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Therapiestunden

( Psychological Affairs )
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich sollte ich an meiner Examensarbeit sitzen,
uneigentlich kann man so viele andere Dinge tun…

Zum Beispiel meiner momentanen KidxLaw Sucht frönen :D

Das meiste der FF ist schon geschrieben und wird editiert
- 6 Kapitel in 6 Wochen sollte funktionieren

Ich würde mich freuen, wenn ihr Interesse habt und mich mit meiner kleinen Idee in dieser Zeit begleitet.
Kommentare mit Anregungen und Kritik wären atemberaubend B)
GLG KankuroPuppet Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und da ist auch schon die Nummer 2 :)

Ich freue mich sehr über eure Favoriteneinträge und dazu möchte ich ganz besonders Rika-chan, Skalli_Otori, sophie1 und Pussy1 für die lieben und motivierenden Kommentare danken!

Meine kleine Herbst FF geht in die zweite Runde und wie immer würde ich mich sehr über Anregungen, Meinungen, Lob und Kritik jeglicher Art freuen :)
Kommentare wären phänomenaltastisch :D

Ganz viel Spaß beim Lesen!
GLG eure KankuroPuppet Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hello again~

Ich freue mich gigantomanisch über all eure Favo-Einträge und ganz besonders natürlich auch darüber, dass sich so viele die Zeit genommen haben, um mir einen Kommentar dazulassen ^.^ Also einen dicken (Vogel-)Strauß an Pussy1, Mei2001, Rika_chan, Skalli_Otori und Plixel. Ich verbeuge mich!

Wie ihr vielleicht schon gesehen habt, musste ich die Rahmenbedingungen des Projektes etwas verändern, denn beim Schreiben fiel mir auf, das da zu viel Text entsteht, um ihn nur in sechs Kapiteln zu fassen. Da das Meiste aber bereits geschrieben ist, sollten anstelle der sechs wahrscheinlich sieben Wochen reichen für nunmehr neun Kapitel :D

In diesem Teil bin ich sehr gespannt, was ihr zu Kid sagen werdet ^^°
Wie immer freue ich mich über eure Meinungen, Lod und Tadel usw.

Kommentare wären wie immer fabulös!

Ganz viel Spaß beim Lesen :)
GLG eure KankuroPuppet Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Da bin ich wieder und habe ein neues Kapitel mitgebracht ^.^

Ich kann mich nicht genug für die motivierenden Favo-Neuzugänge bedanken und mehr noch für eure allesamt witzigen, anregenden und ausgefeilten Kommentare! Ich freue mich riesig, dass ihr euch die Zeit für diese FF nehmt! Ein bunter Kuchen für jeden von euch Plixel, Rika_chan, Mei2001, Zorro-san, Eike und Skalli_Otori!!!

Auch dieses Mal bin ich gespannt auf eure Meinungen und freue mich auf Gedanken, Verbesserungsvorschläge, Lob und Tadel!

Kommentare wären wie immer ein Träumchen ^-^

Viel Spaß beim Lesen!
GLG eure KankuroPuppet Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal war es nicht einmal eine Woche bis zum Hochladen des neuen Kapitels :D
Ich werde besser! ^^°

Aber ich muss sagen, dass ich auch mega motiviert bin, durch immer neue Favo-Zugänge
und ganz besonders durch eure phänomenalen Kommentare!
Heute gibt’s nen Konfettisturm für euch,
Eike, Rika_chan, Skalli_Otori, Crash und Mei2001
Vielen vielen lieben Dank für eure Mühe! ^.^

Wir ihr seht, habe ich das nächste Kapitel in zwei Teile unterteilt…
Hat den Vorteil, dass ihr kein Monsterkapitel lesen müsst
- dieses hier ist schon echt lang geworden D: -
und ich kann das neue Kapitel schneller hochladen,
denn der zweite Teil ist noch nicht ganz fertig ^^° (shame on me…)

Wie immer freue ich mich auf eure Meinungen! Ich bin sehr sehr gespannt!
Kommentare wären wie immer fabulös!

Ganz viel Spaß beim Lesen ^.^
GLG eure KankuroPuppet Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Das letzte Kapitel ist schon so lange her! Verzeiht mir bitte!
Aber in der letzten Woche ist einiges bei mir passiert :)

Was ich aber sagen muss: Wow!
Nachdem das letzte Kapitel online gestellt wurde, durfte ich feststellen, dass ich noch nie in so kurzer Zeit so viele Kommentare für ein Kapitel bekommen habe! Ich danke euch riesig und fühle mich mehr als geehrt!
Vielen Dank für die Favo-Zugänge und einen flauschigen Koala für jeden von den fleißigen Kommentarschreibern: Crash, Yui_Trafalgar95, Skalli_Otori, Rika_chan, Braveheart, Mei2001, Eike, Zorro-san und Plixel! Ich bedanke mich!

Wie ihr vielleicht gesehen habt, ist noch ein elftes Kapitel in Planung und zwar unter dem Titel Kontrollverlust. Auch dieses Kapitel war nicht geplant, doch möchte ich euch zeigen, dass mir eure Meinungen, Ideen und Kommentare wichtig sind und durchaus für den Verlauf der FF berücksichtigt werden. Kapitel acht ist demnach euch allen gewidmet und den tollen Anregungen und Denkanstößen, die ich durch euch bekomme :)

Zum Schluss noch eine Frage nach eurem Interesse:
Und zwar interessiert es mich, ob ihr ein Adult-Kapitel haben wollt oder ob der Lemon entschärft werden soll, denn kommen wird einer ;) Lasst mich hören, was ihr euch wünscht :)

Also vielen vielen lieben Dank an euch alle!
Ich freue mich auf Meinungen, Ideen, Lob und Tadel!
Kommentare wären wunderprächtig!

Viel Spaß beim Lesen ^.^
GLG eure KankuroPuppet Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder und so weiter ;P

Tut mir echt Leid, dass ich nicht ganz im Zeitplan liege…
Aber am Mittwoch will meine Examensarbeit abgegeben werden und da gilt es 114 Seiten aufzuhübschen… Aber ich gebe mein Bestes für euch ^.^
Wie ihr seht, ist das nächste Kapitel noch nicht einmal im edit… Aber ich werde mich so beeilen, wie es eben möglich ist! Pinky Promise!

Wie immer bedanke ich mich ganz herzlich bei euch!
Es ist kaum zu fassen, aber es gibt wieder neue Favo-Zugänge, über die ich mich riesig freue! Und ihr lieben Kommentarschreiber: Ich kann euch gar nicht genug Danke sagen, für den interessanten Ideenaustausch, eure Hinweise und Motivation :) Heut gibt’s ein Honigkuchenpferd für jeden von euch: Crash, Plixel, Pussy1, Eike, Rika_chan, Yui_Trafalgar95, TodesKiwi, Mei2001, AlexanderLightwood und Skalli_Otori! Ich verbeuge mich :)

Also^^ Heute ist noch einmal der gute Killer im Kapiteltitel und ich habe schon eine leichte Skepsis bei euch rausgelesen, was das Verhältnis von Kid und Killer angeht – und das zu Recht! Aber ich werde versuchen, eure Fragen alle nach und nach zu beantworten ;)

Ich bin neugierig, wie ihr das Ende findet :D Habe sprachlich etwas experimentiert und bin ganz gespannt!

Ich freue mich auf eure Meinungen, Ideen, Anregungen, Hinweise auf Korrekturen, Lob und Tadel!
Kommentare wären wie immer turbotastisch!

Viel Spaß beim Lesen!
GLG KankuroPuppet Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Da bin ich wieder :)

Wie immer bedanke ich mich ganz herzlich bei den Favo-Neuzugängen und ganz ganz ganz herzlich bei euch lieben, fleißigen Kommentarschreibern! Ich habe euch alle schon fest ins Herz geschlossen und so gibt es heute eine große Schachtel Pralinen für euch: Crash, Skalli_Otori, Mei2001, Yui_Trafalgar95, Rika_chan, Eike und LadyPortgasD! Ein tiefer Knicks von mir für euch!

Heute habe ich gar nicht viel zu sagen, außer dass ich noch ein Kapitel zwischenschiebe, weil die Kapitel sonst allesamt zu lang werden würden :D Ich weiß ja auch nicht, was da los ist. Ich hoffe, ihr verzeiht mir! Dieses hier ist auch wieder etwas lang geworden…

Aber nun ja… Wieder das Ende: Was sagt ihr? Ist es nachvollziehbar oder kommt es aus dem nichts? Ich bin gespannt O.O

Ich freue mich ganz riesig auf Meinungen, Kritik, Anregungen, Lob und Tadel.
Kommentare wären wie immer phänomenanolo!

Ganz viel Spaß beim Lesen!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Da bin ich wieder :)

Es tut mir Leid, dass das neue Kapitel auf sich hat warten lassen, aber da ich in zwei Wochen mein abschließendes Kolloquium habe, brauche ich etwas mehr Lernzeit als sonst. Dafür ist es dieses Mal etwas länger geworden ;)

Vielen lieben Dank an die neuen Favo-Zugänge :) Und noch einmal ein gigantisches Danke, an all die lieben Kommentarschreiber! Ich weiß das wirklich zu schätzen und freue mich über jede eurer Meinungen und Anregungen! Zum einsetzenden Winter eine Tasse Kakao mit kleinen Marshmallows für euch alle: Mei2001, Pussy1, Crash, Rika_chan, Yui_Trafalgar95, AlexanderLightwood, LadyPortgas_D, Skalli_Otori und poetrysleeping. Ich verbeuge mich :)

Wer meine kleine „work in progress“ Liste verfolgt, wird schon gesehen haben, dass ich noch einmal eine Änderung in der Kapitelplanung vorgenommen habe. Der Grund ist das adult-Kapitel Silhouettenspiel. Damit jeder die Handlung ganz verfolgen kann, habe ich noch zwei Kapitel, einmal vor und einmal nach dem adult-Teil, eingefügt. Da findet ihr die „Handlung“ und Silhouettenspiel wird dann für 18+ ein reines adult Kapitel. Ich hoffe, mit der Lösung sind alle zufrieden :D Ansonsten nehme ich gerne alternative Vorschläge an^^

Dieses Kapitel hier ist für mich etwas ganz besonderes geworden :D Was sagt ihr zu dem ersten Absatz? Ich bin gespannt!!!

Ich habe immer noch riesigen Spaß daran, diese FF zu schreiben und das liegt nicht zuletzt an euch! Ganz lieben Dank! Wie immer freue ich mich auf eure Meinungen, Anregungen, Lob und Tadel!
Kommentare wären genialomatico!

Ganz viel Spaß beim Lesen!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben!

Viel zu lange habe ich euch warten lassen und damit nicht nur euch enttäuscht, sondern auch meine schöne Zeitplanung zunichte gemacht… Aber vielleicht sehen wir es als kleine Pause und machen von heute an weiter?

Viel ist passiert: Ich habe mein Studium abgeschlossen, bin über Weihnachten kurz wieder nach Hause gezogen und lebe nun seit ein paar Tagen in Dublin – seht mir die Wartezeit also bitte nach, ich gelobe alle Besserung!

Ganz besonders möchte ich also all denen danken, die der FF trotzdem treu geblieben sind und mich unterstützt und motiviert haben, damit es endlich weitergehen kann! Vielen Dank an die Favo-Zugänge und eine Runde frisch gezapftes Guinness für all die lieben Kommentarschreiber! Fühlt auch gedrückt: Braveheart, Mei2001, LadyPortgasD, Yui_Trafalgar95, Zorro-san, Eike und lala1314 und dieses Mal noch einmal besonders Yuiki, die sich die Zeit genommen hat, jedes Kapitel zu kommentieren, obwohl sie erst später eingestiegen ist. Ihr seid die Besten!!! Ich verbeuge mich!!!

Nun, das neue Kapitel ist etwas länger – vielleicht als kleine Entschuldigung für die Wartezeit. Manche Teile gefallen mir ganz gut, bei anderen bin ich mir sehr unsicher, aber ich wollte euch schließlich nicht noch länger warten lassen!

Auch dieses Mal freue ich mich riesig auf Anregungen, Lob, Tadel und Kritik!
Kommentare wären wie immer famos!

Ich freu mich, von euch zu hören ^.^

Viel Spaß beim Lesen!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Tag ihr Lieben :)

Leute Leute… Was soll ich sagen? Irgendwie werden die Kapitel immer länger und länger… Dieses hier habe ich in zwei Kapitel unterteilen müssen, damit ich es schneller für euch hochladen kann. Den ersten Teil gibt es jetzt, der andere ist im edit und sollte nächste Woche fertig sein :) So kommen die Chapter auch wieder auf eine normale Länge :D

Ich hoffe, euch hat der adult-Teil gefallen. Nun geht es weiter im plot!

Auch diese Woche möchte ich mich für alle Favoriten bedanken und ein ganz besonderes Dankeschön mit einem Schokopudding geht an lala1314, Braveheart, LadyPortgasD und Yui_Trafalgar95 für eure lieben und hilfreichen Kommentare! Ein geübter Hofknicks für euch ;)

Es geht also weiter: Der Morgen danach (O____O)
Ich habe eine kleine Begegnung und angedeutet eine unterschwellige Message eingebaut. Mal sehen, wer was rauslesen und Bedenken äußern kann. Ich bin mehr als gespannt!

Ich freue mich auf eure Kritik, Vorschläge, Ideen, Lob und Tadel :)
Kommentare wären wie immer supersonic-grandios!

Ganz viel Spaß beim Lesen!
GLG KankuroPuppet Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo! Ich hoffe, ihr alle hattet einen schönen Start in die Woche :)

Ich hatte heute einen ganz aufregenden Morgen, denn ich bekam eine ENS, die mir verriet, dass ein lieber Mensch unter euch diese kleine FF für Yuukis und Aikos Leseecke vorgeschlagen hat! VIELEN VIELEN DANK! Es ist das erste Mal für mich und ich fühle mich mehr als geehrt ^.^

Wie versprochen habe ich mich engagiert an den edit gesetzt und konnte heute noch das Kapitel hochladen. Kapitel 12 und 13 gehörten eigentlich zusammen, der Übersicht und Wartezeit halber wurden sie aber leider getrennt. Aber kein Grund zur Trauer: Jetzt sind sie wieder vereint ;)

Ich bedanke mich ganz herzlich bei alten und neuen Favoriten: Vielen Dank für eure Unterstützung! Ein großes Dankeschön zusammen mit einem Luftballon und einer herzlichen Umarmung gehen dieses Mal an die genialen Kommentarschreiber Mei2001, LadyPortgasD, Crash, Braveheart, lala1314 und Eustass-Nanashi. Ihr seid die Besten und ich kann mich gar nicht genug verbeugen! Vielen vielen lieben Dank!

Dieses Mal gibt es, wie versprochen, etwas mehr Input in Bezug auf unseren Kiddo. Ich bin gespannt, was ihr zu den neuen Informationen sagt und ob es bereits Theorien gibt!

Ich freue mich weiterhin über jede Form von Meinungen, Gedanken, Vorschlägen, Lob und Tadel!
Kommentare wären wie immer rattenscharf ;)

Ganz viel Spaß beim Lesen!
GLG eure KankuroPuppet Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und da bin ich wieder :)

Wir nähern uns also dem Ende :O Kann es gar nicht fassen!

Am Anfang möchte ich mich auch diese Woche bei den Favo-Zugängen bedanken und ganz besonders mit einer Packung Karamellpopcorn fürs nächste Kapitel bei den treuen Kommentarschreiber Crash, Mei2001, LadyPortgasD und Yui_Trafalgar95 und einen besonders bekonnten Knicks für Zorro-san und lala1314, da sie mich mit ihren Beiträgen von einem weiteren Kapitel zu Kids Krankenakte überzeugt haben :)

Eine Frage an die Leser: Nachdem ich nun die FF beinahe beendet habe, sammeln sich in meinem Kopf schon Ideen zu dem DANACH. So denke ich daran eine FF über Kid und seine Vergangenheit zu schreiben mit dem Verlust seines Arms und welche Rolle Law darin gespielt hat. Die andere Idee wäre eine Fortsetzung zu „Therapiestunden“, die ein alternatives Ende voraussetzt. Welche Idee würdet ihr bevorzugen?

Bei diesem Kapitel habe ich etwas mit der Formatierung gespielt: Was sagt ihr dazu? Gefällt es euch oder ist es zu viel? Ich bin gespannt ^.^

Ich freue mich auf eure Meinung und eure kreativen Ideen, Verbesserungsvorschläge, Lob und Tadel
Kommentare wären wie immer gummibärchentastisch!

Ganz viel Spaß beim Lesen!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Vielen lieben Dank an euch alle! Ein langersehnter Traum ist Wirklichkeit geworden!

Ich kann es immer noch nicht fassen, dass es diese kleine Geschichte geschafft hat, zum YUAL März 2015 zu werden!

Was eigentlich nur mit sechs Kapiteln geplant war, ist nun zu einem langen Projekt geworden, das mir mit jedem Satz mehr Spaß macht. Ich kann mich beim Schreiben in die Geschichte fallen lassen und freue mich jedes Mal riesig über die Unterhaltungen mit euch, auf eure Einfälle und Kritik, die diese FF mitgeformt haben. Vielen Dank, dass ihr einen Traum habt wahr werden lassen!

Eine tiefe Verbeugung vor euch allen! Ich fühle mich geehrt!

So möchte ich mich dieses Mal bei den neuen Favo-Zugängen bedanken und hoffe, dass euch die FF Spaß bereiten wird. Ein riesiges DANKE geht an meine lieben Kommentarschreiber, die dies alles erst möglich gemacht haben! Vielen lieben Dank lala1314, Crash, Mei2001, LadyPortgasD, poetrysleeping, Eustass-Nanashi und Yui_Trafalgar95. Fühlt euch alle auf eine All-you-can-eat Runde Sushi eingeladen. Ich kann euch nicht genug danken ^.^

Das Kapitel ist wieder etwas länger und dennoch muss ich gestehen, ist es nur die halbe Wahrheit, denn es hätte noch einiges gefehlt. Da ich euch aber nicht noch eine weitere Woche warten lassen möchte, bekommt ihr schon einmal den ersten Teil und endlich ein paar Antworten :)

Ich habe für euch einiges recherchiert! Hoffentlich gefällt euch das Ergebnis ^.^
Was sagt ihr zu der Geschichte? Authentisch?

Wie immer bin ich gespannt auf eure Meinungen, kreative Ideen, Kritik, Lob und Tadel!
Kommentare wären wie immer superdupertastisch!

Ganz viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Oh nein! Wie lange ist es schon wieder her?

Da wird es wohl Zeit für die Ausrede von diesem Mal :D Tjap… Allein diese Woche arbeite ich im Schnitt 12 Stunden am Tag, versuche am Wochenende aus der Stadt rauszukommen und reise daher viel. Da bleibt leider nicht viel Zeit…

However, es hat mich sehr viel Nerven gekostet, diese Kapitel zu schreiben und auch wenn ich jetzt recht zufrieden bin, habe ich an vielen Stellen gestockt, um- und neugeschrieben und war nicht selten recht verzweifelt.

Das Ergebnis waren an die 7000 Wörter. Nun will ich euch aber nicht länger warten lassen und da ich dieses Wochenende reise und nächste Woche auch, präsentiere ich euch zumindest einen Teil des Kapitels und ihr bekommt „Seelensplitter“ in 3 Teilen. Ich hoffe, das ist soweit in Ordnung.

Seelensplitter 2/3 ist aber bereits fertiggetippt und muss nur noch in den edit, weshalb ich es mit großer Wahrscheinlichkeit in den nächsten Tagen hochladen werde :)

Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz riesig bei den Favo-Zugängen und bin ganz begeistert, dass es selbst zu so später Stunde der FF immer wieder neue Menschen mit an Bord gibt! Herzlich Willkommen :) Ein riesiges Dankeschön mit einem frühlingsfrischen Stück Himbeer-Cheesecake geht an meine verehrten Kommentarschreiber lala1314, Riku_, LadyPortgasD, Mei2001, Yui_Trafalgar95, Waru-chan und Sternenschwester. Ich bedanke mich mit einem tiefen Knicks!

Es gibt wieder mehr Hintergrund zu Kid. Ich bin gespannt, was ihr denkt ^.^

Auch dieses Mal freue ich mich auf Kritik, Anmerkungen, Vorschläge, Lob und Tadel :)
Kommentare wären phänomenalistisch!

Ganz viel Spaß beim Lesen!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Und willkommen zurück :)

Tjap… So viel zu „in den nächsten Tagen hochladen“. Das Kapitel war zwar schon zum Großteil geschrieben, aber dennoch habe ich es mir immer wieder überlesen müssen, wenn ich Zeit hatte. Vielleicht werdet ihr beim Lesen merken warum :D So langsam geht es ins Eingemachte und da möchte ich lieber nichts dem Zufall überlassen.

Es freut mich riesig, dass euch das letzte Kapitel so gut gefallen hat und ich bedanke mich herzlich einerseits für die Favo-Neuzugänge und andererseits noch einmal ganz besonders für die zahlreichen interessanten, motivierenden und vor allem ausführlichen Kommentare! Vielen Dank, dass ihr euch so viel Zeit genommen habt, um mir ein Feedback dazulassen SchokoCandyx3, Mei2001, lala1314, Braveheart, Zorro-san, Riku_, Yui-Trafalgar95, LadyPortgasD, Waru-chan und HeartlessEustassKid. Ich bedanke mich mit einem Knicks und einer Tüte Blaubeer-Bananen-Muffins ;)

Hier also endlich der zweite Teil! Es werden einige Sachen erwähnt, die sich so tatsächlich finden lassen und nicht vollständig von mir erdacht sind. Wer mehr Informationen haben möchte (ihr werdet merken, wovon ich rede), kann sich gerne bei mir melden :)

Ansonsten bin ich gespannt, was ihr zu den Charakteren und den neuen Infos sagt. Besonders beim Ende kann ich eure Reaktionen kaum erwarten! Außerdem hab ich ein Zitat drangehängt.. gut? Schlecht? Ich bin gespannt :)

Auch dieses Mal freue ich mich auf Meinungen, Ideen, Ratschläge, Lob und Tadel.
Kommentare wären avocadotastisch!

Ganz ganz viel Spaß beim Lesen!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Wow… Wie lange ist es her?

Wieder einmal muss ich mit einer Entschuldigung beginnen… Die Tage sind voll, der Sommer verplant… Wenig Zeit zum Tippen, auch wenn die Inspirationen an jeder Ecke lauern… ABER ich habe fleißig jede Minute, die ich freischaufeln konnte, genutzt, um euch nun ENDLICH die Krankenakte zu präsentieren. In fairness: Es gibt einiges zu lesen :D

Zunächst möchte ich mich bei allen bedanken, die mich auch in den Wochen meiner Abwesenheit unterstützt haben! Vielen Dank und herzlich Willkommen an alle Favo-Neuzugänge und ein riesiges Dankeschön mit einem fetten Knuddler für jeden meiner wertgeschätzen Kommentarschreiber HeartlessEustassKidd, Mei2001, lala1314, Crash, Aka-chan, Yui_Trafalgar95, Sternenschwester und LadyPortgasD. Vielen vielen lieben Dank und eine große Bitte um Verzeihung!

Das Zusatzkapitel war wirklich nicht einfach und ich hoffe, meine Bemühungen um das Layout werden berücksichtigt :D Ich habe wirklich Stunden allein daran gesessen! Wie gefällt es euch? Ich bin sehr neugierig :)

Zu sagen ist, dass ich kein Psychiater oder Psychologe bin. Das gewählte Design entstammt meiner Idee und hat wenig Ansprüche auf Authentizität, wenn ich mich auch über die beschriebene Krankheit natürlich informiert habe.

Ich bin sehr gespannt, besonders auf eure Schlußfolgerungen!

Ich freue mich auf Meinungen, Vorschläge, Anregungen, Lob und Tadel!
Kommentare wären wie immer macadamiatastisch ;P

Ganz viel Spaß beim Lesen!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
So ihr Lieben, da bin ich wieder!

Oh man… Die beiden folgenden Kapitel haben mich Zeit und Nerven gekostet… Aber es ist so weit! Wieder einmal gab es eine kleine Änderung, denn anstatt eines letzten Teils von Seelensplitter wird es nun zwei separate Kapitel geben, da am Ende doch mehr Text entstand, als ich gedacht hätte. „Ein Kinderspiel“ ist bereits fertig, der zweite Teil im edit und kann hoffentlich bald hochgeladen werden :)

Es gibt überraschend viele Favo-Neuzugänge, für die sich mich ganz riesig bedanken möchte! Ein ganz besonderes Dankeschön mit einer Extraportion Spätsommersonne geht an meine Kommentarschreiberlinge Mei2001, lala1314, Yui_Trafalgar95 und CARRION. Ein tiefer Knicks für eure lieben Worte und Vorschläge :) Ich freue mich immer auf den Gedankenaustausch mit euch!

Nun wünsche ich euch ganz viel Spaß!

Kommentare, Vorschläge, Ideen, Lob und Tadel wäre suuperduuper ^.^
Ich freu mich auf euch!

Ganz viel Spaß beim Lesen!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal hat es schneller geklappt! Hallo zusammen :)

Hier kommt also der vorletzte Teil vor dem Epilog. Halt! Der vorletzte? Jap, ich werde noch ein Kapitel zwischenschieben, da mich letztens die Muse besuchte und mir Flausen in den Kopf setzte, die nun unbedingt umgesetzt werden müssen. Ich kann Kid wohl einfach nicht ‚Auf Wiedersehen‘ sagen :D

Ich bedanke mich ganz herzlich für die Favo-Zugänge und sende eine selbstgemachte Tomatensuppe mit dickem Dank an alle Kommentarschreiber (keine Ahnung, wie es bei euch ist, aber in Dublin wird es kalt! Suppen sind genau das Richtige momentan xD). Also vielen Dank HeartlessEustassKid, lala1314, Crash, Herzloser und Pace. Ein tiefer Knicks von mir :)

Viel bleibt nicht mehr zu sagen. Es war ein emotional sehr tiefgehendes Kapitel für mich und ich habe beim Schreiben auch einiges über mich selbst gelernt :) Nun bin ich sehr gespannt zu lesen, was ihr dazu sagt und welche Gedanken ihr euch vielleicht macht. Hat sich euer Blick (auf Kid) eventuell, wie meiner auch, verändert?

Ich freue mich auf Ideen, Gedanken, Kritik, Lob und Tadel.
Kommentare wären wie immer knorkentastisch!

Ganz viel Spaß beim Lesen!
GLG eure KankuroPuppet Komplett anzeigen

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Willkommen in der Psychiatrie


 

Erster Teil
 

Der 15. September. Letzte Sonnenstrahlen warfen sich mit angenehmer Wärme auf die Gesichter der Menschen und ließen diese wie eine flüchtige, verblichene Erinnerung an den vergangenen Sommer erröten. Müde kämpften sie sich durch das lichte Blätterwerk, welches in allen erdenklichen Farben leuchtete, wobei ein Blatt mit dem nächsten um seine Schönheit konkurrierte. Kinder lachten, sprangen durch Pfützen und bewarfen einander mit farbigen Laub, während sich eine dunkle Gestalt wie ein Fremdkörper an ihnen vorbeistahl, das farbenfrohe Schauspiel ignorierte und mit trägen Schritten und schlechter Laune den Eingang der Spezialklinik durchschritt, um eine der Abteilungen in den oberen Stockwerten anzusteuern.
 

Kaum hatte der junge Mann den ersten der halbdunklen Eingangsflure, erfüllt mit der typisch schweren, staubigen Luft, betreten, wurde er daran erinnert, weshalb er sich in einem Fachbereich der Chirurgie mit ihren sterilen OP-Sälen und der beachtlichen Auswahl an Narkotika bewerben wollte. Stattdessen stand er nun in der Abteilung seines Onkels und beobachtete unmittelbar vor sich eine einzelne Person auf einem unbequemen Stuhl. Ihre dünnen Arme hatte sie verkrampft um den eigenen Körper gelegt, während der Torso wie ein Säugling in der Wiege nervös vor und zurück wippte. Die Augen fixierten manisch einen Punkt am Boden.
 

„Es sieht zwar nicht danach aus, aber wir sind auf dem besten Wege“, sprach eine raue Stimme neben ihm, die seine erschreckte Faszination erkannt haben musste. „Schön, dass du hier bist, Law.“ Sein Onkel lächelte ihn liebevoll an und hob eine Hand, um die Mütze vom Kopf seines Neffen zu ziehen. Die Maßnahme war seit Beginn seines Studiums zur Routine in ihrer Begrüßung geworden. Ärzte trugen nichts auf dem Kopf – außer im OP, das hatte sein Onkel ihm immer wieder eingetrichtert. Law machte sich allerdings nicht allzu viel aus seinen Vorschriften.
 

Ohne weitere Worte zu verlieren, machten sie sich auf den Weg. „Ich bin sehr froh, dass du der klinischen Psychiatrie eine Chance gibst. Dein Vater mag dich zwar zu einem Kardiologen heranziehen wollen, aber ich bin der Meinung, du solltest deine eigenen Entscheidungen treffen“, erklärte der Mann, dessen Haaransatz sich langsam grau verfärbte; nur passend zum bereits farblosen Vollbart. Law hatte nicht viel Ähnlichkeit mit seinem Onkel, abgesehen von den fahlen blaugrauen Augen, die jedem in ihrer Familie mit auf den Weg gegeben wurden.
 

Nachdem Law beinahe das Ende seines Studiums erreicht hatte, war es an der Zeit, sich für einen Fachbereich zu entscheiden. Während sein Vater geradezu erwartete, dass sein Junior in die Fußstapfen des Chefarztes der Chirurgie trat, wollte dessen Bruder nicht Ruhe geben, bevor Law sich nicht zumindest für wenige Wochen sein Fachgebiet betrachtet hatte: Psychiatrie. Willkommen im Bereich mit dem niedrigsten Blutpotenzial – langweilig… Doch irgendwann wurde es selbst Law zu mühselig seinem Onkel unentwegt abzusagen und so stimmte er schlussendlich einer Art „vierwöchigen Privat-Praktikum“ zu.
 

„Ich sage dir etwas. Heute habe ich nur alte Stammpatienten. Die meisten sind auf dem besten Wege...“ Eine Aussage, bei der Law nur müde schmunzeln konnte. Irgendwie waren alle Patienten seines Onkels grundsätzlich auf dem besten Wege, Heilung so gut wie ausgeschlossen. „Einfache Patienten, meine ich. Guck sie dir heute an, such dir einen aus und wenn der Patient einverstanden ist, kannst du den Fall vorerst übernehmen. Ich bin schließlich die ganze Zeit dabei. Was sagst du?“ Das Lachen seines Onkels wirkte ansteckend genug, um selbst Laws Spiegelneuronen zu animieren, den Ausdruck weitestgehend zu imitieren. „Gut“, kommentierte er den Vorschlag, mehr oder weniger begeistert.
 

Als sie sein Sprechzimmer erreichten, stand die Tür bereits offen. „Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit“, erklärte sein Onkel und ließ Law eintreten „Ich werde noch schnell einen Kaf-… Ach du heilige…!“, rief der alte Mann mit einem Mal, als er sich zu seinem Arbeitstisch gewandt hatte. Eine dritte Stimme kicherte vergnügt: „In diesem Raum darf man nicht fluchen, Doc…“, mahnte sie.
 

Law drehte sich schweigend um, blickte verwundert auf ihren unerwarteten Gast. Auf dem Leder des teuren Schreibtischstuhls seines Onkels fläzte sich ein Junge, der nicht viel älter als Law selbst sein konnte. Ein Bein hatte er frech über die Unterlagen auf der Tischablage gelegt, das andere ruhte auf der Stuhllehne. Am auffälligsten waren wohl die feuerroten Haare, die mit einem leicht fettigen Ansatz wild vom Kopf abstanden und mit einer Sonnenbrille über der Stirn so gut es ging gebändigt wurden. Von der Stirn herab zog sich seine tiefe Narbe über sein linkes Auge. Sie war bereits verblasst, doch musste sie die Erinnerung an eine schwere Verletzung sein. Die Klamotten waren ausgewaschen und ranzig, ihren Geruch nach altem Rauch konnte Law durch den halben Raum wahrnehmen. Vergnügt hockte der Eindringling nun auf dem Stuhl, in den Händen eine Butterbrotdose, dessen Inhalt er in aller Ruhe verspeiste.
 

Nach dem ersten Schreck ergab sich sein Onkel einem entgeisterten Seufzen. „Wie oft haben wir schon darüber gesprochen, Kid? Auch du darfst das Wartezimmer gerne nutzen, dafür ist es da. Wenn du Hunger hast, können wir gerne in die Cafeteria gehen, aber mein Frühstück ist tabu!“ Erschöpft fuhr er sich durch sein Gesicht und hinterließ einige Fragen bei seinem Neffen. „Wer ist das?“, fragte der seltsame Junge neugierig, deutete auf Law, während er genüsslich an der verbliebenen Möhre knabberte und die leere Dose danach aus seiner Hand auf den Boden fallen ließ. Law kräuselte seine Nase. Wer um alles in der Welt nannte sein Kind ‚Kid‘, das war absurd, und warum sollte sich sein Onkel mit einem Patienten in der Cafeteria treffen?
 

Noch einmal rieb sich sein Onkel mit den Innenflächen seiner Hände über das Gesicht, kratzte seinen weißen Bart und lehnte sich gegen den brauen Ledersessel, der in einem Arrangement mit einem weiteren seiner Art, einem modernen Tisch aus Kunststoff und Glas und einer Couch die Mitte des Raumes einnahm, während die Wände vollgestellt waren mit verschiedensten Bücherregalen. Die einzigen Fremdkörper in dieser privaten Bibliothek waren zwei große Fenster, ein Fernseher und ein Whiteboard, auf das einige Zahlen gekritzelt waren. Alles fügte sich ins Bild des dunklen Parkettbodens – überraschend modern, wunderte sich Law, wie ungewohnt für den Bruder seines Vaters.
 

„Mein Neffe“, erklärte der Psychiater und wartete ab, bis der Junge am Schreibtisch nickte, vom Stuhl aufsprang, ihnen den Rücken zuwandte und an eines der Regale ging. Vorsichtig und konzentriert berührte er jeden Buchrücken, der sich im Fach auf seiner Augenhöhe befand. „Ich wusste nicht, dass Sie einen Neffen haben“, erklärte er schließlich, wagte es jedoch nicht, seinen Blick für eine Sekunde von den Büchern zu nehmen.
 

Law schluckte schwer, während sich zunehmend Unruhe in ihm ausbreitete, die ihren Ursprung ohne Frage in der eigenartigen Aura hatte, die dieser Patient ausstrahlte. Da er von seinem Onkel behandelt wurde, musste eine psychiatrische Erkrankung zugrunde liegen und der Mediziner in Law war bereits auf der Suche nach der Antwort – welche? Diagnose war für ihn ein Spiel, eine Art Puzzle. Man nahm die Teile, ordnete sie und setzte sie zusammen, bis die Lösung zu erkennen war. Doch er brauchte mehr Informationen und da es keine Blutproben zu entnehmen und keine Organe zu untersuchen gab, konnte er nur eines tun – reden. „Was wohl daran liegt, dass der Neffe nicht viel von Psychologie und Psychiatrie hält“, ergänzte er also provokant mit einem Grinsen, als würden die drei ein gleichberechtigtes Gespräch unter alten Freunden führen.
 

Law spürte den erschrockenen Blick seines Onkels neben sich, konnte jedoch nicht zu ihm schauen, da er viel zu gespannt auf die Reaktion des Jungen wartete. Dieser war wie erstarrt, kaum dass Law seine Stimme erhoben hatte. Sein Körper zitterte und wies damit auf die enorme Anspannung seiner Muskeln hin. Ein Moment der Stille und Anspannung zog sich durch den Raum wie ein kalter Windstoß im aufkommenden Herbst. Es dauerte ewige Sekunden, bis der Patient am Bücherregal seinen Kopf über die Schulter drehte; ganz langsam, mit angezogenem Kinn und angespannter Kiefermuskulatur. Die Luft des Raumes schien elektrisch aufgeladen zu sein. Law traf in diesem Moment der hasserfüllteste Blick, dem er jemals ausgesetzt war. Starr fixierten ihn grüne Augen, die im komplementären Kontrast der unnatürlich roten Haare leuchteten. Sie lösten im jungen Mediziner nur eines aus – Faszination.
 


 

~*~
 

Ein sonderbarer Patient


 

Zweiter Teil
 

Ein weiterer kalter Windhauch der Anspannung, dann die Rettung durch seinen Onkel. Law ließen seine Worte nur allzu deutlich erkennen, dass alle drei nun so tun würden, als hätte er niemals die kleine Dummheit begangen und den Mund geöffnet. „Du warst die letzten drei Wochen nicht hier“, stellte der Psychiater fest, fixierte den Jungen mit den feuerroten Haaren und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Mimik seines Patienten entspannte sich, dann auch der Rest des Körpers, bevor er begann an der Wand entlang zu schlendern, den Finger weiterhin auf allen Bücherrücken an denen er vorbeikam und von denen er sich nur löste, um das Regal zu wechseln. Er war größer, als Law gedacht hätte, mindestens zwei Meter, dafür aber auch dünn, jedoch keinesfalls schlaksig, eher athletisch. Nach wenigen Metern hatte ‚Kid‘, wie sein Onkel ihn nannte, tänzelnden Schrittes das Whiteboard erreicht und betrachtete die abgebildeten Zahlen. „Hatte Ferien“, erklärte er mit breitem Grinsen.
 

„Ferien? Willst du davon erzählen, Kid?“, tastete sich der Arzt voran und langweilte seinen Neffen bereits mit der indirekten Beiläufigkeit seiner Vorgehensweise. Unbeeindruckt ließ sich Law auf den zweiten Ledersessel fallen und begutachtete ebenfalls die Zahlen an der Tafel, die für ihn nicht mehr als eine willkürliche Anordnung darstellten. Nur nebenbei beschäftigte er sich mit dem Gedanken, was der Kerl mit ‚Ferien‘ meinte, denn zur Schule ging er ganz sicher nicht mehr. Der Rotschopf zog die Mundwinkel nach unten, während er nach einem Stift griff. „Nope“, spuckte er entschieden aus und begann etwas zu schreiben.

„Und warum bist du dann hier?“
 

Diese Frage gefiel Law schon eher. Neugierig wartete er auf die Antwort, während er verwundert verfolgte, wie ‚Kid‘ einige Striche auf das Board malte und wahllos Zahlen untereinander schrieb. „Ich hab' da wen getroffen“, erzählte der Junge, griff an sein Ohr und setzte sich seine Sonnenbrille auf. Laws Onkel verzog in einer undeutlichen Geste den Mund: „Magst du ihn? Sie?“ Kaum war die Frage formuliert, ergab sich Kid einem lauten, unkontrollierten Lachen, als hätte sein Psychiater den größten Witz des Jahrhunderts losgelassen. Law hob irritiert eine Augenbraue, während er sich nachdenklich durch die Haare fuhr und darauf wartete, dass der Lachanfall ein Ende nahm. „Nicht wirklich“, prustete der Rotschopf schließlich hervor, schrieb eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen in die Mitte des Boards und umkreiste sie.
 

„Hmm…“, erklang ein Raunen neben Law, interessanterweise ohne jede Wertung des unnatürlichen Verhaltens vor ihnen. „Nimmst du deine Medikamente?“, fragte der alternde Arzt in ruhigem Ton, doch kommentierte dabei nicht, dass sein Patient den benutzen Stift, ohne ihn zu schließen, achtlos auf den Boden fallen ließ. Der Junge gluckste. „Alle…“, wurde in einer Art Singsang geantwortet, der jedoch schwer zu deuten war. Am Verhalten, das Law in den letzten 15 Minuten beobachten durfte, schloss er allerdings mit unumstößlicher Sicherheit, dass der Kerl nicht ein einziges seiner Medikamente nahm und auch die schwere Atmung seines Onkels schien seine Vermutung zu bestätigen.
 

„Ich kriege gleich einen Patienten, aber morgen habe ich Zeit. Komm morgen noch einmal wieder“, bat sein Onkel förmlich und ließ Law dabei automatisch verwundert die Augenbrauen zusammenkneifen. „Hmm…“, erwiderte Kid und wackelte an seiner Sonnenbrille. „Neue Aufgabe?“, fragte er und wurde durch ein: „Neue Aufgabe“, bestätigt. Ohne ein weiteres Wort des Abschieds, tänzelte er zwischen den beiden Sesseln hindurch, wuselte im Gehen durch Laws schwarzen Haare, wobei dieser durch die unterwartete Berührung erschrocken zusammenzuckte, was der Rotschopf mit einem belustigten Kichern kommentierte. Dann verschwand er auf den Klinikflur. Zwei graublaue Augenpaare beobachteten schweigend, wie die Tür ins Schloss fiel.
 

„Seid ihr zwei auch auf dem besten Wege?“, fragte der Neffe schließlich und genoss dabei den Sarkasmus, den er liebevoll unter jedes seiner Wörter mischte. „Scheiße…“, murmelte sein Onkel und schüttelte besorgt den Kopf, während er in seine Tasche griff, ein Bild von dem Board machte und irgendetwas auf dem Display tippte, sodass Law sich fragte, ob sein Onkel inzwischen auch einen Stich hatte. „Alles ok? Ist da irgendeine geheime Nachricht? Rorschach-Mathematik?“, witzelte er daher weiter.
 

Sein Onkel schüttelte ernst den Kopf. „Das ist eine Aufgabe von einem Freund, der in Physik promoviert hat. Ich möchte ihn fragen, ob die Lösung richtig ist.“ Auf die Antwort hin setzte sich sein Neffe ungläubig auf, starrte noch einmal auf das Durcheinander an Zahlen, Buchstaben und Strichen. „Bitte was?“, hakte er nach. „Das ist so ein Spiel“, setzte sein Onkel direkt zur Erklärung an. „Kid kommt hier hin und spricht mit mir, ich biete ihm dafür…“, er suchte nach einem Wort, „Herausforderungen. Der Junge ist nicht dumm, nur krank. Du solltest den Unterschied kennen, wenn du hier arbeiten willst.“
 

„Ich will hier gar nicht arbeiten“, beklagte sich Law, doch war seine Neugierde unbestreitbar entfacht. Er wollte der Sache auf den Kern gehen. „Dann ist er ein Autist?“, mutmaßte er und sah vom Sessel zu seinem Onkel auf, der weiterhin auf sein Handy starrte. Erschreckender Weise war dessen fachmännische Meinung ein Zucken mit den Schultern. „Dein Ernst?“, Law konnte es nicht fassen.
 

„Ich habe den Fall vor fünf Jahren übernommen, als ich noch im Strafvollzug gearbeitet habe“, sprach der Psychiater und schaute endlich vom Bildschirm seines Mobiltelefons auf. „Ein Siebzehnjähriger, der ohne einen ersichtlichen Grund das Gesicht seines besten Freundes in Brand gesetzt hat. Ein Jahr Geschlossene, weil er noch minderjährig war, dann durfte er gehen, denn der Freund hatte nicht einmal Anzeige erstattet. Tja, und seitdem…“, kurz deutete er auf die Tafel, „seitdem versuche ich eine Antwort zu finden.“ Sein Neffe verzog das Gesicht zu einer Fratze. „Seines besten Freundes? Du willst wohl eher sagen, du versuchst die richtige Dosierung zu finden.“ Der Psychiater lachte frustriert: „Ja, das auch…“
 

Was den Rest seiner Patienten anbelangte, hatte sein Onkel trauriger Weise Recht behalten. Alle waren irgendwie auf ‚dem besten Wege‘ und einer langweiliger als der andere, durfte Law zu seiner Unzufriedenheit feststellen. Um das Ganze auf die Spitze der Unerträglichkeit zu treiben, waren tatsächlich alle mit seiner Anwesenheit einverstanden – Es wäre ja auch zu schön gewesen, hätte er sich das ein oder andere Mal verdrücken können.
 

Um kurz vor sechs räumte sein Onkel dann endlich seine Akten ein. Law streckte sich müde im Sessel. „Und?“, fragte er schließlich, denn eine fehlende Antwort hatte ihn den gesamten Nachmittag über begleitet und nicht mehr losgelassen. Der Gefragte hob seine Brauen in einer Geste des Unverständnisses. „Die Aufgabe. War sie richtig?“, spezifizierte Law seinen Gedanken und beobachtete, wie sich ein Lächeln auf die Lippen seines Onkels legte. „Die Lösungen sind immer richtig“, beteuerte er und setzte sich seinen Rucksack auf. Law verharrte, dachte nach, dann zeigte er selbst ein zufriedenes Grinsen.
 

„Ich will ihn“, warf er schwerwiegend in den Raum. Blaue Augen trafen ein gleiches Paar. Stille, dann ein Lachen untermalt mit einem Kopfschütteln. „Law… Ich habe nicht an Kid gedacht, als ich…“, begann er, doch wurde schnellstens von seinem Neffen unterbrochen: „Du hast gesagt, ich soll mir jemanden aussuchen.“ Sein Onkel schüttelte nur noch energischer den Kopf. „Ich weiß doch selbst nicht, wie ich mit dem Kind umgehen soll, so unberechenbar…“, beteuerte er, brach ab und seufzte. „Dann gib mir einen Versuch“, bat der Medizinstudent und spürte dabei, wie sein spielerischer Entdeckertrieb ihn übermannte. Unberechenbarkeit, das war genau das, was er suchte, egal ob eine spröde Aorta oder ein exzentrischer Soziopath.
 

„Du wirst doch dabei sein“, fügte er beschwichtigend hinzu, als ihm eine weitere Idee kam. „Ich denke, so ein Fall könnte mich für die Psychiatrie begeistern.“ Wenn es in seiner Familie einen Schwachpunkt gab, dann war es ihr aller Ehrgeiz und der Wille zu Gewinnen um jeden Preis. Pläne schmieden, Pläne verfolgen… Wenn es nach Plan lief und sie gewannen, dann war der Tag gerettet. Dies galt auch für seinen Onkel, denn auch dieser wollte Laws Vater im Wettstreit um den Fachbereich des Kindes schlagen. Letztendlich konnte Law nicht sagen, ob sein Onkel die Finte entlarvte, jedoch bezweckte seine Aussage, was er erhofft hatte. Der Plan ging auf. Ein guter Tag.
 

„Na schön“, setzte der Psychiater nach einer Pause des Schweigens und Abwägens an, „Ich werde ja schließlich dabei sein, aber natürlich muss auch er damit einverstanden sein. Und Law! Keine Provokationen, du liest vorher die Akte - und um Himmels Willen! – sprich den Jungen nicht auf den Vorfall von vor fünf Jahren an, verstanden?“ Seine Augen fixierten mit einem warnenden Flimmern den Medizinstudenten, welcher allerdings unbeeindruckt nickte.
 

„Geht klar“, murrte er und spürte die freudige Erregung, die durch seinen Körper zuckte. In seinem Kopf formten sich bereits allerhand Szenarien für die morgige Sitzung. Als sie das Sprechzimmer abschlossen und den Flur entlanggingen, entlockte es seinem Onkel ein langes, lautes Schnauben, wobei er sich erschöpft und doch irgendwie belustigt übers Gesicht fuhr. „Alles in Ordnung?“, fragte Law verwundert. Der Psychiater lächelte schwach. „Von all den sonderbaren Wesen, die durch mein Wunderland hoppeln“, entgegnete er mit zweifelndem Blick, „suchst du dir den Hutmacher aus.“
 


 

~*~
 

Law vs. Kid


 

Dritter Teil
 

Als Law an diesem Morgen die Spezialklinik erreichte, drückte er sein Gesicht tiefer in den breiten, langen Wollschal, der ihn vom kalten Herbstwind abschirmen sollte, welcher gnadenlos den nahenden, lebensraubenden Winter ankündigte. Der wolkenverhangene Himmel spiegelte nur zu gut die Laune des jungen Medizinstudenten wieder, der frustriert durch die gläserne Drehtür das Gebäude betrat.
 

Es war bereits eine Woche vergangenen, seit der das Praktikum bei seinem Onkel begonnen hatte. Tag um Tag ließ er langweilige Fälle über sich ergehen, lernte das ein oder andere über die gängigen Psychopharmaka und versuchte dabei nicht einmal so zu tun, als würde ihn irgendetwas davon interessieren. Der einzige spannende Patient, dem er hatte begegnen dürfen, war seit ihrem ersten Treffen nicht wieder aufgetaucht. Doch das war wohl der Preis, den man zahlen musste; die Ungewissheit, wenn man mit Verrückten arbeitete, dachte sich Law jeden Tag aufs Neue, wenn er abschätzig die Arbeit seines Onkels verfolgte.
 

Er war spät dran, doch was machte es schon, den ersten Patienten mit den immer gleichen Geschichten zu verpassen? Bedacht darauf, sein Ziel nicht allzu schnell zu erreichen, schlenderte er durch die Krankenhausflure, wickelte sich seinen Schal vom Hals und öffnete gerade seine Jacke, als er das angestrebte Sprechzimmer erreichte, dessen Tür offen stand und dadurch verzerrtes Gemurmel vernehmen ließ. Mit trägem Blick gepaart mit aller Langeweile, die in diesem Moment seine Gedanken bestimmte, betrat der den Raum, nickte kurz seinem Onkel zu und wandte sich darauf zum Patienten – hielt erschrocken inne!
 

Da war der Bastard, auf den er die letzten Tage so sehnlichst gewartet hatte, quer über einen der Sessel liegend, mit einem vertrauten Grinsen im Gesicht. In der Hand hielt er die Schale mit Keksen, die sein Onkel jeden Morgen für seine Patienten bereitstellte und kaute seelenruhig einen nach dem anderen, während er Law prüfend beäugte. Wieder lief nichts nach Plan, wieder musste Law spontan umdenken. Es kotzte ihn an.
 

„Guten Morgen, Law. Schön, dass du es doch noch geschafft hast“, begrüßte ihn sein Onkel mit einem Lächeln auf den Lippen, das mehr als deutlich zeigte, dass er von der Verspätung seines Neffen alles andere als begeistert war. „Morgen“, murrte dieser, warf Schal und Jacke über die Lehne des zweiten Sessels und setzte sich auf die nebenstehende Couch. Die Mütze behielt er demonstrativ auf.
 

Mit einem lauten Gähnen wollte er sich am genervten Unterton seines Onkels rächen, als ihm mit einem Mal etwas hart an der Schläfe traf. Erschrocken zuckte er zusammen, blinzelte perplex und spürte, wie der entsprechende Gegenstand seinen Ärmel hinab auf seinen Schoß fiel. Als er ihn identifiziert hatte, konnte er nur frustriert seufzen. Einer der Kekse. Langsam hob er seinen Blick, drehte den Kopf und sah strafend auf den Täter der Wurfattacke. Der Rotschopf zu seiner Rechten erwiderte den Blick jedoch mit aller Unschuld, kaute weiter am süßen Gebäck. Law wollte gerade den Mund öffnen, als sein Onkel durch ein belustigtes Kichern die Spannung zwischen den beiden entschärfte.
 

„Ich habe Kid bereits gesagt, dass du ihm gern ein paar Fragen stellen würdest. Er ist einverstanden“, erklärte er von seinem Schreibtisch aus. Laws nunmehr angesäuerten Gesichtszüge schienen ihn köstlich zu amüsieren und sein Blick ließ zweifelsohne erkennen: Ich hatte dich gewarnt. Resignierend zog sich Law seine Mütze vom Kopf. Schlussendlich war es das, was er sich gewünscht hatte, nicht wahr? „Aber ich will das Buch“, forderte Kid eindringlich, kaute den letzten Keks und stellte die leere Schale zurück auf den Glastisch. „Sollst du kriegen“, bestätigte der Psychiater. Sein Neffe konnte es im ersten Moment nicht fassen – hatte er den Rotschopf etwa bestochen?
 

