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Doors of my Mind 2.0

Ihr Freund. Mein Geheimnis
von

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Einmal das Streitmenü zum mitnehmen, bitte!

Kapitel 12 Einmal das Streitmenü zum mitnehmen, bitte!
 

Das Gesicht meines Vaters blickt mir aus der runtergekurbelten Autofenster entgegen. Er lehnt sich umständlich über den Beifahrersitz zu mir. Ich straffe meine Schultern, schniefe lautlos und wische mir unbewusst über die Nase. Die Frage nach seiner Anwesenheit beantwortet sich mit der Tatsache, dass Maya hier ist. Er hat sie vermutlich hergefahren. Warum muss er ausgerechnet hier stehen? Warum ist er überhaupt noch hier? Zudem wird mir langsam bewusst, dass es nicht das erste Mal ist, dass er eine Auseinandersetzung zwischen mir und Raphael mitbekommen haben könnte. Ich atme noch einmal durch und lehne mich ins Autofenster.

„Papa, hey...", sage ich übertrieben fröhlich in der Hoffnung, dass er nichts von meinem peinlichen Theater mitbekommen hat. Wenn dann hätte er sich sicher früher bemerkbar gemacht. Das rede ich mir zu mindestens ein.

„Hallo, mein Sohn. Was machst du denn hier?" Seine Frage ist neutral gehalten. Ich schöpfe weitere Hoffnung, dass mein Auftritt unbemerkt geblieben ist. Dennoch mustert er mich aufmerksam.

„Und warum hast du nur einen Schuh an?" Diesmal ist die Frage eher argwöhnisch.

„Ähm, ich war gestern hier um die Ecke mit Danny unterwegs. Es ist etwas spät geworden und da durfte ich auf Raphaels Couch pennen." Er sieht mich aufmerksam an, während ich abwäge, wie viele Informationen ich preisgeben kann. Im Grunde ist das nicht einmal gelogen, aber keine richtige Antwort auf seine Frage. Ich schlüpfe in den Schuh und lächele dämlich.

„Du trinkst unterhalb der Woche?", fragt er skeptisch und ich lifte meine Augenbraue. Ich durchschaue die Frage.

„Getrunken? Von trinken habe ich nichts gesagt. Wir haben einfach nur gequatscht." Ich lege meinen Finger unter mein rechtes Auge, ziehe es leicht runter und stecke meinem Erzeuger fast frech die Zunge raus. Er packt mich sachte an der Nase und lächelt.

„Touché. Soll ich dich eben nach Hause fahren? Wenn ich schon den Chauffeur für Maya spiele, kann ich auch gleich bei dir weitermachen." Er schiebt seinen Laptop vom Beifahrersitz, doch ich schüttle den Kopf.

„Nein, danke. Ich habe gleich Vorlesungen und die Uni ist, ja gleich um die Ecke." Während ich ablehne, deute ich in die ungefähre Unirichtung und lächele. Mein Vater nickt und ich richte mich auf.

„Na gut, dann sei, aber vorsichtig. Nicht, dass du den Schuh noch komplett verlierst", sagt er zögerlich und danach übertrieben witzig.

„Immer, weißt du doch! Mich haut sowieso so schnell nichts um. Grüße Mama ganz lieb", versichere ich lügend und lächelnd. Ein Profi würde sofort erkennen, dass an meinem Lächeln nichts echt ist. Ich winke meinem Vater zu, knie mich runter um den Schuh zu zubinden und wende mich dann zum Gehen.

„Mark?", ertönt es noch einmal. Ich wende mich zu ihm, doch er winkt nur ab. „Schon gut. Wir sehen uns Freitag." Damit fährt er die Scheibe hoch und ich sehe dabei zu, wie er davonfährt. Hat er doch etwas gemerkt? Ich fühle mich elendig. Zum einen, weil die Reste des Alkohols noch immer in Form eines Seeigels Kreise in meinem Blut schwimmen und zum anderen, weil es sich anfühlt, als hätte man mir mit einem Beil das Hirn und das Herz gespalten. Ich will das nicht mehr. Ich kann es nicht mehr. Meine Hand presst sich gegen meine Brust und ein weiteres Mal beuge ich mich vor, in der Hoffnung der Schmerz würde sich dadurch lindern. Vergeblich. Nichts passiert.
 

Hingegen meiner vorigen Aussage nehme ich doch den Bus und fahre in meine Wohnung. Dort wechsle ich die stinkenden Klamotten und schnappe mir die Unterlagen für die Uni. Das alles geschieht in einem eigenartigen Dämmerzustand. Mein Kopf ist leer und ich fürchte, dass es den restlichen Tag so bleiben wird. Vielleicht sollte ich zu Hause bleiben. Doch, dann werden die Gedanken sicherlich schneller zurückkehren und mich erbarmungslos auffressen.

Auf meinem Schreibtisch liegen die Eintrittskarte für das Kino und der Gutschein, die mich zusätzlichen daran erinnern, dass ich nicht zu Hause bleiben kann. Ich stecke beides in einen Umschlag und verfrachte diesen in meine Jackeninnentasche. Auf in den Kampf. Im Bus zur Uni schalte ich mein Handy wieder ein. Drei Anrufe in Abwesenheit. Zwei sind von Shari und einer von einer unbekannten Nummer. Mein Magen macht eine weitere Karussellfahrt. Dabei ist auch eine SMS von Andrew. Oh oh. Sie weiß es.

Die erste Vorlesung habe ich bereits verpasst. Egal, denn konzentrieren kann ich mich sowieso nicht. Heute wird mein monatlicher Scheißtag.

Nach meinen Vorlesungen trotte ich zu unserem typischen Treffpunkt und sehe als erstes Paul. Ich widerstehe dem Bedürfnis mich einfach umzudrehen und davon zu rennen. Noch habe ich die Chance dazu. Aber nach einem kurzen Zwiegespräch entscheide ich mich dagegen. Schließlich löst das meine Probleme nicht. Meine Stimmung ist aber auf einem neuen Tiefpunkt und diesmal wünsche ich mir tatsächlich mich vaporisieren zu können. Vielleicht mit einem leisen oder doch lauten Puff. Oder ich könnte mich einfach in der Hitze des schmelzenden Mantels des Erdinneren wälzen, bis ich danieder gehe. Ich habe noch immer Raphaels Geschmack auf den Lippen und jeder Versuch ihn fort zu reiben, endet mit dem erneuten Entflammen.

