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Last Desire 8

L x BB
von

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Eine kurze Freundschaft

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ein Alibi muss her

„Und ich sage es dir zum gefühlten hunderttausendsten Mal: Nein, nein und nochmals nein! Vergiss es, nicht in einer Millionen Jahren. Schlag dir das gefälligst aus deinem perversen Hirn!“

„Meine Güte, du stellst dich aber auch an. Was ist denn schon dabei?“ Mal wieder herrschte Krach bei L und Beyond, die sich wie schon so oft über irgendwelche Kleinigkeiten stritten. Jeremiel schüttelte den Kopf bei dem Gezanke und konnte nicht glauben, dass die beiden sich schon wieder in den Haaren lagen. Nun ja, inzwischen war das ja eigentlich schon fast Teil der Tagesordnung, aber manchmal ging es um so belanglose Kleinigkeiten, wo er sich manchmal wirklich fragte, wieso sie sich über so etwas streiten mussten. Nun, da sie beide absolute Dickköpfe waren und diese kleinen Zankereien ja auch ein ziemlich schräger Ausdruck ihrer Liebe waren, gewöhnte man sich irgendwann daran und man musste die beiden einfach so nehmen wie sie waren. Dennoch ging es dem älteren Lawliet-Zwilling ein wenig auf die Nerven und so langsam konnte er seinen Bruder verstehen, wieso er sich manchmal so über Beyond aufregte. „Nun sei mal keine Diva. Und überhaupt: seit der Waschmaschine, dem Flugzeug und der Küche müsstest du doch endlich mal kapiert haben, dass protestieren eh sinnlos ist.“ „Verdammt noch mal nein! Wofür hältst du mich denn bitteschön?“ Nun reichte es Jeremiel endgültig. Nicht nur, dass er wegen dem Wetter eh wieder Kopfschmerzen hatte, dieser Lärm machte es nur schlimmer und er konnte sich einfach nicht auf seine Himitsu Bako konzentrieren. Also stand er auf, ging ins Arbeitszimmer wo die beiden sich mal wieder am Zanken waren und ging dazwischen. „Ich hab ja keine Ahnung, worum es bei euren Streit schon wieder geht, aber so geht das nicht den ganzen Tag weiter.“

„Wenn du eh nicht durchblickst, worüber wir reden, dann halt dich doch da ra…“ Bevor Beyond weiterreden konnte, hatte Jeremiel ihn auch schon am Ohr gepackt und zog zur Strafe daran. Eine Maßnahme, die er sich von seinem Bruder abgeschaut hatte. Zwar war er noch zu Anfang, als er hergekommen war, sehr zurückhaltend und still gewesen, aber inzwischen wusste er sich auch ganz gut gegen Beyond durchzusetzen. „Mit Sicherheit geht es wieder um irgendwelche Sexfantasien bei dir. Ich mag ja nicht viel von Zweideutigkeiten und Anspielungen verstehen, aber ich bin nicht blöd und kann eins und eins zusammenzählen. Und wenn L das nicht will, dann akzeptier das auch!“ Damit hatte er seine Ansage gemacht und verließ das Zimmer wieder. „Und streitet euch bitte etwas leiser. Meine Kopfschmerzen werden da nur noch schlimmer.“ Nachdem die Tür zugefallen war, starrten Beyond und L verdutzt drein und waren sprachlos. Dann aber war der BB-Mörder der Erste, der wieder Worte fand. „L, dein Bruder kann echt gruselig sein. Echt, vor ein paar Tagen war der noch wie ein kleines Kind und jetzt… Ernsthaft, was ist mit ihm denn passiert?“

„Er lernt eben sehr schnell dazu und macht eben große Fortschritte.“

„Zu große, wenn du mich fragst. Manchmal jagt er mir fast schon Angst ein. Nachdem ich ihn im Keller so dermaßen eingeschüchtert hatte, dachte ich echt, der würde jedes Mal die Flucht ergreifen, wenn er mich sieht. Stattdessen weist er mich noch zurecht.“ Tatsächlich war es gerade erst zwei Wochen her, seit Jeremiel vor ihrer Tür gestanden hatte. Und in der kurzen Zeit, nachdem er sonst immer so still und zurückhaltend war und nie Emotionen zeigte, hatte er sich wirklich verändert. Nun gut, es fiel ihm immer noch schwer, Ironie, Sarkasmus und Redewendungen zu verstehen und manchmal interpretierte er auch einiges falsch oder reagierte nicht immer richtig auf bestimmte Situationen. Aber das nahm ihm auch niemand übel, da sie ja alle wussten, wieso er dieses Problem hatte. Und er lernte ja auch schnell dazu und erwies sich als sehr hilfsbereit. Er besaß ähnlich wie L eine ruhige Ausstrahlung und verlor eigentlich nie die Fassung. Allerhöchstens wurde er ungehalten, wenn Beyond es mal wieder zu sehr auf die Spitze trieb. Das Einzige Mal, wo er richtig emotional wurde, war vor knapp vier Tagen, als sie nach England geflogen waren, damit Jeremiel das Grab seiner Eltern besuchen konnte. Und da hatte er wirklich Tränen vergossen. Er hatte ziemlich unter der Tatsache gelitten, dass er seine Eltern nie hatte kennen lernen dürfen und dass diese nie etwas von seiner Existenz gewusst hatten. Zum Glück waren Watari, Beyond und L bei ihm um ihn zu trösten. Doch der Besuch war offenbar für ihn ein weiterer Schritt gewesen, seine Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Hester, die ihn auch psychologisch betreute, hatte eine einfache Erklärung dafür, dass er sich in so kurzer Zeit verändert hatte. „Da er wie ein Kind ist, nimmt er sehr viel sehr schnell auf. Im Grunde ist er wie ein weißes Blatt, das komplett neu beschriftet wird. Und eben weil es leer ist, lässt es sich so einfach beschriften. Alles was Jeremiel braucht, ist ein guter Umgang und jemand, der ihn richtig führt. Aber mit dir, L, sollte das eigentlich kein Problem sein. Eher mach ich mir Sorgen was Beyond betrifft…“ So wie Hester es beschrieben hatte war Jeremiel wie ein Kind, das in einer unglaublichen Geschwindigkeit erwachsen wurde und sich langsam aber sicher zu einem richtigen „Menschen“ in dem Sinne heranentwickelte. Vorher noch so nichts sagend und ein Rätsel für jedermann und nun wusste man wenigstens, wie man ihn einzuschätzen hatte. Nachdem der Streit fürs Erste beendet worden war, konnte sich L wieder seiner Arbeit widmen. Und aus reiner Langeweile gesellte sich Beyond dazu um ihn zu unterstützen, während Jeremiel Watari ein wenig zur Hand ging. „Also erzähl schon, L. Was hast du denn für einen Fall?“ „Mehrere Menschen wurden mit einer Klinge regelrecht massakriert. Sie alle haben hohe Posten bekleidet und die Polizei vermutet, dass vielleicht ein System dahintersteckt und wahrscheinlich entweder das organisierte Verbrechen damit zu tun hat, oder aber dass es um einen Machtkampf geht.“

„Hat man denn wenigstens Zeugen?“

„Ja, aber leider hat niemand den Täter identifizieren können. Er wird als knapp 1,78m groß beschrieben, trägt stets einen schwarzen Motorradhelm und schwarze Lederkleidung. Momentan versuche ich noch herauszufinden, wie die Opfer in Verbindung stehen.“ So waren Beyond und L erst mal beschäftigt und nur Jeremiel hatte ganz andere Dinge, an die er da denken musste. Zwar hatte er zwischendurch heimlich mit Liam telefoniert, aber dennoch wollte er ihn so gerne wieder sehen und bei ihm sein. Nur hatte er sich bis jetzt noch kein gutes Alibi einfallen lassen können, mit dem L kein Verdacht schöpfen würde. Und auch Liam hatte in der letzten Zeit Stress und wenig Zeit. Aber dann hatte er sich doch einen Tag freihalten können und nun zerbrach sich Jeremiel den Kopf, wie er unauffällig von hier verduften konnte, ohne dass L neugierig wurde. Denn obwohl er ein Mitglied der Familie war, so hatte L dennoch ein Auge auf ihn, das wusste er genau. Und sobald ihm irgendetwas seltsam vorkam, würde er genau nachhaken. Immerhin hatte er ja auch schon Beyond hinterher spioniert. Fragte sich nur, wie er das am besten regeln konnte. Den ganzen Aufwand müsste er ja nicht machen, wenn Liam ihn nicht gebeten hätte, Stillschweigen zu bewahren. Immerhin war sein Lover ein Mafiaboss und ein gefährlicher noch dazu! Von allen „Oberhäuptern“ der Mafiaclans stand er momentan auf Platz 2 und würde schon bald auf Platz 1 hochsteigen. Und da er nicht wollte, dass L noch Probleme machte, hatte er es lieber, wenn dieser nichts erfuhr. Das ersparte allen Beteiligten nur unnötig Ärger und Jeremiel wollte auch nicht, dass sein Bruder auch noch Schwierigkeiten mit Liam bekam. Zwar hatte dieser seine guten Seiten, aber in erster Linie war er auch ein gefährlicher Mann und das durfte man nie vergessen. Schließlich aber wurden seine Gedanken jäh unterbrochen, als es mal wieder an der Tür klingelte und Rumiko hereinkam. Sie grüßte alle gut gelaunt und hatte wie immer die Zwillinge bei sich, die selber putzmunter waren und das blühende Leben zu sein schienen. Sogleich kam Jeremiel ihr entgegen und wurde von ihr herzlich umarmt. „Hey Jeremiel, alles klar soweit?“ „Nur ein paar leichte Kopfschmerzen wegen dem Wetter. L und Beyond arbeiten gerade an einem Fall und ich weiß nicht, ob wir sie da unbedingt stören sollten.“

„Nicht schlimm, ich wollte ja auch eigentlich nach dir sehen.“

„Nach mir?“ fragte er überrascht als er das hörte und war verwundert. Wieso wollte Rumiko denn ausgerechnet nach ihm sehen? Die Musiklehrerin nickte und ging zusammen mit ihm in die Küche und machte sich einen Tee. „Klar doch. Immerhin gehörst du ja auch zur Familie dazu und da ihr direkt nebenan wohnt, komm ich ja sowieso immer vorbei, wenn ich mit dem Haushalt fertig bin und die beiden Kleinen gerade nicht am Schreien sind. Und? Wie kommst du so zurecht mit den beiden?“ Jeremiel setzte sich nun ebenfalls an den Tisch, konnte sich aber kaum konzentrieren, weil er immer noch an Liam und die Verabredung mit ihm denken musste. „Nun ja, Beyond ist manchmal etwas anstrengend, aber ich weiß mich schon durchzusetzen. Und mit L hab ich ja keine Probleme.“

„Aber dennoch beschäftigt dich doch etwas, oder? Ich sehe dir doch an, dass du dir wegen irgendetwas Gedanken machst. Also sag an: was kann Mama Ruby für dich tun?“ Doch Jeremiel zögerte noch, denn er war sich noch nicht ganz sicher, ob er Rumiko wirklich um Hilfe bitten sollte. Schließlich aber verwarf er diesen Gedanken wieder und sagte „Würdest du mir vielleicht einen Gefallen tun, Rumiko? Ich würde mich morgen gerne mit jemandem treffen und ich will nicht, dass L und die anderen etwas davon erfahren.“

„Oho“, rief die zweifache Mutter und grinste. „Hast du etwa ein Date?“ Jeremiel wich ihrem Blick aus, wurde aber dennoch rot im Gesicht und sein Herz begann schneller zu schlagen. Rumiko freute sich natürlich wahnsinnig für ihn und fiel ihm freudestrahlend in die Arme. „Ach wie schön! Da freue ich mich ja für dich. Aber sag, wieso willst du das geheim halten?“

„Die Person, mit der ich mich verabreden will meint, es könnte vielleicht Schwierigkeiten geben, wenn L davon erfährt und das will ich lieber vermeiden. Ich darf auch nicht sagen, wer es ist.“ Zuerst befürchtete er ja, dass Rumiko dennoch nachhaken oder misstrauisch werden würde, aber sie nickte verständnisvoll und sagte „Nun gut. Wenn das so ist und du deine Gründe hast, dann versteh ich das schon. Aber ich mach es nur wenn du mir versprichst, dass du dich nicht mit jemandem triffst, der vor allem für dich gefährlich werden könnte. Da reagiere ich nämlich empfindlich drauf, weil ich es nämlich überhaupt nicht gerne sehe, wenn jemand meiner Familie etwas antun will. Denn da werde ich zum Teufel, das verspreche ich dir.“ Das glaubte er ihr aufs Wort nachdem er schon von L erfahren hatte, was Rumiko mit dem letzten Kerl gemacht hatte, der es gewagt hatte, L anzugrabschen und ihn zu belästigen. Und auch Beyond hatte ihm schon mal gesagt, dass Rumiko zwar sehr herzlich und liebevoll war, aber sie konnte auch extrem gefährlich werden wenn sie wollte. Für sie gab es drei goldene Regeln, die man besser nicht brechen durfte. 1. Ihrem Mann Jamie durfte kein Härchen gekrümmt werden und wer sich über seine Behinderung lustig machte, der konnte sein blaues Wunder erleben. 2. Wer es wagte Kindern wehzutun, der konnte schon mal sein Testament machen und 3. sollte man es niemals wagen, sich an jenen zu vergreifen, die mit ihr befreundet waren bzw. unter ihrem Schutz standen. In dem Sinne war sie eigentlich fast genauso wie Liam. Denn der konnte auch mordsgefährlich werden, wenn jemand es wagte, seiner Familie Schaden zuzufügen. Und insbesondere wenn es um seinen geliebten Jeremiel ging, da kannte er keine Gnade. Dann machte er ausnahmslos kurzen Prozess. Rumiko war eben eine Beschützernatur und eine wahre Kämpferin. „Keine Sorge, die Person hat eigentlich ein gutes Herz und würde wirklich alles tun, um mich zu beschützen.“

„Klingt doch wunderbar.“

„Ja. Zwar hat sie nicht immer sonderlich viel Feingefühl und benimmt sich manchmal etwas ruppig, aber dennoch lieben wir uns sehr.“ Rumiko lehnte sich zurück und war sicher wieder in ihre eigene Welt entrückt. Beyond hatte schon mehrmals gewarnt gehabt, dass seine Adoptivschwester ein Herz aus Gold habe, aber sie sei auch ganz schön durchgeknallt, was schwule Beziehungen betraf. Und irgendwie stimmte das auch. Erst letztens hatte er mitbekommen, dass Rumiko die Beziehung sowohl von L und Beyond als auch die von Oliver und Andrew als Vorlage für eine eigene Mangaserie genommen habe. Und L war nicht sonderlich begeistert darüber, so wie er mitgekriegt hatte. Nun ja, alle in der Familie hatten so ihre Macken. Beyond war ein verurteilter Serienmörder und ein kleiner Sadist obendrein. L war manchmal etwas kindisch und auch nicht gerade die einfachste Sorte Mensch und Rumiko war süchtig nach Yaois. Ihr Mann Jamie war eine Realversion von Forrest Gump und lernbehindert, außerdem neigte er zum Stottern, wenn er aufgeregt war. Oliver war der Chaot und machte nur das, was ihm gerade Spaß machte und Andrew war zwar ein absolutes Genie und übertraf sogar L, aber er hatte oft mit seiner eigenen Unsicherheit zu kämpfen. Tja und ich war vor meinem Gedächtnisverlust ein emotionsloser Serienmörder, der unter einem anderen Namen gelebt hat und ich bin das fehlgeschlagene Produkt eines Experiments. Und mein Liebhaber ist Evas Bruder, der zugleich noch Mafiaboss ist. Irgendwie scheinen L und ich uns wohl die gefährlichen Typen auszusuchen. „Du sag mal Rumiko, warum interessierst du dich eigentlich so sehr für schwule Beziehungen?“ Die Musiklehrerin lächelte verlegen, als sie diese Frage hörte und erklärte „Na weil die meisten schwulen Männer besser die Bedürfnisse einer Frau verstehen als heterosexuelle Männer. Weißt du, ich habe nie wirklich Glück mit den Männern gehabt.“

„Kann ich mir bei deinem Aussehen nicht vorstellen.“

„Das ist ja das Problem. Ich sehe gut aus und dank dem Erbe meiner leiblichen Familie bin ich sogar Milliardärin. Aber das alles will ich nicht. Die Männer haben bei mir immer nur aufs Äußere geschaut oder sie wollten mich ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Das heißt, sie wollten sich finanziell von mir aushalten lassen, ohne selbst einen Finger krumm machen zu müssen. Egal an wen ich auch geraten bin, sie waren alle gleich. Nur Jamie hat das nicht gekümmert. Er hat mich schon immer so geliebt wie ich war, selbst als ich nur eine adoptierte Ausländerin war. Jedenfalls hab ich die Männerwelt komplett abgeschrieben und habe mich schließlich in Oxford mit einem Studenten angefreundet, der sich mein Leid angehört hat. Er war so nett und verständnisvoll, bis ich dann erfahren habe, dass er schwul ist. Und fast alle schwulen Männer, die ich getroffen habe, nahmen mich als die Person an, die ich wirklich bin. Sie interessierten sich nicht für mein Aussehen oder für mein Geld und wollten auch nicht mit mir schlafen. Sie wollten meine Freundschaft ohne böse Hintergedanken und so kam es, dass ich sie regelrecht ins Herz geschlossen habe. Und als ich nach meinem Oxfordstudium nach Boston zurückkehrte, da machte ich es mir zur Aufgabe, auch zur Fürsprecherin zu werden. Sich zu bekennen, schwul zu sein, erfordert sehr viel Mut und Selbstbewusstsein. Viele lehnen so etwas ab und haben nicht viel Verständnis dafür. Aber man sucht es sich nicht aus und ich finde es mutig, wenn Männer offen dazu stehen. Das zeigt auch von wahrer Größe. Und ich will auch zeigen, dass sogar Frauen sich dafür stark machen können. Erst letztens hatte ich mich mit einer konservativen Gruppe in die Haare gekriegt, die das Lovely Evening als einen Sündenpfuhl bezeichneten und es schließen wollten, weil es unmoralisch und gottlos ist. Und angeblich würde es die Jugend verderben und den Geist der Männer mit dieser kranken Veranlagung vergiften.“

„Und was hast du gesagt?“ Hier musste Rumiko grinsen, denn sie musste sich an die entsetzten Reaktionen erinnern. „Nun ich sagte ihnen ganz einfach: wenn der Mensch nach Gottes Ebenbild erschaffen wurde, dann muss Gott doch auch schwul, lesbisch oder bisexuell sein, wenn das wirklich stimmen sollte. Und wenn es nicht stimmt, dann hat uns eben der Teufel allesamt erschaffen und demnach bräuchten wir Gott nicht mit unseren Gebeten auf die Nerven zu gehen. Stattdessen wäre es vielleicht ratsamer, sich eine Etage nach unten zu begeben und den da unten anzubeten. Vielleicht haben wir Glück und wenigstens der erhört uns.“ Jeremiel hob die Augenbrauen und empfand so etwas wie sehr tiefen Respekt vor Rumiko, dass sie der Protestgruppe so etwas direkt ins Gesicht gesagt hatte. Nun, er glaubte zwar nicht an so etwas wie ein göttliches Wesen, aber ihre Argumente waren schon sehr schlüssig und bauten ja auf dem Glaubenssatz der Christen. „Die Kirche ist sowieso total bescheuert mit ihren veralterten Weltanschauungen und Traditionen. Das ist alles schon längst nicht mehr zeitgemäß und lange wird sich das auch nicht mehr halten. Mag vielleicht sein, dass es so etwas wie einen Gott gibt, aber ich denke mir einfach: Gottes größter Fehler war nicht die Schöpfung des Teufels, sondern die Kirche und der Vatikan.“

„Und was haben die zu deiner Rede gesagt?“

„Sie haben mich als Gotteslästerin bezeichnet und dass ich doch mitsamt dem schwulen Sünderpack in der Hölle schmoren soll. Ich hab denen daraufhin einfach gesagt: wenn solch verklemmte, verbohrte und rassistische Spießer wie ihr in den Himmel kommt, geh ich doch freiwillig in die Hölle. Dort weiß man wenigstens besser Partys zu feiern.“ Sie ist schon echt mutig und selbstbewusst, dass sie so etwas sagt. Aber sie hat ja schon früh lernen müssen zu kämpfen. Immerhin hat sie sich um Beyond kümmern müssen und ihr Adoptivvater war ein cholerischer Säufer, der sie und Beyond regelmäßig verprügelt hat. Da ist es kein Wunder, dass sie von der Männerwelt immer mehr desillusioniert wurde und kein Vertrauen mehr zu Männern fassen konnte. Und da Jamie nun mal ein sehr gutgläubiger und ehrlicher Mensch war, da war es eigentlich nur logisch, dass sie beide zusammen waren. „Du bist eine wirklich beeindruckende Frau.“ „Dankeschön. Und weißt du, ich bin auch froh, dass ich so aufgeschlossen bin für solche Beziehungen. So kann ich Beyond und den anderen helfen und mich auch von ganzem Herzen für sie freuen.“

„Und nur mal aus reiner Neugier: wenn ich dir jetzt sagen würde, dass ich nicht schwul wäre, würde das an unserem Verhältnis etwas ändern?“ Zuerst war die Halbjapanerin bei dieser merkwürdigen Frage sichtlich irritiert, aber dann verstand sie, worauf Jeremiel hinaus wollte und was er mit dieser Frage beabsichtigte. Sie schüttelte den Kopf und erklärte „Nein, so darfst du das auch nicht sehen. Ich habe Vorurteile gegen heterosexuelle Männer, weil die meisten immer nur auf mein Aussehen oder mein Geld scharf waren. Aber wenn ich jetzt einem heterosexuellen Mann begegne, der mich als gute Freundin sieht und auch keine Hintergedanken hat, dann habe ich kein Problem damit und dann werde ich ihn auch nicht zurückweisen. Also brauchst du dir da keine Sorgen zu machen. Oliver ist doch auch bisexuell und hatte schon diverse Frauengeschichten gehabt, bevor er mit Andrew zusammengekommen ist. Nun gut, am Anfang hab ich ihn nicht so ganz leiden können, weil er sich einen Spaß daraus gemacht hat, mich anzubaggern. Aber inzwischen hab ich ihn doch sehr ins Herz geschlossen. Naja jedenfalls werde ich dir gerne bei deinem Date helfen, wenn du ein Alibi brauchst. Da Jamie ja ohnehin den ganzen Tag über arbeiten ist, werde ich einfach behaupten, du wärst mit ihm oder mit mir unterwegs.“ Damit hatte Jeremiel nun eine Verbündete und so stand seinem Treffen mit Liam eigentlich nichts mehr im Wege.

Ein weiteres Projekt?

Jeremiel hatte sich besonders beeilt, so schnell wie möglich zum vereinbarten Treffpunkt zu kommen und Liam wiederzusehen. Er war heilfroh, dass Rumiko ihn deckte, so brauchte er sich nicht all zu viele Sorgen zu machen, dass er vielleicht auffliegen könnte. Da Liam es vorgezogen hatte, sich erst mal unauffällig mit ihm zu treffen, hatten sie sich ein Cafe relativ am Stadtrand ausgesucht und gleich schon als er dort war, sah er Liam auch bereits. Wie immer hatte er einen sehr ernsten und auch etwas düsteren Blick. Und der wirkte auf manche Menschen so als wolle er sagen „Sprich mich an und ich breche dir die Knochen.“ Aber in Wahrheit war er selber aufgeregt wegen dem Treffen. Und als er Jeremiel sah, da hellte sich dieser unfreundliche Blick deutlich auf und er ging zu ihm hin. Sie schlossen sich in die Arme und der 25-jährige spürte erst jetzt, wie unendlich froh er war, Liam wiederzusehen und ihn zu umarmen. „Du siehst ja aus wie das blühende Leben“, bemerkte der Unvergängliche und setzte sich wieder. „Die Zeit bei deinem Bruder scheint dir offenbar ganz gut zu tun.“ „Ja, ich lerne ziemlich viel und komme inzwischen viel besser zurecht was das Zusammenleben mit anderen Menschen betrifft. Und so langsam bekomme ich es auch immer besser hin, meine Gefühle zu verstehen und sie auch zu zeigen.“ Sogleich kam die Kellnerin herbei um die Bestellung aufzunehmen. Als sie aber Liam sah, der an sich ja schon eine sehr dominante und gefährliche Ausstrahlung hatte und sie dann auch noch mit diesem düsteren Blick ansah, rutschte ihr sofort das Herz in die Hose. Die Ärmste bekam fast einen Heidenschreck bei seinem Anblick und sogleich machte sie einen Schritt zurück und geriet fast ins Stottern. Doch da übernahm auch schon Jeremiel das Reden als er merkte, wie bedrohlich Liam auf die junge Kellnerin erscheinen musste. „Vielleicht solltest du mal nicht ganz so finster dreinblicken, dann verschreckst du die Leute auch nicht gleich sofort.“ Doch Liam sagte nichts dazu und ging auch nicht weiter darauf ein. Stattdessen fragte er nach kurzem Schweigen, was Jeremiel so in der letzten Zeit alles erlebt habe. Und sogleich erzählte dieser von dem Vorfall mit Beyond, als dieser ihm die Pistole in die Hand gedrückt hatte und wie sich alles wieder geklärt hatte. Auch erzählte er von der Gartenparty, als L heimlich abgefüllt worden war, woraufhin Liam nun doch schmunzeln musste. „Und sonst scheinst du gut mit den anderen klarzukommen, oder?“

„Ja, sie sind alle sehr nett und haben mich als Teil der Familie akzeptiert. Und Rumiko war so nett, mir ein Alibi zu geben. Sie behauptet einfach, sie würde mit mir und den Zwillingen einen Ausflug machen. Sie hat auch nicht weiter nachgefragt und man kann sich auch auf sie verlassen. Und wie läuft es bei euch?“

„Ach, das Übliche wie sonst auch immer. Du kennst ja Johnny und Delta. Die können nicht miteinander und auch nicht ohne einander. Aber da ist etwas, das mir ein wenig Kopfschmerzen bereitet und du hast es sicherlich auch schon mitgekriegt: der Killer mit dem Motorradhelm, der mehrere Professoren und auch zwei Politiker getötet hat. Einer der Politiker war ein guter Partner gewesen und jetzt da die Polizei herumzuschnüffeln beginnt, müssen wir uns vorsehen.“ Der Killer… ja, nach dem suchte L ja auch zurzeit. Ob er Liam davon erzählen sollte? Und sollte er ihn auch gleich fragen, ob er mehr darüber wusste? Nun, er wollte es einfach wagen. „L untersucht den Fall auch zurzeit und so wie es scheint, glaubt er, dass das organisierte Verbrechen damit zu tun hat. Würde dir jemand einfallen?“ Liam verschränkte die Arme und dachte nach. Dann schüttelte er nach einer Weile entschieden den Kopf. „Nein, das würde keinen Sinn machen. Die Mafia wagt sich meist nicht an die hohen Tiere, weil das nur die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zieht. Und wenn Politiker mit der Mafia zu tun haben, dann meist nur deshalb, weil sie von ihnen bestochen werden und es wäre höchst unvorteilhaft, eine so wichtige Schachfigur zu verlieren. Also ich habe mit dem Tod dieses einen Politikers eine sehr wichtige Spielfigur verloren und muss mir jetzt irgendwo einen geeigneten Ersatz herholen. Denn wenn man im organisierten Verbrechen tätig ist, braucht man vor allem Leute, die für den Staat arbeiten und sich bestechen lassen. Und das wären Polizisten, Staatsanwälte, Politiker und noch einige mehr. Nur so kann es auf lange Sicht funktionieren. Es muss immer jemand bestochen werden, der die Klappe hält und die Spuren verwischt. Ich gehe eher davon aus, dass da jemand auf einem persönlichen Rachefeldzug ist und ehrlich gesagt beginne ich schon zu überlegen, ob ich Johnny nicht beauftragen sollte, sich näher umzuhören. Denn ich mag es überhaupt nicht, wenn man in meinem Revier wildert und meint, man könnte Leute umbringen, deren Tod höchst unvorteilhaft fürs Geschäft ist. Vor allem ist die Situation eh schon in der Unterwelt angespannt, weil ich dem Menschenhandel den Kampf angesagt habe. Nachdem sie dich entführt haben, reicht es mir endgültig und auch meine Geduld ist begrenzt.“

„Hast du mit ihnen das Gleiche vor wie mit Norman Hayes und Gerald Fincher?“

„Du hast davon erfahren?“

„Beyond hat es mir gesagt. Dieser Norman hat offenbar schon vor Monaten versucht, sich an L zu vergreifen, bis Beyond und Rumiko ihn aus der Stadt gejagt haben.“

„Ach ja Rumiko Karasuma. Nein warte, sie hat ja jetzt geheiratet und heißt nun Miller. Stimmt, das ist ja diese reiche Erbin, die sich für die Schwulenszene stark macht. Ja sie ist recht bekannt hier in Boston. Delta ist ein absolut großer Fan von ihr und ist des Öfteren auch schon mal in der Bar gewesen. Aber was deine Frage betrifft: nun, ich habe die beiden erst mal als abschreckendes Beispiel benutzen wollen, aber wenn die Clans glauben, sie könnten meine Geduld unnötig strapazieren, dann werde ich dementsprechend zeigen, was es heißt, sich mit mir anzulegen.“ Er sah direkt schon an Jeremiels Blick, dass dieser nicht ganz begeistert war. Liam lächelte kühl und erklärte „Ich weiß, dass du nicht begeistert bist, wenn ich Menschen in die Mangel nehme und es dabei auch zu Todesfällen kommt. Aber ich verfolge bestimmte Ziele und da muss man auch ein Stück weit grausam sein, um sie zu erreichen. Und manchmal erfordert es auch Menschenleben, das lässt sich leider nicht vermeiden. Man kann allerhöchstens unnötige Todesfälle vermeiden.“

„Und welche Ziele wären das?“

„Ich will die Macht über Bostons Unterwelt haben und das organisierte Verbrechen unter meine Kontrolle bringen. Wenn mir das gelingt, dann werde ich nicht nur die Clans kontrollieren und diesen verdammten Menschenhandel stoppen, ich werde vor allem alles besser lenken können. Dies geschieht nicht nur, weil ich die Kontrolle über Boston haben will, sondern weil ich auch erreichen will, dass nirgendwo etwas geschieht, wovon ich nichts weiß.“ Zwar war Jeremiel dennoch nicht so ganz begeistert von Liams Plänen und Ansichten, aber er verstand schon, wieso er das tat. Wenn Liam die Kontrolle über die verschiedenen Mafiafamilien hatte, dann konnte er auch verhindern, dass jenen etwas durch andere Clans zustoßen könnte, die er beschützen will. Aber eine Sache bereitete ihm dennoch arges Kopfzerbrechen. „Aber wenn du die neue Nummer 1 bist und dein Ziel erreicht hast, dann könnten schlimmstenfalls L und die anderen in Gefahr geraten wenn sie wissen, dass sie meine Familie sind. Sie wären ein ideales Angriffsziel, genauso wie ich.“