„Dann leg mal los, Law. Der nächste Patient kommt in einer halben Stunde.“ Mit dieser Einleitung kramte sein Onkel in einer Schreibtischschublade, nahm eine Akte heraus und begann angestrengt in dieser zu lesen, als wolle er mit aller Deutlichkeit zeigen, dass er sich aus diesem Gespräch raushalten wollte. Vom Verhalten seines Onkels irritiert, bekam Law erst mit, dass sich sein Patient bewegt hatte, als er spürte, wie sich dieser neben ihn setzte, eng genug, dass sich ihre Beine und Oberarme berührten. Als glorreiche Krönung dieser Begegnung, legte Kid zusätzlich eine Hand auf Laws Knie, während er ihn erwartungsvoll aus großen Augen ansah. Law wich unsicher zurück. „Was…?“, begann er, konnte seinen Gedanken vor Verwunderung jedoch nicht zu Ende führen.
 

Wieder lachte sein Onkel; war anscheinend nicht so sehr in die Akte vertieft, wie er zuerst vorgab. „Ich hätte dir vielleicht sagen sollen, dass Kid ein unnachahmliches Talent dafür hat, Menschen in für sie unangenehme Situationen zu bringen“, murmelte er, während er eine Textzeile mit einem Marker hervorhob. Sein Neffe schnaubte wütend, überlegte jedoch in aller Ruhe und beschloss die Spielereien des Jungen neben ihm einfach zu ignorieren. Sollte er seine Hand doch hinlegen wo er wollte… Doch die bemühte Ignoranz konnte nicht seinen Blick verbergen, der verriet, wie unwohl er sich durch die Berührung tatsächlich fühlte. Eine Tatsache, die Kid zu erheitern schien.
 

Angestrengt versuchte der Medizinstudent eine herausfordernde Frage zu finden, spielte für einen Moment an seinem Kinnbart, fuhr sich durch die Haare. Gerade hatte er einen interessanten Gedanken gefasst, da brachte ihn ein gelangweiltes Seufzen aus dem Konzept. Kid ließ ihn los, verschränkte die Arme hinterm Kopf und gähnte. „Das ist ätzend… Darf ich anfangen?“, fragte er frech und sah seinen Psychiater an, der durch eine Geste die Frage bejahte. Law war irritiert. Womit anfangen?
 

In diesem Moment war Kid aufgesprungen, schlenderte an den Bücherregalen entlang und betrachtete konzentriert die zahlreichen Buchtitel, während er seinen Zeigefinger nachdenklich auf die Unterlippe legte. Kurz darauf blickte er mit einem zufriedenen Grinsen zu Law, hatte sich offensichtlich für eine erste Frage entschieden. Sein Gesichtsausdruck wurde verspielt, als er sich vor Law stellte und diesen mit erstem Blick musterte: „Mädchen oder Jungs?“, fragte er interessiert.
 

Obgleich er noch kein Wort gesagt hatte, war Law bereits sprachlos. Irritiert blickte er in zwei leuchtend grüne Pupillen. „Bitte was?“, sprach er ungläubig aus. Kid verdrehte genervt die Augen. „Mösen oder Schwänze?“, paraphrasierte er provokant. Law lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Aus seinen Augenwinkeln konnte er beobachten, wie sein Onkel seinen Kugelschreiber aus der Hand legte und fasziniert das Schauspiel in der Mitte seines Sprechzimmers verfolgte. Unsicher über den nächsten Schritt, griff der Medizinstudent nach seiner Mütze, setzte sie wieder auf und erhoffte sich, dass mit ihr auch seine Schlagfertigkeit zurückkehrte. Er hätte damit rechnen sollen, dass der Kerl ihn provozieren würde, doch die schamlos vulgäre Frechheit hatte ihn aus dem Konzept gebracht und er war sich mehr als sicher, dass der kranke Idiot seine Wortwahl sehr bewusst getroffen hatte. Law musste handeln, dessen war er sich im Klaren. Andernfalls würde er diesen kleinen Tanz hier verlieren.
 

„Hmm…“, Kid verzog seinen Mund, während der mit dem Reißverschluss seiner Kapuzenjacke spielte. „Unentschlossen, huh?“, schlussfolgerte er aus Laws kontinuierlichem Schweigen und ließ sich gelangweilt neben ihm aufs Sofa plumpsen: „Ist aber auch eine schwierige Entscheidung.“ Und wie um sich selbst zu bestätigen, nickte Kid überzeugt. Damit er endlich einen Laut aus seiner Kehle bekam, räusperte sich Law, entschlossen dieser Unverschämtheit mit gleichen Mitteln zu begegnen. Auge um Auge…
 

„Mösen“, antwortete er mit fester Stimme und versuchte dabei möglichst beiläufig zu klingen. Kid schob sogleich enttäuscht seine Unterlippe vor: „Schade“, kommentierte er und hatte Law abermals überrumpelt. Was bildete sich der Rotschopf eigentlich ein? Law musste sich aufgebracht daran erinnern, bei seiner Strategie zur Gegenwehr zu bleiben. „Stehst du auf mich?“, fragte er also weiter und wunderte sich wenig, als Kid daraufhin laut lachte. Kurze Zeit später verengte er jedoch nachdenklich seine Augenlider, rieb sich andächtig am Kinn, um dann erneut eine Hand auf Laws Knie zu platzieren. „Ich denke, ich frage mich einfach nur, wie es wäre, wenn du mir einen blasen würdest. Ob du gut wärst, meine ich.“ Durch sein hämisch breites Grinsen, konnte Law erkennen, dass Kids rechter Eckzahn an der Spitze abgebrochen war, woraus sich eine winzige Zahnlücke ergab. Der Anblick lenkte ihn kurz ab, doch nach dieser obszönen Antwort hätte der Student ihm gerne noch weitere solcher Lücken verpasst.
 

Es war Zeit, die Oberhand zu gewinnen, zum ersten Mal in diesem Gespräch. Ein Themenwechsel war indiskutable angebracht, denn er verstand zunehmend, was sein Onkel mit ‚Kids Talent‘ gemeint hatte. Tatsächlich war ihm die Situation mehr als unangenehm – unerträglich, um genau zu sein. Thema, Sätze, Wortwahl begleitet von diesem schäbigen Grinsen; der Junge wusste genau, welche Knöpfe er bei dem jungen Mediziner zu drücken hatte. Law hasste es. „Warum bist du erst jetzt wieder zur Therapie gekommen?“, fragte Law, wenig provokant, aber immerhin. Sein Gesprächspartner war von seiner Reaktion allerdings merklich enttäuscht, zuckte mit den Schultern und stand auf, um zum Whiteboard zu gehen. „Ich hab mir 'ne Knarre besorgt“, erklärte er, nahm sich einen Stift und schrieb ruhig Zahlen an die Tafel. Die Aussage brachte umgehend Unruhe in das kleine Zimmer. Law drehte sich verunsichert zu seinem Onkel, dieser fuhr sich besorgt über den weißen Vollbart. Ihre Blicke trafen sich, wägten ab, wie das Gesagte zu werten sei. Der Psychiater griff ein.
 

„Ist das wahr, Kid?“, fragte er also und beugte sich über den Schreibtisch. „Es ist wichtig, dass du mir jetzt die Wahrheit sagst.“ So schwer die Frage auch wog, der Junge schaute nicht von seinen Rechnungen auf, betrachtete starr und konzentriert die Kombinationen vor seinen Augen. Linkshänder, dachte sich Law, während er gespannt auf eine Reaktion wartete. Endlich kam etwas Abwechslung in dieses Praktikum! Nach einer gefühlten Ewigkeit verzog der Rotschopf seinen Mund zu einem belustigten Grinsen. „Nein“, sagte er schließlich. Der Psychiater atmete erleichtert aus. Law hingegen äußerte die erste Frage, die ihm durch den Kopf ging: „Warum lügst du?“ Seine Hände krallten sich dabei immer tiefer in das Polster der Couch.
 

Kid schenkte ihm einen kurzen Blick, bevor er weiterrechnete, wobei er nachdenklich auf dem Ende des Stiftes kaute. „Wär doch spannend“, erklärte er, schrieb einige Zahlen auf. „Findest du Waffen spannend?“, hakte Law weiter nach und fixierte den Hinterkopf des Patienten. Dieser gluckste, löste den Stift vom Whiteboard, um sich zu Law zu drehen und diesem einen verspielt aufreizenden Blick zu zuwerfen, wobei er seine Augenbrauen mehrere Male hob und senkte: „Ich finde dich spannend“, säuselte er und wandte sich anschließend wieder der Rechnung zu.
 

Es war eine Farce… Dieses ganze Gespräch lief in absolute, nichtssagende Leere. Die Erkenntnis frustrierte den Studenten. Frustrierte ihn so sehr, dass es ihm egal wurde, was sein Onkel gesagte hatte, dass es ihm gleich war, ob er die Akte gelesen hatte oder nicht. Er hatte keine Lust, länger im Dunklen zu stochern, ohne die Hoffnung, jemals auf einen spannenden Kern zu treffen. Er wollte das Risiko. Ruhig lehnte er sich also gegen das Sofa, zog sich die Krempe seiner Mütze tiefer ins Gesicht und schaute angespannt auf den Jungen vor der vollgeschriebenen Tafel. Risiko.
 

„Fandst du es auch spannend, deinem Freund das Gesicht vom Kopf zu schmelzen?“
 

Die Frage fiel wie ein schwerer Stein in die Mitte des Raumes, dröhnte unter einem harten Aufprall und hinterließ staubige Spuren der Anspannung und Ungewissheit. Laws Herz pumpte schneller in freudiger Erregung auf die folgende Reaktion. Durch den Nebel der Provokation hindurch, verfolgte er, wie Kid in seiner Schreibbewegung innehielt. Zu schade, dass er nicht seinen Gesichtsausdruck sehen konnte…
 

Kid blieb der Tafel zugewandt, aber immerhin erkannte Law nunmehr an der vor Anspannung zitternden Hand, dass seine Frage etwas in dem Rotschopf ausgelöst hatte. Als der Druck auf den Stift zu groß wurde, rutschte die Spitze über die weiße Tafel und zog eine breite, rote Linie durch die vor wenigen Augenblicken angefertigten Rechnungen. Der Marker fiel unter einem dumpfen Aufprall zu Boden, Kids Arm blieb leblos hängen.
 

Während er jedes Detail des Szenarios wahrnehmen wollte, versuchte Law zu erahnen, was gerade im Kopf des Jungen vor sich ging, wobei er alle Varianten vom totalen Chaos hin zur verzehrende Leere erschöpfte – Alles war möglich. Das Spiel hatte seinen Reiz zurückerlangt und der Student konnte ein gespanntes Grinsen nicht länger unterdrücken. Im Hintergrund verriet das Geräusch eines Stuhles, der über Parkett geschoben wurde, dass sein Onkel aufgestanden war, offensichtlich in einem Versuch die Scherben aufzusammeln, die sein Neffe gerade verstreut hatte.
 

„Kid?“, tastete sich eine Stimme aus weiter Ferne in die isolierte Spannung, die sich gerade zwischen Law und dem Patienten aufgebaut hatte. Sein Herz schlug schneller und schneller, während er erregt darauf wartete, dass sein Gegenüber endlich etwas erwidern würde, endlich einen Hinweis darauf geben würde, welche Gedanken gerade seinen Kopf heimsuchten. Wenigstens umdrehen sollte er sich, in der Hoffnung, dass seine Mimik Aufschluss geben würde.
 

Doch was die Stimme nicht konnte, schien der Körper zu erledigen. Ohne jegliche Vorwarnung hob Kid seine Hand, zu schnell, als dass sein Psychiater hätte reagieren können, formte sie zu einer Faust und schlug mit den Knöcheln voran erbarmungslos gegen die harte Oberfläche des Boards. Es schepperte. Ein Dröhnen erfüllte den Raum und durschnitt die Anspannung in einem hasserfüllten Hieb, laut genug, um Onkel und Neffen zusammenfahren zu lassen. Überrascht hob Law beide Augenbrauen – Das war besser als jede Antwort!
 

Er hörte, wie der Rotschopf tief Luft holte, seine Lungen füllte, nur um daraufhin langsam alles wieder auszuatmen. Der Psychiater hatte sich inzwischen neben ihn gestellt, legte vorsichtig eine Hand auf die Schulter des Jungen, der ihn um eine ganze Kopflänge überragte. „Er ist nur ein…“, begann der alternde Mann, doch schien sich Kid nicht viel aus seinen Worten zu machen. Stattdessen drehte er sich endlich um, sodass er nach einer schwungvollen Wende den Griff seines Therapeuten gelöst hatte und nun mit ausdrucksloser Miene auf Law hinab sah.
 

Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, bis er direkt vor dem jungen Mann auf der Couch stand. Stille legte sich über die drei Personen und weder Law noch sein Onkel trauten sich zu atmen. Alles war möglich – Law hatte das Risiko gewollt. Und da stand es nun, das Risiko, mindestens zwei Meter groß und unberechenbarer, als es Law gut tat. Doch das Risiko zeigte sich in diesem Moment mit einem nachdenklichen Lächeln auf den Lippen, bevor es seine Hand hob, die Mütze von Laws Kopf zog und daraufhin durch seine pechschwarzen Haare wuselte.
 

Verwundert und gleichzeitig von der unerwartet liebevollen Reaktion verunsichert sah Law mit großen Augen zu dem Jungen auf, der ganz verträumt auf seine blasse Hand in den dunklen Strähnen sah. Niemand traute sich derweil etwas zu sagen, beide Mediziner ließen sich von der erstickenden Stille verschlingen. Noch einen Augenblick länger dauerte das verträumte Spiel mit den Haaren, dann löste Kid seine Hand, hielt sie vor Laws Gesicht, knickte den kleinen und den Ringfinger ein, während er Mittel- und Zeigefinger ausstreckte und seinen Daumen anwinkelte. Mit langsamen Bewegungen drückte er den Lauf der symbolischen Pistole gegen die Laws Stirn, wobei das Grinsen auf seinen Lippen immer breiter wurde.
 

Der Student schluckte schwer, unsicher ob er zu der Hand hochschauen oder in die leuchtenden Augen blicken sollte, die ihn gnadenlos fixierten. Der Druck gegen seinen Kopf wurde immer stärker. Stark genug, dass er seine Nackenmuskulatur anspannen musste, um nicht nach hinten abzuknicken. „Ich fand es faszinierend“, beantwortete Kid schlussendlich Laws Frage, dabei ließ seine erheiterte Stimmlange eine Gänsehaut auf Laws gesamten Körper entstehen. Kaum war der Satz ausgesprochen, da wurde der Druck auf seine Stirn noch einmal stärker, sein Kopf flog nach hinten, während Kid seinen Arm anwinkelte, als hätte er gerade eine Waffe abgefeuert. Ohne eine weitere Tat der Erklärung verließ er daraufhin den Raum. Zurück blieben ein verstummter Law und dessen vor blanker Wut schnaubender Onkel.
 


 

~*~
 

Neuer Versuch


 

Vierter Teil
 

Die Moralpredigt hatte sich über den gesamten restlichen Tag erstreckt. Sein Onkel hatte noch versucht Kid hinterherzulaufen, doch dieser war wie vom Erdboden verschluckt. Von da an begann jeder Morgen in der Klinik mit einer aufgeschlagenen Tageszeitung, in der akribisch nach Hinweisen gesucht wurde, welche die unvorhersehbaren Folgen von Laws unbedachter, provokanter Frage offenlegen würden. Doch so sehr sein Onkel auch die Artikel durchforstete, alles schien in bester Ordnung zu sein, keine einzige Zeile über einen ehemaligen Jugendstraftäter, der rückfällig geworden war.
 

„Lass es endlich gut sein“, murrte der Neffe genervt, während er eine Tasse auf den Schreibtisch seines Onkels stellte, sodass dieser für einen Moment von der Zeitung aufsah. Es blieben nur noch vier Tage, bis das Praktikum beendet sein würde – Zeit, die Wogen zu glätten. Der Psychiater schüttelte skeptisch den Kopf, nahm den Kaffee schweigend entgegen, trank und verzog kurz den Mund, als die heiße Flüssigkeit seine Zunge verbrannte. „Wie soll ich es gut sein lassen? Ich hätte das niemals zulassen dürfen – ich kenne dich doch!“, stellte er sich selbst in Frage. Die gleichen Worte, seit Tagen… Law seufzte, fuhr sich durch die Haare und nippte an seiner eigenen Tasse. Sein Onkel hatte sich gerade wieder den Nachrichten gewidmet, da öffnete sich unter einem unangenehmen Quietschen die Tür des Sprechzimmers.
 

Eine junge Frau betrat den Raum, sah sich unschlüssig um und verschränkte schlussendlich die Arme vor der Brust, während sie die beiden überraschten Männer skeptisch musterte. „Dr. Trafalgar?“, fragte sie und spielte mit einem Piercing, das an einer überraschend ungewöhnlichen Stelle unter ihrem rechten Auge glitzerte. Der Psychiater sah sie kurz an, blickte daraufhin auf eine Akte neben der Zeitung und lächelte vertrauensvoll. „Bonney, nicht wahr? Kommen Sie nur rein und nehmen Sie Platz.“ Die Frau schnaubte angestrengt, ließ sich aber sodann auf einen der Sessel fallen. „Nur damit Sie es wissen, ich habe keine Essstörung“, beteuerte sie und kaute dabei wild auf einem Kaugummi.
 

„Das habe ich nie gesagt“, bestätigte sie der Psychiater, stand auf und umlief gerade seinen Schreibtisch, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete. Dieses Mal kamen feuerrote Haare zum Vorschein, die den Unruhestifter unmittelbar identifizierten. Während sich Law gespannt zum unerwarteten Gast wandte, riss sein Onkel erschrocken die Augen auf. „Noch einer?“, die junge Frau auf dem Ledersessel hob verwundert eine Braue. „Ich habe gleich gesagt, ich mache keine Grup-…“, erklärte sie lautstark, wurde jedoch von Kid unterbrochen, welcher sie dabei keines Blickes würdigte, stattdessen demonstrativ die Zimmertür laut ins Schloss fallen ließ und sich selbstbewusst vor den Medizinern aufbäumte.
 

„Ich wollte dir noch was sagen, Doc“, setzte er an, sah dabei abwechselnd zwischen seinem Arzt und dessen Neffen hin und her. Law brauchte ihn nicht lange zu mustern, um – zu einem geringen Maß erleichtert und gleichzeitig verblüfft - festzustellen, dass seine fahrlässige Frage keine verheerenden Folgen gehabt haben konnte: Der Junge war genauso ranzig gekleidet wie die Male zuvor, roch nach Rauch und abgestandenem Bier, die Haare ein wildes Durcheinander… Alles wie immer, keine fremden Blutspritzer, keine vom Ruß schwarzen Hände. Zu schade, dachte sich der Student unter einem verzagenden Grinsen. In diesem Praktikum würde wohl rein gar nichts Spannendes passieren. Sein Onkel hatte sich vollkommen grundlos gesorgt.
 

„Wer ist der Kasper?“, murrte die junge Frau, verzog missbilligend den Mund und sah fragend zu Law, der sie jedoch ebenfalls ignorierte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde traf sein Blick auf Kids unnatürlich leuchtend grüne Augen und doch reichte die Zeit, um dessen kindlich verspielten Ausdruck wahrzunehmen, der den jungen Mediziner umgehend in seinen Bann zog und brennende Neugierde entfachte. „Es freut mich, dass es dir gut geht, Kid“, erklärte Laws Onkel und in seiner Stimme schwang aufrichtige Erleichterung mit; wenn man genau hinhörte, war sogar ein befreites Ausatmen wahrzunehmen. Das Sorgenkind zuckte dennoch unbeeindruckt mit den Schultern. „Ich hab da über etwas nachgedacht“, begann er, wurde aber durch eine Handbewegung seines Psychiaters aufgefordert, still zu sein. „Die junge Dame ist zuerst an der Reihe, aber du kannst gerne draußen warten. In einer halben Stunde würde ich gerne hören, worüber du nachgedacht hast.“
 

Law riss ungläubig die Augenbrauen in die Höhe, als sein Onkel den einzigen interessanten Patienten, den seine Kartei zu bieten hatte, vor die Tür schickte. „Warum lässt du sie nicht warten?“, fragte er mit einem abschätzigen Tonfall und deutete auf die vorlaute Frau, die mit ihren Haaren spielte und sich offensichtlich vernachlässigt fühlte: „Hast du Scheiße im Hirn?“, polterte sie und sah wütend zu Law. „Ich habe nen verdammten Termin.“ Ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie es ernst meinte, doch ihre vulgäre Art ließ zumindest Kid amüsiert kichern.
 

Mit einem verschmitzten Grinsen trat dieser näher an Law heran, legte einen Arm um dessen Schultern und drückte ihn eng an sich: „Kein Sorge, Hübscher. Du darfst dich gleich ausgiebig um mich kümmern.“ In einer schnellen Bewegung schob sich Kid einen Zeigefinger in den Mund, zog ihn mit geschlossenen Lippen wieder heraus und steckte ihn frech in Laws Ohr. Dieser hatte mit nichts dergleichen gerechnet, zuckte nun angewidert zusammen, als er die von fremder Spucke feuchte Kälte an seiner Ohrmuschel spürte, während seinem Gesicht die Farbe entwich. Es dauerte ewige Sekunden, bis er sich wieder gefangen hatte, doch ließen diese Kid genug Zeit, um schnell zur Tür zu hopsen. „Ich warte draußen“, rief er noch, dann klickte das Schloss und sie waren wieder zu dritt. „Freaks…“, erklärte das Mädchen und rollte die Augen, während der Psychiater leise lachte. Law rieb sich hingegen schweigend sein Ohr.
 

Als das Mädchen kurze Zeit später das Sprechzimmer verließ, hatte sich Kid indes - wie befürchtet – in Nichts aufgelöst. Auch wenn sein Neffe die Begründung nicht verstehen wollte, so erklärte Laws Onkel voller Überzeugung, dass das, was Kid in seinem Leben am meisten brauchte, feste Regeln seien und er deshalb die Entscheidung getroffen hatte, den Jungen – trotz der zeitnahen Vorgeschichte – aus dem Zimmer zu werfen. Doch weil der Medizinstudent nicht auf den einen, ihn faszinierenden Patienten verzichten wollte, nahm er sich daraufhin die Zeit, alle umliegenden Wartezimmer abzuklappern. Als seine Suche erfolglos blieb, weitete er das Gebiet auf sämtliche halbwegs interessanten Räume aus, Belegschaftsräume und Abstellkammern inklusive. Außer der Tatsache, dass sich in dieser Klinik wenige Leute darum scherten, wer durch die Gänge schlich, konnte er jedoch nichts finden, außer grenzenlosem Frust – Warum hatte sein Onkel ihn auch wegschicken müssen?
 

Der Tag schleppte sich nur so dahin, war umrissen von der Hoffnung, der Rotschopf würde noch einmal zurückkehren, doch vergebens. Laws Laune sank mit jeder Stunde weiter in den Keller, bis um kurz vor vier endlich der letzte langweilige Patient das Sprechzimmer verlassen und ihre Arbeit damit als überstanden erklärt hatte. Law konnte gar nicht schnell genug seine schwarze Jacke anziehen, den Hut aufsetzten und den weißen Schal mit den vereinzelten, schwarzen Flecken um seinen Hals wickeln, um endlich diese zermürbende Klinik zu verlassen. „Bis Morgen“, rief ihm sein Onkel zu, doch hatte er die Tür zu hastig geschlossen, als dass sich eine Gegenantwort seinerseits noch gelohnt hätte.
 

Müde schleppte er sich durch die gläserne Drehtür am Ausgang, während ihn die Sonnenstrahlen des fortschreitenden Herbstes blendeten. Es war wärmer geworden, durfte er feststellen und ärgerte sich im selben Moment über die viel zu warme Jacke. Verstimmt zog er an der Tasche, die er sich über seine Schulter geworfen hatte, stapfte über die grauen Pflastersteine und wurde von einem lauten Ruf jäh aus seinen Gedanken gerissen. „Der Hut ist scheiße“, hörte er hinter sich und wollte gerade zu einer passenden Reaktion ansetzten, als er den Sprecher erkannte und sich verwundert umdrehte. Mit einem frechen Grinsen auf den Backen winkte Kid ihm zu, saß auf einer Mauer und ließ verspielt die Beine baumeln.
 

Law sah irritiert zu dem Rotschopf auf, der nun in die Bauchtasche seiner grünen Sweater-Jacke griff, um eine bunte Plastiktüte hervorzuholen und sich eine Zigarette zu drehen. Neben ihm standen drei braune Glasflaschen – Bier, wenn Law es richtig erkennen konnte. Der Student kniff grübelnd seine Augenbrauen zusammen. Hatte der Irre etwa die ganze Zeit hier gewartet? Hatte er das mit ‚draußen‘ gemeint? Das durfte einfach nicht sein Ernst sein…
 

„Du bist scheiße“, erwiderte der Arzt in einem leisen Schmunzeln, woraufhin er seine Lippen zu einem breiten Grinsen verzog und sich dem Jungen auf der Mauer näherte. Dieser ließ seinen Kopf abwägend nach links und rechte baumeln, dann zuckte er mit den Schultern, um deutlich zu machen, dass er Laws Konter nichts entgegensetzen wollte. Konzentriert drehte er Tabak in weißes Papier, rollte es mehrere Male hin und her, bevor er mit einer Seite über seine Zungenspitze strich und sein kleines Werk vollendete. Der Student hatte in dieser Zeit die Distanz zwischen ihnen überwunden und konnte durch einen nachdenklichen Blick nicht leugnen, dass ihn der Anblick auf eine ungewohnte Weise in seinen Bann zog.
 

„Hat ziemlich lange gedauert“, erklärte der Rotschopf, griff abermals in seine Bauchtasche und holte dieses Mal ein Feuerzeug hervor, legte die Zigarette in einen Mundwinkel und zündete sie unter vorgehaltener Hand an. „Ich habe noch nie jemanden getroffen, der blöd genug war, zu denken, mit ‚draußen‘ wäre ‚außerhalb des Gebäudes‘ gemeint“, entgegnete der Student provokant, schob seine Hände tiefer in die Taschen seiner Jacke und beobachtete die kleinen Rauchwolken, die sich aus Kids Mund und Nase stahlen, während dieser eigenartig kicherte. „Und ich dachte, draußen wär nen Ort, an dem der nervige Psycho-Doc nicht is… Ich Spast!“, witzelte er, nahm den glühenden Stängel aus seinem Mund, um eine der Flaschen neben sich in einem letzten Schluck zu leeren.
 

Jetzt hob Law verwundert eine Augenbraue. Sollte das etwa heißen, der Kerl hatte nur auf eine Gelegenheit gewartet, mit ihm zu reden, ohne dass sein Onkel die Unterhaltung überwachte? Für eine Sekunde dachte er zurück an das Gefühl der Fingerspitzen, die schmerzhaft gegen seine Stirn drückten, während sie einen Pistolenlauf imitierten. Ein kalter Schauer lief seinen Rücken hinunter, doch wollte er sich seine unterschwellige Unsicherheit auf keinen Fall anmerken lassen. „Ich habe keine Zeit, um mich nach der Arbeit um kleine Soziopathen zu kümmern“, beklagte sich Law daher mit einem fiesen Grinsen, denn er war sich sicher, dass er dem vulgären Rotschopf nicht mit kleinen Nettigkeiten kommen konnte. Und wie er es erwartet hatte, entlockte die Beleidigung seinem Gegenüber ein erheitertes Glucksen.
 

Ja ja… Wichtige Menschen haben immer viel zu tun“, nuschelte Kid vertieft in Gedanken vor sich hin, während er konzentriert die Zigarette zwischen seinen Fingern betrachtete, bevor er sich einen weiteren Zug gönnte. Nun musste Law lächeln und genoss dabei den Anblick des seltsamen Typen in all seiner Absurdität. „Ich verpiss mich jetzt… Willste mitkommen?“, fragte Kid danach, während seine Stimme noch belegt war vom Rauch. Law war überrascht, dachte einen Augenblick über die Frage nach. Es war verlockend, denn tatsächlich wollte er wissen, wie der Kerl wohl lebte. Nachdem sein Onkel damit einverstanden gewesen war, dass er sich um das Projekt „Kid“ während seines Praktikums kümmerte, war es doch nur angebracht, dass er versuchte, ein wenig über dessen Lebensumstände herauszufinden, oder nicht? Andererseits konnte er sich immer noch nicht sicher sein, ob seine gedankenlose Frage tatsächlich ohne Konsequenzen bleiben würde – von der Beule im Whiteboard ganz abgesehen. Natürlich hätte er Kids Angebot hinterfragen sollen, natürlich hätte er ablehnen sollen. Doch die Moralpredigt seines Onkels war schon lange vergessen. Es wäre eine Art medizinische Exkursion, auch wenn Law lediglich mutmaßen konnte, aus welchen Gründen der kleine Psycho ihn dabei haben wollte. Ein letztes Mal dachte er an die abschließende Geste ihrer letzten Begegnung und erschauderte. Doch Neugierde verbreitete sich in seinem Körper wie ein aggressiver Virus – Risiko?
 

„Ich hol‘ meinen Wagen“, erklärte Law schließlich, ohne weiter über mögliche Konsequenzen nachzudenken, was seither eigentlich untypisch für ihn war. Hatten drei Wochen in der Psychiatrie bereits auf seine Persönlichkeit abgefärbt? Er hoffte nicht, wandte sich aber bereits zum Gehen und griff nach den Autoschlüsseln in seiner Tasche, als Kid von der Mauer sprang und ihn aufhielt. „Ich fahr‘ nicht Auto“, erklärte er prompt und ging an der Abgrenzung entlang. Law musterte ihn skeptisch. „Als würde ich einen Irren meinen Wagen fahren…“, er unterbrach seinen Satz, als er verwundert verfolgte, wie der Rotschopf nach einem Fahrrad griff. Der Student verzog abweisend den Mund: „Nie im Leben.“
 


 

~*~
 

Laubgeflüster


 

Fünfter Teil
 

Zehn Minuten später saß der angehende Arzt auf einen dreckigen Gepäckträger, hielt sich an diesem fest und winkelte die Beine an, um nicht mit den Fußspitzen über den Boden zu schleifen. „Gehört dir das Fahrrad eigentlich?“, fragte er skeptisch, während sein Körper unter extremer Anspannung stand, bereit, jeden Augenblick panisch das wackelnde Gefährt zu verlassen. „Klar“, bestätigte ihm eine Stimme, von dessen Besitzer Law lediglich den Hinterkopf erkennen konnte – er glaubte ihm jedoch kein Wort. Und so saß er nun da, auf dem Ende eines gestohlenen Rads und vertraute sein Leben einem Kerl an, von dem er nicht mehr wusste, als dass er vor fünf Jahren seinem besten Kumpel das Gesicht in Brand gesteckt hatte. Vielleicht sollte er sich nach diesem kleinen Höllentrip gleich selbst einweisen.
 

„Warum keine Autos?“, fragte Law neugierig, kurz bevor er erschrocken zusammenzuckte, als ein LKW extrem nah an ihnen vorbeifuhr und vom wacklig steuernden Kid beinahe erwischt wurde – wie viel Bier hatte er getrunken, während er da unten gewartet hatte? Der angehende Mediziner sollte jedoch nie eine Antwort erhalten. Stattdessen wechselte sein Fahrer das Thema. „An welchen Song denkst du gerade?“, rief er, als wäre es die normalste Frage der Welt. „Bitte was?“, erkundigte sich Law und hielt seine Mütze fest, als ein Windstoß drohte, sie von seinem Kopf zu wehen. „Welcher Song?!“, rief Kid, laut genug, um die Aufmerksamkeit einiger Passanten auf sich zu ziehen. „Wieso sollte ich an einen Song denken?“, entgegnete sein Beifahrer verwirrt und krallte seine Finger immer fester um das instabile Metall des wackligen Gepäckträgers, mit einem Mal von dem plötzlichen Bewusstsein erfüllt, dass er während dieser Fahrt sterben würde.
 

Kid lachte laut, bog in eine Seitenstraße ein und beschleunigte zu Laws Unbehagen das Tempo. „Wie kann man nicht an einen Song denken?“, fragte er und klang geradezu abschätzig in Angesicht mit Laws Unwissenheit. Der Gefragte stutzte, sah sich kurz um und versuchte auszumachen, wohin sie fuhren, während ihm der Fahrtwind angenehm kühl durchs Gesicht wehte. „An welchen Song denkst du denn?“, erwiderte er und hob fragend eine Augenbraue, auch wenn der Rotschopf sein Mienenspiel nicht sehen konnte. Kaum war es ausgesprochen, da stand der Junge aus dem Sattel auf, klammerte sich mit beiden Händen an den Lenker und trat mit aller Kraft in die Pedale, wodurch das Fahrrad verräterisch zu wackeln begann.
 

Für einen Moment hörte Law vor sich ein zufriedenes Lachen, danach wurden die Schlenker, die das Rad machte, regelmäßig, als würden sie einer lautlosen Melodie folgen. Mit einer todesmutigen Geschwindigkeit bretterten sie um die nächste Kurve. Law zog erschrocken nach Luft, machte sich bereit, dem Sensenmann die Hand zu schütteln, dann stabilisierte sich der Todesmarsch auf zwei Rädern erneut und die Fahrt ging weiter. Wieder fuhren sie in schlangenartige Bewegungen, doch dieses Mal gab ein leises Pfeifen aus Kids Richtung den Rhythmus vor.
 

Law hatte keine Ahnung, um welchen Song es sich handelte, ob es diesen überhaupt gab oder ob es lediglich eine spontane insane Idee des Patienten seines Onkels war, doch irgendwie amüsierte ihn die Gesamtsituation. Die Menschen, die sie verwundert angafften, der Herbstwind, der unnachgiebig durch Kids feuerroten, wilden Haare wehte und die bunten Blätter, die von den Bäumen tänzelnd herabfielen – er fühlte sich an - ja, was war dieses Gefühl? Lebendig? Es war ihm egal, was die Leute dachten. Das erste Mal seit Jahren schaltete er sein Gehirn ab und ließ sich vom Strudel der Verrücktheiten mitreißen. In diesem Moment bog Kid um eine weitere Ecke und Law erkannte endlich, wohin ihre Reise ging.
 

Der Rotschopf machte sich augenscheinlich nichts aus den Blicken der Passanten und Law begann diesen Wesenszug an ihm zu mögen. Warum machte sich überhaupt irgendwer Gedanken darüber, was Leute, die man nicht einmal kannte und mit großer Wahrscheinlichkeit niemals kennen würde, dachten? Reine Verschwendung kostbarer Zeit. In diesem Moment passierten sie ein großes Tor aus eisernen, dunklen Stangen und erreichten damit den Stadtpark, welcher sich wie ein Fremdkörper pflanzlichen Lebens durch die graue Monotonie der Stadt zog. Gerade zu dieser Jahreszeit leuchtete er in allen denkbaren Farben.
 

Mit den letzten Tönen seiner kleinen Pfeifeinlage verließ Kid ohne jede Vorwarnung den begradigten Weg und fuhr über eine der Grünflächen, deren holpriger Untergrund Law auf seinem ohnehin unbequemen Gepäckträger schmerzhaft auf und ab hüpfen ließ. Er wollte gerade über den unvorteilhaften Kurswechsel protestieren, als der Rotschopf vor ihm einen letzten schrillen Ton hören ließ, den Lenker losließ und sein Gewicht auf die rechte Pedale verlagerte, wodurch das Fahrrad ruckartig zur Seite kippte und die beiden jungen Männer in einen aufgetürmten Laubhaufen fallen ließ. Law keuchte erschrocken auf, als sein Bein unter dem Hinterrad eingequetscht wurde, während sich Kid einem lauten, kindlichen Lachen hingab.
 

„Bist du völlig bescheuert?“, schrie der junge Mediziner wütend aus und versuchte sich vom Gewicht des Fahrrads zu befreien. Kid lachte immer noch, zog seine Beine elegant nach oben und setzte sich mit einem breiten Grinsen auf, wobei er laut nach Luft zog. „Es heißt ‚nicht zurechnungsfähig‘, wenn ich mich richtig erinnere“, antwortete er überzeugt, schloss seine Hand um einige der bunten, feuchten Blätter und streute sie über Law, der sich endlich befreien konnte und die leichte Berieselung unter angesäuertem Blick mit harten Schlägen gegen das fallende Laub abwehrte.
 

Angewidert fand der Student nun Zeit, den Ort zu begutachten, auf dem er unfreiwillig gelandet war. Vor zwei Tagen hatte es geregnet und es schien ganz so, als wäre der Haufen zu dieser Zeit bereits aufgetürmt gewesen, denn er war immer noch feucht. Ameisen, Asseln, kleine Spinnen… Abertausende Tiere konnte er auf einen Blick um sich herum krabbeln sehen und spürte bereits ein erstes Kribbeln auf der Haut – auch wenn es noch Einbildung sein mochte. Von der ganzen Situation abgestoßen, verzog er den Mund und sah missbilligend zu seinem Begleiter, der sich in aller Seelenruhe auf dem Blättermeer ausstreckte, als wäre es das Himmelbett eines Fünf-Sterne Hotels.
 

Für einen Augenblick lenkte ihn der Anblick sogar von einem Ekel ab. Nahezu fasziniert schaute er auf die bleiche Haut, die sich von den bunten Farben des Herbsts hervorhob, während die grüne Kapuzenjacke und die feuerroten Haare wirkten, als wären sie selbst von einem der Bäume gefallen. Anstelle der Sonnenbrille trug Kid an diesem Tag ein hellbraunes Tuch um die Stirn, das durch die liegende Position weit genug hochgerutscht war, um den Mediziner eine Idee davon zu geben, wie weit sich die blasse Narbe über seinen Kopf zog. „Wo ist die her?“, fragte er in Gedanken versunken und hätte beinahe eine Hand ausgestreckt, um die alte Verletzung zu berühren, wären in diesem Atemzug nicht die Augen seines Gegenübers geöffnet worden.
 

Kids Mimik verriet, dass er die Frage nicht einordnen konnte, doch wartete er mit tüftelndem Gesichtsausdruck ab, bis Laws starrer Blick das Rätsel löste. „Hmm“, ließ er daraufhin mit wenig begeistertem Unterton vernehmen und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. „Das ist langweilig“, beklagte er sich. „Was ist langweilig?“, fragte Law perplex nach und war wieder einmal beeindruckt von der Tatsache, dass er die Denkstrukturen des Rotschopfes einfach nicht nachvollziehen konnte, weil sie sich offenkundig drehten und wendeten wie ein Blatt im Wind. „Das Spiel“, erklärte Kid weiter, freute sich über Laws Verwirrung und seufzte herzlich. „Du stellst ein Frage, ich stell eine Frage, du stellst eine Frage, ich stell eine…“, säuselte vor sich hin, bis der Student ihn unterbrach: „Du brauchst keine Fragen zu stellen“, entgegnete er entschieden. Als Antwort auf diesen unfairen Vorschlag, wurde Law abermals mit Laub beworfen. Kein weiterer Kommentar nötig.
 

„Wir spielen das andere, ok?“, sprach Kid nach einer kleinen Pause des Schweigens weiter, doch wurde sein Sitznachbar einfach nicht schlau aus ihm. Als Kid das erkannte, seufzte er noch lauter und genoss es immer mehr, die Führungsrolle in diesem Gespräch zu haben, was Law augenscheinlich störte. „Du stellst keine Fragen, sondern sagst etwas, von dem du glaubst, dass es richtig ist und ich sage dir, ob es stimmt oder nicht. Is‘ nen lustiges Spiel“, beendete der Rotschopf die Erklärung und drehte sich voller Vorfreude im Blick zu Law. Dieser konnte langsam spüren, wie sich die Nässe des Laubhaufens in den Stoff seiner Jeans zog und erschauderte angewidert. Das Spiel würde er allerdings mitspielen. „Na schön“, erklärte er dementsprechend und schloss aus Kids Schweigen, dass er beginnen sollte.
 

Nachdenklich legte er seinen Kopf auf das Laub und zog die Krempe seines Hutes tiefer ins Gesicht, um nicht von der inzwischen tiefstehenden Sonne geblendet zu werden. Die Narbe war es, die ihn zuletzt interessiert hatte. Kurz fasste er sich an seinen Kinnbart: „Du hattest einen Autounfall. Daher stammt die Narbe und deshalb fährst du auch kein Auto mehr.“ Mit einem stolzen Grinsen über seine Spurensuche schloss er die Aussage und wartete gespannt auf die Antwort.
 

„Stimmt!“, stieß Kid wie aus der Pistole geschossen hervor und ließ Law dadurch zusammenschrecken, nur um ein enttäuschendes: „…nicht!“, hinzuzufügen, für welches er extra in tiefere Stimmlagen wechselte. Law zog die Mundwinkel nach unten, während sein Laubhaufennachbar begann, mit dem Reißverschluss seiner Jacke zu spielen. Kid war an der Reihe, doch Law glaube kaum, dass er irgendetwas über ihn wissen konnte. „Du findest dein Leben langweilig, weißt aber auch nicht, wie du den Zustand ändern kannst“, hörte er schließlich eine vertraute Stimme neben sich und hielt unmittelbar die Luft an. Verunsichert drehte er seinen Kopf, nur um festzustellen, dass Kid gedankenverloren die Wolken beobachtete. „Stimmt“, murrte er leise und verfolgte, wie sich ein zufriedenes Lächeln auf blasse Lippen legte.
 

Tatsächlich fragte sich Law schon lange, was er mit seinem Leben anfangen sollte, denn nichts was er tat, vermochte ihn vollends in seinen Bann zu ziehen – ausgenommen das Puzzle der Medizin. Symptome erkennen, bestätigen, sammeln, analysieren, synthetisieren und das Rätsel lösen – war er einmal dem Spiel beigetreten, gab es kein Zurück mehr. Eben diese Sucht hatte ihn wohl auch in diesen Park getrieben, auf diesen kalten, von Käfern verseuchten Haufen verfaulender Blätter. Doch das Rätsel war verlockender als alle anderen zuvor – Kids Puzzle schien nicht nur viele Teile zu haben, die meisten davon waren bereits verloren gegangen, lange bevor Law den Deckel der Spielschachtel geöffnet hatte. Außerdem war es eine Beschäftigung, die er sogar aus dem Klinikum mitnehmen durfte, um einen ansonsten eintönigen Nachmittag mit belebender Tüftelei zu verbringen – seine Runde!
 

Law schloss nachdenklich die Augen und rieb seine Nasenwurzel – er hatte so viele Fragen, doch wie verpackte er sie in Aussagen? Was hatte den Jungen wohl zu dem gemacht, der er war? Der Medizinstudent war so verzweifelt, dass er in die altvertraute Ideenkiste der Klischees griff: „Deine Eltern haben dich misshandelt“, sagte er und drehte seinen Kopf, um jeden Aspekt der folgenden Reaktion aufzusaugen. Wie lächerlich und albern die Frage war, bestätigte Kids gelangweiltes Seufzen. „Stimmt sowas von nicht“, stöhnte er und mischte unter seine Worte ein herzhaftes Gähnen. Die Abendsonne schien durchs lichte Blätterwerk auf sein Gesicht und so hatte Kid die Lider fest geschlossen, um den letzten Lebenshauch der schwindenden Spätsommersonne zu genießen. Law begutachtete einen Moment den Anblick, dann drehte er sich wieder auf den Rücken.
 

Der Student hielt die Luft an und wartete auf Kids nächste Aussage, während er eine Ameise beobachtete, die langsam seine Jacke hinaufkletterte. „Der Sex, den du in letzter Zeit hattest, ist zwar gut, aber du weißt, dass irgendetwas fehlt und du fragst dich, was es ist.“ Der Satz war so beiläufig gesagt und doch ließ er Laws Gesichtszüge entgleisen. Unsicher über eine Reaktion, richtete er sich schlagartig auf, was das Insekt auf seinem Ärmel allerdings nicht sonderlich störte. „Was soll das denn heißen?“, spie er beleidigt hervor und begann sich abzuklopfen, aus Angst, er könne noch mehr Tiere angelockt haben. Augenblicklich musste er an ihr Gespräch vor einigen Tagen denken und an Kids gefeixtes 'Schade…', als Law betont hatte, dass er hetero sei. „Und als nächstes erzählt du mir, du würdest fehlen?“, rief er aus und schaute empört auf den Rotschopf neben sich.
 

Kid grinste, machte sich allerdings nicht die Mühe, seinen Sitznachbarn anzuschauen. „So funktioniert das Spiel nicht“, erklärte er mit entschwindender Leichtigkeit in der Stimme. Law schob entrüstet seine Unterlippe nach vorn. Dieses Mal nahm er eine Hand voll Laub, ließ dieses jedoch nicht hinabrieseln, wie es sein Vorgänger getan hatte, sondern drückte es frech in Kids Gesicht. Zu seiner Enttäuschung blieb sein Opfer vollkommen ruhig. Als der Mediziner dann doch Bewegungen spürte, ließ er neugierig von Kid ab und schaute kurz zu, wie die Blätter aus dem roten Haar geschüttelt wurden, wobei eines übrig blieb, da seine gelblich verfärbte Spitze zwischen Lippen eingeklemmt war. „Und?“, fragte Kid mit dreckigem Gesicht und einer Stimmlage, als sei nichts gewesen, währenddessen er erwartungsvoll auf dem Laub knabberte. Law war mehr als irritiert, wusste nicht, wie er all diese Eindrücke zu verstehen hatte und tat daher das Einzige, was sein verwirrter Verstand fertig brachte – antworten. „Stimmt“, brachte er unter einem rauen Husten hervor.
 

Der junge Mediziner hatte sich schon auf ein schadenfrohes Grinsen eingestellt und war nur noch verblüffter, als seine Antwort dazu führte, dass jeglicher Ausdruck aus Kids Gesicht verschwand und dieser lediglich bestätigend nickte. Dann hob er die Augenbrauen und ließ seine hypnotisierenden grünen Augen zu seinem Nachbarn wandern, doch schien dieser seine Sprache zwischen dem losen Blätterwerk unter ihnen verloren zu haben. Law ruckelte frustriert an der Krempe seiner Mütze, war genervt von der Tatsache, dass er gerade von einem Patienten seines Onkels über den Tisch gezogen wurde. Er schnaubte, zog einen langen Mund und beobachtete in der Ferne einen Jungen, der verzweifelt versuchte, an diesem windstillen Herbsttag vergebens einen Drachen steigen zu lassen. Die Sonne war beinahe hinter dem Horizont verschwunden und mit ihr schien auch Laws Selbstachtung von Dannen zu ziehen, als ihm die Lösung wie ein Blitz durch den Körper fuhr. Schlagartig richtete er seinen Rücken auf, drehte seinen Kopf wieder zu Kid und grinste vergnügt über seinen Einfall: „Du bist heute in die Praxis gekommen, weil du mich wiedersehen wolltest.“
 

Kid verlor das Blatt aus dem Mund, riss verwundert die Augen auf und erfreute Law dadurch umso mehr. Dann erwiderte der Rotschopf das Grinsen und richtete nachdenklich das Tuch um seine Stirn. „Du wirst besser“, kommentierte er die Aussage und brauchte nicht lange auf Laws altkluge Reaktion zu warten: „So funktioniert das Spiel nicht“, äffte er Kid nach, wobei seine Mimik andeutete, dass er die Antwort zu kennen schien. Sein Gegenspieler würde ihn den Sieg jedoch nicht so einfach machen, wie er es sich erhofft hatte. Gerade als Law dachte, er hätte zum ersten Mal die Führung in ihrem kleinen verbalen Schlagabtausch errungen, konterte Kid und setzte zum K.O. an. In einer raschen Bewegung, die keine Verteidigung erlaubte, hatte sich der Rotschopf auf die Seite geschwungen, hob einen Arm und ein Bein, stützte sich halb über Law, nur um daraufhin sein Knie zwischen den Oberschenkeln und eine Hand neben den Kopf des jungen Mediziners zu platzieren. Der Untergrund war weich, ihre beiden Körper wurden mit dem Laub unaufhaltsam nach unten gedrückt, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. Law war so überrascht, dass er die Luft angehalten hatte. Nun traute er sich nicht, auch nur einen Hauch wieder freizugeben, solange dieser Irre über ihm hockte.
 

Sprach- und ebenso atemlos lag der angehende Arzt da, war fasziniert von den leuchtenden Augen, betrachtete das helle Grün in der Mitte, welches zum Rand der Iris immer dunkler wurde. Gleichzeitig nahm der das Grinsen wahr, welches sich breit über beide Wangen zog, und die roten Haarsträhnen, die dem Ruf der Schwerkraft folgten und nun auf Laws Stirn kitzelten. Es roch nach Alkohol, der sich unter die Atemluft gemischt hatte, die in regelmäßigen Abständen seine Haut streifte. Der fremde Körper war warm, lag beinahe auf ihm, während Law auffiel, wie Kids Knie frech und immer fester gegen seinen Schritt drückte, bevor er sich noch weiter runterbeugte und sein Opfer damit vollends paralysierte.
 

Mit einer nicht eindeutigen Intention, die Law erschaudern ließ, leckte sich der Rotschopf angriffslustig über die Lippen, genoss offensichtlich das kleine Universum der Anspannung, welches er gerade zwischen sich und dem jungen Mann unter ihm erschaffen hatte. „Stimmt nicht“, säuselte er mit hämisch belegter Stimme und wartete auf eine Reaktion, die Dank eines erlittenen Schocks allerdings ausblieb. Doch davon ließ sich Kid nicht verunsichern. Stattdessen wurde das Leuchten in seinen Augen nur noch fesselnder, als er in einem Flüstern weitersprach: „Du hast gelogen.“ Er hob seine stützende Hand vom Laub, verlor kurz das Gleichgewicht, doch fing sich schnell genug, um Law keine Gelegenheit zur Flucht zu bieten.
 

Allerdings war die Unterbrechung wohl ausreichend, um den sonst so schlagfertigen Mediziner seine Stimme wiederfinden zu lassen. Krampfhaft ließ er die verbrauchte Luft aus seinen schmerzenden Lungenflügeln entweichen, wollte sich gerade aufrichten, als Kids Gesicht über ihm sein Vorhaben verhinderte. Er saß in der Falle wie eine Maus vor einer Schlange und doch konnte er nicht leugnen, dass er die Gänsehaut auf seinem Körper zu genießen begann. Zum zweiten Mal in seinem Leben, hatte er keinen Plan davon, was in den nächsten Augenblicken passieren würde – und beide Male war Kid der Auslöser dieses Zustands. „Gelogen?“, fragte er, ebenso leise wie sein Gegenüber. Dieser wartete kurz ab, dann biss er sich auf die Unterlippe, bevor er abermals grinste. Es war kein Geheimnis, dass Kid die offensichtliche Verunsicherung des Studenten Spaß bereitete und zu mehr anstiften konnte. Die nun frei gewordene Hand schob er langsam unter die seltsame Mütze seines Begleiters, spürte an seinen Fingerspitzen Hitze und gleichzeitig Feuchtigkeit von angesammelten Schweißtropfen, zögerte jedoch nicht, seine Hand weiter wandern zu lassen, bis die Mütze schließlich von Laws Kopf fiel und Kid somit kein Hindernis mehr hatte, das ihn davon abhalten konnte, seine Stirn auf der des jungen Mannes unter ihm abzulegen. Kaum berührten sie sich, verfolgte er, wie sich das Augenpaar unter ihm erschrocken weitete – pure Bestätigung!
 

