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Doors of my Mind 2.0

Ihr Freund. Mein Geheimnis
von

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Von Mal zu Ma(h)l

Kapitel 11 Von Mal zu Ma(h)l
 

Das Dröhnen in meinem Kopf breitet sich vom vorderen Teil meines Gehirns langsam, aber sich nach hinten aus. In meinem Traum stehen vier Bauarbeiter mit Asphalthammer um mich herum. Ich drücke mein Gesicht fester in das Kissen und seufze schwer. Das Kissen riecht anders. Kissen? Mit einem Mal sitze ich senkrecht. Die schnelle Bewegung war keine gute Idee. Der stechende Schmerz, der sich in meinem Kopf ausbreitet, scheint mein Gehirn in zwei Teile zu spalten. Ich ächze laut. Tequila. Der böse Tequila. Warum kann ich auch nie Nein sagen? Shots waren noch nie meine Stärke. Das musste ich bereits bei den letzten Treffen vermehrt feststellen. Daraus gelernt habe ich offenbar nichts.

Ich blinzele einäugig umher und erforsche meine Umgebung. Im ersten Moment verwundert, dann begreifend. Ich liege auf der Couch in Raphaels Wohnzimmer. Wieso bin ich in Raphaels Wohnung? Ein paar Bilder des gestrigen Abends blitzen auf. Momente aus der Bar mit Danny. Sein Lachen. Sein schockiertes Gesicht gefolgt von Raphaels verwundertem, als er mir die Tür öffnete. Mit einem Mal schmecke ich die Süße seiner Lippen in meinem Mund und das Aroma seines Körpers benebelt mich. Die Erkenntnis trifft mich, wie ein tosendes Gewitter. Hart. Unbarmherzig und in keiner Weise schonend. Ich erinnere mich. Ich erinnere mich an jedes noch so kleine Detail und am deutlichsten sind die Worte, die ich ihm an den Kopf geworfen habe. Grandiose Leistung.

Mein Blick wandert zum Schreibtisch. Ich weiß, dass ich dort gesessen und gezeichnet habe. Dabei muss ich eingeschlafen sein. Müde streiche ich mir durch die Haare und lasse mich wieder ins Kissen fallen. Wie bin ich auf die Couch gekommen? Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder bin ich mitten in der Nacht zur Couch geschwebt oder geschlafwandelt. Nein, eigentlich gibt es drei. Die beiden genannten und Raphael. Ich schaue auf das Kissen und die Bettdecke, die mich bedecken. Er muss mich gefunden und auf die Couch verfrachtet haben. Wie peinlich. Ich habe nichts davon mitbekommen, denn mit Alkohol im Blut schlafe ich so tief, wie ein Stein.

Warum hat er mich nicht einfach rausgeschmissen? Das widerwärtige Gefühl vom gestrigen Abend überfällt mich erneut. Was er wohl jetzt von mir denkt? Ich rappele mich auf und sehe zum Couchtisch, auf dem eine Flasche Wasser steht.
 

Ich bade noch etwas im Selbsthass und stehe auf. Ich richte meine Klamotten und rieche abgestandenen Rauch und Alkohol. Der Gestank völligen Versagens. Selbst die Decke riecht danach. Ich ziehe den Bezug vorsorglich ab und räume alles zusammen. Als ich fertig bin, bleibe ich vor der Couch stehe und merke, wie sich mein Herzschlag noch immer nicht normal anfühlt. Es vibriert schier in meiner Brust und es wird schlimmer, als ich zur Tür sehe. Ich öffne sie und lausche. Keine Bewegung. Kein Geräusch. Nichts. Beim letzten Mal, als ich in seiner Wohnung genächtigt habe, war er auch am nächsten Morgen verschwunden. Diesmal kann ich es sogar verstehen. Ich verspüre das dringende Bedürfnis, mich bei ihm zu entschuldigen, also setze ich mich wieder an den Schreibtisch. Das Bild, welches ich gestern weiter gemalt habe, hängt wieder an seinem Platz. Trotz meines betrunkenen Zustands ist es recht gut gelungen. Je länger ich es ansehe, umso weniger weiß ich, wie ich den Ausdruck seines Gesichts interpretieren soll, den ich ihm selbst gezeichnet habe. Wie das Ganze wohl für ihn gewirkt hat? Ich, betrunken, dämlich und an seinem Schreibtisch eingeschlafen.

Für einen Moment lasse ich meinen Kopf auf das Holz sinken. Viermal lasse ich ihn draufschlagen. Als ich mich wieder aufrichte, sind meine Kopfschmerzen stärker und mein Gemüt keineswegs erleichtert. Ich bin so ein Idiot. In vielerlei Hinsicht. Ich lehne mich seufzend zurück.

Mein Finger tippt gegen den Einband eines der dicken Bücher, die auf seinem Schreibtisch verteilt liegen. Einige sind aufgeschlagen, andere mit hunderten Klebchen markiert. Sie sind aus der Bibliothek, dass erkenne ich an der Standortmarkierung. Ich greife mir eines, schlage es auf und finde darin einen geschriebenen Text. Ein Aufsatz über Geschlechter und Koedukation im Sport. Es ist ein Ausdruck. Der Inhalt ist gut und verständlich, selbst für einen Laien, wie mich. Manche Sätze sind holprig. Grammatik und Rechtschreibung sind nicht Raphaels Stärke. Vielleicht sollte ich ihm Shari zur Verfügung stellen. Sie macht Tabula rasa mit jedem noch so kleinen Fehler. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, welches schnell wieder erstirbt. Ich weiß so wenig von ihm. Mein Blick fällt erneut auf das Familienportrait. Seine Familie ist jüdisch. Ich weiß nicht, ob Raphael gläubig erzogen wurde. Ich bin nur ein nichtsnutziger, an nichts glaubender Atheist. Für mich ist das ein Dilemma weniger. Aber für Raphael? Selbst meine Eltern wissen mehr über ihn, als ich. Mit ziemlicher Sicherheit weiß meine Mutter, dass Raphael jüdisch ist. Wieso weiß ich es nicht? Ich bin ein ziemlicher Heuchler. So gesehen haben wir nie viel miteinander geredet und im Prinzip tun wir es noch immer nicht. Wenn wir reden, dann oft aneinander vorbei oder weichen einander aus. Ich schiebe den Text wieder zurück in das Buch und schließe es.
 