„Da mach dir keine Sorgen. Wenn dir deine Familie so wichtig ist, dann werde ich nicht zulassen, dass ihnen etwas zustößt. Aber noch ist es zu früh, um solche Pläne zu verfolgen. Als erstes muss dieser Killer geschnappt werden, der selbst in der Unterwelt für Unruhe sorgt.“ Da diese Themen ein wenig die Stimmung senkten, kamen sie auf erfreulichere Dinge zu sprechen und schließlich verließen sie das Cafe. Liam führte ihn direkt zur Limousine und als Jeremiel fragte „Und wo willst du mit mir hin?“ da lächelte der Mafiaboss nur und sagte „Lass dich überraschen.“
 

Beyond und L hatten ihre Arbeit für heute beendet und kaum, dass Jeremiel und Rumiko sich gemeinsam verabschiedet hatten, da hatte der Serienmörder die Gelegenheit genutzt und L ins Schlafzimmer geschleift. „So mein Lieber, jetzt ist Schluss mit den Ausreden. Dein Bruder ist jetzt weg und deshalb steht uns zwei Hübschen nichts mehr im Weg.“ Doch L hatte überhaupt keine Lust und überlegte sich krampfhaft, wie er sich am besten wieder rauswinden konnte. Doch welche Ausrede konnte er denn nehmen? Kopfschmerzen? Oh Mann, das war doch die dümmste Standardausrede von allen. Ich hab meine Tage? Ja sicher doch, die Ausrede wird er mir ganz sicher abkaufen! Haha… Oh Mann, mir muss echt was Besseres einfallen. Ich bin nicht in Stimmung? Nun, dann wird der Blödmann mir schon wieder irgendetwas verabreichen wollen oder dann wird er eines seiner verdammten Spielzeuge nehmen und darauf kann ich verzichten. Magenschmerzen? Das kauft er mir genauso wenig wie die Kopfschmerzen ab. Rückschmerzen? Großer Gott nein, dann wird er mir wieder einen halben Hexenschuss verpassen wie beim letzten Mal, als er mir eine Massage geben wollte. Zu viel zu tun? Ja, das könnte ich eventuell nehmen, aber ob ich so wirklich damit durchkomme? Tja, das bezweifle ich auch. Beyond lässt sich von gar nichts abschrecken. L grübelte immer noch und Beyond entging das durchaus nicht, deswegen ließ er die Annäherungsversuche und setzte sich einfach neben ihn. „Nun sag schon, L. Was ist denn los?“ Der Detektiv seufzte und erklärte „Ich mag einfach gerade nicht.“

„Bist du sauer auf mich?“

„Nein. Diese Sticheleien deinerseits bin ich doch schon längst gewohnt.“ Zuerst fürchtete er ja noch, Beyond könnte vielleicht sauer oder beleidigt sein, aber zu seinem Erstaunen akzeptierte er das einfach und ließ auch seine Annäherungsversuche sein. „Was denn, du gibst auf?“ „Hey, ich will dich nicht mit aller Gewalt zwingen. So fies bin ich ja nun auch wieder nicht.“ Damit kniff Beyond ihn scherzhaft in die Wange und so entschieden sie sich, einfach ein wenig da zu liegen und es auch einfach mal ruhig anzugehen. „Tja, wahrscheinlich ist es auch der ganze Stress, dass du momentan keine Lust hast. Immerhin war ja auch viel los. Du hast jetzt einen Bruder und dann waren ja vorher auch noch diese ganzen anderen unangenehmen Dinge. Und dann werden Andrew und Oliver bald endlich heiraten. Darauf freuen sich die beiden ja auch schon die ganze Zeit. Dann ist da noch dieser Fall, an dem wir gerade arbeiten… da verstehe ich schon, wenn du einfach nicht den Kopf für so was im Moment hast. Es ist ja nicht so, dass ich nur auf das Eine aus bin. Ich finde es auch mal schön, wenn wir beide auch Momente wie diese teilen, wo wir nicht mit irgendwelchen Fällen zugange sind oder uns wegen diverser Kleinigkeiten in den Haaren liegen.“ L hielt Beyonds Hand und war wirklich froh für dessen Verständnis. Zwar waren sie sich ziemlich oft am Streiten, aber er konnte sich dennoch auf ihn verlassen. Und das war ja das Wichtigste an der Beziehung. „Sag mal Beyond, bist du eigentlich immer noch eifersüchtig auf meinen Bruder?“ „Wie bitte?“ rief der Serienmörder und setzte sich ruckartig wieder auf. „Wie kommst du denn darauf?“

„Ich kenn dich sehr gut und merke, dass du ganz schön unzufrieden bist, wenn ich Zeit mit Jeremiel verbringe. Mir machst du nichts vor, Beyond. Du bist eifersüchtig auf ihn.“ Der Serienmörder blickte ein klein wenig missmutig drein aber daran ließ sich erkennen, dass L den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Seine Vermutung lag ganz richtig. „Zugegeben, ich bin es nicht gewohnt, dich mit irgendjemandem zu teilen. Immerhin hattest du vorher niemanden, den alten Zausel mal ausgenommen aber der beansprucht dich ja auch nicht. Eher umgekehrt. Aber dein Bruder braucht dich, das ist mir ja auch klar. Er lernt ja vieles erst noch und da orientiert er sich ja auch insbesondere an dir. Oliver und Andrew sind ja auch nicht so oft da, Rumiko sollte er sich lieber nicht zum Vorbild nehmen und Jamie reicht nicht an unser Intelligenzlevel heran. Und da ich ja nicht gerade das bin, was man sich zum Vorbild nehmen sollte, da bleibst du automatisch übrig. Und er ist eben dein Zwillingsbruder. Für mich ist das alles noch recht ungewohnt, dass es da jetzt noch jemanden in deinem Leben gibt, der dir wichtig ist und um den du dich kümmerst. Aber ich versuch einfach zu denken, dass es dir doch auch nicht anders erging, als Rumiko und Jamie in unser Leben getreten sind. Ganz zu schweigen davon, als Andrew aufgetaucht ist und mich gebraucht hat. Ich stehe dir zur Seite, ganz außer Frage. Ich hab eingesehen, dass ich falsch gelegen habe und dass dein Bruder ganz in Ordnung ist. Zwar finde ich ihn etwas unheimlich, weil er sich in der kurzen Zeit so rapide verändert hat, aber ich finde ihn auch recht sympathisch. Er kommt wunderbar mit den anderen zurecht und macht auch keinen Ärger. Ich will dir und deinem Bruder nicht im Weg stehen, versteh mich da nicht falsch. Aber ich brauch eben noch eine Weile, bis ich mich an diese neue Situation gewöhnt habe.“ L schloss ihn daraufhin in den Arm und drückte ihn fest an sich. „Es gibt keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Am Anfang habe ich mich eben sehr intensiv um meinen Bruder gekümmert, weil er mit allem irgendwie überfordert war und sich nicht zurechtgefunden hat. Und ich hab mir auch ein Stück weit Sorgen gemacht, weil er außer mir sonst niemanden hatte. Aber da er inzwischen immer besser zurechtkommt, muss ich mir ja nicht mehr so viele Sorgen machen.“ Damit gab L ihm einen Kuss, den Beyond sofort erwiderte. So lagen sie sich eine Zeit lang in den Armen, bis es dann an der Tür klingelte und sie unterbrochen wurden. „Na super, da war Rumiko ja lange unterwegs…“

„Wahrscheinlich ist es Oliver. Er wollte sich um die PCs kümmern. Wir machen später weiter.“ Dennoch schmollte der BB-Mörder ein wenig. Tatsächlich war es Oliver, der Andrew zusätzlich als Verstärkung mitgebracht hatte. Sie hatten je eine Tasche dabei, wo alles drin war, was sie für die Arbeit brauchten. „Hey, haben wir euch bei eurem Schäferstündchen gestört?“ L warf dem Hacker einen strafenden Blick zu, als er diese Frage stellte und gab keine Antwort darauf. Sie gingen ins Arbeitszimmer, wo die beiden Verlobten damit begannen, die PCs aufzuschrauben und mit ihren Laptops zu verkabeln. „Wie läuft es eigentlich mit unserem Neuzugang?“ „Sehr gut. Er ist mit Rumiko und den Zwillingen unterwegs. Er macht sich ganz wunderbar und sagt auch Beyond mal ein paar Takte, wenn der seine verdammten Späße nicht lassen kann.“ Andrew und Oliver lachten, als sie das hörten. Insbesondere als sie sahen, wie Beyond selber ein wenig am Schmollen war und eher wie ein beleidigtes kleines Kind wirkte. „Und wie sieht es bei euch beiden aus? Wie laufen die Vorbereitungen?“

„Ganz gut, allerdings sind wir immer noch am Diskutieren, wo die Hochzeit denn stattfinden soll. Ich hätte es ja gerne traditionell, aber Oliver steht ja mehr auf etwas ungewöhnliche Orte zum heiraten. Er würde am liebsten am Meer heiraten.“

„Wie kitschig“, kommentierte Beyond, fing sich dann aber sogleich einen Ellebogenstoß in die Seite ein. Dann schließlich fragte er „Wieso heiratet ihr nicht in Vegas? Das passt doch besser zu euch.“ Die beiden tauschten kurze Blicke aus und jeder war für sich einig, dass das absolut ausgeschlossen war. „Nach dem peinlichen Vorfall in der Bar wollen wir so schnell nicht mehr dorthin.“ „Ach kommt schon. Was in Las Vegas passiert, bleibt auch in Las Vegas. Und ich glaube, die haben dort schon viel Schlimmeres erlebt als einen nackten betrunkenen Iren und einen ebenso betrunkenen Engländer im Marylin Monroe Kostüm auf K.O.-Tropfen.“ Doch trotzdem wollten die beiden so schnell nicht mehr dorthin. Schließlich begannen sie mit ihrer Arbeit, nachdem die Vorbereitungen abgeschlossen waren. Dabei hatte Andrew etwas zu erzählen, was besonders für L interessant war. „Du arbeitest doch sicher schon an diesem Fall, wo ein Killer in Motorradmontur mehrere Professoren und dann auch noch zwei Politiker umgebracht hat. Hast du schon eine heiße Spur?“

„Ich arbeite noch dran, aber wieso fragst du?“

„Weil ich etwas weiß, was du höchstwahrscheinlich noch nicht weißt. Und zwar geht es um den Politiker Jeffrey Edgar. Dieser Mann hatte mit James Brown gewisse Verbindungen gehabt. Die beiden haben sich nämlich oft zu Geschäftsgesprächen getroffen und ich hab ihn auch mal gesehen, als ich noch im Institut gelebt habe. Und zwei der Professoren, nämlich Prof. Michael Hoover und Prof. Harris Morgan haben auch dort gearbeitet.“ Diese Neuigkeit war L bis dato noch unbekannt gewesen. Zwar hatte er die Vergangenheit der Opfer bereits durchleuchtet, aber es stand nirgendwo geschrieben, dass einer von ihnen in diesem Institut gearbeitet hat oder irgendwelche Verbindungen zu Dr. Brown hatte. Und wenn das so stimmte, wieso waren sie umgebracht worden? Immerhin war Projekt Eva beendet, seitdem der Drahtzieher Dr. James Brown von Beyond getötet worden war und das gesamte Institut war zerstört. Außerdem hatte Sam Leens vor seinem Ableben alle Daten vernichtet, damit sie nicht in falsche Hände gelangen konnten. Warum also wurden jetzt all jene getötet, die damit zu tun hatten? Als er Andrew diese Fragen stellte, war sich dieser auch nicht sicher, hatte aber noch eine weitere Geschichte. „Als ich damals aus dem Koma aufgewacht bin und nicht laufen konnte, habe ich jemanden kennen gelernt, der ebenfalls in dem Institut lebte. Er bezeichnete James als seinen Vater, obwohl sie beide gleich alt waren und er hat mich in mancher Hinsicht ein wenig an Frederica erinnert. Wir waren zwei Jahre lang gute Freunde, aber er veränderte sich immer weiter und kam immer seltener und seltener zu Besuch. Als ich ihn gesucht habe, bin ich auf eine Art Gefängnis innerhalb des Instituts gestoßen. Dort habe ich zwei Männer vom Sicherheitspersonal belauscht, die irgendetwas von Proxys geredet haben und etwas von „Mutter“. Nun, ich hab beobachtet, wie sie jemanden in eine Zelle geworfen haben. Das war jener, mit dem ich mich angefreundet hatte. Irgendjemand hat ihn regelrecht aufgeschlitzt und er war schon tot gewesen. Aber er sagte mir damals, dass auch er Teil eines Projektes wäre.“ Projekt? Etwa noch eines so wie das Gedankenschaltkreisprojekt? „Warum hast du uns das nicht schon viel früher erzählt?“

„Ich wollte mich nicht mehr an diese Zeit erinnern und außerdem wusste ich damals nicht, wovon die beiden überhaupt geredet haben und ich weiß auch bis heute nicht, was diese Proxys eigentlich sind. Jedenfalls war Elion einer von ihnen und da er gestorben ist, wäre es wahrscheinlich nur noch einer und das wäre jemand namens Sheol. Und der soll wohl besonders gefährlich sein.“

„Sheol? Was ist denn das für ein bescheuerter Name?“ Und sofort war es Oliver, der für den Serienmörder die Antwort parat hatte. „Sheol bzw. Scheol ist die hebräische Bezeichnung des Totenreiches im Tanach. Es soll sich im Tiefen der Erde befinden und alle Verstorbenen, egal ob gerecht oder ungerecht, müssen dort die Ewigkeit in der Finsternis und Trostlosigkeit fristen. Zumindest war das im frühen jüdischen Glauben so. Auch im Christentum ist Sheol ein Begriff für das Totenreich. Man glaubt, dass dieser Ort aber nicht das endgültige Ziel der Seelen ist, sondern nur eine Art Vorstufe zur Endgültigkeit.“ Beyond starrte Oliver an, der seinerseits nebenbei einfach weiterarbeitete und seinen Vortrag problemlos heruntergerattert hatte. „Ernsthaft, man hätte dir den Buchstaben „W“ für „Wikipedia“ geben sollen. Bist du ein wandelndes Lexikon?“

„Nö, aber ich war mal für ein paar Jahre Jude und hab mich auch sehr intensiv mit Theologie beschäftigt. Da schnappt man eben viel auf.“

„Trotzdem ist das schon ein echt seltsamer Name. Aber wenn es wirklich stimmt und dieses Eva-Projekt war nicht das einzige, was dieser Dr. Brown da am Laufen hatte, dann ist es doch sehr wahrscheinlich, dass da noch was auf uns zukommt. Was, wenn es neben ihm noch jemand gibt, der da irgend so ein krankes Experiment am Laufen hat und nun irgendwelche Killer losschickt, um Zeugen zu beseitigen?“ Tja, das war die große Frage. Und auch die Frage war berechtigt, ob diese Proxys in Verbindung mit Eva standen und somit ihnen allen vielleicht tatsächlich Gefahr drohen könnte. Das Beste war, er ging der Sache nach. Auf jeden Fall waren Andrews Informationen sehr hilfreich und ein sehr guter Ansatzpunkt.

Aufgeflogen

Als Jeremiel am Abend wieder zurückkehrte, wirkte er ein klein wenig neben der Spur. Er war unkonzentriert und außerdem war seine Frisur zerzaust. Auf die Frage, wie denn der Ausflug mit Rumiko war, konnte er erst keine vernünftige Antwort geben, bis es ihm wieder einfiel und er sagte „Es war sehr schön. Wir waren im Zoo und haben viel Spaß gehabt.“ Damit ging er und L, Beyond, Oliver und Andrew sahen ihm nach. Der Hacker runzelte ein wenig die Stirn und war verwundert. „Also wenn ich es nicht besser wüsste würde ich glatt sagen, dass der Gute vorhin den besten Sex seines Lebens hatte.“ Sofort bekam er einen Seitenstoß von Andrew und L schüttelte entschieden den Kopf. „Mit wem denn bitteschön? Außer uns hat er sonst niemanden und er wird doch wohl kaum mit Rumiko was haben. Also langsam beginnst du genauso herumzuspinnen wie Beyond.“ „Ich meine ja nur!“ Sie gingen wieder zurück ins Arbeitszimmer, wo Andrew alles erzählte, was er von damals im Institut mitbekommen hatte und was diese Männer alles gesagt hatten. Nachdem Jeremiel seine Frisur wieder gerichtet hatte, kam auch er hinzu, um mitzuhören, was denn so erzählt wurde. Schließlich der Rothaarige auf ein ganz besonderes Detail zu sprechen, was insbesondere L hellhörig machte. „Jedenfalls sagte einer der Männer, dass Proxy-01 wohl umgänglicher sei als 02, allerdings sei er nicht mehr zu gebrauchen, seit Nastasja Kasakowa das gesamte Projekt sabotiert hat.“

„Unsere Mutter hat das Projekt sabotiert? Wieso sollte sie das getan haben?“ Unsicher zuckte Andrew mit den Achseln und erklärte „Das haben sie nicht gesagt. Ich weiß nur, dass sie von den Proxys sprachen, als wären es Killermaschinen und dass noch an einer Methode gefeilt werden würde, wie James sie besser unter Kontrolle bringen kann, weil Proxy-02 wohl so gefährlich sei, dass er schon Amok gelaufen sei und schon zehn Menschen getötet hatte. Womöglich wollte eure Mutter verhindern, dass diese Proxys zu einer Gefahr werden und hat irgendetwas gedreht, wodurch diese Proxys nicht mehr einsatzbereit waren. Elion sagte mir, er wäre es nicht, weil er zu menschlich sei. Und seit seine Mutter ihm ein Mittel gespritzt habe, könne er seine Fähigkeiten auch nicht mehr richtig einsetzen.“

„Mutter?“ fragte Oliver und blickte zu L und Jeremiel. „Habt ihr etwa noch einen Bruder?“

„Das glaube ich nicht. Woher denn auch bitteschön? Wir beide sind Zwillinge und wir wussten nur nichts voneinander, weil Jeremiel bereits vor seiner Geburt herausoperiert wurde. Aber unsere Mutter war nicht in der Lage, lebende Kinder zu gebären. Die einzige Möglichkeit wäre, dass man mit einer ihrer Fehlgeburten experimentiert hätte.“

„Aber wie passt das sonst zusammen? Nastasja hat das Proxy-Projekt sabotiert. Wahrscheinlich weil sie nicht zulassen wollte, dass diese Proxys zu einer Gefahr werden, weil sie Killermaschinen sind. Womöglich stand sie im Kontakt zu den Proxys und die haben sie als eine Art Mutter angesehen. Das wäre auch denkbar. Fragt sich nur, was diese Proxys eigentlich sind und wozu sie existieren. Und wieso werden nach und nach jene umgebracht, die im Institut gearbeitet haben? Das ist alles irgendwie merkwürdig.“ Darauf wusste Andrew leider auch keine Antwort, da er ja nicht viel mitbekommen hatte. Nachdem er Elions Leiche gefunden hatte, hatte er große Angst davor gehabt, dass James herausfinden könnte, dass er etwas wusste. „Das Dumme ist ja, dass weder Nastasja noch James leben. Elion ist damals auch umgebracht worden und so wüsste ich niemanden, von dem wir Informationen bekommen könnten.“ Doch Jeremiel hatte da schon eine Idee, nämlich Evas Bruder Liam. Vielleicht wusste der ja etwas bzw. hatte Möglichkeiten, sich irgendwie umzuhören. Nur dummerweise durfte er seine Identität nicht vor L preisgeben. Also was tun? Am besten verabredete er sich noch mal mit ihm und bat ihn um Unterstützung. Immerhin ging es auch um seine eigenen Interessen und da würde er sicher nicht nein sagen. Und dann konnte er ja L irgendwie darauf stoßen, wenn der die Antwort bis dahin nicht haben sollte. So konnte er ihm wenigstens ein bisschen helfen, den Killer zu schnappen. Da er aber nach den Strapazen des Tages (denn Oliver hatte mit seiner Vermutung genau ins Schwarze getroffen) völlig erledigt war, zog er sich erst mal ins Wohnzimmer zurück. Oliver und Andrew verabschiedeten sich schließlich, nachdem sie ihre Arbeit erledigt hatten und danach gingen auch Beyond und L ins Wohnzimmer. Sie sahen dort Jeremiel sitzen, wie er sich Cracker mit Dips auf den Tisch gestellt hatte, während er sich einen Krimi im TV ansah. Ohne großartig zu überlegen nahm sich auch Beyond einen der Cracker mit etwas Dip und aß ihn. Binnen kürzester Zeit standen ihm die Tränen in den Augen, als sich die Schärfe ausbreitete wie ein Feuer. „Heilige Scheiße“ rief er. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas so Scharfes gegessen wie jetzt und Jeremiel verputzte das einfach, als wäre es Popcorn. „Wie zum Teufel kannst du das nur runterkriegen?“ Doch der ältere Lawliet-Zwilling schien diese Reaktion nicht ganz nachvollziehen zu können und erklärte mit einem Achselzucken „Ich mag Süßes und Scharfes eben sehr.“ „Das ist nicht bloß scharf, das brennt einem ja die Zunge weg!“ Beyond gelang es mit altbewährten Mitteln, etwas gegen das Brennen zu unternehmen und beschloss für sich, nie wieder Jeremiels Essen anzurühren. Himmel, der Kerl musste ja einen Gaumen aus Stahl haben um das so locker einzustecken. „L, sag mir bloß, dass du auch darauf stehst.“ „Nein, ich mag Scharfes nicht so wirklich. Aber soweit ich mich erinnere, hatte Vater eine große Schwäche dafür. Mutter war eher diejenige, die Süßes als Nervennahrung gegessen hat.“ Nachdem Jeremiel seinen Krimi zu Ende gesehen hatte, stand er auf und packte seine Sachen zusammen mit den Worten „Ihr beide wollt sicher etwas Zeit für euch haben. Aber seid so nett und zankt euch nicht allzu laut. Ich arbeite da gerade an etwas, das ich gerne lösen will und dazu brauche ich Konzentration.“

„Ach echt?“ fragte L überrascht und war neugierig. „Woran arbeitest du?“

„Ich habe die Aufzeichnungen unserer Mutter alle durchgelesen, um mehr über sie und ihre Arbeit zu erfahren. Und dabei bin ich auf eine Formel gestoßen, die unvollständig ist. Es fehlen einige Komponenten.“ Ach die Formel. L hatte sie sich auch schon angesehen, konnte aber nichts damit anfangen, weil er nicht einmal wusste, wozu sie dient und worauf sie basiert. Deshalb hatte er sie auch nicht weiter beachtet und es als eine der verrückten Ideen seiner Mutter abgetan. Aber so hatte Jeremiel zumindest eine gute Beschäftigung und er liebte ja Rätsel. „Na dann viel Spaß.“ So waren sie wieder alleine und machten sich einen gemütlichen Abend, wo sie auch mal die Ruhe genießen konnten. Sie beide hatten für heute die Schnauze voll, sich wieder wegen etwas zu zanken oder sich über irgendwelchen Blödsinn aufzuregen. Schließlich aber kam Beyond auf ein besonders ungewöhnliches Thema zu sprechen. „Weißt du L, ich hab nachgedacht. Rumiko hat Jamie und die Kinder, Andy hat Oliver und du hast mich. Aber dein Bruder ist so ziemlich einsam. Meinst du nicht, wir sollten ihn mal verkuppeln?“ Sofort löste sich der Detektiv von ihm und sah ihn entgeistert an. „Hast du einen Zuckerschock gekriegt? Wieso willst du Jeremiel verkuppeln?“

„Na weil er auf die Weise am besten etwas über Beziehungen lernt. Wir könnten ihn doch mal mit ins Lovely Evening mitnehmen und mal dort nach einem geeigneten Partner für ihn su…“

„Spinnst du jetzt völlig? Nur weil ich mit dir zusammen bin heißt das doch nicht, dass mein Bruder vom anderen Ufer ist.“

„Okay, dann suchen wir eben nach einer netten und hübschen Frau für ihn. Vielleicht ist eine von Rumikos Kolleginnen single. Eine hübsche und gebildete Lehrerin hat sicher was, findest du nicht auch?“

„Schlag dir das mal aus dem Kopf. Ich verkuppel doch nicht meinen Bruder mit irgendjemand Wildfremden!“

„Irgendwie klingst du gerade mehr nach einer Glucken-Mutter. Hey! Wir könnten ihn doch mit Hester verkuppeln, was hältst du davon? Die ist doch auch Single und kennt ihn schon. Und sie ist deine Vertraute. Was hältst du davon?“ Zur Strafe haute L ihm eines der Sofakissen ins Gesicht und funkelte ihn böse an. „Vergiss es. Lass meinen Bruder mit dieser Schnapsidee bloß in Ruhe. Das Letzte was er braucht ist, irgendwelche Wildfremden, die mit ihm noch in die Kiste steigen wollen. Nachdem er von Evas Bruder vergewaltigt wurde, muss er das nicht noch mal durchmachen. Und das Erlebnis mit den Menschenhändlern war sicherlich auch schon traumatisch genug. Ich erinnere dich nur mal daran wie sehr du damals gelitten hast, als dir das passiert ist!“ „L, du kannst ihn doch nicht vor allem beschützen und er hat doch ein Recht darauf, auch jemanden zu lieben. Und so schlecht ist der Gedanke doch nicht. So lernt er mehr über zwischenmenschliche Beziehungen als von jedem anderen sonst.“

„Ja und er lernt wie es ist, verletzt zu werden.“

„Verletzt zu werden gehört doch auch dazu und wenn es nicht hinhauen sollte, dann sind wir doch für ihn da. Aber lass uns jetzt nicht deswegen schon wieder streiten. Es war nur so eine Idee gewesen. Und ich will ihn ja auch nicht an irgendeinen schmierigen Typen vermitteln. Vielleicht kennt Rumiko ja einen ganz Netten und dann wird sich doch schnell herausstellen, ob Jeremiel vom anderen Ufer ist oder nicht.“ Doch L lehnte das Ganze strikt ab. Er wollte seinem Bruder so etwas einfach nicht zumuten und damit schlimmstenfalls alte Wunden bei ihm aufreißen. Und außerdem passte ihm der Gedanke einfach nicht, dass da jemand seinem Bruder dermaßen nahe kam. Beyond betrachtete ihn eine Weile schweigend und kicherte amüsiert. „Ich glaub’s ja nicht. Du hast ja einen regelrechten Beschützerinstinkt bei deinem älteren Bruder. Wie niedlich.“ Wieder bekam Beyond das Kissen ins Gesicht geklatscht, doch das Grinsen wich nicht für eine Sekunde. Er hatte sichtlich Spaß und konnte einfach nicht aufhören, L dafür zu ärgern. Auch wenn er immer noch ein kleines bisschen eifersüchtig war, so fand er es doch ganz rührend, dass L sich so um seinen Bruder kümmerte. Obwohl sie beide sich erst seit wenigen Wochen kannten, hatten sie sehr schnell ein recht enges Verhältnis zueinander entwickelt und harmonierten auch gut miteinander. Jeremiel wollte L vor Diffamierungen schützen und sah es überhaupt nicht gerne, wenn man ihn zu sehr provozierte und L seinerseits wollte seinen älteren Zwillingsbruder vor Gefahren schützen. Unglaublich, dass sie so gut miteinander auskommen. Aber es sind eben eineiige Zwillinge, auch wenn sie sich rein äußerlich überhaupt nicht ähnlich sahen.
 

Gleich am nächsten Tag suchte Jeremiel Rumiko auf. Diese war gerade dabei, die kleine Eden zu beruhigen, die am Schreien war und sich einfach nicht beruhigen lassen wollte. Sie wirkte etwas gestresst, ließ ihn aber dennoch herein und fragte direkt „Was kann ich für dich tun?“ „Könntest du mir noch mal ein Alibi für heute geben?“ „Oh, das wird etwas schwierig. Beyond wollte heute irgendetwas mit mir besprechen. Aber… ich kann ihnen sagen, dass du bei Jamie bist. Er wird sowieso erst heute Abend zurück sein, da müsste es gehen.“

„Danke Rumiko, du bist mir wirklich eine große Hilfe. Darf ich… darf ich dich umarmen?“

„Klar doch!“ Und damit gab Jeremiel ihr eine Umarmung zum Dank für ihre Hilfe. Er war wirklich froh, dass sie so hilfsbereit war und ihm diesen Gefallen erwies. „Aber beim nächsten Mal bitte nicht ganz so spontan, dann kann ich wenigstens das Alibi besser planen. Ich werde einfach behaupten, du würdest ihn in der Behindertenwerkstatt besuchen gehen, um dort auch ein paar Erfahrungen zu sammeln.“ Das klang ganz gut, insbesondere weil L und Beyond eh selten vor die Tür gingen. Da Rumiko im Stress war, wollte er sie nicht noch weiter stören und verabschiedete sich von ihr. Gleich schon als er aus dem Haus war, rief er Liam an und gab ihm Bescheid, dass sein Alibi stand und er sich mit ihm treffen konnte.
 

