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Doors of my Mind 2.0

Ihr Freund. Mein Geheimnis
von

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Familie und andere Tragödien

Kapitel 3 Familie und andere Tragödien
 

Der Rest der Woche verfliegt, ohne, dass ich noch einmal was von Raphael höre. Doch meine Gedanken sind ständig bei ihm. Es ist wie verhext. Zwischendurch habe ich Momente, in den ich der vollen Überzeugung bin, dass ich mir alles nur eingebildet habe. Raphael nie hier gewesen ist. Mich nicht geküsst hat. Doch jeden Tag erhalte ich Sharis mahnende Worte in Form von Textnachrichten und Wortschwalle. Ich versuche sie zu beschwichtigen, doch sie kennt mich mittlerweile zu gut. Sie weiß, wie sehr es in meinem Kopf arbeitet und sie hat Recht.

Seit mehreren Tagen schlafe ich schlecht, wälze mich von einer Seite zur nächsten und frage mich, was Raphael mit seinem Besuch bezweckt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm plötzlich klar geworden ist, wie wichtig ich ihm bin. Dass ich ihm wichtiger bin als sein normales, einfaches Leben mit Maya, dem er beim letzten Mal noch alles an Bedeutung beigemessen hat. Es zermürbt mich. Ich bin hin und her gerissen zwischen hoffungsvoller Zuversicht, nagendem Zweifel und bohrendem Misstrauen. Als er in den Staaten war, waren meine Gedanken zwar nie gänzlich von ihm weg, aber dennoch hatte die Distanz etwas Gefühlsbeschwichtigendes für mich gehabt. Seine Anwesenheit ändert das schlagartig. Im Grunde weiß ich nicht einmal, ob ich darüber zufrieden oder verärgert sein soll, dass er hier auftaucht und sich dann nicht wieder bei mir meldet. Was soll das?

Nur der Anruf meines Vaters erinnert mich daran, dass ich versprochen habe am Sonntag für Kaffee und Kuchen vorbeizukommen. Ich habe es verdrängt. Erfolgreich.

Am Sonntagmorgen bin ich früh wach, gehe kalt duschen um in Gang zu kommen und habe meine Schwierigkeiten, wirklich konzentriert zu bleiben. Nur ein paar Stunden bei der Familie, das sollte ich schaffen. Meine Laune ist unterirdisch. Erdkernnahe. Ein paar Meter tiefer und ich löse mich in flüssiger, heißer Lava auf. Oder Magma. Egal, Hauptsache heiß. Ein leises verpuffendes Geräusch kommt mir in den Sinn und all meine Probleme wären schlagartig gelöst. Ich schüttele die Gedanken seufzend fort.
 

Meine Hand umspielt die silberne Kette, die schon wieder um meinem Hals hängt. Ich ziehe sie mir über den Kopf, lasse den schmalen Anhänger durch meine Finger gleiten. Wiederholt lese ich das Datum, so wie ich es in den letzten Monaten immer wieder getan habe. Seine letzten unausgesprochenen Worte an mich. Bedeutungsschwer und dennoch ohne weitere Erklärungen seltsam leer. Im Grunde weiß ich noch immer nicht, was er genau für mich empfindet. Das Gefühl seiner Lippen auf den meinen kommt mir in den Sinn. Sanftheit. Erregung und das zarte Aroma des Verlangens. Meine Lippen beginnen zu kribbeln. Ich fasse mir dagegen um die Vibrationen aufzuhalten.

Noch ein weiteres Mal streiche ich über das Silberstück und lege sie mir wieder um den Hals. Ich stehe auf und ziehe mir das Hemd über. Knopf für Knopf schließe ich es bis die Kette unter dem dünnen Stoff verschwunden ist. Für einen Moment denke ich darüber nach, sie nicht zu tragen, schließlich weiß ich bis heute nicht, ob Maya die Kette kennt. Ich betrachte mich im Spiegel. Das Hemd ist weinrot und schmal geschnitten. Es betont meine Figur. Shari hat es für mich ausgesucht. Sie sagt, ich müsse auch Hemden besitzen Schließlich könne man nicht überall mit einem T-Shirt auftauchen. Mein Argument, dass ich bereits Hemden besitze, stritt sie freundlich ab und überzeugte mich voll Inbrunst zu einem Neukauf.