Als ich den Flur betrete, ist es noch immer nichts zu hören. Im Badzimmer versuche ich mit den wenigen Mitteln, die mir zu Verfügung stehen Leben in meinen Körper zu bekommen und nicht mehr wie ein betrunkener Penner auszusehen. Das Ergebnis ist eher mittelmäßig. Mein Blick fällt auf die Bissspuren an meinem Hals und mein Magen wird flau. Ich streiche mir mit den Fingern darüber und sehe mich verstohlen nach etwas um, womit ich es kaschieren kann.

Geräusche im Flur bringen mich davon ab mich durch seine Schränke zu wühle. Ich höre das Rauschen von Wasser und metallisches Klappern. Raphael ist in der Küche. Ich stecke neugierig meinen Kopf durch die Tür und spüre, wie meine Hände zu zittern beginnen. Er ist doch hier. Für einen Moment durchzuckt mich der Gedanke nach Flucht, einfach abhauen, doch dann gehe ich zur Küche und bleibe im Türrahmen stehen. Raphael bemerkt mich nicht. Er steht an der Spüle. Die Ärmel seines Pullovers sind an beiden Seiten hochgekrempelt und bieten so einen tollen Blick auf seine muskulösen Unterarme. Sie glänzen feucht und ich erkennen deutlich die nassen, durcheinander gewirbelten Härchen, die geradezu dazu einladen drin rum zu malen und sie zu streicheln. Herrje. Konzentriert streicht er mit kreisenden Bewegungen über Teller und Schüsseln. Seine Haare sind ungestylt und ungekämmt. Der wuschelige Look steht ihm außerordentlich gut.

Ich lächele und blicke dann beschämt zu Boden. Alles in mir kribbelt. Für einen Moment ist mein Körper so empfindsam, so angeregt, dass ich selbst den Stoff meiner Kleidung spüre ohne mich wirklich zu bewegen. Ich schließe meine Augen und fühle mich nur noch dämlicher. Es war nicht richtig Raphael derartig anzugehen, aber die ganze Situation macht mich so unfassbar wütend. Die plötzliche Ruhe lässt mich aufschauen. Raphael lehnt schweigend an der Spüle und sieht mich an.

„Guten Morgen", sage ich kleinlaut und trete nun endgültig zu ihm in die Küche. Er dreht sich zurück und taucht seine Hände erneut in das warme Wasser.

„Morgen! Möchtest du etwas essen?", fragt er seltsam tonlos. Er ist sauer. Eindeutig.

„Eigentlich wäre mir eine Dröhnung in Form von Tabletten lieber", witzele ich und spüre, wie zur Strafe das Hämmerchen in meinem Kopf noch mal ausholt. Bei Raphael kommt der Witz auch nicht an. Vielleicht sollte ich einfach den Mund halten.

„Auf dem Tisch", bemerkt er, ohne sich umzudrehen. Er deutet mit dem Ellenbogen auf die Packung Tabletten. Es ist alles vorbereitet. Ich greife nach der Packung und drücke mir eine Pille heraus. Bevor ich irgendwas sagen muss, reicht er mir ein frisch abgewaschenes Glas samt klarer Flüssigkeit.

„Danke!", murmele ich verlegen. Ich lehne mich gegen den Kühlschrank und sehe ihm still beim Abwaschen zu. Warum wirft er mich nicht einfach raus? Der Gedanke daran, dass Raphael auf mich wütend sein könnte, dass er höchstwahrscheinlich enttäuscht ist, belastet mich. Das Glas in meiner Hand ist feucht und ich starre auf ein paar kleine Tropfen, die an meinen Fingerkuppen hängen. Das Geräusch von Metall auf Metall lässt mich aufblicken. Raphael hat eine Pfanne auf den Herd gestellt und kommt auf mich zu. Vor mir bleibt er stehen. Ganz dicht. Ganz nah. Seine schönen Augen erfassen mich. Ich kann nicht erlesen, was er in diesem Moment denkt oder fühlt. Seine Hand greift an mir vorbei, streift dabei meine Hüfte und legt sich an den Griff des Kühlschranks. Allein diese kurze Berührung lässt meinen Puls nach oben schnellen. Die Stelle wird ganz warm und prickelig.

Er hätte genug Platz gehabt, um mich nicht zu berühren. Ich kann deutlich seinen Geruch wahrnehmen. Die maskuline Süße. Wahrscheinlich ist diese Mischung nur für mich derartig berauschend, dass sich langsam aber sicher mein Gehirn lahmlegt. Jedes Mal aufs Neue. Der Duft wird noch intensiver, als er sich dichter zu mir beugt.

„Entweder du gehst weg oder du gibst mir die Lebensmittel raus, die ich brauche", raunt er dunkel. Fast neckend. Es schafft genau das, was es auch bezwecken soll. Mein ganzer Leib erblüht vor Aufregung und Verlangen.