Nachdem die zweifache Mutter ihre Tochter beruhigen konnte und auch alles weitere erledigt hatte, schnappte sie sich ihre beiden Kinder und ging gleich nach nebenan zu Beyond und L. Und gleich schon am Ton ließ sich schnell erkennen, dass die beiden sich wieder wegen irgendetwas am anzicken waren. „Also was habt ihr schon wieder verbockt? Soll ich euch gleich mit der Zeitung eins überbraten oder soll ich euer Taschengeld kürzen und euch euer Spielzeug wegnehmen?“ „Nein, dieses Mal ist es was anderes“, versicherte Beyond und sie setzten sich erst mal ins Wohnzimmer und Rumiko bekam eine Tasse Kaffee. Sogleich fragte L „Wo ist eigentlich mein Bruder? Ich dachte, er wäre zu dir gegangen.“ „Wir haben ein wenig geredet. Er besucht Jamie in der Werkstatt, weil er auch mal sehen wollte, wie es dort zugeht. Und die Erfahrung tut ihm ja auch ganz gut. Also erzählt schon: was ist es denn dieses Mal?“ Beyond begann von seiner Idee zu erzählen, Jeremiel zu verkuppeln und beinahe hätte sich Rumiko an ihrem Kaffee verschluckt. Erstaunt und perplex sah sie ihn an und wusste erst nicht, was sie dazu sagen sollte. Ach du Scheiße. Und ich kann denen nicht sagen, dass er bereits mit jemandem zusammen ist. Ganz cool bleiben, Rumiko. Du weißt, was du zu tun hast. Sie sah zu L und bemerkte sofort, dass der nicht gerade mit Freudensprüngen reagierte. „Du scheinst nicht gerade begeistert über Beyonds Pläne zu sein, L.“

„Natürlich nicht. Jeremiel hat schon genug durchgemacht, als er an diese Menschenhändler geraten ist und von Evas Bruder vergewaltigt wurde. Er braucht Ruhe und nicht irgendeinen, der ihn ins Bett zerrt.“

„Hallo, das soll kein Sextreff, sondern ein Datetreff werden! Meine Fresse, du überdramatisierst alles total. Dein Bruder soll doch nur jemanden kennen lernen, mit dem es vielleicht etwas werden könnte. Deshalb bist du hier, Rumiko. Vielleicht kennst du ja einen aus der Bar, der Single ist.“

„Ich sagte doch, dass mein Bruder so was nicht braucht! Er soll das alles erst mal verarbeiten.“ Diese beiden verdammten sturen Kindsköpfe. So, jetzt reicht’s mir aber, jetzt ist Schluss! „Könnt ihr beiden mit dem Kindergarten endlich mal aufhören? Selbst meine Kinder verhalten sich nicht so und die sind gerade erst einen Monat alt! Also reißt euch zusammen oder ich versohle euch eigenhändig den Hintern!“

„Ja, Mama Ruby“, kam es einstimmig zurück und jetzt war endlich Ruhe. Nun war sie an der Reihe, ein paar Takte zu sagen. „L, ich kann dich verstehen, dass du Jeremiel beschützen willst. Aber er ist ein erwachsener Mann und kann seine eigenen Entscheidungen treffen. Er ist kein kleiner Junge, sondern dein älterer Zwillingsbruder. Dasselbe gilt auch für dich, Bruderherz: der Gedanke, ihn zu verkuppeln ist zwar lieb gemeint wobei ich aber ehrlich gesagt auch glaube, dass du das tust, damit du mehr Zeit mit L verbringen kannst. Aber lasst doch verdammt noch mal Jeremiel selber entscheiden, ob er das überhaupt will. Echt, ihr beiden zankt euch die ganze Zeit darüber, was das Beste für ihn ist und er ist der Letzte, der gefragt wird. Allmählich komm ich mir bei euch beiden vor wie bei der versteckten Kamera.“ So, damit wäre das auch geklärt. Und so hab ich mich auch ganz fein herauswinden können, ohne etwas zu verraten. Rumiko, du bist echt ein Genie. „Ihr beiden seid solche Genies und denkt dennoch nie bis zum Schluss nach, weil ihr so darauf versessen seid, dem anderen bloß zu widersprechen und genügend Argumente zu liefern, um euren eigenen Sturschädel durchzusetzen. Echt, ich glaube dass eure Dickköpfe so massiv sind, dass ihr damit eine Betonwand einschlagen könnt. Bevor ihr so eine Aktion plant, solltet ihr erst mal denjenigen mit einbeziehen, der davon betroffen ist. Ansonsten wird das nichts und damit versaut ihr alles nur.“ Rumiko trank ihren Kaffee aus und versuchte erst einmal, wieder etwas runterzukommen und sich zu beruhigen. Aber so einfach war es nicht, denn manchmal ging ihr der ganze Zirkus schon gewaltig auf den Keks. Natürlich half sie gerne, aber manchmal hatte sie echt das Gefühl, als müsste sie zusätzlich zu ihren Zwillingen noch zwei weitere Kinder betreuen. Manchmal stand sie wirklich kurz davor zu sagen „Ich bin zu alt für diesen Scheiß!“ Und dabei war sie erst 26 Jahre alt und Grundschullehrerin. „Jetzt mal ernsthaft ihr beiden: ich hab zwei kleine Kinder und hab vorher schon Kinder unterrichtet, die allerhöchstens zehn Jahre alt waren. Ihr benehmt euch manchmal genauso und ich kann echt nicht begreifen, wie man sich manchmal so anstellen kann. Ihr seid doch so schlau, also denkt doch gefälligst mal zu Ende, bevor ihr wieder zu streiten anfangt. Echt, ihr seid manchmal wirklich anstrengend. Nehmt euch mal ein Beispiel an Jeremiel, der denkt wenigstens richtig nach, bevor er irgendetwas tut. Da sieht man deutlich, wer von euch beiden der ältere ist!“ L sah ein wenig missmutig drein, denn er mochte es überhaupt nicht, wenn er so dermaßen zur Schnecke gemacht wurde, aber den Schuh musste er sich jetzt anziehen. Ob er jetzt wollte oder nicht. „Ich verstehe ja, dass ihr ehrliche Absichten hattet und ihm nur helfen wollt, aber ich…“ Die Tür klingelte und als Watari öffnen ging, kam Jamie fröhlich winkend herein und rief „Hallo Ruby, hallo Beyond und L!“ Rumikos Gesichtszüge entgleisten fast als sie ihn sah und sie war entsetzt. Großer Gott, das war jetzt die absolute Totalkatastrophe! „Schatz, was machst du denn schon hier?“

„Der Strom ist ausgefallen und wir haben die Maschinen nicht mehr zum Laufen gekriegt. Deshalb durfte ich heute früher gehen.“

„Und wo hast du Jeremiel gelassen?“

„Wie? Der war doch gar nicht in der Werkstatt.“ Nun wanderten alle Blicke zu Rumiko, die sich jetzt natürlich in Erklärungsnot befand. Und an L’s Gesichtsausdruck ließ sich sehr gut erkennen, dass er nicht viel Geduld hatte, was seinen Bruder betraf. Er verschränkte die Arme und funkelte sie misstrauisch an. „Ich glaube, du schuldest mir eine Erklärung. Wo ist mein Bruder?“ „Er ist… er ist… ähm…“ Sie ratterte alle möglichen Ausreden runter, nur erschien ihr keine sehr plausibel zu sein. Dann aber erklärte sie „Er ist ins Rotlichtmilieu… er wollte… Erfahrungen sammeln. Im… Puff…“ L’s Blick wurde finster und dass er das nicht glaubte, war mehr als offensichtlich. „Ernsthaft, wo ist er?“ Klein beigeben ist wohl nicht so angebracht. Einfach weiterbeharren, dann glaubt er es vielleicht irgendwann… hoffentlich… „Was denn? Er ist auch nur ein Mann mit Bedürfnissen. Wieso darf er da nicht in den Puff oder in ein Striplokal?“ Doch L blieb bei seiner Überzeugung und fragte mit deutlich bedrohlichem Unterton in der Stimme „Ich wiederhole mich noch mal: wo ist er?“ Okay, das hat keinen Sinn. Also schnell eine andere Ausrede. Am besten eine, mit der sich wenigstens die erste Ausrede halbwegs erklären lässt. „Er ist beim Urologen!“ Nun runzelte L ungläubig die Stirn, denn diese Antwort war nun doch etwas unerwartet für ihn. „Wozu das denn?“ „Na zur Vorsorgeuntersuchung“, erklärte Rumiko und bemühte sich, die Ruhe zu bewahren und alles vernünftig zu erklären und vor allem überzeugend rüberzukommen. „Es war ihm peinlich und deshalb hab ich ihn gedeckt.“ Doch auch das kaufte ihr der Detektiv nicht eine Sekunde lang ab und sagte „So ein Blödsinn.“ „Ach ja?“ rief Rumiko, die immer noch versuchte, an ihrer Version festzuhalten. Aber leider brach das gerade wie ein Kartenhaus in sich zusammen. „Was weißt du denn bitteschön? Würdest du einfach so rumerzählen, dass du zur Prostatauntersuchung gehst? Mit Sicherheit nicht. Da würdest du doch auch lieber behaupten, du würdest in den Puff gehen!“ Ach Mensch, warum musste mir ausgerechnet so eine Ausrede einfallen? Wieso habe ich nicht gleich gesagt, dass er zur Darmspiegelung geht? Himmel, meine Ausreden waren auch schon mal besser. Das Dumme an der ganzen Sache war ja, dass L ihr kein Wort glaubte und sie ihm auch nichts vormachen konnte. Er war zwar ein kindischer Sturkopf wie Beyond, aber er war nicht blöd. Schließlich nahm der Detektiv seine gewohnte Sitzhaltung ein und starrte Rumiko mit dem gleichen Blick an, mit dem er seine üblichen Verdächtigen ansah. „Wir können es auf die sanfte oder auf die harte Tour machen. Also sag schon: wo ist mein Bruder?“ Er war ziemlich angefressen und dass Jeremiel verschwunden war und er nicht wusste wohin, das war etwas, was er ganz und gar nicht mochte. Das würde noch Ärger geben. Also gab sie doch klein bei und seufzte geschlagen. „Jeremiel trifft sich mit jemanden. Er… er hat ein Date und er bat mich, dass ich ihn decke, damit niemand davon erfährt, weil er es geheim halten will.“

„WIE BITTE?“ riefen L und Beyond zusammen und hatten den gleichen sprachlosen Gesichtsausdruck. „ER HAT EIN DATE???“

Streit der beiden Brüder

„Ernsthaft L, das ist doch wirklich der reinste Kindergarten. Lass deinen Bruder doch in Ruhe! Er hat doch ein Recht auf Privatsphäre.“

„Nein, ich will wissen mit wem er sich trifft und vor allem will ich wissen, ob diese Person auch ein guter Umgang für ihn ist. Wer weiß, an wen er sonst noch gerät, wenn niemand aufpasst.“

„Ich hab es dir doch gesagt, Rumiko: er ist schlimmer als jeder Vater, der seine Teenager-Tochter kontrollieren will.“ Nachdem sie Jeremiels Handy geortet hatten (Natürlich, nachdem Rumiko massiv protestiert hatte), waren sie ihm heimlich hinterher geschlichen und beobachteten ihn seitdem auf Schritt und Tritt. Da die Halbjapanerin ja schlecht ihre Kinder mitnehmen konnte, kümmerte sich Jamie derweil um die Kleinen, während sie Beyond und L begleitete. Diese schlichen dem Unwissenden nun in einem sicheren Abstand hinterher und beobachteten genau was er da tat. Alles Reden und Diskutieren hatte nichts gebracht. Er hatte es sich einfach in den Kopf gesetzt, seinem Bruder hinterherzulaufen und ihm nachzuspionieren. Natürlich nur zu dessen eigener Sicherheit, aber mal ganz im Ernst: man brauchte keinen hohen IQ um festzustellen, dass sich L wie eine Übermutter benahm. Am liebsten hätte Rumiko ihn noch mit Gewalt von diesem bescheuerten Vorhaben abgehalten, aber sie war auch furchtbar neugierig und wollte schon gerne wissen, mit wem sich ausgerechnet Jeremiel treffen wollte. Sie folgten ihm und L die Straße entlang und sie versteckten sich zwischendurch, wenn Jeremiel sich umsah. Und es wirkte schon eher wie eine Komödie, die sich hier gerade zutrug und wahrscheinlich merkte L gerade selber nicht, wie bescheuert das überhaupt war. Schließlich steuerte Jeremiel eine Bar an, wo auch schon eine groß gewachsene Person mit langen schwarzen Haaren herauskam, die einen Kimono trug. Es war schwer zu erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. „Engelchen! Wie schön dich endlich mal wiederzusehen. Mensch, ich hab dich schon so vermisst. Gut siehst du aus. Du wirkst ja wie das blühende Leben. Na komm, lass dich umarmen!“ L beobachtete wie diese Person, die von der Stimme her ganz eindeutig ein Mann war, Jeremiel umarmte. Er wurde bleich als er sah, mit wem sich sein Bruder da überhaupt traf. Großer Gott, wer zum Teufel war der Kerl? „Hey, das ist ja Delta!“ bemerkte Rumiko und sofort blickten Beyond und L zu ihr herüber. „Wie jetzt? Du kennst ihn?“ „Klar doch, er kommt des Öfteren mal ins Lovely Evening und wir verstehen uns ganz gut. Delta ist eigentlich nicht sein richtiger Name, aber dummerweise funktioniert mein Augenlicht bei ihm nicht. Aber er ist schon ein Goldstück. Er arbeitet im Rotlichtmilieu und verwaltet wohl Nachtklubs und Bordelle.“ Diese Info sorgte leider nicht gerade dafür, dass sich L beruhigte. Eher im Gegenteil, er war entsetzt darüber, mit was für Zeitgenossen sein Bruder verkehrte. Um Himmels Willen, dieser Delta war doch wohl nicht etwa sein Date? Sie beobachteten die beiden weiter und sahen, dass Jeremiel lächelte und sich tatsächlich freute, Delta zu sehen. L hingegen wäre am liebsten sofort dazwischengegangen, doch Rumiko und Beyond konnten ihn zurückhalten. Schließlich beobachteten sie, wie Jeremiel und Delta nach einem kleinen Plausch getrennte Wege gingen und erleichtert atmete L auf. Zum Glück war dieser Kimonoträger nicht die Verabredung, von der Rumiko gesprochen hatte. Aber offenbar kannten sich die beiden sehr gut. Und dieser Delta hatte ihn „Engelchen“ genannt. Irgendwie kam ihm das bekannt vor. Ja richtig, das war im Keller vor knapp drei Wochen gewesen. Jeremiel sollte sich telefonisch bei Evas Bruder melden und da er nicht erreichbar gewesen war, hatte er einen seiner Untergebenen angerufen. Und dieser hatte ihn auch „Engelchen“ genannt. Konnte es etwa sein, dass Delta für Evas Bruder arbeitete? Traf sich Jeremiel etwa mit diesem Mistkerl, der ihn vergewaltigt hatte? Aber wieso denn? Wurde er vielleicht erpresst oder unter Druck gesetzt? Nein, dann hätte Rumiko doch nicht gesagt, es wäre ein Date. Sie hätte doch sofort gemerkt, wenn Jeremiel bedrückt oder nervös gewirkt hätte und dann hätte sie ihn nicht einfach so gedeckt, sondern stattdessen L zu Rate gezogen. „Rumiko, was weißt du sonst noch über Delta?“ „Nun, ich weiß, dass er ein sehr ausschweifendes Liebesleben hat und ein absoluter Liebhaber der japanischen Kultur ist. Außerdem neigt er immer dazu, allen Leuten irgendwelche Kosenamen zu geben, wenn er sie ins Herz geschlossen hat. Mich nennt er zum Beispiel immer Schätzchen. Er ist total schräg, aber absolut herzlich. Aber er kann auch ganz anders. Ich hab mal mitgekriegt, wie er einem Schläger beide Arme und die Nase und den Kiefer gebrochen hat, als dieser versucht hat, Terry mit einem Messer anzugreifen.“ Das wurde ja immer besser. Offenbar war der Kerl ein ziemlich guter Kämpfer, wenn er so etwas zustande brachte. Aber irgendwie kam L dieses Gesicht bekannt vor, genauso wie der Name. War dieser Delta nicht ein hohes Tier im Vergnügungsviertel? „Kann es sein, dass er nicht auch Mitglied einer Mafiagruppe ist?“

„Tut mir Leid, L. Aber da bin ich mir jetzt nicht so sicher und ich kann mich auch nicht gerade daran erinnern, ob er in der Richtung mal irgendetwas erwähnt hat.“ Sie folgten Jeremiel weiter und erreichten schließlich einen ziemlich edlen und vor allem teuren Club. Das war einer von solchen, wo sich für gewöhnlich Geschäftsleute, Prominente oder andere gut betuchte Personen mit Klasse trafen. Jeremiel ging rein und sprach dort mit jemandem, dann folgte er diesem hinein. Beyond und L wollten da schon rein, doch Rumiko packte die beiden am Kragen und hielt sie zurück. „Jetzt mal langsam, Jungs. So einfach kommt ihr da nicht rein. Das ist ein exklusiver Klub und so wie ihr ausseht, werdet ihr da ganz gewiss nicht reinkommen.“ „Und wie sollen wir das sonst anstellen? Hey L, willst du dich vielleicht als reicher Exzentriker ausgeben?“

„Sehr witzig. Für so etwas haben wir doch Rumiko. Sie ist doch hier die reiche Erbin von uns dreien.“ Na super, da haben wir’s wieder, dachte die Halbjapanerin und wusste, dass sie das nicht abstreiten konnte. Mal wieder hatte sie die Arschkarte gezogen. „Wollen wir mal hoffen, dass dieser Vogel von Türsteher intelligenter ist als er dreinschaut.“ Rumiko ging hin und bequatschte den Türsteher, der zuerst sehr skeptisch war und sie gar nicht reinlassen wollte. Und als gutes Zureden nichts brachte, da half doch die bewährte Bestechungsmethode. So konnte Rumiko ihnen dreien Zutritt zum Club verschaffen. Sogleich aber funkelte sie L an und sagte „Dafür schuldest du mir was, Freundchen. So, ich hab denen gesagt, dass ihr beide exzentrische Künstler seid. Da achtet man wenigstens nicht so sehr auf die Äußerlichkeiten.“ Der Club war um die Zeit noch nicht ganz so belebt und es war dementsprechend nicht viel los. Es wurde dezente Musik gespielt, die sich aber ein klein wenig wie die Art von Musik anhörte, die man nur hörte wenn man gerade auf einem Trip war oder die in einem Porno gespielt wurde. Die Inneneinrichtung war sehr edel und teuer und innerhalb des Gebäudes wirkte alles viel größer als es von außen erschien. Nach einigem Suchen entdeckten sie Jeremiel, der durch eine Tür verschwand. Sofort schlichen sie hin und lugten durch den Türspalt so gut es ging. Und was sie sahen, war besonders für L ein Schock. Jeremiel umarmte einen Mann, der gut und gerne an die zwei Meter groß war. Und irgendwie kam ihm dieses Gesicht ziemlich bekannt vor, nur konnte er gerade nicht mit dem Finger darauf deuten. Rumiko und Beyond selber waren verwundert, denn obwohl sie das Gesicht dieses Mannes sahen, konnten sie keinen Namen und keine Lebenszeit erkennen. Schon merkwürdig… „Schön dich wiederzusehen, Liam“, sagte Jeremiel und setzte sich schließlich, seine Begleitung tat dasselbe. „Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass du dich so kurzfristig gemeldet hast. Nachdem wir uns gestern schon so viel Zeit genommen haben dachte ich, du würdest erst mal die nächste Zeit lieber bei deiner Familie bleiben.“ Gestern? Moment mal, da war Jeremiel doch mit Rumiko und den Zwillingen im Zoo. Nun endlich realisierte L das falsche Spiel und blickte die zweifache Mutter finster an, die selber mit einer entschuldigenden Miene antwortete. „Nun, ehrlich gesagt macht mir da so einiges Sorgen und ich hatte gehofft, du könntest mir helfen.“

„Klar doch, wenn ich dir helfen kann. Worum geht es?“

„Weißt du vielleicht, ob damals noch mehr Experimente betrieben wurden als die Gedankenschaltkreisexperimente? Ich meine, Eva ist deine Schwester und du hast mich damals aus dem Institut geholt. Vielleicht weißt du da etwas.“

„Hm… also ich habe mich nicht sonderlich damit beschäftigt, deshalb kann ich nicht viel darüber sagen. Warum fragst du?“

„Ich hab erfahren, dass einige der Ermordeten mit Dr. Brown in Verbindung standen und ich dachte mir, du wüsstest da mehr. Andrew erzählte irgendetwas von Proxys und dass meine Mutter ein Projekt absichtlich sabotiert habe.“

„Wenn Nastasja so etwas tatsächlich getan hat, dann hatte sie auch gute Gründe dafür. Sie war eine sehr anständige Frau mit einem unbestechlichen Gerechtigkeitssinn. Und dickköpfig und furchtlos war sie obendrein. Tut mir Leid aber von Proxys habe ich noch nie etwas gehört. Aber die Informationen sind dennoch verwertbar. Ich werde Johnny damit beauftragen, dass er da mal näher nachhorcht und ich werde mich da auch näher umhören. Wenn ich etwas herausfinden sollte, werde ich es dir sagen. Aber sag schon, warum interessierst du dich dafür?“

„Na weil es vielleicht um die Eva-Experimente gehen könnte und davon bin ich ja auch betroffen. Und außerdem will ich meinem Bruder helfen. Da ich nicht sehr viele Möglichkeiten habe, hatte ich gehofft, dass du mir helfen könntest.“

„Für dich tue ich doch alles. Und wenn es wirklich weitere Experimente gibt, dann werde ich natürlich auch nicht untätig bleiben. Meine Schwester hat mit den Gedankenschaltkreisexperimenten schon genug angerichtet und nachdem sie wieder mal spurlos verschwunden ist, muss ja einer den Scherbenhaufen aufräumen, den sie hinterlassen hat.“ Schwester? Moment mal, dann war der Kerl da drin bei Jeremiel Evas Bruder? Ausgerechnet der Typ, der ihn vergewaltigt hatte? L konnte nicht fassen, dass sich sein Zwillingsbruder ausgerechnet mit seinem eigenen Peiniger traf. Großer Gott, war er denn so verzweifelt oder naiv, dass er sich auf so etwas einließ? Oder hatte dieser Dreckskerl ihn schon so unter der Fuchtel, dass er ihn fast genauso manipuliert hatte, wie es bei Andrew und Dr. Brown der Fall war? In L begann es langsam zu brodeln. Und als Beyond dann auch noch sagte „Hey, ist das nicht dieser Liam J. Adams, dieser Mafiaboss?“, machte es das auch nicht viel besser. „Ja, jetzt erinnere ich mich wieder“, stimmte Rumiko flüsternd zu. „Delta arbeitet für ihn und verwaltet das Rotlichtmilieu. Dieser Liam Adams ist ein äußerst mächtiger Mann, der auch im Glücksspiel und auch auf dem Schwarzmarkt großen Einfluss hat. Er zählt zu den mächtigsten Männern in Boston. Ich hab ihn auch schon mal in der Bar getroffen. Er ist ein ziemlich rauer Zeitgenosse, der eigentlich sehr verschwiegen und finster ist. Aber er ist nicht nur Mafiaboss, sondern auch Chirurg und operiert kostenlos mittellose Menschen. So ganz schlimm ist er eigentlich nicht.“ Doch L stand kurz davor, die Spionageaktion abzubrechen und einzuschreiten, nach dem, was er erfahren hatte. Jeremiel traf sich mit Evas Bruder und dieser war Mafiaboss und dann auch noch einer von den ganz großen Fischen? Das wurde ja noch schöner. Nun, es gelang ihm, sich mit Mühe zusammenzureißen. Doch als er auch noch sah, wie dieser Liam Jeremiel küsste und ihn auf das Sofa niederdrückte, da platzte ihm endgültig der Kragen. Er öffnete die Tür und platzte einfach in den Raum. „Nehmen Sie sofort die Finger weg von meinem Bruder!“ „L?“ Jeremiel befreite sich von Liam und war verwundert, wieso L und die anderen denn auf einmal hier waren. Und als er auch noch Rumiko sah, da ahnte er, dass da irgendetwas schief gelaufen sein musste. Und sofort erklärte die Musiklehrerin „Entschuldigung. Jamie ist früher zurückgekommen und da ist alles aufgeflogen.“ „Und offenbar kommen wir noch rechtzeitig. So, wenn das nicht Liam J. Adams ist, die aktuelle Nummer 2 von Boston.“ Der Mafiaboss richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und wirkte nun noch erhabener, bedrohlicher und charismatischer als sonst. Eines war klar: der war kein leichter Gegner aber L war fest entschlossen, seinen Bruder vor diesem Kerl zu beschützen. Ganz egal, was dafür nötig war, er würde nicht zulassen, dass dieser Kriminelle ihn noch ein einziges Mal anfasste. „Und das ist also deine Familie, Jeremiel“, bemerkte er und lächelte kühl. „Und der berühmte L, der schon Kira zu Fall gebracht hat. Was wollt ihr hier und was habt ihr in meinem Club zu suchen?“ Ach, das war also sein Club? Nun, das hatte L jetzt nicht auf dem Schirm gehabt, aber das kümmerte ihn auch nicht weiter. „Was ich hier will? Ich will meinen Bruder beschützen und verhindern, dass er an die falschen Leute gerät. Und ich werde nicht zulassen, dass er wieder verletzt wird und noch in Gefahr gerät.“ „Das steht auch nicht in meiner Absicht“, erklärte Liam und blieb ruhig. Stattdessen belächelte er L’s Engagement eher und schien ihn auch nicht ganz für voll zu nehmen. Oder zumindest machte das nur den Anschein. Als L dann aber sagte „Ach ja? Soweit ich weiß, haben Sie meinem Bruder schon genug Leid angetan“, da verfinsterte sich sein Blick so sehr, dass selbst Beyond erheblichen Respekt vor ihm bekam. Und auch Rumiko wich einen Schritt zurück, als sie ihn so sah. Aber L blieb standhaft und ließ sich nicht einschüchtern. Und alles sah verdächtig danach aus, als würde es gleich zum Kampf zwischen den beiden kommen, da funkte Jeremiel dazwischen. „Was redest du da, L? Wovon sprichst du?“ „Na wovon denn? Er hat dich doch vergewaltigt und eingesperrt, oder etwa nicht?“ Für einen Moment war der ältere Lawliet-Zwilling sprachlos und brauchte einen Moment, bis er dahinterkam, dass L schon Bescheid wusste, was Liam getan hatte.

„Von wem hast du das?“

„Du hast es doch Beyond erzählt und er hat es daraufhin der Familie erzählt. Und deshalb haben wir auch den Entschluss gefasst, dich vor ihm zu beschützen, damit er dir so etwas nie wieder antun kann!“ Liam zog die Augenbrauen zusammen und blickte zu Jeremiel, der aber überhaupt nicht mehr verstand, was hier eigentlich vor sich ging. Zwar erinnerte er sich, dass er so etwas zu Beyond gesagt hatte, aber so etwas hatte er ganz sicher nicht beabsichtigt. Und er hatte ja auch nicht damit rechnen können, dass der das gleich einfach so an alle weitererzählte. Er wandte sich an Beyond und fragte „Wieso hast du das den anderen erzählt?“

„Na warum wohl? Andy ist doch das Gleiche passiert. Dieser Schmierlappen Dr. Brown hat ihn jahrelang geschlagen und vergewaltigt, bis der arme Kerl das Stockholm-Syndrom gekriegt hat und freiwillig bei dem Kerl geblieben wäre, wenn wir ihn da nicht rausgeholt hätten. Deshalb wollten wir dich auch schützen und nicht zulassen, dass du wieder an den Typen gerätst, der dir so etwas angetan hat.“

„Jetzt mach mal halblang, Beyond. Das war nur ein Mal und er hat es doch nicht aus böser Absicht getan. Es war ein Ausrutscher.“

„Ein Ausrutscher? Ist er etwa in dich hineingefallen oder was?“ Liam verlor so langsam die Geduld und sah ganz stark danach aus, als würde er gleich Nägel mit Köpfen machen. Doch er blieb ruhig, allein schon Jeremiel zuliebe und weil er ihm versprochen hatte, den anderen nichts anzutun. Ganz egal was passieren würde. Und dieses Versprechen wollte er gewiss nicht brechen. Jeremiel merkte, wie angespannt die Situation war und überlegte, wie er das am besten aufklären konnte, ohne dass sie sich alle die Köpfe einschlugen. Also hob er beschwichtigend die Arme und schlug vor „Wie wäre es, wenn wir uns einfach setzen und…“

„Ich lass dich nicht länger bei ihm“, beharrte L und ergriff seinen Arm. „Ist dir denn nicht klar, wie gefährlich er ist? Jeremiel, er ist ein Mafiaboss und hat genug Menschen auf dem Gewissen. Ich werde nicht zulassen, dass er dich noch ins Unglück stürzt.“

„Aber das tut er doch nicht. Und überhaupt: du bist doch auch mit einem verurteilten Serienmörder zusammen.“

„Das ist nicht das Gleiche!“

„Stimmt. Denn im Gegensatz zu Beyond wollte Liam mich niemals töten und er liebt mich.“ Doch L wollte gar nicht auf ihn hören, sondern am liebsten mit ihm den Club verlassen. Er ließ einfach nicht mit sich reden und in dieser Situation wusste auch Rumiko nicht so wirklich, ob sie schon einschreiten sollte. Denn eigentlich war dies auch mal die Gelegenheit für Jeremiel, sich auch gegen L durchzusetzen und ihn als älteren Bruder in die Schranken zu weisen. Und tatsächlich riss sich dieser von L los, als dieser sagte „Trotzdem lasse ich nicht zu, dass du dich von ihm in irgendwelche kriminellen Sachen verwickeln und dich ins Verderben stürzen lässt. Dieser Kerl ist doch nicht der richtige Umgang für dich! Er wird dich noch in Gefahr bringen und dich in seine Kreise ziehen, bevor du es selber merkst. Seinetwegen wirst du irgendwann noch draufgehen und genau davor will ich dich beschützen. Hinterher landest du schon wieder bei irgendwelchen Menschenhändlern oder rutschst ins Drogen- oder Rotlichtmilieu ab.“ Und sogleich fing sich L eine Ohrfeige ein. Nun waren alle im Raum völlig überrascht von dieser Reaktion, selbst Liam blieb der Mund offen stehen, denn Jeremiel hatte bis jetzt noch nie Gewalt angewendet und immer versucht, alles friedlich zu lösen. Aber nun war das Maß voll bei ihm und zum ersten Mal sah er richtig gefährlich aus. „Wag es nicht noch einmal, Liam so in den Dreck zu ziehen!“ L brauchte einen Moment, um sich von der Ohrfeige zu erholen und zu realisieren, dass sein Bruder ihn tatsächlich geschlagen hatte. Zum ersten Mal war da so etwas wie Strenge in Jeremiels Blick zu erkennen und er wirkte in diesem Moment auch tatsächlich älter. „Du hast nicht das Recht, ihn einfach zu verurteilen. Mag sein, dass es zwischen uns beiden am Anfang sehr viele Probleme gegeben hat. Aber er hat mich niemals verletzen wollen und ihm tut auch aufrichtig Leid, was er getan hat. Er hat etwas getan, was er nicht hätte tun dürfen, aber er wollte das nicht. Er wollte mich nur beschützen und er liebt mich. Liam hat mir geholfen, als es mir schlecht ging und er war für mich da. Ich liebe ihn und ich weiß auch, was er für Geschäfte macht. Natürlich weiß ich, dass er ein Mafiaboss ist, aber er hat auch ein gutes Herz und hilft Menschen, die mittellos und krank sind. Und überhaupt: wer gibt dir denn das Recht zu entscheiden, wer gut genug für mich ist, L? Ich bin erwachsen und außerdem der Ältere von uns beiden. Also hör auf, dich hier wie eine Übermutter aufzuführen und alles über meinen Kopf hinweg zu entscheiden, ohne mich vorher zu fragen, was ich dazu halte. Lass Liam in Ruhe und vor allem mich meine eigenen Entscheidungen treffen!“ Die Standpauke hatte gesessen und Jeremiel war dabei so laut geworden, dass er kaum noch Luft bekam. Seine Brust schnürte sich schmerzhaft zusammen und ihm wurde schwindelig. Durch die Aufregung, die Kopfschmerzen und der Tatsache, dass er noch nie so laut gewesen war, wurde ihm kurzzeitig schwarz vor Augen und er kippte um.