Paul beobachtet mich, während ich auf ihn zu kommen. Ich glaube, dass ich zwischendurch stehengeblieben bin. Vielleicht habe ich mich auch kurz mal umgedreht. Selbst für ihn muss es seltsam rüberkommen, wie ich mich verhalte.

„Hey,...", sage ich kurz angebunden. Ich lehne mich ermattet gegen die Wand neben Paul, ignoriere seinen fragenden Blick.

„Aus welcher Gruft hat man dich heute ausgebuddelt?"

„Mein Schlafsarg hat ein loses Rückenbrett", kommentiere ich wenig amüsiert und schließe die Augen. Mir ist nicht nach Schabernack zu mute, das merkt auch Paul und sieht mich fast besorgt an. Ich würge gerade weitere Fragen ab als plötzlich mein Name durch den Flur gerufen wird. Die geringe Anzahl an Studenten im Flur lässt ihre Stimme besonders schön hallen und sie dringt mir durch Mark und Bein. Die indische Schönheit gleicht einer Gewitterfront als sie auf uns zu stiefelt.

„Mark Gennadij Dima!" Diesmal mit meinem vollen Namen. Oh weh. Ich sehe zu Paul. Er wiederholt murmelnd meinen zweiten Namen und richtet dann seinen Blick auf Shari. Ich greife an seinen Arm und halte ihn fest, bevor er sich verabschieden kann. Wenn ich mich nicht in Luft auflösen kann, dann er auch nicht.

„Nicht dein Ernst, du ziehst mich da tatsächlich mit rein?", kommentiert er meinen deutlichen und festen Griff.

„Du wirst Anwalt. Sei ein Mann, verdammt."

„Ich will ins Wirtschaftsrecht." Für einen Moment blicke ich ihn ungläubig an.

„Irgendwann wirst du vor gefährlicheren Leuten stehen, als vor Shari, also reiß dich zusammen."

„Was bitte ist schlimmer als eine erzürnte indische Gottheit?", gibt er mit zusammengebissenen Zähnen wieder und ich stocke. Bilder von hinduistischen Gottheiten kommen mir in den Sinn. Mehrarmige Körper, die sich mit abgerissen Gliedmaßen und Schädeln schmücken. Ketten aus Köpfen. Messerscharfe Waffen und gefährliche Stäbe. Augenblicklich sehe ich Shari mit einer Kette aus meinen Extremitäten tanzen. Paul greift mir an den Arm und zieht mich damit etwas zurück. Unsere Blicke sind auf Shari gerichtete, die ihre Hand fest in die Seite stemmt und meines Erachtens immer röter wird.

„Oh oh, sie wird zur Reinkarnation von Kali", flüstert er mit zittriger, leiser Stimme und meint die hinduistische Göttin des Todes und der Zerstörung.

„Oder Shiva", merke ich. Die Kommentare trauen wir uns nur zusagen, weil Shari noch nicht in Hörweite ist. Wir schweigen angsterfüllt als sie nur noch einen Meter von uns entfernt ist. Kurz sehen Paul und ich uns an und dann wieder zu der immer heftiger atmenden Schönheit. Ihre geröteten Wangen sprechen von Wut und Empörung.

„Salve", begrüße ich sie kleinlaut in Latein. Ich benutze für meinen Untergang eine tote Sprache als Begrüßung. Das ist eindeutig ein schlechtes Omen.

„Du...Du ... Was hast du dir dabei gedacht?" Sie beginnt mit ihren Händen rumzufuchteln und für ein einen Moment sieht es aus, als hätte sie plötzlich wirklich vier Arme. Ganz im Sinne der Göttin der Zerstörung.

„Lasst mich raten, du hast dir gar nichts dabei gedacht", fährt sie fort und trifft den Kern meines Hauptproblems.

„Wir haben stets nur dein Wohlbefinden im Kopf", versuche ich sie zu beschwichtigen. Paul schiebt sich hinter mich und geht in Deckung und verdeutlicht meiner besten Freundin, dass er so gar nichts mit dem Geschehen zu tun hat.

„Alter, was bist du für ein verdammter Feigling?", frage ich verärgert an Paul gewandt und versuche ihn hinter meinen Rücken hervor zu bekommen. Ein dummes Wechselspiel entbrennt, während Shari immer genervter ausatmet.

„Sieh sie dir doch an. Ich habe doch gesagt, dass sie dich killen wird. Wenn du Glück hast, schlägt sie dir nur den Schädel ein, wenn du Pech hast. wird sie dich 5-Teilen." Dieses kindische Verhalten verärgert sie nur noch mehr. Pauls Hände krallen sich in meine Schultern und ich gebe auf. Er schiebt mich ein Stück zu Shari heran. Ich lasse es geschehen.

„Vielleicht mache ich auch 7 Teile aus dir", gibt Shari noch einen drauf und schaut mich sauer an. „Ernsthaft, was hast du dir dabei gedacht so hinter meinem Rücken zu handeln, Mark?" Ich seufze als Antwort und lasse meine Schultern hängen. Ja, was habe ich mir dabei gedacht? Das frage ich mich jetzt schon seit Tagen. Ich will Shari glücklich sehen. Oder ist es doch nur eine scheinheilige Ausrede um meine Inkompetenz zu kaschieren? Nein, ich möchte sie wirklich glücklich machen, aber wahrscheinlich wähle ich dafür den falschen Weg.

„Was? Hat es dir tatsächlich die Sprache verschlagen?", schlägt Shari nach und ich spüre, wie ich leicht zusammenzucke. Selbst Paul nimmt seine Hände von meinen Schultern, bleibt aber hinter mir stehen.

„Shari, es tut mir leid. Ich weiß, dass ich nicht der Richtige bin um dir Ratschläge über Beziehungen zu geben, aber ich denke, dass du einen Fehler machst, wenn du Andrew einfach aufgibst."

„Ganz Recht, Mark, du bist der komplett Falsche um mir Ratschläge zu geben. Du hast hinter meinem Rücken gehandelt und das, obwohl ich dir meine Beweggründe schon hunderte Male verdeutlicht habe. Du hast mich wirklich enttäuscht." Bei jedem ihrer Worte fühle ich mich geprügelt. Ihr wutenttäuschter Blick bringt mich langsam, aber sicher um. Ich greife nach ihren Händen und halte sie fest. Sie sind warm, fast glühend.