Ich räuspere mich. Raphael will mich reizen und er ist definitiv sauer. Wir sehen uns an. Die Tiefe seines Blicks lässt mich erbeben und ich muss mir eingestehen, dass ich ihm nicht standhalte. Ich weiche aus, lege meine Hand gegen seine Schulter und drücke ihn zur Seite. Mit rasenden Herzen öffne ich den Kühlschrank und blicke in das gesunde Grauen eines Sportlers. Gemüse. Kram mit Eiweiß. Milch und mageres Fleisch. Raphael bleibt hinter mir stehen. Ich beuge mich nach vorn um einen besseren Überblick zu bekommen und stütze mich an der Tür und an der Außenwand ab. Jetzt weiß ich, wie er diesen Körper hinbekommt. Nichts Leckere. Nichts Sündiges. Der Mann ist der reine Nahrungslasterverzicht. Raphael weiß bestimmt, was der Unterschied zwischen einer Aubergine und einer Zucchini ist.

Ich spüre seinen Arm an meinem Unterbauch und meinem Becken und wie sich sein schwerer, größerer Körper auf meinen lehnt. Meine Hand krallt sich fester in die Tür des Kühlschranks.

„Eier. Tomaten. Käse. Danke.", flüstert er mir zu. Sein warmer Atem streicht über meinen Hals und hinterlässt ein Feuerwerk. Ich erzittere deutlich und halte unbewusst den Atem an. Raphael greift nach dem Milchkarton in der Tür und richtet sich wieder auf. Wenn mein Puls eben schon schnell war, dann gerät er jetzt außer Kontrolle. Ich unterdrücke ein leises Keuchen und schlucke meine aufkeimende Willenlosigkeit runter.
 

Mit zusammengebissenen Zähnen stelle ich die gewünschten Lebensmittel auf den Tisch und bleibe von ihm abgewandt stehen. Einatmen. Ausatmen. Das ist garantiert die Retourkutsche für meinen gestrigen Überfall. Es macht mich ein wenig sauer und kribbelig.

Mit geschlossenen Augen lausche ich dem Rauschen des Wasserhahns, vernehme ein leise Rascheln und dann typische Schnittgeräusche. Noch einmal atme ich tief durch und drehe mich wieder um. Raphael steht an der Arbeitsplatte und schneidet die Tomaten im gleichen Stil, wie es auch Shari macht. Leicht. Flüssig. Schnell. Seine geschmeidigen Bewegungen faszinieren mich. Es folgen der Käse und dann noch ein paar Kräuter, die in frischen Töpfen am Fenster stehen. Ich sehe, wie er den Herd einschaltet und sich eine Tasse aus dem Schrank nimmt. Ich lasse mich auf einen der Stühle fallen.

Ich schaue ihm schweigend dabei zu, wie er in Präzision und Perfektion zwei Omeletts zaubert. Nebenbei kocht er stillschweigend Kaffee und Tee. Auch ich halte mich zurück und halte die Klappe. Der Mann macht mich fertig. Seine Ruhe irritiert mich. Als er sich endlich zu mir setzt, starre ich noch immer auf den dampfenden Teller vor mir. Ich bin selten sprachlos.

„Was, isst du nur noch das, was dir Shari kocht?", fragt er tatsächlich spöttisch. Ich gebe meine Augenbraue und versuche ihm nicht allzu sehr zu zeigen, wie beeindruckt ich bin.

„Das nicht, aber... Shari hätte mich gezwungen zu helfen."

„Ich habe einmal gesehen, wie du Rühreier machst. Ich wollte nicht renovieren müssen."

„Sehr witzig. Wieso kannst du kochen?" Ich trenne mit der Gabel etwas ab und probiere. Es ist auch noch köstlich. Perfekt abgeschmeckt und saftig. Abgesehen davon, dass es mir zu viel ist, ist es vollkommen. Der Mann macht mich wirklich fertig. In vielerlei Hinsicht.

„Das ist nicht kochen, das ist Zutaten in eine Pfanne werfen", berichtigt er mich. Für mich ist das schon hohe Kochkunst. Auch ich kann mich an das Rühreeimassaker erinnern. Ich schaue verdutzt auf das farbenfrohe, leckere Gebilde auf meinem Teller.

„Und woher kannst du das?", frage ich ihn, ohne mich von der leichten Abfälligkeit in seiner Stimme ärgern zu lassen.

„Ich lebe schon eine Weile allein, da lernt man sowas nach und nach. Zwangsweise." Ich sehe auf. Eine Weile?

„Wie lange lebst du schon allein?", frage ich verwundert. Raphael steckt sich erst ein Stück Tomate in den Mund und leckt sich über die Lippen bevor er antwortet.

„Fast 4 Jahre müssten es sein", sagt er ungerührt und trinkt einen Schluck Kaffee. Ich lasse perplex meine Gabel sinken. 4 Jahre. Wie kann das sein?