Versöhnung und Allianz

In dem Moment, als Jeremiel kollabiert war und zusammenbrach, war Liam als Erster zur Stelle und legte ihn vorsichtig hin. „Jeremiel, versuch ganz langsam durchzuatmen. Ganz ruhig…“ Er nahm seine Hand und legte seine andere auf die Stirn des Kollabierten und wandte sich an L. „Bring bitte mal ein Glas Wasser.“ Ohne lange zu zögern folgte L der Anweisung und nachdem sich der ältere Lawliet-Zwilling wieder gefangen hatte, setzte er sich wieder auf und trank einen Schluck. Liam setzte ihn vorsichtig auf die Couch und sah ihn genauer an um sicherzugehen, dass es nichts Ernstes war. „Anscheinend ist dir nur die Luft ausgegangen. Bleib erst mal sitzen, dann geht es dir gleich wieder besser.“

„Wie jetzt, ihm ist die Luft ausgegangen?“ fragte Beyond, der diese Diagnose mehr als bescheuert und abwegig fand. Aber Liam blieb dabei und erklärte „Als Sam Leens hat er ohnehin so gut wie nie gesprochen und als Jeremiel ist er lautes Reden nicht gewöhnt. Deshalb ist er kollabiert. Aber ihm fehlt nichts.“ „Und woher wollen Sie das wissen?“

„Ich bin Chirurg und hab Medizin studiert. Da werde ich so etwas ja wohl erkennen können.“ Nachdem sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt und Jeremiel sich wieder erholt hatte, beschlossen sie, ganz in Ruhe zu reden und alles zu klären. Keiner wollte, dass es wieder zu so einem Zwischenfall kam, deshalb war es jetzt umso wichtiger, dass solche Aufregungen vermieden wurden. Liam begann nun endlich die ganze Situation aufzuklären. „Also wie ihr schon richtig gesagt habt, bin ich Mafiaboss. Aber ich bin auch Evas Zwillingsbruder. Ich bin sozusagen ihr Schatten und verkörpere das Negative, die Dunkelheit und die Zerstörung. Ich bin ein Unvergänglicher wie sie und genauso wie Eva habe auch ich eine Familie und sie arbeiten auch für mich. Delta ist meine rechte Hand, mein engster Vertrauter und Berater, der das Rotlichtmilieu verwaltet. Mein Buchhalter und Anwalt Marcel kümmert sich um Schuldeneintreibungen und das Glücksspiel und Johnny ist mein bester Mann auf dem Schwarzmarkt. Vor über 400 Jahren war ich mit einem jungen Mann namens Nikolaj zusammen. Er war die von Eva erschaffene Leere und wurde nach seinem Tod als Jeremiel wiedergeboren. Ich habe all die Jahre auf seine Rückkehr gewartet und war es auch, der seinen toten Körper aus dem Institut gebracht hat, bevor Frederica dieses Chaos angerichtet hat. Ich war es auch, der ihr beigebracht hat, wie sie die Zeit zurückdrehen konnte, um euch alle zu retten. Jedenfalls haben Eva und ich Jeremiel eine neue Seele gegeben und den Schaden im Hirn behoben, damit er ganz normal leben konnte. Ich wollte aber verhindern, dass er geht und ich ihn wieder verlieren könnte. Und insbesondere wollte ich nicht zulassen, dass er etwas über seine Vergangenheit herausfindet und daran zerbricht, dass er ein Mörder war. Deshalb habe ich ihn sogar eingesperrt um zu verhindern, dass er nach dir sucht, L. Ich hatte Angst, dass er das nicht verkraften könnte. Und ich hatte Angst, ihn zu verlieren. Dieses ganze Chaos, seine Entführung und meine eigenen Gefühle haben schließlich zu diesem Vorfall geführt, dass ich ihm etwas angetan habe, was er nicht wollte. Ich wollte ihm niemals wehtun.“

„Liam hat mir zwar gesagt, dass er mich liebt und bei mir sein will, aber weil er dachte, er wäre eine zu große Gefahr für mich, da wollte er sich von mir distanzieren und mich gehen lassen. Aber ich wollte bei ihm bleiben und auch zu ihm zurückkehren. Aber vorher wollte ich wenigstens meinen Bruder kennen lernen und wissen wie es ist, unter Menschen zu leben.“ Nun nahm er Liams Hand, hielt sie fest und sah in dem Moment so aus wie jemand, der seinen Eltern seine große Liebe vorstellen wollte. Immer noch sah L alles andere als begeistert aus und war auch noch ziemlich grummelig. „Jedenfalls liebe ich Liam und ich will auch mein Leben mit ihm verbringen. Aber da dies nicht so einfach geht, weil er ein Unvergänglicher ist, muss ich eine Entscheidung treffen. Nämlich die, ob ich als normaler Mensch leben will, oder ob ich ebenfalls zu einem Unvergänglichen werden möchte wie er. Darum hat er mich auch gehen lassen, damit ich diese Entscheidung gut überlegt treffen kann.“ L musste das alles erst einmal sacken lassen um wirklich zu begreifen, was Jeremiel ihm da erzählte. Und so ganz konnte er das nicht glauben. Sein Bruder dachte allen Ernstes daran, zu einem Unvergänglichen zu werden, nur um bei Liam bleiben zu können? Und auch Rumiko und Beyond brauchten wohl noch eine Weile, um das zu verarbeiten. Schließlich aber fragte die Musiklehrerin „Und das ist der einzige Weg, wie ihr beide glücklich werden könnt?“

„Liam kann zwar in diesem Körper sterben, aber sein Bewusstsein existiert weiter. Ich werde alt, sterbe und meine Seele geht ins Jenseits über. Und selbst wenn ich wiedergeboren werden würde, so würde ich mich nicht mehr an ihn erinnern. Ich will nicht, dass Liam wieder so unglücklich ist, nachdem Nikolajs Tod ihn so lange Zeit dermaßen gequält hat. Ich möchte bei ihm bleiben und ich fände es auch nicht schlimm, wenn ich dann unvergänglich werde. Zwar werde ich wohl ziemlich traurig sein, wenn ihr eines Tages nicht mehr da seid, aber ich liebe Liam und das so sehr, dass ich bereit bin, diesen Schritt zu gehen. Aber um mir ganz sicher zu sein, dass ich diese Entscheidung auch nicht bereuen werde, wollte ich auch unter Menschen leben.“ Jeremiel sah, dass L damit immer noch ein wenig zu kämpfen hatte. Er stand auf, ging zu ihm hin und schloss ihn in den Arm. „Hey, du musst dir keine Sorgen um mich machen, L. Und ich sage dir jetzt etwas, das ich auch schon Liam mehr als deutlich gesagt habe: ich bin nicht aus Glas und kann schon was einstecken, auch wenn ich nicht danach aussehe. Und überhaupt, wir sind Lawliets. Wir haben unsere Dickköpfigkeit und unsere Willensstärke von Mutter geerbt und nur weil ich mich für diesen Weg entschieden habe, heißt das doch nicht, dass ich zu einem anderen Menschen werde. Mag sein, dass ich nicht mehr derselbe bin, der ich vor ein paar Wochen noch gewesen bin. Da war ich wirklich wie ein unerfahrenes Kind, aber ich habe in der kurzen Zeit so viel von dir und den anderen gelernt und ich will meinen Weg gehen und meine eigenen Entscheidungen treffen. Dass ihr mich alle beschützen wollt, dafür bin ich euch sehr dankbar, denn ich weiß, dass dies ein Ausdruck von Liebe und Zuneigung ist. Aber ich will nicht immer nur beschützt und behütet werden. Ich will auch lernen, selber stark zu sein und auf mich selbst aufzupassen weil das auch dazugehört, mit Menschen zusammenzuleben.“ Schließlich lösten sich die Brüder voneinander und L konnte nicht anders als zu lächeln. „Du hast dich wirklich sehr verändert. Du bist viel menschlicher geworden als damals, als du das erste Mal vor unserer Tür gestanden hast.“

„Ich hatte auch gute Lehrer. Und was sagst du, L? Kannst du Liam vielleicht als Mann an meiner Seite akzeptieren?“ Nun wandte sich L zu Liam, machte seinen Rücken krumm und steckte die Hände in die Hosentaschen. Er sah ihn immer noch ein wenig grummelig an und auch der Mafiaboss wirkte ein wenig kühl. Fest stand, dass sie beide wohl nie sonderlich gute Freunde werden würden. Dazu lebten sie in viel zu verschiedenen Welten und hatten so verschiedene Ansichten, dass man niemals auf einen gemeinsamen Nenner kommen konnte. Außer vielleicht was Jeremiel betraf. Der Abgrund zwischen ihnen beiden war mindestens hundert Mal so groß wie der zwischen L und Beyond. Schließlich aber reichte L dem Mafiaboss nach einigem Zögern die Hand. Dieser erwiderte die Geste, woraufhin aber der Meisterdetektiv finster und schon fast bedrohlich dreinblickte. „Wenn ich aber merke, dass du meinem Bruder etwas antust und er wegen dir leidet, dann werde ich dafür sorgen, dass du kein Bein mehr auf den Boden kriegst. Dann werde ich die ganze Mafiagruppe zerschlagen.“ Doch Liam ließ sich davon wenig beeindrucken und lächelte darüber nur. „Wir werden sehen, wer zuletzt lacht.“ „Die Gerechtigkeit siegt immer und daran wird sich nie etwas ändern.“

„Gerechtigkeit ist nur eine Erfindung von euch Menschen. Es ist eine Illusion und eine individuelle Weltanschauung. Gerechtigkeit gibt es nicht, es gibt nur Gesetze und die Mittel, sie zu umgehen. Wer das Geld hat, der hat die Macht. Und wer die Macht hat, der bestimmt auch die Regeln im Spiel. Und wir wissen ja wohl beide, wer von uns den längeren Atem hat.“

„Mag sein, dass ich im Gegensatz zu dir ein sehr kurzes Leben habe. Aber das hindert mich nicht daran, dir den Rest meines Lebens ganz arge Schwierigkeiten zu bereiten, wenn du es wagen solltest, meinem Bruder das Herz zu brechen.“

„Darauf darfst du lange warten.“ Jepp, die beiden waren genau das, was man von Schwiegereltern kannte: niemand ist gut genug für das eigene Kind und dementsprechend würde man den Partner niemals akzeptieren. Schließlich aber atmete Rumiko laut aus und packte beide am Nacken. „Mensch Leute, kriegt euch wieder ein. Ihr könnt euch später noch mit Wattebällchen beschmeißen bis ihr tot seid. Wir sollten uns doch erst mal für Jeremiel freuen, dass er da jemanden an seiner Seite hat, der ihn offenbar sehr liebt. Ich kenne Liam zwar nicht, aber wenn Jeremiel ihn schon so wie ein Löwe verteidigt, dann scheint er doch keinen allzu schlechten Charakter zu haben. Können wir also die Streitereien vergessen und noch mal ganz von vorne anfangen? Es bringt nichts, wenn wir uns alle für nichts und wieder nichts die Köpfe einschlagen.“ Und damit hatte Mama Ruby mal wieder klare Worte gesprochen. Liam schmunzelte bei ihren Worten und auch seine bedrohliche Aura war gänzlich gewichen. Schließlich hatten sich die Gemüter endlich beruhigt und Liam erlaubte den anderen noch zu bleiben. Jeremiel erklärte noch mal in aller Ruhe, wie das Ganze zwischen ihm und Liam angefangen hatte, welche Schwierigkeiten es gegeben habe und wie sie letztendlich zueinander gefunden hatten. „Jedenfalls hat Liam mich sehr aufgebaut, als ich nicht wusste, wer oder was ich eigentlich bin. Er sagte mir, dass es nicht darauf ankommt, woher man kommt, was für Fähigkeiten man hat und wer oder was man ist. Es kommt auf die Entscheidungen an, die man trifft. Und er hat sich entschieden, das zu tun, was das Beste für mich wäre, auch wenn er mich dafür erst einmal gehen lassen musste. Und ich habe mich entschieden, zu ihm zurückzukehren und mit ihm glücklich zu werden. Liam mag zwar Evas dunkler Bruder sein, aber er ist nicht durch und durch böse, sondern hat auch ein gutes Herz, auch wenn er es nicht gerne zeigt. Dass er am Anfang so heftig reagiert und mich eingesperrt hat, das hat er ja nicht getan, weil er mich einschüchtern wollte. Er wollte mich die ganze Zeit nur beschützen und hat Fehler gemacht, die ich ihm aber auch verziehen habe. Und ich wollte ihn heute treffen, weil ich gehofft hatte, dass er vielleicht helfen könnte, den Killer mit der Motorradmontur zu finden, weil er selbst Interesse daran hat, ihn aufzuhalten.“

„Ach ja?“ fragte L misstrauisch und blickte Liam forschend an, der sich aber nicht beeindrucken ließ. „Geschäftliches Interesse?“ Der Mafiaboss blickte kühl zu ihm herüber und bestätigte. „Ja. Der Politiker Jeffrey Edgar war ein sehr guter Geschäftspartner von mir. Sein Tod war höchst unvorteilhaft für mich und dass der berühmte L tatsächlich in Betracht gezogen hat, das organisierte Verbrechen würde hinter dem Tod dieser Menschen stecken, war meiner Meinung höchst stümperhaft.“ „Liam, L, bitte reißt euch mal beide zusammen.“ Doch man merkte, wie dick die Luft zwischen den beiden war. Eigentlich auch kein Wunder, da sie eigentlich Feinde waren und die Tatsache, dass Jeremiel mit der momentanen Nummer 2 der Bostoner Unterwelt zusammen war, machte alles nur noch schlimmer. Und damit war Liam J. Adams auf L’s Feindesliste ganz weit nach oben geschossen. Womöglich aber kommt es auch daher, weil L Evas menschliche Wiedergeburt ist, dass sich die beiden überhaupt nicht vertragen. Möglich wäre es ja zumindest und wäre auch eigentlich eine logische Erklärung. Immerhin hegt Liam ja einen tiefen Groll gegen seine Schwester. Also hat er sicherlich auch nicht viel für ihre menschliche Wiedergeburt übrig. Na hoffentlich kratzen die sich jetzt nicht noch die Augen aus. „Nun, wenn Jeremiel mich bittet, euch zu helfen, dann werde ich es natürlich tun. Also so viel kann ich schon mal sagen: die Eva-Experimente waren mit Sicherheit viel breiter gefächert als angenommen. Immerhin geht es um die Erforschung der Unvergänglichen und Jeremiel ist ein Hybrid. Es wäre denkbar, dass es in der Hybridforschung vielleicht noch viel tiefer gegangen ist. Aber das sind nur Theorien. Was mir allerdings zu schaffen macht ist, dass meine Schwester wieder spurlos verschwunden ist und ich sie nicht mehr wahrnehmen kann. Als Unvergänglicher ist man mit jedem Lebewesen verbunden und kann deshalb auch seine Anwesenheit über eine Art siebten Sinn wahrnehmen. Aber Eva ist verschwunden und ich weiß nicht, wieso sie schon wieder abgehauen ist und ob das nicht vielleicht Gründe hatte. Ich habe mich nicht so viel mit den Experimenten beschäftigt, weil dies Evas Angelegenheit war. Und wenn Nastasja mit diesen Proxy in Verbindung steht, dann müsste doch eigentlich Watari etwas wissen. Immerhin war er ja so etwas wie ihr Vater.“ Da hatte Liam nicht ganz Unrecht, doch fraglich war, ob Nastasja überhaupt darüber gesprochen hatte. „Kanntest du unsere Mutter?“ fragte Jeremiel, doch Liam verneinte die Frage sofort. „Ich habe mich auf Evas Wunsch hin aus der ganzen Sache rausgehalten. Aber ich weiß, dass sie ein sehr willensstarker Mensch mit festen Prinzipien war. Wenn sie irgendetwas sabotiert hat, dann geschah das auch aus sehr guten Gründen. Denn wenn es sich bei diesen so genannten Proxy um gezüchtete Killermaschinen handelt, dann hätte sie sicherlich niemals zugelassen, dass das Projekt weitergeführt wird. Und gehen wir mal davon aus, dass die Rädelsführer des Projektes davon Wind bekommen haben, dann wäre es doch nur logisch, wenn sie Nastasja und ihre Familie dafür aus dem Weg räumen.“ Nun, das klang tatsächlich logisch, aber da gab es einen Haken und den sprach Beyond auch sofort an. „Aber L’s Eltern wurden von Joseph Brown, Nastasjas Kollegen getötet, weil dieser an Frederica heran wollte, weil er glaubte, dass sie Eva sei.“

„Das mag sein, aber wissen wir denn, ob dies wirklich das einzige Motiv war, das ihn zu dieser Tat bewegt hat? Nur weil er an Frederica heran wollte, hätte er Nastasja und Henry nicht gleicht töten müssen. Er hätte doch nur eine Intrige ersinnen müssen, um Nastasja aus dem Projekt auszuschließen und alleine weiterzumachen. Das wäre doch viel unauffälliger gewesen. Mit diesem Doppelmord und der Entführung hat er sich ja selbst in Gefahr gebracht und außerdem ist für mich trotz Fredericas Plänen immer noch fraglich, wie Joseph es geschafft hat, jemanden wie sie zu überwältigen. Denn eines dürfen wir dabei nicht außer Acht lassen: Frederica war eine äußerst gute Kämpferin und konnte ihre Fähigkeiten sehr präzise einsetzen. Selbst für Johnny und Delta wäre sie eine ernstzunehmende Gegnerin gewesen. Sie hätte Joseph doch schon viel früher töten können, es sei denn, sie hatte nicht die Möglichkeit dazu. Das wiederum bedeutet…“

„…es muss jemand dabei gewesen sein, der mit ihren Fähigkeiten mithalten konnte.“ L hatte Liams Gedankengang sofort erfasst und zu Ende gebracht. Wenn Liam Recht hatte, dann würde das bedeuten, dass es noch jemanden wie Frederica geben musste. „Dann müssten die Proxys mit der Ermordung unserer Eltern zu tun haben.“

„Nein, das macht keinen Sinn“, warf Jeremiel ein. „Andrew hat mitgehört, dass die Proxys nicht einsatzbereit seien, seit Mutter das Projekt sabotiert hatte. Also wären sie doch eigentlich nicht in der Lage gewesen. Es sei denn, es gibt neben Liam und Eva einen weiteren Unvergänglichen, der das getan haben könnte.“

„Nein, das ist unmöglich. Eva und ich sind die Einzigen und sowohl Delta als auch Marcel und Johnny würden so etwas nicht tun. Das ist nicht ihr Gebiet und es liegt auch nicht in unserem Interesse, dass die Welt von unserer Existenz erfährt. Wir ziehen es vor, unerkannt zu bleiben, um eben zu vermeiden, dass die Menschen noch auf den Trichter kommen, an uns herumzuforschen und unsere Fähigkeiten für ihre hirnverbrannten Kriegspläne zu nutzen. Man hat ja schon gesehen, wohin das mit den Death Notes geführt hat. Da muss man nicht auch noch auf uns aufmerksam werden.“ Das Argument war mehr als überzeugend und so überlegten sie, was man nun am besten tun konnte. Liam hatte schon einen Vorschlag parat. „Ich werde Johnny beauftragen, mehr über die Opfer herauszufinden und in Erfahrung zu bringen, was es mit den Proxys auf sich hat und ob es tatsächlich mehr Projekte gab, die Dr. Joseph Brown in die Wege geleitet hat. Wenn dem so ist und es könnte Gefahr drohen, dann werde ich ganz gewiss nicht untätig herumsitzen.“

„Weil es schlecht fürs Geschäft wäre?“

„Nein, weil ich Jeremiel versprochen habe, dass euch nichts zustößt. Und deshalb werde ich euch auch mit allen Mitteln beschützen.“ Das entwaffnete L ein klein wenig, denn damit hätte er jetzt nicht gerechnet. Zuerst hatte er ja noch gedacht, Liam würde nur seine eigenen Interessen verfolgen, aber dass er jetzt vorhatte, sie alle zu beschützen, das war nun doch überraschend. Schließlich aber erhob sich Liam und richtete überraschend eine Bitte an L. „Könntest du nachher Andrew Asylum zu dir bitten? Wenn er wirklich Beobachtungen machen konnte, dann möchte ich mir das genauer ansehen. Vielleicht erfahre ich aus seinen Erinnerungen etwas Genaueres.“ L war noch ein wenig zögerlich, aber er erklärte sich einverstanden. Also rief er Andrew und Oliver an und gab ihnen Bescheid, dass sie herkommen sollten. „Und du kannst Erinnerungen lesen?“

„Natürlich. Immerhin bin ich genauso wie Eva mit allen Lebewesen verbunden, weil wir sozusagen den Schnittpunkt von Leben und Tod verkörpern. Im Grunde sind die Menschen auf der Welt nichts Weiteres als Server und wir die Administratoren.“

„Oder wie diese Agenten aus „Matrix“, richtig?“

„Genau. Wir können beliebig die Körper wechseln oder ihre Seele durch eine neue ersetzen. Sonst würde man uns ja nicht als parasitäre Bewusstseinsformen bezeichnen. Ich hasse es, meine Kraft einzusetzen aber wenn es die Umstände erfordern, dann bleibt eben kaum eine andere Alternative.“ Nachdem sie eine Weile miteinander geredet hatten, ließ Liam von der Kellnerin Drinks bringen. Auch wenn er und L so am Anfang ziemlich auf Krieg aus gewesen waren, so begann Liam allmählich gesprächiger zu werden. Zwar hatte er seine kühle und überlegene Art noch nicht abgelegt, aber zumindest wirkte er nicht mehr so einschüchternd und furchteinflößend auf die anderen. Und die Tatsache, dass er ihnen helfen wollte, half auch, um zumindest mit ihm zu reden und seine Ansichten anzuhören. Schließlich aber zog er die Augenbrauen zusammen und schien nachzudenken. „Fragt sich, wer denn das Projekt jetzt leiten würde.“

„Tja, da müssen wir erst noch länger ermitteln.“

„Wahrscheinlich ist das gar nicht nötig. Lasst mich mal etwas versuchen.“ Liam faltete die Hände und schloss die Augen, wobei er den Kopf nach vorne neigte. Es sah aus, als würde er meditieren oder beten. Er hielt die Augen geschlossen, doch man konnte sehen, dass sich seine Augen bewegten. Dann schließlich blickte er wieder auf. Der goldene Ring in seiner rechten Iris leuchtete und er sah sehr ernst aus. „Wie ich es geahnt habe: Dr. James Brown lebt.“ Als Beyond das hörte, konnte er das nicht fassen und auch nicht glauben. Das war unmöglich. „Wie bitte? Ich hab gesehen, dass der Scheißkerl tot war. Ich hab ihm den Bauch aufgeschlitzt, genauso wie seine verdammte Kehle. Ich hab gesehen, wie er gestorben ist.“

„Er ist ja auch eindeutig gestorben“, erklärte Liam und erhob sich. „Aber so wie es aussieht, besitzt da jemand die Macht, seinen Tod einfach zurückzusetzen. Ich kann eindeutig spüren, dass er es ist. Und demnach ist jetzt auch klar, wer diesen Killer losgeschickt hat.“

„Scheiße verdammt“, fluchte der Serienmörder und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Und was ist, wenn der Dreckskerl vielleicht auch noch Andy umbringen will? Der ist doch gerade auf den Weg hierher!“

Angriff der Proxys

Andrew und Oliver waren erstaunt gewesen, dass L sie so schnell angerufen und dann auch noch von einem Club geredet hatte, wo sie sich treffen sollten. Das allein war schon untypisch für jemanden wie L und dann auch noch der Club „Black Lotus“. Dieser war, wie Oliver erzählt hatte, ein ziemlich exklusiver Club, wo sich ausschließlich die Superreichen oder Geschäftsleute trafen, die sich einen Namen gemacht hatten. Also nur etwas für die absolute Elite von Boston und nicht zugänglich fürs normale Volk. Allein die jährliche Mitgliedschaft des Clubs lag im sechsstelligen Bereich und versprach seinen Mitgliedern jeden erdenklichen Luxus. Aber was zum Teufel hatten L und die anderen dort zu suchen? Tja, das würden sie wahrscheinlich noch früh genug herausfinden. Neugierig waren sie auf jeden Fall. „Findest du nicht auch, dass L ganz schön gereizt am Telefon geklungen hat?“ Oliver verschränkte die Arme hinterm Kopf, sah hinauf in die Wolken und dachte nach. „Womöglich hat der gute Beyond ihn mal wieder zu sehr geärgert.“ Doch Andrew schüttelte den Kopf, denn so wie L geklungen hatte, schien es wohl mehr zu sein als bloß eine dieser üblichen Zankereien. „Das glaube ich nicht. Selbst dann hätte er nicht so geklungen. Da muss mehr dahinter stecken. Na hoffentlich ist es nichts Ernstes.“

„Vielleicht geht es ja auch um diesen Fall und L ist deshalb so angespannt.“

„Aber dann wären sie doch nicht in diesem Club. Überhaupt frage ich mich, was die da überhaupt zu suchen haben. Selbst Rumiko würde da doch nicht reingehen, immerhin hasst sie es, so exklusiv zu leben. Sie ist Musiklehrerin und bevorzugt das einfache Leben.“ Oliver zuckte nur mit den Achseln und ging weiter. Er war wie immer optimistisch und würde sich einfach überraschen lassen, was denn kommen würde. Egal was es war, er würde sich gewiss nicht die Laune verderben lassen. Dazu gab es zu viele Sachen, auf die er sich besonders freute. So zum Beispiel auch die geplante Hochzeit, die ihr gemeinsames Glück perfekt machen sollte. Und ihm kam da auch so eine Idee, die er seinem Verlobten auch sofort mitteilen wollte. „Du sag mal, Andy: was hältst du denn davon, wenn wir statt am Meer in einem botanischen Garten heiraten, wenn es Herbst ist? Wäre doch auch richtig schön.“

„Meinst du das im Ernst?“

„Klar doch. Das wäre doch absolut romantisch mit all dem Herbstlaub. Versuch dir das einfach mal vorzustellen. Wir machen auch keine allzu große Hochzeit. Nur die engsten Freunde und auch die Kinder. Die würden ja auch so gerne mit dabei sein. Was meinst du? Fändest du das auch nicht total schön?“

„Nein, ich verbinde mit dem Herbst immer negative Dinge. Immerhin bin ich im Herbst ins Waisenhaus gekommen und im Herbst habe ich Selbstmord begangen.“

„Dann können wir doch mit der Hochzeit im Herbst diesen Teufelskreis brechen und dann hast du auch eine schöne Erinnerung, wenn du an diese Jahreszeit denkst.“ Andrew konnte nicht anders als darüber zu lächeln. Er hakte sich bei Oliver ein und gab ihm einen Kuss. Selbst nach sieben Monaten fühlte er sich wie im siebten Himmel und konnte es kaum erwarten, wenn sie endlich heiraten würden. Es hätte ihm wirklich nichts Besseres passieren können, als Oliver zu begegnen und er konnte dem Schicksal nicht oft genug dafür danken. Dank ihm hatte er nicht nur seine Lebensfreude wiedergewonnen, sondern auch mehr an Selbstvertrauen dazugewonnen. „Ehrlich, ich liebe dich wirklich dafür.“ Sie bogen um eine Ecke und wollten weitergehen, doch da durchfuhr Andrew plötzlich ein brennender Stich in seinem Kopf und war so schmerzhaft und heftig, dass er die Kraft in den Beinen verlor und zu Boden sank. Sein Sichtfeld verschwamm und seine Sinne waren mit einem Male wie gelähmt. Es tat so weh… er wollte, dass es aufhörte. „Hilf… mir…“ Wer… wer sprach da zu ihm in seinem Kopf? Frederica? Nein… das war nicht sie. Diese Stimme war so anders. Aber… sie klang dennoch so vertraut. „Bitte… hilf mir… es tut so weh…“ Diese Stimme klang so gequält und schwach. Und sie kam ihm so vertraut vor, als hätte er sie schon mal gehört. „Andrew, du musst mir helfen. Bitte… ich… ich kann nicht mehr. Es tut so weh…“ „Andy!“ Oliver versuchte ihm hochzuhelfen, doch da wurde er sogleich von hinten gepackt, bekam einen Schlag ins Gesicht und einen Tritt in die Magengrube, bevor er zu Boden geschleudert wurde. Vor ihm stand eine Gestalt, vom Körperbau höchstwahrscheinlich männlich und knapp 1,80m groß. Er trug einen Motorradhelm, sodass man sein Gesicht nicht sehen konnte, schwarze Lederkleidung und Handschuhe. Auf seine Jacke war eine „01“ genäht worden und an seinem Gürtel trug er eine Pistole und ein Messer. Der gebürtige Ire wusste sofort was los war und sprang sofort auf als er sah, dass der Maskierte auf Andrew zuging, der sich aber immer noch nicht von dem Schmerz erholt hatte und vollkommen benommen wirkte. „Lass die Finger von ihm!“ Oliver war zwar unbewaffnet, aber er würde ganz gewiss nicht zulassen, dass der Kerl Andrew auch nur ein Haar krümmte. Doch der Helmträger wich seinem Schlag mit Leichtigkeit aus, verpasste ihm einen Kinnhaken, verdrehte seinen Arm und trat ihn erneut in die Magengrube. Die Schläge und Tritte waren so heftig, dass Oliver fast das Bewusstsein verlor und sogleich wurde er im Genick gepackt. „Chasov“, murmelte die Gestalt und stieß seinen Kopf gegen die Mauer, woraufhin Oliver das Bewusstsein verlor und regungslos auf dem Boden blieb. Andrew sah dies und bekam furchtbare Angst. Großer Gott, der Killer mit dem Motorradhelm. War er jetzt etwa hinter ihm her? „Sophie…“ Wie bitte? Wie hatte der Kerl ihn gerade genannt? Sophie? Aber das war doch der Name von einer aus Evas Familie. Sein verstorbenes Ich von vor über 400 Jahren. Aber warum nannte der Typ ihn so? „Was… was wollen Sie…“ Der Rest seiner Worte blieb ihm im Hals stecken. Er sah da etwas, was ihm irgendwie vertraut vorkam. Der Maskierte trug eine Kette… einen bläulichen durchsichtigen Würfel, in dessen Inneren sich ein weiterer Würfel befand. Ein Tesserakt. Hatte er so etwas nicht schon mal vor knapp neun Jahren gesehen? Bevor er reagieren konnte, zerrte der Maskierte ihn hoch, verpasste ihm einen Schlag ins Genick, wodurch ihm kurzzeitig schwarz vor Augen wurde. Ehe er sich versah, stemmte der Mann mit dem Motorradhelm ihn auf seine Schulter und wollte gehen, da rief auch schon jemand „Das würde ich an deiner Stelle besser bleiben lassen. Mein Boss hasst es nämlich, wenn jemand ihm ans Bein pinkelt.“ Johnny kam aus einer Gasse hervor und trug Schlagringe. Er grinste zwar, aber man sah ihm an, dass er sauer war. „So du Flachzange, ich geb dir drei Sekunden, um ihn da wieder runterzulassen. Oder es gibt gleich ein ganz dickes fettes Aua-Aua! Geht das in deinen Schädel rein?“ „Kazab…“ Johnny war für einen Moment irritiert, als er den Namen hörte. Seinen wahren Namen, den außer seiner Familie und Jeremiel sonst niemand kannte. Und ehe er sich versah, hatte der Maskierte ihm auch schon ein Messer ins Herz gerammt, dann lief er mit Andrew davon.
 