Das Hemd passt gut zu mir. Es unterstreicht die Wärme meiner braunen Augen und schmeichelt meinem Teint. Das mit Teint habe ich von Shari.

Vorsichtig schiebe ich mir das Hemd in die Hose und krame dann nach meinen Schuhen. Ich sehe auf die Uhr und weiß schon jetzt, dass ich zu spät kommen werde. Ich lasse meinen Blick noch einmal über die kleine Kommode im Flur wandern und greife nach meinem Portmonee. Ich atme tief ein, schnappe mir meine Jacke und gehe endlich los.
 

Wenig später stehe ich vor dem Haus meine Eltern. Ich hole meinen Schlüssel aus der Tasche. Doch bevor ich die Tür aufschließen kann, wird sie aufgerissen.

„Hossa“, rufe ich erschrocken aus und weiche einen Schritt zurück. Ich blicke in das vergnügte Gesicht meines Onkels.

„Onkel Tom?“, frage ich dümmlich als ich meinen Lieblingsonkel erkenne. Er nimmt mich lächelnd in den Arm. Ich habe nicht gewusst, dass auch er da sein wird. Meine Laune bessert sich.

„Komm schnell rein, deine Mutter ist schon fuchsteufelswild, weil du zu spät bist.“

„Ich dachte, sie hat längst daran gewöhnt.“

„Sie hat noch Hoffnung. Du hast sie nicht genügend vorbereitet, würde ich behaupten.“ Ich ziehe meine Schuhe aus und hänge meine Jacke in der Garderobe auf.

„Scheint so. Bist du ohne die Familie hier?“, frage ich und lasse meinen Blick kurz in die Küche wandern. Sehen kann ich nichts, aber riechen. Den Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee und aufgeschlagener Sahne.

„Ja, Andy ist krank. Sagt jedenfalls die erhöhte Temperatur und Luzi wird sich garantiert anstecken. Dann Anne. Dann ich. Und so weiter und so fort…“ Tom hebt resigniert seine Hände in die Lüfte und grinst. Ja, Kindergartenbazillen sind besonders böse.

Bevor ich in die Küche gehen kann, zieht er mich kurz zur Seite und legt, wie gewohnt seinem Arm um mich.

„Mark, ich finde toll, dass du unsere Tradition weiterführst und dich für unsere Universität entschieden hast.“ Sein Lächeln ist breit und freudestrahlend. „Aber, was ich nicht verstehe ist, warum bist du ausgezogen?“, fragt er mich ernsthaft und ich ziehe eine Braue nach oben.

„Fragst du mich das wirklich?“ Im passenden Moment kommt Maya die Treppe hinunter. Wie immer sieht sie perfekt aus. Makellos gestylt. Ihre langen Wimpern rahmen strahlende, blaue Augen. Der schwarze Lidstrich scheint Millimetergenau. Ihre Lippen schimmern sanft feucht. Es ist alles etwas zu viel. Sie geht nicht in die Disko, sondern Kaffeetrinken mit der Familie. Ich zwinge mich dazu nicht die Augen zu verdrehen.

„Ist Mama in der Küche?“, fragt sie, würdigt mich keines Blickes und ist nicht mal dazu bereit mich zu begrüßen. Sie geht ohne eine Antwort abzuwarten an uns vorbei.

„So, stell dir die Frage jetzt noch mal.“ Ich sehe meinen Onkel überzeugt an. Er grinst schelmisch.