„Oh, so lange...", entflieht es mir derartig inhaltslos, dass es mir fast peinlich ist. Was ist mit seinen Eltern? Er steht in Kontakt mit ihnen, das weiß ich, durch meine Mutter, aber warum lebt er dann schon so lange allein? Wieder einmal wird mit schweren Herzens bewusst, wie wenig ich über Raphael weiß. Der große Mann zuckt mit den Schultern. Für einen Augenblick essen wir schweigend. Ich sehe immer wieder verlegen zu ihm bis er sich im Stuhl zurücklehnt. In seiner Hand hält er die Tasse mit Kaffee, während die andere über seinen verdeckten, muskulösen Bauch fährt. Noch immer sind die Ärmel seines Pullovers nach oben gekrempelt und geben den Blick auf seine starken Arme preis. Seine langen Beine sind übereinandergeschlagen. Er wirkt unglaublich erwachsen, doch ich weiß, dass das in mancher Hinsicht gar nicht so ist. In seinem Gesicht spiegelt sich Anspannung. Er weiß ebenso wenig mit der Situation umzugehen, wie ich. Und obwohl ich mir ständig versuche einzureden, dass es auch für ihn nicht leicht ist, schreit es in mir, dass es im Grunde ganz einfach ist. Er muss sich von meiner Schwester trennen. Ich wünsche es mir so sehr. So sehr, dass ich kaum darüber nachdenke, was dann passieren wird. Wie es danach weiter geht? Was meine Eltern dazu sagen würden, wenn sie es erfahren sollten. Doch all das ist noch unendlich weit weg, wenn nicht sogar unerreichbar.

„Was ist?", fragt er nachdem er einen Moment still dabei zusieht, wie ich ihn mustere.

„Tut mir Leid", sage ich unvermittelt.

„Was? Das Starren oder das du mich gestern überfallen hast?"

„Es tut mir leid, dass ich diese Sachen gesagt habe", sage ich aufrichtig und versuche es gar nicht erst auf den Alkohol zu schieben. Er hat einfach nur meine Zunge gelockert und dafür gesorgt, dass das Ausmaß meiner Worte nicht bis zum Grund meines Gehirns sickerte. Den vorangegangenen Teil habe ich mehr als genossen und Raphael sicherlich auch. Dessen bin ich mit sicher.

„Der Rest... tut mir nicht leid", ergänze ich und obwohl es mir wirklich nicht peinlich ist, kann ich nicht verhindern, dass ich beschämt meinen Blick von ihm abwende. Das Scharren des Stuhls lässt mich aufschrecken. Er läuft wieder davon. Fast automatisch greife ich nach seiner Hand, als er neben mir ankommt. Ich will nicht, dass er geht, ohne, dass ich ihm alles sagen könnte, was mir auf der Seele brennt. Raphaels Blick ist überrascht. Seine Augen wandern von meinem Gesicht zu der Stelle unserer Berührung. Der Hauch eines Lächelns bildet sich auf seinen Lippen. Er löst meine Finger von seinem Handgelenk. Doch statt meiner Hand komplett loszulassen, verwebt er seine Finger in meine. Die freie Hand stützt sich auf die Rückenlehne meines Stuhls. Er beugt sich zu mir herab. Mein Herz schlägt von einer Sekunde zur nächsten bis zum Himmel. Und viel höher. Mit jedem Millimeter, den er mir näherkommt, wird das Rauschen in meinen Ohren stärker.

„Ich dachte, du würdest wieder weglaufen", rechtfertige ich meinen Griff leise und starre unaufhörlich auf seine feucht glänzenden Lippen. Sie sind mir so nah. Wann hat er sich über die Lippen geleckt? Ich habe es nicht mitbekommen.

„Weißt du, dass du mich manchmal sehr wütend machst!", flüstert er mir zu. Raphael ist nicht der Erste, der das sagt. Es ist nicht einmal das erste Mal, dass er das zu mir sagt. Ich erinnere mich an dem Moment auf dem Balkon im Wohnhaus meiner Eltern zurück. Ein feines Schaudern erfasst mich. Sie zieht sich augenblicklich über meinen gesamten Körper. Kitzelnd. Kribbelnd. Wärmend. Er macht mich genauso wütend. Ich sage nichts, denn ich bin gerade nicht dazu im Stande, auch nur einen klaren Gedanken zufassen. Er beugt sich minimal dichter zu mir, in dem seine Handfläche über Holz und Stoff streicht. Ich höre das leise, raue Gleiten.

„Du machst mich verrückt." Auch das höre ich nicht zum ersten Mal. „Du machst mich wahnsinnig", fährt er fort. Seine grünen Augen durchdringen mich. Sie funkeln und leben. So liebe ich sie besonders. Allein dieser Anblick lässt meinen Körper vor Verlangen erbeben.

„Wirklich?", frage ich ebenso leise.

„Ja, wirklich." Seine Hand lässt meine los und wandert in meinen Nacken. Er überwindet das letzte bisschen Abstand. Hauchzart spüre ich seine Lippen. So zart, wie ein Flügelschlag und doch fegt er alle meine Gedanken hinfort. Seine Berührung ist ein sanftes Necken, welches mich mit dieser unglaublichen Süße und tausenden kleinen Erschütterungen umschmeichelt. Ich lege meine Hand an seine Schulter, intensiviere den Kuss und locke fordernd seine Zunge in meinen Mund. Er folgt meiner Aufforderung. Genüsslich tänzeln unsere Zungenspitzen gegeneinander, aneinander und miteinander.
 

Das laute Klingeln durchbricht die elektrisierende Spannung. Raphael hält in seiner Bewegung innen und löst den Kuss. Seine halbgeöffneten Augen schielen seitlich zum Flur und er atmet angestrengt ein. Eine böse Vorahnung erfasst mich. Es klingelt erneut. Geringfügig richtet er sich auf.

„Geh nicht", flüstere ich und greife nach seinem Pullover, um ihn festzuhalten. Raphael stockt und sieht mich fragend an. Er wägt ab, wie ernst es mir ist. Sehr ernst. Es klingelt zum dritten Mal.

„Ich muss. Ich erwarte ein Päckchen", antwortet sein Pflichtgefühl. Ich sehe nicht dabei zu, wie er den Raum verlässt, sondern nehme einen Schluck der lauwarmen Flüssigkeit. Trotz des Tees ist mir seltsam kalt.