Als Liam einen alarmierenden Anruf von Delta und Marcel erhalten hatte, waren er und die anderen sofort rausgelaufen. Nicht weit entfernt sahen sie Johnny, der sich gerade um Oliver kümmerte. „Johnny, was ist los?“ Der etwas klein geratene Informant keuchte und wischte sich ein Blutrinnsal aus dem Mundwinkel. „Der Bastard ist verdammt kräftig. Er hat mich total aus dem Konzept gebracht, als er mich bei meinem richtigen Namen genannt hat und schon hatte ich ein Messer in der Brust. Hätte ich nicht Vorsorge getroffen, hätte ich mir einen anderen Körper suchen müssen. Ein glatter Herzstich. Der Kerl ist wirklich ein Profikiller. Den Iren dort hat er ziemlich verdroschen und ist mit seinem Begleiter abgehauen.“ „Und was stehst du hier so dumm in der Gegend herum, anstatt die Verfolgung aufzunehmen?“ rief Liam und war sichtlich wütend. „Delta hat die Verfolgung bereits aufgenommen und Marcel ist auch gleich hier. Ich wollte aufpassen, dass der arme Kerl hier nicht noch abgemurkst wird. Bekomme ich Sondergenehmigungen?“ Liams Blick verdüsterte sich merklich, dann sagte er „Sondergenehmigung erteilt. Aber vermeide unnötiges Aufsehen. Spür den Bastard auf und bring mir seinen Kopf. Der wird es bitter bereuen, dass er sich mit mir angelegt hat.“ Damit verschwand Johnny und lief dem Maskierten hinterher. Gleich schon kam auch Marcel herbei, der eine Magnum bei sich trug. „Marcel, wir bringen die Gruppe gemeinsam sicher nach Hause, während sich Johnny und Delta um den Killer kümmern und Andrew zurückbringen. Ich werde…“ Ein Schuss wurde ausgelöst und traf Marcel direkt in die Brust. Blitzschnell schossen aus dem Hinterhalt zwei weitere Maskierte hervor und attackierten sofort Liam, der geistesgegenwärtig ein Messer zog und die Klingen abwehren konnte, mit denen die beiden ihn angriffen. „Haben wir dich endlich, Araphel. Es wird Zeit, dass du zurückkehrst!“ Liam schlug einen der Angreifer weg und wurde sogleich von dem anderen attackiert und dann bohrte sich die Klinge in seinen Rücken. „Haut ab!“ rief er L und den anderen zu. „Los, verschwindet. Wir kümmern uns schon um alles.“ Damit liefen sie los und sogleich eilte einer der Angreifer hinterher. Doch da kam Marcel Lewinski wieder auf die Beine und schoss. Er traf den Helmträger zwei Mal in den Rücken, doch das machte ihm gar nichts aus. Stattdessen lief er einfach weiter, als wäre nichts gewesen. „Was zum…“ der Buchhalter runzelte die Stirn und nahm wieder die Verfolgung auf. Soso, der trägt eine kugelsichere Weste. Sogleich schoss er erneut und traf den Helmträger ins Bein und das verwunderte ihn noch mehr. Irgendetwas Seltsames ging hier vor sich, das spürte er genau und diese Maskierten waren hinter Evas Familie her. Aber wieso? Und warum hatten sie Liam bei seinem richtigen Namen genannt, genauso wie Johnny? Das war alles ein Rätsel. Schließlich gelang es ihm aufzuholen und so bekam der den Helmträger zu fassen. Sogleich drückte er ihm die Pistole gegen den Helm und schoss. Die Kugel durchbohrte den Schädel seines Angreifers und dann fiel dieser zu Boden. Dabei bemerkte Marcel eine Nummerierung auf der schwarzen Lederjacke: 07. Merkwürdig, der andere hatte eine „02“ und der andere eine „01“. Dann war es also kein einzelner Killer, sondern mehrere? Aber weshalb trugen sie diese Kleidung und warum die Nummern? Und wer war das überhaupt? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Er musste ihm den Helm abnehmen. „Na dann wollen wir mal sehen, wer du…“ Blitzschnell hatte sich der Helmträger, der eigentlich tot sein sollte, aufgerichtet und Marcel die Klinge in den Bauch gerammt. Er führte einen tiefen Schnitt durch und schlitzte ihm dann die Kehle auf. Der Buchhalter brach zusammen und blieb liegen. Doch anstatt, dass er den Flüchtigen hinterherlief, ergriff er die Flucht und verschwand. Er rannte in eine Seitengasse, kletterte die Feuerleiter herauf und gelangte aufs Dach. Kurz sah er sich um, als versuche er sich zu orientieren. Doch so wirklich schien er nichts zu sehen und wollte dann gerade weitergehen, da ergriff ihn jemand von hinten und packte ihn grob an der Schulter. Es war der zweite Maskierte mit der Nummer 02. „Wo willst du schon wieder hin, Sariel?“ „Nach ihm suchen. Er ist mit Sophies Wiedergeburt gegangen und ich dachte, er könnte Hilfe gebrauchen.“ Doch sogleich erhielt „Sariel“ einen Schlag gegen den Kopf. Der Helm zerbrach und zum Vorschein kam ein Mädchen von knapp 14 oder 15 Jahren. Ihr langes weißes Haar fiel ihr ins Gesicht und sie taumelte benommen zurück. „Was soll das?“ rief sie und sofort riss der andere Maskierte ihr an den Haaren, woraufhin sie vor Schmerz laut aufschrie. „Aua, lass meine Haare los, Sheol. Du tust mir weh!“ „Mr. Woodpecker sagte mir gerade, dass du dich schon wieder drücken willst. Er ist ganz und gar nicht erfreut und wenn er nicht erfreut ist, dann kann er sehr ungemütlich werden. Dann tut er mir nämlich immer so weh. Er wird dann richtig böse. Und auch Cry will, dass ich dir Manieren beibringe. Wir haben den klaren Befehl, Araphel und die anderen zu töten. Mutter und Vater zählen auf uns und du willst dich schon wieder davonschleichen weil du zu feige bist! Du bist Abschaum! Du bist kein richtiger Proxy, sagt Cry.“

„Wach doch endlich auf, Sheol. Das, was wir machen ist falsch. Noch ist es nicht zu spät, wir können es noch aufhalten. Wir dürfen das nicht zulassen.“ Doch er brach in ein lautes Gelächter aus, riss Sariel wieder an den Haaren und stieß sie zu Boden, woraufhin er ihr ins Gesicht trat. „Wir wurden allein dafür geboren. Es liegt in unseren Genen! Mag sein, dass in deren Adern Blut fließen mag, aber in meinen Adern… da pulsiert pures Gift. Ich wurde geboren, um ihn zu erwecken! Wir sind Proxys, wir sind seine Diener und Engel, die seine Rückkehr einläuten werden. Aber du als Jüngste warst schon immer neben ihm das schwächste Glied, sagt Cry. Du bist unrein und seiner nicht würdig, sagt Mr. Woodpecker. Du bist noch so grün hinter den Ohren und brauchst erst mal eine gehörige Tracht Prügel, um wieder vernünftig zu werden, sagt Mr. Woodpecker.“

Sariel schwieg und blieb zuerst auf dem Boden liegen, dann ergriff sie ihre Waffe und griff an, doch Sheol blockte den Angriff spielerisch ab. Er lachte, packte sie am Nacken und drückte ihr die Klinge an den Hals. Dann aber ging er näher an sie heran und sog die Luft durch die Nase ein, so als wolle er einen Geruch einfangen. „Du stinkst nach Schwäche und Angst. Du bist immer noch zu menschlich. Wie widerlich… wie erbärmlich… so unrein…“ Sariel blickte ihn an, ihr Blick zeugte tatsächlich von Angst, denn sie wusste, was sie für ihren Fehltritt bezahlen musste. Und sie wusste, dass die Hölle sie erst noch erwarten würde, wenn sie wieder zurückkehrte und für Fehlverhalten geradestehen musste. Aber dennoch wollte sie nicht so schnell aufgeben. „Sheol, Mum hätte nicht gewollt, dass…“ „Nastasja ist nicht unsere Mum und sie ist nicht mehr da. Vater und Mr. Woodpecker sagten, wir müssten sie töten. Sie wusste zu viel und sie hat sich gegen Mutter gestellt. Sie musste sterben! Diese Russenschlampe musste verrecken!“

„Hör auf, sie in den Dreck zu ziehen!“ rief Sariel und befreite sich, dann stieß sie Sheol von sich und taumelte zurück. Doch er lachte nur und ihm schien das zu gefallen. „Cry fragt gerade, wieso du dieses Miststück verteidigst. Sie ist nicht unsere Mutter!“

„Sie hat es getan, weil sie wusste, dass es falsch ist. Sie hat uns als Menschen gesehen. Sie hat uns geliebt und sie war uns mehr eine Mum als unsere Mutter.“

„Wir sind keine Menschen, sondern Proxys. Sie hat uns davon abgehalten, zu etwas Größerem zu werden, als ein Mensch es jemals werden könnte! Sie hat uns von unserer Bestimmung abgehalten und uns verraten. Diese Schlampe und ihr Mann haben es nicht anders verdient als zu verrecken und dieses Drecksbalg hätte mit ihr sterben sollen, sagt Cry.“ Mit diesem Aufschrei schlug Sheol mit seiner Klinge nach ihr, doch Sariel wich aus und eilte zur Feuerleiter und rannte die Stufen hinunter. Sheol rannte ihr hinterher und so ging es den Weg nach unten. Gerade wollte sie weiter nach unten, da stieß sie mit Jeremiel zusammen, der nach oben gelaufen war. Dabei prallten sie so heftig zusammen, dass er den Halt verlor und über das Geländer stürzte. Sariel konnte ihn nicht mehr festhalten und verhindern, dass er in die Tiefe stürzte. Knapp zwei Stockwerke fiel er herunter und schlug hart auf dem Boden auf, wo er regungslos liegen blieb. Sariel erstarrte, als sie das sah, dann schlug sie sich fassungslos die Hand vor dem Mund. Großer Gott, das war doch „Nikolaj“. Was… was hatte er hier gesucht? Warum nur war er hier und wieso hatte sie ihn nicht festgehalten? Sie beugte sich übers Geländer und sah ihn dort unten liegen. Er regte sich nicht mehr. Das sah nicht gut aus. Das sah ganz und gar nicht gut aus. Zwar war er ein Hybrid, aber er war größtenteils menschlich und besaß keine besonderen Fähigkeiten. Für einen Menschen konnte dieser Sturz gefährlich werden. Schlimmstenfalls sogar tödlich. Sie musste schnell nach ihm sehen und ihm helfen, bevor Mutter noch aufmerksam wurde und es zu spät war. „Hey Sariel, Mr. Woodpecker hat ein Wörtchen mit dir zu reden!!!“ Gerade schon, als Sheol nahe genug war um sie zu packen, da holte sie zum Schlag aus und trennte ihm mit einem Hieb ihrer Klinge den Arm ab. Sheol schrie laut auf und presste eine Hand auf den blutenden Stumpf. „Du verdammte Nutte“, brüllte er in einer fürchterlichen krächzenden und fremdartigen Stimme. „Ich werde dich auseinanderreißen, dass du nie wieder aufstehen kannst! Ich reiß dir den Kopf ab, du Hure, sagt Cry!!!“ Sariel beachtete ihn nicht weiter und rannte die restlichen Stufen hinunter und eilte zu Jeremiel hin. Dieser blutete stark am Kopf und gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Sariel kniete sich neben ihm hin, zog ihre Handschuhe aus und legte eine Hand auf seine Stirn. Er war schwer verletzt und hatte sich beim Sturz das Genick gebrochen. Dabei… dabei hatte sie nicht gewollt, dass Evas Familie etwas passierte. Sie wollte sie alle doch bloß warnen. „Hey!“ Sie sah auf und erkannte L und Beyond, die auf sie zugeeilt kamen. Doch sie machte keine Anstalten sie anzugreifen. L blieb abrupt stehen und seine Augen weiteten sich vor Fassungslosigkeit. Auch Beyond konnte nicht fassen, was er da sah und traute seinen Augen nicht. „Das gibt es nicht“, brachte der Detektiv hervor und schüttelte den Kopf. „Frederica? Bist… bist du es? Warum hast du das getan und was hast du Jeremiel…“ L wollte zu ihm hin, doch Beyond hielt ihm am Arm fest und senkte den Blick. „L, es ist zu spät… er ist tot.“ Nein, das konnte doch nicht sein. Warum nur? Warum hatte Frederica seinen Bruder getötet und was war passiert, als Jeremiel sich einfach so abgesetzt hatte und einfach in die Gasse gelaufen war? Wieso nur war das geschehen und warum war er auf einmal tot? „Nein, das kann nicht sein.“ L spürte, wie sich seine Brust schmerzhaft zusammenschnürte und er stand den Tränen nahe. Das konnte doch nicht wahr sein. Jeremiel… sein Bruder sollte wirklich tot sein? Das konnte doch nur ein Scherz sein. Als L den leblosen Körper seines älteren Zwillingsbruders sah, da fühlte er sich wieder an jene Szene zurückerinnert. Ein schreckliches Bild tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Beyond, als dieser in seinen Armen gestorben war. All das Blut und das Gefühl, als ihm das letzte bisschen seiner Kraft entwichen war. Das konnte doch nur ein Alptraum sein. Ja, es musste sich um einen Traum handeln, denn Frederica war tot! Er hatte gesehen, wie auch sie gestorben war, er hatte sie beerdigt und gesehen, wie sie eingeäschert worden war. Sie war tot und begraben… und Jeremiel war es… Er war so plötzlich verstorben, dass es einfach ein Traum sein musste. Ein böser Traum und mehr nicht. Alles ist gut. Ich träume doch sicherlich nur. Wenn ich die Augen wieder aufmache, dann ist alles gut und es ist nicht passiert. Nie und nimmer ist das hier auch noch passiert. Es darf einfach nicht schon wieder passieren! Ich habe doch schon Frederica und meine Eltern verloren. Da kann ich doch nicht auch noch meinen Bruder verlieren, den ich kaum kenne und erst vor kurzem kennen gelernt habe. Bitte, es muss einfach ein Traum sein. Doch zugleich erkannte L, dass dies kein Traum war, auch kein Alptraum, sondern die grausame Realität. Frederica stand da vor ihm, mit der Leiche seines Bruders. Der Detektiv, der nun völlig unter Schock stand, taumelte zurück und zitterte am ganzen Körper. Ohne es zu wollen, kamen all diese Gefühle wieder hoch. Die Angst, die Trauer, die Verzweiflung… es erinnerte ihn so sehr an Beyonds Tod und obwohl er für gewöhnlich eine ungeheure mentale Stärke besaß, konnte er nicht verhindern, dass ihm die Tränen kamen. Er senkte den Blick und fühlte sich in diesem Moment genauso hilflos und schwach wie vor einem Monat, als er den sterbenden Beyond im Arm gehalten hatte, während dieser seine letzten Atemzüge getan hatte. Doch dieses Mal war es nicht Beyond, sondern Jeremiel. Sein eigener Bruder und damit die einzige leibliche Familie, die er bis dahin noch gehabt hatte.

Jeremiel war tot und mal wieder war er einfach nur unfähig gewesen, um ihn zu retten.

Bilder des Horrors

Das Mädchen mit den weißen Haaren blickte L einen Moment lang schweigend an, sah die Trauer in seinem Blick und die Tränen. Und in diesem Moment wirkte auch sie genauso bestürzt und unendlich traurig, als würde sie mit ihm leiden. Sie kniete sich neben Jeremiel hin und strich sanft über seine Wange. Das alles war ein schreckliches Versehen gewesen und hätte nicht passieren dürfen. Es war ihre Schuld, dass er jetzt tot war… Dabei hatte sie doch versprochen, dass sie alles tun würde, um solch eine Tragödie zu verhindern und nicht zuzulassen, dass Evas Familie etwas zustoßen würde, geschweige denn Nastasjas Familie. „Warum?“ brachte L schließlich hervor und ballte die Hände zu Fäusten. „Sag mir warum du das getan hast, Frederica! Wieso hast du meinen Bruder umgebracht und was hat das alles zu bedeuten? Warum habt ihr uns angegriffen und wieso bist du am Leben?“ „Ich bin nicht Frederica. Mein Name ist Sariel und ich habe Jeremiel nicht getötet. Er ist über das Geländer gestürzt, als wir auf der Feuerleiter zusammengestoßen sind. Ich wollte doch nicht, dass das passiert. Das war ein Unfall…“ Damit wandte sie sich dem leblosen Jeremiel zu und dann geschah etwas, was dem Serienmörder irgendwie vertraut vorkam. Das Mädchen legte ihre Hände auf Jeremiels Schläfen und berührte dann ihre Stirn mit der seinen. Und was dann geschah, konnte Beyond dank seines Shinigami-Augenlichts als Einziger wirklich erkennen: Jeremiels Name erschien wieder, genau wie seine Lebenszeit und die Wunde an seinem Kopf war plötzlich verschwunden… Hatte sie ihn da gerade auf irgendeine wundersame Weise wiederbelebt? Ja aber das war doch völlig unmöglich! So etwas konnte es doch nie und nimmer geben. Wer zum Teufel war dieses Mädchen und warum sah sie haargenau so aus wie Frederica? Die beide konnten quasi Zwillinge sein! Und wie hatte sie es geschafft, Jeremiel wiederzubeleben? Schließlich erhob sich das Mädchen und sah sie an. „Ich bin ein Proxy. Genauer gesagt bin ich Proxy-07 und damit der jüngste Proxy. Hört zu: ihr alle seid in großer Gefahr. Vater wird alles daran setzen, alle Bruchstücke zusammenzufügen! Und das darf niemals geschehen, ansonsten würde dies zu einer Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß führen. Bitte, ihr müsst ihn aufhalten, bevor es zu spät ist!“

„Wo-wovon sprichst du und wer oder was sind die Proxys? Was wollt ihr von uns?“

„Wir sollen…“ Sariel unterbrach augenblicklich und verharrte. Ihr Blick verlor jeglichen Glanz, das Leben schwand aus ihrem Gesicht und sie wirkte plötzlich mit einem Male vollkommen geistesabwesend. Sie starrte sie ausdruckslos an und ihre Augen wirkten plötzlich so leer und leblos… Es war der gleiche Blick wie bei Sam Leens. „Mutter ruft uns…“, sagte sie tonlos und wandte sich ab. „Es ist Zeit, nach Hause zu gehen…“ Damit wollte sie verschwinden, doch Beyond versuchte noch, sie aufzuhalten. „Halt warte! Was hast du mit Jeremiel gemacht und was habt ihr vor? Hey!“ doch da rannte Sariel auch schon weg und kletterte unglaublich flink die Balkons hinauf und war schließlich über die Dächer verschwunden. Da es sinnlos war ihr zu folgen, ging der BB-Mörder stattdessen zu Jeremiel hin, der immer noch regungslos auf dem Boden lag. Er fühlte seinen Puls und musste auch zwei Mal hinsehen um sicherzugehen, dass sein Shinigami-Augenlicht ihn nicht täuschte. Ganz eindeutig: er war am Leben, ganz außer Frage, Irrtum ausgeschlossen! Das war merkwürdig. Er hatte doch ganz eindeutig gesehen, dass Jeremiel den Sturz von der Feuerleiter nicht überlebt hatte. Es war ihm sowieso ein totales Rätsel, wieso der Idiot einfach hier in die Gasse gerannt war obwohl ihm doch klar gewesen sein müsste, dass er sich nur in Lebensgefahr begab. Aber er hatte einfach gesagt, er hätte einen Schrei gehört und wolle nachsehen gehen. Und er sagte, er hätte irgendetwas „gespürt“. Tja und als er und L schließlich die Gasse erreicht hatten, lag Jeremiel auch schon tot auf dem Boden mit einer schweren Kopfverletzung, die von dem Sturz herrühren musste. Das alles wurde immer rätselhafter. Wieso jagten die Proxys sie erst und retteten Jeremiel dann das Leben? Von hinten ertönten Schritte und Beyond sah, dass es Liam war. Obwohl der Kampf mit den Maskierten schon hart gewesen war, schien er dennoch unversehrt zu sein und eilte direkt zu ihnen hin. „Was ist passiert?“

„Jeremiel ist einfach abgehauen und dann beim Zusammenstoß mit einem von den Kerlen von der Feuerleiter gestürzt. Ich hab eindeutig gesehen, dass er gestorben ist, aber dieser Proxy hat ihn wiederbelebt. Und… sie sah haargenau so aus wie Frederica!“ Liam kniete sich hin und untersuchte Jeremiel. Doch er konnte nichts feststellen. Er war vollkommen unversehrt und lebte noch, war allerhöchstens nur ohnmächtig. „Offenbar wurde sein Tod zurückgesetzt.“

„Wie jetzt zurückgesetzt?“

„Das ist eine Technik, die alle aus meiner Familie beherrschen. Den gesamten Zeitablauf zurückzusetzen, wie Frederica es 58 Male getan hat, das kann so gut wie niemand, nicht einmal Eva. Frederica und ich sind die einzigen Ausnahmen, weil ich ihr das beigebracht habe. Die gesamte Zeit zurückzusetzen ist sehr anstrengend und kompliziert. Aber die individuelle Zeit zurückzusetzen ist keine Kunst. Im Grunde funktioniert es so, als hätte man eine Vase umgeworfen und sie zerbrochen. Anstatt die ganze Zeit zurückzuspulen wie bei einem Film, wird nur der Zeitverlauf der Vase bis zu dem Zeitpunkt zurückgesetzt, wo sie noch heil war. So wird dieser Vorfall ungeschehen gemacht. Dieses Prinzip funktioniert auch mit Lebewesen, allerdings ist es höchst anstrengend, den Tod von Personen zurückzusetzen, die länger zurückliegen. Unsere Körper haben auch ihre Belastungsgrenzen. Schlimmstenfalls könnten diese gänzlich dabei zerstört werden. Dieser Proxy beherrscht offenbar die Fähigkeit, individuelle Zeitabläufe zurückzusetzen und somit Jeremiels Tod ungeschehen zu machen. Aber das verstehe ich nicht. Ich hätte doch sofort gespürt, wenn es sich um einen Abkömmling von mir oder Eva gehandelt hätte. Immerhin kann ich sehr deutlich spüren, dass Jeremiel Evas Gene trägt. Aber die Proxys habe ich nicht als Unvergängliche oder Mischlinge wahrgenommen. Irgendetwas sehr Merkwürdiges geht hier vor und das gefällt mir ganz und gar nicht.“ Nachdem sich L von seinem Schock erholt hatte, ging er sofort zu seinem Bruder hin, der immer noch bewusstlos war. „Wird er bald wieder aufwachen?“ „Auf jeden Fall. Es wird eben halt nur ein paar Stunden dauern, weil es eine Weile dauert, bis sich auch sein Geist davon erholt hat und er wieder der Alte ist. Aber ihm fehlt nichts. Wir sollten besser zurückgehen. Delta und Johnny sind ja bereits unterwegs, um Andrew zu befreien. Mich würde ja wirklich interessieren, ob die etwas aus dem anderen Kerl herausquetschen können. Wir sollten besser gehen, bevor noch mehr Angreifer kommen.“ „Und was ist mit diesem Marcel? Dieser Proxy hat ihn ziemlich übel zugerichtet und ich glaube nicht, dass er sich davon so schnell erholt. Der sah mir eher mausetot aus.“ Doch Liam schien sich da nicht sonderlich Sorgen zu machen was das betraf. Er hob den bewusstlosen Jeremiel hoch, da er der Größte und Kräftigste von ihnen war und ging mit ihnen zu einer Limousine, die nicht weit von der Gasse entfernt parkte. „Marcel ist ein Unvergänglicher. Er wird sich einen neuen Körper suchen und schneller wieder zurück sein als ihr glauben würdet.“ Als er L’s missmutigen Ausdruck im Gesicht sah, ahnte er schon was dieser dachte und erklärte „Wir besetzen nicht wahllos irgendwelche Körper. Wir versuchen sie schon so lange wie möglich zu halten, weil wir immerhin die Persönlichkeit unseres Trägers zerstören. Deshalb suchen wir uns unseren neuen Wirtskörper gezielt aus und wechseln ihn auch nur dann, wenn er völlig unbrauchbar wird und sich nichts mehr machen lässt.“

„Und wie lange hast du diesen Körper schon?“ fragte Beyond aus reiner Neugier und sogleich lächelte Liam ihn listig und überlegen an. „Was schätzt du?“ Unsicher zuckte der Serienmörder mit den Achseln und sogleich antwortete der Unvergängliche „Ich hatte diesen Körper schon, als die Menschen so langsam geschnallt hatten, dass die Erde rund ist. Und bevor du weiterfragst: das ist mein zweiter Körper. Delta hatte bereits drei, Johnny hat auch schon seinen zweiten und Marcel hatte bis heute noch seinen ersten.“
 

Als Andrew langsam wieder zu Bewusstsein kam, spürte er einen etwas kühlen Windzug. Immer noch tat ihm der Kopf weh und er brauchte einen Moment, um wieder klar zu sehen und um zu erkennen, dass er sich auf einem Dach befand. Aber wieso war er hier? Er versuchte sich zu erinnern, was ihm aber nicht gerade leicht fiel. Au verdammt, der Kerl hatte ihn nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst… Ja richtig, jetzt erinnerte er sich wieder. Er war mit Oliver auf den Weg zum Club gewesen, da waren sie hinterrücks überfallen worden. Der Kerl mit dem Motorradhelm hatte Oliver verprügelt und ihn bewusstlos geschlagen. Und dann bin ich wohl entführt worden. Aber wieso ich? Was will er von mir und wieso hat er mich „Sophie“ genannt? Andrew wollte aufstehen, doch sein Körper war wie gelähmt und er brachte einfach nicht die Kraft dazu auf. Schritte ertönten und als er aufsah, da erkannte er den Typ mit dem Motorradhelm, der ihn angegriffen hatte. Dieser kam direkt auf ihn zu und trug diesen Tesserakt um den Hals. Derselbe Tesserakt, wie Elion ihn vor neun Jahren getragen hatte, bevor er starb. Andrew versuchte, all seine Kraftreserven zu mobilisieren und zu fliehen, aber immer noch fehlte ihm einfach die Kraft dazu und selbst jetzt war er noch benommen. „Wer bist du und wieso hast du dieses Ding um deinen Hals? Sag schon! Hast du Elion damals umgebracht?“ Keine Antwort. Der Maskierte kam immer näher, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Dann schließlich blieb er direkt vor seiner Geisel stehen. Eine Zeit lang geschah nichts und er blieb reglos stehen, als wäre er erstarrt. Dann aber nahm er seinen Helm ab. Graues Haar fiel ihm über die Schultern und zwei verschiedene Augenfarben leuchteten Andrew an. Eisblau und goldgelb. Doch die Augen wirkten so leer und leblos, genauso wie Puppenaugen. Das Gesicht zeugte von keinerlei Emotionen oder anderen Regungen. Es war genauso nichts sagend und ausdruckslos wie das von Sam Leens. Ja, es war so, als würde er in Sam Leens’ Gesicht sehen! Aber… es war dennoch so anders. Es kam ihm so vertraut vor und er kannte auch dieses Gesicht. Es war das eines alten Freundes, der ihn im Institut damals immer besuchen kam, immer diese Spieluhr bei sich trug und für sein Leben gerne Kekse mit Cremefüllung aß. Aber das war doch unmöglich… das musste eine Täuschung sein! Nie und nimmer war das ausgerechnet er! Doch die Ähnlichkeit war einfach allzu deutlich und auch wenn dies jeglicher Logik entbehrte, so ließ es doch eigentlich keinen anderen Schluss zu als den, dass es wirklich so war wie es schien. „Das… das kann doch nicht sein. Elion?“ Wieder kam keine Antwort. Es schien so, als wäre sein Gegenüber nicht mehr fähig, sich in irgendeiner Weise mitzuteilen. Als wäre alles Leben aus ihm gewichen. Er war… nicht mehr menschlich. Andrew verstand das alles nicht. Elion war doch tot gewesen. Er hatte eindeutig gesehen, dass er tot war. Sein ganzer Körper war blutüberströmt gewesen und die Wunden waren so dermaßen tief, dass er das unmöglich überlebt haben konnte. Und dennoch stand Elion in wahrhaftiger Gestalt vor ihm und lebte. Zumindest rein äußerlich. Denn sein Blick wirkte gebrochen und tot, als wäre in ihm alles längst abgestorben und als existiere da nur noch eine leere Hülle. Ihn so zu sehen schmerzte Andrew und er konnte nicht begreifen, wie das nur passieren konnte. Was war nur mit Elion passiert und was hatten sie mit ihm gemacht? „Hilf… mir…" Diese Stimme klang so schwach und gequält, als würde da irgendjemand entsetzliche Qualen erleiden und als würde ihm langsam die Kraft entweichen. Das war doch Elions Stimme. „Elion, was hat das zu bedeuten und was ist mit dir passiert? Warum hast du uns angegriffen und mich entführt? Steckst du hinter diesen Morden?“ Keine Reaktion und keine Antwort. Es schien so, als könnte seine Stimme ihn nicht mehr erreichen. Was auch immer mit Elion passiert war, es hatte ihn seelisch gebrochen und er war nur noch eine lebende Leiche. Was um Gottes Willen hatten sie ihm nur angetan, dass aus diesen so freundlichen, herzlichen und sanftmütigen Menschen so etwas geworden war? Schließlich aber kam Elion noch einen Schritt näher und öffnete den Mund, als wolle er sprechen. „Sophies Wunsch“, sagte er tonlos. „Gib ihn mir.“ „Wie bitte?“ fragte Andrew verständnislos. Was meinte er damit und was war denn „Sophies Wunsch“? Elion kniete sich vor ihm hin und streckte seine Hände nach ihm aus. Andrew, der auch ein Stück weit Angst vor ihm hatte, war wie erstarrt und sah ihn hilflos an. Elions Hände fühlten sich eiskalt an, als würden sie einer Leiche gehören. Er legte diese auf Andrews Schläfen und dieser ahnte irgendwie, was gleich kommen würde. Doch er wollte es nicht und wollte sich dagegen wehren, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Und so legte Elion seine kalkweiße Stirn auf Andrews ab und in dem Moment wurde dem Rothaarigen schwarz vor Augen.
 