„Du hast vollkommen Recht. Es tut mir leid. Hör mir nur kurz zu. Ja?" Ich schaue sie eindringlich, aber bittend an. Unwillig schluckt sie ihre Folgeworte runter. An ihrem Blick sehe ich, dass sie nun eine gute und einleuchtende Erklärung erwartet. Alles anderen lässt sie nicht gelten. Die Strähnen ihres schwarzen, glänzenden Haares rahmen ihr wütendes Gesicht und sorgen dafür, dass sie noch immer zauberhaft aussieht.

„Ich möchte nur, dass du es versuchst und dir und Andrew eine winzige Chance gibst." Ich greife in die Innentasche meiner Jacke, hole den Umschlag hervor. Eine ihre Hände behalte ich in meiner. Durch die Kälte meiner Finger merke ich besonders, wie viel Hitze von ihr ausgeht.

„Ich habe für euch einen Tisch reserviert um 20 Uhr. Ihr könnt den Gutschein nutzen. Du weißt schon. Du findest darin auch noch eine Kinokarte für einen Film der um 19:30 Uhr beginnt. Ich habe vergessen, was es ist, aber es ist eine dieser Liebeskomödien, die du so magst. Ich dachte, du kannst sie als Alibi benutzen und deinen Eltern sagen, dass du mit mir im Kino bist. Dort werden sie dich nicht anrufen oder sich wundern, warum du nicht rangehst. So kannst du mit Andrew einen ruhigen Abend verbringen. Er weiß Bescheid, aber bitte, gib ihm daran keine Schuld. Ich habe ihn überredet. Shari, es tut mir wirklich leid. Ich weiß, dass du glaubst, dass ich es unüberlegt und aus purer Egomanie gemacht habe, aber ich habe nur das Beste für dich im Sinn gehabt. Das musst du mir glauben." Ich sehe auf und sie schweigt. „Weißt du, ich denke immer wieder daran, wie glücklich du nach euren ersten Treffen warst. Deine Augen haben geleuchtet, wenn du von seinen lieben Worten gesprochen hast, die er dir geschrieben oder gesagt hat. Ich weiß, wie gern du Andrew eigentlich hast und dass du im Grunde den Schritt und den Versuch mit ihm wagen willst. Doch in dir steckt einfach zu viel von der Vernunft, von der ich zu wenig besitze. Bitte, gib euch noch eine Chance. Sei glücklich. Versuche es wenigstens. Du bist mir so wichtig, Shari. Ich möchte, dass du glücklich wirst. Deine Augen sollen wieder leuchten, wie Bernsteine, die durch die untergehende Sonne geküsst werden. Auch wenn das heißt, dass ich dich demnächst teilen muss. Ich will dich glücklich sehen und nichts anderes. Und jetzt darfst du mich weiter anschreien." Die ganze Zeit über sieht sie mich schweigend an. Die plötzlich eintretende Stille ist noch schlimmer, als das vorige Anschreien. Mein Puls rast. Ihre schönen, braunen Augen mustern mein Gesicht ausführlich. Wahrscheinlich kann sie meine Angst riechen. Sie beißt kurz die Zähne zusammen. Kleine Falten bilden sich auf ihrer Stirn.

„Elender Romantiker!", brummt sie mir entgegen, reißt mir den Umschlag aus der Hand und dreht sich um. Sie stampft davon. Ich blicke ihr nach und meine eisige Hand legt sich über meine Lippen. In diesem Moment hoffe ich inständig, dass das mit Andrew nicht in die Hose geht. Ich fühle mich, trotz der Tatsache, dass ich noch lebe, elendig.

„Wie jetzt?", fragt Paul und schaut der abzischenden Shari dümmlich hinterher. Ich lehne mich wieder gegen die Wand und schließe die Augen.

„Ist sie noch sauer oder hast du ihr mit deiner kitschigen Ansprache so sehr das Herz verklebt, das sie weich geworden ist?"

„Sie kocht vor Wut", sage ich und atme erschöpft aus. Ich hätte zu Hause bleiben und mich ins Bett legen sollen. Im Moment läuft nichts rund. Gar nichts. Null. Nada. Niente. Rei. Nol. In meinem Kopf formulieren sich noch weitere Sprachen und ich seufze über den sinnlosen Gebrauch meiner Gehirnkapazitäten. Noch immer steht Paul verwundert neben mir. Ich stoße mich von der Wand ab und greife meinen Rucksack, der am Boden steht.

„Gennadij, ja?" Bei der Wiederholung meines Zweitnamens sehe ich mit hochgezogener Augenbraue auf. Natürlich hat er sich das gemerkt. Sonst muss ich es mindestens drei Mal wiederholen, bevor es jemand versteht oder auch nur aussprechen kann. Auch Shari hat es sich merken können. Dabei hat sie es nur einmal in meinem Ausweis gesehen. Ein einziges Mal.

„Tja, was soll ich sagen. Meine Eltern hatten damals noch die Hoffnung aus mir würde was Vernünftiges werden." Der Name bedeutet von edler Geburt. Sie haben sich eindeutig geirrt. Paul darin zu bestätigen, dass ich den Namen nicht mochte, würde nur mehr für Sticheleien sorgen, also beuge ich mit meinen eigenen Witzen vor. Paul grinst. Nach dem Mittagessen bringe ich die restlichen Vorlesungen hinter mich. Unentwegt starre ich auf mein Handy in der Hoffnung, dass sich Shari noch einmal bei mir meldet. Nichts. Ich schreibe ihr eine weitere Entschuldigung. Insgesamt 6 Stück den restlichen Tag über, aber sie schmollt.
 