„Maya?" Der Namen meiner Schwester lässt mich unwillkürlich zusammenfahren und ich verschlucke mich am Tee. Hustend schließe ich meine Augen und seufze schwermütig. Warum nur?

„Du gehst nicht ans Handy und da habe ich mir Sorgen gemacht. Bist du okay?" Ihre Stimme ist lieblich. Vor meinen geistigen Augen bilden sich Szenen, wie sie ihr manikürten Finger an seine Brust legen und wie sie sich ihm entgegen beugt. Die Berührung ihrer Lippen auf seiner Wange, seinem Mund und mit wird augenblicklich schlecht.

„Ja. Entschuldige, aber ich bin früh ins Bett gegangen." Raphaels Stimme klingt matt. Ich rühre mich nicht und umklammere die Tasse.

„Fühlst du dich nicht gut? Du bist gestern auch schon so schnell verschwunden." Ihre Stimme ist eine Mischung aus Vorwurf und lieblichen Säuseln. Ich verdrehe die Augen.

„Ich war einfach nur müde, das ist alles."

„Okay, dann lass uns heute etwas unternehmen. Vielleicht ein bisschen Bummeln. Ich bin wirklich enttäuscht, dass du nicht über Nacht geblieben bist." Ein schlechtes Gewissen machen konnte Maya wirklich gut. Raphael antwortet nicht. Er zögert.

„Maya, ich weiß nicht. Ich muss noch eine Arbeit beenden und..."

„Komm schon, du hast mir versprochen, dass ich mir was zum Geburtstag aussuchen darf." Ihr verdammter Geburtstag. Ich habe ihn schon fast wieder vergessen. Ein weiterer Grund, weswegen ich auf eine baldige Trennung der beiden warten kann bis ich endgültig verrotte. Raphael ist anständig und er wird sich sicher nicht vor ihrem Geburtstag von ihr lösen. Ich mache mir etwas vor, wenn ich ernsthaft glaube, dass es irgendwann passieren wird. Es wird immer einen nächsten Grund geben. Ein Schnauben perlt von meinen Lippen, welches sich in reine Ironie wandelt. Warum also dieses Versteckspiel?

„Was ist denn los, Rapha?" Sie klingt genervt. Ich stehe auf, trinke den letzten Rest meines Tees aus und trete in den Flur. Augenblicklich richten sich ihre blauen, wachen Augen auf mich.

„Guten Morgen, Schwesterchen!", kommentiere ich überlustig den entgeisterten Gesichtsausdruck meiner kleinen Schwester als sie mich erkennt.

„Was macht er hier, Rapha?", fragt sie mit zusammengebissenen Zähnen und Raphael sieht kurz zu mir. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn ich stillschweigend in der Küche sitzen geblieben wäre.

„Ich habe ihm von dem Barbie-Traumhaus erzählt, welches du dir zum Geburtstag wünschst. Das in extra pink und mit viel Glitzer." Mayas Blick ist tötend.

„Was? Wünschst du dir das nicht schon seit Jahren?"

„Mark, du bist ätzend. Rapha, was will er hier?", zischt sie erst mir und dann ihrem Freund entgegen, sieht dann wütend zu Raphael. Schon wieder diese Koseform für Raphaels Namen, die mir echte Probleme verursacht. In meiner Brust beginnt es schmerzhaft zu brennen. Weitere gemeine Dinge kommen mir in den Sinn, doch ich schlucke sie zum Wohle aller runter. Es fällt mir wirklich schwer. Maya will eine Antwort und starrt den anderen Mann zickig an. Ich will mir das nicht mit ansehen.

„Danke für das Frühstück. Ich haue ab", sage ich stattdessen. Ich gehe ins Wohnzimmer und greife nach meiner Jacke, die noch immer über der Lehne der Couch hängt. Maya und Raphael tuscheln aufgebracht. Ich höre, wie er seufzt und sie allein im Flur zurücklässt. Raphaels altbewerte Methode. Davonlaufen. Ich versuche den Ärger, der sich in mir ausbreitet, zu ignorieren und ziehe mir dir Jacke über. Als ich an Maya vorübergehe um raus zu kommen, hält sie mich am Arm zurück. Ihr sonst so hübsches Gesicht ist grimmig und irgendwie hässlich.

„Du hast hier nichts verloren. Also, was machst du hier?", knurrt sie mir entgegen. Ich habe das dringende Bedürfnis ihr direkt ins Gesicht zu sagen, was ich gestern mit Raphael getan habe und wie sehr er es genossen hat.

„Was ich hier mache, geht dich nichts an", belle ich retour.

„Natürlich geht es mich etwas an, wenn mein hochgradig schwuler Bruder bei meinem Freund ist. Wer weiß, was du ihm für widerliches Zeug anhängst." Schon wieder diese dumme und völlig unangebrachte Diskriminierung. Ich schlucke schwer und hole tief Luft. Ich darf mich nicht reizen lassen. Mein Kiefer knackt.

„Hör auf rumzuzicken. Ich habe auf seiner Couch gepennt, mehr nicht", sage ich erstaunlich ruhig. Ich verdiene einen Oscar für diese maßlose Untertreibung.

„Hast du ihn wieder belästigt?", fragt sie abschätzig. Sie hört nicht, was ich sage und ich mache demonstrativ einen Schritt auf sie zu. Sie weicht erschrocken zurück, aber ich schließe wieder auf. Nur Zentimeter trennen uns. Ihre Hand legt sich abwehrend gegen meine Brust. Maya atmet unruhig. Ihre Schultern ziehen sich nach oben. Abwehrend und schützend. So als hätte sie Angst, dass ich noch körperlicher werde. Ich habe und werde sie niemals körperlich Angreifen. Die Hand an meinem Oberkörper drückt mich unbeholfen weg.