„Keine Maya, keine Vorschrift und endlich ein freies Sexleben“, erläutere ich ihm noch mal konkret und er beginnt, amüsiert seinen Kopf zu schütteln. Sein Arm auf meiner Schulter beginnt zu wackeln und er drückt mich ein paar Mal an sich.

„Touché, ich werde nichts mehr sagen.“ Damit schiebt er mich in die Küche. Der Duft von frischem Kaffee und aufgeschlagener Sahne wird stärker. Meine Mutter und meine Tante habe ganze Arbeit geleistet. Drei Torten und mehrere Kleingebäcke.

„Schaut, wen ich endlich in die Küche lasse…“, sagt Tom zu meiner Mutter, welche mich tadelnd anschaut und ganz genau weiß, dass ich schon wieder zu spät gekommen bin.

„Hallo Mama.“ Sie kommt auf mich zu und umarmt mich. Eine ihrer Hände wandert an meine Wange und sie sieht mich prüfend an.

„Du isst nicht genug“, flüstert sie und ich sehe sie entgeistert an.

„Ich wachse noch.“

„Mark, sei nicht albern“, sagt nun meine Tante Elli und zieht mich in eine Umarmung.

Ich stelle mich auf Zehenspitzen und blicke einen kompletten Kopf über sie hinüber.

„Da schau, ich habe in den letzten Monaten mindestens 10 Zentimeter gemacht.“ Sie beginnen zu lachen. Meine Mum streicht mir kurz durch die Haare und ich versichere ihr mehrmals, dass alles okay ist und ich nur etwas im Stress bin. Außerdem achtet Shari schon darauf, dass ich nicht vom Fleisch falle.

„Hier, du kannst schon mal einen Kuchen mitnehmen.“ Sie drückt mir eine der Torten in die Hand und dreht mich an den Schultern zum Esszimmer.
 

Der gedeckte Tisch sieht einladend aus, doch in meinem Magen ist es flau. Ich mache mir zwischen zwei Torten einen Tee und sorge brav dafür, dass sich der Tisch füllt. Aus dem Wohnzimmer höre ich belustigtes Geschnatter. Genauso, aus der Küche. Ich bleibe im Esszimmer und nippe an meiner Tasse Tee. Grüner Tee mit Vanille. Irgendwann kommen nach und nach auch die anderen dazu. Verstohlen sehe ich zu meiner Schwester und frage mich, ob sie mittlerweile weiß, dass ihr toller Freund wieder in der Stadt ist. Ich spüre, wie mein Herz heftig zu schlagen beginnt und das vor purer Eifersucht. Ein unschönes Gefühl, was meine Brust zu sprengen scheint. Deutlicher und stärker, als jemals zu vor. Es frisst sich durch meine Knochen und lässt meine Finger zittern. Ich atme tief ein, doch dadurch scheint das Brennen in mir nur noch mehr anzufachen. Raphael geht mir nicht aus dem Kopf. Seine Gestalt in der Tür. Das Lächeln und der Geschmack seiner Lippen.

Erst das Lachen meiner Schwester reißt mich aus den Gedanken und ich wende meinen Blick von ihrem perfekten Gesicht ab. Ich lasse mich auf einen der Stühle nieder und schlage die Beine übereinander damit ich unruhig mit meinem Fuß wippen kann. Als sich der Stuhl neben mir bewegt, erblicke ich meinen Vater.

„Na, Großer, was macht die Kunst? Wie läuft es? Kommst du gut zurecht?“, fragt er mich. Sein Blick ist ernst, aber weniger besorgt als der meiner Mutter. Anscheinend traut er mir zu, dass ich es schaffe zu überleben.

„Du siehst, dass ich noch lebe. Ich bin also durchaus in der Lage allein zu recht zukommen“, sage ich flapsiger, als gewollt. Er schaut verdutzt und lacht dann auf.