Auch in meiner Wohnung angekommen, sehe auf mein Handy. Noch immer nichts. Shari schreibt mir einfach nicht. Ich tippe erneut eine lange Entschuldigungsbenachrichtigung, doch diesmal schicke ich sie nicht ab. Leise seufzend schiebe ich das Telefon zurück in die Hosentasche, stelle meinen Rucksack auf den Schreibtisch und lasse mich danach aufs Bett fallen. Mein Kopf schmerzt und mein Mund ist trocken. Nach dem Mittag hat der Kopfschmerz wieder angefangen. Im Grunde hat er nie aufgehört und obwohl die Ruhe und ein wenig Schlaf gut für mich wären, kann ich mich einfach nicht dazu durchringen. Im Gegenteil, die Stille macht mich nervös. Ich fühle mich allein. Es ist niemand da, mit dem ich reden kann. Ich würde so gern mit Shari über all das mit Raphael reden. Über Mayas Worte. Ich habe mich durch meine Dummheit selbst isoliert. Keine Shari. Kein Danny. Paul ist zwar da, aber nicht in der Materie, also keine Möglichkeit.

Ich setze mich auf und sehe auf meine schlabberig verbundene Hand. Der Mullstoff hat Flecken in verschiedenen Farbtönen. Für manche wäre das moderne Kunst. Ich muss dringend den Verband wechseln.

Im Badezimmer stelle ich mich vor das Waschbecken, lasse mir Wasser in die unverbundene Handfläche fließen und reibe mein Gesicht ab. Feuchtigkeit trifft auf meine Lippen und ich lecke sie davon. Als ich aufblicke, betrachte ich mein Spiegelbild. Ein ziemlich kaputter Idiot. Ich sehe weg und greife nach einem neuen Verband. Ich wickele den alten ab, reibe die noch immer rote Wunde mit Desinfektionsmittel und Wundsalbe ein und verbinde es neu. Als ich fertig bin, fällt mein Blick auf das Massageöl. Ich denke sofort an Jake und die Beklemmung in meiner Brust nimmt weiter zu. Jake, der Lückenbüßer, spottet es in meinem Kopf. Auch er ist für mich immer die zweite Wahl gewesen, wenn man es so will. Es ist auch nicht sehr rühmlich von mir, dass ich immer wieder auf ihn zurückgreife. Mein Verstand schreit dennoch danach, dass ich mit ihm glücklich werden kann, aber ich muss endlich ehrlich zu ihm sein. Ich nehme das Öl mit in mein Wohn-Schlafzimmer und stelle es auf dem Nachttisch ab. Es hat einen exotischen Geruch. Eine blumige Süße. Ich drehe den Deckel auf und lasse mir etwas auf die Fingerspitze laufen. Der Duft umnebelt mich. Ich lasse mich nach hinten fallen und bleibe liegen. Er erinnert mich an Shari. Sie duftet auch immer so herrlich. Meine Augen schließen sich genießend und ich verteile das Öl in meiner Hand, lasse sie danach über meinen Hals wandern. Ein leises Seufzen erfüllt den Raum. Ich fühl mich gerade ausgesprochen einsam.
 

Irgendwann drehe ich mich auf die Seite und starre grüblerisch an die Wand. Ich muss mit Jake reden und ihm gestehen, was mein Problem ist. Bisher haben wir vor allem Spaß und Freude. Ich weiß, dass Jake zu Beginn unserer Treffen einer Beziehung nicht abgeneigt war, ob das noch immer so ist, weiß ich nicht. Vielleicht will er nur noch seinen Spaß mit mir, weil ich so wankelmütig bin. Ich wälze mich in meinem Bett hin und her und setze mich dann auf. Meine Hände fahren über mein Gesicht. Einatmen. Ausatmen. Einatmen und wieder ausatmen. Ich muss etwas ändern, denn so wie die Situation im Moment ist, bringt es mich bald um. Vielleicht ist die Lösung eine richtige Beziehung mit Jake. Aber vorher müssen wir einiges klären. Ich greife nach meinem Handy und schreibe Jake eine Nachricht.

-Hey. Ich bin einsam.- Keine 5 Minuten später spüre ich Vibrationen auf meinem Bauch, die mir einen Anruf ankündigen. Jake. Ich zögere mit der Annahme, denn ich weiß nicht, was ich ihm eigentlich erzählen soll.

„Hey", sage ich, nachdem ich endlich den grünen Hörer gedrückt habe.

„Na mein Hübscher, was ist los?" Jakes sanfte Stimme erheitert mich nur halb so sehr, wie ich gehofft habe. Wir telefonieren so gut, wie nie, daher ist schon ein wenig seltsam.

„Ich habe ein kleines Tief. Kommst du demnächst mal wieder her?" Ich komme gleich auf den Punkt. Jake antwortet nicht sofort, was kein gutes Zeichen ist.

„Mark, es tut mir leid, aber ich habe eine ziemlich volle Woche. Viele Geschäftsmeetings und am Abend noch mehrere Essen mit einem potenziellen Kunden, der gebauchpinselt werden will." Er klingt wirklich aufrichtig. Dennoch kann ich mir ein enttäuschtes Seufzen nicht verkneifen.

„Schon gut. Ich weiß, dass dein Job zeitintensiv ist."

„Was ist denn mit deiner Blume?"

„Shari redet gerade nicht mit mir." Ich höre, wie er verwundert die Luft einzieht und drehe mich zur Seite. Meine Augen schließen sich erschöpft.

„Oje, was ist passiert?"

„Ich habe mich in ihr Leben eingemischt und jetzt ist sie sauer." Ich klinge schrecklich bemitleidenswert, dabei ist das nicht mein Anliegen. Auf keinen Fall will ich ihm ein schlechtes Gewissen machen, weil er mich mit meiner schlechten Stimmung allein lässt. Jake kann von allen am wenigstens dafür.

„Ach, Mark, Kopf hoch, das legt sich sicher wieder." Ich stelle mir vor, wie er aufmunternd lächelnd. Ich denke auch an seinen sorgenvollen Blick, denn er immer hat, wenn er mich ansieht. Im Hintergrund höre ich, wie Jake gerufen wird.

„Entschuldige, aber ich muss los... Soll ich nachher noch mal zurückrufen?"

„Nein, schon gut. Geh und lass deine Kollegen nicht warten. Ich übertreibe sowieso maßlos", sage ich gespielt fröhlich und lege nach einer Verabschiedung schnell auf. Was habe ich erwartet. Er ist viel unterwegs, hat viel zu tun und lebt ein echtes erwachsenes Leben.
 