„Was, Schwesterchen? Bist du dir Raphaels Gefühle so unsicher, dass du Vermutungen anstellen musst? Ja, solltest du vielleicht auch. Du kannst ihm nichts bieten, denn du bist nichts weiter als das Placebo unter den Freundinnen. Oberflächlich hübsch anzusehen und sonst nur heiße, dumme Luft." Noch immer starre ich Maya ernst an. „Deine dummen Diskriminierungen kannst du dir übrigens sparen. Sie sind nur der eindeutige Beweis dafür, dass du nicht in der Lage bist dich auf intelligenter verbaler Ebene zu verteidigen." Sie weicht meinem Blick kurz aus, um dann von unten wieder zu mir auf zu sehen. Ich bin fast einen Kopf größer als sie. Ich sehe ihre Niederlage und dennoch blitzt etwas in ihrem Blick auf, was mich verwundert

„Es ist wirklich interessant zu sehen, wie sehr dich unsere Beziehung wurmt." Sie kitzelt absichtlich meine Wut. „Ich verstehe, warum er dir gefällt. Dieser Körper. Das männliche Gesicht." Mayas Stimme ist nur ein Raunen. In meinen Ohren klingt es spottend. Beißend.

„Weißt du, du kannst noch so gemein zu mir sein, aber Raphael gehört mir. Finde dich damit ab, du kranker Freak." Sie lächelt hinterhältig.

„Pah, kein Mensch versteht, was jemand an dir finden kann. Du bist oberflächlich und so inhaltslos, dass drei Mal die UY Scuti-Sonne in dir Platz finden würde. Ein gigantisches Vakuum des Nichts. Also wenn du nicht langsam deine arrogante und dumme Klappe hältst, dann garantiere ich dir, dass meine vorigen Äußerungen noch zu den Netteren gehörten", kommentiere ich bitter böse.

„An deiner Stelle würde ich aufhören, mir zu drohen, denn du weißt ja, wie schnell ich mich verplappere."

„Wenn du glaubst, dass ich mich von dir einschüchtern lasse, hast du dich geschnitten. Dir glaubt sowieso kein Mensch." Sie dreht sich mit dem Finger eine blonde Strähne ein und sieht mich neckisch an.

„Na. Na. Ich bin immer noch der Überzeugung, dass es Mum und Dad sehr interessieren wird, was ihr Sohn für perverse Vorlieben hat. Es bricht ihnen sicher das Herz. Fordere mich nicht heraus, Brüderchen." Wir funkeln uns gegenseitig an.

„Halte dich von mir und Raphael fern. Er hat kein Interesse daran mit so jemanden, wie dir zu verkehren." Sie fühlt sich siegessicher. Ich beuge mich zu ihrem Ohr.

„Das sollte Raphael wohl selbst entscheiden, nicht wahr?", sage ich beherrscht. Ich sehe, wie sie tief einatmet. „Außerdem muss ich mich nicht vor dir rechtfertigen, Schwester. Und zu deiner Information. Ich kenne Raphael schon länger, als du."

„Oh, das weiß ich, Mark." Plötzlich ist ihr Tonfall beängstigend. Auch ihr Gesichtsausdruck ist anders, als sonst. Fast bösartig. Das Blau ihrer Augen scheint förmlich zu brennen. Diesen Ausdruck habe ich noch nie bei ihr gesehen.

„Er sieht besser aus als auf deinen Bildern, weißt du." Ich brauche einen Moment um ihre Worte wirklich zu verstehen und es bildet sich eine eigenartige Leere in meinem Kopf.

„Du malst ihn schon seit Jahren. Glaubst du wirklich, dass das niemanden aufgefallen ist?", fragt sie fast spöttisch. Ich brauche nicht fragen, sie redet von allein weiter. „Ich fand deine Zeichenmappe, mit den ganzen Skizzen irgendwann mal im Flur. Da waren viele interessante Sachen drin und aus Neugier habe ich mich dann mal an deinen PC gesetzt. Du bist wirklich fleißig, Mark. Und eigentlich auch ganz gut. Dann fiel mir auf, dass es immer derselbe ist, den du malst." Sie beugt sich mit jedem Wort weiter zu mir. Mein Herzschlag wird immer schneller, während ich ihr direkt in die blauen Augen starre. Fassungslosigkeit breitet sich in mir aus und sie umklammert meine Schlagfertigkeit. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Kein Gegenwort kommt über meine Lippen.

„Ich dachte, es wäre an der Zeit den Typen kennen zu lernen, den du so fleißig malst und siehe da, ich fand ihn an deiner Schule." Mir stockt der Atem.

„Halt den Mund", flüstere ich ihr entgegen.

„Oh, was denn! Freust du dich gar nicht, dass du uns zu unserem Glück verholfen hast?" Ich beiße meinen Kiefer zusammen und spüre, wie ein unangenehmes Kitzeln über meinen Hals wandert. Ich starre sie an. Noch immer bin ich zu entsetzt, weil mir langsam klar wird, dass diese ganze Beziehung reines Kalkül für sie gewesen ist. Ich höre nur dumpf, wie sich die Tür zu Raphaels Schlafzimmer öffnet.

„Ich habe sogar ein paar der Bilder behalten", flüstert sie. Maya sieht zu mir und dann mit einem übertrieben freundlichen Lächeln zu Raphael. Ich starre auf die perfekte Fratze meine Schwester und sehe dann kurz zu dem anderen Mann. Er hat sich umgezogen und beobachtet die seltsame Szene zwischen uns.