Law vernahm ein erheitertes Kichern, das Kids Lippen entwich, die nun nicht mehr weit von seinen eigenen entfernt sein konnten, denn er spürte bereits, wie dessen heißer Atem ihn deutlich streifte. Sein Herz schlug bereits am Limit und legte durch die andauernde Anstrengung einen roten Schimmer auf seine Wangen, für den er sich hätte verfluchen können. Er wollte diese Nähe nicht, es war erschreckend, mehr als gefährlich, leichtsinnig von vorne bis hinten. Er wollte sich endlich wehren, dem Kerl für diese Unverschämtheit ins Gesicht schlagen und doch! – und doch berauschten ihn die blitzartigen Stöße der Spannung und Ungewissheit, die sich durch seinen Körper zogen, mit jedem Millimeter, den Kid ihm näher kam. Für eine Sekunde fragte er sich sogar, ob er Irre plante, ihn zu küssen und auch, wie er darauf reagieren würde…
 

Kid kicherte abermals, drückte sein Knie noch fester zwischen Laws Beine, sodass dieser unmittelbar jeden Muskel seines Körpers anspannte. „Du hast gelogen“, wiederholte er und genoss seine Macht in vollen Zügen. Er hätte nicht gedacht, dass es so einfach werden würde, den sonst so nüchtern wirkenden Doktorenanwärter aus dem Konzept zu bringen. Umso besser. „Du stehst auf Jungs“, vollendete er endlich seinen Gedanken und wartete nun selbst unter leichter Anspannung auf eine Antwort. Law drückte seinen Kopf weiter in das Laub, versuchte so einen besseren Blick auf den Kerl über ihm zu erhaschen. Sein Mund wurde trocken, kaum war der Satz formuliert, sein Herz sprang in erschreckenden Abständen, seine Handflächen waren feucht und sein Unterkiefer zitterte. Der Mann über ihm schloss seine Lippen, sah erwartungsvoll auf ihn runter, lächelte. Als jedoch keine Reaktion folgte, ergriff Kid die Initiative und begann sich aufreizend langsam zu Law hinab zu beugen...
 


 

~*~
 

Killer (1/2)


 

Sechster Teil
 

Während er heißen, kitzelnden Atem auf seinen Lippen spürte, der sein Inneres verräterisch zum Prickeln brachte, konnte Law seine Konzentration nicht von dem aufdringlichen Knie nehmen, das sich immer mehr zwischen seine Beine drückte und dabei in leichten Bewegungen – lass es Absicht gewesen sein oder auch ihr instabiler naturaler Untergrund – auf und abglitt. Diese ungewohnte, ungewollte Nähe ließ die Luft in kurzen Stößen aus seinem Mund entweichen, mischte sich dabei mit der seines Gegenspielers. Es mussten nur Sekunden gewesen sein und dennoch meinte er, Ewigkeiten jedes einzelne Detail dieser intimen Begegnung wahrzunehmen. Er bildete sich sogar ein, eine markante Ausbuchtung in Kids Hose zu spüren, die er ebenfalls auf ihn drückte und die Frage aufwarf, ob Laws Anwesenheit den Rotschopf tatsächlich so sehr erregte. Ein nüchterner Gedanke, der von einem irrationalen, sich plötzlich aufdrängenden Wunsch überschattet war, der Law innerlich zusammenschrecken ließ.
 

Er nahm es wahr, ganz leise und sachte, wie die letzten Sonnenstrahlen – das tiefe Begehren, von Kid interessant gefunden zu werden, vielleicht auch mehr. Das konnte er sich allerdings noch nicht eingestehen. Ein Kuss, hier auf dem kalten, feuchten Laub, mit einem fremden Kerl, der nach Alkohol und Rauch roch und dennoch sein Herz schlagen ließ, wie es schon seit Jahren nicht mehr passiert war. Ihre Lippen waren kurz davor sich zu berühren, kurz davor, eine weitere Grenze dieser abstrusen Konstellation aus Patient und Mediziner zu überschreiten – da krachte es.
 

Ein Knistern, Knacken und genügend Wucht, um Kids Kopf nach vorne fliegen zu lassen, sodass aus einem vermeintlichen Kuss eine Kopfnuss wurde. Stirn knallte dumpf gegen Stirn, entlockte beiden Männern einen kurzen, überraschten und gleichzeitig schmerzerfüllten Aufschrei. Law kniff die Augenlider zusammen, legte reflexartig seine Hand aufs Gesicht und drückte die Kiefer fest aufeinander. Das Gewicht auf ihm verschwand. Es dröhnte in seinen Gedanken, brachte alles durcheinander und ließ sich Zeit mit der erneuten Ordnung. Als er seinen Blick wieder heben konnte, war Kid bereits aufgesprungen, offensichtlich weniger betroffen von der kleinen Attacke, wandte ihm den Rücken zu und hielt etwas in den Händen. Verwirrt blinzelte der junge Mediziner, versuchte auszumachen, was der Gegenstand war und erkannte es, durch die bunte Schnur, die sich von Kids Hüfte abwärts, bis zum Boden schlängelte.
 

Er seufzte. Es war der Drachen des Jungen, der die letzte halbe Stunde wie ein Irrer durch diesen Park gelaufen war, in der Hoffnung, sein Flugmodell in den Himmel zu befördern. „Tut mir Leid!“, rief eine hohe Stimme von weitem, während das besagte Kind auf sie zugelaufen kam und entschuldigend winkte. In seinem letzten Startversuch, musste der Drachen wohl an Höhe gewonnen haben, nur um dann unvorteilhaft auf sich seltsam räkelnde Männer auf einem Laubhaufen zu fallen – Law war sich nicht sicher, ob er den Jungen lynchen oder ihm einen Orden verleihen sollte. Sein Herz raste immer noch am Limit, seine Haut, die Stellen, die Kid berührt hatte, sie kribbelten fortwährend. „Alter, was soll der Scheiß?“, beschwerte sich in diesem Augenblick der exzentrische Rotschopf, als er dem Kind sein Spielzeug zurückgab, „So wird das eh nichts.“
 

Überraschend und gleichzeitig fasziniert beobachtete Law die nächsten zehn Minuten, wie Kid dem fremden Kind half, den Drachen endlich in die Luft zu bekommen. Er schien dabei so konzentriert am Werk zu sein, dass es wirkte, als habe er Law und ihr kleines Intermezzo von eben vollkommen vergessen – vielleicht war es aber auch nur für Law eine Ausnahmesituation gewesen und eine solche Intimität fügte sich wie selbstverständlich in Kids Agenda, weshalb sie es auch nicht wert war, weiter bedacht zu werden, wenn es wichtigere Dinge zu tun gab – Drachen steigen lassen, beispielsweise. Der Mediziner lachte frustriert, als er seinen Hut aufsetzte. Er konnte sich immer noch keinen Reim aus all diesen wunderlichen Puzzleteilen machen, die Kid ihm unentwegt und unsortiert an den Kopf warf.
 

Tatsächlich schafften es die beiden schließlich und der Drachen flog. So kehrte der Junge mit den feuerroten Haaren mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen zurück. Er wischte sich dabei mit dem Ärmel übers Gesicht, wodurch auch die letzten Spuren von Laws Laubattacke verschwanden, griff in seine Hosentasche und holte ein Handy hervor. Davon abgesehen, dass Law niemanden außer Kid kannte, der ein solch veraltetes Modell benutzte, geschweige denn besaß, denn wenigstens ein Farbdisplay gehörte, seiner Meinung nach, inzwischen zur grundlegendsten Grundausstattung, wusste er nicht, wie er reagieren oder was er sagen sollte. Zumindest war das Geheimnis um den Gegenstand in Kids Hose gelüftet.
 

Nachdem er kurz einige Tasten gedrückt hatte, steckte Kid das Handy wieder weg und sah aus grünen Augen zu Law hinab. Die Sonne war inzwischen verschwunden, das Tageslicht wurde dunkler, der Horizont leuchtete zwar noch rötlich, doch nahm der Himmel ein pastellfarbenes Blau an. Es war Laws liebste Tageszeit, durfte er angenehm feststellen – der letzte Sonnenhauch, vor der dunklen, langen Nacht. „Wir müssen los“, nuschelte Kid mit einem Mal, streckte eine Hand aus und half Law beim Aufstehen, welcher die Hilfe annahm und dabei keine weiteren Nachfragen stellte. „Du magst Kinder?“, scherzte der junge Student stattdessen, während er ein letztes Mal seine inzwischen klammen Klamotten abklopfte. Kid fuhr sich nachdenklich durch die Haare, dann verzog er den Mund. „Stimmt… vielleicht. Eher Herausforderungen“, erklärte er, beließ seine Mimik ausdruckslos: „Einmal ganz davon abgesehen, dass du mir noch nicht geantwortet hast.“ Erwartungsvoll fixierte er Law. Dieser erschrak kurz, hatte nicht damit gerechnet, dass der Rotschopf das kleine Laubgeflüster von eben noch einmal erwähnen würde.
 

Einen Moment lang sprach keiner ein Wort, Law blickte erschrocken wie ein kleines Kind, fühlte sich innerlich als auch äußerlich ohnmächtig eine Antwort zu finden, traute sich nicht einmal mehr zu atmen, in der Angst, selbst die Luft könnte etwas verraten, dass er selbst nicht einmal wusste. Schließlich war es Kid, der ihn erlöste, lachte und sich abwandte, um zurück zum befestigten Weg zu tigern, die Hände vergraben in den Hosentaschen. „Lass es stecken“, murmelte er amüsiert, „Wir müssen uns beeilen. Ich will dir wen vorstellen“, erklärte er, drehte sich noch ein letztes Mal in der Bewegung um, nur um sicherzugehen, dass Law ihm folgte. Der Student musste allerdings die ersten Meter laufend zurücklegen, da ihm die Erleichterung zunächst hatte erstarren lassen.
 

„Was ist mit dem Fahrrad?“, fragte er schließlich, als er aufgeschlossen hatte – auch wenn er die Höllenfahrt ungern wiederholen würde. Kid warf ihm einen verwirrten Blick zu, schob die Augenbrauen gegeneinander und zog die Mundwinkel nach unten: „Fahrrad?“, fragte er nachdenklich. „Dein Fahrrad?“ Ein lauter Atemzug verriet, dass der Groschen gefallen war. Kurz darauf folgte ein ungläubiges Grinsen, gepaart mit einem abschätzigen Kopfschütteln. „Ja, mein Fahrrad… hole ich morgen ab“, meinte er voller Sarkasmus und beschleunigte das Schritttempo – Law hielt mit. Seine Laune hatte sich indes merklich verschlechtert, denn er konnte es einfach nicht verstehen. Wie konnte dieser so offensichtlich psychisch gestörte Mensch ihm, einen Medizinstudenten im letzten Semester, nur immer wieder das Gefühl geben, er sei der letzte Volltrottel auf Erden?
 

Die letzte Bemerkung war dem Studenten nun mehr als peinlich und ließ ihn zunächst verstummen, wobei er die Krempe seiner Mütze tiefer ins Gesicht zog, um seine von Verlegenheit gezeichneten Augen zu verstecken. Es war nicht einfach mit Kid Schritt zu halten, denn dieser stürmte geradezu aus dem Park heraus, bog links ab und folgte einer Seitenstraße. Law nutzte das Schweigen, um einen Plan zu entwickeln, wie er diesen Ausflug für sich nutzen konnte, denn schließlich war er mitgekommen, um etwas mehr über den kranken Rotschopf zu erfahren, nicht wahr? Bisher war seine Mission allerdings nicht gerade von Erfolg gekrönt. Als ihm nichts Gescheites einfiel, ergab er sich seiner Neugierde und nahm zumindest das Gespräch wieder auf.
 

„Wo gehen wir hin?“, fragte er und musste dabei seinen Kopf in den Nacken legen, um unter seinem Hut hervor zu lugen, damit er Kid anschauen konnte. Kaum war es ausgesprochen, da erreichten die beiden eine Straßenbahnhaltestelle, an welcher abrupt angehalten wurde, sodass Law beinahe in seine Begleitung hineingestolpert wäre. „Ich hab‘ dir doch gesagt, dass ich dir jemanden vorstellen will“, murrte Kid, offensichtlich beleidigt von dem Gedanken, dass Law ihm nicht richtig zugehört hatte. Gerade als er etwas erwidern wollte, erklärte eine mechanische Ansage, dass die Bahn gleich ankommen würde und so entschied der angehende Mediziner, eine ganz andere Frage zu stellen: „Brauchen wir keine Tickets?“ Während Law bereits in seiner Tasche nach Kleingeld suchen wollte, beobachtete er zu seiner Empörung, wie Kid entnervt die Augen verdrehte und zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag den Kopf schüttelte: „Tu mir den Gefallen und versuch‘ gleich wenigstens so zu tun, als wärst du locker…“, seufzte er herzzerreißend.
 

Laws Reaktion zeigte sich in einem ungläubig geöffneten Mund, wobei er jedoch nicht wusste, welche Worte er dieser Unverschämtheit entgegensetzen konnte – musste er auch nicht. In diesem Moment wurde die beinahe vollendete Dämmerung von künstlich-gelben Licht durchschnitten, ein lautes Rattern erfüllte die Luft und die Straßenbahn erreichte ihre Haltestelle. Nachdem alle Passagiere ausgestiegen waren, betraten die beiden jungen Männer den Innenraum, der zu dieser Tageszeit so gut wie leer war, sodass sich der angehende Mediziner fragen musste, wieso sie all die freien Sitzplätze verschmähten und stattdessen das gesamte Abteil durchliefen – wieder seufzte er. Egal, was sie auf diesem ‚Ausflug‘ auch taten, jede kleinste Aktion rief mehr Fragen auf und dabei hatte sich für Law noch keine einzige beantwortet.
 

„Die Fahrkarten bitte.“ Law sah überrascht auf, erkannte aber gleichzeitig, dass es Kid selbst war, der die seltsame Aufforderung durch die Bahn gerufen hatte, nur um sich just in diesem Augenblick unter lautem Kichern in einen Vierer zu werfen, der bereits durch eine Person belegt war. „Wichser“, nuschelte der fremde Kerl, streckte aber eine Faust aus und wartete, bis Kid mit seiner eigenen dagegen schlug. Law blieb verwirrt stehen, wobei er eine Augenbraue hob, um seiner Gefühlslage weiteren Ausdruck zu verleihen. Kid musste die Zeichen gedeutet haben, denn nun rutschte er zur Seite und zeigte Law dadurch, sich neben ihn zu setzen. Der Mediziner folgte schweigend der Anweisung.
 

„Wer ist der Hübsche?“, fragte die dritte Person prompt und ließ dabei das freundliche Kompliment zu einer Beleidigung werden, die deutlich machte, dass er nicht viel von Kids Begleitung halten konnte. Ob es an ihm persönlich oder an seinem – im Vergleich zu Kid und dem Neuling – bessergestellten Kleidungsstil lag, vermochte Law dabei noch nicht zu sagen, aber er erinnerte sich daran, dass Kid am Morgen dieselbe Formulierung benutzt hatte. „Mein Arzt“, erklärte eben dieser in aller Kürze, verpackt als beiläufige, wenig interessante Information, während er eine Hand zu seinem Gegenüber ausstreckte und erwartungsvoll die Augen aufriss. Der Unbekannte kramte in seiner Tasche und überreichte eine weiße Plastiktüte, welche der Rotschopf augenblicklich öffnete und etwas hervorholte, das in Alufolie gewickelt war und verführerisch roch. Law entlarvte es als eine Falafeltasche und ignorierte dabei sein eigenes Leeregefühl im Magen. Vielmehr stutze er über die abstruse Situation.
 

„Ist der nicht nen bisschen jung, um Arzt zu sein?“, hakte der Dritte nach, starrte dabei unentwegt auf die ihm unbekannte Person. Da Kid unter vergnügtem Kauen den Mund voll hatte, die Gegenantwort also warten musste, nahm sich Law Zeit, diesen fremden Typen etwas genauer zu betrachten. Soweit er das im Sitzen beurteilen konnte, war er mindestens so groß wie Law selbst, seine Klamotten wirkten jedoch ebenso heruntergekommen wie Kids: Eine dreckige Hose, ein schwarzes Shirt mit weißen Punkten unter einer alten Jeansjacke. Allerdings roch er weniger nach Rauch und Alkohol. Wie alt er war, konnte nur schwer beurteilt werden, denn um seinen Hals trug er einen weiten, blau-weiß gestreiften Schal, der sein Gesicht bis zur Nasenspitze verdeckte. Darüber sorgte eine dunkle Mütze mit kleinem Schirm, unter welcher sich lange, blonde Haare hervorkämpften, dafür, dass auch von seiner Stirn und den Augen nicht viel zu erkennen blieb. Law musste seine Augen geradezu anstrengen, um unter den Schatten etwas menschliches auszumachen – doch als es ihm gelang, raubte es ihm unmittelbar den Atem.
 

Entsetzt wandte er sein Gesicht Kid zu, welcher sich gerade seelenruhig den letzten Bissen der Teigtasche in den Mund schob, angestrengt kaute und mit Resten weißer Soße um den Mund begann, seine Fingerspitzen abzulecken. Law konnte nicht fassen, in was für einer Welt er hier gelandet war und kam nicht umhin, an die Worte seines Onkels zu denken und dessen scherzhafte Anspielungen auf die Geschichte der kleinen Alice im Wunderland. So hoffte er für einige Sekunde, dass gleich auch vor ihm ein grinsender Katzenkopf auftauchen würde, dessen Anblick ihn bestätigte, dass dies alles nur ein böser Traum sein konnte – doch halt! Führte die Katze Alice‘ nicht zum Hutmacher? Wie auch immer, er schien den Hutmacher auch ohne Hilfe gefunden zu haben. Sein Großvater sollte Recht behalten.
 

„Egal. Hör auf alles wie son kleines Mädchen zu hinterfragen, Killer!“, antwortete Kid schließlich auf die Frage seines Kumpels und leckte sich dabei mit der Zunge langsam über die Lippen, bis auch die letzten Indizien des Abendessens verschwunden waren, wischte sich noch ein letztes Mal mit dem Handrücken über den Mund und lehnte sich entspannt zurück: „Er heißt Law und kommt heute mit.“ Doch der Student konnte nur schwer schlucken, unsicher darüber, ob er bei der nächsten Haltestelle nicht einfach aufspringen und aus der Bahn und vor dieser ganzen Freakshow fliehen sollte – Hatte Kid den Typen gerade Killer genannt?!
 

Law wurde gleichzeitig heiß und kalt, während sich seine Hände schmerzhaft in das raue Plastik seines Sitzplatzes krallten. Als er seinen Blick hob, konnte er es genau sehen, ja geradezu spüren. Er wollte nicht hinschauen und dennoch klebte sein Blick - wie eine Fliege im Spinnennetz, wie ein Schaulustiger, der nicht aufhören wollte, die Katastrophe zu filmen - am Gesicht des Mannes ihm gegenüber. Abermals musste Law trocken schlucken, um ruhig zu bleiben. Im Licht der Straßenlaternen, die sie passierten, konnte er sie nun deutlich erkennen. Narben. Rund um die Augen und an den Stellen, die nicht von Mütze, Haaren oder Schal bedeckte waren. Brandnarben. In seinem Hals bildete sich ein Kloß, der ihm die Luft zum Atmen nahm. ‚Killer‘ brauchte ihm nicht weiter vorgestellt zu werden. Er wusste bereits, wer der Kerl war. Er wusste, woher die Narben kamen und was noch schlimmer war – Er wusste, dass der Verursacher dieser Entstellung quietschvergnügt neben ihm saß und dabei verspielt eine Hand auf Laws Knie legte…
 


 

~*~
 

Killer (2/2)


 

Siebter Teil
 

Während sein Selbsterhaltungstrieb, panisch und mit Leuchtfeuern bewaffnet, durch seine Gedanken lief und zur Flucht ermahnte, entschieden Laws Muskeln, dass er an Ort und Stelle verharren musste – Hilflos. Rettungslos. Machtlos. Kid sagte etwas, doch die Worte wurden zu einem Rauschen in dem Versuch, all diese Eindrücke in einen rationalen Kontext zu bringen. Doch im Angesicht dieser beiden Psychopathen musste wohl jeder Versuch des Begreifens scheitern. Kids Puzzle war nicht nur unsortiert und unvollständig, alle Teile schienen so mangelhaft gefertigt worden zu sein, dass keines von ihnen ineinandergreifen wollte. Augenblicklich musste Law an seinen Onkel denken und an die Dinge, die er ihm über diesen Patienten erzählt hatte. Nicht einmal eine Anzeige. Für den Studenten bestand kein Zweifel: Der fremde Kerl ihm gegenüber konnte niemand anderes sein, als der beste Freund, dessen Gesicht Kid vor fünf Jahren in Brand gesteckt hatte. Eine Entstellung, die er mit Mütze und Schal versteckte, während er seinem Peiniger das Abendessen überreichte – das Ganze hatte den Beigeschmack eines schlechten Horrorfilms.
 

Und doch – er saß mittendrin, hatte es sich zwischen Doktor Frankenstein und seinem Monster bequem gemacht und fragte sich, welche Rolle er in diesem surrealen Arrangement einnehmen würde. „Na wenigstens labert er nicht“, erklärte eine vom Stoff gedämpfte Stimme und holte Law in die Welt der Straßenbahn zurück. Desorientiert blickt er sich um, achtete auf Kid, welcher ihm grinsend die Mütze vom Kopf stahl und sie sich selbst aufsetzte. „Du hast ihn eingeschüchtert…“, verteidigte er Laws Sprachlosigkeit, hob seine Beine an und legte die Schuhsohlen seiner dunkelbraunen, nur zur Hälfte geschnürten Stiefel auf die Stuhlkante ihm gegenüber. Killer ließ ein zufriedenes Schnauben hören.
 

„Ich bin nicht der Arzt, nur der Neffe“, entfloh es untererwartet dem Mund des Mediziners, während er eine Hand ausstreckte und sein Eigentum zurückforderte. Kid zog sogleich die Mundwinkel nach unten, drückte sich gegen die Wand der Straßenbahn, um Law durch weiteren Abstand besser mustern zu können. „Die Erklärung kommt etwas spät…“, begann er und wandte sich darauf an Killer: „Vielleicht isser auch nur etwas langsam.“ Die beiden lachten kurz über den Witz oder vielmehr über ihn, doch das war Law egal. Sollten die Irren doch gackern wie sie wollten.
 

Zwei Stationen später standen seine Begleiter auf, drängten sich aus dem engen Vierer, wobei Kid im Gehen mit einer Hand Laws Oberarm umklammerte und den Mediziner mit sich zog, als wolle er sichergehen, dass er ihnen auch folgte. Law ließ es mit sich geschehen und hasste sich dafür, dass seine Neugierde und die Sehnsucht nach Antworten größer war, als sein gesunder Menschenverstand – doch was zählte hier schon Verstand? Vielleicht war er im Park durch den Laubhaufen hindurchgefallen, hatte es gar nicht bemerkt und wanderte nun durch sein ganz persönliches Nimmerland. Hörte er da drüben etwa eine Uhr ticken? Zumindest half die kühle Abendluft dabei, den Schleier um seine eigene Wahrnehmung etwas zu lüften.
 

„Law?“ Eine vertraute Stimme rief seinen Namen, doch kam sie nicht von seinen Begleitern. Überrascht drehte er sich um, löste dabei den Griff um seinen Arm, den Kid konsequent festgehalten hatte. Der Student erkannte augenblicklich, wer so verwundert nach ihm fragte. Aber nicht nur er hielt an, auch Kid und dessen Freund Killer verharrten, standen links und rechts neben dem Studenten, den sie alle beide um eine gute Kopflänge überragten. „Gibt’s hier nen Nest?“, nuschelte eine raue Stimme hinter einem Schal hervor. Kid verzog missbilligend den Mund.
 

„Aber mit uns nicht feiern gehen wollen… Ist klar!“, witzelte eine freundliche Stimme, wobei der Sprecher auf die kuriose Dreiergruppe zuging und seinem Studienkollegen eine Hand auf die Schulter legte. Mit einem frechen Grinsen fasste er sich an die schwarz-weiße Cap auf seinem Kopf. Eine zweite Person näherte sich, gluckste entspannt und vergrub mit einem Gähnen die Hände in den Hosentaschen. „Lass gut sein, Peng. Wir sind einfach nicht cool genug für Mister Mein-Vater-ist-Leiter-der-Kardiologie-im-St.-Christopher’s-Hospital Trafalgar fucking Law“, feixte dieser und entschuldigte sich sodann mit einem Zwinkern bei seinem Kommilitonen. Law lächelte verlegen. Wenn er überhaupt davon sprechen konnte, dass der so etwas wie Freunde an der Uni hatte, dann waren es mit Abstand diese beiden Idioten – sie waren hartnäckig geblieben und über die Jahre hatte er sich irgendwie an sie gewöhnt.
 

„Is wohl eher der Club der erschreckend geschmacklosen Hüte“, korrigierte Kid mit neckisch hochgezogenen Augenbrauen aus dem Hintergrund. Die beiden hatten sich in der Zwischenzeit ein Stück von den Studenten entfernt, dennoch konnte man Killers fieses Lachen hören. Shachi, der junge Mann neben Penguin, griff sich beleidigt an die Krempe seiner Ballonmütze und zog sie tiefer ins Gesicht. „Wer sind denn die Affen?“, schmollte er, nahm sich nun aber die Zeit, Laws Begleitung genauer unter die Lupe zu nehmen. Es brauchte nicht lange, bis er entsetzt die Augen aufriss: „Jetzt mal im Ernst. Wer ist das?“ Penguin untermalte die Verwunderung mit irritierter Mimik.
 

Law nahm ein ungutes Gefühl im Bauch wahr und musste sich fragen, ob es daran lag, dass es ihm unangenehm war, von seinen Kommilitonen quasi „erwischt“ worden zu sein – oder ob es eventuell andersherum war. Es brauchte keinen zweiten Blick, um zu erkennen, dass Shachi, Penguin und auch er selbst aus einer ganz anderen Welt stammten, als die beiden jungen Männer hinter ihnen. Hier trafen gute Elternhäuser, eigene Autos und vollfinanzierte Studiengänge auf… ja, auf was? Brandnarben und verweigerte Psychopharmaka, ranzige Kleidung und geklaute Fahrräder. Und trotzdem - Nur eine dieser beiden Welten vermochte an diesem Abend Laws Neugierde zu entfachen, war reizvoll, unbekannt und unvorhersehbar genug, um dieses unglaublich verführerisch, vor Anspannung prickelnde Gefühl auf seiner Haut zu erzeugen.
 

„Ein Patient meines Onkels“, nuschelte der Medizinstudent leise und ärgerte sich umgehend darüber, dass sein Halbsatz wie eine Rechtfertigung klang. „Ahhh…“ Simultan öffneten seine Freunde den Mund, nickten verständnisvoll, wobei sie den Blick nicht von dem eigenartigen Duo nehmen konnten, das sich in den Schatten hinter einer Laterne zurückgezogen hatte. Penguin war der erste, der die Unstimmigkeit bemerkte: „Aber warum bist du jetzt noch mit ihnen unterwegs?“ Shachi unterstütze ihn, indem er sich argwöhnend näher zu Law beugte: „Wirklich seltsam. Was hat er? Und welcher ist es? Der Heruntergekommene oder der Gruselige?“ Die beiden Jungs kicherten. Law verdrehte die Augen, konnte sich ein Grinsen allerdings nicht verkneifen. Die Kluft zwischen den zwei Gruppen, mit denen er gerade hier stand, schien immer weiter auseinanderzuklaffen.
 

„Hey Möchtegern-Doc! Kommste jetzt mit oder bleibste bei den beiden Clowns?“, rief Kids Stimme ungeduldig aus dem Hintergrund. Der Gefragte seufzte, Penguin fuhr sich nachdenklich durchs Gesicht: „Charmant“, murmelte er. Law konnte die Reaktion zwar verstehen, jedoch war er sich nicht sicher, welche Partei gerade am meisten lästerte. Doch kein Wunder, dass Shachi und Penguin die Situation nicht verstanden – wie sollten sie auch? So verabschiedete sich Law mit einem abrupten: „Ich muss dann los“, und hatte sich bereits umgedreht, als die zwei ihm etwas hinterherriefen: „Pass auf!“ „Und meld dich Morgen mal – falls du die Nacht überlebst.“ Der Anhang war leiser gesprochen, doch die Besorgnis war dennoch deutlich herauszuhören.
 

Weder Kid noch dessen unheimlicher Freund stellten Nachfragen über Laws Freunde. Anders als Shachi und Penguin wirkten diese zwei so, als ob ihnen die Leute außerhalb ihrer kleinen abnormalen Welt so egal waren, wie der Dreck an der Wand der verstecken Bar, die sie nun erreichten, nachdem sie von der Hauptstraße in eine Gasse eingebogen waren. Der Türsteher begrüßte sie schon vom Weitem: „Heute zu dritt?“, fragte er perplex. „Mein Leben steckt voller Überraschungen“, antwortete Kid mit einem Kichern und hielt dem breitschultrigen Mann eine Faust hin, wie er es schon bei Killer getan hatte. Der Hüne lachte vielsagend, dann ließ er das Trio passieren. Sie mussten einige Stufen hinab, bis sie einen Keller erreichten, der aus einem Gang bestand, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach zu den Toiletten führte und eine große Tür darbot, hinter der laute Gitarrenklänge und Bassrhythmen zu hören waren. Hier blieben sie stehen.
 

Natürlich hätte sich Law an dieser Stelle ein weiteres Mal hinterfragen müssen und dabei zu der Erkenntnis kommen, dass es keine gute Idee war, einem Irren und dessen zwielichtigen Freund in ein dunkles Loch mit nur einem Ausgang zu folgen. Doch steckte er nicht schon viel zu sehr drin, als dass ein Ausstieg noch eine Option darstellte? Er hatte seine Karten auf den Tisch gelegt, war All-in gegangen und aufgestanden, um nun voller Neugierde Kids Blatt sehen zu können. „Was machen wir hier?“, fragte er also neugierig und erntete einen perplexen Blick. Ohne sich die Mühe zu machen, den Mund für eine Antwort zu öffnen, griff Kid in die Seitentasche von Killers Rucksack, holte eine hohe, grüne Flasche heraus, drehte den Deckel ab und hielt die Öffnung mit zufriedenem Grinsen dem Medizinstudenten entgegen. „Spaß haben?“, äußerte er und rüttelte an der Flasche, um Law verständlich zu machen, dass er ihm diese endlich abnehmen sollte. „Wird dir gefallen“, fügte er schelmisch hinzu, wobei Law überlegte, ob er den Spaß oder den irischen Whiskey meinte, von dem er sich im folgenden Augenblick den ersten Schluck gönnte und unter dem brennenden Gefühl im Hals den Mund verzog.
 

Kaum hatte er seine Lippen vom Hals der Flasche gelöst, da schnappte Kid sie sich zurück, um selbst etwas zu trinken: „Cheers!“, säuselte er, amüsiert von Laws Gesichtsausdruck, als mit einem Mal die Musik im Innenraum lauter wurde. Der angehende Arzt beobachtete akribisch, wie der Rotschopf mit einem Mal innehielt, aufhorchte und unmittelbar breit grinste. „Scheiße!“ Auf den Ausruf hin riss Kid die Tür auf, die Musik wurde lauter, warme und zugleich verbrauchte Luft, die eine erschreckende Ähnlichkeit mit dem Geruch in Kids Klamotten aufwies, schlug Law entgegen und ließ ihn zusammenfahren – da war die Tür auch schon wieder geschlossen und hatte Kid in ihrer verborgenen Welt verschwinden lassen. Der Student schüttelte ungläubig den Kopf, hoffte im tiefsten Innern, dass in der Flasche wirklich nur Whiskey gewesen war und verlor sich in wirren Gedanken, als es mit einem Mal eng um seinen Hals wurde.
 

Überrascht von der plötzlichen Attacke war er wacklig auf den Beinen, ließ sich brutal hin und her zerren, bis er letzten Endes mit dem Rücken gegen eine der Wände des düsteren Gangs geschleudert wurde, wobei sein Hinterkopf schmerzlich gegen Beton schlug. Sein Geist war benebelt, er schmeckte Blut auf der Zunge. Dabei dauerte es lange Sekunden, bis sich die Bilder vor seinen Augen wieder zu einem Ganzen zusammenfanden, während es in unregelmäßigen, bitteren Stößen durch seinen Kopf zog und Denken zur Unmöglichkeit werden ließ. Aber er bedurfte in diesem Fall auch keiner weiteren Analyse. Der Täter konnte nur eine Person sein: „Fuck! Was soll der Scheiß?!“, schrie Law wütend hervor, wobei er hoffte, dass der Türsteher seinen Ruf hören konnte. Doch letzten Endes führte sein Gepolter nur dazu, dass der Griff um seinen Hals, der ihn so unliebsam an der Wand fesselte, enger wurde. Killer schaffte es tatsächlich, ihn mir einer einzigen Hand zu fixieren – so sehr Law auch zappelte und fluchte.
 

„Reden wir mal, Herr Doktor“, witzelte der vermummte Kerl mit einer zynischen Leichtigkeit in der rauen Stimme. Aus den Augenwinkeln verfolgte sein Opfer, wie er etwas aus seiner Hosentasche holte, den im künstlichen Licht glitzernden Gegenstand verspielt um seine Finger rotieren ließ, nur um am Ende entschlossen die Klinge des gezückten Butterflymessers gegen den Hals des wehrlosen Studenten zu drücken. Law riss vor Entsetzen die Augen auf, bis es schmerzte.
 

Ein Fehler! Diese ganze Aktion war ein Fehler gewesen. Von vorne bis hinten. Angefangen bei dem Praktikum. Sein Onkel hätte wissen müssen, dass er nicht der Typ war, den man auf Wahnsinnige loslassen sollte. Er hätte es wissen müssen! Nun war es zu spät. Alles war passiert. Klappe zu. Erbärmlich hilflos wie er war, würde er in irgendeiner dreckigen Bar in Downtown vom Schergen eines Soziopathen abgestochen werden. Laws ganzer Körper brannte unter dem unerfüllbaren Wunsch, die Zeit zurückzudrehen. Wann hatte er angefangen, seinen Verstand auszuschalten?
 

Als Law ein letztes Mal versuchte, sich aus dem eisernen Griffs zu befreien, glitt die Klinge des Messers über seine Haut, zog dabei unmittelbar einen tiefroten Streifen hinter sich her, welcher daraufhin in einzelnen Schlieren über Laws Hals auf sein Oberteil lief. Adrenalin pumpte durch seine Adern, ließ seinen Atem in schmerzhaft intensiven, kurzen Zügen seine Lungen füllen. Die Luft presste er anschließend verkrampft genug durch seine aufeinandergepressten Zähne, dass sich Speichel in kleinen Tropfen auf dem Gesicht seines Peinigers verteilte. Er wollte mit einem Bein ausholen, doch bevor er handeln konnte, wurde eine Kniescheibe in seinen Eingeweiden versenkt. Er stöhnte vor Schmerzen auf. Noch einmal drohte die Welt in Dunkelheit zu verschwinden.
 

„Du hast keine Chance, also erspar uns beiden den Stress“, hallte eine Stimme in weiter Ferne durch den dunklen Flur, in welchem der Student nun gefangen gehalten wurde. Laws Glieder zitterten. „Ist der Dreck hier etwa geplant gewesen?“, wollte er schreien, doch erlaubte sein bebender Körper nur schwer verständliches Röcheln. Sein Gegenüber blickte verwundert auf, allerdings verbarg sein Schal alle weitere Mimik. Seine Stimme verriet mehr: „Nein. Nein, ich wusste von nichts und genau das ist mein Problem, Wichser.“ Law überraschte die Erklärung so sehr, dass er für einen Augenblick innehielt, ohne weiter zu versuchen, dem quälenden Griff zu entkommen.
 

„Warum bist du hier?“, wurde er daraufhin gefragt. Die Augen im vernarbten Gesicht hatten ihren gefährlichen Glanz wiedergefunden und ließen Law erstarren wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Das Messer drückte weiterhin mit seiner kalten Klinge gegen die Schlagader an seinem Hals. Für einen Moment wurde es still genug, um wieder die dumpfe Musik aus dem Nebenzimmer wahrzunehmen, dann schluckte Law, hatte seine Worte zuvor vorsichtig gewählt: „Ich dachte, wenn ich mehr über ihn weiß, kann ich ihm vielleicht helfen.“ In seinem tiefsten Innern hegte Law sogar die Hoffnung, dass der Satz nicht vollends frei erfunden war.
 

Killer hielt inne, dachte augenscheinlich über die Aussage nach, dann ergab er sich einem unnatürlichen, angsteinflößenden Lachen, das Law eine Gänsehaut verlieh. Die zitternde Hand des Angreifers drückte dabei das scharfe Messer abermals in die Haut seines Opfers, welches sich erschrocken auf die Unterlippe biss. „Wie niedlich“, spukte der Vermummte schließlich abschätzig hervor. Law kniff verwundert die Augenbrauen zusammen: „Dafür geht er doch in die Therapie, nicht wahr?“, versuchte er zu kontern. Sein Gegenüber legte den Kopf schief. „Damit du ihm helfen kannst? Wohl kaum…“, folgte prompt die Antwort.
 

Der angehende Mediziner versuchte ruhig zu bleiben, umklammerte mit seinen Fingern die Hand, die ihn an der Wand fixierte. Killer ließ sich davon jedoch nicht verunsichern: „Ihr Psychodocs kotzt mich an. Tut, als würdet ihr etwas Gutes machen wollen. Helfen! Dabei seid ihr nicht mehr, als ein blutgeiler Schaulustiger, der in der ersten Reihe stehen will, wenn der Idiot endlich springt und sich sein Körper über dem Asphalt verteilt.“ Das fremde Gesicht kam Law immer näher. Der Griff wurde fester. Laws Füße verließen den Boden, bis zur noch die Spitzen seiner Schuhe über die Oberfläche streiften. Das Atmen wurde zur Unmöglichkeit. Verzweifelt riss er den Mund auf. Schnappte nach dem lebensnotwendigen Sauerstoff; seine Augen vor Schmerz und Angst zusammengekniffen. Vielleicht hätte er geschrien, aber wo keine Luft hineinkam, kam auch keine raus, um einen erbärmlichen Hilferuf zu formen. „Stimmt es nicht, Law…?“, säuselte die raue Stimme neben seinem Gesicht.
 

Nun erwachten Laws Glieder zu neuem Leben, schlugen, traten, kämpften. Kämpften ums Überleben. Noch wenige Sekunden und sein Leben… sein einziges Leben… Seine Gedanken waren durcheinander. Ein Storm aus Hass auf sich selbst, aus Panik und Todesangst. Dann die Erlösung. Er wurde befreit, fiel kraftlos auf den harten Betonboden, hielt sich den Hals und rang keuchend nach Luft. Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, blieb er liegen, schaute entsetzt zu seinem Peiniger auf, schloss seine Hände zu Fäusten, bereit sich zu wehren. Doch der Mann über ihm lachte leise. Während er sich hinhockte, griff er an den Rand des Schals, der weite Teile seines Gesichts verdeckte. „Komm mir ja nicht zu nah, Bastard“, prustete Law zwischen seinen Zähnen hervor; verteilte Speichel in der stickigen Luft. Zorn pumpte in schnellen Stößen durch seine Blutbahnen.
 

Wieder ein Lachen. Ein zynisch verspottendes Lachen. Dieses Mal zog die Hand den Schal nach unten, ließ ihn lose über den Oberkörper des jungen Mannes fallen, der viel älter wirkte, als er tatsächlich sein konnte. Zwar hatte Law mit einigem gerechnet, doch der Anblick des vernarbten Gesichts ließ ihn dennoch kurz innehalten. Teile des Halses, des Unterkiefers, der Wangen, Teile der Lippen und der Ohren… alles musste den Flammen damals zum Opfer gefallen sein. Ein Wunder, dass er noch sehen und sprechen konnte. Vom Anblick erstarrt, reagierte Law jedoch zu langsam und fand die Klinge des Butterflymessers unter seinem linken Auge. Er schluckte schwer. „Stimmt es?“, wiederholte die kratzende Stimme und fixierte ihn aus kalten Augen. Law antwortete nicht, war aber qualvoll an das Spiel erinnert, das er noch vor wenigen Stunden mit Kid ausprobiert hatte. Sein Blick wanderte zu der glänzenden Messerspitze.
 

Vor sich konnte Law hören, wie Killer nach Luft zog und daraufhin neben sich auf den Boden spuckte. Er räusperte sich. „Ich will dir damit nur erklären, dass ihr Möchtegern-Helden die Finger von Sachen lassen solltet, die ihr nicht kontrollieren könnt“, raunte es aus den vernarbten Lippen. ‚Kontrolle‘ war ein Wort, das Law nun einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Der Boden unter ihm war feucht und rau, drückte sich gegen seinen Körper und war dennoch nicht annähernd so unangenehm wie die Nähe des Mannes, der neben ihm hockte. Im Hintergrund dröhnte der Bass wie ein schneller, mechanischer Herzschlag, gab den Takt dieser absurden Konversation vor. Irgendwo hinter dieser Mauer war Kid und Law fragte sich, ob er eine Ahnung von dem hatte, was hier draußen passierte.
 

„Ich weiß, was ich tue“, erklärte der Student, richtete sich etwas auf, um größer zu wirken, wobei er in Kauf nahm, dass das Messer in die Haut seiner Wange schnitt. Killer beobachtete es gebannt, dann kicherte er provokant: „Ach ja?“

Es waren die einzigen beiden Worte. Zwei Worte, die nicht einmal als solche benannt werden konnten und dennoch eine neue Erkenntnis erlaubten, die sich aus Laws Unterbewusstsein langsam an die Oberfläche grub. Mit zitternden Augenlidern sah er abermals auf das Messer. Sah auf die Klinge. Schloss resignierend den Mund und verstand. Es war kein Autounfall gewesen. Er hatte völlig falsch gelegen. Für eine Sekunde sah er Kid wieder neben sich, umringt vom bunten Laub. Er sah das hochgerutschte Tuch, das eine tiefe Narbe entblößte, die sich über seine gesamte Stirn, bis zur Wange hinab erstreckte. Law schluckte, zog unsicher die Mundwinkel nach unten. Es war kein Autounfall.
 

Der Kerl, dem du vor fünf Jahren das Gesicht angezündet hast; der Typ, mit dem du dich abends zum Feiern triffst… Er hat dir eine zentimeterbreite, tiefe Narbe mit seinem Messer ins Gesicht geschnitten. Kid. Stimmt es?
 


 

~*~
 

Kontrollverlust


 

Achter Teil
 

Der Schock der Erkenntnis saß tief, beinahe tief genug um seinen ohnehin schon knappen Atem zum Stillstand zu bringen. Doch dieses Mal wollte er sich nicht überwältigen lassen. Vielmehr fragte sich Law, warum ihm diese Einsicht nicht schon viel früher gekommen war; warum er nicht pauschal davon ausging, dass sich diese psychopathischen Idioten wie zum Spaß gegenseitig verstümmelten… Er schluckte, schüttelte den Gedanken an Kid beiseite und drehte seinen Blick entschlossen zu Killer, der immer noch neben ihm hockte und amüsiert grinste. Ohne jede Vorwarnung zog Law seine Knie eng an den Körper, holte mit seinen Schultern Schwung, schlug das Messer von seiner Wange und sprang auf, wobei er sein Gegenüber in eben dieser Bewegung zu Boden riss.
 

Alles ging schnell. Laws Herz pochte so sehr, dass es in den Schläfen wehtat. Jeder Muskel war angespannt, zitterte im schieren Willen die Kontrolle über diese lebensbedrohende Situation zurückzuerlangen. Zu seinem Glück hatte Killer nicht mit seinem Angriff gerechnet, fiel zurück und ließ durch den geschickten Schlag gegen sein Handgelenk das Messer fallen. Klirrend fiel das Metall zu Boden, schlitterte über den kalten Beton, bis es von Law gestoppt wurde. Kaum hatte dieser den Griff der Waffe umklammert, ließ er sich mit den Schienbeinen auf Killers Oberkörper fallen, drückte dessen Schultern mit einem Arm zu Boden, während er mit dem anderen das Messer gegen den Hals des Geschädigten drückte.
 

Unter ihm hörte er ein lautes Aufkeuchen, als die Kniescheiben schlagartig die Luft aus den Lungenflügen drückten und dabei Rippen prellten. Laws Bewegung war dabei zu impulsiv gewesen, als dass er hätte rechtzeitig stoppen können, sodass nun auch Killers Hals von einer Spur dunkelroten, warmen Blutes geziert war. Erst jetzt bemerkte der Mediziner den kalten Schweiß, der sich auf seiner Stirn gebildet hatte und auch seinen Rücken und die Innenflächen seiner Hände bedeckte. Die Klinge in seiner Hand zitterte unkontrolliert. Er hustete, zog unter Schmerzen nach Luft, ignorierte das quälende Pochen in seinem Kopf. Er hatte es geschafft. Das vermeintliche Lamm hatte sich als Jäger entpuppt und den bösen Wolf in die Enge getrieben.
 

Kurz hatte Law befürchtet, dass Killer versuchte sich zu befreien. Doch die Unruhe unter ihm war lediglich das Ergebnis eines hingebungsvollen Lachens. „Gut gespielt, Kleiner“, kommentierte die raue Stimme. „Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ Auch wenn ihm sein Stolz nicht gefiel, das Kompliment schmeichelte dem jungen Studenten. Er war eben mehr als nur Papas behütetes Söhnchen. Er wusste sich durchzusetzen. Er wusste, wie man sich wehrte. Er hatte die Oberhand.
 

„Es wäre auch nicht nötig gewesen, wenn du nicht so ein kranker Idiot wärst“, erwiderte er selbstbewusst, drückte die Schulter unter seinem Arm noch weiter in den Boden. Killer stöhnte auf, presste aber die Lippen aufeinander, um einen Laut zu unterdrücken. Dann lächelte er, soweit es sein vernarbtes Gesicht zuließ. „Was ist so witzig?“, zischte Law, beleidigt von der anhaltenden Freude des Mannes, dem er gerade ein scharfes Messer an den Hals hielt. Der Gefragte legte den Kopf schief, zuckte nicht einmal, als die Spitze der glänzenden Klinge in seine Haut schnitt. „Was willst du von Kid?“, fragte er und in seinen Augen glitzerte aufrichtige Neugier: „Was will so ein verwöhntes Blag von Leuten wie uns?“
 

Angesichts des gerade betonten Kontrasts hob Law verwundert die Augenbrauen. Bis jetzt war er davon ausgegangen, dass es er und seine Freunde von der Uni waren, die nur zu gerne von ‚denen‘ und im Gegensatz dazu von ‚ihnen‘ sprachen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich Killer und demnach wahrscheinlich auch Kid ganz bewusst zu einer ganz anderen Gruppe von Menschen zählten. Und das Wort ‚Blag‘ verriet ihm, dass es hier nicht um psychische Erkrankungen ging. Nein, hier ging es um den Unterschied zwischen denen, die das wahre Gesicht der Welt kannten, ihre Ungerechtigkeit, Schmerz und Wahnsinn und denen, die sich zu fein waren, zu verwöhnt, um ihren Eltern dafür zu danken, dass sie aufwachsen konnten, ohne einmal erlebt zu haben, wie sich wirkliche Einsamkeit, Angst und Verzweiflung anfühlte. Wir und sie.
 

„Ich will es verstehen“, antwortete Law ehrlich, nachdem er nicht abstreiten konnte, dass Wahrheit in dem lag, was Killer gerade andeutete. Dabei hatte Law nicht einmal einen einzigen Hinweis auf Kids Vergangenheit. „Verstehen?“, hakte Killer nach. Der Mann über ihm nickte. „Ich will verstehen, wieso alles so ist, wie es ist. Vor meinem Praktikum… Ich meine, bevor ich Kid traf…“, zum ersten Mal versuchte Law das in Worte zu fassen, was seine Gedanken seit nunmehr drei Wochen nicht loslassen wollte: „Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so denkt, wie er. Jemand, der so unvorhersehb-…“ Der Student brach seinen Satz ab, als das Grinsen auf Killers Gesicht breit genug wurde, um seine Zähne zu entblößen. Law stutzte, drückte das Messer frustriert fester gegen den Hals: „Machst du dich über mich lustig?“ Killer hob sein Kinn, um der Klinge zu entkommen. „Auf jeden Fall“, antwortete er provokant. „Du bist echt ein miserabler Arzt“, feixte er, wobei er sich überraschend erhob, Laws Hand und damit das Messer packte, sich umdrehte, und nun den Mediziner auf den Rücken warf und erneut zum Opfer machte.
 

Law schluckte, als er das Metall erneut auf seinem Hals spürte. Er war beleidigt und besiegt. „Bin ich das?“, fragte er, sich der Situation ergebend. Killer nickte: „Ich kenne keine Person, deren Verhalten leichter vorherzusehen ist, als Kid. Jeden Morgen schläft er bis er aufwacht, isst, was auch immer der Kühlschrank hergibt, geht in den Park und starrt dort Löcher in die Luft, bis er sich schließlich mit mir trifft und wir in dieses verdammte Drecksloch hier gehen. Was meinst du, warum wir uns eben in der Bahn getroffen haben? Zufall? Nein. Es ist immer das gleiche: jeden Tag, jede Woche, jeden beschissenen Monat. Gleiche Zeit, gleicher Ort, gleicher Dreck. Die einzige Ausnahme macht er für seinen inkompetenten Seelenklempner“, spuckte Killer aus und ließ Law augenblicklich verstummen. „Das letzte Mädchen, mit dem ich mich getroffen habe, hat er solange beleidigt, bis es abgehauen ist. Einfach, weil er es nicht ertragen konnte, dass sie etwas änderte“, erklärte er weiter. Der Mediziner schluckte, fragte sich, wer mit diesem Killer zusammen sein würde und auch, ob er die Wahrheit sagte. „Und trotzdem“, schrie der Mann über ihm geradezu aus: „Trotzdem bist du kleine Ratte hier. Trotz allem. Du gehörst hier nicht hin. Du gehörst nicht ins Bild. Du gehörst nicht in den verfickten Ablauf. Also frage ich dich noch einmal: Was willst du von ihm und er von dir?“
 

Law öffnete erschrocken den Mund, erkannte die Gefahr, die aus der Aufregung des Mannes entstand, er ihm gerade jede Sekunde die Kehle aufschlitzen konnte. Schmerzhaft riss er die Augen auf, umklammerte das Handgelenk mit dem Messer und überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, der Situation zu entfliehen, als der Flur mit einem Mal von lautem Dröhnen erfüllt wurde: Jemand hatte die Tür geöffnet. „Killer! Verdammt!“, schrie eine erleichternd bekannte Stimme, die in Law die Hoffnung auf Rettung weckte. Über sich blickte er in Augen voller Fragen und Wut, doch erkannte er gleichzeitig das zögerliche Zittern von Killers Muskeln. Die Tür fiel ins Schloss, es war wieder leise. Dann hallten Schritte durch den Flur, bis sich Kids verwundertes Gesicht in Laws Blickfeld stahl und mit einem beleidigten Ausdruck auf ihn hinabblickte. „Da drinnen spielt die verschissen beste Band überhaupt und ihr baut hier draußen irgendne Kacke?“, fragte er. Killer ließ Law in diesem Moment ohne weiteren Kommentar los, steckte das Messer zurück, stand auf und verließ die beiden, um schnell den Innenraum der Bar zu betreten. Law rieb sich den Hals und sah ihm schweigend nach. Als sich die Tür ein weiteres Mal schloss, blickte er verwundert zu Kid hoch. Wollte der Rotschopf nichts zu dieser abstrusen Situation sagen? Er schluckte, nahm jedoch die Hand an, die ihm Hilfe beim Aufstehen anbot.
 

Kaum hatte er sich wieder aufgerichtet, stand er Kid direkt gegenüber, sein Kopf ein Stück in den Nacken gelegt, um dem anderen in die Augen schauen zu können. Starr fixierte er die blasse, einstmals zerschnittene Haut, die sich zum Gedenken über das junge Gesicht zog. „Die Narbe. Das war Killer“, stellte Law nüchtern fest, verpackt als eine Aussage, wie es ihr Spiel am Nachmittag gebot. In jedem Detail verfolgte Law nun, wie sich Kids Stirn in überraschte Falten legte und er seine Lippen verwundert voneinander trennte. Keine Worte, stattdessen diese alles enthüllende Mimik. Zwar behielt Law sein Gesicht ausdrucklos, doch innerlich schossen die Endorphine durch seine Adern. Es war der erste Moment, indem er eine tiefgreifende Reaktion in Kid auslösen konnte. Ganz anders als im Park, denn dieses Mal wusste er, dass er Recht hatte – und Kid war sprachlos. Law hatte es geschafft, einen Teil der ansonsten so kontrollierten, trüben Fassade, die nichts als verstörende Überlegenheit kannte, bröckeln zu lassen.
 