„Schön zu hören! Und deine Mutter macht sich einfach Sorgen.“

„Ach wirklich, das habe ich noch gar nicht gemerkt“, gebe ich sarkastisch von mir und entschuldige mich sofort. Mein Vater schmunzelt und drückt mich kurz an sich.

„Melde dich einfach öfter, dann gibt sie Ruhe.“ Mir liegt eine scherzhafte Bemerkung auf den Lippen, doch ich schlucke sie runter.

„Ich versuche es.“

„Gut. Wie sind die Vorlesungen?“

„Langatmig...“, beginne ich und kriege dann, aber die Kurve, „Wirklich gut. Unglaublich interessant sogar. Die Methodikkurse toll. Nein, im Ernst. Es ist gut, aber wir haben bisher nur die ganzen Grundlagen und das ist ausschließlich trockene Lernerei“, erkläre ich ihm, stelle meine Ellenbogen auf den Tisch und lehne mich darauf. „Ich vermisse den kreativen Teil, aber der wird noch kommen.“

„Garantiert und dann wirst du sagen, dass du gern mal wieder trockene Theorie hättest.“

„Wahrscheinlich“, kommentiere ich lachend.
 

Das Klingeln an der Tür durchdringt den ganzen Raum. Meine Mutter klatscht freudig in die Hände und ich überlege, wen sie noch eingeladen hat. Es gibt etliche Möglichkeiten. Mein Onkel öffnet die Tür und dann ruft er nach Maya. Sie rennt los. Ein bestimmter Gedanke kitzelt durch meinen Kopf, doch es ist nichts Eindeutiges. Erst das sonore Quietschen lässt den Gedanken aufklaren. Raphael.

Mit einem Mal wird mir ganz kalt. Ich kann hören, wie sie ihn in die Küche zieht. Die Stimme meiner Mutter, die ihn überschwänglich begrüßt und Maya dann stolz berichtet, dass sie längst wusste, dass er seit gestern wieder da ist und sie ihn als Überraschung eingeladen habe. Seit gestern? Maya ist aus dem Häuschen. Tausende überschwängliche Küsse und Umarmungen. Vor ein paar Tagen hat er noch mich geküsst. Willkommen zurück im Status quo. Ich habe das Gefühl in einer eisernen Jungfrau zu stecken.

Die Worte, die mein Vater neben mir an mich richtet, dringen nicht zu mir durch. Er legt mir seine Hand auf den Arm und erst jetzt sehe ich ihn an.

„Tolle Überraschung, oder?“ Er lächelt und ich nicke unmerklich.

„Ja, toll.“ Ich klinge wenig überzeugend. Ich sehe Raphael und meine Schwester im Türrahmen zur Küche stehen. Sie hält seine Hand und haucht ihm einen Kuss gegen die blank rasierte Wange. Raphael lächelt und mir wird schlecht.

„Entschuldige mich“, sage ich und stehe auf. In dem Moment, in dem sie den Raum betreten, bin ich an der Kommode vorbei zur Tür raus. Nur einen kurzen Blick werfe ich ihnen zu und ich merke, dass Raphael mir nachsieht. Schnellen Schrittes bin ich nach oben verschwunden. Ich höre, wie mir mein Onkel aus dem Flur nachruft, ob ich nicht unten bleiben will, weil wir gleich essen. Doch ich ignoriere es.

Im Badezimmer angekommen, stütze ich mich mit den Armen auf dem Waschbecken ab und schaue auf die weiße Keramik. Ich atme tief ein und versuche das schlechte Gefühl in meinem Magen zu unterdrücken. Es fällt mir schwer. Ich schaffe das nicht. Noch einmal atme ich tief ein und wieder aus, dann stelle ich den Wasserhahn an. Kaltes Wasser trifft mein Gesicht. Ich benetze meine Lippen und spüre, wie etwas Wasser mein Kinn hinabrinnt und dann meinen Hals entlang fließt.