Ich bleibe eine Weile liegen, doch jedes Mal, wenn ich meine Augen schließe, dann sehe ich Raphael und Maya. Seine Worte. Ihre Worte, die in meinem Kopf umher hallen. Ich richte mich auf. Sie hat die Bilder gesehen. Sie hat meine Bilder behalten. Unwirsch beginne ich, meine alten Zeichenmappen unter dem Bett hervor zu kramen. Ich gehe die Zeichnungen alle durch. Als ich damit fertig bin, steht definitiv fest, dass einige Bilder fehlen. Vor allem Aktstudien und Portraits. Erneut wabert sich Fassungslosigkeit durch meinen Leib. Sie verklebt meine Rezeptoren, sodass ich das Gefühl habe, komplett leer zu sein. Keine weiteren Emotionen. Nichts. Ich fühle mich betäubt. Nur noch Bestürzung.

Nach einer Weile stehe ich auf und setze mich an meinen Schreibtisch. Vielleicht hätte ich es Raphael gleich sagen sollen? Ob es etwas geändert hätte? Ich bin mir nicht mehr sicher. Unbewusst greife ich nach einem Bleistift, tippe unruhig auf einem unbeschriebenen Blatt Papier umher. Meine Wange lehnt in meiner Handfläche. Unbewusst beginne ich zu zeichnen. Meine Art der Problembewältigung. Nur, dass es nicht immer hilfreich ist. Noch immer habe ich Shari im Hochzeitssari im Kopf und während ich mir selbst keine gute Zukunft ausmale, erwünsche ich mir die Beste für sie. Ich zeichne sie stehend im Dreiviertelprofil. Ihr Blick geht zur Seite und doch ist deutlich ihr sanftes, weiches Gesicht zu erkennen. Mit schnellen Strichen formt sich das zauberhafte Gewand um ihren schlanken Körper. Fließende Stoffe. Weiche Materialien, die ihre wunderbaren Rundungen betont. Die vereinzelten Stellen, die Teile ihrer Haut preisgeben sind zuerkennen und schüren dennoch Fantasien. Für mich hat Shari eine perfekte weibliche Figur. Aber was weiß ich schon? Ich sehe das satte Rot, welches ihren Kurven schmeichelt und durch Feinheiten Glanz und Ausdruck erhält. In meinem Kopf ist das Bild schon längst vollendet. Detailreich und fantasievoll. Doch meine Gedanken driften immer wieder zu den Männern in meinem Leben. Raphael und Jake. Sie können nicht unterschiedlicher sein.

Nach einer Weile krame ich meine alten Marker hervor. Die habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr benutzt. Ich zeichne grübelnd an dem Bild, während ich versuche zu verstehen, was ich eigentlich will. So bescheuert es auch klingt, aber ich hätte gern ein klares, deutliches Zeichen. Soll ich weiterhin auf Raphael warten oder mich doch endgültig Jake zu wenden. Was soll ich nur machen?

Ich beginne mit einem goldenen Gelstift feine Verzierungen in den seidigen Stoff einzuarbeiten. Der Glanz passt sich dem zarten Karamellton ihrer Haut an. Ich betrachte das Bild. Shari ist noch immer sauer und wahrscheinlich wird sie das auch noch eine ganze Zeit lang sein. Ich kann es ihr nicht verübeln. Am liebsten würde ich mir von ihr Rat und Beistand holen. Doch ich muss ihr die Zeit geben um sich zu beruhigen. Ich lehne mich zurück, sehe auf das fast fertig kolorierte Bild meiner schönen Freundin.
 

Wieder ist es ein unerwartetes abendliches Klingeln, welches mich aus meinen Gedanken reißt. Ich schiebe die Stifte weiter auf den Tisch um zu verhindern, dass sie irgendwann runterkullern und gehe zur Tür.

Es ist Jake, der mit bereits gelockerten Arbeitsklamotten geschafft vor der Tür steht. Seine braunen Augen sehen mich liebevoll an.

„Jake!", sage ich verwundert und bin wirklich perplex. Nach seiner Absage vorhin habe ich in keiner Weise mehr mit ihm gerechnet. Er beugt sich zu mir runter. Unsere Lippen berühren sich zu einem hingehauchten Kuss.

„Ich dachte, du hast zu tun?", frage ich noch immer überrascht

„Der erste Termin ist morgen eine mehrstündige Fahrt entfernt. Da ist egal, ob ich sie von hier oder vom Hotel ausmache. Außerdem kann ich doch nicht zulassen, dass du vor lauter Einsamkeit dein freches und wunderbares Mundwerk verlierst", kommentiert er seine Anwesenheit. Anscheinend müssen meine Kommentare von vorhin wirklich alarmierend gewesen sein. Ich bin ein schlechterer Schauspieler als ich dachte. In mir regt sich das schlechte Gewissen, weil die Beweggründe für mein depressives Verhalten breiter gefächert sind, als ich Jake berichtet habe. Er stellt seine Tasche ab und zieht seine Schuhe aus. Er kommt auf mich zu und ich erwidere den sanften, langen Kuss, der meine Lippen trifft. Meine Gefühle sind gespalten. Ich freue mich darüber, dass Jake hier ist und meiner Bitte gefolgt ist. Ist das mein Zeichen?

„Und ich freue mich, dich noch mal zu sehen", sagt er hinterher. Ein weiterer Kuss und ich halte meine Augen einen Moment geschlossen, eher ich ihn in die Küche führe und Wasser aufsetze.

Jake stellt sich hinter mich und legt mir seine Arme um den Bauch. Ich spüre seinen warmen Atem, der meinen Hals streift und schmiege mich in die wohltuende Umarmung. Seine weichen Lippen betten sich auf meine Haut.

„So ruhig. So kenne ich dich gar nicht. Was ist los?" Ein weiterer Kuss trifft meinen Nacken, einer anderer legt sich unterhalb meines Ohres. Ein leichter Atemhauch streift mein Ohrläppchen.

„Auch Clowns haben mal einen schlechten Tag", erkläre ich ermattet und schließe meine Augen, als sich seine Lippen gegen meine Schläfe drücken und dort verharren. Ich schwelge in der Wärme, die mir entgegen strömt. Doch in dem Moment, in dem ich meine Augen schließe, wünsche ich mir Raphael an meine Seite. Wird dieses Gefühl jemals verschwinden? Ich bin ein schlechter Mensch.