Und doch: Nach Ewigkeiten der Bestürzung, verzog sein Gegenüber den Mund zu einem breiten Grinsen, das weiße Zähne blitzen ließ. In angespannter Erwartungshaltung schaute Law zu, wie Kid langsam eine Hand hob, eine Daumenspitze auf seine Lippen legte und mit der Zunge kurz drüber leckte, bevor er seinen Arm langsam ausstreckte. Es war vollends ruhig geworden im Gang, selbst das Dröhnen des Basses schien in eine andere Dimension entglitten zu sein. Sie waren allein. Allein in der Stille; ganz aufgehoben ohne Worte.
 

Die Situation war so abwegig; so gegen alles, was Law aus seinem Leben kannte. Gebannt wollte er sich dem Augenblick hingeben. So zuckte er nicht einmal oder wehrte sich gar, als sein Gegenüber begann, mit seinem Daumen die dünne dunkelrote Schliere Blut von seiner Wange zu wischen. Es war eine vorsichtige Berührung, geradezu zärtlich, während die übrigen Finger sanft unter seinem Kiefer ruhten. Law blieb vollkommen regungslos, wartete geduldig ab, bis Kid mit einem Werk zufrieden war, seine Hand von ihm löste und lächelte. Irgendwie verträumt. Dann – wie ein großer Bruch dieser stillen Begegnung - rieb er sich seine Hand ungalant am Hosenbein ab. „Du solltest ihn besser nicht provozieren“, konstatierte Kid, ging an Law vorbei und zurück in den Innenraum der Bar. Als die Tür sich öffnete, hatte der Mediziner bereits aufgeholt und folgte dem Rotschopf in den dunklen Lärm.
 

„Du solltest mich vielleicht vorwarnen, dass deine Freunde auch alle geisteskrank sind“, rief Law plötzlich aus, auch wenn es wie ein Flüstern klang, dank der Lautstärke, mit der die Band auf der Bühne spielte. Er war wütend. Das Adrenalin pumpte immer noch durch seinen Körper, zusätzlich beflügelt von dem Augenblick, in dem er gespürt hatte, dass er Kid aus der Reserve locken konnte. Beim vorletzten Wort drehte sich der Angesprochene um. Es war dunkel, bunte Lichter huschten über die Menge und die Decke, fingen sich im gesammelten Zigarettenqualm. Trotzdem erkannte Law die Wut, die in den grünen Augen blitzte. Die Brust des Rotschopfes hob und schenkte sich mit einmal Mal so angestrengt, dass es Law äußerlich verfolgen konnte. Die Hände ballte er zu Fäusten. Der Student ging einen Schritt zurück, spürte die geschlossene Tür hinter sich, die ihn nun in die Enge trieb. Er machte sich bereit und hob die Arme, um einen ersten Schlag abzuwehren.
 

Kid war schneller als er dachte und machte Laws Abwehr zu einer Farce. Bevor er reagieren konnte, stand sein Gegner nah genug vor ihm, dass er unfähig war, zu handeln. Entsetzt hielt Law den Atem an, brachte seine Muskeln auf schützende Spannung und leerte seine Lungen schlagartig, als er den Kontakt mit Kids Faust spürte, die seine Leber anvisierte, traf… aber nicht durchzog. Der Hieb wurde gebremst, kurz bevor er Schaden anrichten konnte. Law schluckte trocken; war paralysiert. Er rang nun unregelmäßig nach Luft, spürte dabei Kids warmen Atem auf dem Nacken. Der Terror zuckte immer noch durch seine Glieder, brannte auf den Knochen. „Den hab ich noch gut“, flüsterte eine todernste Stimme in sein Ohr. Die Faust drückte stärker.
 

„Noch gut?“, fragte Law, mehr aus Reflex als aus Kalkulation. Neben seinem Gesicht hallte ein müdes Lachen, allerdings keine Erklärung. Law dachte nach. Dachte an ihre Treffen. An die Dinge, die er gesagt und getan hatte. Dachte an die zweite Begegnung mit Kid im Büro seines Onkels. Dachte an die Frage… An den ersten Fausthieb, den damals allerdings das Whiteboard einsteckte.

„Wegen der Frage nach…“, begann er, kaum hatte er verstanden, worauf Kid anspielte. Er vollendete allerdings nicht den Satz, aus Angst, der Schlag könnte doch noch zu Ende ausgeführt werden. Ihre beiden Körper waren sich fast so nah wie auf dem Laubhaufen im Park und auch seine Anspannung war die gleiche. Nur suchte Law dieses Mal eigenständig den Kontakt mit Kids Augen.
 

Bevor er den Kopf jedoch drehen konnte, hielt Kid ihn auf, indem er seine Wange gegen Laws legte. „Nicht wegen der Frage“, entgegnete er, „sondern weil es die verdammte Scheiße einzige Frage ist, die dich an mir wirklich interessiert.“ Law riss überrascht die Augen auf. Dann drückte er sein Gesicht ganz unbewusst fester gegen Kids. Meinte er das ernst? Die Gedanken des angehenden Mediziners vermengten sich zu einem wirren Durcheinander, bis ihm schwindelig wurde. Er wollte begreifen, wie weitreichend das Geständnis war, von dem er in diesem Moment Zeuge werden durfte; versuchte den Tag und die Sitzungen bei seinem Onkel in einem neuen Licht zu sehen. Wenn Law diesen Satz richtig interpretierte, dann müsste er sein Verständnis von Kid noch einmal vollkommen überdenken; dann drehte dieser bei der Frage nicht durch, weil er an den fünf Jahre zurückliegenden Vorfall erinnerte wurde. Nein. Er wurde einzig und allein wütend, weil ihm seither nur diese eine Frage gestellt wurde. Keine andere. Nie. Warum hast du es getan? Es war das einzige, dem die Ärzte und alle anderen auf den Grund gehen wollten. Störte es ihn, dass er von Menschen auf genau diesen Fehler reduziert wurde? Law hatte so viele Fragen im Kopf und hätte sie nur allzu gern gestellt. Doch das war unmöglich.
 

Die Faust hatte den Druck auf seine Leber reduziert, verweilte aber in drohender Nähe, während Kids heißer Atem auf Laws Nacken kitzelte. Umringt von schlechter Luft mischte sich in Laws Sinneseindruck auf einmal ein ganz neuer, fremdartiger Geruch, den er zuvor gar nicht bemerkt hatte. Ein angenehm beruhigender Geruch in dieser einschüchternden Situation. Wieso nahm er ihn jetzt wahr? War es der erste Einblick in Kids labyrinthartiges Seelenleben, der dem Mediziner soeben gestattet worden war? Ergab das Sinn? Law war durcheinander. Für einen Augenblick fragte er sich, ob es daran lag, dass er Kid so erschreckend nah war. Eine Nähe, die ihn geradezu mechanisch antworten ließ: „Willst du, dass ich mich für mehr interessiere?“
 

Kaum war es ausgesprochen, da löste sich Kid aus ihrer absonderlichen Umarmung, schob verwundert die Augenbrauen zusammen und musterte sein Gegenüber. Ein Mann ging an ihnen vorbei, rempelte Kid provokant an und war auffallend enttäuscht, als der Rotschopf nicht darauf einging. Law verharrte mit dem Rücken zur Wand, spürte aber bereits, dass sich etwas änderte. Immer noch tanzten bunten Lichter um sie herum. Lichter, die den Geist unangenehm vernebelten und auf lange Sicht ermüden würden. Die Band war laut, die Menschen betrunken, der Boden klebte, die Luft war viel zu warm… Law ballte seine Hände zu Fäusten. Er verstand jetzt, was neu war: Es war die Fassade. Vielmehr der bröckelnde Putz, den er nun begann, mit seinen Fingerkuppen in mühseliger Kleinstarbeit abzuschaben. Jede noch so kleine Veränderung in Kids Mimik ließ seine Neugierde selbstbewusster werden.
 

Soweit es sein kleinerer Körper zuließ, bäumte sich Law vor Kid auf. Dieser schaute daraufhin nur noch verwunderter, hob schützend eine Hand und legte sie auf Laws Brust – keine liebevolle Geste, sondern eine Absicherung. Trotzdem ein ganz anderes Zeichen als der Angriff von eben. Der Student genoss das Gefühl der vollen Aufmerksamkeit und der offenkundigen Tatsache, dass es nun Kid war, der keine Ahnung hatte, wie er auf Law reagieren sollte, ohne… Ja, ohne sich und seinem Gegenüber einzugestehen, dass ihm etwas an Law lag – was auch immer es sein mochte. Konnte es ihm nicht egal sein, ob der Student sich für ihn interessierte? Ging es ihm ums Prinzip oder ging es ihm um Law selbst?
 

Der Medizinstudent kam dem Gesicht mit den blassen Lippen immer näher, wobei er selbstsicher in grüne Augen starrte. Entschlossen legte er seine Hand auf Kids, die immer noch auf seiner Brust ruhte, umschloss sie und zog sie von sich weg. Seine Lippen zierte ein erwartungsvolles Grinsen, als er zu den Worten ansetzte, die Kid aus seiner erbauten Festung des Desinteresses und der Gleichgültigkeit, welche ihn so faszinierend und gleichzeitig so wenig greifbar machte, locken sollten.
 

„Du hast aber Recht. Die Antwort auf diese Frage interessiert mich ganz besonders“, gestand Law und war wenig verwundert über die Enttäuschung, die er dadurch in Kid auslöste. Dieser presste die Lippen fest aufeinander, spitzte sie genervt und legte den Kopf schief – Ein Ausdruck der deutlich zeigte, dass er abwägte: Zuschlagen oder laufen lassen? Bevor die Entscheidung zu seinem Nachteil ausfiel, entschied sich Law weiterzusprechen: „Wenn es dir nicht passt… Ich kann auf der Stelle verschwinden.“ Der Student spürte die freudige Erregung der Jagd durch seine Glieder zucken, beobachtete verspielt und gerade blutdurstig die prekäre Lage, in die er den Rotschopf durch einen so simplen Satz gebracht hatte.
 

Ihm war klar geworden, dass Kids Macht über ihn an diesem Tag daher rührte, dass Law ihm wie ein Küken seiner Glucke gefolgt war: Blind hinterhergetapst, in der Hoffnung, er würde die große weite Welt zu sehen bekommen und der Angst, die Mama würde ihn allein lassen. Ein so einfacher Satz, der Kid jedoch mit aller Härte zeigen sollte, dass Law dieses Spiel nicht bis ans Äußerste mitspielen musste. Dass er gehen konnte. Dass die Macht, die Kid über ihn hatte, nicht so groß war, wie es sich der Rotschopf vielleicht erhoffte. Ein unsicheres Spiel mit den Mundwinkeln, das in einem schelmisch ertappten Blick zu Seite endete, machte deutlich, dass Kid augenblicklich verstand, auf welche Schwachstelle im System Law gerade gestoßen war: Er hatte nicht ohne Grund den ganzen Tag vor der Klinik gewartet.
 

„Nein…“, entgegnete Kid schließlich oder zumindest formten seine Lippen das Wort, denn obwohl Law dem blassen Gesicht, das nun im Sekundentakt die Farbe wechselte, unglaublich nah war, konnte er nichts verstehen. So fragte er provokant: „Was?“, und grinste. Kid erwiderte die Mimik, guckte verhalten zur Seite und hatte offenbar verstanden, welches Spiel Law nun mit ihm begonnen hatte. Der Student konnte indes sein Herz beinahe durch seinen gesamten Körper pochen hören, während das Adrenalin sein Blut zu einem unaufhaltsamen Treibstoff machte, der ihn diese kleine Scharade immer weiter treiben lassen wollte. Er war am Zug. Kid lachte, fuhr sich durch die Haare und drehte sich zur Seite, um einem betrunkenen Mädchen die Bierflasche aus der Hand zu nehmen und diese unwiderruflich zu leeren. Das Opfer war ohnehin zu benebelt, um sich zu wehren.
 

Noch einmal schaute der Rotschopf durch den Raum, drehte sich letzten Endes und musterte Law mit einem Blick, der ihn beinahe auszuziehen vermochte. Einen Augenblick spürte der Mediziner vertrautes Unbehagen in sich aufsteigen – doch das würde er nicht zulassen. Nicht jetzt, wo sich die beiden jungen Männer das erste Mal auf Augenhöhe zu begegnen schienen. Und dann… Ohne Vorwarnung und im vielleicht letzten, verzweifelt aufbegehrenden Versuch sich ein Stück seiner Kontrolle durch Unvorhersehbarkeit zurückzuerobern, hatte Kid die letzten Zentimeter zwischen ihnen überwunden und nahm Laws Gesicht in seine Hände. Voll freudiger Erregung sah er ihn an und wiederholte: „Nein!“, dieses Mal in deutlicher Lautstärke. „Bleib“, forderte er oder wünschte es vielmehr, denn nun war es Kid, der eine Bitte an Law richtete.
 

Die intime Berührung im Gesicht war überraschend und stimulierend zugleich. Die grünen Augen so faszinierend, dass sie die Welt um sich herum zu einer unbedeutenden Nebensache werden ließen und dröhnende, vibrierende Bassklänge einsaugten, bis nur noch alles verzehrende Stille zwischen den zwei Menschen lag. Law spürte Kids rechten Fuß, der neben seinem stand; er spürte ihre Hosenbeine, die sich aneinanderdrückten; die warmen Oberkörper, die sich streiften und seine erhitzten Wangen, die von besitzergreifende Handflächen umklammert wurden. In einer anderen Situation hätte er vielleicht den Zigarettenqualm wahrgenommen, der chronisch an Kids Fingern hing. Doch nun, in diesem Augenblick, war alles um ihn abermals erfüllt von diesem hypnotisierenden Geruch. Sein Herz wollte ihm aus der Brust springen, als er nachdenklich verträumt Kids Gesicht in aller Ruhe untersuchte und an dessen schmalen Lippen hängen blieb, die sich erwartungsvoll verzerrten.
 

Doch mit der Ankunft der Stille verließ sie die schützende Atmosphäre der Verwunderung, die sich um Kid gelegt hatte. So schien es, als würde dieser das Gefühl der Kontrolle immer mehr zurückfordern – mit jedem Atemzug, der Laws Reaktion um einen weiteren Augenblick verzögerte. Der Student war am Zug. Er hatte die Antwort gewollt, eher provoziert und nun sah er sich außer Lage adäquat zu kontern. Er wollte weiterhin überraschend sein, fordernd, unvorhersehbar – so wie Kid. So wie das, was ihn seit Wochen faszinierte. Er liebte das Risiko und doch schien es, als hätte er immer noch nicht genug riskiert – trotz lebensmüder Todesfahrten, seltsamen Bekannten und kalten scharfen Klingen. Dieser Ausflug wurde zu einer aufputschenden Droge und er wollte mehr von ihrer süßen Wirkung. Er wollte Abenteuer. Er wollte…
 

In dem Moment, in dem Kid ihm erlaubte, einen kleinen Teil seiner Welt zu verstehen; der Moment, in dem Kid seine absolute Kontrolle aufgegeben hatte: Er schien der Moment zu sein, in dem auch Laws Verstand schlussendlich seine Kontrolle abgegeben und sie stattdessen an seinen Instinkt delegiert hatte. In einem letzten, nicht zu unterdrückenden Wunsch weiterhin die Oberhand in seinem Spiel mit Kid zu behalten, hatte Law die ihn fesselnden Hände weggeschlagen, nun selbst das gegenüberliegende Gesicht ergriffen und es zu sich gezogen. Es war der Moment, in dem jeder der zwei jungen Männer einen Teil ihrer so wichtigen Kontrolle über sich selbst und den anderen aufgaben. Gierige Lippen trafen geradezu erlösend auf ein ebenbürtiges Paar. Beide schmeckten sie die bittere Süße, die nur das Übertreten einer lebensbewahrenden Grenze erschaffen konnte. Law forderte einen Kuss, der ein Siegel auf ihr nahendes Schicksal pressen sollte.
 


 

~*~
 

Springen


 

Neunter Teil
 

Sein Geschmack waren fast vergessene Erinnerungen. Er schmeckte nach heißen Sommertagen und erröteter Haut, nach hohen Bäumen mit rauer Rinde und aufgeschürften Knien. Er schmeckte nach Eiscreme, die zu schnell schmilzt und über die Handfläche tropft, bis alles klebt; nach lautem Lachen und den Abenteuern, die man erleben konnte, wenn man nachts die Taschenlampe unter der Bettdecke anstellte. Er schmeckte nach Pfeil und Bogen und Wasserschlachten im See, bis die Lippen blau waren; nach Schatzkarten, Banditen und Drachen. Er schmeckte nach unendlicher Müdigkeit und der warmen Decke, unter der man sich eng umwickelt und geborgen eine letzte Geschichte von mutigen Helden anhörte, bis der Tag sein Ende nahm. Der Geschmack waren die Freiheit und der Mut, die sie alle einst besessen hatten; Träume und das Vertrauen darauf, das sie eines Tages wahr werden würden. Eine fast vergessene Zeit, die das Leben noch liebte und doch immer mehr vom nüchternen Kalkül der Erwachsenenwelt verdrängt wurde.
 

Als Law seine Hände auf Kids Wangen legte und ihn entschlossen zu sich zog, da hätte er niemals geglaubt, dass ein einziges Paar Lippen eine solche Woge der Sensation in ihm auslösen konnte. Lippen, schmal und doch weich, die wie im Kontrast zu der rauen, nachlässig rasierten Haut standen, die sie einrahmte. Law hatte Mädchen geküsst; viele Mädchen. Anfangs war es aufregend gewesen, wenn sie ihm näher kamen, langsam die Augen schlossen und leicht den Mund öffneten, während sie darauf warteten, dass Law einen ersten Kuss einfordern würde. Diese Mädchen schmeckten süß, ihre Zungen warm und weich wie ihre Körper, die ihn geradezu hingebungsvoll aufforderten, mit ihnen zu spielen. Kid schmeckte nach nichts dergleichen. Seine Lippen waren wie der Sprung aus weiter Höhe, bei dem man hoffte, dass das Wasser unter einem tief genug war, um das Schlimmste zu verhindern. Und dennoch sprang man. Es gab dabei keinen Grund, außer dem Sprung selbst. Man sprang, weil man es musste. So wie Kinder Bäume immer höher kletterten, nur um herauszufinden, wie weit sie kamen, bis sie schließlich fielen.
 

Kaum hatten sich ihre beiden Münder getroffen, da war es Kid, der nach kurzem, verwundertem Verharren eine Hand in Laws Haaren unter der Mütze vergrub, seinen Kopf nahezu fixierte und denn Kuss intensivierte. Law bemerkte die heiße, feuchte Zungenspitze auf seinen Lippen. Er kannte die Geste nur zu gut, war doch sonst er derjenige, der sie einsetzte. Beinahe wäre er auch drauf eingegangen, hätte er nicht dieses unbezwingbare Bedürfnis in sich pochen gespürt, die Kontrolle behalten zu wollen. Anstatt also auf die Forderungen seines Gegenübers einzugehen, löste er sich schlagartig und blickte in Kids perplex schimmernde Augen. Er verharrte, genoss den Moment und löste eine Hand, um seine Fingerspitzen flüchtig durch rote Strähnen wandern zu lassen. Kaum hatte er den Hinterkopf erreicht, ballte er die Hand zu einer Faust und zog dabei frech an Kids Haaren, sodass dieser erschrocken den Mund öffnete: Ein Reflex, den Law nutze, um das zu vollenden, was Kid kurz zuvor begonnen hatte. So beugte er sich nach vorn, legte seinen Kopf in den Nacken und stahl sich den zweiten Kuss. Dieses Mal fordernder. Süchtiger. Nachdem schon die Lippen allein so viel versprachen, was würde denn erst die Zunge können?
 

Er spürte Kids festen Atem auf seinem Gesicht, als dieser vor Überraschung alle Luft aus seinen Lungen presste und bald darauf wieder gierig durch die Nase einsog. Law wusste von sich selbst, dass er gut küssen konnte. Es war ihm oft genug von seinen kleinen Liebeleien bestätigt worden und der Erfolg, den er bei Frauen hatte, sprach für sich. Ein Kuss und er war sich sicher, dass er die Kleine mit nach Hause nehmen konnte. Er ging immer in seine Wohnung, nie zu den Mädchen. Viel zu praktisch war es, seine Sachen direkt um sich zu haben und am nächsten Morgen keine langen, verschlafenen Heimfahrten auf sich nehmen zu müssen. Ein Kuss und er hatte alles in seiner Hand. Selbstsicher suchte er mit der eigenen nach der gegnerischen Zungenspitze; doch hatte er die Rechnung ohne den Konkurrenten seines kleinen Spiels gemacht.
 

Kids Küsse waren das Ebenbild seines Geschmacks. Es gab keinen Rhythmus; kein Pendel, das seine Mitte fand; keinen wiederkehrenden Fleck, auf dem man sich in Sicherheit wiegen konnte. Ein zärtliches Streifen der Münder, ein Biss in die Unterlippe und dann doch eine Zunge, die verspielt mit ihrem Gegner rangelte. Zwei Hände, die sich abermals besitzergreifend auf Laws Wangen legten. Anfangs versuchte Law ein letztes Mal die Oberhand zu gewinnen, doch scheiterte an der süßen Lust, die sich aus dem schelmischen Spiel der beiden entwickelte. Vorhersagen, einlassen, kontern, ergeben… Es gab nicht genug Verben auf dieser Welt, um zu beschreiben, was gerade passierte.
 

Waren sie noch in der Bar? Spielte die Band noch? Oder hatten sie endlich den Weg ins Wunderland gefunden? Es wäre nur zu logisch, fühlte sich Law doch gerade, als würde er springen. Ohne Ziel und ohne jeden Boden, der Rettung oder Vernichtung brachte. Ein langer Sprung ins Ungewisse, umrahmt von allen interessanten Dingen. Der Sprung in den Kaninchenbau. Das Aufflackern dieses Gedankens ließ Law grinsen. Kid nutzte die Geste gleichsam, um seinem Spielpartner ein weiteres Mal frech in die Lippe zu beißen, nur um sich anschließend mit einer angenehm heißen Zungenspitze zu entschuldigen. Was wäre so falsch am Wunderland? Uhren blieben stehen; zwangen Menschen an unendlich langen Tischen für den Rest ihres Lebens mit anderen die Zeit des Tages zu zelebrieren, an der die Arbeit vergessen wurde und der Tag und die eigene Existenz ihre Mitte fanden. Alles nur, weil ein Hutmacher die Zeit gestohlen hatte… Vielleicht konnte sich Law an Tee gewöhnen?
 

Dieses Mal war es Kid, der den Kuss unterbrach. Geradezu enttäuscht öffnete Law seine Augen, die er – ohne es selbst zu merken – in der Intensität ihrer Begegnung geschlossen haben musste. Mit noch zur Hälfte geöffnetem Mund starrte er auf den Rotschopf und versuchte dabei, die quälend schnellen Wechsel des Lichts in der Bar zu ignorieren. Sein Gegenüber musterte ihn eindringlich, hatte ein Grinsen auf den Backen, das bis über beide Ohren reichte. Irgendwie aufgeregt fuhr er sich durch die abstehenden Haare, sah zur Decke und schüttelte den Kopf, bevor er sich wieder auf den Studenten konzentrierte. Perplex schob Law die Augenbrauen zusammen und versuchte die tänzelnden Bewegungen vor sich zu verstehen, da beobachtete er, wie Kid einen Arm hob: Langsam, geradezu andächtig, während die Lichtanlage zu einem Stroboskop wechselte, sodass nur einzelne, abgehackte Bilder vor Laws Augen aufblitzten. Dennoch war die Geste eindeutig und schnitt Law kurz die Luft ab, als er sie verstand.
 

Kid hatte seinen Körper seitlich zu Law gedreht und streckte seinen Arm immer weiter aus einem Winkel heraus in eine Gerade, bis er schließlich zwei Finger seiner geformten Hand gegen Laws Stirn drückte. Der Mediziner kannte das Gefühl nur zu gut, besonders die Spitzen des Mittel- und Zeigefingers, die sich schmerzhaft gegen seinen Kopf pressten. Dieses Mal ging es schneller. In rastlosen, separaten Bildern schob Kid seine Hand einen letzten Zentimeter nach vorn und machte dabei ein Geräusch, das in dem Dröhnen der Bar zu stummen Lippenbewegungen wurde. Ein Schuss. Eine stille Metapher der Gewalt im Resonanzraum dieser surrealen Welt. Eine Geste, so weitreichend, dass sie nicht mehr verstehen ließ, als das schon jeher beliebte Kinderspiel: Peng. Du bist tot! …dein Gegner fällt in den Staub und wartet darauf, dass das Spiel von vorn beginnt. Ein Kinderspiel.

Law hatte die Augen reflexartig geschlossen und öffnete sie nun, nur um zu verfolgen, wie Kid seinen Arm mit der symbolische Schusswaffe anwinkelte und über das Ende des Pistolenlaufs pustete, bevor er alle Gliedmaßen fallen ließ und sich einem hingebungsvollen, leidenschaftlichen Lachen ergab.
 

Für einen Augenblick verfolgte Law das Bild, versuchte zu verstehen und kam doch zu der Einsicht, dass dieser Abend weit hinter den Grenzen aller Rationalitäten stand. Es gab keinen Grund, zu verstehen. Man sprang, wegen des Sprungs. Die Erkenntnis rauschte wie ein Aufputschmittel durch Laws Adern, ließ nun auch ihn lachen, als er einen Schritt nach vorn trat, Kids Arm packte und ihn zu sich zog. Der Rotschopf kicherte immer noch, als Law ein weiteres Mal fordernd nach seinen Lippen verlangte, wobei eine überraschende Kälte an der Wange verriet, dass Kid vor Lachen geweint haben musste. Die bedrohliche Geste war in dem Moment vergessen, als ihre Münder aufeinandertrafen. Sinnlichkeit und Verlangen besiegen Vernunft. In unserem tiefsten Innern waren wir wohl immer noch nicht mehr als unsere Vorfahren aus der Steinzeit.
 

Law konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so ausgelassen gefeiert hatte; ob er überhaupt jemals zuvor so gefeiert hatte. Neben der Flasche Whiskey versorgte er sie in regelmäßigen Abständen mit dem billigen Bier, das an der einzigen Theke im Raum verkauft wurde. Der Student konnte nicht abstreiten, dass die Musik tatsächlich ihren Reiz hatte und mit jedem Schluck klang sie noch ein wenig besser, wilder, rebellischer. Law tanzte nicht. Da war es auch egal, wie viel er getrunken hatte. Kid war nicht anders. Doch verlockte der berauschend rasante Wechsel der Lichtshow und die eingängige Baseline zum Kopfnicken, zu taumelnden Schultern und Fingerspitzen, die den Rhythmus in schnellen Schlägen auf dem Oberschenkel begleiteten. In anderen Momenten ergab sich zwischen den beiden Männern eine kindliche Rangelei um den Besitz des Whiskeys, die zumeist in einem weiteren Kuss endete, bei dem berauscht wacklige Beine unkontrolliert durch den bedrängten Innenraum wankten. Zeit war bedeutungslos in dieser kleinen Welt. Alles was zählte war der Moment und das alles umhüllende Gefühl das Leben in all seinen Facetten aufzunehmen. Bilder blitzten vor den Augen; Worte wurden gewechselt und gleich darauf wieder vergessen; Berührungen ausgetauscht, die Sehnsucht weckten.
 

Irgendwann stand Killer neben Kid, aufgetaucht wie ein Tiefseetaucher aus dem Nichts der dunklen, unberechenbaren See. Die zwei wechselten flüchtig einige Worte. Kid fing an zu gestikulieren, während Killer vollkommen ruhig blieb, verharrte und mit seinem Schal jede Chance darauf verbarg, zu erahnen, welche Gedanken er gerade mit Kid teilte. Law blieb auf sicherem Abstand, entschied sich erneut zur Bar zu gehen, ohne jedoch seine zwei Begleiter aus den Augen zu lassen. Die Unterhaltung endete damit, dass sich Killer hart mit der Schulter gegen Kid warf, als er an ihm vorbeirauschte, um die Bar zu verlassen. Kid hob deutlich genervt die Arme in die Luft und schaute seinem Kumpel hinterher. Anschließend drehte er sich zu Law, wobei er seine Augen in einer eindeutigen Geste verdrehte. Law lachte. Irgendwie erleichtert.
 

Die meisten Leute waren gegangen, als die Band ihr Programm und zwei Zugaben beendet und die Bühne verlassen hatte. Kid und Law waren jedoch geblieben, bis die erschöpfte Frau hinter der Bar kein einziges Bier mehr verkaufen wollte – trotz aller Betteleien. Der Türsteher gähnte ansteckend, als die zwei Jungs an ihm vorbeischlenderten und hob eine Hand, um sich bei Kid zu verabschieden. Der Rotschopf nickte, vergrub seine Hände in den Hosentaschen und erschauderte unter der herbstlichen Kälte. Es war eine dieser klaren Nächte, die noch tiefere Temperaturen ankündigte, wie man sie nur im letzten Drittel des Jahres erleben konnte. Die Sterne sprenkelten den dunklen Nachthimmel, während sich der Mond in geklautes Licht hüllte und Silhouetten über die Mauern der Stadt tanzen ließ. Auch Law musste gähnen und zog nun die Schultern fröstelnd nach oben.
 

Eine Weile gingen sie schweigend die Hauptstraße hinunter. Der Wind blies kühl über Laws Gesicht, auf dem die von der warmen Bar verbliebenen Schweißtropfen unter angenehmer Kälte zu trocknen begannen. „Die Band war gut“, meinte der Student schließlich, als er die Stille zwischen ihnen nicht mehr ertragen konnte. Ohne das Schritttempo zu verlangsamen, ließ Kid seine von der Dunkelheit vergrößerten Pupillen zu Law wandern, musterte ihn kurz, nur um sich daraufhin wieder auf die Straße zu konzentrieren. Offensichtlich sah er keinen Anlass, auf den Satz zu reagieren. Es entlockte Law ein erheitertes Grinsen, denn nie hätte er gedacht, dass es auf dieser Welt einen Menschen gab, der noch weniger an Small Talk interessiert war als er selbst. Sie erreichten eine Seitenstraße, verfolgten sie bis zum Ende und bogen links ab.
 

„Wo geht’s jetzt hin?“, fragte Law schließlich aus reiner Neugier heraus. Er war auf alles vorbereitet: Eine weitere Bar, ein Park, ein Club, der Kanal, eine Bäckerei, ein Stripclub, der Flughafen und auf nach Rio… Egal was, nichts würde ihn heute noch überraschen. Er war schon viel zu sehr drin, als dass er etwas abschlagen würde. Außerdem wusste er endlich mit Kid umzugehen, nicht wahr? Sein Begleiter zog eine Hand aus der Hosentasche, wischte sich selbst durchs Gesicht und fuhr anschließend durch seine Haare, bevor er abrupt stehen blieb. Nachdenklich durchsuchte er mit zusammengekniffenen Augen eine Häuserecke, bis er etwas fand und grinste: „Nach Hause“, erklärte er knapp, schob mit dem Fuß Müll zur Seite und tapste in die Dunkelheit. Law riss überrascht die Augen auf, konnte nicht verhindern, dass sich sein Mund in einer Mischung aus Entsetzen und Mitleid öffnete, während er mit einer Hand auf das Durcheinander vor sich zeigte: „Bitte sag mir nicht, dass du hier schläfst.“ Er schluckte schwer.
 

Kid hielt perplex inne, drehte sich nachdenklich zu Law und gackerte plötzlich unter seinem Anblick. Kurz schüttelte er den Kopf, dann griff er nach einem Gegenstand und zog daran. „Du bist echt nicht der Hellste, was?“, feixte Kid und war so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er gar nicht mitbekam, wie Law beleidigt den Mund verzog. Ein Ruck hallte durch die Gasse, während eine Ratte, von den nächtlichen Machenschaften gestört, an Law vorbeihuschte. Wenige Sekunden später hatte Kid einen alten Einkaufswagen auf die Straße gezogen, hopste elegant hinein und machte es sich bequem, indem er seinen Kopf gegen das Ende mit dem Griff lehnte und seine Beine über das andere baumeln ließ: „Schieb mich“, forderte er Law wie selbstverständlich auf und schloss müde die Augen.
 

„Wieso sollte ich?“, murrte der Student; war offensichtlich immer noch getroffen. Kid schnaubte entnervt aus: „Sei keine Zicke. Ich bin heute schon das Rad gefahren.“ Law hielt inne, ignorierte das Wort ‚Zicke‘, gab schließlich nach und begann den Wagen zu schieben, wofür er sich erschöpft auf die Plastikhalterung lehnte. Er war zu müde, um unnötige Diskussionen vom Zaun zu brechen. „Ich gehe aber zurück zur Bahn“, konstatierte Law, lehnte sich mit Kraft nach vorn und brachte die Räder ins Rollen. Kid gluckste. „Viel Spaß. Die nächste kommt in zwei oder drei Stunden.“ Daraufhin war es der Student, der einen genervten Laut hören ließ: „Ich wusste gleich, dass ich mit dem Auto hätte fahren sollen. Welcher Idiot fährt denn auch bitte kein Auto?“, platzte es auf ihm heraus, während er ungläubig zu dem jungen Mann im Einkaufswagen sah. Dieser kicherte, ließ die Augen aber geschlossen.
 

„Ist es nicht komisch?“, fragte Kid vollkommen ruhig in die Stille der Nacht hinein, wobei der Atem vor seinem Mund sichtbar wurde. „Was?“, hakte Law nach, als keine Erklärung folgte. „Als die Eisenbahn erfunden wurde, da wollte zunächst keiner mit ihr fahren, denn die Menschen glaubten, dass jede Geschwindigkeit über 50 km/h das Gehirn gegen den Hinterkopf quetschen und die Passagiere dadurch töten würde“, erzählte der Rotschopf und begann seine Beine über dem Ende des Wagens abwechselnd schaukeln zu lassen. Law musterte ihn, ohne aber den Sinn der kleinen Geschichte zu erfassen. „Ich meine ja nur“, fuhr Kid bald darauf fort und rieb sich mit dem Zeigefinger unter der Nase, „die Menschen von heute haben Angst vor Spinnen und Mäusen, aber Fahrzeuge, die ohne Probleme 240 Sachen drauf kriegen, die finden sie vollkommen normal.“ Er lachte und tatsächlich hatte er es geschafft, Law für einen Augenblick nachdenklich zu stimmen. Kurz sah der Student in den Sternenhimmel über ihnen, bevor er lächelnd den Kopf schüttelte. „Ich finde dich eher seltsam“, sagte er schließlich, spürte bald darauf ein Zwicken am Bein und verfolgte die Kid mit einem verspielten Grinsen die Augen öffnete, einen Arm von außen zurück in den Wagen nahm und anschließend etwas in den Händen hielt.
 

„Und trotzdem bist du hier und degradierst dich selbstständig zu meinem Chauffeur“, setzte ihm Kid entgegen, rieb sich durch die Augen und gähnte herzhaft. Einige der Straßenlaternen waren kaputt und zeugten davon, wie wenig Interesse die Stadt in diesem verdreckten Stadtviertel haben musste. Allein der Mond und wenige Fenster, aus denen zu dieser späten Stunde noch Licht schien, erhellten ihnen den Weg. Law konnte daher erst erkennen, womit genau Kid gerade spielte, als der Display des Smartphones in seinen Händen zu leuchten begann und mit seinem künstlichen Licht wunderliche Schatten auf das Gesicht seines neuen Besitzers zeichnete. Der Anblick war so unerwartet, dass der Student seinen Konter auf Kids vorangegangene Anmaßung vergaß und stattdessen zur Sicherheit an seine nun leere Hosentasche packte. „Gib das wieder her!“, murrte er, blieb stehen und streckte eine Hand nach seinem Telefon aus. Kid hatte das Gerät allerdings weggezogen, bevor Law es hatte erwischen können.
 

Chancenlos musste er verfolgen, wie der Junge im Wagen mit dem Finger über den Bildschirm strich und daraufhin einige Icons studierte. Law seufzte innerlich und fragte sich, warum er sich gegen die übliche Zahlkombination entschieden hatte, die genau solche Momente hätte verhindern können. Da Kid ihm das Telefon wohl nicht so schnell wiedergeben würde, entschloss er sich daher, einfach weiterzulaufen. „Macht es Spaß meine Nachrichten zu lesen?“, fragte er genervt, als der Einkaufswagen wieder in Bewegung war. Kid drehte seinen Kopf über die Schulter, um Law verwundert anzusehen. „Wieso sollte ich die lesen wollen? Die sind bestimmt genauso langweilig, wie der Rest deines Lebens…“, erklärte er nüchtern und war sich wohl mehr als bewusst, wie sehr die Aussage den jungen Mann hinter ihm traf. Law schluckte trocken, fühlte sich beleidigt und gleichzeitig ertappt, während er im Kopf die letzten Nachrichten durchging, die er geschrieben oder empfangen hatte. Wirklich interessant war wohl keine davon.
 

„Au!“, schrie Kid plötzlich auf und hielt sich sein rechtes Ohr, nachdem Law entschlossen dagegen geschnipst hatte. „Halt deinen dummen Mund“, erklärte sich der Täter, lächelte zufrieden und begann, den Wagen noch ein wenig schneller zu schieben. „Du bist ja gemeingefährlich“, beschwerte sich der Rotschopf vor ihm, ließ die Aussage einen Augenblick zwischen ihnen schweben, bis die unmissverständliche Ironie beide Männer laut lachen ließ. Kurze Zeit später schien Kid gefunden zu haben, wonach er suchte, zog seine Beine in den Wagen und hockte sich hin, sodass er seinen Oberkörper nach hinten gegen Laws Brust pressen konnte. „Was hast du vor?“ Der Mediziner konnte nicht abstreiten, dass die Nähe des anderen für ihn inzwischen alles andere als unangenehm war; besonders in der herbstlichen Kälte. Anstatt etwas zu antworten, hob Kid das Smartphone nach oben, streckte seine Arme aus und lehnte seinen Kopf gegen Laws Hals, als mit einem Mal ein Blitz die schwarze Dunkelheit durchschnitt.
 

„Fuck!“ Kaum war es passiert, kniff Law die Augen zusammen und versuchte das unangenehme Brennen loszuwerden. Selbst nach mehrmaligem Blinzeln huschten immer noch dunkle Punkte vor seinen Augen umher. Kid kicherte: „Du siehst furchtbar aus… Das müssen wir noch mal machen“, forderte er, nachdem er sich das gerade gemachte Foto angeguckt hatte. Anschließend griff er mit einer Hand nach dem Kragen von Laws Mantel und zog den Studenten zu sich hinunter: „Bereit?“ Law blinzelte zwar immer noch unkontrolliert, doch versuchte er trotzdem in die Kamera zu gucken. Ein zweiter Blitz. Ebenso unangenehm, aber dieses Mal war Law wenigsten darauf vorbereitet. „Glücklich?“, murrte er, schnappte sich sein Handy zurück, als Kid gerade das Bild begutachtete und verstaute es umgehend in seiner Hosentasche. „Du schaust zwar, als hättest du gerade einen Welpen überfahren, aber ja, dafür sehe ich umso besser aus“, erwiderte Kid frech und setzte sich nun - so gut es mit seinen langen Beinen ging – im Schneidersitz in den Wagen.
 

Die Straße endete in einer Linkskurve, nach welcher der Weg zu einem kleinen Abhang wurde. „Es war auch nicht gerade mein Traum, in eisiger Kälte einen verdreckten Einkaufswagen durch ein heruntergekommenes Viertel zu schieben“, warf Law dem Ganzen entgegen und konnte nicht leugnen, dass es hier an jeder Ecke nach Müll und schlimmeren Überresten roch. Kaum hatte er es ausgesprochen, da warf Kid seinen Kopf in den Nacken, grinste breit und schüttelte den Kopf: „Was ein Sonnenschein…“, feixte er sarkastisch.
 

Law hatte die Anspielungen auf seine Laune satt - mehr als das - und so folgte er einem ersten Instinkt, umklammerte den Griff des Einkaufwagens fester, lehnte sich mit aller Kraft nach vorn und begann zu laufen. Der Abendwind strich kühl gegen sein Gesicht, ließ vor Kälte Augenflüssigkeit über seine Wangen laufen. Dennoch tat die zunehmend beschleunigte Herzfrequenz unglaublich gut. Kid kommentierte den plötzlichen Geschwindigkeitswechsel mit einem lauten: „Geile Scheiße!“, setzte sich in den Wangen auf und streckte seine Arme seitlich nach außen, wie die Träger eines Flugzeuges. Von Kids lauten Rufen angespornt, beschleunigte Law ein weiteres Mal seine Schritte, klammerte sich immer fester an den Wagen und zog in immer schnelleren Abstände die brennend kalte Luft in seine Lungen, bis seine Wangen rötlich leuchteten.
 

Die Art und Weise wie Kid seinen Spaß mit lautem Schreien Ausdruck verlieh, entlockte Law sogar ein Lachen: Laut genug, dass sich ein Fenster hinter ihnen öffnete, aus welchem ihnen ein älterer Mann im Unterhemd diverse Beleidigungen hinterherrief. Law genoss jedes einzelne Wort, jeden kalten Windstoß und jeden schnellen Schlag seines Herzens. Es war dumm und eigentlich war er schon viel zu alt für solchen Kinderkram… Aber warum machte es ihm so viel Spaß? Sein Kopf schob es auf den Alkohol, doch eine leise Stimme in ihm wollte es einfach nur genießen. Unvermittelt wandte sich Kid plötzlich um, griff abermals Laws Mantel und zog ihn nach unten, um dem Mediziner einen Kuss auf den Mund zu drücken. Für Law kam die plötzliche Berührung ihrer Lippen so unerwartet, dass er den Griff des Wagens losließ, wodurch das Gewicht auf den Rollen nur noch von Kids Hand an seiner Jacke gehalten wurde. Er wankte nach vorn, Kid geriet erschrocken ins Taumeln und ließ zu allem Unglück auch noch seinen letzten Anker los.
 

Eine Sekunde später rollte der Einkaufswagen die immer steiler werdende Straße hinunter und nahm zunehmend an Tempo auf. „Was soll denn der Scheiß?!“, hörte Law eine wütende Stimme aus immer größer werdender Entfernung rufen, wobei er verfolgte, wie Kid mit gekränktem Gesichtsausdruck immer kleiner wurde. Nachdem sich Law wieder gefangen hatte, versuchte er mit einem Sprint, den Wagen wieder einzufangen. „Lass dich hinfallen!“, rief er Kid hinterher, als er merkte, dass die Geschwindigkeit ein gefährliches Ausmaß annahm, sodass er wohl kaum fähig sein würde, den Einkaufswagen einzuholen. Dennoch lief er. Lief noch schneller, als er sah, worin die Straße endete.
 

„Kid! Das ist eine verfluchte Sackgasse! Lass dich hinfallen!“ Law verfolgte entsetzt, wie der Wagen mitsamt Insassen seinem unvermeidlichen Schicksal entgegenrollte. Kid warf missbilligend die Arme in die Luft. „Arsch!“, hallte es von weitem über die Straße, dann konnte Law aus der Ferne erkennen, die sich der feuerrote Haarschopf langsam und wacklig auf dem Wagen erhob, wobei ausgetreckte Arme versuchten das Gleichgewicht zu halten. Kurz bevor die Häuserwand am Ende des Abhangs erreicht wurde, sprang Kid nach oben, der Wange kippte zur Seite, neigte sich auf den harten Asphalt und schlitterte die letzten Meter, bevor er weitestgehend gebremst gegen Beton schlug. Kid landete mit den Füßen auf dem Boden, schien durch den Schwung jedoch den Halt zu verlieren und fiel unter einem dumpfen Knall nach vorn. Als Law ihn erreichte, drehte er sich gerade wieder auf den Rücken. „Du dreckige Ratte!“, beschwerte er sich, als er erkannte, wer über ihm stand und ihm eine Hand zum Aufstehen anbot.
 

Law lachte. Zwar wirkte es wie Schadenfreue, doch innerlich wusste er, dass es pure Erleichterung darüber war, dass dieser kleine Unfall nicht schlimmer geendet hatte. „Du hast mich überrascht“, verteidigte er sich, wartete, bis Kid seine Handflächen von kleinen Steinen befreit hatte und zog ihn nach oben. Der Geschädigte klopfte sich die Hose ab. „Ja ja…“, murmelte er dabei in aller Ironie, zuckte plötzlich zusammen, winkelte seinen rechten Arm an und begutachtete seinen Ellenbogen. Selbst in der Dunkelheit konnte man erkennen, dass der Stoff der Jacke gerissen war und sich mit einigen Spritzern Blut tränkte. Kaum hatte er die rote Flüssigkeit erkannt, stürzte sich der Mediziner in Law wie ein Vampir auf die Beute und begann den fremden Arm vorsichtig zu drehen: „Tut das weh? Kannst du das Gelenk ganz durchdrücken?“, fragte er geradezu hypnotisiert von der Verletzung. Allerdings wurde er zu seiner Enttäuschung unsanft weggeschupst.
 

„Gemeingefährlich. Ich bleib dabei!“, wiederholte Kid, musterte Law und sorgte für angespanntes Schweigen, das sich einen Moment hielt, nur um sich in einem abermaligen Lachen der beiden jungen Männer zu lösen. Entspannung folgte auf Anspannung, Freude auf Angst, Neugier auf Misstrauen. Nachdem Kid unmissverständlich erklärt hatte, dass er Laws Finger nicht in der Nähe seines Ellenbogens haben wollte, gingen die beiden zu Fuß weiter. Aus der Sackgasse führte ein kleiner Pfad in einen Hinterhof, der mit immer noch laubehangenen Bäumen bestückt war. In der Windstille der schützenden Häuser wurde es geradezu warm. Zwar roch es immer noch verdächtig nach vergessenem Sperrmüll, doch hatte der innenliegende Garten etwas Mystisches in dieser Mondscheinnacht und Law fragte sich, ob Kid hier wohnte.
 

Gerade als sie einen Hauseingang erreichten, drängte sich eine Frage in seine Gedanken, die der angehende Mediziner beinahe vergessen hatte. So platzte sie nur allzu unvermittelt aus ihm heraus: „Aber dann heißt das, dass du nicht mit Autos fährst, weil du Angst hast? Angst zu sterben, mein ich.“ Kid drehte sich perplex zu ihm um, dachte kurz über die Frage nach, schmunzelte und legte schließlich einen Arm um Laws Schultern. „Angst vor dem Tod zu haben, wäre genauso dumm wie Angst vor der Geburt“, erklärte er und überflog die Klingelschilder. „Ich habe keine Angst zu sterben. Ich will’s einfach noch nicht, weißt du? Ich hab noch was vor.“ Law hob verwundert die Augenbrauen, sah in Kids ausdrucksloses Gesicht und versuchte dessen Gedanken nachzuvollziehen.
 

Kid drückte auf eine Klingel. Schweigend warteten sie einige Sekunden, doch nichts geschah. „Ich dachte, du wolltest zu dir nach Hause. Warum musst du klingeln?“, fragte Law nachdenklich und verfolgte, wie Kid ein weiteres Mal auf den weißen Kopf der Anlage drückte. Die Tür vor ihnen war alt und aus Holz, ihre grüne Lackierung blätterte an vielen Stellen ab. Eines der vier Fenster in der Rahmung war bereits zerbrochen. „Ich meinte auch ‚nach Hause‘. Habe ich behauptet, dass es meine eigene Wohnung ist?“, entgegnete ihm Kid schließlich, wurde ungeduldig und klingelte mehrere Male hintereinander. Law war zunächst wenig überrascht, schließlich hatte er sich ohnehin gefragt, wie sich der Rotschopf eine eigene Wohnung leisten wollte, doch überkam ihm beim zweiten Gedanken ein ungutes Gefühl. Das hier war ganz sicher keine Einrichtung für ehemalige Straftäter… Wer also würde diesen Irren bei sich wohnen lassen? Erschrocken wollte er mit einem Schritt nach hinten weichen, doch wurde er von Kids Arm in einer geradezu liebevollen Geste aufgehalten.
 

Nach einem ewig andauernden Klingelsturm rauschte es mit einem Mal aus der Gegensprechanlage. „Verpiss dich“, nörgelte eine verschlafene Stimme, verzerrt von uralter, zerfallener Technik. Kid gluckste vergnügt: „Ich hab dich auch lieb.“ Das Rauschen verstummte und wurde gefolgt von Stille. Nichts geschah, also drückte Kid weitere Male den weißen Kopf, bis die Anlage wieder aktiviert wurde. „Alter! Es ist kalt!“, drängte er. Law blickte während des Geschehens entsetzt auf die kleinen, dunkeln Rillen der weißen Plastikabdeckung über den Klingelschildern. „Fick dich“, schloss die mechanische Stimme und beendete die Unterhaltung. Die Eingangstür wurde unter einem leisen Summen geöffnet. Laws Herz setzte mit eben diesem Ton aus. Panisch blickte er auf die Tür, die Kid mit leichtem Gegendruck öffnete. Trotz der Verzerrung hatte er direkt erkannt, wer gerade mit ihnen gesprochen hatte; wer in dieser Wohnung auf ihn wartete. Er schluckte trocken. Warum hatte er nicht gleich damit gerechnet, dass Kids „zu Hause“ bei niemand anderem sein konnte, als bei diesem psychopathischen Killer…?
 


 

~*~
 

Fallen


 

Zehnter Teil
 

Das Treppenhaus des Gebäudes war alt und ranzig und fügte sich damit geradezu idyllisch in das allgemeine Bild dieses Stadtviertels. Die Stufen waren dreckig und abgelaufen, Lack blätterte an allen Ecken und Enden ab; das Holzgeländer war so alt, dass man die Berührung lieber mied, wollte man sich keinen Splitter einfangen. In einer langgezogenen Spirale zog sich die Treppe nach oben. Auf jeder Etage befanden sich drei Eingangstüren, dekoriert mit neuen und alten Müllbeuteln, deren Inhalt sich teilweise über den Boden verteilte. Eine Katze schlängelte sich ihren Weg nach unten, als sie zwei junge Männer traf und warnend anfauchte. Kid schenkte ihr keine Beachtung, schob sie mit seinem Stiefel zur Seite und zog Law mit sich nach oben.
 

Die Beine des Studenten waren steif, der Rest seines Körpers angespannt und seine Schritte auffallend langsam. „Hast du ein Problem?“ Auf der dritten Etage blieb Kid stehen, als er offensichtlich keine Lust mehr hatte, seine Begleitung weitere Stufen hinter sich herzuzerren. Law sah ihn unsicher an. Nachdenklich fasst er sich an den eigenen Hals, an dem noch immer Reste von getrocknetem Blut klebten. „Ich denke nicht, dass dein Freund mich in seiner Wohnung haben will“, erklärte er, als er erkannte, dass diese Bedrohung zu real war, als dass er sie weiter ignorieren könnte. Kid hob verwundert seine Augenbrauen. Kurz spitze er die Lippen, dachte nach und fuhr sich übers Gesicht, wobei der das Band von seiner Stirn zog, das bis dahin tapfer die wilden Haare gebändigt hatte, nur um am Ende ungeliebt auf dem Boden zu landen. Rebellische, rote Strähnen fielen nun in alle Himmelsrichtungen und gaben ihrem Träger trotz seines Alters das Aussehen eines kleinen, frechen Rotzbengels, der sich am Morgen der Bürste der Mutter verweigert hatte. Gleichzeitig wurde die Narbe auf Kids Stirn umso präsenter.
 