Obwohl der Gedanke seiner Rückkehr immer da gewesen ist, trifft es mich trotzdem wie einen Schlag sie zusammen zusehen. Sein Lächeln. Seine Erwiderungen gegenüber Mayas Berührungen. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich glaube soll. Ein weiteres Mal befeuchte ich meine Lippen.

Nur ein wenig Kuchen essen, reden und Interesse heucheln, dann werde ich wieder gehen. Ich sehe in den Spiegel und muss meiner Mutter Recht geben. Trotz Sharis guter Kochkünste bin ich schmaler geworden. Ich fahre mir durch die Haare und als ich das Badezimmer verlasse, stoße ich direkt gegen Raphael. Ich blicke erschrocken auf und sofort wieder weg

„Alles okay bei dir?“ Sein besorgtes Lächeln ist ehrlich, doch ich weiche ihm aus, schiebe mich an ihm vorbei.

„Ja.“, sage ich und gehe ich die Treppe hinunter. Ich setze mich kommentarlos an den Tisch. Die fragenden Gesichter der anderen ignoriere ich ebenfalls. Allen voran Mayas. Erst als auch Raphael am Tisch sitzt, beginnt die große Kuchenschlacht. Nach einer Viertelstunde bin ich noch immer bei meinem ersten Stück. Ich habe das Gefühl, es mir runterquälen zu müssen.

„Raphael, nun erzähl uns von deinem Aufenthalt in den Staaten. Nicht, dass wir nicht alles schon von Maya gehört hätten, aber vielleicht hast du ja auch noch etwas zu berichten“, erkundigt sich mein Vater quer über den Tisch und alle lachen, nur Maya wird rot und ich schweige.

„Es war wirklich aufregend. Ein ganz anderes Schulsystem und auch die Menschen haben eine besondere Mentalität. Es hat mir großen Spaß gemacht, vor allem, da die Mannschaft so unglaublich dankbar war, hat mich fasziniert. Sie haben auch weniger gemurrt, als meine Jungs hier.“ Erneutes Lachen. Ich denke an Danny, einen ehemaligen Klassenkameraden von mir und Mitglied von Raphaels alten Leichtathletikteams. Danny ist in den letzten Monaten, doch mehr zu einem Freund für mich geworden. Mit ihm ist es locker und lustig. Das tat mir ganz gut. Er ist an eine spezielle sportorientierte Hochschule gegangen, die aber in der Nähe liegt. Ihm wird eine gute und erfolgreiche Zukunft prognostiziert. Ich nehme mir vor, ihm mal wieder zu schreiben.

„Und die Familie, bei der du untergekommen bist?“, fragt meine Mutter und schleckt Sahne von ihrer Kuchengabel.

„Durch und durch amerikanisch. Wirklich freundlich und extrem begeistert. Gerade im Zusammenhang mit Sportevents. Jedes Wochenende gab es ein anderes Turnier oder ein Spiel.“ Ich höre kaum noch zu.

„Aber insgeheim bin ich froh, wieder hier zu sein“, sagt er und lächelt.

„Und wir sind froh, dass du wieder hier bist“, kommt es von Maya und ich verkneife mir ein angewidertes Raunen. Als sie auch noch nach seiner Hand greift, wird mir wieder ganz anders. Ihre schmale, helle Hand wirkt auf seiner großen dunklen ungemein zerbrechlich. Ich sehe zu Maya und sie sieht mich direkt an. Ein seltsamer Blick, doch ich setze mich nur aufrecht hin und schlage unbewusst erneut die Beine übereinander, lasse meinen Fuß angestrengt wippen. Meine Gabel bohrt sich in die weiße Creme des Kuchenstücks. Kokosccreme und Kirschmarmelade. Millimeter für Millimeter bohrt sich das Metall tiefer hinein. In meinen Kopf passiert das in Zeitlupe.

„Wäre so ein Auslandsaufenthalt auch etwas für dich, Mark?“, fragt meine Tante und ich sehe sie nicht mal an. Ich pieke das Stück endgültig von meinem Kuchen ab und führe die Gabel nicht zum Mund, sondern lasse es zur Seite kippen.

