die Thor jetzt einfach in der Zelle erfrieren lassen und tatenlos dabei zuschauen?
Das sich Coulson dann bequemt, die beiden in Tiefschlaf zu legen, um Thor doch noch aus der Zelle zu befreien, hat mich dann wieder etwas milde gestimmt. Und auch hier sieht man, dass Loki einen viel stärkeren Willen hat, als Thor. Bis zum Schluss kämpft er gegen das Unvermeidliche.
Was ich mich nur gefragt habe, warum narkotisiert man Loki nicht dauerhaft, so wie bei Bruce? Am Anfang hieß es doch, wenn Loki bewusstlos ist, würde auch der zerstörerische Einfluss des Zepters nachlassen bzw. man hofft darauf, warum nutzt man diese Option also nicht?
 
Die Schattenseite des Opossumexperiments ist wirklich heftig. Die körperliche Stärke und dieser ausgeprägte Beschützerinstinkt bzw. diese immense Aggression gegen Personen, die der Bezugsperson schaden wollen. Richtig verstörend..
 
Oho, das dann Tonys Reaktor den Geist aufgibt und er damit auch ausgeschaltet wird, ist gar nicht gut. Immerhin hat der Carrier noch genug Saft, um dieses rettende Magnetfeld herzustellen, was mich ehrlich gesagt auch verwundert. Kaum was an Bord funktioniert noch, aber so ein Magnetfeld kriegt man dann noch zu Stande. Na ja, wer weiß schon, auf was genau das Zepter so abzielt.
 
Der Kniff, dass Thor selbst unbeabsichtigt Teil des Experiments geworden ist hab ich am Anfang gar nicht geschnallt. Hut ab vor Nataschas Scharfsinn. Lokis Verstand ist mittlerweile völlig zerrüttet und doch sind da diese Momente völliger Klarheit. Wo er genau weiß, was gerade mit ihm passiert und doch nichts dagegen tun kann. Ein richtiges Trauerspiel.. Wie er aber mit einer einzigen beiläufigen Handbewegung Taps das Genick bricht, hab ich ihm aber nicht verdenken können. Ganz ehrlich, da hat es niemand falschen getroffen.
 
Was das Ende angeht, ich kann überraschenderweise damit leben und ich favorisiere ja eindeutig Variante 1 :)
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  CaroZ
02.01.2016 20:10
Und zum Letzten!

>>Ich gebe zu, dass mich Tonys, Steves und Nataschas Lethargie am Anfang etwas entsetzt hat. Wollen die Thor jetzt einfach in der Zelle erfrieren lassen und tatenlos dabei zuschauen?<<

Oh, mir war nicht klar, dass das so krass rüberkommt. Die sollten eigentlich nur ein wenig … eingelullt wirken durch die Kälte. Und natürlich, wie bisher, total verunsichert.

>>Was ich mich nur gefragt habe, warum narkotisiert man Loki nicht dauerhaft, so wie bei Bruce? Am Anfang hieß es doch, wenn Loki bewusstlos ist, würde auch der zerstörerische Einfluss des Zepters nachlassen bzw. man hofft darauf, warum nutzt man diese Option also nicht?<<

Das muss man sich wirklich fragen und das ist sicherlich eine Schwachstelle in der Logik. Deshalb habe ich auch die Figuren das fragen lassen. Klar stößt diese Lösung auf Unverständnis. Dass Fury starrsinnig hofft, dass am Ende doch noch das Experiment gelingt, wenn sie nur die gesamte Zeit durchhalten, ist schon ein wenig arg zurechtgebogen.

>>Immerhin hat der Carrier noch genug Saft, um dieses rettende Magnetfeld herzustellen, was mich ehrlich gesagt auch verwundert. Kaum was an Bord funktioniert noch, aber so ein Magnetfeld kriegt man dann noch zu Stande.<<

Also, da hatte ich eigentlich den Plan, dass vor allem die dynamisch-kinetische Technik nach und nach versagt, also alles, was irgendwie mit Bewegung und Energieübertragung zusammenhängt. Das Magnetfeld stelle ich mir da ein wenig unabhängiger und leichter in der Aufrechterhaltung vor. Richtig wäre dann aber der Einwand, dass die Lebenserhaltungssysteme ja auch „nur“ aufrechterhalten werden müssten – wenn auch unter Einsatz von deutlich mehr Energie.

Fandest du Lokis Darstellung denn so in Ordnung oder hab ich ihn arg entfremdet? Würdest du was anders machen?

>>Was das Ende angeht, ich kann überraschenderweise damit leben und ich favorisiere ja eindeutig Variante 1 :)<<

Schön, das war auch mein Favorit. ;)

Nochmals vielen Dank fürs aufmerksame Lesen und die tollen, vielschichtigen Kommentare! Ich freue mich immer, wenn Leser mich an ihren Gedanken teilhaben lassen und dabei auch ehrlich sind.

War mir eine Ehre!

Liebe Grüße
Caro :)
Antwort von:  Kerstin-san
03.01.2016 10:41
Wenn ich jetzt einfach nur das letzte Kapitel gelesen hätte, hätte ich ihn als völlig OoC empfunden. Aber du baust das ja schön kontinuierlich auf, was Lokis agieren dann völlig nachvollziehbar macht. Von daher fand ich seine Darstellung sehr überzeugend. Er ist ja immer noch Loki, nur eben nicht mehr Herr über sich selbst.


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