Ich drehe mich in der Umarmung um und sehe ihn an. Jake ist nur wenig größer als ich, dennoch muss ich hochblicken. Seine warmen, braunen Augen sind voller Sorge. Das schlechte Gefühl in mir wird immer schmerzvoller. Ich frage mich, was er in diesem Moment denkt. Wie würde er reagieren, wenn ich ihm die Sache mit Raphael beichte? Würde er es verstehen? Würde er sich von mir abwenden? Ich habe ihn belogen. Mehr als einmal. Muss er wirklich von Raphael erfahren? Ich schaue auf die Falten seines Hemdes. Sie durchbrechen das feine Linienmuster. Mein Puls geht nach oben und ich atme kurz durch.

„Rede mit mir, Mark?" Ich habe seine gesamte Aufmerksamkeit und ich verspüre Panik.

„Was ist das für eine Beziehung, die wir haben? Ist es überhaupt eine?", frage ich leise und schaffe es nicht ihn anzusehen. Mit jeder Sekunde, die er nichts sagt, wird mein Puls heftiger. Bevor er Antworten kann, klingelt es an der Tür. Ich sehe verwundert zur Seite, blicke danach in die ebenso fragenden, braunen Augen des anderen Mannes. Ich rege mich nicht und hoffe, dass derjenige einfach wieder geht. Doch es klingelt erneut, diesmal eindringlich und lange.
 

Ich winde mich aus Jakes Griff und hoffe, dass es nur ein verirrter Nachbar ist. Doch dem ist nicht so. Als ich die Tür öffne, steht Raphael davor. Er lehnt sich mit seinem Ellenbogen gegen den Türrahmen und sieht mich an. Mit ihm habe ich genauso wenig gerechnet, wie mit Jake eben.

„Können wir bitte reden?", erkundigt er sich bittend und leise.

„Schlechter Zeitpunkt", flüstere ich ihm knapp zu.

„Mark, bitte." Ein weiterer Versuch. Ich bin mit der Situation überfordert. Raphaels Hand legt sich gegen die Tür und er versucht sie aufzudrücken. Unwillkürlich halte ich dagegen. Ich sehe von ihm in den Flur und kann nicht verhindern, dass ich danach zur Küche schaue.

„Du bist nicht allein!" kommentiert Raphael mein Zögern und meine Reaktion. Anstatt sich zurückzuziehen, richtet er sich auf, um so problemlos über mich rüber zu schauen. Er linst in meinen dunklen Flur und ich stelle mich ihm weiter in den Weg. In Raphaels Blick schwimmt etwas, dass ich so intensiv noch nie bei ihm gesehen habe.

„Ich bin kein Eremit", sage ich säuerlich und ziehe ihn am Kragen runter. Raphael blickt mich kurz irritiert an und versucht dann wieder forschend in meine Wohnung zu sehen. Ich halte ihn unten.

„Ist Shari bei dir?" Ein unbekanntes Funkeln. Es lässt das Grün seiner Augen leuchten.

„Nein, und es braucht dich nicht zu interessieren!" Wir funkeln uns gegenseitig an. „Warum bist du hier?", erfrage ich.

„Wir wollten reden", sagt er lapidar und ich sehe ihn verwundert an.

„Wann habe ich zu gestimmt, dass wir reden?"

„Heute Morgen, ich habe gesagt, wir reden später und jetzt ist später."

„Ja, Raphael, aber jetzt ist zu spät. Ich habe gesagt, du sollst gehen", sage ich diesmal energisch. Ich mache wieder Anstalten die Tür zu schließen, doch Raphael drückt sie mit der Hand auf. In diesem Moment kommt auch Jake aus der Küche und erkundigt sich nach dem Stand der Dinge. Ich habe das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die beiden Männer sehen sich an und erkennen sich sofort. Sie kennen sich bereits länger und soweit ich mitbekommen habe, sind sie nicht gut aufeinander zu sprechen.

„Raphael? Was willst du hier?", fragt Jake verwundert, als er ihn im Türrahmen stehen sieht.

„Er will wieder gehen. Gute Nacht, Raphael", sage ich und sehe den Freund meiner Schwester eindringlich an. Doch dieser rührt sich nicht. Mittlerweile steht Jake direkt hinter mir.

„Ausgerechnet du!", knurrt Raphael leise. Es sind nur diese zwei Worte und doch scheint es, dass sich mit einem Mal zwischen beiden alles klärt. Nur für mich nicht. Raphael weiß um meine Verbindung zu dem anderen Mann und Jake wurde die Bedeutung Raphaels klar, als ich ein weiteres Mal energisch versuche, ihn raus zu bugsieren.

„Bitte, gehe jetzt", versuche ich es ein letztes Mal. Ich drücke Raphael an der Brust ein wenig nach draußen. In diesem Moment löst sich die schmale Silberkette aus seinem T-Shirt. Jake sieht sie und es braucht nicht lange bis er sie erkennt. Ich spüre prompt Jakes Reaktion hinter mir, als ihm die Bedeutung immer deutlicher wird. Er greift mir an den Arm und zieht mich zurück. Fest und unnachgiebig.

„Du bist wegen ihm so seltsam drauf, oder?" Mir läuft es eiskalt den Rücken hinab, als ich die Worte höre. Anscheinend versteht er sofort, was hier vor sich geht. Ich wende mich zu ihm um. In Jakes Blick schwimmt Ungläubigkeit und Wut. Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Mein Mund klappt auf, aber kein Geräusch entflieht meinen Lippen.

„Ernsthaft?" Jake interpretiert mein Schweigen als ein Ja.

„Bitte erklär es mir, denn meinem Wissen nach geht mit deiner Schwester", sagt er bissig. Jakes Hand gleitet zu meinem Handgelenk und er zieht mich energisch in den Flur. Von Raphael weg.

„Wieso genau ist er hier und was ist das zwischen euch?" Er will eine Erklärung, die ich ihm nicht ohne weiteres geben kann.

„Es geht dich nicht das Geringste an, was zwischen uns ist", mischt sich nun Raphael ein und ist damit wenig hilfreich. Er folgt uns in die Wohnung und schließt die Tür. Nun stehen wir zu dritt im dunklen Flur. Jake lässt mich los, drückt mich zur Seite und baut sich vor Raphael auf. Ihre angespannten Körper verströmen ungemein viel Aggressivität.