„Hast du Angst?“, fragte der Rotschopf schließlich und schien dabei nicht provokant, sondern aufrichtig interessiert. Angst war zwar kein Wort, das Law gerne mit sich selbst in Verbindung brachte, doch traf es durchaus das Gefühl, das sich gerade in seiner Magengrube ausbreitete und sich in einer straffen Gänsehaut auf seinem Körper manifestierte. „Ich schätze, ich will ebenso wenig sterben wie du – und ganz sicher nicht, weil ich in solch einem Drecksloch abgestochen werde.“ Das Geständnis zauberte ein zufriedenes Grinsen auf Kids Backen, das Law jedoch nicht einzuordnen vermochte. Seine grünen Augen, die selbst im Zwielicht des Treppenhauses zu leuchten schienen, wanderten durch den Raum, suchten dann die eigenen Fußspitzen und vereinten sich schließlich mit Laws. Es schien, als würde er lange nachdenken und seine Antwort mehrfach überdenken wollen. Umso mehr überraschte Law das Ergebnis, als Kid schließlich den Mund öffnete: „Wann hast du das letzte Mal etwas wirklich Dummes getan?“ Der Gefragte schob irritiert die Augenbrauen zusammen. ‚Heute?‘, hallte es durch seine Gedanken, doch fiel ihm im selben Augenblick eine bessere Antwort ein, die der freche Anblick seines Gegenübers geradezu provozierte.
 

Mit zwei Schritten hatte Law die Distanz zwischen ihnen überwunden, funkelte Kid herausfordernd an, legte eine Hand in seinen Nacken, zog ihn zu sich und drückte ihm einen verspielten Kuss auf die Lippen. Sein Gegenpart erwiderte diesen ohne zu zögern. Um sie herum roch es nach Müll und Schimmel unter billiger Tapete; der Boden war dunkel und klebte und dennoch erinnerten ihn Kids noch kühlen Lippen an die frische Herbstluft, durch die sie bis eben gelaufen waren; Lippen, die Spaß, Herausforderung und Abwechslung versprachen: Alles das, was Law in diesem Moment brauchte.
 

Ihr Kuss endete, als die Lichter im Treppenhaus mit einem erschreckend lauten Knall ausgingen. Kid reagierte sofort, tastete sich an der Wand entlang, bis er schließlich einen Lichtschalter fand und die Dunkelheit mit leichtem Druck vertrieb. Ein schelmisches Grinsen zierte sein Gesicht, während er sich auf den nächsten Treppenabsatz stellte. „Ich bin mir sicher…“, begann er, legte seine Hände auf beide Seiten des Treppengeländers und stemmte sich nach oben, sodass er die Beine frei über den Stufen baumeln lassen konnte, „…dass viele Menschen ihr Leben um einiges mehr genießen würden, wenn sie nur ab und an bereit wären, eine Dummheit zu riskieren.“ Mit diesen Worten ließ er sich wieder auf den Boden fallen, drehte sich ohne weitere Erklärung um und schritt die Stufen nach oben. Law blieb mit seinen Gedanken zurück.
 

Kid hatte gerade die nächste Etage erreicht, da wurde er bereits von Law eingeholt. „Wieso sollte jemand freiwillig etwas Dummes tun?“, warf er dem Rotschopf neugierig entgegen. Kid grinste breit genug, um seine Zähne zu zeigen mitsamt der kleinen Lücke, die sich aus dem abgebrochenen Eckzahn ergab. Zufrieden drehte er sich zu Law, streckte seinen Arm aus und umklammerte den Knauf einer angelehnten Tür. „Weil es Spaß macht“, antwortete er überzeugt, lehnte sich leicht nach hinten und schritt in die Wohnung. Law sah ihn schweigend an. Für eine Sekunde dachte er an Peng und Shachi und an die Gespräche, die sie nachts, leicht angetrunken in verschiedensten Bars geführt hatten. Er sprach selten, während sich die beiden anderen Jungs versuchten, mit ihren jeweiligen Taten zu brüsten, wobei jedoch immer derjenige zu gewinnen schien, dessen Geschichte die Gruppe am lautesten lachen ließ; dessen Dummheit die glorreichste war. ‚Weil es Spaß macht‘, dachte Law, grinste ergebend und folgte Kid durch die Tür.
 

Das Erste, was der angehende Mediziner erblickte, als er die Wohnung betrat, war das Gesicht des Mannes, der ihm noch vor wenigen Stunden ein Messer gegen den Hals gedrückt hatte. Killers wilden, blonden Haare waren nun zu einem Zopf gebunden, der Schal war verschwunden und eine alte Trainingshose, ein schwarzes, enges T-Shirt und bloße Füße verrieten, dass Kid und Law ihn wohl tatsächlich gerade wachgeklingelt haben mussten. Verschlafen fuhr er sich über das entstellte Gesicht. „Scheiße“, seufzte seine raue Stimme, während er Law missbilligend musterte, „den hatte ich schon wieder vergessen.“ Der Student hielt dem Blick stand, auch wenn er nicht behaupten konnte, dass seine Erinnerung an den Messerfetischisten ebenfalls verblasst war.
 

Kid grinste, als er seinem Freund zur Begrüßung einen Arm um die Schulter legte. „Er sah so traurig aus“, erklärte er, woraufhin Killer frustriert lachte: „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht jeden dreckigen Köter von der Straße einsammeln und mitbringen kannst?“ Die Frage entlockte dem Rotschopf ein lautes Lachen, wobei er Law schelmisch musterte. Kurz darauf schob er schmollend eine Unterlippe nach vorn: „Aber dieses Mal werde ich mich wirklich um ihn kümmern, Papi“, erklärte er und stieg in die Scharade ein. Der Mediziner verdrehte genervt die Augen, verschränkte aber gleichzeitig schützend die Arme vor dem Oberkörper.
 

Nachdem sie die seltsame Situation weitere Sekunden genossen, griff Killer schließlich in die Tasche seiner Trainingshose, hielt seinem Mitbewohner eine gedrehte Zigarette vor die Nase und kommentierte die Geste mit einem emotionslosen: „Hier.“ Routiniert nahm Kid den eingewickelten Tabak entgegen und hielt ihn, zwischen Zeigefinger und Daumen gepresst, an seinen Mund, griff in die Bauchtasche seiner Sweaterjacke und holten ein Feuerzeug heraus. Neugierig beobachtete Law, wie sich der Rotschopf von seinem Mitbewohner wegdrehte, bevor er die Zigarette mit einer kleinen Flamme entzündete und einatmete, bis erster Qualm aus einer Nase entwich. Kid wendete sich erst wieder zu ihnen, als er den entzündeten Suchtstängel seinem Freund zurückgab. Killer nahm ihn kommentarlos entgegen. Wieder war der junge Student verwundert, denn bis eben war er sich sicher gewesen, dass es Killer war, der Befehle entgegennahm. Nun konnte er sich dessen nicht mehr sicher sein und diese Feststellung veränderte alles.
 

„Wie auch immer… Schick dein Hündchen wieder zu seinem Herrchen, bevor ich ihm in den Arsch trete“, erklärte Kids Freund schließlich, als er sich einen ersten Zug genehmigt hatte. Auffordernd sah er zu dem jungen Mann neben sich, während er das glühende Ende der Zigarette weit von seinem Körper entfernt hielt. Law schluckte schwer, spürte, wie sich seine Fingerspitzen aggressiv in seine Handballen bohrten und seine Arme vor Anspannung zu zittern begannen. Er hatte sich an diesem Abend eindeutig genug Beleidigungen von diesem nichtsnutzigen Abschaum anhören müssen. „Komm doch her und versuch’s. Aber heul nicht rum, wenn dich das Hündchen am Ende beißt“, konterte er.
 

Killer stutzte, schaute ihn für einen Moment überrascht an und trat daraufhin einem Schritt auf ihn zu. Seine nackten Füße knirschten auf dem alten Parkett. Als sich die beiden Männer im Rahmen der Eingangstür gegenüber standen, musste Law bereits seinen Kopf in den Nacken legen, um dem blonden Muskelberg ins Gesicht zu schauen. Er tat es jedoch ohne auch nur ein einziges Mal zu zwinkern. Entschlossen blickte er in blaue Augen inmitten vernarbter Haut. Killer antwortete, indem er sich - Law abschätzig ignorierend - an Kid wandte: „Deine kleine Bazille ist lebensmüde. Entweder schmeißt du ihn raus oder ich werde mich darum kümmern.“ Seine verbrannten Lippen umspielte ein vorfreudiges Grinsen. Law konterte im selben Augenblick: „Als ob ich mir von einem Trottel wie dir sagen lasse, wo ich zu schlafen habe…“ Auch wenn der Mediziner nicht verstand, woher mit einem Mal sein Leichtsinn und sein Spaß an der Provokation kamen: Er genoss jedes einzelne Wort, das er in Killers Gesicht spuckte. Er wollte sich mit diesem Kerl anlegen, der gerade alles zu verkörpern schien, was Law in dieser Welt hasste.
 

„Ist mir scheiß egal, was Kid von dir will. Ich lass einen verkackten Dreckshaufen wie dich sicherlich nicht meine Wohnung verseuchen“, erklärte Killer mit rauer Stimme, wobei das Grinsen auf seinen Lippen immer breiter wurde. Heraufordernd beugte er sich weiter nach vorn und stützte sich mit einer Hand gegen den Türbalken, sodass Law nur zu deutlich das Zucken in den Fingern seines Gegenübers erkennen konnte. Der Mediziner zwar inzwischen jedoch zu entschlossen, als dass er sich davon würde einschüchtern lassen. „Ach ja? Ist es das oder hast du vielmehr davor Angst, dass ich dein Schätzchen heute ficken könnte?“ Der Atem auf seinem Gesicht stockte für einen Augenblick und entlockte Law damit ein triumphierendes Lachen.
 

Killer war zu schlau, als dass er übersehen würde, was zwischen Law und Kid gelaufen war. Gleichzeitig konnte er aber nichts darüber wissen, was Law wirklich dachte und wollte – und das er ganz sicher nicht vorhatte, irgendeinem Kerl zu nahe zu kommen… Zumindest näher, als die Küsse in der Bar. Warum also diesen kleinen Informationsspielraum nicht gegen Killer nutzen? Die Hand des blonden Koloss schnellte nach vorn, um Laws Kragen zu packen und diesen näher zu sich zu ziehen. „Mein Schätzchen ficken? So?“, wiederholte er in rhetorisch provokanten Fragen und festigte seinen Griff. Law riss in diesem Augenblick einen Ellenbogen zurück, ballte seine Hand zu einer festen Faust und ließ sie gegen Killers Gesicht schnellen. Dieser war allerdings flinker und stoppte ihn mit seiner noch freien Hand, wobei der Zigarettenstummel zwischen den Fingern die Haut des Angreifers verbrannte. Eine Sekunde später spürten alle beide eine warme Berührung, die sie sachte auseinanderschob.
 

„Leute…“, seufzte Kid genervt aus, als er sich zwischen sie schob. „Ich bin echt zu müde für diesen Mist…“, fuhr er fort und schmatzte verschlafen, um seine Worte gestisch zu untermalen, „Außerdem wissen wir ja wohl alle, dass ich ganz sicher von niemanden hier gefickt werde. Ich werde nicht gefickt, ich ficke… verstanden?“ Mit etwas mehr Kraft presste er mit einer Hand gegen jeweils eine Schulter der Kontrahenten und stellte sich mit verschränkten Armen zwischen sie. Die schamlos unangemessene Bemerkung brachte nicht nur Law zum Grinsen, sondern ließ auch Killer ungläubig den Kopf schütteln. Kurz darauf sah der Rotschopf bestimmt zu seinem Mitbewohner: „Law bleibt heute hier. Komm damit klar.“
 

Der Medizinstudent verfolgte nun gespannt die Reaktion. Killer atmete tief ein, ließ danach alle Luft aus seinen Lungen entschwinden und fuhr sich kopfschüttelnd durch die blonden Haare. Kurz darauf begann er amüsiert zu kichern, während er nachdenklich und mit leichter Enttäuschung im Blick Kid anstarrte: „Scheint ja ganz so, als wären deiner kleinen Freundin auf dem Rückweg ein Paar Eier gewachsen“, feixte er ihm entgegen. Ein letztes Mal traf sein Blick Laws kalte, blaue Augen, dann schnipste er die Reste des Zigarettenstummels nach einem letzten Zug auf den Flur, drehte sich um und verschwand in der Wohnung.
 

Kid sah seinem Mitbewohner zunächst hinterher, dann drehte er sich unvermittelt zurück und nutzte den Schwung der Bewegung, um Law mit der Faust gegen die Schulter zu schlagen. „Ahh!“, entwich es erschrocken der Kehle des Studenten, während er beleidigt aufsah und verfolgte, wie Kid mit verzerrtem Mund seine Hand ausschüttelte – weniger wegen des kurzen Angriffs, sondern vielmehr, weil der den Arm mit dem lädierten Ellenbogen genutzt hatte. „Wie beschränkt kann man sein?“, zischte der Rotschopf mit gedämpfter Stimme und begutachtete sein Gegenüber dabei skeptisch: „Ich hatte dir doch gesagt, du sollst ihn nicht provozieren!“ Laws Lippen zierte unterdes ein abenteuerlustiges Lächeln. „Ja. Hatte ich gehört“, entgegnete er beherzt, drückte sich an Kid vorbei und betrat die Wohnung.
 

Geräumig konnte man es trotz der offensichtlich billigen Lage der Behausung nicht nennen. Insgesamt waren es vielleicht an die 50 bis 60m², die sich in einen zentralen Raum untergliederten, von dem die Türen zur Küche und zum Badezimmer abgingen, welche offen standen. Eine dritte war nur angelehnt, doch da nirgends eine blonde Mähne auszumachen war, musste sich dort Killers Zimmer befinden. „Du hast mir besser gefallen, als du noch alles getan hast, was ich dir gesagt habe“, erklärte eine erheiterte Stimme hinter ihm, deren Besitzer die Wohnungstür mit einem leisen Klicken schloss, schnurstracks in die Küche ging und den Wasserhahn aufdrehte, um etwas zu trinken. Law ignorierte den letzten Satz und nutzte die Gelegenheit, um sich weiter umzusehen.
 

Zu seiner Rechten stand ein Regal ohne Rückwand, in welchem einige Bücher lehnten und als eine Art Raumteiler auf dem Weg zur Küche fungierten. Darüber hinaus gab es ein altes Ledersofa vor einem Fenster mit ehemals weißen Streben. Ein Röhrenfernseher stand auf dem Boden. Neben diesem ruhten leere Papppackungen, die den penetranten Geruch nach alter Pizza erklärten. Ansonsten verteilten sich zahlreiche Notizblätter um einen Kaktus, welcher alleine in einer Ecke stand, umringt von einzelnen Werkzeugteilen, die hier und da das verkratzte Parkett bedeckten. Auf der anderen Seite des Regals lag eine breite Matratze auf dem Boden, mit einer zerknüllten Decke und drei oder vier unterschiedlichen Kissen. Neben ihr stand eine Kiste mit Wäsche, die ihre Kapazitäten jedoch vor längerer Zeit bereits überschritten hatte.
 

Law drehte sich ein letztes Mal um sich selbst, während er seine Tasche ablegte, die er überraschenderweise nicht in der Bar verloren hatte. Erschöpft stellte er sie auf den Boden und schluckte. Alles in allem spiegelte diese Wohnung ziemlich genau das wider, was er erwartet hatte. Allein die Wände vermochten ihn zu faszinieren, waren sie fast vollständig mit Zahlen, Formeln und Rechnungen übersät, die mit einem schwarzen Edding überall verteilt worden waren, sodass der Raum den Anschein eines dreidimensionalen Mathebuchs machte. Anders als die Tafel im Sprechzimmer seines Onkels ließen sich diese Aufzeichnungen allerdings nicht mit nur einem Wisch beseitigen. Der Mediziner in ihm begann abzuwägen: Entweder war der Rotschopf vollkommen wahnsinnig oder ein Genie. Er lächelte noch unter diesem Gedanken, als sich Kid mit einem Mal neben ihn stellte. In der Hand hielt er eine Packung Cornflakes, dessen Inhalt er selig knabberte.
 

„Ich mag Zahlen“, erklärte er ruhig, ohne den Blick von seinem kleinen Kunstwerk zu nehmen. „Sie beruhigen mich, weißt du.“ Mit fragendem Ausdruck hielt er die Schachtel in seinen Händen zu Law, doch dieser lehnte sie mit höflichem Kopfschütteln ab. „Jede Aufgabe, die ich heute rechne, hat Morgen das gleiche Ergebnis. Hat man einmal die Logik verstanden, dann ist es einfach, ergibt Sinn und Zusammenhang. Ein Mediziner denkt vielleicht, die Welt bestünde aus Zellen und Blut und anderem ekligen Kram… Aber in Wirklichkeit… sind alles Zahlen.“ Der Rotschopf lachte zufrieden, blickte von den Rechnungen weg und auf den jungen Mann neben sich. Dieser schüttelte den Kopf: „Klingt wie mein alter Physiklehrer.“ Er schmunzelte und verfolgte, wie Kid zu der Matratze auf dem Boden schlenderte. „Wie schlau von ihm. Guck!“ Ohne weiteren Kommentar ließ sich Kid rückwärts fallen und verteilte dabei einige Flakes auf seinem Schlafplatz.

„Alles Mathematik.“

„Die Krümel?“

„Die Schwerkraft.“

„Idiot.“
 

Gähnend überquerte nun auch Law den letzten Meter und legte sich neben Kid auf das Bett, wo er sogleich müde die Augen schloss; müde genug, dass es ihm beinahe egal wurde, dass sich Killer irgendwo in dieser Wohnung befand und auch, dass die Laken um ihn herum nach Zigarettenqualm rochen. „Es wundert mich irgendwie, dass gerade du die Tatsache genießt, dass Zahlen immer gleich sind“, nuschelte er leise vor sich hin. Seine Augenlider waren zu schwer, um sie zu öffnen und auch seine Lippen ließen nur noch halbherzige Bewegungen zu. In seinem Kopf tanzten die Bilder des Tages: Kekse, Mauern, Bierflaschen. Fahrräder, Laub, Drachen; Straßenbahnen, Messer und Bars; Ein Einkaufswagen; Kid. Eine Stimme kämpfte sich aus der Ferne an Laws Ohr. „Jeder braucht das“, erklärte sie in aller Weisheit.
 

Der Student drehte seinen Kopf und schaffte es mit letzter Kraft zumindest sein linkes Auge zu öffnen, um neben sich zu schauen. „Kontinuität?“, schlussfolgerte er, doch bekam als Antwort nur ein halbherziges Grinsen zu sehen. Müde öffnete Kid den Mund und gähnte, während er sich eines der Kissen schnappte und sein Gesicht darin vergrub. „Eine Erinnerung“, nuschelte er in die weichen Laken hinein. Laws Blick wanderte abermals über die unzähligen Zahlen, die in einer absurden Mischung aus Beruhigung und Wahnsinn die Wände zierten. Soweit es Kids Körpergröße zuließ, schien jeder Zentimeter genutzt worden zu sein. „Woran?“, fragte er interessiert mit einem Flüstern, als würden die beiden ein wichtiges Geheimnis austauschen wollen. Allerdings zogen sich Kids Mundwinkel lediglich weiter nach oben, dann drehte er sich auf die Seite, betrachtete für einen kurzen Moment seinen Bettnachbarn und fuhr diesem schlussendlich mit vorsichtigen Fingern sanft durch die Haare. Inzwischen kannte Law den Jungen mit der leuchtenden Frisur gut genug, um zu wissen, dass er keine Antwort bekommen würde.
 

Behutsam streichelte Kids Hand über Laws Kopf und hinterließ mit jeder Berührung ein leichtes Kribbeln, das den Studenten dazu veranlasste entspannt auszuatmen. Um sie herum wurde es vollkommen still, der alte Parkettboden hörte auf zu knarren, der Wind blies nicht mehr gegen die Fenster, die Flakes auf der Matratze zerbrachen nicht und sogar das Licht schien dunkler zu werden, als wolle es diese friedliche Szene einer eigentlich verbotenen Verbindung nicht unterbrechen. Law ergab sich den Zärtlichkeiten der fremden Fingerspitzen, spürte ganz bewusst Kids Atemhauch auf seinen Wangen und stellte sich vor, mit welchem Ausdruck ihn dieser gerade ansah. Und kaum hatte er begonnen loszulassen - sich und die eigene Vernunft, nur um endlich den Boden des Kaninchenbaus zu erreichen und aus dem verführerischen Fläschchen zu trinken – da traf es sein Bewusstsein wie ein Schlag und er konnte nicht anders, als zu lachen.
 

Von der unpassenden Reaktion verunsichert, zog Kid seine Hand zurück und hob fragend beide Augenbrauen. „‘Nen Problem?“, fragte er baff. Laws Kichern wollte nicht verebben. „Sag mir“, begann der Student, „Wird mich dein Mitbewohner heute Nacht abstechen?“ Der Gefragte legte verwundert den Kopf zurück, schüttelte diesen und fuhr sich zweifelnd durch die widerspenstige Frisur. „Und ich soll hier der Patient sein“, murmelte er schließlich, schaute kurz um sich und griff nach einem Buch, das neben ihrer Matratze lag. Während Law sich langsam beruhigte, setzte Kid sich auf und zog einen Arm nach hinten. „Nur, wenn du es verdient hast“, beantwortete er daraufhin die Frage, holte aus und warf das Buch gegen einen Lichtschalter an der angrenzenden Wand.
 

Schlagartig wurde es dunkel im Zimmer, gefolgt von einem Hall, als das Wurfobjekt auf den Boden knallte. Im Nebenraum raschelte es kurz. Für Law waren die wenigen Gegenstände im Raum nun zu einer wunderlichen Mischung aus unterschiedlichsten Silhouetten geworden. Er war zu erschöpft, um die Antwort ernst zu nehmen und zu ausgelaugt, um auch nur ein weiteres Wort mit seinen müden Lippen zu formen. Selbst sein Körper schien die Herstellung von weiterem Adrenalin eingestellt zu haben, welches ihn hätte wachhalten können. So schloss er die Augen und ergab sich schließlich der Finsternis und der Gnade all der Dummheiten, die er heute ohne Rücksicht auf Verluste begangen hatte. Und während er langsam in die Hilflosigkeit entschlummerte, erreichte ihn dabei immer wieder das erfüllende Bewusstsein, dass er heute zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit wieder lebendig gewesen war. Lustvoll lebendig. Er hatte das Leben - sein eigenes und einziges Leben, die Freude, Spannung, Frustration und Herausforderung spüren dürfen. Er lebte…
 

Als er aufwachte, war es immer noch dunkel. Orientierungslos blinzelte Law mehrere Male, zog die Stirn in Falten und rümpfte die Nase. Gerade als er verschlafen einatmete, ließ ihn eine unerwartete Berührung zusammenfahren. Warm und sanft streifte etwas seinen Nacken und kitzelte ihn mit einem sinnlichen Hauch. Erschrocken spannte er daraufhin seinen Oberkörper an, als eine fremde Hand sich langsam gegen seine Brust drückte und mit neugierigen Fingerspitzen ertastete, was sich unter seinem T-Shirt verbarg. Sein Herz klopfte alsbald mit aller Kraft und pumpte Blut in jede Faser seines Körpers, als sein Gehirn verstand, was gerade passierte – er schmunzelte. Auffällig langsam legte Law seinen Kopf in den Nacken und überspannte seinen Hals, um die fordernden Liebkosungen noch intensiver wahrzunehmen. War es falsch? Seine Gedanken waren zu vernebelt, als dass er diese schwere Frage hätte beantworten können. Wollte er eine Antwort hören? Zu verführerisch war es, alle Rationalitäten für diesen einen Tag beiseite zu legen. Eine erneute Berührung ließ ihn leise seufzen. Er lächelte - normalerweise war er es selbst, der sie verteilte, diese eindeutigen, fordernden Küsse…
 


 

~*~
 

Silhouettenspiel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Diagnose danach


 

Zwölfter Teil
 

Sein Bett fühlte sich an diesem Morgen ungewöhnlich hart an. Unter sich meinte er sogar eine Sprungfeder zu spüren, die sich unbarmherzig in seine Rippen drückte und damit geringfügig vom lauten Dröhnen in seinem Kopf ablenkte. Unzufrieden wühlte Law durch seine Bettdecke, zog sie eng an seinen nackten Oberkörper und seufzte genervt. Ein ungewohnter Geruch lag in der Luft und ließ ihn seine Nase rümpfen. Waren es seine Haare, die nach Rauch rochen? Das ganze Bett schien danach zu stinken. Während er nur langsam wieder Herr seiner Sinne wurde, streckte Law einen Fuß unter der Decke hervor und genoss für einen Augenblick die angenehm kühle Morgenluft, als er eine Stimme vernahm und erschrocken zusammenfuhr.
 

„Die grünen?“, fragte sie in den Raum hinein. „Keine Ahnung… 5? Nein. Packungen… Wieso? Brauch ich nicht… Nein. Nein. Nein.“ Den Worten folgte ein freches Lachen, dann sprach die Person weiter. „Da stand… Hal… Hale-, Halo- Halopedol…? Ja genau, das! Haloperidol? Nope. Schon seit Wochen nicht…. Alles gut. Nein.“ Das Gesprochene wurde nun zunehmend mit dem Quietschen alter Holzdielen untermengt: „Auf keinen Fall! Hab nur noch gepennt, niemals.“
 

Law öffnete langsam seine Augen, schirmte sie mit der Hand vor dem beißenden Licht der Morgensonne ab. Vor ihm tänzelten verschwommene Schemen, Farben und Formen mischten sich ineinander und formten nur äußerst langsam das Bild zweier nackter Füße, die direkt neben ihm auf dem Boden standen. „Auf jeden Fall“, säuselte die fröhliche Stimme nun über ihm, scheinbar im Gespräch mit sich selbst. „Scheiß drauf. Was ich sagen wollte… Was? Nein. Ich war ja letztens bei Ihnen, Doc. Ja genau. Eigentlich wollte ich Ihnen erzählen… Hä? Nö. Ich meinte ja nur…“ Als Law seinen Kopf dem Sprecher zuwenden wollte, wurde sein Blick schlagartig verdunkelt, als ihm eine kalte Oberfläche gegeben die Nase gedrückt wurde. Der Geruch verriet sogleich, dass es einer der Füße war, der ihn nun auf der Matratze hielt. Protestierend schnappte Law mit den Händen nach dem frechen Angreifer, doch die Stimme ließ sich nicht irritieren. „Wie, das nächste Mal? Dreck… Egal, dem geht’s prächtig. Jap. Kein Härchen gekrümmt, Doc.“
 

Erst die letzten Worte waren es, die den angehenden Mediziner zurück in seine bizarre Realität holten. Erschrocken hielt er im Kampf gegen den fremden Fuß inne und stoppte erschrocken seine Atmung, während die Bilder des vergangenen Tages vor seinen Augen aufblitzten. Er realisierte, dass die Matratze härter war, weil es sich nicht um seine handelte, sondern um ein verranztes Model in einer verlausten Wohnung am Rande der Südstadt. Die Laken rochen nach Rauch; es waren nicht seine Haare. Und die Stimme… Die Stimme gehörte Kid, einem Patienten seines Onkels, der in psychotherapeutischer Behandlung war, seit er seinem besten Freund das Gesicht vom Kopf geschmolzen hatte. Sein Freund Killer. Der Mann, der ihm ein Messer an den Hals gedrückt hatte. Laws Herzschlag wollte aussetzen. Doc? Redete er etwa mit…?
 

Von einem plötzlichen Elan ergriffen, drückte Law den Fuß nahezu panisch von seinem Gesicht und sah hoch zum jungen Mann neben sich. Strahlende, grüne Augen blickten zu ihm hinunter und grinsten glücklich, als sie ihn betrachteten. Während Kid ein Handy an sein rechtes Ohr hielt, steckte er sich mit der linken Hand einzelne Trauben in den Mund. Noch einmal blinzelte Law, dann erkannte er, dass es sich um sein eigenes Telefon handelte, das der freche Rotschopf gerade benutzte. Somit stand wohl auch fest, wer am anderen Ende der Leitung war. Der Student schluckte schwer.
 

„Ist das mein Onkel?“, fragte er mit von Schlaf belegter Stimme und räusperte sich sogleich. Kids Grinsen wurde breiter, während er die letzte Traube in seiner Hand über seine Daumenspitze rollte und schließlich in Laws vor Aufregung geöffneten Mund steckte. „Wir haben nur nen kleinen Ausflug gemacht. Jaa-… Nein! Wirklich… Was? Scheiße man… Ich sag doch, dass noch alles dran ist!“, erklärte Kid dem Telefon mit genervtem Unterton, während er die Augen rollte. Beleidigt auf der Traube kauend setzte sich Law unterdes auf seine Knie, streckte sich und versuchte mit einer Hand das Smartphone aus Kids Hand zu fischen. Der Rotschopf drehte sich jedoch elegant zur Seite. „Gib mir das scheiß Handy!“, zeterte der junge Mann zu seinen Füßen und seufzte genervt. „Alles klar. Haben Sie dann Zeit zum…? Alter… Ich wollte Ihnen nur sagen, dass… Dann eben nicht. Scheiß drauf.“ Kaum war der letzte Fluch ausgesprochen, nahm Kid das Mobiltelefon von seinem Ohr und warf es zu Law. Während sich dieser vollkommen überrascht nach vorn warf, um zu verhindern, dass das teure Gerät auf den Boden fiel, hob Kid unter dem Anblick amüsiert die Augenbrauen und schüttelte den Kopf, bevor er ohne weiteren Kommentar im Bad verschwand.
 

Law schenkte seinen abschätzigen Blicken keine Beachtung, sondern hielt sich sogleich sein Smartphone ans Ohr. „Hey… Sorry… Ich bin mal wieder zu spät“, stotterte er unbeholfen vor sich hin. Am anderen Ende erklang ein erleichtertes Seufzen, gefolgt von der klagenden Stimme seines Onkels: “Law… Was um alles in der Welt hast du dir dabei gedacht?“ Der Neffe setzte sich im Schneidersitz auf die Matratze und fuhr sich durchs Gesicht. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er vollkommen nackt war, sodass er die dünne Bettdecke enger um sich zog. „K… keine Ahnung… Ich…“, begann er, wobei immer mehr Bilder der letzten Nacht vor seinem inneren Auge tänzelten und die Schamesröte auf seine Wangen trieben. „Bist du verletzt? Ich meine… Geht es dir gut?“, erkundigte sich sein Onkel besorgt. Der Gefragte nickte kurz; dachte gar nicht daran, dass dem anderen diese stumme Geste verborgen bleiben würde.
 

„Law?“, fragte es besorgt am anderen Ende. Der Student zuckte kurz zusammen, dann blickte er zur Badezimmertür, als er hörte, wie eine Dusche angestellt wurde. „Mir geht es gut“, bestätigte er mit verwirrter Stimme, ohne seinen Blick abzuwenden. Wieder folgte ein erleichtertes Seufzen seines Onkels. Das Tageslicht schien bereits klar und erschreckend hell in den kleinen Raum. Es musste beinahe Mittag sein - kein Wunder also, dass sein Onkel ihn voller Sorge angerufen hatte, schließlich hätte er seit Stunden auf der Arbeit sein müssen. „Mach dir keinen Kopf… Ich kann schon auf mich aufpassen“, ergänzte er schließlich, um sein Familienmitglied zu beruhigen.
 

Vorsichtig ließ der Student seinen Blick über die Zimmerwände gleiten, schenkte einzelnen Zahlen und griechischen Buchstaben seine Aufmerksamkeit, bis ihn ein kalter Schauer auf seinem Rücken aus den Gedanken riss. „Law… Hör mir zu. Ich weiß, dass du dir nicht gerne Ratschläge geben lässt, aber in diesem Fall musst du auf mich hören, verstanden?“, begann die Stimme an seinem Ohr, „Ich weiß, dass das alles für dich sehr interessant sein mag. Aber das, was du da tust, ist gefährlich. Kid ist gefährlich.“ Sein Onkel legte besondere Betonung auf den Namen seines Patienten und ließ seinen Worten eine schwere Pause folgen. „Er wirkt auf mich gar nicht so gefährlich“, wandte sein Neffe diagnostizierend ein, „eher durcheinander.“ Ein Seufzen erklang im Hörer. „Du hast dir die Akte niemals angesehen, nicht wahr?“, schlussfolgerte der Sprecher am anderen Ende mit einem traurigen Tonfall. Seine Vermutung war korrekt: Law hatte sich nicht die Spannung verderben wollen, indem er sich die Vermutungen anderer Ärzte anhörte – bisher war er immer gut damit gefahren, seinen eigenen Beurteilungen zu vertrauen. Zu viele Meinungen vernebelten nur die Sicht auf das Wesentliche, fand er.
 

Law antwortete nicht, also sprach sein Onkel weiter. „Hättest du dir die Mühe gemacht, dann wüsstest du, dass ich Recht habe. Glaube mir, ich befasse mich schon seit Jahren mit dem Jungen.“ Law schnaubte genervt. „Und wenn du es völlig falsch siehst?“, wandte er ein, „Ich meine, von der Sache mit seinem Freund abgesehen… Was ist sonst noch vorgefallen?“ Ein Pause folgte der Frage, dann antwortete sein Onkel mit unsicherer Stimme: „Law, was ist gestern passiert? Wieso denkst du…?“ Doch sein Neffe unterbrach ihn: „Hast du nicht selbst gesagt, du hast keine Ahnung, was mit ihm los ist?“ Fast hätte Law geschrien, so sehr regte er sich auf. Nun sah er unsicher auf die geöffnete Badezimmertür.
 

Die Person am anderen Ende der Leitung atmete laut aus; versuchte offensichtlich die Fassung zu bewahren. „Law, der Junge ist gefährlich“, wiederholte er. „Immer noch? Woher willst du das wissen?“, entgegnete Law provokant und doch überzeugt von seinen Worten. Sein Onkel wurde merklich wütend. „Halluzinationen? Psychosen? Ich-Störungen? Ich kann dir eine ganze Palette mit vielen bunten Gründen geben, warum Kid gefährlich für dich ist. Law, der Junge lebt ihn seinem ganz eigenen Wunderland und das mag für dich faszinierend sein, aber glaube mir doch! Es bleibt nur so lange ein nettes Märchen, bis du ihn in seiner Welt störst. Komm da raus, sage ich dir und zwar schnell!“ Die Panik in seinen Worten machte seinem Neffen deutlich, wie ernst er seine Sorge meinte.
 

In diesem Moment erinnerte sich Law an Kids Telefongespräch von eben. Hatte er Haloperidol gesagt? Law erinnerte sich daran, etwas über dieses Medikament gelesen zu haben. Sein Mund wurde trocken. Versuchte er gerade tatsächlich einen Irren zu verteidigen? Hatte er gerade ernsthaft versucht gegen seinen Onkel zu argumentieren? Wieder wanderte sein Blick über die vollgeschriebenen Wände des Wohnzimmers. Jede einzelne Ziffer schien mit einem Mal für den Wahnsinn zu stehen, der Kids Gedankenwelt regieren musste; jede Zahl wie der Baustein zu einem Kartenhaus, das irgendwann unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrechen würde – und er saß gerade mittendrin. In diesem Moment hörte Law, wie im Raum nebenan die Dusche abgestellt wurde und zwei nasse Füße auf rutschigen Fliesen tapsten. Mit einem Mal von einer furchtbaren Angst ergriffen, spürte er panische Hitze in sich aufsteigen. Was hatte er nur getan? „Soll ich einfach abhauen?“, hauchte er leise gegen das Handy an seinem Ohr.
 

„Nein, das wäre sicherlich nicht gut für ihn“, erklärte sein Onkel mit ruhiger Stimme, offenkundig beruhigt davon, dass sein Neffe nun zu verstehen schien. „Das wäre nicht gut für ihn?!“, warf ihm dieser jedoch verständnislos entgegen. Am anderen Ende hörte er ein Räuspern. „Es gibt keinen Grund panisch zu werden, Law. Kid ist mein Patient, natürlich muss ich auch an sein Wohl denken. Vergiss bitte nicht, dass du dich selbst in diese Lage gebracht hast – euch beide.“ Law fuhr sich aufgebracht durch die Haare, musste den Worten aber zustimmen. „Und was erwartest du jetzt von mir?“, flüsterte er mit immer leiserer Stimme, um nicht belauscht zu werden. „Sei ganz du selbst. Er scheint dich gerade zu mögen, sonst wärst du sicherlich nicht dort. Rede mit ihm, verabschiede dich und komm danach direkt zu mir. Alles wird gut, Law.“ Doch so sehr sein Onkel auch bemüht war mit seiner Stimme Ruhe zu vermitteln: Er konnte nicht verhindern, dass sein Neffe immer angespannter wurde.
 

Als er seinen Kopf drehte, spürte Law mit einem mal ein Ziehen an seinem Hals. Kaum hatte er mit seinen Fingerkuppen die verdächtige Stelle berührt, ertastete er auch schon zwei kleine Borken, die sich längst über seine Haut zogen – eine erneute Erinnerung an den gestrigen Abend. Sicherlich ein weiterer Grund diesen Ort schnellstmöglich zu verlassen. In ihm tobte es. Wie hatte er nur so dumm sein können? Wie hatte er diese offensichtliche Gefahr ignorieren können? Zaghaft wollte er seinem Onkel antworten, hatte bereits seinen Mund geöffnet und einen ersten Laut erzeugt, als Kid pfeifend das Badezimmer verließ. Nur mit einem Handtuch um den Hüften sah er auf den Jungen auf seiner Matratze hinab und begegnete dessen perplexen Blick mit einem Grinsen. Laws Augen trafen zunächst sein grünes Paar, dann wanderten sie hinab auf die schmale Narbe, die sich seitlich über seinen flachen, trainierten Bauch zog. Eine Erinnerung flackerte auf und abermals spürte Law ein heißes Brennen auf seinen Wangen. Um das Telefonat jedoch nicht weiter zu unterbrechen, stopfte sich Kid demonstrativ seine Zeigefinger in die eigenen Ohren, zog vor Law eine verspielte Fratze und verschwand in dem Zimmer, in welchem Killer die Nacht verbracht hatte. Law sah ihm schweigend hinterher.
 

„Alles in Ordnung, Kind? Ist etwas passiert?“, erklang es besorgt in die Stille hinein. Law schluckte mehrmals, bevor er seine Stimme wiederfand. „Alles in Ordnung.“ Den letzten Teil sprach er daraufhin mit besonderer Lautstärke, in der Absicht, dass auch Kid ihn hören würde. „Tut mir echt Leid, dass ich verpennt habe. Ich werde dafür einfach einen Tag dranhängen. Was? Ja…. Kein Problem. Ich werde mich beeilen. Versprochen. Bye.“ Ohne seinem Onkel die Chance auf eine Antwort zu geben, legte er auf und sah sich suchend um. Er wollte sich beeilen, wollte schnellstmöglich aus dieser Wohnung raus und das am besten bevor er auch noch auf Killer traf. Unter seinem Oberteil von letzter Nacht fand er seine Mütze wieder, die Hose lag auf der anderen Seite der Matratze, ebenso seine Socken; seine Jacke neben der Tasche am anderen Ende des Raumes, nur seine Boxershorts waren verschwunden… Doch ein zweiter Gedanke erinnerte ihn daran, dass dieser Schwund Kids Schuld war.
 

Als hätte er Laws Gedanken mithören können, kam der Schuldige nun aus dem zweiten Zimmer der Wohnung gestiefelt: Immer noch mit nacktem Oberkörper, nun aber mit schwarzer Jogginghose, unter welcher der grüne Saum einer Boxershorts hervorguckte. „Hier, für dich“, erklärte er und warf Law etwas entgegen. „Danke. Das Shirt brauche ich aber nicht“, erwiderte dieser, nachdem er einen Blick auf die gefangene Shorts und das schwarze Oberteil mit der grünen Aufschrift einer Band geworfen hatte. „Nicht? Ich dachte nur… Weißt du, Menschen reagieren mitunter sehr nervös, wenn sie neben Leuten sitzen, deren Shirts Blutflecken haben…“ Kid betrachtete ihn mit einem amüsierten Lächeln, deutete nur kurz auf Laws Oberteil auf dem Boden, bevor er in der Küche verschwand. Als Law sich vergewisserte, stellte er tatsächlich fest, dass Killers Aktion selbst für seine Klamotten nicht ohne Folgen geblieben war. So zog er sich die fremde Boxershorts, das ausgewaschene Oberteil und seine Hose über, schnappte sich Socken und Schuhe, sprang auf und folgte dem Rotschopf.
 

„Willste nicht duschen?“, fragte Kid und musterte Law, als er die Küche betrat. „Schon ok… Mach ich gleich in der Klinik.“ Gute Antwort. Innerlich freute sich der Student, dass er noch mehr Gründe fand, die Wohnung umgehend zu verlassen. Die Warnung seines Onkels saß tief, auch wenn der Anblick von Kid in seinem morgendlichen Outfit mit den vielen kleinen Wassertropfen, die aus seinen frisch gewaschenen roten Strähnen liefen alles andere als gefährlich wirkte. Wieder einmal staunte Law darüber, wie die seltsamen Haare, die beinah unsichtbaren Sommersprossen und das breite Grinsen die Assoziation eines kleinen Bengels erweckten. Ohne es bewusst wahrzunehmen, begann er zu Lächeln. „Du willst heute noch arbeiten? Es ist kurz nach zwei“, merkte sein Gastgeber an und deutete auf das Ziffernblatt einer Uhr an der Küchenwand. Law verzog den Mund, ließ sich allerdings nicht verunsichern.
 

„Mein Onkel ist sauer genug. Ich will ihn nicht noch mehr reizen.“ Kaum hatte er es ausgesprochen, schenkte ihm Kid einen Blick der Verblüffung. „Du willst also das tun, was er dir sagt? Das ist neu. Interessant.“ Um Law in aller Seelenruhe zu mustern, machte der Rotschopf eine kurze Pause, durch die sich eine angespannte Atmosphäre zwischen den beiden Männern breitmachte. Erst danach fuhr er fort: „Er wirkte ziemlich überrascht, als ich ans Telefon ging. Und ich frage mich… Hätte er dir wohl verboten mit mir mitzukommen?“ Kid betrachtete sein Gegenüber mit festem Blick – und Law nahm es den Atem. Unsicher über eine passende Antwort lehnte er sich gegen die Küchenzeile hinter ihm und verschränkte die Arme schützend vor seinem Oberkörper. Er wusste, dass die Frage ein Trick war – die perfekte Möglichkeit um herauszufinden, was er tatsächlich dachte. Es ging hier nicht um seinen Therapeuten, nein. Kid wollte offensichtlich wissen, ob Law ihn für wahnsinnig hielt und der Medizinstudent bekam zunehmend das Gefühl, dass es keine richtige Antwort geben würde. Ein Gefühl, als würden ihm zwei Finger fest gegen die Stirn gepresst werden…
 


 

~*~
 

Ein Fehler?


 

Dreizehnter Teil
 

Kid wusste genau, wie sein Therapeut ihn einschätzte; darum ging es ihm sicherlich nicht. Es war allein Laws Reaktion, die ihn interessierte und Law sah nur eine Möglichkeit zur Gegenwehr - und diese bestand zu seiner eigenen Überraschung aus schierer Ehrlichkeit. „Du willst wissen, ob ich dich für psychisch krank halte?“, schlussfolgerte Law nach einem Moment des Schweigens. Kids Gesicht blieb zunächst ausdruckslos, dann hob er anerkennend seine Augenbrauen und legte schlussendlich sein chronisches Grinsen wieder auf. Law hatte mit seiner Frage hoch gepokert, denn wenn er tief in sich ging, musste er feststellen, dass er sie nicht beantworten konnte. Seit dem gestrigen Tag schienen für ihn die Grenzen des Nonsens und des Wunderlichen mit denen der Krankheit und der gefährlichen Absonderlichkeiten zu einem bunten Wirrwarr zu verschmelzen. „Lieber nicht“, antwortete Kid schließlich mit ungewohnt zaghafter Stimme, drehte sich abrupt um und öffnete den Kühlschrank. Aus einem unerklärten Grund schien er seine Meinung geändert zu haben.
 

„Hier“, rief er und warf Law etwas entgegen. Dieser fing den Gegenstand und identifizierte ihn als einen durchsichtigen Plastikbecher voller Schokoladenpudding. Nachdenklich hob er eine Augenbraue. Kid wanderte unterdes an der Küchenzeile entlang. Der Raum war eine Art Schlauch mit einem Fenster am Ende. Hinter Kid befand sich der Kühlschrank, ein Herd und eine Spüle, zwei Thekenschränke am Boden und weitere darüber. Einem Fach fehlte bereits die Tür. Auf der anderen Seite, hinter Law, befand sich ein Küchenschrank, der nicht zum restlichen Stil passte. Daneben stand ein kleiner Tisch mit drei unterschiedlichen Plastikstühlen. Kid öffnete eine Schublade und schnappte sich einen kleinen Löffel; eine Schublade weiter fand er einen zweiten, den er Law reichte. „Frühstück“, erklärte er knapp. „Frühstück?“, wiederholte sein Gegenüber unschlüssig und schüttelte den Kopf: „Pudding?“ Kid grinste und zuckte mit den Schultern: „Keine Regeln!“, erklärte er und hob verspielt rebellisch seine Arme in die Luft, bevor er amüsiert lachte – Law stimmte ein.
 

Kaum hatten beide den Deckel der kindlichen Süßspeise geöffnet, konnte Law seine Neugierde nicht mehr zurückhalten: „Wo ist dein Mitbewohner?“, fragte er und gönnte sich den ersten Löffel. Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal diesen Geschmack im Mund gehabt hatte. „Arbeiten“, erwiderte Kid wie selbstverständlich, tauchte nur die Spitze seines Löffels in die schokobraune Masse und leckte mit der Zunge darüber. „Wow... Wer hätte gedacht, dass der arbeitet“, murmelte Law erstaunt in sich hinein. Sein Onkel hatte betont, dass der Rotschopf ihn offensichtlich mochte, so schien es für Law das Beste zu sein, genauso provokant neugierig zu bleiben wie am Tag zuvor. Kid kicherte. „Montags bis samstags von halb acht bis achtzehn Uhr baut er schöne Häuser, die viel zu teuer sind, als dass er sie sich selbst jemals leisten könnte. Traurig, nech?“, erklärte er weiter und wiederholte seine Pudding-Prozession. Law stutzte: „Ziemlich fies. Dafür dass sein ganzes Geld für einen faulen Sack wie dich draufgeht.“ Der Student grinste frech, doch konnte er Kid damit nicht einschüchtern. „Ich hab auch schon gearbeitet“, erklärte er stolz, „Müll sortiert aufm Schrottplatz.“ Law schüttelte den Kopf, während er sich einen zweiten Löffel gönnte. „Muss ja spannend gewesen sein“, meinte er unbeeindruckt. Kid nickte nichtsdestotrotz zustimmend. „War besser als das Studium.“

„Du hast studiert?“

„Überrascht dich das?“

„Ja… Also nein. Was denn?“

„Maschinenbau.“

„Aber das heißt… Dass du abgebrochen hast?“
 

„Ich gehör‘ nich an so möchtegernschlaue Orte“, entgegnete Kid überzeugt und dippte zufrieden seinen Löffeln in die Schokolade. „Ich denk‘ lieber selbst, weißte. Nimm das jetzt nicht persönlich.“ Ein freches Kichern unterbrach seine Erklärungen. Law schüttelte abermals ungläubig den Kopf, doch verstand er, was Kid meinte. So wie er die Aufgaben an der Tafel seines Onkels gelöst hatte, gab es für ihn in den Vorlesungen der Uni wohl kaum Neues zu lernen. „Und jetzt tust du gar nichts?“, fragte er weiter. Während er antwortete, rührte Kid verträumt in den Resten seines Puddings. „Weißt du… Wenn die Leute denken du seist nicht ganz richtig, dann hat das den interessanten Nebeneffekt, dass sie rein gar nichts mehr von dir erwarten.“ Mit den letzten Worten war das Lachen auf seinem Gesicht verschwunden, sodass er nun mit starren, beinahe traurigen Augen sein Gegenüber betrachtete.
 

Law schluckte schwer. Er dachte zurück an ihr Gespräch in der Bar; besonders daran, was Kid tatsächlich an der immer gleichen Frage störte, die ihm gestellt wurde. „Und du hältst dich an das, was die Gesellschaft erwartet?“, hakte er nach, um die trübe Stimmung mit einem Grinsen zu lockern. Kid blieb allerdings vollkommen ernst: „Du nicht?“, erwiderte er nahezu emotionslos. Mit dem Pudding in der Hand und der philosophischen Frage im Ohr wusste Law nicht mehr, wie er diesem immer größer werdenden Kontrast zwischen ihnen begegnen sollte. Kid schien es wohl nicht anders zu gehen, denn er wandte sich nun von Law ab, um seinen leeren Becher in die Spüle hinter sich zu stellen. Damit machte er Law auf etwas aufmerksam, das bisher vollkommen unentdeckt geblieben war.
 

„Du hast ein Tattoo?“, fragte er verblüfft und wunderte sich, wie ihm das Bild auf dem rechten unteren Rücken bisher entgangen sein konnte. Kid drehte seinen Kopf, blickte an sich hinab und tat selbst überrascht. Dann öffnete er den Mund, als wäre ihm im selben Augenblick etwas eingefallen. „Jap. Hat son Mädel gemacht. War ihr Erstes. Recht gut dafür, oder?“, erklärte Kid und löste damit endgültig die Anspannung in der Luft. Law verzog irritiert den Mund. „Ihr Erstes? Bist du wahnsinnig? Das hast du für immer auf dem Rücken.“ Der Rotschopf verdrehte die Augen. „Für immer auf dem Rücken“, äffte er den anderen nach. „Nummer eins: Ich sehe meinen Rücken nicht. Nummer zwei: Was soll‘s? Der Körper ist Gebrauchsgegenstand. Wenn der am Ende keine Geschichte zu erzählen hat, dann hast du was falsch gemacht.“ Kurz zwinkerte er Law über die Schulter hinweg zu, dann drehte er sich wieder um.
 

Law stutzte kurz über diese kleine Weisheit, die ihm gerade vermittelt werden wollte und versuchte sich an eine Narbe auf seinem Körper zu erinnern, entschied sich aber, lieber das Thema zu wechseln: „Was soll das denn sein?“ Bevor er antwortete, schnappte Kid Law den leeren Becher aus der Hand und warf ihn ebenfalls in die Spüle. „Nen Stabmagnet mit Feld.“ Der Medizinstudent legte irritiert seine Stirn in Falten und brachte Kid damit zum Lachen. „Ach ja, klar… Dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin“, raunte Law voller Sarkasmus. Kid gluckste amüsiert und fühlte sich zu weiteren Erklärungen genötigt: „Das war das Letzte, was mein Papa zu mir sagte“, erläuterte er und wechselte daraufhin in eine tiefere Tonlage um augenscheinlich die Stimme seines Vaters zu imitieren: „Eustass, wie kann ein einzelner Mensch nur so etwas schaffen? Du bist ein förmlicher Magnet für Ärger. Nur ziehst du die Scheiße aus sämtlichen Himmelsrichtungen an!“ Er lachte schelmisch und wedelte zur gestischen Untermalung mit dem Zeigefinger durch die Luft.
 