„Nicht wirklich“, gebe ich uninteressiert von mir. Im Raum wird es still.

„Wer möchte noch Kaffee?“, fragt meine Mutter und einige Hände heben sich.

„Mark, hilfst du mir bitte“ Keine richtige Bitte, sondern eine definitive Aufforderung.
 

Ich lege meine Gabel missmutig zur Seite und folge meiner Mutter. Ohne auf ihre fragenden Gesten zu achten, hole ich den Kaffee aus dem Schrank und setze Wasser auf.

„Was ist los mit dir?“, entfährt es ihr aufgebracht.

„Nichts.“

„Komm mir bitte nicht so“, sagt sie streng und ich seufze leicht.

„Ich habe nicht gut geschlafen, das ist alles.“ Ich hoffe, dass sie diese Erklärung akzeptiert.

„Es liegt, also nicht an Raphael und Maya.“ Bei der Erwähnung ihrer Namen zucke ich zusammen.

„Habt ihr euch verkracht? Du und Raphael? Oder du und Maya?“

„Was? Nein, wie kommst du auf so was? Es hat nichts mit ihm oder Maya zu tun. Ich habe sie doch gar nicht gesehen. Ich bin einfach nur müde“, wehre ich ab. Eine Lüge. Ich habe mir vorgenommen nicht mehr zu lügen, doch manchmal passiert es automatisch.

„Wirklich? Mark, du hast ihn damals nicht verabschiedet und heute nicht begrüßt.“ Ich zucke nur mit den Schultern. Ich hatte ihn verabschiedet und er hat mich begrüßt. Ich kann ihr schlecht erklären, dass ich schon lange weiß, dass er wieder hier ist und ich ihn sogar schon gesehen habe.

„Ich habe ihn oben kurz begrüßt“, sage ich verteidigend.

„Dein Vater und ich sind nicht blind. Wir wissen, dass du mit der Beziehung von ihm und Maya nicht einverstanden bist“, setzt sie fort. Guter Blick. Falsche Schlussfolgerung.

„Was? Ich finde es fantastisch. Ein Hoch auf ihr ewiges Glück.“ Eindeutig zu sarkastisch und den letzten Satz hätte ich mir sparen sollen. Meine Mutter lässt sich nicht beirren.

„Die Gründe dafür sollen deine bleiben, aber könntet ihr euch nicht, bitte aussprechen?“ Sie weiß von dem Umschlag, den mir Raphael am Morgen seiner ersten Abreise gebracht hat. Sie weiß nur nicht, was sich darin befand und würde es auch nicht verstehen. Ich höre im Hintergrund das leise Klacken des Wasserkochers. Das Wasser ist heiß. Ich wende mich um und gieße die Kanne auf.

„Mark?“ Sie legt mir ihre Hand auf die Schulter. Ich antworte noch immer nicht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass meine Eltern auf so etwas achten.

„Du kannst dich wieder hinsetzen. Ich bring den Kaffee gleich hinterher“, sage ich leise.

„Wirst du es klären?“

„Was wird er klären?“, fragt Maya. Sie kommt in die Küche und sieht abwechselnd von mir zu unserer Mutter.

„Nichts, was dich angeht“, antwortet sie, bevor ich das Gleiche weniger freundlich von mir geben kann. Unsere Mutter stupst ihr sanft gegen die Nase und lächelt.

„Hat er schon wieder Unfug gemacht? Fliegst du schon jetzt von der Uni?“, fragt sie trotz alledem weiter.

„Nein, Maya. Du hörst bitte auf ihm so etwas zu unterstellen.“ Ich drehe mich, nachdem ich die Kaffeekrümel mit dem Sieb runtergedrückt habe, um und verschränke die Arme vor der Brust. Ich sehe Maya herausfordernd an.