„Bist du fertig, Schatz?", fragt Maya fröhlich. Raphael antwortet nicht, sondern sieht mich einfach nur an. Ich bin innerlich derartig aufgewühlt, dass ich nicht reagieren kann. Sie hat es geplant. Sie hat ihn absichtlich kennengelernt. Maya geht diesmal tatsächlich als Sieger aus unserem Gefecht hervor, weil der Schock mich regelrecht niederstreckt. Mir ist speiübel. Ich brauche frische Luft.
 

Ich greife mir meine Schuhe und verschwinde ohne noch einmal zurückzusehen oder Raphael auch nur einen Ton zu erklären. Nur grob schlüpfe ich in einen der Treter und flüchte die Treppe hinab. Ich kann gerade nicht atmen. Nicht denken. Das hat zur Folge, dass ich einen der Schuhe beim Laufen verliere. Er rollt Stufe für Stufe hinab. Ich gebe ein genervtes Geräusch von mir, spüre den kühlen Boden unter meinem unbeschuhten Fuß und muss mich letztendlich hinsetzen, damit ich den Schuh vernünftig angezogen bekomme. Die Schleife öffnet sich nicht, weil ich sie beim überstürzten Überziehen festgesurrt habe. Meine kaputte Hand tut ihr übriges. Ich will einfach nur weg und jetzt fesselt mich ein dämlicher Schuh an diesen Ort. Wütend und enttäuscht schleudere ich den besagten Schuh gegen die Wand. Er prallt ab und fällt so gleich ein paar Stufen hinab. Mein Herz brennt. Ich höre Raphaels Tür.

„Mark, warte."

„Lass mich in Frieden", rufe ich und springe auf. Ich kralle mir unterwegs den verloren gegangen Schuh. Ich schaffe es nach unten und vor die Tür, bevor er mich am Arm packt. Raphael trägt nicht einmal eine Jacke und ich habe nur einen Schuh an.

„Mark, was ist los? Bitte, glaube mir, ich wusste nicht, dass sie kommt."

„Du weißt ja nie etwas. Geh zu meiner Schwester, lass dich von ihr ficken, nerven oder was auch immer du willst, aber lass mich in Frieden", schleudere ich ihm aufgebracht und auf offene Straße zu. Mayas Worte haben mich schlimmer getroffen, als ich gedacht habe.

„Das will ich gar nicht. Meinst du, ich finde das witzig?"

„Mache ich für dich ein Clownsgesicht?", frage ich bitter und verzweifelt. Das ist Alles keine Dramödie mehr, es ist das reinste Drama. Warum ist es mir nicht vergönnt, einfach nur glücklich zu sein? Noch immer halte ich den Schuh in meiner Hand. Ich fuchtele unbeabsichtigt damit rum. Raphael greift nach meinem Handgelenk und der Schuh fällt zu Boden.

„Ich wollte sie abwimmeln, wenn du in der Küche geblieben wärst, dann..."

„Dann was, Raphael? Dann hättest du sie weggeschickt und was wäre beim nächsten Mal? Und beim darauffolgenden Mal? Du kannst es nicht damit lösen, dass du ihr aus dem Weg gehst."

„Mark, ich weiß, dass das keine Lösung ist, aber..."

„Was aber? Spekulierst du darauf, dass sie sich irgendwann von dir trennt. Wird sie nicht, denn anscheinend hat sie das alles geplant, also erkläre mir deine Taktik, werter Herr Trainer."

„Was?", fragt er irritiert. Ich habe nicht die Muße alles zu wiederholen, was mein Drachen von Schwester gerade offenbart hat. Es schmerzt zu sehr.

„Dein Plan! Vor unseren Familien wahrst mit Maya den Schein und abends kriechst du zu mir ins Bett? Für dich sind das zwei Schnippchen mit einer Klappe. Bin ich der Plan B, den du dir zurechtgelegt hast, wenn du von allem anderen genervt bist und Gefälligkeiten willst?" Meine Aussage ist mehr als unfair. Ich tue ihm Unrecht, denn gerade die sexuellen Gefälligkeiten kommen fast ausschließlich von mir. Aber ich bin selbst derartig aufgewühlt, dass ich im Moment keinen klaren und vor allem vernünftigen Gedanken fassen kann. Seine Hand, um mein Handgelenk wird immer heißer.

„Raphael?" Maya Stimme dringt aus dem Treppenflur zu uns. Raphael schließt die Augen und zwingt sich dazu, nicht auf Maya zu reagieren.

„Es tut mir leid, Mark. Ich verstehe das gerade nicht...Können wir bitte nachher reden, wenn du dich beruhigt hast." Bittend perlen diese Worte von seinen Lippen. Ich spüre, wie kleine blitzende Schauer durch meinen Körper jagen.

„Wozu, ich weiß schon, was du mir sagen wirst, dass du dich noch nicht von ihr trennen kannst. Dass du noch etwas Zeit brauchst. Raphael, ich weiß, dass du niemanden enttäuschen willst, aber zu deiner Information, da wirst du nicht Drumherum kommen." Egal, wie er sich entscheidet, es wird immer jemanden geben, den er enttäuscht und im Moment werde ich es sein. Sein Atem geht schwer und er schweigt. So wie er es oft macht. Ich habe also ins Schwarze getroffen und das verletzt mich nur noch weiter.