Law wusste nicht, ob er die kleine Anekdote wirklich zum Lachen fand. Wann hatte Kid wohl das letzte Mal mit seinem Vater gesprochen? Ob es kurz nach der Sache mit Killer gewesen war? Wie sehr hatten ihn diese Worte mitgenommen, dass er nun eine stetige Erinnerung auf dem Rücken trug? Fand Kid es wirklich zum Lachen? Es waren zu viele Fragen, um sie jetzt zu beantworten, also entschied sich Law für eine ganz andere: „Ist das dein richtiger Name? Eustass?“ Kaum hatte er ihn ausgesprochen, hielt Kid schlagartig inne und rührte sich eine ganze Zeit nicht. Nur langsam regte er sich wieder, sah verspielt zu Law und schritt auf diesen zu, bis sich die beiden jungen Männer direkt gegenüberstanden. Law hielt vor Anspannung den Atem an. Verunsichert formulierte er eine zweite Frage: „Denkst du, dein Vater hatte Recht?“ Es war provokant, aber provokant war das, was Kid wollte, oder nicht? Zu Laws Verwunderung war seine Reaktion eine Hand, die sich zärtlich auf seine Wange legte. „Ich denke…“, begann Kid, während er an Laws Kinn entlangstrich, „dass du schon viel zu viel erfahren hast.“ Die Worte ließen einen kalten Schauer über den Rücken des Studenten laufen.
 

„Was?“, fragte er mit zitternder Stimme, während Kids Berührung dafür sorgte, dass sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte. Doch anstatt zu antworten, beugte er sich weiter nach vorn, um seine blassen Lippen auf Laws zu legen. Law blieb weiterhin regungslos bis hin zum Atemstillstand. Er hatte die Worte seines Onkels nicht vergessen und schon lange stellte er in Frage, ob es richtig war, dass er die letzte Nacht überhaupt zugelassen hatte. „Ich denke, dass dir der Schokofleck an deinem Kinn wirklich ausgezeichnet steht“, fuhr Kid verspielt fort, kurz bevor Law seine warme Zungenspitze auf der Haut spürte. Ein warmes Flackern in Laws Brust wollte ihm signalisieren, dass sein Körper weiterhin die Liebkosungen genoss, doch in seinem Kopf trillerten die Sirenen. Er hatte nicht viel über Kid erfahren, doch die wenigen Dinge reichten schon aus, um den Worten seines Onkels Glauben zu schenken. Er musste hier weg.
 

Offensichtlich nichts vom inneren Kampf des anderen ahnend, wanderte Kid mit einzelnen Küssen Laws Hals hinab. „Und ich denke, ich mag das Shirt an dir. Siehst gar nicht mehr aus wie’n Muttersöhnchen.“ Ein freches Lachen, dann eine Hand, die Laws Oberschenkel streifte, um sich anschließend auf seinen Schritt zu legen. Der Student zuckte zusammen. Erneut sah er die Bilder der letzten Nacht vor sich; erinnerte sich daran, wie gut sich Kids Berührungen angefühlt hatten. „Kid…“, begann er und versuchte die richtigen Worte zu finden. Halluzinationen. Psychosen. Ich-Störungen. Jedes dieser Wörter schnürte ihm den Hals zu. Es war höchste Zeit den Kaninchenbau zu verlassen. Von plötzlicher Panik ergriffen, presste Law die Kiefer fest aufeinander, während Kid zur selben Zeit vor ihm auf die Knie sank und mit geübten Fingern den Kopf seiner Hose öffnete. „Die nächste Bahn fährt eh erst in einer halben Stunde“, flüsterte er nahezu geheimnisvoll, während er zu Law aufsah. Der Student hörte seine Worte hingegen nur wie ein Rauschen in weiter Ferne, während sich sein Blick manisch an die tiefe Narbe über Kids linkem Auge heftete. Sein Herz pochte schmerzhaft in seiner Brust, während heiße und kalte Schauer über seinen Körper fuhren.
 

Gerade als Kid seine Hände um den Saum der Hose legte, um diese herunterzuziehen, entsagte Laws Verstand jeder weiteren Vorsicht und ergab sich völlig seinem Selbsterhaltungstrieb. Unvermittelt sprang er zur Seite, riss dabei Kid mit sich, der nunmehr überrascht auf den Küchenfliesen landete und mit erschrocken aufgerissenen Augen zu Law hochblickte. „Ich… Ich muss los“, stammelte dieser, schloss seine Hose und verließ die Küche, ohne Kid eine Sekunde länger anzuschauen. „Hast du sie noch alle?!“, hörte er eine wütende Stimme hinter sich, ließ sich allerdings nicht ablenken, sondern schnappte sich seine Mütze vom Boden, suchte schnell nach seinem Handy, Portmonee und Schlüssel und stopfte sie in seine Hosentaschen. Als er sich zur Tür wandte, stand Kid vor ihm und hielt sich den Ellenbogen.
 

„Verfickte Scheiße…“, murmelte der Rotschopf und schaute auf das kleine purpurne Rinnsal, das seinen Unterarm hinablief. Es war die Verletzung von gestern. Durch den Aufprall auf den Küchenboden musste sie wieder aufgeplatzt sein. Law schluckte schwer, traute sich allerdings nicht etwas zu erwidern und griff daher stumm nach seiner Jacke auf dem Boden. „Was geht denn bei dir ab?“, beschwerte sich Kid bei Law und schenkte diesem einen Blick, der das Blut des Medizinstudenten gefrieren ließ. „Tut mir Leid. Ich muss aber wirklich weg…“, nuschelte er in sich hinein. Er erinnerte sich an einen Schal, doch blieb ihm nicht genügend Zeit diesen zu suchen. Er wollte einfach nur noch hier raus.
 

Kid hatte seinen Kopf leicht nach vorn gebeugt und seine Brauen eng aneinandergeschoben, während seine Augen nachdenklich funkelten. Unzufrieden zog er seine Mundwinkel nach unten, bevor er schlussendlich seine Lippen spitze und nickte. „Hab verstanden“, murmelte er mit offenkundiger Enttäuschung in der Stimmte: „Verpiss dich.“ Law versuchte nicht weiter über Kids Verhalten nachzudenken, sondern nahm die Beleidigung als willkommene Einladung für seinen Abschied. Schnell setzte er sich seinen Hut auf, zog ihn tief in die Stirn und stapfte mit raschen Schritten zur Eingangstür. Knarrendes Parkett verriet ihm, dass Kid ihm folgte – umdrehen wollte er sich dennoch nicht. So ließ er die Wohnung hinter sich und lief weiter, bis er auf der Treppe stand. Doch auch wenn die Panik immer noch durch seine Adern floss, konnte er nicht gehen, ohne sich ein letztes Mal umzudrehen. Es wäre falsch, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf und er gehorchte ihr. Sein Blick traf automatisch Kids grüne Augen, die ihren Glanz verloren hatten. Auch von seinem obligatorischen Grinsen war jede Spur verschwunden. „Vielen Dank für die Gastfreundschaft“, murmelte Law und verbeugte sich ein Stück, wie es ihm seine Eltern seit frühster Kindheit beigebracht hatten – dabei war ihm selbst bewusst, wie absurd seine Geste wirken musste. Bestätigt wurde dieses Empfinden durch Kids Augenbrauen, die sich verwundert, nahezu entsetzt hoben.
 

Wie einen Außerirdischen betrachtete Kid nun den jungen Mann auf der Treppe. Als Ausdruck dessen, was er von Laws überstürztem Abgang hielt, blieb er vollkommen stumm und ließ stattdessen eine eindeutige Geste für ihn sprechen. Unter Laws fast ängstlichem Blick hob Kid seine linke Hand, die rechte in der Hosentasche verschwunden und demonstrierte Law seinen ausgetreckten Mittelfinger, untermalt mit einer provokant aggressiven Fratze. Der Student schluckte schwer, entschied sich auf kein weiteres Wort zu warten und lief mit höchstmöglicher Geschwindigkeit und dennoch ohne den Eindruck einer Flucht erwecken zu wollen, die Treppen hinunter, wobei er stetig lauschte, ob ihm jemand folgte. Der Anblick von Kid mit seiner obszönen Geste wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen und pochte wie eine stumme Warnung gegen seine Schläfen. Als er die alte Haustür durchschritt und die Kälte auf seinen Wangen spürte, konnte Law trotz aller Erleichterung in seiner Brust nicht anders, als sich zu fragen, ob er diesen letzten Tag noch bereuen würde. Außer Atem hob er unsicher seinen Blick zum wolkenverhangenen Oktoberhimmel. Kleine Punkte kämpften sich durch die trüben Massen: Es begann zu schneien.
 


 

~*~
 

Gedankenwechsel


 

Vierzehnter Teil
 

Law ging nicht zu seinem Onkel. Zunächst verweilte er einige Zeit im Innenhof des alten Wohnkomplexes und stellte fest, dass dieser im Mondlicht einen viel geheimnisvolleren Eindruck erweckt hatte. Bei Tageslicht betrachtet war er nicht mehr als der Rest des Viertels: alt und heruntergekommen. Nicht einmal die vereinzelten Schneeflocken, die schüchtern im Wind tanzten, konnten die Müllcontainer, die bewucherten Wege und eingeschlagenen Fenster schönreden. So verließ er mit einem Seufzen diese fremde Welt, schritt hinaus und fragte sich, ob Kid ihn wohl beobachtete – umdrehen würde er sich allerdings nicht; viel zu groß war die Angst, er könne doch noch einmal umkehren und diese Erkenntnis bereitete ihm zunehmend Sorgen.
 

Einige Minuten später zog er an der Straßenbahn ein Ticket, setzte sich neben eine ältere Dame und rieb sich gähnend über die Oberarme. Sein Blick schweifte hinaus auf den tristen Beton der Stadt und die vielen Menschen in schwarzen Mänteln, die in Eile umherirrten; ihre Blicke nach unten gerichtet; sie vermieden mit aller Macht jeglichen Kontakt. „Der Schnee ist früh dieses Jahr“, erklärte eine muntere Stimme neben ihm. Law hob sogleich den Blick und sah auf die lächelnde Frau neben sich. „75 Jahre und jedes Mal freue ich mich wieder wie ein kleines Kind!“, fuhr sie fort und wippte auf ihrem Stuhl auf und ab, während der Student neben ihr zweifelnd eine Augenbraue hob. „Ist ziemlich kalt“, murmelte er aus reiner Höflichkeit, verschränkte die Arme und drehte seinen Kopf zur Seite, um das unfreiwillige Gespräch zu beenden. Seine Sitznachbarin schwieg wie erhofft. Zwei Stationen später erhob sich die Dame dann, drückte sich an Law vorbei und nutzte die Gelegenheit, um ihre Hand sanft auf seine Mütze zu legen. Mit tiefen Lachfalten um den Augen und einem weisen Glanz im Gesicht sah sie ihn an. „Gleichgültigkeit und Apathie sind Laster des Alters, mein Junge“, flüsterte sie ihm entschlossen zu, „und nicht einmal dem stehen sie besonders gut.“ Sie schenkte dem jungen Mann ein letztes, zutiefst freundliches Lächeln, dann verließ sie die Bahn. Law blickte ihr verwundert schweigend hinterher.
 

Die ganze Welt musste in der letzten Nacht durchgedreht sein, dachte sich Law kopfschüttelnd. Kurze Zeit später stand er selbst auf, verließ die Bahn und schob sein Kinn tief in den Kragen seines Mantels. Er vermisste seinen Schal, doch der Gedanke an seinen fluchtartigen Abgang aus Kids Wohnung zauberte ein verschämtes Lachen auf seinen Mund – Auch wenn es gefährlich war, so schien die letzte Nacht wie das Abenteuer, das er seit langer Zeit gebraucht hatte. So öffnete er mit belebtem Schwung die Tür zur Bibliothek der medizinischen Fakultät, sprang mit großen Schritten Treppenstufen hinauf und lief einen Gang entlang, bis er seinen Stammplatz erreichte. Die Luft roch wie immer alt und stickig, das Licht war kühl und steril, die Menschen müde und genervt – so wie er es kannte. Er war wieder angekommen in der Realität – Aufgewacht aus dem Wunderland. War die kleine Alice damals traurig gewesen? Ein seltsamer Gedanke… Doch musste er ihn nicht zu Ende denken: „Na sieh mal, wer da angeschlichen kommt“, rief eine altbekannte Stimme in Laws Richtung. „Der verlorene Sohn ist zurückgekehrt“, ergänzte eine zweite, kaum hatte der Neuankömmling ihren Tisch erreicht.
 

„Um zurückzukehren müsste ich euch erstmal loswerden“, erwiderte Law, während er mit einer gewissen Erleichterung im Magen in die Gesichter seiner Studienkollegen Shachi und Peng schaute. Beide hatten ihre Mützen abgelegt und versteckten sich nun hinter einem beträchtlichen Stapel an Fachliteratur. Die beiden Jungs kicherten kurz, als sich Law zu ihnen setzte. „Was ist aus deinen gruseligen Kameraden geworden?“, erkundigte sich Peng, während er sich durch die Haare wuselte und seine ohnehin zerzauste schwarze Mähne noch weiter zerstörte. Shachi ergänzte ihn: „Und was sind das für Kratzer da?“ Sein ausgestreckter Zeigefinger deutete auf Laws Hals und Wange. Zwar waren ihre Fragen berechtigt und wahrscheinlich das mindeste, was gute Freunde tun würden, doch war die Erinnerung noch zu frisch und Law verspürte keinerlei Verlangen, die vergangene Nacht alsbald Revue passieren zu lassen – da hätte er auch gleich zu seinem Onkel gehen können. „Ein andermal…“, vertröstete er die beiden in dem Wissen, dass sie verstehen würden, dass er zunächst schweigen wollte. Sie verstanden immer.
 

Als Law an diesem Abend die Bibliothek verließ, hatte er acht Anrufe in Abwesenheit. Allesamt von seinem Onkel. Doch so sehr er die Sorgen des Alten auch verstand, so wenig wollte er weiterhin mit ihm über Kid reden. Eigentlich wollte er mit niemandem jemals wieder über den vergangenen Tag reden – zu viele Worte könnten nur zerstören, was schweigend genossen wurde. Er würde das Praktikum abbrechen und Kid nie wiedersehen. Das war das Beste. Für beide. Zumindest hatte ihm das sein Gehirn in den letzten Stunden nahegelegt. Um diesen unausgesprochenen Pakt zu besiegeln und damit jeder Versuchung zuvorzukommen, holte er sein Handy hervor, kaum dass er kühle Abendluft auf seinen Wangen spürte. Hastig schrieb er seinem Onkel eine SMS, die ihm seine Entscheidung mitteilte. Es folgten weitere Anrufe, die Law allesamt wegdrückte. Zwei Tage später hatte er endlich seine Ruhe.
 

Die erste Textnachricht erhielt er am folgenden Samstag. Er befand sich in einer Bar im Universitätsviertel und bestellte gerade sein nächstes Bier, als das Smartphone in seiner Hosentasche zu vibrieren begann. Halb auf dem Tresen lehnend schnappte er gelangweilt nach dem kleinen Gerät, in der Hoffnung es würde seine Wartezeit ein wenig versüßen. Darüber hinaus war er doch interessiert zu erfahren, wer ihm um diese Uhrzeit etwas schreiben würde – Shachi und Peng standen schließlich keine zwei Meter hinter ihm. Als er auf den Display schaute, stellte er fest, dass es sich in der Tat um eine unbekannte Nummer handelte. Neugierig drückte er mit der Spitze seines Daumes auf das Symbol mit dem Briefumschlag.
 

23:47 <Ich hab ne Geisel.>
 

Law schob verwundert seine Augenbrauen zusammen. „The Fuck…?!“, wisperte daraufhin eine Stimme in sein eines Ohr und kurz darauf eine zweite in das andere: „Was für kranke Spielchen treibst du eigentlich?“ Law sah abwechselnd in die Gesichter seiner Freunde und seufzte laut. „Was lest ihr Penner meine Nachrichten?“, pflaumte er Peng und Shachi an, bevor er sie mit den Ellenbogen von sich drückte. Genervt ließ er das Handy wieder in seiner Hosentasche verschwinden und nahm sein Bier entgegen.
 

Eine Stunde später waren seine zwei Begleiter auf der Tanzfläche verschwunden und gaben Law dadurch erneuten Anlass, seine Aufmerksamkeit dem beruhigenden Zentrum seines Displays zu widmen. Zu seiner Überraschung hatte er dieses Mal zwei Nachrichten erhalten. Wieder von der gleichen Nummer. Neugierig begann er zu lesen, indem er das Gerät im tanzenden bunten Licht der Bar nah an sein Gesicht zog.
 

00:24 <Willste die nicht zurück ???>
 

00:36 <Reicher Scheißer>
 

Irritiert legte Law die Stirn in Falten und fuhr sich übers Kinn. Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen, als ihn die Art des Geschriebenen an Kid erinnerte. Doch das konnte nicht sein, schließlich hatte er ihm nie seine Nummer gegeben. Aber welcher Idiot sollte ihm solche Nachrichten schicken? Er gönnte sich einen tiefen Schluck von seinem Bier, stellte es wieder ab und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, als ihm etwas in den Sinn kam. Alles, was er mit Sicherheit sagen konnte, war, dass Kid mit seinem Onkel telefoniert hatte, als er vor wenigen Tagen in der Wohnung des Rotschopfs aufgewacht war. Er hatte allerdings keine Ahnung, was davor passiert war und aus welchem Grund Kid überhaupt sein Handy in den Händen hatte. „Dreckiger Mistkerl“, fluchte er gegen die Lauten Klänge der Lautsprecher in der Bar und schloss ein amüsiertes Lachen an.
 

Kannst die Tasche behalten. Brauch ich nicht mehr.
 

Die Erkenntnis überkam Law mit jedem Buchstaben, den er tippte. Der kleine Irre hatte es also geschafft, auch außerhalb der vier Wände seines Psychotherapeuten mit ihm in Kontakt zu bleiben. Chapeau, Kid. Die obszöne Geste, mit der er sich zuletzt bei ihm verabschiedet hatte, verbuchte Law als bloßen Affekt der abstrusen Situation, in der sie sich befunden hatten. Sein Onkel hatte ihm Angst gemacht und er hatte sich mitreißen lassen – Kid hatte ihm jedoch nie Anlass zur Sorge gegeben. Ganz im Gegenteil. Nicht wahr? Dieses Mal war es zudem die Hartnäckigkeit des Rotschopfs, die ihn faszinierte. Mit der ‚Geisel‘ konnte Kid eigentlich nichts anderes meinen außer den Dingen, die Law bei ihm zurückgelassen hatte. Es war das beste Beispiel für den sonderlichen Humor des jungen Mannes. Law schmunzelte. Und kaum hatte er seine Antwort beschwingt vom Alkohol abgeschickt, fühlte er auch schon die Aufregung in angenehmen Wogen durch seinen Körper wallen – wie er dieses Gefühl vermisst hatte! Nach einem weiteren Schluck von seinem Bier erhielt er eine Antwort. Dieses Mal breitete sich die Vibration des Handys auf den gesamten Körper des Studenten aus.
 

00:58 <Warum biste abgehaun?>
 

Gerade hatte er die wenigen Wörter gelesen, da musste Law schwer schlucken. Er würde Kid nicht die Wahrheit sagen, auch wenn dieser sie mit Sicherheit bereits kannte; andererseits wollte er auch nicht lügen. Während er zu tippen begann, stellte er sich vor, wie Kid gerade irgendwo saß – zu Hause, nein, in einer Bar… auch das nicht. Im Park! Er stellte sich vor, wie Kid im Park auf einer Bank saß, die Wangen rot dank der winterlichen Kälte, der Atem in weißen Wolken vor seinem Mund, sich eine Zigarette anzündete und gebannt auf Laws Antwort wartete. Der Gedanke zauberte ein Lächeln auf seine Lippen.
 

Warum schreibst du mir? Nummerndieb ;)
 

Es dauerte eine Viertelstunde, bis Laws Handy abermals vibrierte. Entweder hatte Kid gerade etwas zu tun oder er hatte lange über seine Reaktion nachgedacht. Law gefiel die zweite Variante besser. Er selbst hatte in den letzten Tagen immer wieder an ihren gemeinsamen Tag denken müssen; hatte verschiedene Szenarien durchgespielt und auch, was passiert wäre, hätte er die Wohnung nicht verlassen. Er hatte gegrübelt und versucht die verschiedenen Puzzleteile, die ihm Kid gegeben hatte, zu einem Bild zusammenzusetzen - doch alle Mühe blieb vergebens. Ob in Kids surrealer Gedankenwelt wohl auch Platz für ihn geblieben war?
 

01:17 <Wollte sehn ob du antwortest. Ist interessant. Schisser ;)>
 

Der letzte Smiley strotzte nur so vor Zynismus, aber nach seiner Flucht vor Kid konnte Law wohl mit keiner anderen Reaktion rechnen. Darüber hinaus hatte es Kid wiedermal geschafft, Law etwas beweisen zu lassen, das er sich selbst nicht einmal eingestand. So sehr Law es auch drehte und wendete – er war noch nicht bereit, Kid zu einer bloßen Erinnerung werden zu lassen. Er ergab sich einem lauten Lachen, ignorierte die Blicke seiner fremden Sitznachbarn und begann zu schreiben, als er plötzlich eine neue Nachricht erhielt. Verwundert öffnete er sie.
 

01:19 <Hast du Angst?>
 

Die Frage ließ seine Heiterkeit versiegen und hinterließ einen bitteren Beigeschmack. Angst wovor? Kid, Killer, Psychosen, Feuer, dem Leben? Zwar verstand er die Frage, allerdings vermochte er nicht zu sagen, was genau Kid damit ausdrücken wollte und warum er sie gerade an ihn stellte. War es eine Drohung? Ein Hilferuf? Er spürte die Wirkung des Biers in seinem Körper. Die Buchstaben der Nachricht begannen vor seinen Augen ineinander zu verschwimmen. Dennoch wollte er etwas antworten und Kids Intention auf den Grund gehen, als ihm plötzlich das Smartphone aus den Händen gerissen wurde. „Genug gesextet“, witzelte Peng mit einem angetrunkenen Säuseln. „Wir sind hier schließlich nicht zum Spaß da!“, warf Shachi ein und zog Law mit sich, während Peng dessen Handy in einer seiner weiten Hosentaschen verschwinden ließ…
 

Als Law am nächsten Morgen erwachte, spürte er bereits die Nachwirkungen des Alkohols. Schweiß stand auf seiner Stirn, ihm war kalt und gleichzeitig warm; Übelkeit lag ihm auf der Zunge. Müde fuhr er sich durchs Gesicht, blinzelte verschlafen in das Licht der Morgensonne und gähnte, während er widerspenstige schwarze Haarsträhnen aus seinem Gesicht entfernte. Erst als er sich zur Seite drehte, um sein Handy vom Nachtschrank zu greifen, fiel ihm auf, dass eben dieses fehlte. Mit einem genervten Seufzer sprang er auf, zog sich ein Oberteil über und lief in Boxershorts zum Wohnzimmer.
 

Er lebte nun schon seit zwei Jahren in der Wohnung im East End. Es gab ein großes Schlafzimmer, ein Gästezimmer, ein großes und ein kleines Bad und eine moderne Küche, die sich mit einer Insel und einer Ecke für den Esstisch zum Wohnzimmer öffnete. Wäre es nicht die Wohnung eines Arbeitskollegen seines Vaters gewesen, hätte er sie sich wohl kaum leisten können. „Wo ist es?“, raunte Law an diesem Morgen mit viel zu tiefer Stimme und räusperte sich, bevor er dem Körper auf seiner Couch einen festen Tritt gab. Sein Freund mit der pechschwarzen Frisur setzte ich schlagartig auf und sah sich erschrocken um, bevor er erleichtert ausatmete, als er verstand, was gerade passierte. „Was hast du denn für’n Problem?“, nuschelte er verärgert, während er zu Law hochsah und die dünne Sofadecke enger um seinen Körper legte. Doch der junge Mann neben ihm ließ nicht locker: „Jetzt sag schon. Wo ist mein scheiß Handy?“ Peng seufzte laut auf, bevor er sich von Law wegdrehte. „Keine Ahnung? In meiner Hose oder so… Muss ja nen heißes Mädel sein, wenn du so verdammt früh aufstehst, um ihr zu schreiben.“ Während sein Kumpel amüsiert kicherte, traf Law die Erinnerung wie ein Schlag. Es war nicht neu, dass Peng ihm sein Handy beim Feiern wegnahm, allerdings hatte er gestern nicht nur einem der Mädchen in seiner Telefonliste geschrieben. Nein… Es war nicht solch ein Gespräch gewesen.
 

Mit aufgeregt pochendem Herzen begann Law das Wohnzimmer zu durchsuchen, bis er Pengs Hose fand. Hastig durchwühlte er die Taschen, bis er sein Telefon in den Händen hielt und mit zitterndem Körper den Display aktivierte. Er seufzte. Keine neuen Nachrichten. Nach der letzten SMS um kurz nach eins hatte Kid ihm nicht mehr geschrieben. Verworrene Gedanken schwirrten durch den Kopf des Studenten. Er versuchte nachzuvollziehen, was Kid aus dem Ausbleiben einer Antwort geschlossen hatte. Ein lauter Seufzer entfloh seiner Kehle, als er sich erschöpft auf einen der Stühle der offenen Küche fallen ließ. Er hätte niemals auf die Nachrichten reagieren sollen. Wieder einmal hatte er voll und ganz in Kids Hände gespielt, und nun konnte er nicht wissen, was sein Tun für Auswirkungen haben würde. Plötzlich überkam ihm darüber hinaus das Bewusstsein, dass Kid neben seinem Handy genauso gut auch sein Portmonee genommen und auf seinen Ausweis geschaut haben könnte: Es wäre also kein Wunder, wenn es jeden Moment an der Tür klingeln würde. „Dreck“, zischte er leise und verfluchte sich selbst für seinen Leichtsinn. Voller Wut auf sich selbst krallte er eine Hand in die eigenen Haare und schlug mit der Faust auf den kleinen Tisch neben sich, sodass Peng einige Meter von ihm entfernt zusammenzuckte.
 

Den Rest des Tages versuchte Law nicht mehr an sein Handy und an die Möglichkeit einer Antwort für Kid zu denken. Unruhig lief er in seiner Wohnung auf und ab und war geradezu froh über die Ablenkung, die ihm seine beiden Kumpel boten, die nach der Übernachtung in seiner Wohnung keine Eile darin hatten, wieder zu verschwinden. Das ein oder andere Mal überlegte er sogar, ob er sich bei seinem Onkel melden sollte, um ihm schlussendlich zu berichten, was passiert war. Doch damit müsste er sich offiziell eingestehen, einen Fehler gemacht zu haben und soweit war er noch nicht. Der Stolz und der Wille zu gewinnen, der Fluch seiner Familie, waren einfach zu stark.
 

Gegen Abend hatte er die Wohnung wieder für sich und begann sein Abendessen. Rucola, Gurken, Tomaten, eine halbe Avocado… Es war Zeit, sich bei seinem Körper für das Gift des gestrigen Abends zu entschuldigen. So schnappte er sich seine Schale Salat, stapfte ins Wohnzimmer, ließ sich auf seine braune Ledercouch fallen und schaltete den Fernseher ein, bevor er seine nackten Füße auf die Kante des Beistelltisches legte. Auf diese Weise endete fast jeder seiner Tage und so dachte er nicht weiter nach, als er nach dem Handy in seiner Hosentasche griff und dieses anschaltete. Erst als er das Symbol eines Briefumschlages sah, welches ihn unbarmherzig an seine morgendlichen Sorgen erinnerte, machte sein Herz einen Sprung, während Hitze seinen Hals hochstieg. Angespannt berührte er den Bildschirm.
 

19:17 <Schon mal der Prozess gelesen?>
 

Law musste die Nachricht ein zweites Mal lesen, bis er sie verstand. Zunächst schien der Satz jeder Grammatik zu trotzen, doch mit gedachten Apostrophen wurde es einfacher. Er erinnerte sich an einen Autor namens Kafka. Ein abgedrehter Autor. Eines seiner berühmtesten jedoch unvollendeten Werke hieß „der Prozeß“ und erzählte von einem Mann der eines Morgens von fremden Menschen eines Verbrechens beschuldigt und angeklagt wird, obwohl er sich keiner Schuld bewusst ist. Da Law es jedoch nicht gelesen hatte, konnte er nicht sagen, wie es ausging. Dennoch wusste er, wie die Sache mit Kid enden musste, damit sie beide unversehrt aus dieser abstrusen Geschichte rauskamen. Der Alkohol hatte ihn gestern verführt, doch heute tippte er seine Antwort mit nüchterner Vernunft.
 

Habe ich nicht. Schreib mir bitte nicht mehr.
 

Für einen Augenblick hielt er zweifelnd inne, drückte am Ende allerdings auf den Knopf zum Senden. Er konnte einen traurigen Seufzer nicht unterdrücken, als er das Smartphone im Anschluss lieblos auf seine Couch warf. Frustriert griff er nach der Fernbedienung und schaltete durch die immer gleichen Abendprogramme, bis er vor Langeweile begann zu essen. Wie jeden Abend. Die Geschichte seiner Abenteuer im Wunderland hatte ihr Ende gefunden und dem Aufwachen aus dem Märchen folgte der Alltag. Er erhielt keine weiteren Nachrichten.
 

Als Law einige Tage später aus der Uni zurückkam, fand er vor seiner Haustür fünf Briefumschläge und ein kleines Paket. Das kalte Winterwetter hatte ihn durchgefroren und so schnappte er nur schnell nach der Post, trug sie in die Wohnung und warf sie auf den Küchentisch, wo sie die restlichen Stunden sehnlichst auf ihren Empfänger wartete. Als sich dieser endlich mit einem Kaffee zu ihr setzte, öffnete er zunächst die Briefe – Rechnungen und Einladungen von der Uni - dann griff er neugierig zu dem kleinen Paket. Als er es drehte, stellte Law schnell fest, dass es weder einen Absender gab, noch eine Stelle, an der seine Adresse aufgeschrieben war. Jemand musste es also persönlich vor seine Wohnung gelegt haben.
 

Verwundert schob Law die Unterlippe nach vorn und begann das kleine Paket zu entfalten. Kaum hatte er es geöffnet, fiel ihm ein Buch in die Hände und als er den Titel sah, musste er auch nicht länger darüber grübeln, wer ihm das Paket vorbeigebrachte hatte. Vorsichtig ließ er seine Finger über den Rand der Seiten gleiten, öffnete die Titelseite und fand einige Wörter, die hastig mit einem Kugelschreiber in das Buch gekritzelt wurden.
 

“Aber ich will nicht unter VERRÜCKTE !!!“

Aber das kannst du kaum verhindern, Hübscher

Wir sind hier nämlich alle verrückt

ICH bin verrückt. DU bist verrückt

Sonst wärste nich hier !!!

- Eustass
 

Die Widmung zauberte ein Schmunzeln auf Laws Gesicht. Da hatte sich der Idiot doch tatsächlich ein Zitat aus dem Wunderland geklaut. Der ‚Hübsche‘ war neu und auch die Rechtschreibung hatte er anders in Erinnerung, aber die Unterhaltung führte die kleine Alice mit der Grinsekatze; das wusste er mit Sicherheit. Lachend legte Law das Buch zur Seite und fuhr sich übers Gesicht, während er feststellte, dass Kid also tatsächlich wusste, wo er wohnte. Aber vielleicht hatte der kleine Irre ja Recht: Wäre er nicht verrückt genug gewesen mit einem Patienten seines Onkels mitzukommen, dann wäre er jetzt nicht hier. Die Ironie war unfassbar: Wahnsinn schien ansteckender zu sein, als es die medizinischen Fachbücher verrieten… Das letzte Wort der Nachricht fasste Law als wohl größtes Geschenk auf, denn Kid schien ihm nun doch verraten zu wollen, welcher sein richtiger Name war. Eine schöne Art es zu verpacken.
 

Er las das geschenkte Buch über den unfairen Prozess in drei Tagen durch. Immer wieder versuchte er zu ergründen, was genau Kid ihm mit der Geschichte sagen wollte, in der ein Angeklagter sich selbst so lange bequatschen lässt, bis er am Ende an seiner eigenen Unschuld zweifelt. Sein einziger Hinweis war eine Zeile, die im letzten Teil der Geschichte unterstrichen war: »Richtiges Auffassen einer Sache und Mißverstehn der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus.« Allerdings schlossen die Zustände sehr wohl einander aus, außer man betrachtete sie aus unterschiedlichen Perspektiven. Bald stellte Law fest, dass es lediglich ein Versuch seinerseits war, die Nachrichten eines geistig Kranken mit rationalem Menschenverstand nachvollziehen zu wollen. Seine Grübeleien blieben ergebnislos und so schloss er das Buch und stellte es ins Regal.
 

Die letzte Nachricht erhielt er an einem Sonntagabend. Seit Beginn des Wochenendes fielen dicke Schneeflocken vom Himmel. Law hatte sich seither nicht aus seiner Wohnung gewagt und diese letzten trüben Oktobertage mit Lernen verbracht. Gerade gönnte er sich einen wohlverdienten Salat vor dem Fernseher, als mit einem Mal sein Handy auf dem Tisch vibrierte. Peng und Shachi versuchten ihn seit Tagen zum Ausgehen zu motivieren, doch blieb die Unlust ihres Kommilitonen standhaft. Er wollte sich weder betrinken noch Frauen aufreißen, wieso also überhaupt die Mühe machen und eine Hose anziehen? Da das Fernsehprogramm ihn allerdings wenig unterhielt, griff er dennoch zum kleinen Gerät und schaltete es ein, um die Nachricht zu lesen.
 

20:28 <Sagen wir es wär nen Notfall. Würdest du kommen?>
 

Law blickte verwundert auf seinen Display. Die Nummer hatte er nicht eingespeichert; durch die angezeigten letzten Nachrichten wusste er dennoch, dass es sich um Kid handelte. Er hatte sich seit über einer Woche nicht gemeldet, warum also plötzlich diese SMS? Ein Notfall? Besorgt legte Law die Stirn in Falten. Ein Teil vom ihm erwog seinen Onkel anzurufen, ein anderer Teil las jedoch heraus, dass sich Kid speziell an ihn gewendet hatte – wenn es denn keiner seiner Tricks war. Aufregung floss durch seine Adern, während er nervös auf seiner Unterlippe kaute und eine Antwort tippte.
 

Natürlich würde ich helfen.
 

Er war Arzt, was hätte er anderes sagen sollen? Außerdem machte es ihn mehr als neugierig zu erfahren, wie genau solch ein Notfall aussehen würde – auch wenn er hoffte, dass es kein zweites, verbranntes Gesicht war. Als sein Herz bereits schmerzhaft gegen seine Brust schlug, stellte er die Schale mit dem angefangenen Salat auf den Couchtisch, bevor er angespannt auf den Handybildschirm starrte.
 

Er dachte an ihr erstes Treffen, Kids grüne Augen und die Ruhe, mit der er die Aufgaben an der Tafel seines Onkels löste. Er erinnerte sich an das Gefühl von Kids rauen Fingerspitzen auf seiner Stirn, aber auch an ihre sanften Berührungen auf seinem Bauch. Er dachte an die Bar, das Blitzen von Killers Klinge und den Geschmack des Kusses im benebelnden bunten Licht. Kurz sah er den Einkaufswagen vor sich, hörte das Knarren der Dielen in der Wohnung am Rande des Südviertels, Kids freches Lachen. Er dachte an Schokoladenpudding und Kids nackten Oberkörper über ihm; blasse Haut, auf der die blauen Schattierungen der Nacht tanzten. Sein Handy vibrierte. Neugierig öffnete er die neue Nachricht; starrte manisch auf ihren Inhalt. Seine freie Hand krallte sich alsbald in die feste Oberfläche der Couch, während sich seine Kiefer schmerzhaft aufeinanderpressten. Alles, was er lesen konnte, war ein Wort, das seine Entscheidung wollte. Ein einziges kleines Wort, das er nicht ignorieren konnte. Ein einziges Wort. Gleichgültigkeit und Apathie waren Laster des Alters; und nicht einmal dem standen sie gut. Ein Wort.
 

20:41 <Hilfe>
 


 

~*~
 

Mentale Brandflecken


 

Fünfzehnter Teil
 

Laws Hände zitterten immer noch als er den Schlüssel auf den Beifahrersitz seines schwarzen Sportwagens warf, in aller Eile den Gurt um seinen Körper legte, den Motor startete und losfuhr. ‘In 15 Minuten bei dir zu Hause‘, hatte er noch schnell geantwortet und da keine Reaktion folgte, hatte er nicht länger gezögert. Mit heulendem Motor ließ er die östlichen Stadtviertel hinter sich, überholte bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Autos vor sich und kämpfte sich durch den spätabendlichen Verkehr, der an diesem Tag keine Eile zu kennen schien. Als er den Süden der Stadt erreichte, bleib er auf der Hauptstraße und folgte dem Verlauf der Straßenbahnschienen, bis er Gebäude erreichte, die ihm bekannt vorkamen. Hastig bog er in eine Seitengasse, während sein Atem in heftigen, nervösen Stößen seine Lungen verließ und als weißer Nebel durch den eisigen Innenraum seines Wagens schwebte. Vor Aufregung hatte er gar nicht daran gedacht, die Heizung umzustellen.
 

Kids Nachricht bedeutete entweder, dass der Rotschopf selbst in Gefahr war oder aber jemand anderes – so oder so durfte Law keine Zeit verlieren. Als er einen kleinen Hügel erreichte, erinnerte er sich an die Fahrt mit dem Einkaufswagen, folgte der Route und parkte seinen Wagen mit einem erleichterten Seufzen vor einer vertrauten Häuserfront. Die Lichter leuchteten ein letztes Mal auf, als er das Auto verschloss und anschließend in den Innenhof rannte. Die kalte Winterluft brannte in seinen Lungen und er war froh über die Wärme, die ihm seine Mütze schenkte. Doch dieses Mal hatte er keine Zeit, um auf den Müll zu achten, der am Wegesrand lag oder auf den Halbmond, dessen Licht sich tröstlich um die vertrockneten Äste alter Bäume legte.
 

Law richtete all seine Aufmerksamkeit auf sein Ziel: Eine grüne Tür mit abblätterndem Lack. Alsbald huschten seine graublauen Augen über die vergilbten Klingelschilder. Als er feststellte, dass er keinen Namen wiedererkennen können würde, versuchte er sich zu erinnern, welchen Knopf Kid gedrückt hatte. Zumindest wusste er, dass es das dritte Stockwerk sein musste. Am Ende drückte er zwei Klingeln gleichzeitig. „Ich bin’s“, erklärte er, als er ein Knacken im Lautsprecher vernahm, jedoch keine Stimme hörte. Kurz darauf summte die Tür. Er lehnte sich mit seinem Gewicht dagegen und betrat das heruntergekommene Wohnhaus. Eine Katze fauchte wütend, als er auf die erste Treppenstufe sprang.
 

Lass niemanden verletzt sein, betete er wie ein kleines Mantra in seinen Gedanken, wiederholte die Worte immer und immer wieder, in der irrealen Hoffnung, dass sie dadurch wahr werden würden. Kurz rutschte er aus, sein Fuß glitt von einer Stufe, doch er fing sich, indem er das zerbrechliche Treppengeländer umklammerte. Ein schmaler Holzsplitter rammte sich dabei in seine Hand und er verzog das Gesicht, doch ignorierte den Schmerz, um seinen Aufstieg fortzusetzen. Mit jeder weiteren Stufe bereute er seine Flucht vor drei Wochen. Er hatte sich damals freiwillig in die Gefahr begeben, um seine Neugierde zu stillen, nur um am Ende den Schwanz einzuziehen, ohne darüber nachzudenken, was für Konsequenzen folgen konnten. Natürlich muss ich auch an sein Wohl denken, hatte sein Onkel gesagt. Egal was Law erwarten würde, wenn er Kids Wohnung betrat: Es wäre seine Schuld. Allein seine Schuld. Voller Wut auf sich selbst zog er seinen Arm zurück und schlug mit seiner rechten Faust gegen die bröckelnde Wandverkleidung des Treppenhauses. „Fuck!“, brüllte er, teils aus Schmerz, teils aus Frust. Als er seine Hand zurückzog, konnte er Blutspuren auf den Knöcheln sehen, verweilte allerdings nicht, sondern erklomm das letzte Stockwerk.
 

Wild nach Luft ringend erreichte der Student die angestrebte Wohnungstür, beugte sich kurz nach vorn und legte seine Hände unterstützend auf die Oberschenkel, während er versuchte, seinen Herzschlag unter Kontrolle zu kriegen. Alles um ihn herum war leise, keine Schreie, kein Knistern von Feuer… War er zu spät? Mit panisch geweiteten Augen sah Law hoch, richtete sich auf und ging auf die Wohnung zu. Wie er erkennen konnte, war die Tür nur angelehnt. Bitte keine Verletzten…, flüsterte er leise zu sich selbst, als seine Fingerkuppen gegen das Holz drückten und die Wohnungstür mit einem Quietschen öffneten.
 

Um ihn herum war es dunkel bis auf das Mondlicht, das kühl und geheimnisvoll auf das spärliche Mobiliar des Raumes schien. Sogleich umschloss eisige Kälte Laws zitternden Körper und veranlasste den Studenten, die Hände auf seine Oberarme zu legen, um seinen Torso zu wärmen. Er hatte sein Apartment so hastig verlassen, dass er nicht einmal mehr daran gedacht hatte, seine dunkelblaukarierte Schlafanzugshose zu wechseln. Lediglich einen schwarzen Kapuzenpulli hatte er sich übergeworfen und war in seine grauen Schnürturnschuhe geschlüpft. Für mehr war keine Zeit gewesen.
 

Der alte Holzfußboden knarrte, als Law die Wohnung betrat und sich vorsichtig umsah; ein Eindringling in dieser Welt der Stille. Das Bett und der Sessel waren leer, in allen anschließenden Räumen gab es kein Anzeichen von Leben. Auf dem Boden lagen wie beim letzten Mal verschiedene Blätter verstreut. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wandte er sich zum Fenster. Es stand weit offen, der Wind blies in die Vorhänge und ließ sie tanzen, während sich eine kleine Lage aus Schnee auf dem Fensterbrett gebildet hatte. Einige Flocken waren auf dem Boden gelandet. Nachdenklich schob Law die Augenbrauen zusammen, als er das seltsame Bild begutachtete. Plötzlich bemerkte er eine Bewegung auf der rechten Seite, verfolgte die Spur und fand schließlich wonach er gesucht hatte: Unter dem offenen Fenster, neben der kleinen Pfütze aus Schnee hatte sich Kid auf den Boden gesetzt, lehnte an der Wand und starrte nun mit einem zufriedenen Grinsen hinauf zu seinem erschrockenen Gast.
 

„Kid!“, stieß Law in einem Aufschrei hervor, der all seiner Erleichterung freien Raum gab. Der Dunkelheit trotzend ließ er seine Augen über den Körper des jungen Mannes auf dem Boden wandern. Sein Gesicht wirkte etwas schmaler als beim letzten Mal, doch ansonsten schien alles in Ordnung zu sein; äußerlich. „Hey“, erwiderte der Rotschopf auf die ungewöhnliche Begrüßung, hob seine linke Hand und hielt sich eine Zigarette an die Lippen. Ihr Ende glühte auf, kurz bevor er gräulichen Rauch langsam durch seine Nase ausblies, wobei er seinen Gast nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Laws Atmung beruhigte sich indes. „Scheiße… Bei der Nachricht habe ich wenigstens mit ein oder zwei Leichen gerechnet.“ Law nahm seine Mütze vom Kopf und fuhr sich erschöpft durch seine nun verschwitzten Haare. Alles machte den Anschein, als wäre der Hilferuf nur einer von Kids Tricks gewesen und er war wieder einmal reingefallen. Doch das war egal: Keine Verletzten; alles war in Ordnung. Die zynische Übertreibung in Laws Aussage entlockte Kid ein Kichern, bevor er sich einen weiteren Zug gönnte und im Anschluss seinen Arm nach oben streckte, um den Zigarettenstummel aus dem Fenster zu schnipsen.
 

„Willst du mir jetzt sagen, du hast mich den ganzen Weg hierher fahren lassen, nur damit ich das Fenster schließe?“ Law lachte, während er sich neben Kid stellte und tatsächlich die Fensterläden schloss. „Sieht so aus, als würdest du erfrieren wollen. Und was soll der Dreck mit der Dunkelheit? Ist das ein Stromausfall oder bist du auf irgendeinem mystischen Esoteriktrip?“ Die Worte sprudelten nur so aus dem jungen Studenten heraus, als all die Sorgen der vergangenen Minuten seinen Körper und seine Gedanken verlassen wollten. Keine Verletzten. Keine Toten. Zur Bestätigung suchte er ein zweites Mal den Raum ab, fand jedoch nichts Besorgniserregendes.
 

Kid zog seine Füße enger an den Körper und ließ seine Knie schlaksig nach außen fallen, während er mit einer Hand in seine Hosentasche griff, ein Band hervorholte und es daraufhin um seine Stirn knotete. Das Grinsen auf seinen Lippen war verschwunden. „Haste gedacht, jemand wär verletzt?“, fragte er und umklammerte mit den Händen seine angezogenen Knöchel. Law hob nachdenklich eine Augenbraue und begab sich auf die Suche nach einer Antwort, die nicht implizierte, dass seine Befürchtung ein zweites Brandopfer gewesen war. „Ich werde Arzt. Wenn jemand meine Hilfe braucht, gehe ich grundsätzlich davon aus, dass jemand verletzt ist.“ Zufrieden grinsend schlich er zu der Matratze hinter dem Bücherregal und ließ sich rückwärts auf sie fallen. Als er einatmete, verriet ein wohliger Geruch, dass die Laken dieses Mal frisch gewechselt sein mussten. Eine angenehme Überraschung. Kid folgte jeder seiner Bewegungen, rührte sich allerdings nicht.
 

Ein ungeheures Selbstbewusstsein erfüllte mit einem Mal Laws Geist, als er feststellte, dass er den Weg zurück in sein persönliches Wunderland gefunden hatte. Die letzten Wochen hatten nur allzu deutlich gezeigt, wie ihn sein Alltag langweilte und vor lauter Frust hatte er sich beinahe vollständig in seine Wohnung zurückgezogen. Doch das war jetzt vergessen. Da es Kid gut zu gehen schien, konnte Law nunmehr davon ausgehen, dass auch der irre Rotschopf ihm nur geschrieben hatte, um ihn wiedersehen zu können; als würden sie beide die Nähe des anderen suchen. „Vielleicht verstecke ich die Leichenteile ja in der Küche“, wisperte Kid mit einem Mal und lächelte Law aus der Ferne finster entgegen. Für einen Moment griff er neben sich und holte eine offene Flasche Wein hervor, die er daraufhin in seinen Händen schwenkte. Law verdrehte die Augen. „Du bist sauer. Ich habe es verstanden“, erklärte er knapp und während Kids Blick ihn immer noch fixierte, wunderte er sich über die seltsame Atmosphäre, die in der Wohnung lag. Es war anders als beim letzten Mal… Aber das letzte Mal war er auch betrunken gewesen.
 

„Ich hätte nicht gedacht, dass du tatsächlich kommst“, gestand Kid mit einem Mal und stellte die Weinflasche zwischen seinen Beinen ab. Law seufzte müde, legte seinen Hut neben sich und vergrub seine Finger in pechschwarzen Haarsträhnen. „Ich auch nicht“, gab er leise zu und blickte verstohlen zu Kid. Einen Moment schienen beide ihren Gedanken nachzuhängen und keiner sagte ein Wort, bis Law schließlich zur Seite rückte und mit seiner rechten Hand auf den Platz neben sich deutete. Kid schaute zunächst verwundert, stand dann aber auf, nahm die Flasche Wein mit sich und setzte sich zu Law auf die Matratze. Während der Student seine Beine gerade nach vorn streckte, zog Kid seine eng an den eigenen Körper und umklammerte seine Knie mit den Armen. Neben einer dunklen, engen Jeans trug er ein weißes T-Shirt, das offensichtlich zu kurz für ihn war und nun einen Teil seines Rückens entblößte. Law schmunzelte bei dem Anblick: Seine Schlafanzughose und Kids stetig ungeeignete Kleidung… Eigentlich passten sie doch ganz gut zusammen. Er lachte.
 

Sein Sitznachbar drehte verdutzt den Kopf zu ihm und schob die Augenbrauen zusammen. „Was is‘n so lustig?“, hakte er nach. Law schüttelte mit einem breiten Grinsen auf den Backen den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung“, entgegnete er, stellte sich mit einem Mal vor, dass unter ihnen keine alte Matratze lag, sondern ein Haufen voll frisch gefallenem Laub, in dem sie beide versackten. So fügte er flugs ein leises: „Das Leben?“, hinzu. Kid musterte ihn irritiert, musste dann aber selbst lächeln und nicken. „Ja“, nuschelte er, griff abermals in seine Hosentasche und entzündete bald darauf eine neue Zigarette. Als er Law den glühenden Stängel anbot, lehnte dieser mit einer knappen Handbewegung ab.
 

„Vielen Dank übrigens.“ Law stellte verwundert fest, wie beruhigend es auf ihn wirkte, Kid beim Rauchen zuzuschauen und so drehte er sich ein Stück, um bessere Sicht zu haben. Ein grünes Augenpaar musterte ihn verwundert, sodass Law eine Erklärung anfügte: „Für das Buch.“ Kaum hatte er es ausgesprochen, sah er, wie sich auf Kids Lippen ein Lächeln bildete, noch während dieser zwischen Daumen und Zeigefinger gepresst die Zigarette an seinen Mund hielt. „Und?“, fragte er mit verrauchter Stimme. Law grinste: „Scheiß Ende.“ Kid nickte und wiederholte ihn bestätigend: „Scheiß Ende.“ Die beiden schwiegen anschließend, bis die Zigarette lieblos auf dem verkratzten Laminatboden ausgedrückt wurde. Eine letzte Rauschschwade entfloh Kids blassen Lippen, während er den Stummel in ruhiger Konzentration gleichmäßig auf dem Boden drehte. Sein Blick verharrte auf dem frischen Brandfleck, als er vollkommen emotionslos erklärte: „Was willst du wissen?“
 

Law riss überrascht seine Augen auf und schenkte Kid einen fragenden Blick, dann schüttelte er den Kopf: „Warum du so merkwürdig drauf bist? Wär zumindest nen Anfang.“ Kid stutzte und Law fuhr fort: „Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. Ich hätte nicht einfach gehen sollen… Tut mir Leid. Aber aus irgendeinem Grund hast du mir trotzdem geschrieben und ich bin hier, also lass den Dreck.“ Der Rotschopf schob verblüfft seine Unterlippe vor, bevor er seine Arme von seinen Beinen löste und ein Stückchen näher zu Law rückte. „Scheiß drauf was gewesen ist“, entgegnete er und beugte sich nach vorn, sodass er Law direkt in die Augen schauen konnte. Der Student hielt irritiert den Atem an, während er Kid weiter zuhörte: „Ich meine es ernst. Was willst du wissen?“ Kaum war die auffordernde Frage ausgesprochen, fühlte sich Law von einer plötzlichen Melancholie ergriffen. Es war, als hätte Kid ihr kleines Katz-und-Maus-Spiel aufgegeben und dem angehenden Mediziner dabei seiner Herausforderung beraubt. Irgendetwas hatte sich verändert. Der Student kratzte sich nachdenklich am Kinn. Trotz aller Bedenken erkannte er jedoch, dass er es nicht ungenutzt lassen sollte, dass Kid sich ihm öffnen wollte.
 

„Na schön.“ Law überschlug seine Beine und setzt sich im Schneidersitz vor Kid. „Erzähl mir etwas über deine Familie.“ Er konnte erkennen, wie sein Gegenüber für einen Augenblick verblüfft zusammenzuckte. Ganz offensichtlich hatte er mit einer anderen Frage gerechnet; eine Frage, die Law ganz bewusst umgangen hatte. So wurde aus Verwunderung schließlich ein Blick voller Dankbarkeit. Bevor er anfing Law mehr zu erzählen, senkte Kid seinen Kopf und starrte auf seine Hände, die mit dem Saum seiner Hosenbeine zu spielen begannen. „Würde es dich wundern, wenn ich dir sage, dass ich wahrscheinlich so ziemlich wie du aufgewachsen bin?“ Der rhetorischen Frage folgte ein nahezu nostalgischer Glanz in seinen grünen Augen. „Großes Haus, Papa verdient ordentlich Asche, Mutter bleibt daheim und verbringt ihre Zeit mit Yoga und Tennis…“ Law musste grinsen: „Klingt vertraut.“ Allerdings wunderte es ihn tatsächlich, dass Kid aus eben dieser elitären Welt kommen sollte. Seine Art zu reden, seine Kleidung, der Lebensstil… Alles schien das genaue Gegenteil von ihm zu sein.
 