„Ja, schon gut, ich bin nur neugierig. Es ist immer wieder belustigend von seinen Eskapaden zu hören. Das ist alles.“

„Tja, wer selbst nur ein pseudointeressantes Leben führt, muss sich eben an dem Leben anderen ergötzen. Vielleicht solltest du öfter deine bunte, scheinheilige Plastikwelt verlassen und den Geruch der Realität schnuppern. Ach, lieber nicht, du könntest dir dabei einen Fingernagel abbrechen.“ Ich sehe, wie sie tief einatmet, aber kein Wort aus ihrem Mund kommt. Ich setze sofort wieder an und gebe ihr keine Chance zur Erwiderung.

„Huch, hat es dir die Sprache verschlagen? An welchem Wort bist du gescheitert, Schwesterchen? Pseudo? Realität? Fingernagel? Das kommt davon, dass in deinem Kopf immer nur für ein Wort Platz ist“, gebe ich bitterböse von mir. Ihr Blick ist tötend und der meiner Mutter auch. Ich spüre das Höllenfeuer bereits in mir brennen. Ich greife mir den Kaffee und gehe an beiden vorbei, bevor sie etwas sagen können. Bereits beim Verlassen der Küche beiße ich mir kurz die Zähne zusammen.

„Wer möchte Kaffee?“, frage ich übertrieben fröhlich. Ich versuche nicht zu Raphael zu sehen, doch ich spüre seinen Blick auf mir. Dann hebt er die Tasse. Ich zögere bevor ich zu ihm gehe und neben ihm stehen bleiben muss. Er hält die Tasse so, dass sich unsere Arme kurz berühren. Er lässt mich nicht aus den Augen und ich spüre, wie sich langsam, aber sicher Schamesröte auf meine Wangen legt, weil mir sein Blick sagt, dass meine Worte definitiv auch hier zu hören gewesen sind. Ich gieße ihm etwas ein und setze mich dann zurück zu meinem halbaufgegessenen Stück Kuchen. Er nimmt einen Schluck und hustet.

„Oh, Mark kreiert aktive Sterbehilfe“, witzelt Raphael mit verzogenem Gesicht. Vielleicht brauche ich die selbst bald. Raphael greift nach der Milch und dem Zucker. Ich werfe ihm einen bösen Blick zu.

Erst ein paar Minuten später folgen Maya und meine Mutter. Sofort wendet sich Maya an Raphael und flüstert ihm etwas zu. Sein Blick wandert zu mir und ich starre ihn diesmal absichtlich an.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Onlyknow3
2014-11-22T13:04:04+00:00 22.11.2014 14:04
Was für ein zusammen treffen der Familie. Ob Marks Eltern schon etwas von seiner anderen Art der Sexualität ahnen, oder ob seine Mutter nur auf den Busch geklopft hat bleibt ja hier noch offen doch wird er dieses Geheimnis nicht mehr lange bewahren können schon allein wegen seinem Verhalten an sich. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel. Sorry das ich erst jetzt wieder zum lesen kommem karo aber zu viel stress hindert mich daran.

LG
Onlyknow3
Von:  -Ray-
2014-11-07T19:35:05+00:00 07.11.2014 20:35
Puh die Sache bleibt definitiv sehr spannend. Ich merke nur jetzt schon das ich Raphael zusehends weniger gut leiden kann! Der und sein scheinheiliges Getue!
Aber ich freu mich schon aufs nächste Kapitel. :) <3
Von:  Morphia
2014-11-06T21:54:48+00:00 06.11.2014 22:54
Marks Mutter drängelt langsam verdächtig. Ob sie was ahnt? O.O Wenn ich mich richtig erinnere, hat sich Raphael Marks neue Adresse von Marks Mutter besorgt. So langsam sollte sie eins und eins zusammen zählen können.

Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel. ^__^
Wie lange wird es wohl dauern bis es endlich Klarheit gibt? ; )


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