Das Erste, was Andrew wieder wahrnahm, waren Schreie. Er hörte unzählige Stimmen, die von Schmerzen gepeinigt waren und wehklagten und schrieen. Ein intensiver Blutgeruch umgab ihn wie einen dichten Nebel und er hörte das Surren von Fliegen. Es war heiß und stickig und er hatte Angst davor, die Augen zu öffnen. Doch es blieb ihm wohl kaum etwas anderes übrig. Und als er die Augen öffnete, glaubte er, sich im Inneren der Hölle zu befinden. Vor ihm lagen riesige Trümmern von Häusern, Leichenberge stapelten sich unzählige Meter hoch und das Blut ging kniehoch. Aasfliegen schwirrten in riesigen schwarzen Schwärmen über den Kadavern und boten ein ekelerregendes Bildnis. Der Himmel war dunkelrot und in der Ferne waren riesige Feuerwolken zu sehen. Ein markerschütterndes Brüllen, das nicht von dieser Welt zu kommen schien, ließ die Erde zittern und Andrew packte das blanke Entsetzen. Er wollte nur noch weg von hier. Weg von dieser riesigen Wolke. Mit Mühe kämpfte er sich durch den riesigen Blutsee, wo überall abgerissene Leichenteile trieben oder Überlebende versuchten, ihn zu packen. Noch nie in seinem Leben hatte Andrew solch eine Angst gehabt wie jetzt. Was war das nur für ein entsetzlicher Ort und wieso war er hier? Er watete weiter durch den riesigen Blutsee und hörte dabei inmitten dieses entsetzlichen Geschreis eine Stimme, die ein Lied sang. Es war ein Kinderlied, welches er schon mal gehört hatte, nur klang es irgendwie unheimlich und auch die Tatsache, dass es an einem solchen Ort gesungen wurde, ließ ihn erschaudern.
 

„Mary, Mary quite contrary

How does your garden grow?

With silver shells and cockle shells

And pretty maids all in a row...

And pretty maids all in a row...”
 

Andrew konnte nicht genau bestimmen, woher dieser schauerliche Gesang kam, doch er wollte das lieber nicht herausfinden. Nachdem er eine Weile durch diese alptraumhafte Landschaft geirrt war, da sah er auf einer Art kleinen Insel, die aber mehr an einen riesigen pulsierenden Fleischklumpen erinnerte, ein Kind sitzen, das diese Melodie sang. Es sang dieses Lied immer und immer wieder wie in einer Endlosschleife. Andrew spürte, dass dieses Kind irgendwie nicht hierher gehörte und kämpfte sich weiter durch den Blutsee. „Hey!“ rief er und versuchte sich weiter voranzukämpfen, doch ihm war, als würde all das Blut zu einer dickflüssigen Masse werden und jeder weitere Schritt wurde zu einer ungeheuren Kraftanstrengung. Schließlich aber drehte sich das Kind zu ihm um und Andrew sah eine Monstrosität vor sich, die ihm beinahe den Verstand raubte. Es war ein so ungeheuer abstoßendes und widerwärtiges Etwas, das ihn mit Augen anstarrte, die seinen Betrachter in den Wahnsinn treiben konnten. Es grinste und entblößte dabei Zähne, wie sie nicht einmal ein Raubtier besaß. Entsetzt wich der 25-jährige zurück und schrie, doch da ergriff das Kind seinen Arm und ein ekelhafter Pesthauch von Tod und Verwesung strömte aus dem Rachen dieses Etwas. „Gefällt dir mein Garten?“ fragte es mit einer Stimme, die nicht von dieser Welt zu kommen schien. „Schon bald wird aus den Leichenbergen ein neues Paradies erschaffen werden. Und du wirst zu einem Teil davon werden. Du wirst zu einem Teil von mir werden!“ Als dieses Etwas ihn am Arm ergriff, da durchfuhr ein höllischer Schmerz Andrews ganzen Körper und als er sich losreißen konnte, sah er schwere Verbrennungen auf seinem Arm. Narben und Geschwüre begannen sich zu bilden und es fühlte sich an, als würde brennende Säure durch seine Adern fließen. Es tat so weh… es… es fühlte sich an, als würde irgendetwas sein Innerstes zerfressen. Vor Schmerz stöhnend taumelte er zurück in den Blutsee, da schoss plötzlich etwas auf dem Blutsee heraus und packte ihn. Es war eine Kreatur, die nur noch im Entferntesten etwas halbwegs Menschliches an sich hatte. Das Gesicht war deformiert und das Fleisch schmolz ihm langsam aber sicher von den Knochen. Die untere Körperhälfte fehlte gänzlich und alles, was Andrew erkennen konnte, war ein von Leid erfülltes Augenpaar. Ein goldgelbes und ein eisblaues Auge. Als er erkannte, was dieses Ding da wirklich war, schrie er entsetzt auf und wollte sich losreißen, doch es hatte keinen Sinn. Dieses Ding… Elion… er ließ einfach nicht los und klammerte sich an ihm fest. „Hilf mir… bitte…“, flehte er mit schwacher und gequälter Stimme und krallte sich an Andrew fest und zog ihn damit unerbittlich immer tiefer in den Blutsee hinein. „Es tut so weh… bitte… ich will das nicht mehr. Bitte… ich… ich kann nicht mehr.“ Doch Andrew war dazu nicht imstande. Er hatte einfach nur Angst und der Schmerz in seinem Arm wurde immer intensiver. Es fühlte sich an, als würde eine Säure ihn bis auf die Knochen zerfressen und dieser entsetzliche Schmerz schaltete alles bei ihm aus. Unerbittlich versank er immer tiefer im See und versuchte sich irgendwie wieder hochzukämpfen, doch Elion zerrte ihn nur noch tiefer hinein und ehe sich Andrew versah, war er schon bist zur Brust darin versunken. „Bitte…“, flehte Elion, dessen Körper immer weiter zerfiel, während der Rest von tiefen blutigen Wunden übersät war. „Hilf mir, Andrew… Hilfe…“ „Lass mich los! Hör auf, du ziehst mich immer weiter runter. Lass mich los, Elion!“ Doch Elion hörte nicht auf ihn. Stattdessen brachte er nur ein schmerzerfülltes und gequältes Stöhnen von sich und hielt sich an Andrew fest. Tränen liefen seine blutigen und deformierten Wangen hinunter. Das halbe Gesicht war fast vollständig weggeschmolzen und es bot einen furchtbaren Anblick. Unerbittlich versanken sie noch tiefer in den Blutsee, bis sie schließlich vollständig darin versanken. Alles um ihn verschwand in eine rabenschwarze Tiefe, sein ganzer Körper fühlte sich so heiß an, als würde er verbrennen. Sein Arm, wo ihn dieses Monster berührt hatte, schmerzte und dieser brennende Schmerz begann immer heftiger zu pulsieren. Langsam kroch dieses zerfressende Brennen immer höher und war unaufhaltsam. Es fühlte sich wie eine schleichende Krankheit an und ihm wurde übel. Dieser pulsierende Schmerz war kaum auszuhalten und trieb ihn fast in den Wahnsinn. Er brach zusammen und blieb regungslos liegen. Die Schmerzen lähmten seinen gesamten Körper und raubten ihm fast den Atem. Was… was passiert da mit mir? Was hat dieses Ding mit meinem Arm gemacht und was geschieht hier nur? Wo bin ich überhaupt? Ich verstehe das alles nicht. Elion ist doch tot… Ich habe gesehen, dass er tot war. Warum also? Warum ist er wieder da und was haben sie ihm angetan? Und wieso zeigt er mir all das? Andrew schaffte es nur mit einer unglaublichen Kraftanstrengung, wieder aufzustehen, als er festen Boden unter den Füßen spürte. Seltsamerweise konnte er ganz normal atmen, so als wäre er gar nicht mehr im See. Doch sogleich, als er seinen verletzten Arm belasten wollte, da durchfuhr ihn ein so infernalischer Schmerz, dass er laut aufschrie und sich am liebsten wünschte, als würde man ihm den Arm amputieren. Es tat so weh… Der ganze Unterarm war bis zum Ellebogen hin schrecklich deformiert. Die Haut war völlig zerfressen und eitrige Blasen, Geschwüre und tiefe Brandwunden fraßen sich immer weiter durch. Der Anblick trieb ihm Tränen der Verzweiflung in die Augen. Was hatte dieses Ding mit seinem Arm gemacht?

„Andrew…“ Ein eiskalter Schauer lief über seinen Rücken als er diese Stimme hörte und Tränen sammelten sich in seinen Augen. Er zitterte am ganzen Körper und wusste, was da hinter ihm lauerte. „Nein… bitte…“ Langsam drehte er sich um und sah wieder Elion oder zumindest das, was von ihm übrig geblieben war. Er versuchte auf ihn zuzukriechen und hinterließ dabei eine lange Blutspur. Der 25-jährige wollte weglaufen, doch da ergriff Elion seinen Fuß, sodass er zu Boden fiel. Angsterfüllt musste der Rothaarige hilflos mit ansehen, wie Elion auf ihn zukroch und seinem Gesicht immer näher kam. Und als er seinen Kopf berührte, da rasten Bilder und Szenen vor Andrews Auge ab. Bilder von grausamen Folterungen, Nächten in dunklen kalten Zellen und von Gewalt, Schmerzen, Angst und Verzweiflung. Es wurde zu viel für ihn. Sein Verstand war überlastet mit so vielen traumatischen Bildern, die einen Menschen in den Wahnsinn treiben konnten und er kollabierte endgültig.

Der Parasit

Als Delta und Johnny das Dach erreichten, war der Maskierte schon längst weg und sie sahen Andrew auf dem Boden liegen. Seine Augen waren weit aufgerissen, Tränen rannen sein totenbleiches Gesicht herunter und das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ach herrje“, rief der Kimonoträger und eilte zu ihm hin. Er betastete seinen Puls und versuchte eine Reaktion von ihm zu bekommen, jedoch erfolglos. „Zumindest lebt er noch, aber so wie das arme Kerlchen aussieht, muss ihm irgendetwas Schreckliches passiert sein.“

„Und was denn bitteschön? Das waren nicht mal fünf Minuten gewesen, bis wir hier waren. Da kann der Bastard doch nicht viel angestellt haben.“ Delta sagte nichts dazu, sondern legte vorsichtig eine Hand auf Andrews Wange. Keine Reaktion, selbst sein Blick wirkte vollkommen starr und ging ins Leere. Was auch immer mit ihm passiert war, es hatte ihn völlig gebrochen. Das sah nicht gut aus. Delta hob ihn hoch und verließ zusammen mit Johnny das Dach. „Diese Typen waren keine normalen Gegner, das steht fest. Sonst hätten sie niemals so viele Schwierigkeiten machen können.“ Johnny nickte und steckte seine Hände in die Manteltaschen, während er nachdachte. Zum ersten Mal war ihm das Grinsen vergangen und er sah sehr ernst aus. Man sah ihm seine Besorgnis deutlich an und das war sehr untypisch für ihn. Das entging auch Delta nicht und so fragte er, während sie das Dach verließen „Sag schon, Darling: worum machst du dir Sorgen?“ „Was, wenn Nastasja damals wirklich in irgendetwas verwickelt war und deshalb getötet wurde? Das alles gefällt mir nicht. Da ist etwas am Werk und ich kann auch spüren, dass dieser James Brown wieder da ist. Und wenn die Familie da ist, dann steht uns noch ein Haufen Ärger bevor und ich frage mich, was Liam wohl tun wird. Insbesondere weil Eva verschwunden ist. Ich kann sie nicht einmal spüren.“ Delta konnte dem nur zustimmen und auch er begann nachzudenken. „Die Menschen sind mir schon immer ein Rätsel gewesen. Warum müssen sie unbedingt ihresgleichen töten und mit allen Mitteln die Macht besitzen, ihre eigene Welt zu zerstören? Diese Experimente waren zwar in erster Linie dazu da, damit Eva ihre Familie zusammenbringen konnte, aber ich fürchte so langsam, dass es aus dem Ruder gelaufen sein könnte und sie entweder verschwunden ist, weil sie sich nicht den Konsequenzen stellen will, oder sie hat irgendetwas vor, was sie alleine durchziehen will oder aber es ist ihr etwas zugestoßen und wir wissen nur nichts davon. So oder so sind uns momentan noch die Hände gebunden, solange Herzchen keine neuen Anweisungen gibt. Vielleicht hat er einen Plan, was wir tun sollen, aber ehrlich gesagt habe ich da leise Zweifel. Ich meine, bisher waren wir noch nie mit solch einer Situation konfrontiert worden. Wir konnten immer unerkannt unter den Menschen leben und sie haben nichts von unserer Existenz gewusst. Stattdessen haben sie sich darauf konzentriert, sich gegenseitig zu unterdrücken und auszurotten. Aber nun beginnt alles immer gefährlichere Züge anzunehmen. Die Death Notes waren erst der Anfang, das weiß ich genau und ich fürchte, dass uns unsere eigenen Kräfte noch eines Tages zum Verhängnis werden. Herzchen hat ja nicht umsonst gewollt, dass wir unsere Fähigkeiten nicht ohne seine ausdrückliche Erlaubnis einsetzen. Sobald die Menschen noch mächtigere Waffen finden als die Atombomben, dann werden sie über Leichen gehen. Dann werden sie uns jagen und was weiß ich noch was für Monstrositäten in ihren Laboren heranzüchten und auf die Welt loslassen.“ Dem konnte Johnny nur zustimmen. Sie hatten ja Glück gehabt, dass Nastasja Kasakowa die gleichen Sorgen hatte und deswegen alles daran gesetzt hatte, Experimente dieser Art zu verhindern und zu sabotieren. Sie hatte selbst die Gefahr erkannt und ihr Leben riskiert. Auch wenn sie selbst nur ein Mensch war, so hatte Johnny immer einen gewissen Respekt vor ihr empfunden. Einen solch willensstarken und entschlossenen Charakter hatte er nur selten bei Menschen beobachten können. Nastasja hatte ihn besessen. Sie hatte Prinzipien und Ansichten, die einfach seinen Respekt verdienten und es hatte ihn schon ein Stück weit erschüttert, als er von ihrer Ermordung erfahren hatte. Aber andererseits war doch nichts anderes zu erwarten gewesen. Es war jedes Mal das gleiche Spiel. Die Rechtschaffenden, die das Unheil aufhalten oder bekämpfen wollten, wurden allesamt getötet. Während der Kriege und Terrorherrschaften war das so gewesen und auch während der Glaubenskonflikte und primitiven Weltansichten. Deshalb glaubten Johnny, Delta, Marcel und Liam auch nicht an so etwas wie Gerechtigkeit. Die gab es nicht und war genauso wie die „Menschlichkeit“, die „Moral“ oder „Ehre“ nur eine Erfindung und Selbstlüge der Menschen, weil sie nicht wahrhaben wollten, wie verdorben sie eigentlich waren. Das Einzige, woran sie noch glaubten, war an die Macht des Geldes, der Lüge und Intrigen und die der Versuchung. Aber dennoch wollte Johnny verhindern, dass Jeremiel und den anderen etwas passierte. Sie waren unverschuldet hineingeraten. Nun gut, es gab in Krisensituation immer Unbeteiligte, die zu Schaden kamen und Johnny hatte es nie interessiert, diesen Menschen zu helfen. Aber Jeremiel war ein guter Freund und seine Familie war ihm wichtig. Deshalb wollte Johnny ihn und die anderen beschützen, auch wenn das nicht wirklich seiner eigentlichen Art entsprach.

Als sie auf die Straße gelangten, gingen sie direkt zu der Limousine hin und stiegen ein. Oliver, der sich von der Tracht Prügel inzwischen wieder erholt hatte, sah noch ein wenig mitgenommen aus, doch als er Andrew sah, da kehrte das Leben schlagartig in ihn zurück und er stand sofort auf, was sich aber als keine gute Idee erwies, da ihm alles noch ziemlich wehtat. „Andy!“ Als er seinen Verlobten sah und in welchen Zustand sich dieser befand, da verlor er seine unbekümmerte und sorglose Ausstrahlung. Stattdessen weiteten sich seine Augen vor Fassungslosigkeit, als er das von Todesangst und Entsetzen gezeichnete Gesicht und die starren und in die Ferne gerichteten Augen sah. Andrews Gesicht war totenbleich und Tränen glänzten in seinen Augen. Er sah wie tot aus. Oliver stand für gewöhnlich über alles drüber und kam mit allen Situationen zurecht. Aber Andrew so zu sehen, war selbst für ihn zu viel und er konnte nicht fassen, was mit ihm passiert war. Auch Beyond war geschockt und hätte Andrew für tot gehalten, wenn sein Shinigami-Augenlicht ihm nicht etwas anderes gesagt hätte. „Was ist mit ihm passiert?“

„Das wissen wir noch nicht. Er war schon so, als wir ihn gefunden haben.“ Rumiko, die sich sichtlich unwohl fühlte, verschränkte die Arme und sie betrachtete den Rothaarigen besorgt. „Er sieht aus, als wäre er durch die Hölle gegangen“, bemerkte sie und hakte sich bei L ein, um wenigstens bei ihm Halt zu suchen. „Wie schrecklich. Wird… wird es ihm bald wieder besser gehen?“ „Ich werde sehen, was ich tun kann“, versprach Liam und wies den Chauffeur an, zu seinem Anwesen zu fahren, damit er dort alles Weitere regeln konnte. Gleich, nachdem sie dort waren, bekamen Rumiko und die anderen erst einmal etwas zur Beruhigung und Liam untersuchte sogleich Oliver und Andrew. Der gebürtige Ire hatte einiges einstecken müssen, aber außer ein paar Prellungen und blauen Flecken hatte er sonst nichts Ernstes. Doch um Andrew machte sich der Unvergängliche deutlich mehr Sorgen. Irgendetwas stimmte da überhaupt nicht mit ihm und es war allzu offensichtlich, dass dieser Proxy, der ihn entführt hatte, irgendetwas mit ihm gemacht hatte. Rein äußerlich war er unverletzt. Wenn der Proxy ihn töten wollte, dann hätte er es definitiv getan. Oliver, der bei der Untersuchung dabei sein wollte, betrachtete seinen Verlobten besorgt, der weder ansprechbar war, geschweige denn überhaupt auf irgendetwas reagierte. „Was hat dieser Kerl ihm nur angetan?“ „Physisch gesehen gar nichts. Er scheint vollkommen unverletzt zu sein. Anscheinend ist es sein Geist, der schweren Schaden davongetragen hat. Aber das werde ich gleich sehen.“ Liam legte seine Stirn auf Andrews ab und konzentrierte sich. Wenn irgendetwas nicht normal sein sollte, würde er es sofort erkennen. Er forschte weiter nach und dann spürte er etwas. Es fühlte sich an, als würde da etwas Lebendiges in seinem Inneren nisten und sich dort drin bewegen wie Ungeziefer. Und es zerfraß alles um sich herum. Noch nie zuvor hatte Liam so etwas bei einem Menschen gespürt und es war ihm auch ein Rätsel, was das sein könnte. Es fühlte sich ähnlich wie ein parasitäres Bewusstsein an, das sich in einem neuen Wirtskörper einnistete. Doch es war bei weitem aggressiver und bösartiger. Und es zerfraß langsam aber sicher Andrews Seele. Was auch immer das für ein Wesen war, wahrscheinlich hatten diese Proxys das auch. Und wenn sie tatsächlich über die Fähigkeiten der Unvergänglichen verfügten, dann musste dieser Proxy Andrew „infiziert“ haben, als eine mentale Verbindung aufgebaut worden war. Aber wieso hatte er Andrew nicht einfach getötet, wenn das doch viel einfacher gewesen wäre? Und die Frage war auch, ob dieses Ding, was ihn befallen hatte, auch so leicht zu bekämpfen war. Insbesondere stellte sich für Liam die Frage, was passieren würde, wenn man es gewähren ließ. Was würde dann mit Andrew geschehen? Nun, wahrscheinlich würde seine komplette Persönlichkeit zerstört werden. Andrew würde aufhören zu existieren und dann würde nur noch dieses Wesen in seinem Körper leben, mit dem er sich infiziert hatte. „Und?“ fragte Oliver besorgt. „Was ist mit ihm?“ „Dieser Proxy, der ihn entführt hat, hat ihn offenbar mit einem parasitären Bewusstsein infiziert, welches langsam aber sicher Andrews Selbst zerfrisst und dann höchstwahrscheinlich durch sein eigenes ersetzen wird. Aber dieses fremde Bewusstsein ist anders als das, was ich von mir, Eva und den anderen kenne. Es ist hochgradig aggressiv und gefährlich und ich fürchte, wenn wir nichts unternehmen, dann wird der Andrew, den ihr kennt, bald nicht mehr existieren.“ Diese Nachricht war natürlich eine absolute Schocknachricht für den Hacker. Andrew würde aufhören zu existieren? „Kann man denn nichts dagegen tun?“ Liam sah sehr ernst aus und dachte nach, doch er wusste selbst, dass es nicht gerade einfach war. „Das Problem ist, dass wir meine Schwester bräuchten weil sie in der Lage ist, so etwas zu heilen. Ich könnte versuchen, dieses Bewusstsein zu zerstören, aber ich kann nicht zu hundert Prozent garantieren, dass es auch Andrew wieder so gehen wird wie vorher. Wenn dieses Wesen schon zu viel von seiner Persönlichkeit zerstört hat, könnte es ihn verändern.“

„Aber wenn wir jetzt gar nichts tun, dann ist es zu spät!“

„Auch wieder wahr. Nun gut, ich werde sehen, was ich tun kann.“ Oliver hatte genau Recht. Wichtig war es jetzt, unbedingt dieses Wesen daran zu hindern, sich weiterhin bei Andrew auszubreiten und ihn zu zerstören. Also legte Liam wieder seine Stirn auf die des Regungslosen ab und spürte es auf. Und als es zum Greifen nahe war, da erkannte er erst, wie extrem gefährlich es eigentlich war. Denn kaum, dass er es zu zerstören versuchte, griff es auch ihn an, um sich bei ihm festzusetzen. Wahrscheinlich war die Infizierung nicht beabsichtigt gewesen. Wenn der Proxy, der Andrew entführt hatte, lediglich eine mentale Verbindung aufbauen wollte, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Andrew sich dabei infiziert hatte. Aber wieso hatte der Proxy ausgerechnet Andrew entführt und zu ihm Verbindung aufgenommen? Vielleicht würde er ja noch seine Antwort bekommen, wenn er Andrews Erinnerungen abrief. Aber dazu musste er erst diesen Parasiten eindämmen, bevor dieser die Möglichkeit fand, auch ihn zu infizieren. Und da er sowieso ein Unvergänglicher war, könnte das noch hochgradig gefährlich werden, wenn dieses Wesen die Kontrolle übernahm. Also begann Liam mit seiner Arbeit und zerstörte den Parasiten restlos. Sicherheitshalber forschte er nach, ob er auch wirklich nichts übersehen hatte, aber es war nichts mehr zu spüren. Also löste er sich wieder von Andrew, nachdem er ihn erst einmal schlafen geschickt hatte und wandte sich an Oliver. „Ich habe den Parasiten zerstört und Andrew wird erst einmal schlafen, um sich zu erholen. Ich würde ihn aber dennoch gerne zur Beobachtung hier behalten um sicherzugehen, dass der Parasit auch nicht mehr zurückkehrt.“ Oliver nickte und wirkte etwas erleichtert, machte sich aber dennoch große Sorgen. „Wie konnte das denn überhaupt passieren und wie hat sich Andy angesteckt?“ „Wenn Unvergängliche zu anderen eine mentale Verbindung aufbauen, kann es auch sein, dass alles ungefiltert auf den anderen einströmt, wenn man nicht aufpasst. Die Technik, die wir bei anderen anwenden, indem wir unsere Stirn mit ihrer berühren rührt daher, weil es die schnellste und schmerzloseste Art ist, uns mit anderen zu verbinden. Wir können dann in ihre Seele schauen und sie in unsere. Und wenn es dabei zu dieser Infizierung gekommen ist, dann gehe ich davon aus, dass der Proxy selbst ein Träger dieses Parasiten ist.“

„Er hat Andy absichtlich infiziert?“

„Das lässt sich nicht genau sagen. Die Möglichkeit besteht zumindest. Es kann aber auch sein, dass der Proxy gar nicht beabsichtigt hat, Andrew zu schaden und womöglich ist es versehentlich geschehen. Aber das lässt sich noch nicht genau sagen. Ich müsste seine Erinnerungen prüfen, aber solange er sich noch in der Erholungsphase befindet, will ich ihm das nicht zumuten.“

„Wie schlimm war sein Zustand bereits?“

„Sagen wir es mal so: Ein paar Stunden später und von ihm wäre nicht mehr viel übrig geblieben. Der Parasit ist hochaggressiv und bösartig und ich habe so etwas noch nie in meinem langen Leben gesehen. Dieses Wesen arbeitet wie ein Unvergänglicher, der einen neuen Wirtskörper sucht. Aber er geht mit aller Gewalt vor und als ich eine Verbindung zu Andrew aufgebaut habe, da versuchte er sofort, auch mich zu infizieren. Wenn er einen Unvergänglichen befallen würde, dann würde es mit Sicherheit erheblich länger dauern, bis er seinen Wirt vollständig übernommen hat. Da wir ihn so schnell entdecken und zerstören konnten, wird der Schaden bei Andrew noch nicht allzu gravierend sein. Aber dennoch ändert es nichts an der Tatsache, dass ein Teil seiner Persönlichkeit bereits zerstört ist. Und weil meine Kräfte hauptsächlich zerstörerischer Natur sind, brauchen wir Eva, damit sie den Schaden beheben kann.“

„Und wenn man diese Zeitrücksetzung machen würde?“

„Das klappt leider nicht bei derartigen Anomalien. Und wenn ich es mache, wird der Parasit dennoch wieder ausbrechen. Auch unserer Kraft sind Grenzen gesetzt.“ Sie gingen zurück in den Salon, wo L, Rumiko und die anderen saßen. Oliver setzte sich erst einmal und bekam von Delta einen Drink. Er brauchte nach der Aufregung dringend etwas Alkoholisches. Als auch Delta und Johnny Platz genommen hatten, erklärte Liam die momentane Situation und wie er die Lage einschätzte. „Also was ich bei Andrew entdeckt habe, habe ich noch nie zuvor gesehen. Der Proxy, der ihn entführt hat, infizierte ihn beim Aufbau einer mentalen Verbindung mit einem parasitären Bewusstsein, welches hochgradig aggressiv und bösartig ist. Es zerstört in unglaublicher Geschwindigkeit die Seele und damit auch die Persönlichkeit seines Wirtes. Mit anderen Worten: das Ding greift den Gedankenschaltkreis an und setzt sich auch genau dort fest.“

„Gedankenschaltkreis?“ fragte Rumiko und war etwas verwirrt. „Ich dachte, das wäre dieser Chip, den sie Beyond und Andrew eingesetzt hätten.“

„Das ist ein künstlicher Gedankenschaltkreis“, erklärte Liam und setzte sich in einen der Sessel. „Die Seele besteht aus zwei verschiedenen Teilen: dem anatomischen und nichtanatomischen. Die anatomische Seele sitzt von Geburt an im Kern des Gehirns und programmiert es sozusagen. Sie bestimmt die Persönlichkeit und ist enorm wichtig für unsere Individualität. Die anatomische Seele bleibt selbst nach dem Tod vorhanden, deshalb ist auch die Persönlichkeit von Andrew und Beyond unangetastet geblieben. Sie besitzt zudem eine Art eigene Zeituhr, die die Lebensdauer bestimmt. Solange die anatomische Seele aktiv ist, bleibt der andere Teil der Seele fest darin verankert und damit lebt man auch. Sollte aber diese Zeituhr abgelaufen sein und man stirbt, dann deaktiviert sich die anatomische Seele und damit kann der nichtkörperliche Teil der Seele nicht mehr am Körper haften und löst sich, woraufhin man stirbt. Der nichtanatomische Teil der Seele ist das, was man sich unter einer Seele eben vorstellt: es ist der Lebensatem und wenn diese entweicht, stirbt man. Die Death Notes sind so konzipiert, dass sie diese „Zeituhr“ außer Kraft setzen oder manipulieren. Man könnte sogar davon sprechen, dass das Death Note unseren Gedankenschaltkreis hackt und uns in einem gewissen Grade steuern kann. Nun, das gilt zumindest für euch, denn das Death Note hat bei Unvergänglichen keine Wirkung. Der künstliche Gedankenschaltkreis funktioniert wie eine Art Seelenprothese. Er ersetzt den nichtanatomischen Teil der Seele und gleicht somit den Defizit aus, wodurch der Körper wieder zum Leben erweckt werden kann. So ist das Prinzip gedacht. Bei Unvergänglichen liegt der Sachverhalt anders. Unsere Persönlichkeit und unsere Erinnerungen liegen gänzlich im nichtanatomischen Teil und wir sind auf den anatomischen auch nicht angewiesen. Wenn wir in einen Wirtskörper eindringen, dann schreiben wir den anatomischen Teil um und absorbieren den nichtanatomischen. Wenn wir hingegen einen toten Körper übernehmen, bleibt der zweite Teil aus. Dieser Parasit geht ähnlich wie wir vor, allerdings mit einem erheblichen Unterschied: er zerfrisst die anatomische Seele vollständig, bis sie unbrauchbar wird und absorbiert erst dann den nichtanatomischen Teil. Erst danach beginnt er sich selbst im Körper auszubreiten. Dies alles geschieht bei vollem Bewusstsein seines Wirts und ist für ihn mental eine extreme Belastung und führt zu schweren Schäden in der Psyche. Des Weiteren ist es ein unvorstellbar schmerzhafter Prozess und würde sich ungefähr anfühlen, als würden sich Insekten im Kopf ausbreiten und alles zerfressen.“

„Könnten wir uns bei Andrew anstecken?“ fragte L schließlich, der als Erster diese beunruhigende Entdeckung verarbeitet hatte und nun versuchte, die Gesamtsituation zu erfassen. Doch Liam konnte ihn beruhigen. „Der Parasit scheint sich nur dann auf andere übertragen zu können, wenn eine mentale Verbindung aufgebaut wird. Demnach würde mehr für uns Unvergängliche die Gefahr einer Ansteckung bestehen.“

„Dann verstehe ich aber eines nicht: wieso hat er Andy infiziert, wenn dieser nicht in der Lage ist, den Parasiten weiter zu verbreiten?“ Beyond verstand das noch nicht so wirklich, aber L hatte sich schon so seine Gedanken gemacht und konnte einige Theorien aufstellen, was das betraf. „Die wahrscheinlichste Möglichkeit wäre, dass der Proxy ganz gezielt vorgegangen ist. Er wusste, dass Liam uns helfen würde und benutzte Andrew, damit auch Liam sich infizieren würde. Das würde auch erklären, wieso er ihn nicht mitgenommen, sondern ihn einfach so zurückgelassen hat. Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Proxy ihm nicht schaden wollte und er Andrew versehentlich infiziert hat. Weitere Möglichkeit: es handelte sich womöglich um einen Test, um die Wirkung des Parasiten beobachten zu können.“

„Da sieht man, dass er der berühmte L ist“, kommentierte Liam, sparte sich aber nun seinen herablassenden und kühlen Ton, sodass es tatsächlich wie ein Kompliment klang. „Diese Möglichkeiten habe ich auch schon durchdacht. Und es würde auch Sinn machen, diese erste Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, wenn es da nicht einen markanten Widerspruch gäbe: Jeremiel ist nicht infiziert. Dieser Proxy, der eurer Aussage nach genauso aussieht wie Frederica, ist damit entweder kein Träger oder aber sie kann ihn unterdrücken.“ Nun stellte sich dann natürlich die Frage, was diese Proxys denn nun genau waren. So wie es sich anhörte, schienen sie sozusagen Überträger zu sein. Da sich dieses parasitäre Bewusstsein nicht alleine verbreiten konnte, brauchte es jemanden der in der Lage ist, ihn auf andere zu übertragen. Wenn dem so war, dann könnte es doch theoretisch möglich sein, dass die Proxys dazu da waren, den Parasiten zu verbreiten. War das etwa tatsächlich das Ziel? L spürte, wie ihm der Kopf dröhnte und er fühlte sich ziemlich angeschlagen. Liam bot ihnen an, dass sie gerne in seinem Haus bleiben könnten, doch Rumiko wollte zurück zu Jamie und ihren Kindern. Da Beyond Sorge hatte, ihnen könnte etwas zustoßen, beauftragte Liam Delta, dass er auf sie aufpassen sollte. Oliver beschloss da zu bleiben, da Andrew sowieso noch zur Beobachtung in Liams Haus bleiben musste. Johnny leistete ihm Gesellschaft, während Liam seinerseits Jeremiel nach Hause bringen wollte, zusammen mit L und Beyond. Die Stimmung war sehr bedrückt und sie alle fragten sich natürlich, wieso es die Proxys ausgerechnet auf sie abgesehen hatten. Etwa, weil sie alle zu Evas wiedergeborener Familie gehörten? Was hatten die Proxys damit zu tun und wie weit war Nastasja Kasakowa in die Sache verwickelt? Wie viel hatte sie gewusst?