„Ich kann das nicht mehr. Ich habe keine Kraft für solche Spielchen. Du kannst dich nicht von ihr trennen, dann sage ich dir jetzt klipp und klar, dass ich fortan auch kein Interesse mehr daran habe." Ich fahre mir mit der Hand übers Kinn und verhindere, dass er das Zittern meines Kiefers mitbekommt. Meine Finger sind kalt. Das hat doch alles keinen Sinn. Ich sehe seine sonnengeküsste Hand, die noch immer um mein Handgelenk liegt. Sie bildet auf meiner helleren Haut ein starker Kontrast. Sie umklammert mich. Haltend. Wärmend. Ich schaue auf und sehe Unsicherheit in seinem Blick. Ich glaube ihm, dass er Gefühle für mich hat, aber das macht das Ganze nur noch schlimmer. Raphael senkt seinen Blick.

„Du bist verdammt feige", sage ich ehrlich und direkt, doch diesmal ist es einfach nur ein Ausspruch der reinen Verzweiflung.

„Ja, ich weiß. Wenn ich es nicht wäre, dann hätte ich schon vor Jahren verstanden, was ich eigentlich will. Bitte, gib mir noch etwas Zeit." Ich löse seine Hand aus seinem Griff und schüttele den Kopf. Er hatte genug Zeit. Ich habe genug gelitten. „Mark, ich tu's wirklich... Jetzt gleich...", setzt er erneut an. Ich stoße ungläubig die Luft aus. Ich glaube ihm nicht.

„Ich warte schon zu lange darauf, dass ich bei dir erste Wahl bin. Aber weißt du, ich glaube nicht mehr daran...Also danke für das Frühstück." Ich klinge ungewöhnlich resigniert. Mein Herz pulsiert, doch ich klaube nur den Schuh vom Boden auf und wende mich ab. Ich höre meinen Namen. Ich gehe weiter. Noch immer habe ich meinen Schuh nur in der Hand und ignoriere das kaltfeuchte Gefühl auf meiner Fußsohle.
 

Eisige Luft trifft mein Gesicht. Kühlend. Gefühllos. Ich stütze mich nach ein paar Meter an einem steinernen Türrahmen einer Eingangstür ab und beuge mich nach vorn. Mein Magen verkrampft sich. Mayas Worte. Raphaels Ausflüchte. Übelkeit überfällt mich. Ich muss mich richtig zusammenreißen um mich nicht zu übergeben. Es ist nicht dem Alkohol geschuldet. Der Schmerz in meiner Brust ist schlimmer als alles andere vorher. Nach einem Moment spüre ich Tränen. Heiß fließen sie über meine Wangen. Ich streiche sie schnell und fahrig davon, schluchze heißer und fahre mir mit beiden Händen über das Gesicht.

Ich ersinne die Worte, die ich gerade Raphael gesagt habe und beginne, sie wie ein Mantra vor mich her zu beten. Ich habe kein Interesse mehr an ihm. Ich bin es Wert, erste Wahl zu sein. Mein Verstand antwortet mir mit Ungläubigkeit.

Das plötzliche Hupen lässt mich hochfahren. Auf der Straße steht das parkende Auto meines Vaters. Ich stehe kerzengrade.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  -Ray-
2015-01-19T09:10:27+00:00 19.01.2015 10:10
Am besten fand ich Marks Satz am Ende: "Ich warte schon zu lange darauf, dass ich bei dir erste Wahl bin“ das war Herzklopfen pur. ;)

Und jetzt sein Vater? Ein ungewolltes Coming out? Wäre unumstößlich sollte er schon die ganze Zeit dort stehen. Ich bin sehr gespannt! Mach weiter so! Lg Ray :)
Von:  Shigo
2015-01-18T01:00:43+00:00 18.01.2015 02:00
Oohh mmaann..
Wenn ich das schon lese, geh ich zu Grunde.. ;(
Raphael empfindet doch was für Mark??!!
Soll klar stellen was los ist und nicht immer Ausreden haben.. Ich komm darauf nicht klar!!
Und Maya.. Da fehlen einem die Worte.. Einfach nur mies!!
Raphael ist nicht der Typ, um Menschen zu verletzen??!!
Was macht er dann mit Mark??!! :(
Der Junge ist fertig.. Ein hin und her. Klarheiten..

Die Story flasht einen voll 👍
Bis zum nächsten Kapitel :)

Mfg Shigo 🌸

Von:  Onlyknow3
2015-01-17T14:41:45+00:00 17.01.2015 15:41
Das hat Mark wirklich nicht verdient, das Raphael ihn immer wieder mit neuen Ausreden abspeißt. Mark sollte sich an Jack halten, damit er auf andere Gedanken kommt da dieser wohl mehr für ihn Fühlt. Doch ob Marks Herz dazu bereit ist, oder ob Jack die nötige geduld aufbringt ist noch nicht klar. Wäre dieser doch der nötige Rivale um Raphael endgültig aus der Reserve zu holen und anfängt um Mark zu kämpfen. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Tharaia
2015-01-16T20:11:53+00:00 16.01.2015 21:11
Ich hoffe sehr, dass Maya ernsthaftig in Raphael verliebt ist... denn wäre sie das nicht, würde sie das zu einer der unsympathischsten Figuren (und wahrscheinlich auch einem der besten Antagonisten) machen, der ich seit langem in einem literarischen Werk begegnet bin.

(Sowas, du hast den Spannungsbogen so gut im Griff, dass ich tatsächlich meine Schwarzleseranonymität habe fallen lassen...)
Von:  Herzloser
2015-01-15T22:19:57+00:00 15.01.2015 23:19
<3 So klasse geschrieben wie eh und je :3
Das am Ende mit dem Vater ist ne echte Überraschung :D
BIn wie immer auf das nächste Kapitel gespannt



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