„Solltest du um diese Uhrzeit nicht deine Freundin ins Bett bringen und dir ihre fantastischen Kindergartengeschichten anhören?", knallt Jake Raphael entgegen und ich beiße die Zähne zusammen. Raphaels Augen werden schmaler. Ich kann deutlich sehen, wie es in ihm arbeitet. Er versucht die Kontrolle zu behalten und dafür bin ich ihm dankbar. Eine Eskalation kann keiner gebrauchen. Doch, ich irre mich.

„Müsstest du nicht mit dem Kopf in dem Arsch deines Chefs stecken? Kriechen und Graben? Ach, ich vergaß, er hat kein Interesse an alten Männern. Zu wenig Standhaftigkeit", gibt Raphael retour und ich spüre, wie mir die Schamesröte ins Gesicht steigt. Dass sich die Beiden kennen und anscheinend nicht mögen, wird allmählich erschreckend deutlich. In meinem Kopf beginnt es zu rotieren.

„Sagt der zwangskastrierte Schössling einer dummen, blonden Prinzessin? Anscheinend mangelt es dir an vernunftbewusster Entscheidungskraft", sagt Jake bissig und ein fast fieses Grinsen schleicht sich auf seine Lippen.

„Sagt der mit einem brisanten Mangel an Überzeugungskraft. Wenigstens muss ich mich nicht durch Gefälligkeiten gegenüber meinem Chef profilieren."

„Immerhin habe ich Erfolge vorzuweisen, von denen du in Hundertjahren noch träumst. Meine Arbeit spricht für sich. Du Möchtegerncoach."

„Du sitzt in einem stinkenden kleinen Kabuff von Arbeitszimmer und lässt dich für einen Hungerlohn durch die halbe Welt jagen. Folgsam und hörig, aber man erwartet nichts anderes vom Schoßhündchen des Chefs. Nur zu schade, dass er langsam kein Interesse mehr an dir hat. Wer weiß, wo du dich noch hättest hin schlafen können. In ein Zimmer mit Fenster vielleicht", antwortet Raphael bissig und auch Jakes Augen werden zu schmalen Schlitzen. Mit jedem Schlagabtausch scheinen sie sich minimal näher zu kommen. Ich bin noch völlig erstarrt. Schoßhündchen? Möchtegerncoach? Ich habe nicht geahnt, dass die beiden sich so sehr hassen.

„Kann ja nicht jeder so einen nutzlosen Freiluftjob haben, wie du, Raphael!" Das ist nicht zum Aushalten.

„Jetzt hört auf!" Ich versuche dazwischen zu gehen, doch sie ignorieren mich. Sie bewegen sich keinen Millimeter auseinander. Dennoch legt sich Raphaels Hand sachte an meiner Brust und er schiebt mich weg. Fast als würde er mich aus der Schussbahn nehmen.

„Würde sich Marika nicht ab und an dazu erbarmt, dich mal wieder an ihren Leben teilhaben zu lassen, würdest du doch in deinem Bürokabuff versauern", zischt ihn Raphael direkt an.

„Halt meine Cousine da raus, sonst...", kommt es drohend von Jake. Seine Hand stößt gegen Raphaels Brust.

„Sonst, was?", erwidert Raphael fordernd. Nun stehen sie sich mit nur wenigen Zentimetern Entfernung gegenüber und ich habe das Gefühl, im völlig falschen Film zu sein. Der gesamte Raum ist voller Anspannung und Aggressivität. Es fehlt nur noch, dass sie aufeinander einschlagen. Ich kriege nun doch Angst.

„Stopp, das reicht", belle ich den beiden laut und warnend entgegen. Ich schiebe mich zwischen die aufgebrachten Körper. Hitze und Anspannung treffen mich von allen Seiten. Ich bekomme Gänsehaut und diesmal ist es keine Gute.

„Kommt wieder runter. Ihr benehmt euch, wie streitende 5-Jährige im Bällchenparadies." Ich schiebe sie sachte auseinander und bin mir bewusst, dass ich nichts ausrichten könnte, wenn sie beginnen würden sich zu prügeln. Zudem ist mein Humor schrecklich unangebracht. Ich sehe kurz zu Raphael. Sein Kiefer ist angespannt. Es ist mehr als Wut in seinem Blick. Jake wendet sich zu mir, doch ich merke, wie Raphaels Blick ihn weiter zu durchbohren scheint.

„Ernsthaft Mark, was willst du mit diesem Heuchler?" Jake wartet auf eine Erklärung und ich weiß nicht, wo ich ansetzen soll.

„Hör zu, es ist nicht so einfach zu erklären.", setze ich an und werde direkt wieder unterbrochen.

„Doch, das ist es. Schläfst du auch mit ihm?", fährt mich Jake an.

„Nein." Es ist nicht gelogen, denn wirklich miteinander geschlafen, haben wir nicht.

„Aber trotzdem wolltest du mich wegen ihm gerade abservieren?" Jake ist zu Recht aufgebracht.

„Ich wollte dich nicht abservieren", gebe ich kleinlaut von mir und fahre mir nervös über das Gesicht. Das genaue Gegenteil war der Fall, doch das kann ich in diesem Moment nicht sagen. Ich fühle pure Verzweiflung.

„Wieso dann die Frage nach unserem Beziehungsstatus?"

„Bitte geh, Raphael. Geh!", sage ich auffordernd. Ich drehe mich zu Raphael und erschrecke vor den Emotionen in seinen Augen, die nicht allein an Jake gerichtet sind.

„Nein, schon gut, ich werde gehen", sagt Jake stattdessen, greift nach seiner Jacke, den Schuhen und seiner Tasche. Er verschwindet durch die Tür. Ich schiebe Raphael zur Seite und folge ihm.

„Jake, warte." Ich halte ihn im Flur zurück. Er dreht sich abrupt um und ich pralle fast gegen ihn.

„Du solltest beim nächsten Mal besser aufpassen, wen du alles einlädst."

„So war das nicht."

„Spar es dir, ich sag dir nur eins. Er ist die falsche Entscheidung." Mit diesen Worten, lässt Jake mich stehen und rauscht davon. Einen Moment sehe ich ihm nach. Das kann doch alles nicht wahr sein. Auch wenn die Gewissheit in mir kitzelt, dass die Wahrscheinlichkeit groß war, dass das irgendwann passiert, erschlägt sie mich. Warum gerade jetzt?
 