Beunruhigende Notizen

L beschloss noch bei Jeremiel zu bleiben, da er sich trotz Liams Worte Sorgen um ihn machte. Er versprach aber, nachher mal vorbeizuschauen. Beyond setzte sich ins Arbeitszimmer und aß wie immer Erdbeermarmelade. Liam begnügte sich mit einem Drink und verlangte auch sogleich alle Aufzeichnungen von Nastasja, die sie aufbewahrten. Watari und Beyond holten mehrere Kisten herbei und sogleich begannen sie alles zu durchsuchen. Dabei kamen Forschungsunterlagen, Notizen, Tagebücher oder gesammelte Skizzen zum Vorschein. Eines stand fest: Nastasja war wirklich eine fleißige Schreiberin gewesen und zum Glück hatte Watari alles aufgehoben. Vielleicht fand sich ja irgendwo ein Hinweis auf die Proxys oder diesen Parasiten, der versucht hatte, Andrews Seele zu zerfressen. Schließlich, als Liam eine Akte herausnehmen wollte, da fielen einige Fotos heraus, die er aufsammelte. Auf einem war Nastasja zu sehen, die auf der Couch schlief und ein Baby im Arm hielt, welches ebenfalls tief und fest schlief. Er schmunzelte, als er da sah. „Man kann über sie sagen, was mal will. Dass sie dickköpfig und ein wenig durchgeknallt war, aber sie war eine unglaubliche Person.“

„Hast du sie näher gekannt?“

„Nicht in dieser Zeit. In der 33. Zeitschleife haben wir uns näher kennen gelernt und uns angefreundet. Dabei sind wir oft ins Gespräch gekommen und haben uns des Öfteren mal getroffen.“ Als Beyond dieses Lächeln bei Liam sah, grinste er verschlagen und bemerkte sogleich „Sag bloß du stehst auf sie.“ Als der Unvergängliche diese Bemerkung hörte, da sah er Beyond mit einem dermaßen tödlichen Blick an, dass dieser fast Angst gekriegt hätte. Dann aber sagte er „Die Liebe, die ich für sie empfunden habe, ist anders als die, welche du für L empfinden magst. Ich habe sie nicht auf diese Weise geliebt. Es waren eher die Ideale und ihre Persönlichkeit, die ich bewundert habe.“

„Wie jetzt?“

„Vergleich es mit einem Künstler und einem Portrait. Diese Art der Liebe unterscheidet sich genau darin, dass der Künstler das Bild liebt, aber nicht die Person, die darauf abgebildet ist. Nicht anders ist es mit Nastasja. Ich habe sie selbst geliebt sondern das, was sie verkörpert hat. Das ist ein großer Unterschied.“ Beyond war zwar nicht ganz hundertprozentig zufrieden mit der Erklärung, aber er akzeptierte es dennoch und suchte weiter. „Also du hast ihren Charakter geliebt, sehe ich das richtig?“ „Ja, so kann man das sagen. Sie hat sich von nichts und niemandem einschüchtern oder bremsen lassen und hat sich ihre Ideale und Prinzipien bewahrt, egal was auch geschah. Und sie wusste immer, was sie sagte. Wenn mir jemand sagen würde, er würde die Welt retten, dann würde ich ihn nicht für voll nehmen und ihn auch für einen ausgemachten Spinner halten. Aber wenn Nastasja es sagen würde, das würde ich ihr sofort glauben. Denn dann weiß ich auch, dass sie einen realistischen Plan hat, selbst das Unmögliche möglich zu machen. Deshalb habe ich Eva auch nie verzeihen können, dass sie Nastasja einfach für ihre persönlichen Belange geopfert hat. Denn mit ihr ist jemand verloren gegangen, der vielleicht tatsächlich den Plan hätte entwickeln können, die Welt zu retten. Einfach auch weil sie sich nicht gescheut hat zu fragen, woher wir wissen wollen, dass blau auch wirklich blau ist.“

„Wenn ich mal wenigstens etwas Positives über meine Eltern sagen könnte. Auf die kann ich selber leider nicht sonderlich stolz sein. Insbesondere weil mein Vater ein Säufer war und uns ständig grün und blau geschlagen hat. Und meine Mutter wollte mich vor einem Zug stoßen, als ich acht Jahre alt war, weil sie überfordert war. Wenn ich dann immer so höre, wie toll L’s Mutter war, dann frage ich mich manchmal, wieso ich nicht auch solch eine Mutter haben konnte. Das macht mich echt neidisch.“

„Du hattest zumindest Eltern“, sagte Liam und begann eines von Nastasjas alten Tagebüchern durchzulesen. „Eva und ich waren früher ein einziges Bewusstsein gewesen, bevor wir uns voneinander gelöst hatten. Wir hatten keine Familie, keine Eltern, nur uns selbst. Wir waren einfach da und wussten nicht, woher wir kamen und was wir waren. Keiner war je für uns da, wir mussten von Anfang an alleine klar kommen. Wir hatten nie eine Familie, sondern waren ganz alleine…“ Nun, das war auch nicht gerade schön. Dennoch war Beyond der Auffassung, dass er vielleicht besser dran gewesen wäre, wenn er gänzlich ohne Eltern aufgewachsen wäre. Lieber das, als bis heute noch mit der Tatsache zu kämpfen haben, dass der Vater ein besoffener Schläger und seine Mutter eine durchgedrehte Suizidgefährdete war, die ihr eigenes Kind umbringen wollte und dabei selbst starb. „Im Grunde sind wir nichts Weiteres als Kinder und die Welt ist für uns bloß ein Puppenhaus. Wir können bestimmen, wer in diesem Puppenhaus lebt, wir können unliebsame Puppen einfach wegnehmen und neue dazuholen. Aber wir werden dennoch nie zu einem ganzen Teil dieses Puppenhauses werden können. Wir können nur in den Körper der Puppen schlüpfen und uns somit eine eigene kleine Welt in diesem Puppenhaus erschaffen. Wenn wir nicht Bewusstseinsfragmente von uns abspalten und sie in andere Körper setzen würden, müssten wir immer ein einsames Leben fristen, weil wir sonst keine Familie hätten. Ich weiß noch, wie Nastasja mir mal bei einem Spaziergang ganz spontan sagte: „Was glaubst du, wieso Gott mit aller Macht will, dass wir an ihn glauben und uns bestraft, wenn wir uns von ihm abwenden? Ganz einfach: er hat Angst davor, ganz alleine zu sein. Außer uns hat er doch niemanden… keine Eltern, keine Familie und selbst seinen eigenen Sohn verlor er. Und weil er nicht einsam sein will, da will er doch zumindest, dass wir für ihn da sind. Also ich finde, Gott kann einem schon leid tun.“ Deshalb sagte ich ja, dass ich sie für ihre Ansichten schon immer sehr bewundert habe. Sie hat die Welt aus einer ganz anderen Sicht gesehen und die wahren Dinge dahinter erkennen können. Es gibt wenige Menschen, die diese Gabe beherrschen. L und Jeremiel verfügen ebenfalls über diese Gabe. Auch sie sehen die Dinge aus einem Blickwinkel, der den meisten Menschen völlig verschlossen bleibt und dadurch können sie erkennen, was wirklich ist. Und auch deine Adoptivschwester verfügt über diese Gabe. Deshalb erinnert sie mich auch ein Stück weit an Nastasja. Sie besitzen beide das Talent, klar zu sehen und deshalb auch immer eine Lösung zu finden. Und sie sind beide große Familienmenschen.“ Sie durchsuchten alles und schließlich kam auch L hinzu, um sie bei der Suche zu unterstützen. Zunächst schien es so, als würden sie nichts finden, denn hauptsächlich drehten sich Nastasjas Aufzeichnungen um die Eva-Experimente und die Erforschung des Gedankenschaltkreises. Aber dann stieß L auf etwas, das ihn stutzig machte. Es war eine Notiz, die aber schon ziemlich zerrissen und ausgeblichen war, sodass man so gut wie gar nichts mehr lesen konnte. Doch Liam konnte die Schrift wiederherstellen und tatsächlich fanden sie etwas, das interessant sein konnte. L las es laut vor.
 

„Meine Befürchtungen haben sich bewahrheitet und die Experimente geraten allmählich außer Kontrolle. Ich war naiv zu glauben, dass sich die Erforschung der unvergänglichen Eva allein auf die Entwicklung einer Seelenprothese beschränken würde, um Leben zu retten und Menschen aus dem Koma zu holen. Ich hätte es besser wissen müssen. Am Ende werden Erfindungen, die das Leben der Menschen verbessern sollen, doch eh nur als Waffe für den Krieg eingesetzt. Und so wie es scheint, hat sich jemand das Unborn-Phänomen zunutze gemacht, um ein Projekt voranzutreiben, welches den Codenamen „AIN SOPH“ trägt. Viel habe ich noch nicht in Erfahrung bringen können, es herrscht offenbar strengste Geheimhaltung und ich ahne, dass es zu gefährlich sein könnte, weiterhin Fragen zu stellen. Ich muss mehr über dieses Projekt herausfinden und in Erfahrung bringen, was sie damit bezwecken. Und vor allem muss ich unbedingt wissen, wer dahinter steckt und was das Ziel dieses Projektes ist. Sicherlich nichts Gutes, wenn es so dermaßen geheim gehalten wird, dass kaum jemand etwas mit dem Codenamen anfangen kann. Mein Gefühl sagt mir, dass der Verantwortliche auch an den Eva-Experimenten beteiligt ist und dass Projekt „AIN SOPH“ und „EVA“ irgendwie zusammenhängen. In dem Fall darf ich niemandem im Institut vertrauen und auch mit niemandem darüber sprechen. Nicht einmal mit Henry oder Watari. Ich werde Nachforschungen anstellen müssen, um in Erfahrung zu bringen, was für eine Waffe sie konstruieren und wenn nötig alles daran setzen, um sie an der Fertigstellung zu hindern. So etwas werde ich definitiv nicht zulassen. Ich hoffe nur, dass meiner Familie nichts passieren wird. Ich habe Angst, dass sie L noch etwas antun könnten, weil er in direkten Kontakt mit Evas Kräften gekommen ist. Wenn sie das herausfinden, werden sie sicherlich nicht wegschauen, sondern alles versuchen, um ihn in ihre Gewalt zu bringen. Aber nur über meine Leiche. Die kriegen meinen Sohn nicht. Und wenn es das letzte ist, was ich tun werde.“
 

„Also doch ein weiteres Projekt“, murmelte Beyond und aß noch etwas von seiner Erdbeermarmelade. Er dachte darüber nach, was in den Aufzeichnungen stand und hatte sogleich zwei Hauptfragen, die sich auch die anderen stellten: „Was ist mit diesem Unborn-Phänomen gemeint und was bedeutet AIN SOPH?“ Nun, da war auch L überfragt und konnte nichts damit anfangen. Doch zumindest hatte Liam auf die zweite Frage eine Antwort. „Ain Soph oder auch En Sof bedeutet „Es hat kein Ende“ Es ist der Gott jenseits allem Göttlichen und es handelt sich um eine Art Selbstschöpfung. Es ist der Urgrund aller Dinge, unendlich, unbegrenzt und willenlos. Die Quelle aller Dinge… Es ist eine Lehre aus der Kabbala und man findet es weder in der Bibel, noch im Talmud. Wenige kennen noch diese uralte Lehre. Um mal Asriel aus Gerona zu zitieren: „Wisse, alles Sichtbare und was mit den Sinnen des Herzens erfasst werden kann, ist begrenzt. Und alles Begrenzte hat ein Ende und alles was ein Ende hat, ist nicht unterschiedslos gleich. Darum, was nicht begrenzt ist, wird „Unendlich“, „Ain Soph“ genannt und dieses ist die vollkommene Gleichheit in absoluter Einheit, in der es keine Veränderung gibt. Und ist es ohne Grenze, gibt es nichts außer ihm. Und da es hoch erhaben ist, ist es der Urgrund von allem Verborgenen und Offenbaren.“ Da aus dem Unendlichen aber nichts Endliches entstehen kann, erschuf Ain Soph die Sefirot, die sowohl die Endlichkeit als auch die Unendlichkeit in sich tragen. Deshalb sind sie das Bindeglied zwischen Ain Soph und allem Vergänglichen. Neben Ain Soph existiert aber noch Ajin Gamur, nämlich das Nichts. Es wird geglaubt dass der erste Sefira den göttlichen Urwillen darstellt und aus dem Nichts heraus geboren wurde, da Ain Soph selbst keinen Willen besitzt. Demnach hätte er auch nicht die Schöpfung aller Dinge gewollt. Das war Sefira, die das Endliche und Unendliche in sich verkörperte und fähig war, das Unendliche fassbar zu machen. Denn da Ain Soph über allem erhaben ist, selbst über Sein und Denken, hat er auch weder Tun, Gedanken, Absicht oder Willen. Denn all diese Dinge laufen auf menschliche Beschränkungen hinaus. Da Ain Soph nach jeder Seite unbeschränkt ist, so ist die Vollkommenheit sein einziges Attribut. Deshalb sind Ain Soph und das Nichts gleich. All diese anderen Dinge besitzt ein Sefira.“

„Jetzt weiß ich wieder, wieso ich Atheist bin“, murmelte der Serienmörder und schüttelte den Kopf. „Irgendwie werden immer mehr religiöse Namen in den Raum geworfen. Sariel der biblische Todesengel, Sheol als das Totenreich, Ajin Gamur als das Nichts, ein Übergott namens Ain Soph, Eva und dann noch der achte Erzengel Jeremiel. Ernsthaft, so langsam kommt mir das immer mehr wie ein Religionsfall vor und nicht wie eine Reihe kranker Experimente an Menschen. Als wären die Shinigami mit ihren Death Notes nicht schon genug, jetzt müssen wir uns auch noch mit irgendwelchen Proxys herumschlagen, die irgendwelche seelenfressenden Parasiten in sich tragen. Kaum, dass die Unvergänglichen auf der Bildfläche erschienen sind, haben wir nur Ärger. Nichts gegen dich persönlich, Liam.“

„Schon gut“, murmelte der Mafiaboss und trank noch einen Schluck von seinem Drink. „Im Grunde hast du ja auch Recht. Das alles hätte niemals passieren müssen, wenn wir weiter im Verborgenen geblieben wären. Ich wusste, dass die Menschen sofort anfangen würden, selber Gott spielen zu wollen, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen. Im schlimmsten Fall wird da noch einiges auf uns zukommen und ich frage mich, was James Brown vorhat. Aber ich denke, dass er vermutlich selbst nur eine Schachfigur ist.“

„Stimmt“, gab L zu und nickte. „Wenn er und sein Vater wirklich die treibende Kraft wären, dann hätten sie sich mehr im Hintergrund gehalten, sonst wären sie zu schnell aufgeflogen. Immerhin hat meine Mutter schon recht früh geahnt, dass Joseph Brown ein falsches Spiel treibt. Und da er in der Notiz mit keinem Namen erwähnt wird, lässt das nur zwei mögliche Schlüsse zu: 1. sie wusste noch nichts von seiner Intrige oder 2. sie war sich schon längst im Klaren gewesen, dass er nur ein Strohmann war, wie auch später sein Sohn James. Dieser hat sich ja ausschließlich um die Gedankenschaltkreisforschung gekümmert. Also ist es denkbar, dass er für jemanden gearbeitet hat.“

„Ja, das würde erklären, wieso diese Sariel so komisch reagiert hat, als sie uns sagen wollte, was die Proxys vorhaben. Sie war auf einmal vollkommen geistesabwesend und wirkte wie ferngesteuert. Und sie sagte doch, ihre Mutter würde sie rufen. Also ist es doch nur logisch, dass da noch jemand neben diesem Schmierlappen Dr. Brown mit drin steckt. Und dieser Jemand ist in der Lage, die Proxys zu steuern.“ Das alles wurde immer seltsamer und so langsam fragte sich L, wohin das noch alles führen sollte. Der Fall Kira hatte schon unzählige Leben eingefordert, was würden da erst noch diese Projekte für einen Schaden anrichten?

Liam verabschiedete sich schließlich und ließ ihnen seine Nummer da. „Sollte irgendetwas sein, dann bin ich jederzeit erreichbar. Wir werden weiterhin ein wachsames Auge auf euch haben um sicherzugehen, dass die Proxys sich nicht mehr so schnell bei euch blicken lassen.“ L war zwar ein wenig verstimmt darüber, dass Liam ihm helfen wollte (und das bedeutete für ihn, dass ein Mafiaboss ihm half!), aber er war auch vernünftig und um die Sicherheit der anderen zu gewährleisten, war es ratsam, dieses Angebot anzunehmen. Noch einmal wollte er nicht schon wieder jemanden verlieren, nachdem er seinen Bruder beinahe verloren hätte. Als sie alleine waren, blieben sie noch eine Weile sitzen, bis sie dann ins Schlafzimmer gingen. L fühlte sich müde und erschöpft und das kam bei ihm recht selten vor. Aber nach der Aufregung war das auch kein Wunder. Er kuschelte sich in die Decke ein und sogleich gesellte sich Beyond dazu und legte einen Arm um ihn. „Du siehst überhaupt nicht gut aus, L. Du bist ziemlich blass und deine Augenringe werden auch wieder dunkler. Und kann es sein, dass du dünner wirst?“

„Kann sein, dass mir diese Sache mit den Eva-Experimenten und die Begegnung mit den Proxys ein wenig an die Substanz geht.“

„Du solltest vielleicht mal kürzer treten, L. Vielleicht brauchst du mal Urlaub.“

„Hör mir bloß damit auf, es geht mir gut.“ Damit wollte sich L von ihm wegdrehen, doch da setzte sich Beyond auf und drückte die Handgelenke des Detektivs aufs Bett und sah ihm dabei direkt in die Augen. „Wem willst du hier etwas vormachen, L? Ich sehe doch, dass du erschöpft bist und das nicht nur wegen heute. Mein Tod und meine Amnesie, Fredericas Tod, Jeremiel, Liam und diese Proxys machen dir zu schaffen. Hey, ich mach mir doch nur Sorgen um dich. Ich kenne dich als den unnahbaren und willensstarken L, der sich durch nichts unterkriegen lässt und alles aushält. Und wenn du schon so weit bist, dass man dir schon ansieht, dass es dir nicht gut geht, dann ist es doch wohl klar, dass ich besorgt bin. Erst letzte Woche nahm mich Rumiko beiseite und fragte, ob du vielleicht eine Krankheit ausbrütest. Wir alle machen uns Sorgen, also sag schon was los ist.“ L wich Beyonds Blick aus und sagte erst nichts. Und dennoch war ihm anzusehen, dass ihm die Kraft fehlte und er Grenzen hatte. Ihn so zu sehen mochte Beyond überhaupt nicht. Und deshalb war er auch für ihn da, wenn er Hilfe brauchte. Er wusste, dass L jemand war, der ungern um Hilfe bat, weil er damit Schwäche zugeben musste. So etwas war einfach nicht seine Art und deshalb würde Beyond auch derjenige sein, der als Erster auf ihn zukam. „Sie hat dich nur deshalb nicht darauf angesprochen, weil sie wusste, dass du deinen Stolz hast. Aber weil wir beide ein Paar sind, ist es auch ein Stück weit meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass es dir gut geht. Also werde ich auch verdammt noch mal dafür sorgen, dass du wieder auf die Beine kommst und wenn ich dich mit roher Gewalt dazu zwingen muss, kapiert?“ „Ein bisschen widersprüchlich, findest du nicht?“ Doch Beyond blieb bei seiner Meinung. Er erhob sich und verließ das Schlafzimmer, dann ging er nach nebenan zu Rumiko und sagte direkt „Ich brauch ein paar Sachen. Meinst du, du könntest da aushelfen?“

„Klar“, antwortete die zweifache Mutter, die gerade ihre Tochter auf dem Arm hatte. „Was brauchst du alles und wofür?“

„Um einem sturen Esel Feuer unterm Hintern zu machen. Ich will ihm dein Spezialrezept mixen, damit es ihm wieder etwas besser geht.“

„Ach so, na dann komm mal mit in die Küche. Ich helfe dir dabei.“ Rumiko legte die kleine Eden im Kinderzimmer in die Wiege und ging gemeinsam mit Beyond in die Küche, um dort alles vorzubereiten. „Ihm scheint es wohl doch nicht ganz gut zu gehen, oder?“

„Nein, er stößt langsam aber sicher an seine Belastungsgrenzen und ich mache mir da eben große Sorgen um ihn. Ich hab mir auch schon überlegt, ob ich ihm nicht vielleicht auch bei seiner Arbeit aktiver zur Seite stehen sollte, um ihm zu helfen. Ich weiß ja, dass L nur deshalb so angeschlagen ist, weil Menschen involviert sind, die er liebt, aber ich weiß auch nicht, wie lange er braucht, um das alles vollständig zu verarbeiten. Mein Tod liegt ja auch noch nicht lange zurück und er leidet immer noch unter diesen Bildern, genauso wie unter Fredericas Tod. Und dann ist auch noch Jeremiel heute verunglückt. Das alles wird ihm langsam zu viel und bevor ich noch seinen Zusammenbruch miterlebe, nehme ich ihm lieber Arbeit ab.“ Rumiko lächelte als sie das hörte und zupfte ein paar Blättern von den Kräutern ab und begann einen kleinen Topf aufzusetzen, während Beyond sich ans Schneiden machte. „Er kann wirklich froh sein, dass du an seiner Seite bist und auf ihn Acht gibst. Du magst ihn ja ziemlich oft zur Weißglut treiben, aber dennoch passt du immer gut auf ihn auf. Ich glaube, er ist dir auch wirklich dankbar dafür. Und ich denke, mit meinem Spezialrezept wird es ihm bald wieder besser gehen. Es hat dich ja auch oft genug wieder auf die Beine gebracht.“ Sie waren gut eine Stunde beschäftigt und als sie so gemeinsam in der Küche zu Werke waren, da musste sich Beyond wieder an alte Zeiten erinnern. An Zeiten, bevor er und L zusammengekommen waren und wo er mit ihr und Jamie im Wohnheim der Oxford Universität gelebt hatte. Das kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor. Aber irgendwann entwickelte man sich ja auseinander. Rumiko hatte jetzt Kinder und vor allem ihren Mann. Und er hatte jetzt L.

„Eines steht fest: Ich werde dafür sorgen, dass er nicht zusammenbrechen wird. Ganz egal was ich dafür tun muss.“

Weitere offene Fragen

L wunderte sich schon, wo Beyond denn hingegangen sein könnte, da kam dieser auch schon kurz darauf wieder zurück und hatte eine Thermoskanne bei sich. Dieser schraubte die Kanne auf, goss etwas von dem Inhalt in eine Tasse und reichte sie L. „Austrinken“, wies der Serienmörder an und setzte sich neben ihm aufs Bett. Doch der Detektiv zögerte noch und fragte „Was ist das?“ „Rumikos Spezialrezept. Das hilft dir, wieder zu Kräften zu kommen. Glaub mir, das Zeug wirkt wahre Wunder.“

„Seit der Sache mit dem Alkohol traue ich dir überhaupt nicht mehr in solchen Sachen.“

„Dann gestatte kurz…“ Damit nahm Beyond kurzerhand die Tasse, trank einen Schluck und gab sie wieder an L zurück. „Ich glaube, ich werde selbst noch eine Stärkung nötig haben, um einem so sturen Esel wie dir in den Hintern zu treten.“ L grummelte etwas leise und missmutig vor sich hin, dann aber gab er nach und trank den Inhalt der Tasse. Zuerst dachte er, es wäre eine einfache Brühe, aber wie sich herausstellte, waren da ziemlich viele Kräuter beigemischt. Und es war auch Alkohol drin, auch wenn dieser schon fast vollständig verkocht war. „Was genau ist da drin?“ „Eine ganze Menge. Knoblauch, Ingwer, Lavendel, Meerrettichbaum, Rosmarin, Salbei, Schwarzkümmel und dazu noch ein Schuss Rotwein und noch viele andere Sachen. Während meines Medizinstudiums habe ich auch die Wirkung von Kräutern studiert und Rumiko hat dann auf dieser Basis ein Rezept entwickelt, wodurch ihr ein Mittel gelungen ist, um Leute wieder auf die Beine zu bringen. Und du trinkst jetzt alles brav aus, dann legst du dich schlafen.“ L zögerte noch einen Moment, aber dann trank er auch den Rest. „So und das trinkst du jetzt die nächsten zwei Tage morgens, mittags und abends. Dann geht es dir auch wieder viel besser. So und jetzt ruhst du dich aus. Schlaf ist das beste Mittel gegen Erschöpfung.“ Da er sowieso ziemlich müde war, legte sich der Detektiv hin und kuschelte sich sogleich an Beyond. „Danke“, sagte er nach einer Weile und legte seinen Kopf auf Beyonds Brust ab. „In solchen Momenten bin ich wirklich froh, dass du bei mir bist. Weißt du, ich bin es gewohnt, immer zu funktionieren und immer voll und ganz bei der Sache zu bleiben, ganz egal was auch passiert. Aber diese Dinge, die in den letzten Wochen passiert sind, haben mich zum allerersten Mal in meinem Leben wirklich an die Grenze getrieben und ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie viel ich noch aushalten kann.“ Beyond legte einen Arm um ihn und drückte ihn an sich. „Wir haben alle unsere Grenzen, selbst du und ich. Wir sind auch nur Menschen und es macht dir auch niemand einen Vorwurf, wenn du nicht mehr weitermachen kannst, weil es zu viel für dich wird. Aber dann ist es wichtig, wenn du mit uns redest oder zumindest mit mir. Wir beide sind schon so lange zusammen und haben so viel erlebt, da kannst du dich auch darauf verlassen, dass ich dir zur Seite stehen und dir helfen werde, wenn es dir nicht gut geht. Immerhin habe ich dich ja auch gesund gepflegt, als du krank geworden bist.“ Zärtlich strich Beyond ihm durchs Haar und ehe sich die beiden versahen, waren sie auch schon eingeschlafen. Beyond wachte schon recht früh wieder auf, während sich L gar nicht aufwecken ließ. Und da sich der Gute sowieso noch ausruhen sollte, ließ der BB-Mörder ihn noch eine Weile schlafen und traf im Wohnzimmer auch schon Jeremiel an, der gerade ein Telefonat zu Ende führte. „Na?“ fragte der Serienmörder und gesellte sich zu ihm. „Mit Liam am Flirten?“ „Ich dachte mir, ich rufe ihn besser an, bevor er sich Sorgen macht. Bei dem, was gestern passiert ist, dachte ich, er würde mir Vorwürfe machen. Aber er klang eher erleichtert. Ich soll euch übrigens ausrichten, dass Andrew außer Gefahr ist. Der Parasit ist nicht wieder ausgebrochen und es geht ihm einigermaßen gut. Allerdings ist er noch nicht bei Bewusstsein.“ Bei dieser Nachricht atmete Beyond erleichtert auf und war heilfroh, dass es doch nicht allzu schlimm um seinen besten Freund stand. „Und wie geht es dir?“ „Ganz gut soweit. Ehrlich gesagt kann ich mich an den Sturz selbst kaum erinnern. Ich weiß nur, dass dieses Mädchen zu mir gesprochen hat und sagte, dass es ihr Leid täte und sie es nicht gewollt habe. Und sie bat mich, dass ich „Elion“ retten sollte. Der Name sagt mir leider nichts, aber Andrew soll angeblich die Antwort haben. Und dann hat sie mir Dinge gezeigt. Ich sah ein Zimmer voller Stofftiere und Zeichnungen an der Wand. Eine Spieluhr spielte eine Melodie und ich glaube, dass es Tears in Heaven war. Der Raum sah wie ein Kinderzimmer aus, aber es hatte kein Bett, keine Fenster, nur nackte Wände und eine Stahltür. Und dann sah ich meine Mutter, wie sie mit jemandem redete. Sie gab ihm einen Würfel oder besser gesagt einen Tesserakt und sie sagte, er dürfe ihn niemals ablegen und solle gut darauf aufpassen. Dieser Tesserakt würde ihm eines Tages helfen und bis dahin müsse er versuchen, stark zu bleiben. Dann hat sie ihn umarmt und dann etwas gesagt… Sie sagte „Your name is Elion, because you are my sun“. Ich glaube, wir müssen diesen Elion finden. Er hat irgendetwas mit meiner Mutter zu tun und womöglich ist er auch einer der Proxys. Vielleicht kooperiert er ja mit uns, wenn er schon mit meiner Mutter eine engere Verbindung hatte. Einen Versuch wäre es ja Wert. Und dann soll ich mehr über das so genannte Unborn-Phänomen herausfinden und was es mit Projekt AIN SOPH auf sich hat.” Elion… Moment mal, das war doch der Kerl, von dem Andrew gesprochen hatte. Das war derjenige, der ihn damals immer besuchen kam, bevor er ermordet worden war. Aber Andrew hatte doch gesagt, dass er tot sei und es war so gut wie ausgeschlossen, dass er sich irrte. Nun, dieser Dr. Brown war doch auch wieder am Leben. Warum also sollte dann nicht auch dieser Elion wieder leben? Beyond dachte noch einen Schritt weiter. Wenn dieser Elion tatsächlich ein Proxy war, dann konnte er doch derjenige gewesen sein, der Andrew entführt hatte. Oder etwa nicht? Nun, dazu mussten sie Andrew befragen, falls dieser das Gesicht seines Entführers gesehen hatte. „Was ist eigentlich mit L?“ fragte Jeremiel und betrachtete Beyond mit Augen, die eine Mischung aus Sams und L’s Augen waren. „Schläft er noch?“ „Er ist ein wenig angeschlagen und ich dachte, es tut ihm auch mal gut, wenn er etwas länger im Bett liegen bleibt. Aber sag mal, was hast du da?“ L griff sich eines der Blätter und fand darauf eine Formel. Das war doch die unvollständige Formel aus Nastasja Kasakowas Notizbuch. Und so wie es aussah, hatte Jeremiel bereits einige passende Komponenten gefunden. „Sag bloß, du hast das Rätsel geknackt.“