Das Schneegestöber der letzten Tage schien sich indes in einen größeren Sturm zu verwandeln. Wind heulte durch den Innenhof und kämpfte sich mit eisiger Kraft in die dunkle Wohnung. Law rieb sich fröstelnd die Unterarme, während er Kid weiterhin lauschte. Der Rotschopf schien die Kälte hingegen gar nicht zu spüren. „Und da aus den Kindern mal etwas werden sollte, haben wir Geige gelernt, Hockey gespielt, hatten einen Schachlehrer… Meine kleine Schwester hat das irgendwie besser hinbekommen als ich“, er lachte frech, „Ich bin – Überraschung - nen ziemlicher Reinfall als Bonzensohn.“ Law legte neugierig den Kopf schief: „Du hast eine Schwester?“ Kaum hatte er die Frage formuliert, verfolgte er, wie Kid mit einem Lächeln im Gesicht in seinen Erinnerungen zu versinken schien. Es dauerte eine ganze Weile, in der nur das Rauschen des kraftvollen Windes zu hören war, bis Kid seinen Blick wieder auf Law legte.
 

Bevor er fortfuhr, zog er sich sein Stirnband weiter nach unten. „Ich glaube, sie hatten mich trotzdem lieb. Müssen Eltern ja irgendwie... Oder? Ich war vier… oder fünf… keine Ahnung, scheiß drauf. Auf jeden Fall war ich klein, als ich ihnen das erste Mal gestand, dass ich jemanden gehört habe; dass jemand mit mir spricht. Sie nannten ihn meinen unsichtbaren Freund und damit war dann alles gut.“ Während er Kid zuhörte, zog Law seine Hände in seine Ärmel. „Ist ja auch nicht ungewöhnlich für kleine Kinder. Nur etwas gruselig… Mein jüngste Schwester hat…“, begann er beschwichtigend, brach sein persönliches Beispiel allerdings ab, als er Kids strafenden Blick bemerkte. Offensichtlich wollte er auf altkluge Kommentare verzichten und Law kam diesem Wunsch nur allzu gerne nach, denn ihnen beiden war bereits bewusst, dass Kids Geschichte anders enden würde, als die von Laws Schwester. „Drei Jahre später haben sie mir dann verboten jemals wieder irgendwelche unsichtbaren Menschen oder Stimmen zu erwähnen.“ Law verzog den Mund und sah nachdenklich auf den Boden. Akustische Halluzinationen, schlussfolgerte er. Ein verbreitetes Symptom bei Schizophrenie. Er behielt seinen Gedanken allerdings schweigend für sich.
 

„Sie sagten, das wäre nicht normal und weil ich natürlich ‚normal‘ und ein gutes Kind sein wollte, ignorierte ich es. Je mehr ich es ignorierte, desto lauter wurden die Stimmen. Irgendwann wurden aus den Geräuschen Bilder… und irgendwann bewegten sich die verdammten Bilder…“ Noch während er sprach, verschwand der nostalgische Glanz aus Kids Augen und wich blankem Horror. Nervös wippte der Oberkörper des jungen Mannes vor und zurück, bevor er seinen Daumen an den Mund legte und nachdenklich auf der Nagelspitze kaute. „Ich habe nicht mehr geschlafen. Es war immer so laut… Ich glaube, manchmal war meine Mutter da. Wenn ich geweint habe. Vielleicht ist das aber auch nicht echt…“ Er lächelte traurig, während seine Unruhe auf Law überzuspringen schien. Dieser umklammerte nun seinen Körper mit überkreuzten Armen und blickte gedankenverloren auf den schmelzenden Schnee, dessen weiße Unschuld sich nach und nach in eisiges Wasser verwandelte. Wahrnehmungsstörungen, dachte er für sich.
 

Der Schneefall hatte sich indes zu einem beachtlichen Sturm entwickelt, dessen Böen nun unbarmherzig gegen klappernde Fensterläden drückten und eisige Kälte in die dunkle Wohnung trieben. Kid rieb sich das Kinn. „Ich würde meiner Schwester Angst machen, hat mein Vater gesagt. Wir sind eine normale Familie und ich soll mir nicht so nen Scheiß ausdenken. Ich sei zu alt, um Angst vor dem Monster unter meinem Bett zu haben…“ Ein verächtliches Schnauben entwich seiner Nase, bevor er kurz zu Law sah. „Er wollte einfach einen Sohn wie jeder andere… So jemanden wie dich. Das kann man ihm nicht übel nehmen, denke ich.“ Law zog unentschlossen die Augenbrauen zusammen. Es war nicht unüblich, dass es dauerte, bis Familien eine Krankheit ihrer Angehörigen erkannten und Hilfe suchten. Vielleicht war es sogar noch schwieriger, wenn Symptome mit kindlicher Phantasie verwechselt wurden. Allerdings lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er sich vorstellte, dass Kids Monster mehr als echt gewesen sein musste. Zwar lebte es nicht unter seinem Bett sondern in seinem Kopf, doch sorgte eine psychische Störung dafür, dass die Ängste für das Kind real wurden: akustisch und in Gestalt. Eine traumatisierende Erfahrung, ohne Frage. „Und deine Mutter?“
 

Kaum war die Frage gestellt, zuckte Kid unbeeindruckt mit den Schultern. „Ich glaube, die wollte einfach, dass alle glücklich sind. So wie die Menschen auf Cornflakes-Packungen, weißte? Ich glaube, das hätte ihr gefallen.“ Kid lachte kurz und Law stimmte mit ein, so traurig der Hintergrund des Gedankens auch war. „Meiner wahrscheinlich auch“, fügte er hinzu und freute sich über Kids anschließendes Lächeln, das ein wenig Erleichterung in sich trug. Augenscheinlich war er dankbar um jeden Hauch von Normalität, den Law dieser Unterhaltung einverleiben konnte. Ihr Lachen war kaum verebbt, da griff der Rotschopf abermals in seine Tasche, holte eine dritte Zigarette hervor und legte sie in seinen Mundwinkel. „Als ich zwölf war“, begann er, untermalt von dem Klicken eines Feuerzeugs, „nahm mich mein Dad mit zu ner Autowerkstatt. Das war voll das Ding für mich, weil ich nicht so oft raus kam… Hätte ja einer merken können, dass der Sohnemann sie nicht alle beisammen hat.“ Mit einem zynischen Grinsen im Gesicht, legte Kid den Kopf schief und entzündete den trockenen Tabak, während orangener Schein für Sekunden sein Gesicht erhellte. Law nahm unmittelbar das zufriedene Schimmern in seinen Augen wahr, welches die nun folgende Erinnerung begleiten würde.
 

„Wie auch immer… Mein Vater verschwand mit dem Mechaniker und ich ging auf Streifzug. Da war überall Werkzeug und es roch nach Öl und die Räume waren voll vom Geräusch von Metall, mit dem gearbeitet wurde… Es war der verdammte Himmel“, erklärte er. Law wuselte sich durch die Haare und dachte zurück an sein erstes Mal in einem Operationssaal. Er kannte das Gefühl nur zu gut, das Kid gerade beschrieb. „Es war leise“, meinte dieser schließlich, während sein Blick schüchtern zu Law huschte, in der Hoffnung, der angehende Mediziner würde ihn verstehen. „Keine Stimmen“, stellte Law daher fest und erntete ein zufriedenes Nicken. „Ich wollte gerade nen Schraubenzieher mitgehen lassen, als ich eine in die Fresse bekam.“ Kid lachte, doch sein gegenüber riss verwundert die Augen auf. „Dein Vater?“, fragte er hastig und verfolgte, die der Rotschopf seinen Kopf schüttelte, während er seine Beine an sich zog und sich auf seine Knie stützte. „So hab ich Killer kennengelernt“, erklärte er und zog an der Zigarette zwischen seinen Fingern, wobei ihn nicht zu stören schien, dass die Asche auf seine Hose fiel und kleine Löcher brannte. Law blieb zunächst verdutzt, dann ergab er sich einem Kichern. „Wie sonst?“, murmelte er, schnappte sich den Glimmstängel aus Kids Hand und gönnte sich nun selbst einen Zug. Kid wuselte sich amüsiert durch die Haare, anschließend zog er sich das Band von der Stirn. „Hat nen Schraubenschlüssel benutzt. Das Andenken hab ich immer noch. Hier!“ Kurz drehte er sich zu Law, zog seine Lippe nach oben, sodass er seine oberen Zähne entblößte, um mit der Zungenspitze auf den abgebrochenen Zahn zu deuten. Law schüttelte ungläubig den Kopf. „Der Beginn einer großen Liebe“, feixte er ironisch.
 

Kid schnappte sich grinsend seine Zigarette zurück, legte sie in seinen Mundwinkel und atmete den würzigen Rauch tief ein. „Oder so ähnlich…“, säuselte er mit belegter Stimme und schnippte den hinterbliebenen Zigarettenstummel zu der kalten Wasserpfütze unter dem Fenster. Law fuhr sich nachdenklich durch die Haare. Er erinnerte sich daran, dass Killer eine Freundin erwähnt hatte, was aber nicht ausschließen würde, dass er auch an Männern interessiert war. Fragend hob er seinen Blick: „Dann seid ihr…?“ Kid hob offensichtlich amüsiert eine Augenbraue hoch. „Ein Paar? Nicht dein Ernst oder?“ Das Schimmern in seinen Augen belächelte den jungen Studenten neben ihm. Law zuckte mit den Schultern und forderte Kid damit zu weiteren Erklärungen auf.
 

„Nach dem Tag hab ich mich öfters aus dem Haus geschlichen, um zur Werkstatt zurückzukommen. Vielleicht wussten‘s meine Eltern, vielleicht auch nicht. Vielleicht war‘s ihnen auch egal… keine Ahnung. Aber es war immer so leise dort und ich wusste, das alles echt war…“ Law lauschte schweigend der Geschichte, spulte dabei in seinen Gedanken eine Liste verschiedenster Symptome ab und setzte sie mit dem Gehörten in Verbindung. Verschiedenste Bilder in Form und Farbe, Geruch, unterschiedlichste Materialien, laute Geräusche, brennende Dämpfe, die auf der Zunge haften blieben… Gab man sich dem Erleben hin, dann konnte selbst eine Werkstatt zu einem Ort werden, der mit allen Sinnen aufs Intensivste erlebt wurde. Ein Ort, der nach Kids Erzählungen für ihn wie ein Anker zur Realität fungiert hatte. Ein natürliches Mittel gegen jede Art von Psychose oder Halluzination. Berücksichtigte man eine psychische Grunderkrankung, konnten Sinneseindrücke noch nachdrücklicher erlebt werden. 'Den Himmel' hatte Kid es genannt. „Killers Vater arbeitete dort und nachdem mir Killer beim ersten Mal einen Zahn ausgeschlagen und ich nicht gepetzt hatte, mochte er mich. Irgendwie.“
 

Eine Erinnerung zauberte ein breites Grinsen auf Kids Gesicht, bevor er sich ausstreckte, nach hinten fallen ließ und an die Zimmerdecke starrte. „Sein Vater arbeitete und wir haben gebastelt. Es war, als wäre Killer der einzige Mensch, der mich versteht. Als hätte ich… scheiße… was weiß ich… Als hätte ich mich gefunden.“ Law stutzte und drehte sich über die Seite, sodass er Kid ins Gesicht schauen konnte. „Du dich?“, erkundigte er sich verdutzt. Der Gefragte drückte sich seine roten Haare tief ins Gesicht und kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. Als keine Antwort folgte, betrachtete Law abermals die unzähligen Aufzeichnungen an den Wänden des kleinen Raumes, all die Zahlen und Symbole in ihrer chaotischen Ordnung. Schizophrenie, sagte er sich abermals. Einmaliges Auftreten, episodisch, chronisch. Patienten mit Ich-Störungen. Gedanken werden als eingegeben betrachtet, von außen oder von sich selbst auf andere, ohne jeden Bezug. Als hätte ich mich gefunden. Er schluckte schwer, während er seine Fingerspitzen nachdenklich über die weißen Leinen der Bettdecke streifen ließ. Killer und Kid… Innerlich schmunzelte er zynisch über den Gedanken, der sich vor ihm auftat: Wie eine Prothese für einen irreparablen Geist.
 


 

~*~
 

Seelensplitter (1/2)


 

Sechzehnter Teil
 

Wie eine Prothese für einen irreparablen Geist...
 

Law erinnerte sich daran, dass Killer in der S-Bahn Kid die Falafeltasche gegeben hatte. Ebenso dachte er an die Dinge, die Killer in ihrem kurzen Gespräch erwähnt hatte. Eigentlich erzähle ihm Kid alles, eigentlich wusste Killer über alles Bescheid; eine Beziehung gab er auf, wenn es seinem geistig gestörten Kumpel nicht gefiel. Er verdiente das Geld, hielt den exzentrischen Rotschopf über Wasser… So betrachtet wurde der seltsame Kerl zu dem Teil in Kids Leben, der den Anforderungen der Gesellschaft entsprechen und eine Existenz ermöglichen konnte. Ein zweiter Teil. Es verwunderte ihn nicht länger, dass Kid die kurze Episode über seine Familie mit Killer abschloss; dass Killer die letzte und wichtigste Person war, die er in seiner Vita erwähnen wollte.
 

Damals im Park hatte Law gefragt, ob Kid von seinen Eltern misshandelt worden war und ihn hatte die Gewissheit erfüllt, dass Kids Verneinung eine Lüge sein müsse. Doch er hatte Unrecht gehabt. Es war eine durchschnittliche Familie, die sich nicht sonderlich von seiner eigenen unterschied. Nichtsdestotrotz war es wohl gerade diese Normalität, die Kid trotz aller Liebe zu einem Fremdkörper machte, von dem niemand wusste, wie mit ihm umzugehen sei. Die Begegnung mit Killer wurde damit zum Lichtblick am Ende eines langen, verwirrenden Tunnels und im Wunderland war es auf einmal nicht mehr einsam. Ein zweiter Teil, der den Wahnsinn erträglich machte…
 

Gedankenversunken legte Law den Kopf schief und blickte auf den kleinen Brandfleck im alten Holzboden. Wenn Kid also seinen Freund als einen Teil seiner selbst ansah, mussten einige Dinge neu erörtert werden. Ein solcher Perspektivwechsel machte eine Gewalttat zu einem Akt der Selbstzerstörung, erkannte Law, während er zurückdachte an die Narben, die Killers Gesicht übersäten. So wenig er Kids aggressiven Freund leiden konnte, die Erkenntnis machte ihn zu einer tragischen Figur in diesem abstrusen Spiel. Kids Intention musste ebenfalls neu interpretiert werden. Wieso sollte er jemanden angreifen, den er als eine Erweiterung seiner selbst bezeichnete? Als jemanden, der ihm half, seinen eigenen Wahnsinn unter Kontrolle zu halten? „Ich denke, ich verstehe was du meinst“, murmelte Law schließlich und empfing ein dankbares Lächeln. Gleichzeitig überlegte er, was sein Onkel von all diesen Informationen halten würde und ärgerte sich darüber, dass er die Krankenakte nicht gelesen hatte.
 

Immer stärker rüttelten die Sturmböen gegen das alte Fenster des dunklen Raumes und schenkten der Stille zwischen den beiden jungen Männern eine unheilvolle Melodie. Kurze Zeit später winkelte Kid ein Bein an und setzte sich mit Schwung auf, um abermals nach dem Wein zu greifen, der bis dahin ungeachtet neben der Matratze verweilt hatte. Nachdenklich kreiste er mit der Daumenspitze über die runde Öffnung am Flaschenhals, bis er schließlich traurig seufzte. „Mein Vater denkt, ich bin nen Risiko für meine Schwester und wahrscheinlich hat er Recht… Scheiße man… Ich hab sie fünf Jahren nicht gesehen.“ Erneute Stille. Nachdem er Kid eine Zeit lang gemustert hatte, entschloss sich Law eine Hand auf dessen Schulter zu legen. Zwar war er noch nie ein empathischer Mensch gewesen und bisweilen fiel es ihm schwer, sich vollends in andere Menschen hineinzuversetzen, doch spürte selbst er, dass Kid in diesem Moment die Nähe eines Menschen brauchte. Hatte er ihm deshalb geschrieben?
 

Kurze Zeit später fuhr sich Law unsicher durchs Gesicht. „Das tut mir Leid“, sagte er und wunderte sich über das Kichern, das er Kid damit entlockte. Als sich dieser wieder beruhigt hatte, drehte er sein Gesicht und funkelte Law nahezu herausfordernd an. Neugierde glitzerte in seinen grünen Augen, während der Mediziner spürte, wie sich seine Atmung beschleunigte. „Ist das alles, was du wissen willst?“, fragte er und stützte seine rechte Schläfe auf die Flasche in seinen Händen. Law hob verwundert die Augenbrauen, setzte anschließend seinen Hut ab und wuselte nachdenklich durch seine pechschwarzen Haare, während er konzentriert die Kratzer im alten Fußboden verfolgte. Der angehende Mediziner wusste nur zu gut, was er fragen wollte; welche Antworten er von anfangt an gesucht hatte. Dennoch spürte er, dass eine seltsame Atmosphäre im Raum lag und es noch nicht an der Zeit war, sein Glück und Kids Geduld auf die Probe zu stellen.
 

„Du hast mir das Buch vor die Haustür gelegt, weil du mir damit etwas sagen wolltest. Stimmt’s?“, fragte er schließlich mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Kaum hatte er das Spiel eröffnet, funkelte kindliche Aufregung in Kids Augen, als er die Flasche wieder neben sich stellte und sich zu Law drehte. Das letzte Mal war beim Austausch im Park jeder erdenkliche Punkt an Kid gegangen, während Law blind im Dunklen gestochert hatte. Doch mit den neuen Informationen könnte er die zweite Runde eventuell für sich entscheiden. Gleichzeitig wurde er neugierig auf die Dinge, die Kid vermuten würde; die Dinge, die Kid an ihm interessierten „Stimmt.“ Law bekam seine Antwort mit fester Stimme, bevor Kid ohne zu zögern den nächsten Satz formulierte: „Du hast dich gefreut, als du meine Nachricht bekommen hast.“ Der Student stutzte über die Wahl des Themas, genoss allerdings, dass es sich um ihre Beziehung zueinander handelte. „Stimmt“, entgegnete er mit einem Lächeln, das Kid allerdings nicht erwiderte. Stattdessen betrachtete er Laws blaugrauen Augen ohne jeden Ausdruck im Gesicht, als würde er eine Matheaufgabe lösen.
 

Irritiert legte Law die Stirn in Falten. Es war nicht untypisch für schizophrene Patienten mit unpassenden Emotionen zu reagieren oder auch vollkommen emotionslos, allerdings war er sich bei Kid immer noch nicht sicher, wann es sich um ein Symptom und wann um schiere Berechnung handelte. Wieder einmal fühlte er die Faszination, die ihn geradezu magisch an den irren Rotschopf fesselte. Als sich auch kurze Zeit später keinerlei Veränderung in Kids Gesichtsausdruck abzeichnete, entschloss sich Law in die nächste Runde zu gehen. Nachdenklich drehte er eine schwarze Haarsträhne um seine Fingerkuppe, während seine Augen im Schutz der Dunkelheit die Rechnungen an den Zimmerwänden betrachteten. „Du hast das Buch ausgesucht, weil du denkst, dass du zu Unrecht für die Sache mit Killers Gesicht verantwortlich gemacht wirst.“ Zufrieden biss er sich auf die Unterlippe. Ganz geschickt hatte er es geschafft, die Unterhaltung auf das langersehnte Thema zu lenken, ohne dabei zu offensiv vorzugehen.
 

„Hmmm…“, murmelte Kid in einem erschöpften Lächeln, wandte seinen Blick von Law ab, musterte die grüne Flasche am Boden, zog seine Beine so weit wie möglich an den eigenen Körper und umklammerte seine nackten Fußspitzen mit den Händen. Nachdem er Kafkas Buch aufmerksam gelesen hatte, konnte Law zu keiner anderen Schlussfolgerung kommen. Nach allem was er über Kid erfahren hatte, konnte er sich nicht vorstellen, dass dieser tatsächlich seinem besten Freund, den er als Teil seiner selbst ansah, absichtlich das Gesicht in Brand gesetzt hatte. Zu gerne würde Law zum Verteidiger in dieser kleinen Horrorshow werden und sich, seinem Onkel und der Welt beweisen, dass Kid in keinster Weise eine Bedrohung für sich selbst oder für andere darstellte. Als dem angehenden Mediziner bewusst wurde, welche Gedanken ihn gerade beschäftigten, zuckte er verwundert zusammen. Ein erschrockener Blick legte sich auf Kids schlanken Körper, der nun lethargisch vor und zurück wippte.
 

Law schluckte schwer. Er wollte nicht, dass Kid schuldig war. Er wollte nicht, dass Kid das psychotische Wrack war, zu dem ihm die Aussagen seines Onkels in Laws Augen hatten werden lassen. Er verfolgte Kids Blick, bis auch er die halbvolle Weinflasche musterte und seufzte. Vielleicht wollte er auch nur vor sich selbst rechtfertigen, weshalb er abermals in dieser Wohnung saß und sich über Werkstätten und abgebrochene Zähne unterhielt, anstatt an seiner Karriere zu arbeiten. „Stimmt nicht.“ Der Student schreckte aus seinen Gedanken hoch, als er die resignierende Antwort neben sich vernahm. Irritiert riss er seine Augen auf, hielt den Atem an und starrte gebannt auf Kid. Die feuerroten Haare des Mannes, die sonst wild und durcheinander vom Kopf abstanden, schienen nun müde auf die blasse Haut seines Gesichts zu fallen, wobei sie tiefschwarze Schatten über die grünen Augen warfen. Kids bis dahin leere Mimik verwandelte sich indes in ein breites Grinsen, während er seinen Kopf langsam über die Schulter drehte und Law voller Vorfreude angrinste. Der Anblick jagte unmittelbar einen Schauer über Laws Rücken. „Das Feuer war meine Schuld“, erklärte er und als Law bereits der Kiefer nach unten klappte, fügte er noch ein zufriedenes: „War Absicht“, hinzu. Anschließend griff er nach der Weinflasche, schwenkte sie in seinen Händen und beobachtete amüsiert Laws vor Entsetzen verzerrtes Gesicht.
 

„Du lügst“, stieß der Student mit einem Mal hervor und versuchte seine Stimme dabei möglichst ruhig zu halten. Seine Gedanken drehten sich, während er versuchte einzuschätzen, ob er sich gerade in Gefahr befand. Jetzt hing alles davon ab einen ruhigen Kopf zu bewahren, sagte er sich und fuhr sich durch seine dunklen Haarsträhnen. Trotz der klirrenden Kälte im Raum hatte sich ein dünner Schweißfilm auf seiner Stirn gebildet. Langsam atmete er ein, bis seine Lungen vollständig mit frischer Luft gefüllt waren, dann blies er durch die Nase aus und versuchte seinen Herzschlag zu kontrollieren.
 

Das Geständnis löste in Law etwas aus, mit dem er nicht gerechnet hätte, doch war er sich nicht sicher, ob es blanke Panik oder reine Enttäuschung war. „Wieso solltest du dein…“, begann er, wurde aber von einem schleifenden Geräusch unterbrochen. Als er seinen Blick drehte, identifizierte er den Laut als das Schnappen eines Feuerzeugs, das Kid mit der Weinflasche ausgetauscht hatte. Nun drehte sein Daumen den Zünder, sodass in unregelmäßigen Abständen ein kleines Licht den Raum erhellte. „Würd‘ ich lügen, könnten wir das verdammte Spiel in die Tonne treten, Idiot“, entgegnete der Rotschopf zufrieden und verfolgte hingebungsvoll das Flammenspiel in seinen Händen. Law betrachtete es hingegen zunehmend alarmiert, versuchte jedoch seinen angeborenen Fluchtinstinkt zu unterdrücken. „Den Scheiß hier machst du doch mit Absicht“, schlussfolgerte er und deutete wenig amüsiert auf das Feuerzeug. Kid kicherte vergnügt. „Ich bin dran“, feixte er.
 

Immer noch legte sich das Lichterspiel über den Raum, zuckte spastisch über die Wände und erschuf bedrohliche Schatten auf dem Gesicht seines Schöpfers. Law hielt den Atem ab, während er angespannt verharrte. Er hatte keine Ahnung, worauf ihn der Rotschopf absprechen würde und gab es auf, nach weiteren Antworten zu suchen. Seine Idee über den jungen Mann hatte in den letzten Minuten eine Kehrtwende gemacht, alle seine Hoffnungen waren in einer winzigen Flamme verglüht. Zurück blieben Irritation und ein ungutes Gefühl im Magen. Kid ließ sich unterdes alle Zeit der Welt, spielte mit dem Feuerschein in seinen Händen und verfolgte fasziniert die Funken, welche sich um seine Hand versprühten. Kurze Zeit später hielt sein Daumen den kleinen Plastikknopf gedrückt, erhielt die Flamme am Leben, bis sie das Metall unter sich stark genug erhitzt hatte, um die Haut daneben zu verbrennen. Kids Hand zuckte; ließ das Feuerzeug mit einem leisen Klirren auf den Holzfußboden fallen. Währenddessen steckte sich der Rotschopf seinen verbrannten Daumen in den Mund und starrte gedankenverloren an die gegenüberliegende Wand.
 

Für Law verstrich eine gefühlte Ewigkeit der Stille, bis Kid schließlich seinen Mund leerte, die Spucke auf seinem Finger an der Hose abstrich und mit nachdenklich zusammengekniffenen Augen zum jungen Mann neben sich sah. „Du denkst, du könntest mir helfen“, murmelte er; flüsterte beinahe. Law setzte sich überrascht auf. Kurz dachte er zurück an den Moment, als er Kids Nachricht erhielt und die Hektik, mit der er versucht hatte, in die Südstadt zu gelangen. Vorsichtig strich er mit dem Mittel- und Zeigefinger über die Innenfläche seiner rechten Hand und ließ sie über der Verletzung ruhen, die der Holzsplitter auf der Treppe verursacht hatte. Was willst du wissen? Kids Frage rauschte in seinen Ohren, während er spürte, wie ein Gemisch aus Ärger und Scham heißes Blut in seinen Kopf pumpte. Wie hatte er nur so dumm sein können?
 

Er war Mediziner, träumte von weißen Kitteln und der Macht im Operationssaal über Leben und Tod zu entscheiden mit fremden Blutflecken auf lindgrünen Handschuhen. Er hatte seinen Onkel oft belächelt, als dieser von seiner Arbeit sprach, hatte eine Karriere innerhalb der Psychotherapie niemals in Erwägung gezogen. Nun saß er hier, auf einer alten Matratze in einer kalten Wohnung und realisierte, wie ohnmächtig er war ohne sein Skalpell; wie frustrierend und zermürbend die Arbeit war, der sich sein Onkel jeden Tag widmete. Nein. Er konnte Kid nicht helfen. Nein. Er hatte absolut keine Ahnung, was er tat; hatte es nicht einmal vollbracht Kid die richtige Frage zu stellen. Anstatt Kid zu helfen, hatte er sich seiner eigenen, narzisstischen Neugierde hingegeben. Nein. Er hatte schon zu viele Fehler begangen seit dem Tag, an dem er Kid das erste Mal begegnet war. Nun war es Zeit dafür geradezustehen. Hoffentlich war es noch nicht zu spät…
 

„Stimmt nicht“, presste Law zwischen angespannten Lippen hervor, vermied es allerdings Kid ins Gesicht zu schauen. Er brauchte einen Moment des Schweigens und der Isolation, um endlich das Richtige zu tun. Immer noch brannte die Neugierde in ihm und er schämte sich dafür; besonders da er wusste, wie sehr Kid diese Thematik verabscheute. Law wollte immer noch wissen, wie es zu Killers Narben kam. Ebenso wollte er eine Antwort zu den tiefen Spuren auf Kids Stirn. Dies waren die Dinge, die ihn wirklich interessierten, doch hatte er im Laufe des Gesprächs gemerkt, dass ihm etwas viel Wesentlicheres entgangen war. Was willst du wissen?, hatte ihn Kid gefragte. Seine Antwort war schierer Egoismus gewesen und obwohl Kid sich dessen mit Sicherheit bewusst war, hatte er Law nicht darauf aufmerksam gemacht. Er sollte selbst drauf kommen: Es ging schon lange nicht mehr darum Neugierde zu stillen. Kurz wanderten seine graublauen Augen zu den Schneeflocken, die erbarmungslos gegen die Fensterscheibe geschleudert wurden, ohnmächtig ihrem fatalen Schicksal zu entrinnen. Law drehte sich zu Kid.
 

Der Student verstand zunehmend, was die richtige Reaktion auf Kids Frage gewesen wäre und es ärgerte ihn, dass er es nicht direkt begriffen hatte. Er hätte diesen Raum betreten, Kid ansehen und ohne zu zögern diese eine Frage stellen müssen – wäre er nur kein narzisstischer Idiot. Egal ob Trick oder Ernst, er hätte diese Frage von Anfang an stellen müssen. „Wie denkst du, könnte ich dir helfen?“, formulierte er schließlich. Es war so naheliegend und doch schien Laws Sucht nach Diagnosen und medizinisch verwertbaren Antworten zu groß, um diese einfache, zwischenmenschliche Brücke zu überschreiten. Kids Augen weiteten sich vor Überraschung, während sein Blick erstarrte und er verunsichert auf sein Gegenüber sah. Langsam hob er seinen Kopf; biss sich unschlüssig auf die Unterlippe. Plötzlich wandte er sich ab und fuhr sich mehrmals durch die eigenen Haare, als könnte er nicht glauben, was gerade passierte; als wäre er unfähig, auf diese Frage zu reagieren.
 

Kids Oberkörper begann mit einem Mal verräterisch zu zittern, während er seinen Mund immer wieder öffnete, als würde er etwas sagen wollen, doch versagten die Worte ihren Dienst. „Warum hast du mir geschrieben?“, bohrte Law weiter nach, rückte näher zu Kid und wollte gerade einen Arm um dessen bebenden Körper legen, als er zurückgeschupst wurde. „Nicht anfassen“, forderte Kid mit atemloser Stimme, als hätte er gerade einen Marathon bewältigt. Law wich überrascht zurück, kam der Bitte aber augenblicklich nach. Um Abstand zwischen sich und Kids Körper zu bringen, stand der angehende Mediziner auf, torkelte unbeholfen zur gegenüberliegenden Wand und widmete seinen Blick den aufgezeichneten Zahlen. Er wusste nicht, ob er Kid anschauen sollte, also beschloss er, mit der Spitze seines Zeigefingers konzentriert die gekritzelten Formen auf der abblätternden Tapete nachzuzeichnen. Es kränkte ihn ein wenig, dass es Kid so sehr überraschte, dass es sich auf einmal für mehr als dessen Vergangenheit interessierte, doch andererseits hatte er keine andere Reaktion verdient.
 

„Das klingt vielleicht, als ergäbe es keinen Sinn, aber es ist so…“, begann Law und fuhr die Linien eines Omegas entlang. „Ich denke nicht, dass ich dir helfen kann. Mein Onkel vielleicht… Oder andere Menschen… Ich hab da echt keine Ahnung von. Tut mir Leid…“ Entschlossen drückte er daraufhin seine Handfläche auf den festen Untergrund der Wand und drehte sich zu Kid. „Aber wenn du denkst, dass ich dir trotzdem oder zumindest irgendwie helfen kann, dann musst du mir sagen wie“, seine Stimme wurde ungewollt leiser für die letzten Worte: „…und ich tu’s.“ Zu Beginn bedeckten die roten Haare sein Gesicht, doch als Kid schließlich seinen Blick hob, konnte Law das wenige Licht der Nacht in dessen Augen glitzern sehen. Seine Muskeln hatten sich inzwischen wieder entspannt, doch seine Mimik war weiterhin von Verständnislosigkeit gezeichnet.
 

Nachdem sich die beiden jungen Männer für eine Weile schweigend angesehen hatten, folgte Kid Laws Beispiel und stand auf. Erschöpft schlich er zur Wand und bedachte seine mathematischen Werke mit einem prüfenden Blick, der mit einem Kichern endete. „Bevor dein Onkel…“, begann er, zog jedoch nachdenklich die Augenbrauen zusammen und verstummte einen Moment, bis er neu ansetzte. „Nach der Sache mit Killer, als ich in die Irrenanstalt gesteckt wurde, fragte mich der Doc dort irgendwann, was ich mal machen will, also Job und so…“ Er sprach konzentriert, sah allerdings nicht zu Law. „Ich sagte, ich würde in die Wissenschaft gehen, künstliche Intelligenz, Roboter bauen, die Welt verändern…“ Während er lauschte, huschte ein Lächeln über Laws Lippen. Mit Blick auf die Rechnungen an den Wänden würde er nur zu gerne wissen, wozu Kids Verstand tatsächlich im Stande war. „Was war die Antwort?“, fragte er interessiert. Kid schnaubte belustigt. „Sie hat genickt. Ne Woche später hab ich nen Chemiebaukasten bekommen.“ Kaum schloss er seinen Satz, suchten Kids grüne Augen die seines Gegenübers, warteten neugierig auf eine Reaktion, bis Law schließlich zu Lachen begann und Kid einstimmte.
 

„Hoffentlich hast du dich bedankt“, meinte Law mit einem ironischen Grinsen, während er sich mit dem Rücken an die Wand lehnte und amüsiert zu Kid sah. „Ich war so angepisst, dass ich das Scheißteil genommen und im Gruppenraum nen Feuer gelegt hab.“ Die Augen des Mediziners weiteten sich vor Überraschung, dann musste er erneut lachen – was hatte er anderes erwartet? Auch Kid schmunzelte. „Macht sich zwar nicht gut in der Akte, aber dafür habe ich dann deinen Onkel bekommen.“ Es überraschte Law wenig, dass sich Therapeut und Patient aufgrund von Kids penetrant antisozialem Verhalten kennengelernt hatten, schließlich hörte er nur allzu oft seinen Onkel von seiner Leidenschaft zu den hoffnungslosen Fällen reden. Kids Verstand war die perfekte Spielwiese für einen intelligenten Tüftler, wie sie es alle in seiner Familie waren.
 

„Was hat mein Onkel anders gemacht?“, fragte Law interessiert, lehnte sich mit seiner linken Schulter gegen die Wand und legte den Kopf schief. Nachdem der Student begriffen hatte, wie unentschuldbar viele falsche Entscheidungen er in Bezug auf Kid getroffen hatte, war er gespannt auf eine alternative Herangehensweise. Kid verzog nachdenklich den Mund, lief an Law vorbei zum Fenster und betrachtete einige Zeit das gewaltige Schneetreiben, bis er sich abwandte und zum Regal schlenderte, das den Raum in zwei Hälften teilte. „Stell dir vor, du stehst eines Morgens auf, alles ist wie immer, nicht perfekt aber in Ordnung…“, begann er, als würde er eine Geschichte erzählen. Law drehte sich zu ihm und verfolgte mit ausdrucksloser Miene, wie Kids Finger über die wenigen Buchrücken des Regals glitten. Wie damals im Arbeitszimmer… Er lauschte, als Kid fortfuhr.
 

„Und auf einmal schaut dich jeder an, als wärst du ein völlig andrer Mensch… Nen Alien oder so und sie alle erklärn dir, du bist krank. Dein Kopf funktioniert nicht richtig…“ Kid erzählte voller Konzentration und Law begann zu begreifen, dass er nun erfahren würde, was es mit dem Buch auf sich hatte. „Du bestehst drauf, dass alles ok ist, du bist ok…“, vorsichtig hob er seinen Blick, um den Studenten mit seinen grünen Augen zu fixieren. Seine Stimme war düster, als würde allein der Gedanke an den folgenden Satz jede kindliche Freude aus ihm saugen und nichts als leblose Kälte zurücklassen: „Du hast in dem Moment verloren, in dem es Teil deiner verfickten Krankheit ist, dass du verdammt noch mal nicht weißt, dass du krank bis…“ Kids Gesicht war gezeichnet von Schmerz und Verzweiflung, als er unbeirrt auf Law starrte und dessen Reaktion verfolgte. Ein Prozess, den man nicht gewinnen kann, schlussfolgerte Law in Gedanken, zog die Mundwinkel nach unten und nickte, um Kid zu zeigen, dass er begriff. Schizophrene Patienten waren sich zumeist nicht bewusst, dass etwas mit ihnen nicht stimmte: „Jedes Argument und jeder Satz wird als Symptom angesehen.“
 

Es ratterte laut, als eine starke Windböe die brüchige Fensterrahmung erzittern ließ. Kid hielt Laws Blick nur wenige Sekunden stand, dann schnappte er sich ein altes, zerfleddertes Buch aus dem Regal und blätterte durch einige Seiten. „Ein Arzt sagt etwas und schon biste verdammt zu einer lebenslangen Teeparty mit deinen besten Kollegen Schizophrenie und psychotischer Episode und da es immer sechs Uhr ist, hast du keine Chance, die beschissene Teegesellschaft jemals zu verlassen, bis du irgendwann selbst nicht mehr weißt, was real und was dein persönlicher Wahnsinn ist.“, seufzte er und ließ das Buch fallen. Kurz nachdem es auf dem Boden landete, erkannte Law das weiße Kaninchen und das kleine Mädchen auf dem Umschlag. Als er den Blick anschließend wieder hob, musste er überrascht schmunzeln...
 


 

~*~
 

Seelensplitter (2/2)


 

Siebzehnter Teil
 

Kids roten Haare waren nun beinahe vollständig von Laws weißem Hut mit den wenigen grauschwarzen Punkten verdeckt; nur an der Stirn, den Ohren und im Nacken kämpften sich rebellische Strähnen in die Freiheit. Die malerische Ironie, die sich vor ihm darlegte, ließ den Studenten den Kopf schütteln, während er nahezu gerührt grinste. Selten hatte er sich mit der Perspektive eines Patienten intensiv auseinandergesetzt, denn bisher hatte er nie einen Grund dazu gehabt. Ebenso hatte er sich niemals gefragt, was die Diagnose einer psychischen Erkrankung für die Betroffenen tatsächlich bedeutete. Law konnte inzwischen nicht mehr leugnen, dass ihm etwas an dem rothaarigen Idioten lag und so erfüllte ihn allein die Vorstellung von dessen Erlebnissen in den letzten fünf Jahren mit Mitgefühl. „Der Hutmacher war immer meine Lieblingsperson“, erzählte Law schließlich und freute sich über das dankbare Mienenspiel, das sein Geständnis auf Kids Gesicht zauberte.
 

Eine Zeit lang schwiegen die beiden jungen Männer, als hätten sie Angst, die besondere Atmosphäre, die sich gerade über den Raum gelegt hatte, zu zerstören. Unsicher schlenderte Kid schließlich an Law vorbei, schnappte sich den Wein vom Boden und ließ seine Daumenspitze gedankenverloren über die runde Öffnung am Flaschenhals kreisen. „Dein Onkel…“, begann er anschließend und sicherte sich somit im Bruchteil einer Sekunde Laws ungeteilte Aufmerksamkeit, „versuchte mich verstehen zu lassen, was genau in meinem Kopf passierte. Er meinte, ich wär nen Analytiker und wenn ich es verstehen würde, dann könnte ich damit leben…“ Law schmunzelte, als er sich über die Raffinesse seines Familienmitglieds freute. Der alte Mann hatte mehr auf dem Kasten, als er ihm bisher zugestanden hatte. Ein Blick auf die Wände dieser Wohnung genügte, um zu begreifen, wie sinnvoll der Plan seines Onkels damals gewesen war.
 

„Mir gefiel die Idee und ich hab den ganzen Schrott gelesen… Bücher und Studien und son Mist. Ich kannte die Medis und wusste am Ende alles über Hirnareale, Hormone und Blockaden und den Scheiß…“, erklärte Kid und fuchtelte genervt mit den Händen vor seinem Gesicht, als würde er das gesamte Wissen symbolisch aus seinem Kopf wedeln wollen. „Aber es hat nicht geholfen?“, Law war sichtlich überrascht. Die Idee seines Onkels hatte so einleuchtend geklungen, der Plan lukendicht, dennoch schüttelte Kid den Kopf. „Ich hab es nicht verstanden… Also schon die Texte und den Kram… Aber die Sache an sich. Ich wollte verstehen, vorher die verfluchten Stimmen kamen und warum sie in meinem Kopf waren und…“, ein geradezu amüsiertes Lächeln huschte über seine Lippen, während er sich zu Law wandte, „warum es immer so leise war, wenn ich zu Killer in die Werkstatt ging.“
 

Nachdenklich legte Law den Kopf in den Nacken und starrte hinauf an die Decke, dessen vergilbte Farbe schüchtern von der nächtlichen Dunkelheit versteckt wurde. Er verstand Kids Problem, doch war die Lösung zu diesem in seinen Augen nahezu unmöglich zu finden. „Und du denkst, dass ich die Antwort kenne?“, schlussfolgerte er und zuckte verwundert zusammen, als ihn Kid lautstark auslachte. „Überschätz dich nicht, Doktorchen“, giggelte er, stieß Law im Vorbeigehen mit zwei Fingern frech gegen die Stirn und schlenderte zum Fenster. Zufrieden betrachtete er das Schneetreiben. „Dein Onkel meinte, wenn ich nich zufrieden bin, dann muss ich meine eigene Antwort finden und wenn ich sie hätte, dann soll ich mich melden.“ Eine Erinnerung zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht, kurz bevor er sich an Law wandte: „Er ist ziemlich gut in dem, was er macht.“ Law nickte zustimmend, überhörte allerdings nicht die unterschwellige Kritik gegen ihn, die in der Aussage mitklang.
 

„Später habe ich dann andere Sachen gelesen. Ich war eh den ganzen Tag in der Klapse. Killer war der einzige, der mich besucht hat und…“, er warf einen verschmitzten Blick zu Law, „Es ist halt Killer. Ich liebe ihn, aber er ist nicht der Typ für lange Unterhaltungen.“ Kid grinste frech und Law stimmte ihm mit einem wissenden Lächeln zu. Wahrscheinlich war Killer jeden Tag dagewesen, nachdem seine Wunden einigermaßen verheilt waren, nur um sicher zu gehen, dass es Kid an nichts fehlte… Die Beziehung der beiden Irren war in keinster Weise mit gesundem Menschenverstand zu begreifen. „Klingt, als hättest du viel Zeit gehabt“, folgerte Law, schlich ebenfalls zum Fenster und stellte ich mit verschränkten Armen neben den Rotschopf.
 

Die plötzliche Nähe ließ Kid kurz zusammenzucken. Er musterte den jungen Mann an seiner Seite, als würde er abwägen, ob er zur Seite treten oder bleiben sollte. Schlussendlich beugte er seinen Oberkörper nach vorn, sodass sich seine Stirn gegen die Fensterscheibe vor ihm drückte. „So dreckig der Saftladen auch war, Saint George’s hatte eine ziemlich große Bibliothek und dein Onkel hat organisiert, dass ich rein durfte. Recherche und so“, führte Kid seine Erläuterungen fort und setzte ein breites Grinsen auf sein Gesicht. Offensichtlich hatte er die Privilegien genossen, die ihm sein Therapeut zugestanden hatte und während er dies erkannte, bewunderte Law immer mehr die Methoden seines Onkels und dessen Wissen und Rückschlüsse über seine Patienten. Auf so eine simple Weise hatte er Kid dazu angeleitet, seine eigene Therapie zu kreieren und zu verfolgen – Perfekt für einen rebellischen Aufständischen.
 

Unvermittelt richtete sich der Rotschopf auf und drehte sich mit Schwung um die eigene Achse, sodass er Law direkt in die Augen sehen konnte. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als würde er bereits wissen, wie Law auf seine anschließende Erklärung reagieren würde. „Als ich wusste, dass der medizinische Dreck mir nicht weiterhelfen würde, hab‘ ich meine Forschung ausgeweitet. Seelen und Verstand… Plato, Nietzsche, Religion… Wenne einmal anfängst…“, er stoppte, machte ein Geräusch, das offensichtlich eine Explosion nachahmen sollte und bewegte seine Hände in einer symbolischen Druckwelle von seinem Kopf weg. „Hmm…“ Ein weiteres Mal ließ Law seinen Blick über die Wände des Raumes wandern. Kid schien um einiges intelligenter zu sein, als es den Anschein machte. Vielleicht war er sogar intelligenter als er selbst und vielleicht war das der Grund, weshalb Law von Anfang an die Auseinandersetzungen mit Kid genossen hatte; weshalb er so fasziniert war von Kids Handlungen. Es musste auch der Grund sein, weshalb sein Onkel von Anfang an befürchtete, dass Kid für seinen Neffen eine potenzielle Gefahr darstellen konnte.
 

„Hast du eine Antwort gefunden?“, fragte Law schließlich, als Kid keine Anstalten machte, seine Geschichte eigenständig zu beenden. Der Rotschopf zuckte mit den Schultern, zog sich die Mütze vom Kopf und setzte sie Law auf, bevor er zurück zur Matratze schlich, um sich auf den weichen Untergrund zu setzen. Die Weinflasche fand ihren Platz zu seiner Rechten. „Was hältst du von Reinkarnationen?“, fragte er, als würde er das Thema wechseln wollen, sah interessiert zum Studenten auf und verfolgte, wie dieser das Konzept belächelte. „Die Frage solltest du nicht an einen Mediziner richten“, meinte er unbeeindruckt und schüttelte vielsagend den Kopf. Kid lachte, als hätte er die Antwort bereits gekannt. Nahezu schüchtern strich er sich Haarsträhnen aus der Stirn, nahm die Flasche zurück in seine Hände und drehte sie. „Deine Antwort ist, dass es keine absolute gibt. Selbst ihr Möchtegern-Docs findet immer wieder andere Antworten auf gleiche Fragen.“
 

Law verzog anerkennend den Mund. Dagegen konnte er nichts sagen, auch wenn er gelernt hatte die Falsifizierung von Thesen als Fortschritt zu betrachten. „Eine frustrierende Erkenntnis. Willst du dich deshalb nicht behandeln lassen? Ist es sinnlos?“ Der Mediziner in Law wollte die Oberhand zurückgewinnen. Kid schien gerade in der Laune mit sämtlichen Hinweisen für eine Diagnose und Therapieansätzen um sich zu werfen und Law wollte nichts unversucht lassen, eventuell doch einen Weg zu finden, um dem Rotschopf zu helfen. Aufgeregte Motivation ergriff vom Körper des Studenten besitz. „Ich gehe zu deinem Onkel“, verteidigte sich Kid und erntete ein müdes Raunen: „Und ignorierst seine Ratschläge.“ Schuldig stützte der Rotschopf seine Stirn auf den Flaschenhals. „Stimmt“, murmelte er, als würde er ihr vorheriges Spiel noch einmal aufgreifen wollen.
 

Nachdem es einige Zeit still zwischen ihnen war, spürte Law, dass Kid mit einem Mal unruhig wurde. Nervös wippte sein Körper abermals vor und zurück, während er seine aufgerissenen Augen auf ein unsichtbares Objekt am Boden richtete. Das letzte Mal war Laws Frage der Auslöser für dieses Verhalten gewesen, nun schien etwas anderes zu passieren – doch er hatte keine Idee, was es sein konnte. Unsicher trat er einen Schritt auf Kid zu. „Warum Reinkarnationen?“, fragte er, nicht aus Interesse, sondern um einen Grund zum Reden zu finden. Ohne seinen angespannten Gesichtsausdruck zu lockern, wanderten Kids von der Dunkelheit geweiteten Pupillen hinauf zu Law, während er seine nackten Füße mit den Händen umfasste. Nachdem er einen Moment nachdachte, zauberte das gewählte Thema erneut ein Lächeln auf seine Lippen.
 

„Es war eine Idee. Gehörte früher mal zum Christentum, oder so. Kann mich nicht genau erinnern. Auf jeden Fall glaubten sie, dass es früher, also ganz zu Beginn, nur eine Seele gab. Eine große Seele. Und als dann alle Adams und Evas auftauchten, da wurde die Seele geteilt, für alle Kinder und wiederum neue Inkarnationen.“ Während er lauschte, verzog Law verwundert den Mund. Mit derlei esoterischem Gedankengut hatte er noch nie etwas anfangen können und es wunderte ihn, dass Kid es überhaupt für erzählenswert hielt. „Wenn du die Idee weiterdenkst, dann teilen sich alle Menschen Splitter der gleichen Seele.“ Law seufzte: „Und deshalb sind wir alle gleich?“, schlussfolgerte er, doch bekam ein Kopfschütteln zur Antwort. „Kapierst du es wirklich nicht, oder tust du nur so?“, neckte ihn Kid mit einem breiten Grinsen und setzte zur Erklärung an: „Am Anfang gab es nur wenige Seelen und wenn sich diese nur selten teilten und es nur wenige Inkarnationen des gleichen Splitters gab, dann gibt es immer noch Menschen, die sich größere Teile dieser Seele teilen.“ Jetzt musste selbst Law grinsen: „Seelenverwandte.“ Kid hob anerkennend seinen Zeigefinger und richtete ihn bestätigend auf sein Gegenüber.
 

Der Freude folgte ein verträumtes Grinsen im blassen Gesicht des jungen Mannes, als er auf das Etikett der Weinflasche blickte. „Seelenverwandte“, wiederholte er in einem Flüstern und strich nachdenklich über das harte, grüne Glas des Behälters. „Die Leute glaubten, dass das Ziel unseres Daseins darin liegt, einen anderen Teil unseres Seelensplitters zu finden.“ Zwar verstand Law noch nicht, was es mit Kids Krankheit zu tun hatte, doch er begann die Geschichte zu mögen und den entspannten Gesichtsausdruck, den sie bei Kid auslöste. Wieder wurde es still bis auf den Wind, der erbarmungslos um die Häuser pfiff und alte Holzbalken knarren ließ. Law verfolgte fasziniert den ruhigen Glanz in Kids grünen Augen und das zufriedene Lächeln, das seine schmalen, blassen Lippen umspielte. Der Anblick hatte etwas unerwartet Tröstliches innerhalb der kalten, dunklen Wohnung, in der sie sich befanden und Law kam nicht umhin den Wunsch zu verspüren, Kid ein weiteres Mal zu küssen.
 

„Cheers!“, rief der junge Mann mit den feuerroten Haaren auf einmal, auch wenn seine Stimme schwach wirkte und sich im Raum verlor. Law riss es aus seinen Gedanken, kurz bevor er verfolgte, wie Kid ihm die Weinflasche entgegenhielt, die er bis dahin wie ein Heiligtum mit sich getragen hatte. Der angehende Mediziner zog verwundert die Augenbrauen zusammen und legte den Mund schief. Davon abgesehen, dass der Wein inzwischen fahl schmecken musste und er mit dem Auto unterwegs war, ärgerte es ihn, dass Kid den besonderen Moment zwischen ihnen nicht wahrgenommen, vielleicht sogar absichtlich zerstört hatte – alles für einen idiotisch sinnlosen Schluck Wein. Law schüttelte den Kopf.
 