Ich gehe zurück in die Wohnung und schließe die Tür hinter mir. Ich seufze und lehne meine Stirn gegen das harte Holz. Meine Augen sind geschlossen. Ich versuche mich zu sammeln und drehe ich mich um. Raphael steht in unveränderter Position im Flur. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, doch er blickt zu Boden. Sein Verhalten macht mich wütend. Alles an der Situation macht mich wütend.

„Ich finde es zum Kotzen, dass du einfach hier auftauchst und alles niederreißt. Du trennst dich nicht von ihr, also hast du dich de facto für meine Schwester entschieden. Steh doch einfach dazu", sage ich aufgebracht. Ich stoße ihn mit dem Rücken gegen die Wand. Raphael antwortet nicht, regt sich nicht und sieht mich nicht mal an. Das regt mich nur noch mehr auf. Ein Moment sehe ich dabei zu, wie sich sein Kiefer anspannt und wie seine Zähne knirschend übereinander gleiten.

„Mach gefälligst den Mund auf! Rede mit mir, verdammt. Jake hattest du doch gerade auch mächtig viel zu sagen" Ich stoße ihm ein weiteres Mal gegen die Brust. Sein Rücken liegt bereits an der Wand, somit zuckt sein Körper nur jedes Mal, wenn ich ihn treffe. Seine Passivität bringt mich zum Kochen, denn nach dem Streit mit Jake, weiß ich, dass er sehr wohl anders kann.

„Warum machst du das mit mir? Macht es dir Spaß mich immer wieder zu reizen, um mich im nächsten Moment mit ansehen zu lassen, wie du meine Schwester fi..." Ich spreche es nicht aus, weil Raphaels Hände meine Handgelenke zu fassen bekommen.

„Warum er! Warum musst du mit ihm ins Bett gehen?", schreit er mich an und tauscht unsere Positionen. Er drückt mich heftig gegen die Wand. Ich halte vor Schreck die Luft an. Er packt mein Kinn und neigt meinen Kopf zur Seite. Ich schließe die Augen als ich Raphaels Lippen an meinem Hals spüre. Es folgt ein Biss. Ich zucke, als sich der Schmerz durch meinen Körper arbeitet. Sein Griff an meinem Kinn lässt erst nach als sich ein definitives Mal auf meiner Haut abbildet. Direkt über dem alten. Es ist so lächerlich. So kindisch. So falsch.

Ich schnaufe verächtlich und greife neben mir zur Klinge der Haustür. Der leichte Luftzug, der hindurchdringt, als ich die Tür einen Spalt öffne, ist erfrischend und saugt Teile der angespannten Atmosphäre heraus, aber nichts der Emotionen. Raphael versteht, was ich ihm damit sagen will. Ich merke, wie sich sein Körper anspannt und dann spüre ich, wie er ebenfalls die Hand ausstreckt und die Tür schließt. Seine Hand legt sich auf meine. Sein Körper presst mich dichter gegen die Wand. Seine Fingerspitzen streicheln meine Wange. Die Hand, die meine an der Türklinke umfasst, zieht sie in einen sanften Griff. Er verschränkt seine Finger mit meinen und führt die Hand neben meinen Kopf gegen die Wand. Ich schaffe es nicht, ihn anzusehen und halte meinen Blick gesenkt. Die Vene an seinem Hals pulsiert. Sein Adamsapfel hüpft schwer und angestrengt. Ich höre die Schwere seines Atems und bilde mir ein, dass sich langsam, aber sicher sein rasender Puls auf mich überträgt. Seine Hand streicht über meine Wange bis seine Fingerspitzen mein Ohr berühren.

„Es tut mir alles so leid. Bitte, schick mich nicht weg", flüstert er mit zitternder Stimme. Ich sehe auf. Seine schönen grünen Augen sind voller Schmerz und Reue. Ein feuchtes Schimmern von Tränen. Ich starre auf eine durchsichtige Spur, die sich über seine Wange zieht.

„Schick mich jetzt nicht weg."



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Morphia
2015-01-24T08:50:39+00:00 24.01.2015 09:50
Du kannst doch jetzt nicht aufhören mit dem Kapitel! X.x Du Sadist! T.T
Weißt du, wie oft ich schon geglaubt habe, dass jetzt alles gut zwischen Raphael und Mark wird?! Und jedesmal gibt's wieder einen neuen Knall. Zu spannend! >.<
Von:  Touki
2015-01-22T21:49:40+00:00 22.01.2015 22:49
Oh Nein, mit so einem Zusammentreffen hätte ich ja nun nicht gerechnet aber es war vielleicht mal nötig. Damit auch Raphael sieht das Marc's Leben weiter geht auch ohne ihn dann.

Irgendwie tut mir Jake aber auch Leid. Ich glaube schon das er Marc aufrichtig liebt und das zeigt ja auch das er am Abend noch gekommen ist. Irgendwie würde es mich auch nicht stören, wenn es zwischen ihnen ein Happy End geben würde. Ich mag Raphael aber so langsam sollte er sich doch darüber im klaren sein was er will und was nicht und sich nicht immer hinter Marc's Schwester verstecken >.<

Hach ja , der cut an der spannenden Stelle war echt fies :3 aber ich freue mich auf das nächste Kapitel <3

Lg Winterzauber
Von:  Kari06
2015-01-21T23:05:19+00:00 22.01.2015 00:05
Da hat jemand wohl mal endlich was kapiert. Raphael's Reue kommt etwas spät aber sie ist auf jeden Fall aufrichtig.

Ich frage mich ja was zwischen Jake und Raphael vorgefallen sein muss. Da muss in der Vergangenheit irgendwas passiert sein sonst hätten sie nicht so heftig auf einander reagiert.

Ich hoffe das sich jetzt endlich was zwischen Mark und Raphael ändern wird.

LG Kari
Von:  Onlyknow3
2015-01-21T19:38:48+00:00 21.01.2015 20:38
Reue die von Raphael komm etwas spät aber sie kommt. Es bleibt nur zu hoffen das er es wirklich ehrlich meint, nach dem Mark sich dazu entschlossen hatte Jake einen neuen Weg zu gehen und ihn zu vergessen. Raphael hat es geschafft das kaputt zu machen. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3


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