„Nun, es ist mir gelungen, die Formel zu vervollständigen, aber ich weiß leider immer noch nicht, wozu sie da ist. Das Rätsel versuche ich noch zu entschlüsseln.“

„Wie will man denn eine Formel lösen, wenn man nicht mal weiß, wozu sie da ist? Also das ist mir wirklich ein Rätsel, aber wenn du damit klar kommst…“ Jeremiel setzte seine Arbeit fort und schwieg. Er wirkte ein klein wenig nachdenklich und schien sich über irgendetwas Sorgen zu machen. „Erzähl schon, was bedrückt dich?“ „Ich mache mir Sorgen wegen meinem Bruder. Er sieht seit einiger Zeit ziemlich angeschlagen aus und dann noch die Aufregung gestern mit Liam. Ich wollte nicht, dass es ihm so schlecht deswegen geht. Deshalb habe ich ja auch versucht, es irgendwie geheim zu halten weil auch Liam meinte, dass es nur Ärger geben würde.“

„Ach, der kriegt sich wieder ein. Es ist nur so, dass er einen ziemlichen Beschützerinstinkt für dich entwickelt hat. Außerdem ist es ja auch neu für ihn, dass er jetzt einen Zwillingsbruder hat. Der Grund, wieso es ihm momentan nicht so gut geht, ist einfach der, weil es ein bisschen viel für ihn geworden ist. Die Eva-Geschichte ging ihm schon an die Nieren, denn er hat auch viel über seine Familie erfahren und diese ganzen Zwischenfälle waren ja auch nicht ohne. Es hat nicht unbedingt nur mit dir zu tun, es ist einfach das Gesamtpaket. Aber ich habe Rumiko gebeten, ihr Spezialrezept zu mixen und damit dürfte es ihm bald wieder besser gehen. Wichtig ist, dass wir uns erst mal um ihn kümmern.“

„Kann ich irgendwie helfen?“

„Ja, du könntest nachher mal ein paar Sachen besorgen gehen, die ich brauche.“

„Okay, mach ich gerne.“ Nachdem Beyond die Liste fertig geschrieben hatte, gab er sie Jeremiel, in dessen Gesicht schlagartig das Leben zurückgekehrt war und man sah ihm an, dass er sich freute, seinem jüngeren Bruder irgendwie helfen zu können. Bevor er sich aber auf den Weg machte, kam er noch mal zu Beyond zurück. „Liam hat sich übrigens mehr über das Unborn-Phänomen erkundigt, konnte allerdings nichts herausfinden. Er sagte aber, es müsse sich vermutlich um ein medizinisches Phänomen handeln und in dem Falle bräuchten wir einen Spezialisten, der sich mit seltenen Krankheiten auskennt. Vielleicht sollten wir Hester anrufen und sie fragen, ob sie etwas darüber weiß. Ich habe sie leider noch nicht erreichen können.“

„Wahrscheinlich ist sie wieder in einer Operation. Da reagiert sie nur auf L’s private Nummer. Leider weiß ich nicht, wo er es überhaupt aufbewahrt. Da müssten wir also L fragen, wenn er wieder wach ist. Aber der Tipp ist gut. Mensch, hinterher wirst du noch selbst zum Detektiv.“ Jeremiel lächelte und es sah auch ein klein wenig verlegen aus. Inzwischen war er wirklich nicht mehr als der alte Jeremiel wiederzuerkennen, auch wenn er manchmal wie L etwas humorlos sein konnte. Aber er wirkte dennoch deutlich lebhafter als sein jüngerer Bruder. Nachdem er gegangen war, sah sich Beyond das an, was Jeremiel gezeichnet hatte. Er hatte wirklich Talent, das musste der Serienmörder zugeben. Eines der Bilder zeigte diese Zelle, die aussah, als würde ein Kind dort leben. Eine Gestalt kauerte in einer Ecke und machte sich so klein wie nur möglich. Und auf einer anderen Zeichnung war ein Würfel zu sehen, in dessen Inneren sich ein weiterer Würfel befand. Ein Hyperkubus oder auch „Tesserakt“. Daneben waren diverse Formeln aufgeschrieben, die aber seltsamerweise gar nicht Jeremiels Handschrift trugen, sondern die von seiner Mutter. Seltsam, das hat doch eindeutig er gezeichnet. Also wieso dann diese andere Handschrift? Kann er etwa tatsächlich Handschriften imitieren? Wow, der Junge steckt ja voller Überraschungen. Die Zeichnungen waren sehr detailliert und zeigten auch das Tesseraktnetz und einen Rhombendodekaeder als Hülle der Tesserakt-Projektion in 3 Dimensionen. Anscheinend hatte Nastasja einen Hang zur Mathematik und Geometrie. Aber was zum Teufel wollte sie mit diesem Ding denn, wenn es doch gar nicht zu den Eva-Experimenten gehörte? Und überhaupt: sie war Humanbiologin und keine Mathematikerin. Ihr Mann Henry war Physiker gewesen, da hätte man das ja noch verstehen können, aber was wollte sie mit einem Hyperkubus-Gebilde? Eine Spielerei wird es wohl nicht gewesen sein, wenn sie ihm einen dieser Proxys gegeben hatte. Und inwiefern sollte dieser Tesserakt helfen? Tja, so ganz wurde er ja nicht schlau daraus. Am besten war es, Watari zu fragen. Also rief er ihn erst mal zu sich und zeigte ihm die Zeichnung. „Können Sie etwas damit anfangen?“ Der alte Mann rückte seine Brille zurecht und setzte sich. „War das bei Nastasjas Aufzeichnungen?“ „Nein, Jeremiel hat diese Zeichnung angefertigt und sogar ihre Handschrift kopiert. Diese Sariel, mit der er zusammengestoßen ist, hat ihm offenbar einige Bilder gezeigt und sie bat uns, Elion zu helfen. Das war jener alte Freund von Andy, der angeblich verstorben ist.“ Watari dachte nach und versuchte seine Erinnerungen an damals wieder aufzufrischen, doch da das Ganze über 20 Jahre zurücklag, gestaltete sich dies auch nicht gerade einfach. „Also ich weiß, dass Nastasja recht spontan mit dieser Idee kam. Sie hat nicht erzählt, wofür sie einen Hyperkubus konstruieren wollte und wozu er gut war. Ich war selbst verwundert, wieso sie sich mit Physik und Mathematik beschäftigte, obwohl sie Humanbiologin war, aber sie war wie besessen davon, diesen Hyperkubus zu bauen, dass sie auch nachts durchgearbeitet hat. Ihr ganzes Büro war voll von Zeichnungen und mathematischen Formeln. Und dann hat sie eines Tages all diese Aufzeichnungen verbrannt.“

„Wie bitte? Sie hat sie verbrannt?“ fragte Beyond irritiert, denn eigentlich war Nastasja jemand gewesen, der alles aufbewahrte, was wichtig sein könnte. Also warum sollte sie dann die Pläne für den Tesserakt verbrennen? Auch Watari gab dies Rätsel auf. „Ich war natürlich auch verwundert und auch ein Stück weit erschrocken, weil Nastasja so viel Arbeit hineingesteckt hat. Aber sie sagte, es wäre das Beste. Sie wollte nicht, dass noch mehr von ihren Erfindungen als Waffe missbraucht werden, deshalb musste sie die Pläne zerstören. Den Tesserakt selbst habe ich nie zu Gesicht bekommen und ich war mir auch nicht sicher, ob er überhaupt existiert.“

„Existieren tut er ja anscheinend. Sie hat Elion den Tesserakt gegeben und ihm wohl gesagt, dass dieser ihm eines Tages helfen wird und er dürfe ihn niemals ablegen. Wenn dieser Würfel tatsächlich etwas mit den Proxys zu tun haben sollte, dann würde ich gerne wissen was. Irgendwie sehe ich da keinen Sinn. Eine Humanbiologin baut plötzlich einen vierdimensionalen Würfel von dem keiner weiß, wozu er da ist und was sie damit vorhatte. Und fragen können wir sie ja auch nicht mehr. Es gibt nicht mal Aufzeichnungen und somit hat sie alles wortwörtlich mit ins Grab genommen. Naja, da macht man nichts dran. Haben Sie vielleicht L’s Privathandy irgendwo, damit ich Hester erreichen kann? Ich wollte sie fragen, ob sie etwas über das Unborn-Phänomen weiß.“

„Unborn-Phänomen?“ fragte Watari und wurde hellhörig. Seine Reaktion zeigte, dass er offenbar etwas wusste. Und da ließ sich Beyond nicht lange bitten und fragte auch sofort „Na los, spucken Sie’s schon aus. Was wissen Sie darüber?“

„Meine Tochter hat sich damit beschäftigt. Bevor sie verunglückt ist, war sie nämlich Ärztin. Und sie hatte da mit einem Jungen zu tun gehabt, der am Unborn-Syndrom litt. Der Fall liegt gut 25 Jahre zurück, aber es war ein sehr umstrittener Fall gewesen. Dieser Junge war 17 Jahre alt gewesen. Er hat seinen Vater mit einer Axt erschlagen, seinen Bruder erdrosselt und drei Mitschüler ebenfalls nachts mit einer Axt getötet. Man wollte ihn zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilen, aber Alice fand heraus, dass der Junge aufgrund dieses Syndroms nicht schuldfähig gewesen war. Leider weiß ich nicht genau, was Alice bei ihm diagnostiziert hat, aber Hester hat ihre Unterlagen später mitgenommen und sie studiert. Wenn also jemand Genaueres weiß, dann garantiert Hester.“ Watari erhob sich und begann nach L’s Handy zu suchen, mit dem er Hester rund um die Uhr erreichen konnte. Beyond war überrascht, dass ausgerechnet die Tochter von Watari mit dem Unborn-Phänomen vertraut war. Nun, er hatte auch sonst nicht sehr oft von seiner Tochter gesprochen. Außer eben halt, dass sie Alice hieß und dass sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Ein anderes Auto hatte ihren Wagen von der Straße abgedrängt und sie war daraufhin verunglückt. Der Wagen war die Klippen hinuntergestürzt und Alices Leiche konnte nie gefunden werden. War für den alten Knacker sicher ein schwerer Schlag gewesen. Erst verliert er seine Frau, dann seine Tochter und dann stirbt auch noch L’s Mutter, die für ihn ebenfalls wie eine Tochter war. Dann stirbt Frederica, die er wie eine Enkelin geliebt hatte. Wenn das so weitergeht, überlebt Watari uns alle noch. Also mit dem würde ich auch nicht tauschen wollen. Nachdem der gebürtige Engländer das Handy gefunden hatte, gab er es Beyond, der sofort Hester anrief. Aber seltsamerweise ging sie immer noch nicht ans Telefon. Nun… dann versuchte er es eben später. Hester konnte ja nicht stets und ständig bereit stehen, wahrscheinlich war sie gerade einfach verhindert. Während Beyond sich noch ein wenig im Internet mit dem Unborn-Phänomen beschäftigte und auch mehr zu Projekt AIN SOPH herausfinden wollte, schlief L immer noch und machte auch keine Anstalten, aufzustehen. Zugegeben, in dem Spezialrezept waren auch einige Schlaf fördernde Mittel drin und da war es auch nicht sehr verwunderlich, wenn L deshalb auch länger schlief. Wenig später kam Jeremiel mit den Einkäufen zurück und so ging auch Beyond in die Küche, um ihm zu helfen. Gemeinsam begannen sie mit der Arbeit und dabei erzählte Beyond ihm auch, wie er und L eigentlich zusammengekommen waren. Angefangen davon, wie er von Sam Leens niedergeschossen worden war und wie L ihn daraufhin gerettet hatte. Jeremiel war schon etwas überrascht über diese eigentlich recht leichtsinnige Aktion seines Bruders und fragte „Aber war er sich denn nicht im Klaren darüber, wie sehr du ihn gehasst hast?“

„Das schon, aber so ist er eben. Er wollte unbedingt wissen, wieso ich so einen Hass gegen ihn gehegt habe und er hat sich durch rein gar nichts abschrecken lassen.“

„Und wann ist es zur ersten Annäherung zwischen euch gekommen?“

„Das war, nachdem ich endlich wieder bei Bewusstsein war. Ich hatte hohes Fieber und da sind bei mir die letzten Hemmungen irgendwie… weggefallen. Ich bin dann über ihn hergefallen und… nun ja, dann ist es passiert.“

„Ihr habt miteinander geschlafen?“

„Nee, ich hab ihm einen runtergeholt und bin dann ohnmächtig geworden.“ Jeremiel hätte fast sein Messer fallen lassen, als er das hörte. Und wahrscheinlich hatte er in dem Moment auch schon ein gewisses Kopfkino am laufen. Sein Gesichtsausdruck war in diesem Augenblick einfach unbezahlbar. „Und was ist dann passiert?“ „Ich lag mit hohem Fieber im Bett und war kaum bei Bewusstsein und er hat sich in der Zeit um mich gekümmert. Als ich wieder fit war, haben wir uns wieder gestritten und ich habe dann die Kontrolle über mich selbst verloren. Ich bin in meine andere Seite verfallen und hab ihn angegriffen. Dabei hab ich ihn blutig gebissen und gekratzt und wahrscheinlich wäre es noch viel schlimmer geworden, wenn er sich nicht befreit hätte. Danach hat er mich zu zweieinhalb Monaten Isolationshaft verdonnert. Ich bekam eine Zwangsjacke, eine Augenbinde und wurde so fest an den Stuhl geschnürt, dass ich mich nicht einen einzigen Millimeter bewegen konnte.“

„Das war sicherlich schlimm für dich, oder?“ Beyond musste sich an diese Zeit zurückerinnern. Wie er fast wahnsinnig geworden wäre in dieser dunklen Isolation, in der er sich nicht bewegen konnte. Es war für ihn die Hölle gewesen. „Ja, sehr sogar. Aber hätte L das nicht getan, hätte es nicht lange gedauert, bis ich wieder die Kontrolle verloren hätte. Er wollte mir mit dieser Maßnahme eigentlich nur helfen und ich hab ihm das auch verziehen. Genauso wie er mir verziehen hat, dass ich zwei Male über ihn hergefallen bin und ihn beim zweiten Mal ziemlich böse zugerichtet habe.“ Jeremiel musste schmunzeln bei der Geschichte. „Liam und ich hatten auch so unsere Schwierigkeiten am Anfang. Aber ich denke, daran wächst eine Beziehung auch. Manchmal wirkt ihr beiden wirklich danach, als würdet ihr euch gegenseitig umbringen wollen, aber dennoch seid ihr füreinander da, wenn ihr den anderen braucht. Aber eines verstehe ich nicht: wieso bist du über ihn hergefallen, wenn du ihn so gehasst hast?“

„Das Phänomen nennt man Hassliebe. Manchmal kommt es vor, dass man einen Menschen liebt und gleichzeitig hasst. Das ist schwierig zu verstehen und auch wirklich kompliziert. Ich habe mich damals in L verliebt, als ich ihn das erste Mal gesehen habe als er unter einem anderen Namen mal ins Waisenhaus kam. Aber ich habe ihn gehasst, weil ich ihm die Schuld für Andys Selbstmord gegeben habe. Wir wurden quasi einer Hirnwäsche unterzogen, um eines Tages Nachfolger für L zu werden. Andy und ich waren zwar vom Intellekt her auf seinem Level, aber Andy ist viel zu labil und hat nicht genug Selbstbewusstsein dafür, außerdem kommt er mit diesem Erfolgsdruck nicht klar. Und ich… nun ja, ich besitze nicht die innere Ausgeglichenheit dafür. Da Watari sich diesen ganzen Schwachsinn ausgedacht hat und er weder mir noch Andy damals geholfen hat, bin ich eben nicht sehr gut auf ihn zu sprechen. Es gab aber noch einen weiteren Grund, wieso ich mich so sehr in meinen Hass gegen L reingesteigert habe: Andy war damals abgöttisch in L verliebt und ich wollte ihn nicht hintergehen. Das war auch der Grund, wieso ich mich so sehr dagegen gewehrt habe, meine Gefühle für L zuzulassen. Aber letzten Endes hat dein Bruder mich doch überzeugen können und seitdem habe ich es auch keinen einzigen Tag bereut. Er fühlt sich durch mich lebendig und ich habe das Gefühl, dass ich endlich jemanden an meiner Seite habe, der mich versteht und der mich so liebt wie ich bin.“ Jeremiel schwieg dazu und half Beyond weiter. Dann aber lächelte er und sagte „Eigentlich hatte es doch sein Gutes, dass Sam Leens dich damals angeschossen hat. Sonst wären du und L nicht zusammengekommen.“

„Stimmt. Und als ich meine Amnesie hatte, da hast du mir meine Erinnerungen wiedergegeben. In dem Sinne bist du schon fast ein kleiner Amor.“ Zwar konnte der ältere Lawliet-Zwilling mit diesem Begriff nicht viel anfangen, aber er interpretierte es als freundschaftliches Kompliment und sagte einfach „Danke.“

Elion und Sariel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Evas Verabredung

Die Nacht war schon längst hereingebrochen und es war ziemlich windig und frisch. Etwas unruhig sah sie sich um und wartete darauf, dass ihre „Verabredung“ kam. Aber diese ließ auf sich warten. „Na super“, murmelte sie und versuchte ihre Oberarme zu wärmen. „Und ich trage nichts weiteres als mein Top und kurze Hosen und friere mir noch den Allerwertesten ab. Wo bleibt sie denn nur?“ Unruhig ging sie auf und ab und ärgerte sich insgeheim auch ein bisschen. Irgendwie hätte das alles vielleicht doch etwas besser durchgeplant werden sollen. Aber da machte man jetzt auch nichts dran. Blieb nur zu hoffen, dass wenigstens ihre Verabredung halbwegs pünktlich war, denn die ganze Zeit herumstehen wollte sie auch nicht. Dann aber hörte sie Schritte und als sie sich umblickte, sah sie eine junge Frau mit langen weißen Haaren und strahlend blauen Augen. In der Iris ihres linken Auges leuchtete ein goldener Ring und sie hatte eine fremdartige Schönheit an sich. „Wie ich sehe, hat alles funktioniert“, bemerkte Eva und umarmte sie. „Es war nicht einfach, komplett unterzutauchen und selbst für meinen Bruder nicht auffindbar zu werden, aber ich habe alles besorgt was du brauchst. Bargeld, gefälschte Papiere und ich habe auch die Datenbanken manipuliert. Dein Name ist jetzt Wednesday Weather, du bist Chefärztin des Bostoner Hospitals und ich habe dir noch eine Perücke, eine Pistole und Kleidung mitgebracht.“

„Wo sind die Unterlagen zum Eva-Projekt?“

„Ich habe dir die Adresse aufgeschrieben. Sie befinden sich im Besitz von L Lawliet und das technische Equipment, das du benötigen wirst, bekommst du bei Vention. Es handelt sich um einen Technologiekonzern, der auch die künstlichen Gedankenschaltkreise produzieren will. Pass aber auf! Das gesamte Gebäude ist schwer bewacht und die Überwachungssysteme sind auf dem allerneuesten Stand. Nicht einmal ein Käfer kommt ungesehen durch. Deshalb wirst du eine Schlüsselkarte, eine spezielle Kontaktlinse für den Netzhautscanner und falsche Fingerabdrücke brauchen. Das alles findest du im Koffer und ich habe für dich auch ein Apartment angemietet. Brauchst du sonst etwas, oder hast du noch Fragen?“

„Hättest du dir bei den Namen nicht vielleicht etwas mehr Mühe geben können, Eva? Ernsthaft, welcher normale Mensch heißt denn bitte so?“ Die Unvergängliche lächelte verlegen und erklärte „Heutzutage sind solch ungewöhnliche Namen eben modisch.“

„Ach die Leute sind doch komplett bescheuert, dass sie ihre Kinder mit solchen Namen strafen. Naja, ich will mich nicht beschweren. Danke, dass du dir die ganze Mühe gemacht hast. Ohne dich wäre ich wahrscheinlich noch echt aufgeschmissen.“ Damit umarmte sie die Weißhaarige und holte aus dem Koffer eine Jacke, die sie sich überwarf. Sie gingen gemeinsam ein Stück weit und betrachteten das Meer. Es war eine sehr friedliche Sommernacht und sie konnten das Rauschen der Wellen hören. Im fahlen Licht des Mondes wirkte Eva mit ihrem schneeweißen Haar wie von einem anderen Stern und auch ihre Augen schienen zu leuchten. Alles an ihr wirkte so fremdartig schön und dennoch wirkte sie so zerbrechlich wie eine Lilie. „Wirst du es ihnen sagen?“ fragte Eva schließlich und wandte sich an ihre Begleiterin. Diese schüttelte den Kopf und senkte den Blick. „Nein, es ist besser wenn ich alleine arbeite. Es würde sonst nur zu Komplikationen führen und ich will nicht noch mehr durcheinander bringen. Deshalb werde ich auf deine Hilfsmittel zurückgreifen. Und ich weiß mich ja auch zur Wehr zu setzen. Du weißt ja, ich stehe immer wieder auf.“

„Das stimmt wohl“, gab Eva zu und lächelte. Sie fuhr sich mit ihren Fingern vorsichtig durch ihr Haar, welches im Mondlicht leicht schimmerte. „Ich wünschte, ich könnte das auch. Aber egal was ich auch mache, ich verursache immer nur Leid und Schmerz. Deshalb… deshalb will ich etwas dagegen tun, damit ich nie wieder jemandem so wehtun kann.“

„Was hast du vor? Willst du wieder verschwinden?“

„Nein. Ich werde mein Bewusstsein zerstören und aufhören, weiterhin die unvergängliche Eva zu sein. Mein Bruder hatte Recht. Die Welt ist wesentlich besser dran, wenn es mich nicht gibt. Die Unvergänglichen sind das Bindeglied allem Endlichen zum Unendlichen. Die Verbindung zwischen den Menschen und das, was als das „Göttliche“ bezeichnet wird. Die Quelle allem Lebens und des Todes. Ich wollte die Welt unvergänglich machen, damit es keinen Tod mehr geben muss und keine Trauer. Ich wollte die Menschen, die ich so sehr liebe, nicht verlieren. Dabei habe ich nicht bedacht, was das für schreckliche Folgen hatte. Liam hat ganz Recht, ich bin ein dummes und egoistisches Kind. Aber ich wollte doch niemals jemandem etwas Böses. Ich wollte doch nur niemanden mehr verlieren, den ich liebe.“ Bei diesen Worten brach Eva in Tränen aus und schluchzte leise. Tröstend nahm ihre Begleitung sie in den Arm. „Jeder von uns macht Fehler, Eva. Und natürlich verstehe ich auch deine Angst, aber du musst auch begreifen, dass der Tod zum Leben dazugehört. Alles, was geboren wird, muss irgendwann sterben. Und wenn ich sterbe, dann sterbe ich eben. Vielleicht solltest du dir mal Hilfe suchen um eines Tages besser damit umzugehen. Sprich doch mal mit deinem Bruder. Ich bin mir sicher, dass er dir helfen wird, wenn du ihn darum bittest. Er liebt dich trotz allem, was er dir an den Kopf geworfen hat. Wenn er sieht, dass du an deinen massiven Verlustängsten arbeiten willst, wird er dich sicherlich nicht im Stich lassen. Ihr seid immerhin eine Familie. Und selbst wenn es zwischen euch nicht besser werden sollte, dann kannst du jederzeit zu mir kommen. Dann bin ich nämlich als Schwester für dich da.“ Eva lachte, als sie das hörte und wischte sich die Tränen weg. „Du hast dich seit damals nicht ein bisschen verändert…“

„Na frag dich mal warum. Und so schnell wird mich niemand ändern. Das schafft keiner.“

„Wohl wahr…“


Nachwort zu diesem Kapitel:
So liebe Leute, jetzt ist auch Teil 8 zu Ende und es wird spannend weitergehen. Denn im nächsten Teil erfahren wir, was mit den Proxys passieren wird, wer Evas „Schwester“ ist und was diese nun vorhat. Was will sie mit den Unterlagen und wieso will sie bei Vention einbrechen? Und was hat es mit dem Hyperkubus auf sich, der sich plötzlich aktiviert hat? Das sind alles Fragen, die im nächsten Teil beantwortet werden.

Eigentlich waren Elion und Sheol die einzigen geplanten Proxys gewesen, aber da der Geschichtsverlauf nicht erwünscht verlaufen wäre und Elion nicht gleichzeitig mit Andrew Kontakt aufnehmen und Jeremiels Leben retten konnte, baute ich daraufhin Sariel ein. Sie ist als die jüngste Proxy noch recht normal und versucht für Elion da zu sein, auch wenn sie selbst sehr unter der grausamen Folter Dr. Browns leiden muss. Und sie ist ein guter Ausgleich für den an Schizophrenie leidenden Sheol und den mental angeschlagenen Elion, dessen Persönlichkeit immer weiter zerstört wird. Ich freue mich schon richtig auf den nächsten Teil und hoffe, dass die Freischaltungen nicht schon wieder ewig dauern. Manchmal frage ich mich echt, wieso das immer so lange dauert… Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (21)
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Von:  San-Jul
2014-12-14T18:17:54+00:00 14.12.2014 19:17
Also, dieser Teil war echt super, allerdings find ich es echt dämlich von Eva sich sozusagen selbst zu zerstören, außerdem wieso um fi*k lebt dieser Bastard von Pseudowissenschaftler noch (ja, ich kann ihn absolut nicht leiden)! Vor allem sollte man ihm das antun, was er seinen "Forschungsobjekten" angetan hat, egal ob er es selbst war, oder durch seinen Befehlt.
Ansonsten wars echt genial. Ich finde schön, das Jeremiel so gut in die Familie intigriert wurde. Außerdem war dieser kleine Kampf zwischen L und Liam echt cool.
Ganz liebe Grüße San-Jul
Antwort von:  Sky-
14.12.2014 19:28
Mir gefällts auch nicht, aber leider ist es so, dass Dr. Brown einer der wenigsten ist, die genug über das Projekt wissen, um es weiterzuleiten. Ich hasse den Bastard ja auch und keine Sorge, die bösen Buben kriegen alle eins auf den Deckel, so viel steht fest.
Und was Eva betrifft: Nun, wenn man sich an den Streit mit Liam zurückerinnert und was Jeremiel gesagt hat... sie ist ganz alleine, hat ihre Familie verloren und selbst mit ihrem Bruder kann sie sich nicht versöhnen. Sie ist unglücklich und hat viel unschuldiges Blut an ihren Händen kleben. Jeder, den sie ins Herz schließt, stirbt irgendwann und sie existiert weiter. Sie liebt die Menschen zu sehr und sie opfert andere, um wiederum andere zu retten, was sie in einen nur noch tieferen Teufelskreis stürzt. Sie ist schon ein schwieriger Charakter, der viel zu selten auftaucht, als dass man ihn durchschauen konnte. Keiner kann so wirklich durchblicken, was sie als nächstes plant und was ihre Beweggründe sind.
Antwort von:  San-Jul
16.12.2014 15:01
Yay, da freu ich mich drauf.
Ich finde, das Eva sich nicht umbringen sollte. Selbstmord war noch nie eine lösung. Natürlich hat sie ihre Beweggründe, aber richtig fände ich es trotsdem nicht.
Lg San-Jul
Von:  pri_fairy
2014-11-29T10:27:37+00:00 29.11.2014 11:27
super Kapitel !:)
der 8.Teil war richtig cool :)
ich finde es richtig schön das jeremiel sich gut mit den anderen versteht und die jetzt auch Liam kennen auch wenn L und Liam sich nicht so mögen :D
vor allem mag ich aber auch Sheol und Elion in der Weise das sie mal wieder etwas neues sind und sie wieder neue Blickwinkel auf die Vergangenheit geben :)
ich bin gespannt wie es jetzt weiter geht :)
Von: abgemeldet
2014-11-28T20:16:11+00:00 28.11.2014 21:16
Echt Wow das Kapitel wie der ganze 8. Teil *lächelt*
Ich freue mich schon wenn es endlich weiter geht. *ungeduldig* Aber lass dir Zeit.
Lg^^
Antwort von:  Sky-
28.11.2014 21:20
Kommt auf die Geschwindigkeit der Freischalter an. Ich schreib bereits an Kapitel 7
Von: abgemeldet
2014-11-27T20:22:46+00:00 27.11.2014 21:22
Das Kapitel war fantastisch. ^-^
Von: abgemeldet
2014-11-27T09:58:55+00:00 27.11.2014 10:58
Das Kapi war spitze *-*

Von:  pri_fairy
2014-11-26T21:18:03+00:00 26.11.2014 22:18
schönes Kapitel !:)
süß wie Beyond sich um L kümmern möchte :)
Von:  pri_fairy
2014-11-26T21:08:23+00:00 26.11.2014 22:08
super Kapitel !:)
Von: abgemeldet
2014-11-25T20:44:28+00:00 25.11.2014 21:44
Yahhhh^^ Ein weiteres Kapi O.O
Es war klasse.

Von: abgemeldet
2014-11-25T20:20:52+00:00 25.11.2014 21:20
Hallo das Kapitel war
1.Wow
2.spannend
3.etws gruselig
*-* Das stimmt zum glück lebt Jeremiel wieder *freu* Doch Andy. Warum muss er nur wieder leiden =(
Trotzdem klasse Kapi^^
Von:  pri_fairy
2014-11-25T18:20:10+00:00 25.11.2014 19:20
super Kapitel :)
Bin ich froh, dass Jeremiel wieder lebt!:) Aber der arme Andrew... der tut mir wirklich leid.


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