...„Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie ich dir helfen kann“, merkte er an, schnappte die Flasche aus Kids Händen und stellte sie in eines der Regalfächer. Kid sah ihr wehmütig hinterher, bevor er sich in einen Schneidersitz begab und neugierig zu Law aufsah. Für einen Augenblick wanderten seine Augen nachdenklich von links nach rechts und zurück, während das für ihn typische schelmische Grinsen seine Lippen endlich wieder zierte. „Oder vielleicht hast du es und ich habe es vor lauter Gerede über Seelen nicht mitbekommen“, fügte Law hinzu und streckte seine Hand aus, um Kid aufzuhelfen. „Was, wenn die Stimmen die anderen Teile sind… Hab ich mir gedacht“, gestand Kid mit einem Mal, richtete seinen Blick allerdings auf den Boden, als wäre ihm das Bekenntnis peinlich. „Splitter auf der Suche, wenne so willst. Und es wird leise, wenn ich einen richtigen Teil gefunden habe…“ Sein Körper wurde mit einem Mal vollkommen still, als würde er darauf warten, dass Law lachen würde. Doch Law lachte nicht. Stattdessen schnappte er sich Kids Arm, zog ihn zu sich hoch und sah ihm in seine überraschten Augen. „Ist es jetzt leise?“, fragte er mit einem hoffnungsvollen Flüstern…
 

Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie ich dir helfen kann. Jeder von Laws Träume endet nunmehr mit diesen Worten; jeder Augenblick in dem er an den Moment in Kids dunkler Wohnung zurückdenkt. Immer und immer wieder fragt er sich, weshalb er diese Frage nicht gestellt hatte; immer und immer wieder spielt er diese Alternative in seinen Gedanken durch und straft sich selbst mit der Gewissheit, dass er alles Folgende hätte verhindern können. Doch es bleibt ein Traum, eine Illusion, die ihm etwas von dem Schmerz und der Wut nehmen soll, die ihn seit dieser Nacht jeden Morgen nach dem Aufwachen erwartete und bis zum Einschlafen begleitete. Vielleicht hätte er einfach Kids Aufforderung folgen, sich die Flasche nehmen und sie alleine leeren sollen…
 

Schweigend betrachtete Law an jenem Abend in der heruntergekommenen Wohnung den Wein, den Kid ihm so keck entgegenstreckte. Es erinnerte ihn an den Whiskey, den sie sich in der Kellerbar geteilt hatten; seinen bittersüßen Geschmack, der Laws Kehle brennend hinabgeglitten war, kurz bevor ihm Killer ein Messer an den Hals gedrückt hatte. Nachdenklich streckte er seine Hand aus, berührte kurz das kühle, glatte Glas der Flasche, bevor er seine Finger entschlossen zurückzog. Er war auf der Suche nach Antworten und würde einen klaren Kopf brauchen, sagte er sich und lehnte mit einer höflichen Geste Kids Angebot ab. Dieser nahm die Falsche wieder an sich, legte sie in beide Hände und betrachtete sie mit müdem Blick. „Warum erzählst du mir etwas von Seelenverwandtschaft?“, fragte Law schließlich, verschränkte die Arme und blickte neugierig zu Kid hinab. Als dieser lediglich traurig seufzte, hob Law irritiert eine Augenbraue: Wann hatte sich Kids heitere, kindlich amüsierte Art in nahezu romantische Lethargie verwandelt?
 

„Ich wollte immer verstehen, woher die Stimmen kommen…“, meinte Kid schließlich und schnaubte, als würde er sein eigenes Handeln inzwischen als Lächerlich abtun. „Ich dachte, wenn ich versteh‘ was es ist, dann hört es auf…“ Kids zuvor ruhige Stimme beinhaltete nun ein aggressives Zittern, während er seine Augen frustriert zusammenkniff. Seine Atmung wurde immer schneller. In absoluter Anspannung presste er Luft aus seiner Nase, während er seine Lippen in unregelmäßigen Abständen spastisch aufeinanderdrückte und wieder lockerte. Mit einem beängstigendem Grinsen sah er schließlich hoch zu Law, betrachtete ihn für einige Sekunden und schüttelte schließlich energisch den Kopf. Law trat auf ihn zu, hielt jedoch alarmiert inne, als Kid mit einem Glucksen den Kopf schief legte. „Ich hab keine Ahnung, wie ich es euch anders hätte sagen sollen…“, sprach er unter verzweifeltem Schluchzen mit Augen, in denen sich Tränen der Verzweiflung sammelten. Es war Verzweiflung, die alle Hoffnung verloren hatte; ein Kind, das einsam und verlassen in einer Mengen von riesigen, ignoranten Menschen untergeht und begreift, dass es den Weg nach Hause nie wieder finden wird; dass es allein bleiben wird, übersehen und vergessen. Laws Herz schlug indes am Limit, pochte schmerzend gegen seine Brust in dem Bewusstsein, dass er seine imaginäre Kontrolle verlor. Vollkommen machtlos stand er einer bizarren Metamorphose gegenüber, die sich ihm als blankes Chaos darbot.
 

Das Rauschen des Windes wurde lauter, während Kid mit einer Hand nervös durch seine eigenen Haare fuhr. „Ich hab es versucht, aber niemand hat’s gehört, weißt du…?“ Law war sich nicht sicher, ob er zu ihm oder mit sich selbst sprach. „Kid? Alles in Ordnung?“, fragte er mit vor Aufregung bebender Stimme. Wieder trat er einen Schritt auf den jungen Mann zu, während er darüber nachdachte, was Kid ihm hatte sagen wollen; was er überhört haben könnte. „Aber es ist einfach so laut… So unendlich laut…“ Kids Stimme war nunmehr ein verzweifeltes Flüstern, während er sich seine Handflächen auf die Ohren presste. „Kid!“ Law hingegen schrie den Namen seines Gegenübers in dessen Gesicht. Er verstand nicht, was gerade passierte, doch er spürte, dass er etwas unternehmen musste. Irgendetwas hatte sich verändert und das nicht zum Guten. Erschrocken hielt er inne, traute sich nicht einmal mehr zu atmen, als Kid den Kopf hob und Law wütend anstarrte. Der Student schluckte schwer.
 

„Es hat geholfen“, meinte Kid schließlich und grinste in beunruhigender Zufriedenheit. Law sah ihn fragend an. „Es war so laut; so laut wie noch nie zuvor. Ich musste was machen und da habe ich ihn angesteckt. Ich hab es einfach getan… Es war so laut und ich konnte nicht mehr und dann… Ich hab’s gespürt. Auf meinem Gesicht… Überall. Ich hab‘s gespürt und vor Schmerz geschrien und trotzdem… trotzdem…“ Nachdem er sich am Anfang in Rage geredet hatte, wurde Kid für die letzten Worte vollkommen ruhig und starrte Law mit aufgerissenen Augen an. „Trotzdem war es endlich leise“, beendete Law den Satz, als er verstand, von welchem erschreckenden Geständnis er gerade Zeuge geworden war. Unmittelbar spürte er die Gänsehaut, die sich über seinem Körper ausbreitete, als Kid bejahend nickte, sein Gesicht nun vollkommen ausdruckslos, nahezu tot. „Es soll einfach nur leise sein…“, hauchte er, sah lange in Laws graublaue Augen, bevor er ihn unglücklich, nahezu flehend anlächelte und den grünen Flaschenhals an seine Lippen legte. „Das Leben ist ein Hund…“, lachte er überraschend laut und leerte den Wein in einem einzigen Zug.
 

Der Satz war das Ende von Kafkas Buch, erinnerte sich Law. Es war der letzte Satz, den der Verurteilte aussprach, bevor er sich seinem Schicksal ergab; bevor der letzte Schuss fiel. Nun sah Law dem Jungen mit den feuerroten Haaren schweigend zu, traute sich allerdings nicht, näher an ihn heranzutreten. Da hatte er seine Antwort zu Killers Narben. Doch alles, was sie in ihm auslöste, war Trauer, Frust und Wut. Kid hustete wild, als er die Flasche absetzte und zurück auf dem Boden stellte. Mit Mühe richtete er sich wieder auf, streckte die Arme, um seine Balance zu finden und starrte Law anschließend verträumt entgegen. Der Student schnaubte ein sarkastisches Lachen. Wenn er an ihren gemeinsamen Tag zurückdachte, dann wollte er einfach nicht begreifen, wieso eine solch irreparable, unsichtbare Krankheit gerade das Leben der Menschen zerstören konnte, die es am meisten zu genießen schienen. Doch das Leben war ein Hund und Law war lange genug Mediziner, um erkannt zu haben, dass zumeist all die Menschen als erstes gingen, die gelernt hatten, in jedem Atemzug das Leben wertzuschätzen, selbst mit einem nassen, alten Laubhaufen. „Es gibt Medikamente und Therapien, Kid. Du musst so nicht leben. Medikamente können es einfacher machen und du…“, setzte Law an, wurde aber unterbrochen: „Ich weiß.“ Kids Stimme war rau und brüchig: „Es ist ok… Ich dachte, die anderen Splitter schweigen, wenn du einmal das Ziel erreicht hast. Aber das war falsch…“ Er seufzte traurig. „Es war falsch… Aber nicht sinnlos.“
 

Mit einem tröstlichen Lächeln im Gesicht stellte er sich direkt vor Law und legte eine Hand auf dessen Wange. „Es ist nie sinnlos“, wiederholte er für sich selbst, lächelte ironisch und schob Laws Mütze vom Kopf, sodass diese unter einem dumpfen Aufprall zu Boden fiel. Der Körper des Studenten verkrampfte sich unter der plötzlichen Nähe, die er nicht zu interpretieren wusste. Wortlos verfolgte er, wie Kid ihm immer näher kam, seinen Kopf leicht zu Seite drehte, schließlich die Augen schloss und seine Lippen sanft auf Laws drückte. Der Student verharrte zunächst regungslos, wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte und konzentrierte sich auf den rasanten Schlag seines eigenen Herzens. Doch schließlich gewann das vertraut angenehme Gefühl des Kusses die Oberhand, sodass auch er seine Lider schloss, um sich ganz den weichen Berührungen der schmalen, blassen Lippen hinzugeben.
 

Aufgeregt vergrub er seine Hände in den feuerroten Haarsträhnen und begann seinen Mund fordernder zu bewegen, sich fester gegen den fremden und doch bekannten Körper zu drücken, sodass er nun fühlen konnte, wie auch Kids Herz immer schneller schlug. Innerlich lachte er: Vielleicht war dies der Weg, mit dem er Kid helfen konnte; der Grund, weshalb ihm der kleine Idiot geschrieben und ihm damit fast einen Herzinfarkt eingejagt hatte. Sein Atem wurde unregelmäßiger, auf seine Wangen legte sich ein roter Schimmer, fest drückte er seine Lippen auf Kids, spürte das Leben und gab sich dem Moment hin…
 

Zunächst vernahm er nur ein leises Husten, das ihn allerdings nicht aufhielt. Doch kurz darauf wurde aus dem Husten ein Röcheln, bis sich der gesamte Körper, den er in seinen Armen hielt, schüttelte. Überrascht wich Law einen Schritt zurück, starrte verwundert auf Kid, der sich verkrampft nach vorn beugte, sein Gesicht in seinen Handflächen vergrub und in einen Ausfallschritt trat, um nicht umzukippen. Vollkommen irritiert streckte Law seine Arme unsicher von sich; wusste nicht, was er machen sollte. „Kid, was…?“, presste er hervor, schüttelte den Kopf und verfolgte angespannte, wie sich der junge Mann vor ihm unter verkrampftem Räuspern aufrichtete. Langsam hob er den Kopf, zeigte sein Gesicht mit den nahezu unsichtbaren, frechen Sommersprossen auf heller Haut, welche nun jedoch mit viel zu dunklen Sprenkeln übersät war.
 

Law hielt den Atem an, streckte eine Hand aus und legte sie auf Kids Wange, wobei sein Daumen die zähe Flüssigkeit berührte, die Kids Mund umrahmte. Schwarz war sie, im blauen Licht der Nacht. Als Law seine Finger bewegte, zog er eine feste, warme Schliere mit sich. Voller Entsetzen in schmerzhaft aufgerissenen Augen fixierte er sein Gegenüber: Ein zitternder Köper, der angestrengt nach Luft rang. Jeder Atemzug wurde von einem Rasseln der Lunge begleitet, während Kid den Kopf weiter in den Nacken legte und Law durchdringend angrinste, wobei Blut seinen sonst so weißen Zähnen unheilvolle, bedrohlich rote Konturen verlieh…
 


 

~*~
 


 

“Well, as a child I mostly spoke inside my head

I had conversations with the clouds, the dogs, the dead

And they thought my broken, that my tongue was coated lead

But I just couldn't make my words make sense to them

If you only listen with your ears...

I can't get in“
 

- Radical Face: “The Mute”
 


 

~*~
 

Zusatzkapitel: Krankenakte "Kid"


 

Zusatzkapitel
 

Obwohl es bereits das gesamte Wochenende schneite, schienen die Flocken nun von Minute zu Minute größer zu werden. Immer dichter drängten sich die weißen Kristalle aneinander, während sie aus den Wolken herab auf die inzwischen bedeckten Straßen fielen und eine beißende Kälte mit sich brachten, die sich durch die warme Kleidung hindurch in jede Faser der alternden Muskeln zog. Nur langsam kam er voran, mühselig schleppten sich seine Beine durch den Schnee, der seine Hose mittlerweile tränkte. Mit einem Seufzen erreichte der Psychiater den angestrebten Hauseingang, schnaubte laut, als er sich erschöpft gegen den Türrahmen lehnte und auf eine der Klingeln drückte.
 

Es war seit mehreren Stunden dunkel, die Arbeit in der Klinik hatte ihn länger aufgehalten als geplant und zusammen mit dem unbarmherzig rieselnden Neuschnee hatte es lange gedauert, bis er die Wohnung seines Neffen erreicht hatte. Dennoch ahnte er, dass es nicht länger warten konnte und so hatte er sich trotz aller Widrigkeiten durch den Winter gekämpft. Seine Hände zitterten, während sich seine tauben Fingerspitzen fest um das rechteckige Päckchen krallten, das er in den Händen hielt. Sein Atem zeigte sich in kleinen Wolken vor seinem Mund, während er ein zweites Mal den Knopf drückte, in der Hoffnung, die Tür würde endlich geöffnet werden. „Er ist bestimmt im Bett. Muss nur aufstehen. Wach werden…“, murmelte seine raue Stimme in den gräulichen Bart, in der Hoffnung, ihre Worte könnten das nervös pochende Herz beruhigen.
 

Nichts rührte sich. Unruhig schaute der Psychiater auf seine Armbanduhr und fuhr sich anschließend aufgewühlt über das Gesicht. Kurz vor zehn. Law arbeitete momentan nicht in der Klinik; kein Schichtdienst. Die Bibliotheken waren geschlossen. Der Griff um das Paket in seinen Händen wurde mit jeder verstreichenden Sekunde fester, bis seine Muskeln zitterten. „Alles ist gut“, flüsterte er vor sich hin, kniff die Augen zusammen und hoffte abermals aus diesen Desaster aufzuwachen. „Alles ist in bester Ordnung.“ Er wusste, dass sein Neffe schlau war, bei weitem intelligenter als er selbst. Law würde wissen, wann es gefährlich wurde. Er würde wissen, wann man vom todbringenden Zug abspringen musste, selbst wenn es wehtat. Die alten Augen betrachteten stumm das kleine Päckchen, das wie ein Schatz in seinen Händen ruhte.
 

Auch nach dem dritten Klingeln blieb die Eingangstür des Hauses verschlossen. Doch gerade als Zögern und Resignation abermals vom Geist des Psychiaters besitzergreifen wollten, erklang ein leises Klicken und warme Luft legte sich auf die fahlen Wangen des alternten Mannes, als eine junge Frau das Haus verließ und mit einem freundlichen Lächeln die Tür offenhielt, bis der nächtliche Gast an ihr vorbei geschritten war und den Flur betreten hatte. Überrascht hatte er das Lächeln erwidert, war daraufhin nahezu gespurtet, um das letzte Hindernis zu überwinden, bevor er es sich anders überlegen würde. Nun atmete er erleichtert aus, fuhr sich über den Bart und begann mit nunmehr entschlossenen Schritten die Treppen zu erklimmen.
 

Wie er erwartet hatte, fand er die Wohnungstür seines Neffen verschlossen. Auf ein Klopfen antwortete niemand und als er mit einem Ohr an der Tür lauschte, stellte er fest, dass es im Innern vollkommen leise war. „Bestimmt bei seinen Freunden“, raunte sich der Psychiater selbst zu, strich mit einem Finger über das braune Papier, das seinen kleinen Schatz umwickelte. Ein unerwartetes Lachen huschte über seine Lippen. „Die beiden Chaoten“, ergänzte er schließlich mit dem Gedanken an die Studienkollegen seines Neffen, die er einst an der Universität durch Zufall kennenlernte. Die Erinnerung beruhigte ihn kurz, wiegte ihn in einer Woge fatal fauler Sicherheit, bis ihn die Realität mit brutaler Stärke erneut ins Gesicht schlug. Er hatte keine Ahnung, wo sich sein Neffe zurzeit befand und es war seine Schuld, dass dies zu einem Problem geworden war.
 

Unruhig griff er in seine Jackentasche, zückte einen alten Kugelschreiber mit verblichenem Werbedruck und kritzelte einige Worte zittrig auf das braune Papppapier des Pakets, welches trotz besonderer Vorsicht an einigen Stellen von der Feuchtigkeit des Schnees getränkt war und sich in der Wärme des Treppenhauses nun wellte. Mit einem Seufzen der Ohnmacht lehnte er das Paket schließlich an den Rahmen der verschlossenen Wohnungstür und fuhr sich ein letztes Mal durchs Gesicht. Eigentlich stellte es ein zu großes Risiko dar, diese Dokumente an einem öffentlichen Ort zurückzulassen. Doch sein Neffe befand sich möglicherweise in Gefahr und er hatte bereits alle anderen Möglichkeiten erschöpft, um dem Jungen zu helfen.
 

Zwar wusste er immer noch nicht, was genau seinen Neffen dazu veranlasst hatte, sein Praktikum abzubrechen und sich fortan nicht mehr zu melden, doch Laws Faszination bezüglich des exzentrischen Rotschopfs und die Tatsache, dass auch Kid seither nicht mehr zu seinen Therapiestunden erschienen war, ließ ihn besorgniserregende Vermutungen aufstellen; sowohl für seinen Neffen als auch für seinen Patienten. Auch wenn man es ihm nicht gleich anmerkte, so war dem Psychiater nach ihren Jahren der Zusammenarbeit deutlich bewusst, dass Kids Zustand in den letzten Wochen alles andere als stabil gewesen war. Müde von all seinen Sorgen blickte er ein letztes Mal auf das Paket und seine kleine Nachricht. „Bitte mach nichts dummes, Kind“, murmelte er, während sich tiefe Sorgenfalten auf sein Gesicht legten. Dann drehte er sich um und stieg die Treppen mit gesenktem Kopf hinab.
 

Trotz seiner Bitte hatte Law niemals Kids Akte betrachtet, nun hoffte er inständig, dass sein Neffe diesen Rat befolgte, wo ihm sein Onkel die Informationen buchstäblich vor die Haustür legte. Er selbst kannte die Muster in Kids Verhalten, hatte sie über Jahre studiert. Er konnte Spiel von Ernst unterscheiden und wusste, wann es gefährlich wurde. Doch das wusste sein Neffe nicht. Law wusste nicht, wie groß das Feuer war, mit dem er spielte und er hoffte inständig, dass es für beide Kinder noch nicht zu spät war…
 


 

Es ist an der Zeit, dass du dies liest.

Einiges wird klarer sein.
 


 

Neben allgemeinen Informationen findest du meine Notizen.
 

Ich hätte es dir schon viel eher erklären sollen.
 


 

Bitte mach nichts Dummes, Law

MELDE DICH!
 


 

-------- ~*~ --------
 


 

Patientenakte Saint George’s Mental Institute
 

-- CONFIDENTIAL –
 

SEITE -1- PATIENTENINFORMATIONEN
 

Patienten ID 00930110SE
 

Name:   O’Sullivan, Eustass

Geburtsdatum:   10. Januar 1993

Alter bei Aufnahme:   17

Aufnahmedatum:   21. September 2010
 

Behandelnder Arzt:   Dr. Andrea Meara

Vorläufige Diagnose:   Anzeichen von Schizophrenie, Depression
 

Weitere Informationen:   Eingewiesen nach Gewaltvebr. an ihm bekannten Killian M.
 

Vorläufige Medikation nach Einlieferung:

- Risperidon

- Ziprasidon

- Diazepam
 

- Therapiebeginn empfohlen ASAP
 

SEITE -2- THERAPIEVERLAUF
 

Eingangsuntersuchung 28.09.10 (Dr. Meara)
 

Patient zeigt sich widerwillig. Trotz mehrerer Anläufe keine Antwort auf gestellte Fragen. Anhaltende Unruhe: EMPFEHLE Erhöhung Dosis Diaz.
 

Notizen 11.10.10 (Dr. Meara)
 

Patient gibt wissentlich falsche Informationen: Vollständige Diagnose zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Bluttests zeigen Hormonschwankungen. Gespräch mit Eltern nicht möglich. Abbruch des Prozesses gegen Patient 00930110SE aufgrund nachgewiesener psychiatrischer Erkrankung.
 

Therapiesitzung 20.10.10 (Dr. Meara)
 

Verhalten des Patienten zunehmend aggressiv. Zimmerarrest für zwei Wochen nach Angriff auf weiteren Patienten im Gruppenraum. Empfehle Erhöhung Diaz. zur Beruhigung
 

Gespräch mit Eltern ergab Informationen zur Ausprägungen schizophrener Episoden ab früher Kindheit(!!!) (Ich-Störungen, Halluzinationen). Zustand der Eltern instabil. Weigern sich ihren Sohn zu besuchen (?)
 

INTERVENTION 29.10.10 (Angeordnet: Dr. Meara)
 

Patient verweigert Behandlung (Erbrechen der Medikamente)
 

Ordne Fixierung zur Vergabe der Medikamente an

- Erhöhung Dosis Ziprasidon gegen Symptome

- Erhöhung Dosis Diaz. gegen Wutausbrüche
 

Notiz 31.10.10 (Dr. Meara)
 

Umstellung der Mediakation erforderlich – Patient ist nicht ansprechbar, Delirium
 

Therapiesitzung 14.11.10 (Dr. Meara)
 

Medikamenteneinstellung i.O.

Patient wirkt ruhig und klar. Gespräch möglich. Keine Angaben zur Gewalttat. Keine Angaben zu Symptomen.
 

Nennt sich selbst Kid (?) Ich-Störungen?
 


 

SEITE -3- THERAPIEVERLAUF
 

Therapiesitzung 22.11.10 (Dr. Meara)
 

Aufgrund der angenommenen Schwere der Erkrankung Etablierung einer Therapiesitzung/Tag. Patient wirkt weiterhin klar, reagiert auf Fragen. Schwierigkeiten bei Konzentration, fehlender Blickkontakt. Zu Beobachten: Erneute anhaltende Unruhe (Bipolarität?). Medikamenteneinstellung mit Vorbehalt i.O.
 

Empfehle Versuch Gruppentherapie, Absetzung Diazepam
 

Notiz 30.11.10 (Dr. Meara)
 

Gruppentherapie zeigt sich wenig erfolgreich. Patient provoziert absichtlich die weiteren Teilnehmer. Empfehle erneute Vergabe von Diaz. gegen Aggression und Unruhe.
 

Patient verweigert weiterhin Angaben zu Symptomen oder Übergriff auf Opfer Killian M. bis hin zur Verleugnung – Anzeichen Ich-Störungen?
 

Fortsetzung Einzeltherapie
 

Notiz 10.12.10 (Dr. Meara)
 

Keine Veränderung
 

Notiz 27.12.10 (Dr. Meara)
 

Besuch der Familie (Eltern, Schwester/jünger) zum ersten Mal seit Einlieferung. Verhältnis wirkt wenig vertraut. Gespräche bleiben oberflächlich. Patient zeigt emotionale Reaktion auf Kontakt mit Schwester. Dauer des Besuchs: 30 Min.
 

Ca. 1 Std. nach Besuch bricht Patient in Tränen aus. Seither instabil emotionaler Zustand, Patient verweigert zu Reden/Besuch des Gruppenraumes
 

Rate von weiteren Besuchen zunächst ab
 

INTERVENTION 02.01.10 (Dr. Meara)
 

Patient zeigt SCHLAFSTÖRUNGEN seit ca. 7 T.

Nach nächtlicher Observation fanden sich Angstzustände, begleitet vom krampfhaften bedecken der Ohren und Schreien. (Akustische) HALLUZINATIONEN – Kongruent zu Bericht der Eltern
 

Empfehle dringende Vergabe von Sulprid und Melperon zur Behandlung der ak. Halluz., Zusätzlich Mittel gegen Übelkeit + evtl. weitere Nebenwirkungen
 

Notiz 05.01.11 (Dr. Meara)
 

Medikamente zeigen gewünschte Wirkung. Patient z.Z. nicht ansprechbar.
 

Empfehle Reduzierung der Dosierung in 4 Tagen. Wiederaufnahme der Therapie ASAP
 


 

SEITE -4- THERAPIEVERLAUF
 

Therapiestunde 20.01.11 (Dr. Meara)
 

Medikamenteneinstellung i.O.
 

Stimmung des Patienten scheint stabil, aufgehellt – Psych. Episode zunächst überstanden (?)
 

Zeigt sich bereit über persönliche Themen zu sprechen.
 

Notiz 25.01.11 (Dr. Meara)
 

Nach 4 Monaten Therapie zeigen sich erste Fortschritte. Patient wirkt aufgeschlossen und kooperativ. Leichte anhaltende Müdigkeit, Übelkeit als Reaktion auf Psychopharmaka.
 

Beschließe Unterstützung der Therapie durch positive Verstärkung
 

WECHSEL d. BEHANDELNDEN ARZTES !!! 03.02.11
 

Nach Erhalten eines Chemiebausatzes als positive Reaktion auf kooperatives Verhalten des Patienten während der Therapiestunden setzt Patient 00930110SE den Gruppenraum in Brand.
 

Lachen während der Tat und Kombination mit Gewalttat im Oktober letzten Jahres lassen auf begleitende Pyromanie schließen. Empfehle Zimmerarrest.
 

Medikamente bisher wenig erfolgreich. Patient gegen Erwartungen nicht kooperativ. Angaben jeder Art sollten unter Vorbehalt beachtet werden.
 

Übernahme des Patienten durch Dr. G. Trafalgar
 


 

--- ENDE BERICHT DR. A. MEARA ---
 


 

SEITE -5- THERAPIEVERLAUF
 

INFORMATIONEN BEI ÜBERGABE 10.02.11 (Dr. Trafalgar)
 

Übernahme durch Dr. G. Trafalgar von Patient Eustass O’Sullivan
 

Vorläufige Diagnose durch Dr. Meara: Schizophrenie mit ausgeprägten akustischen, visuellen Halluzinationen, die sich in psychotischen Episoden zeigen, leichte Anzeichen (manischer) Depression
 

Ich, Dr. G. Trafalgar, empfehle eine Umstellung der Medikamente: Reduktion der Psychopharmaka, Umstellung auf Olanzapin, Absetzung Diazepam
 

Anordnung von Einzeltherapiestunden
 

EINSTUFUNG NACH THERAPIESTUNDE (TS) 1, 11.02.11 (Dr. Trafalgar)
 

Der Patient Eustass O’Sullivan zeigt zunächst keine Reue in Bezug auf Brandstiftung. Stattdessen entschließt er sich (eigenständig) zu einem Gespräch über den Motorbau des neuen Modells eines Autoherstellers. Leichtes Lallen der Stimme (wahrscheinlich Reaktion auf überhöhte Medikation), leichte Müdigkeit, dennoch klar
 

Ich empfehle eine Befragung des Opfers Killian M. so bald wie möglich
 

TS 5, 25.02.11 (Dr. T)
 

Patient O’Sullivan umgeht weiterhin jegliches Thema, das auf seine Erkrankung hindeuten könnte. Familie wird nicht erwähnt. Stattdessen große Konzentration auf wissenschaftliche Themen, Interesse an jeglicher Art von Maschinenbau. Mehrfache Erwähnung einer Werkstatt (?).
 

Es zeigen sich weniger Anzeichen einer Psychose, Schlaf für 3 bis 5 Stunden möglich; signifikante Reduktion der Panikattacken während der Nacht
 

Notiz: Während der Therapiesitzung bezeichnet sich O’Sullivan selbst als „Kid“. Auf seinen eigenen Namen reagiert er nur nach mehreren Wiederholungen und bei Fragen, an denen er Interesse hat. Warum Kid?
 

BEFRAGUNG KILLIAN M., 06.03.11 (Dr. T)
 

Ärzte und Patient stimmen Befragung zu.
 

Nachdem sich der Patient Killian M. (21) nach dem Übergriff durch Eustass O’S. mehrere Wochen in einem kritischen Zustand befand, zeigt sich sein Zustand seit 5 Wochen stabil. Neben der psychologischen Untersuchung fand eine Befragung durch die Polizei statt. Der Geschädigte entschließt sich gegen eine Anzeige.
 

Dauer der Befragung durch Psychiater Trafalgar: 20 Min.
 

Killian M. entschließt sich zunächst zu schweigen, woraufhin ich mich entschließe, ihm Informationen über den Zustand seines Freundes (?), meines Patienten zukommen zu lassen. Zwar vermeidet der Befragte Augenkontakt, doch scheint er aufmerksam zuzuhören. Nach zwanzig Minuten ergreift er das Wort:
 

“Was auch immer ihr Wichser ihm anhängen wollt, er hat nur getan, was ich gesagt hab. War alles meine Idee. Also lasst eure dreckigen Quacksalberpfoten von ihm. Kid braucht Idioten wie euch ganz sicher nicht.“ (Zitiert nach Notizen)
 

Das Gespräch wird daraufhin durch mich beendet.
 

Notiz, 08.03.11 (Dr. T.)
 

Patient O’Sullivan („Kid“) wirkt deutlich interessiert an den Informationen über seinen Freund Killian M. Als ich dessen wenigen Worte aus meinen Notizen zitiere, beginnt Eustass zum ersten Mal in meiner Anwesenheit zu grinsen. Wir schließen die Sitzung nach 15 Minuten, nachdem sich Eustass weigert zu sprechen.
 


 

SEITE -6- THERAPIEVERLAUF
 

TS 16, 24.03.11 (Dr. T.)
 

Eustass beginnt jede Sitzung mit Fragen zu Killian M.
 

Ich entschloss mich zum Austauschspiel: Meine Antwort für seine Antwort.
 

Der Patient berichtet in seinen Antworten zu meinen Fragen von akustischen und teilweise visuellen Halluzinationen im geschätzten Alter von 7 bis 11 Jahren. Bezeichnen wir dies als erstes Auftreten psychotischer Episoden zeigt sich ein ungewöhnlich früher Ausbruch der Schizophrenie. Traumatische Erlebnisse dieser Zeit sollten als Erklärung für anhaltende Panikattacken während der Nacht herangezogen werden.
 

Bemerke: Eustass bezeichnet die Halluzinationen, selbst im Wissen, dass es Symptome sind, als „Stimmen“, die er damals nach eigener Angabe für Geister hielt. Ich werde dies weiter verfolgen.
 

Familie weigert sich gegen Besuche. Kid äußert jedoch gleichzeitig kein Interesse an einem Besuch dieser Art.
 

Medikamente wirken. Empfehle Beibehaltung der Dosis
 

BESUCH durch Killian M., 10.04.11
 

Auf Bitte des Geschädigten wurde das erste Treffen nach der Tatnacht arrangiert.
 

Nach Auflage der Polizei mussten sowohl ein Polizeibeamter als auch ein Psychiater anwesend sein. Ich übernahm die letztere Position.
 

Eustass zeigte sich am Morgen zunehmend aufgeregt, woraufhin ihm gegen meine Anordnung von der zuständigen Schwester Diazepam verabreicht wurde. Das Medikament führte zu anhaltender Müdigkeit, Desorientierung während des Treffens.
 

Beide Jungen zeigen sich extrem wortkarg. Während Killian M. spricht, starrt Eustass ausdrucklos auf das vernarbte Gesicht seines Freundes. Zu meiner Überraschung scheint es der Geschädigte zu sein, der versucht seinen Täter zu beruhigen.
 

-- Transkribiert nach Überwachungsband und Notizen --
 

K. M.: (nach 5 Min. Schweigen) Ich wusste nicht, dass du hier drin sitzt, Kid. Hätte nicht gedacht, dass die das können. Ohne Anzeige… Aber ist ok, Alter. Du bist noch da. Hörst du mich? Du bist noch hier. (~2 Min. Pause) Ich krieg dich hier raus. Hörst du, Kid? Die Kanalratten können dich hier nicht ewig festhalten. Du musst nur noch was durchhalten, verstanden?
 

(Eustass‘ Blick richtet sich auf den Polizeibeamten)
 

K. M.: Ich krieg dich hier raus, Alter. (~1 Min. Pause) Scheiß drauf was war. Du bist noch hier, verstehste?
 

E. O’S.: (nach ~3 Min. Stille, flüsternd, Blick auf Killian M.) Sie verstehn’s nicht, Killer (?). Die kapiern es einfach nicht… (Blick wandert umher, knetet nervös die eigenen Finger) Die Idioten schnallen nich, was da abgeht…
 

K. M.: Sind sie wieder da?
 

E. O’S.: Sie werden nie weg sein… Nie…
 

K. M.: Doch, waren sie. Du musst nur daran denken, ja Kid? Denk daran, Kid.
 

(Eustass presst sich anschließend die Hände auf die Ohren. Atmung beschleunigt sich deutlich. Der Polizeibeamte neben mir tritt einen Schritt nach vorn, doch ich versuche ihn zurückzuhalten.)
 

E. O’S.: Sie werden nie… Verstehst du, Killer?… Nie! (beginnt zu schreien). Und die kapiern es nicht und ich… ich nicht…
 

K. M.: Reiß dich zusammen oder ich krieg dich hier nie raus!
 

E.O’S.: (beginnt zu weinen) Ich… Ich kann… Killer! Bitte! Ich… Fuck! Ich… So eine Scheiße… Ich…
 

(Der Polizeibeamte unterbricht die Sitzung. Nachdem Killian M. auf seine Worte nicht reagiert, zieht er diesen am Arm aus dem Besucherzimmer. Eustass‘ Blick bleibt starr. Nachdem er beginnt unruhig auf dem Stuhl zu wippen, wird der Patient auf meine Anweisung hin sediert.)
 

-- Transkript Ende --
 

Notiz: Weitere Befragung von Killian M. erforderlich, O’Sullivans Zustand kritischer als angenommen
 

TS 33, 29.04.11 (Dr. T.)
 

Eustass stellt zunehmend Fragen zu Psychosen und Schizophrenie und zeigt mir damit eine sehr analytische Herangehensweise in der Auseinandersetzung mit seiner Erkrankung.
 

Um diesen Ansatz weiter zu verfolgen, gestatte ich dem Patienten Zugang zur Bibliothek der Klinik.
 

Ich erhoffe mir, dass das Verständnis um die Ursachen seiner Symptome die Therapie unterstützen wird. Eustass zeigt sich schon zu Beginn interessiert an der Behandlungsoption.
 

Notiz: Nach einer schweren psychotischen Episode nach dem Treffen mit Killian M. zeigt sich Eustass‘ Zustand stabil. Ich stimme einem weiteren Besuch zu.
 


 

SEITE -7- THERAPIEVERLAUF
 

TS 50, 27.05.11 (Dr. T.)
 

Eustass setzt sich intensiv mit medizinischer Fachliteratur auseinander, während sich seine gewählten Gesprächsthemen weiterhin auf wissenschaftliche Bereiche beziehen. Persönliche Episoden und Erinnerungen werden wenn möglich umgangen.
 

Dennoch zeigte sich heute ein (in meinen Augen) erster Durchbruch:
 

-- Transkribiert nach Notiz --
 

DR.T.: […] Ich schließe es aus der Tatsache, dass du nie über deine Eltern sprichst. Desinteresse deutet gemeinhin auf ein problematisches Verhältnis hin. (Patient lacht). Ich frage mich an dieser Stelle, ob das der Grund ist, warum du dir selbst einen anderen Namen gegeben hast.
 

(Stille, ~2 Min.)
 

Dr. T.: Ist es, weil du dich auf diese Weise weiter von dei-…
 

E. O’S.: Ein Name ist ein scheiß Name. Wen interessiert’s?
 

Dr. T.: Warum ihn dann ändern?
 

E. O’S.: (schaut verwundert, grinst daraufhin) Meine Eltern hatten damals nicht gerade Geschmack bewiesen, als ´se den Wisch ausgefüllt haben. ‚Eustass‘? Was ein scheiß Name. Genauso beschissen wie ihre krank teuren Autos oder dreckigen Yoga Kurse. (schaut mir zum ersten Mal im Gespräch in die Augen)
 

Dr. T.: Warum ‚Kid‘?
 

E. O’S.: Warum? (lacht laut, steht auf und wandert im Raum umher, ~3 Min. Stille) Vielleicht weil ich die Idee mag meinen Schatten abzuschneiden und ins Wunderland zu verschwinden.
 

Dr. T.: Ins Nimmerland. (Patient schaut verwundert, darum Ausführung). Du sprichst von ‚Peter Pan‘, oder? Der Junge, der nicht erwachsen werden will. In der Geschichte ist es das Nimmerland. Das Wunderland gehört zu Lewis Carroll.
 

E. O’S.: (weiterhin verwundert) Wie auch immer… Was ist der Unterschied?
 

Dr. T.: Das heißt, du willst nicht erwachsen werden?
 

E.O’S.: Das sind ziemlich viele Fragen heute, Doc. (nimmt sich ein Buch aus dem Regal und beginnt zu blättern) Aber scheiß drauf. Menschen wie ich werdn eingesperrt, wenn ´se erwachsen werden. (lässt das Buch auf den Boden fallen, schaut aus dem Fenster). Wann kann ich Killer sehen?
 

-- Transkript Ende --
 

Bemerkung: Eustass scheint seine Diagnose zunehmend zu akzeptieren. Besorgniserregend bleibt die Ablehnung des Erwachsenenalters.
 

BESUCH 2 durch Killian M., 22.06.11
 

Nach dem unglücklich verlaufenen ersten Besuch, hat die Polizei einem zweiten Anlauf zugestimmt mit Auflage von zwei Aufsehern und einem Psychiater im Raum.

Kid zeigt sich in den Tagen vor dem Zusammentreffen ausgesprochen kooperativ, vermeidet allerdings weiterhin Aussagen über persönliche Erlebnisse. Medikamente wurden bisher beibehalten.
 

-- Transkript nach Tonaufnahme und Notiz: --
 

(Killian M. betritt den Raum, beide Jungen schweigen, Eustass‘ Blick bleibt konzentriert auf den Tisch zwischen ihnen gerichtet.)
 

(~2 Min. Schweigen)
 

K. M.: Behandeln die dich hier gut?
 

E. O’S.: (blickt auf, schaut K.M. an)
 

K. M.: Hab getan was ich konnte, Mann. Is nich einfach… Die sagen, du kannst erst raus, wenn se wissen, dass du keine Scheiße mehr baust.
 

E. O’S.: (lacht leise)
 

(~3 Min. Schweigen)
 

K. M.: Dein Ding, Alter. Aber ich denk, du solltest einfach sagen was war… Macht’s einfacher. Was solln se schon machen? (30 Sek. Pause) Ich kann nichts anderes mehr machen, Kid. Verstehste? Das wa-…
 

E. O’S.: (unterbricht Killian M. mit einem hysterischen Lachen) Du bist son Idiot, Killer. Was geht es die an? Ich werde es eh machen. Kapiert? Ich mach es eh. Das ist das einzige… Und wenn die es nicht wissen… Fuck… umso besser.
 

(Killian M. steht daraufhin auf und verlässt den Raum. Der Besuch ist beendet.)
 

-- Transpkript Ende --
 

Bemerkung: DRINGEND herausfinden, worüber die beiden sprachen
 

Notiz, 06.07.11 (Dr. T.)
 

Patient O’Sullivan leidet seit 4 Tagen an nächtlichen Schreikrämpfen – dringender Verdacht auf erneute psychotische Episode.
 

Empfehle Umstellung der Medikamente: Haloperidol
 

TS 72, 13.07.11 (Dr. T.)
 

Kid verbringt seine meiste Freizeit in der Bibliothek. Nach Anpassung der Medikamentendosis zeigt er sich konzentriert und weniger schläfrig. Sein Interessensgebiet ist nun nicht mehr ausschließlich auf rein medizinische Ansätze beschränkt.
 

Das Vertrauen in seinen Therapeuten scheint zu wachsen, sodass sich vereinzelte interessante Gespräche führen lassen. Ich habe begonnen, die Sitzungen mit einzelnen mathematisch/physikalischen Rechenaufgaben zu begleiten, nachdem ich Kids Interesse an diesen entdeckt habe. Ich erhoffe mir dadurch sein Interesse an den TS zu erhöhen und damit auch sein Engagement.
 

-- Transkript aus TS 72 nach Notiz –
 

Dr. T.: Bei Killians, Verzeihung, Killers letztem Besuch hattest du erwähnt, etwas tun zu müssen. Du wirst mir immer noch nicht mehr dazu sagen, nehme ich an?
 

E. O’S.: Stimmt. (Arbeitet an der Aufgabe) Sie denken, ich werde nicht mehr aus der Klapse rauskommen.
 

Dr. T.: Stimmt nicht.
 

(Eustass schaut überrascht auf, rechnet dann weiter)
 

E. O’S.: Du weißt genau wie ich, dass ich die scheiß Pillen nicht schlucken werde, sobald ich hier raus bin. Die machen mich so… (schaut mich an, grinst). So lustig. Ich kann das nicht leiden. Als wärste betrunken 24/7. Ich nehme sie nicht und deshalb baue ich Scheiße und dann bin ich wieder hier.
 

Dr. T.: Nicht, wenn du die Medikamente nehmen würdest.
 

E. O’S.: So funktioniert das nicht, Doc. (seufzt resignierend) So funktioniert das nie.
 

Dr. T.: Es wird funktionieren. Schizophrenie ist nicht das Ende, Kid. Du wirst damit leben lernen.
 

E. O’S.: (lacht laut, dann Schweigen ~2 Min.) Keine Ahnung. Es ist zu laut zum Denken.
 

-- Transkript Ende –
 

Bemerkung 20.08.11
 

Eustass‘ Medikamente sind gut eingestellt. Er nimmt an Gruppensitzungen teil und zeigt sich dabei aufgeschlossen und interessiert. Einen Besuch durch seine Mutter hat er abgelehnt, doch zeigt er Freude an den wöchentlichen Treffen mit Killian M., bei deinen allerdings immer seltener Konversationen stattfinden.
 

Ich empfehle Weiterführung der Behandlung auf ambulanter Basis in ca. einem Monat (!!!)
 


 

SEITE -8- THERAPIEVERLAUF
 

ENTLASSUNG Patient 00930110SE, 19.09.11
 

ENTLASSUNG DES PATIENTEN:
 

Name: O’Sullivan, Eustass

Patienten ID: 00930110SE

Geburtsdatum: 10. Januar 1993

Aufnahmedatum: 21. September 2010

Datum der Entlassung: 19. September 2011
 

Behandelnder Arzt: Dr. George Trafalgar

Diagnose: Anzeichen manischer Depression, Schizophrenie mit psychotischen Episoden
 

Medikamente: Diazepam nach Bedarf, Haloperidol, Ziprasidon

Einzeltherapiestunde, wöchentlich
 

Bemerkung: Aufgrund seines stabilen Zustandes und der befriedigenden Einstellung der Medikamente entschließe ich mich zur ambulanten Fortsetzung der Therapie des Patienten.
 

Eustass O’Sullivan wird zunächst bei Killian Murphy einziehen. Die Kombination ist im Auge zu behalten, auch wenn Killian bei jedem der letzten Treffen deutlich Besorgnis und Interesse am Zustand von Eustass gezeigt hat. Ich stimme dem gemeinsamen Wohnarrangement daher zu.
 

Notiz, 28.09.11 (Dr. T.)
 

Zustand des Patienten auch nach der Entlassung stabil. Nimmt Medikamente. Kein Auftreten von Symptomen.
 

BEMERKUNG: RÜCKFALL (?), 15.10.11
 

Patient Eustass O’S. wird mit tiefer Schnittwunde im Gesicht eingeliefert. Nachdem die Verletzung mit 6 Stichen genäht wurde, verweigert Eustass jegliche Aussage zur Polizei und besteht darauf, dass er einen Unfall in der Wohnung von Killian M. hatte. Die Glaubwürdigkeit dieser Aussage ist fragwürdig.
 

TS 93, 02.11.11
 

Nach einem üblichen Beginn der Therapiestunde entschließe ich mich Eustass direkt auf seine Verletzung anzusprechen. Zunächst reagiert er nicht, als ich jedoch erwähne, dass die Polizei überlegt eine Anzeige gegen Killian aufzugeben, entschließt er sich zu sprechen.
 

-- Transkript nach Tonaufnahme –
 

Dr. T.: Du bist sein Schutzbefohlener… Eine schwere Verletzung wie deine – und ich hoffe, dir ist bewusst, dass du dein Auge hättest verlieren können – kann nicht ignoriert werden und Killian’s-
 

E. O’S.: (Korrigiert, schaut auf den Boden und knetet seine Hände) Killer…
 

Dr. T.: (nimmt Vorschlag auf) Killers Polizeiakte lässt Vermutungen aufstellen. Die Wahrheit ist besser, Kid. Besser für Killer. Wenn er dich nicht verletzt hat, dann kannst du ihm mit der Wahrheit helfen
 

(Pause ca. 15 Min., Eustass löst wöchentliche Aufgabe an der Tafel, setzt sich hin, schaut Therapeuten an)
 

E. O’S.: Was habt ihr Wichser eigentlich immer mit eurer Wahrheit? Wen interesst es denn? Was ist wahr? Wahr ist, was wir haben wollen… (lacht, 2 Minuten Schweigen, Beginn Aussage) Wir waren bei Killer… Er arbeitet viel, hatten vorher nicht viel gemacht. Und dann… (unterstützt mit Gestik) Er hatte ne Kippe und ich wollte ihm helfen. Hab nicht daran gedacht, verstehen Sie? Ich hab das Feuerzeug einfach automatisch in die Hand genommen. Hab es angemacht… und dann… Scheiße… Hätte mir denken können, dass er nen Trauma oder so hat. War ja krass, nicht wahr? Er ist einfach durchgedreht… Hab sowas noch nicht gesehen bei ihm. Er hat geschrien. Ich bin dann zurück in Deckung, aber er war schneller (sieht mich an und lacht stolz). Ist ziemlich gut mit dem Butterfly, Killer. Und dann… Zack! (Geste des Stechens) Hat mich kalt erwischt. Alles war rot. Hat sich dann aber wieder schnell beruhigt. Er hat den Krankenwagen und so gerufen, aber ist dann abgehaun. Ich meinte, es wär besser so… Will nicht, dass er Ärger kriegt wegen sonem Dreck (schweigt ~5 Min., schaut sich um). Wir sind dann fertig, ja? Ich bin weg…. (steht auf und geht).
 

-- Ende Transkript --
 


 

SEITE -9- THERAPIEVERLAUF
 

Notiz 15.11.11
 

Haloperidol schlägt an. Ich bin zufrieden mit der Einstellung und den Ergebnissen. Kid wirkt ausgeglichen. Keine Erwähnung von Halluzinationen. Wunde im Gesicht heilt zufriedenstellend.
 

TS 96, 27.11.11
 

Kid wirkt beunruhigt, schaut während der Sitzung aufgeregt hin und her, knetet die eigenen Hände und kaut auf den Fingernägeln.
 

Diazepam für 2 Wochen.
 

Veränderung des Verhaltens ist zu beobachten.
 

BEMERKUNG, 05.12.11
 

Ich bleibe beunruhigt. Zwar erscheint Kid zu jeder Therapiestunde, doch ist er selbst unter Einnahme des Diazepam unruhig und unkonzentriert. Letzte Woche konnte er zum ersten Mal die von mir gestellte Aufgabe nicht lösen. Ich deute seine trotz genannter Schwierigkeiten regelmäßige Anwesenheit als deutliche Suche nach Hilfe, allerdings fällt es mir immer schwerer, Zugang zu ihm zu finden.
 

BEMERKUNG, 26.12.11
 

Kid erscheint nicht mehr zu unseren Sitzungen. Die Wohnung seines Freundes Killian M. ist leer. Der Vermieter bestätigt den Auszug vor einer Woche. Auch die Familie hat keine Informationen zum Verbleib ihres Sohnes.
 

BERMKUNG, 20.01.12 !!!
 

Selbst mit polizeilicher Hilfe ist Kid nicht aufzufinden. Nachdem ich die Akte beinahe archiviert hatte, erhielt ich jedoch am gestrigen Abend einen Anruf, den ich leider nicht entgegennehmen konnte. Die Stimme am Anrufbeantworter klingt nach Kids Freund Killian Murphy.
 

-- Transkript nach Aufnahme --
 

„Hey… Also… Ich hab den Zettel aus Kids Tasche. Sie sind doch dieser Doc, oder? Scheiße… Sein Sie der Doc. Sind Sie da? (kurze Pause) … Son Dreck, ist das hier nicht für Notfälle? Alter… Warum sind sie nicht da? Was für’n verdammter Drecksarzt bist du eigentlich? … (wütendes Schnauben, Pause ca. 10 Sekunden) Was soll’s… (Seufzen) Kid ist… Irgendwas stimmt nicht. Er sagt, er trifft wen, wissen se? Aber da is keiner… Also… Ich mein… Da kann keiner sein. Und er hört wieder diese Stimmen… Ich glaub, es ist echt schlimm dieses Mal… Aber er merkt’s irgendwie nicht. Ist entweder aufgedreht oder schläft nur… Keine Ahnung… Ich… Ich glaube, er braucht Hilfe… (~30 Sekunden Pause) Es ist wie damals. Da war er auch so… Ist durchgedreht. Ich glaube, er wollte sich selbst was antun, wissen Se? Ich hab‘ ihn dann extra provoziert, er hat vollkommen am Rad gedreht. Als er mich angegriffen hat, ja? (Pause ~5 Sek.) Ich denke, er wusste nicht, dass ich es war. Wollte das eigentlich sich selbst antun. Ich wollte helfen, verstehen Sie? … Sind Sie da? … Er braucht wirklich Hilfe… Hallo? (~20 Sek. Pause) Wichser… (legt auf)
 

-- Transkript Ende –
 

Notiz: Die Nachricht wurde zwischen 03:29 Uhr und 03:36 Uhr aufgenommen. Ich hörte sie am nächsten Morgen gegen 7 Uhr ab. Polizei wurde unverzüglich verständigt. Ich fuhr zu meiner Praxis in der Hoffnung, Killian oder Kid dort aufzufinden.
 

TS 113, 04.02.12
 

Es dauerte zwei Wochen, bis ich die beiden jungen Männer in meiner Praxis fand. Sie erwarteten mich morgens unangemeldet in meinem Sprechzimmer. Ich erkannte als erstes Kid, der unruhig in einem der Sessel saß und verunsichert hin und her blickte, Killer stand hinter ihm, abwehrend mit verschränkten Armen. Kid schien meine Anwesenheit nicht zu bemerken, Killers einzigen Worte der Sitzung waren: „Machen Sie was“. Dann verließ er den Raum und ließ mich mit Kid allein.
 

Ich hatte das Tonbandgerät noch nicht zur Hand, weshalb ich den Verlauf des Gesprächs nur zusammenfassen werde:
 

Nach einer kurzen Begrüßung richteten sich Kids Augen für einen kurzen Moment auf mich, dann wurde der Blickkontakt unbeständig. Ich fragte ihn, wie es ihm ergangen sei, doch bekam keine Antwort. Nach etwa 15 Minuten der Stille zeigte Kid eine erste Reaktion, indem er laut lachte. Er erwähnte mehrere Male, dass es für eine Unterhaltung zu laut sei. Er treffe aber diese Person und er wüsste, was zu tun sei. „Es gibt keine Antwort“, wiederholte er. Ich stellte Fragen zu der Person mit Bedacht auf die Anrufbeantworter-Nachricht und auch zu Kids Medikamenten, doch wirkte es, als könne er mich nicht verstehen.

Nach insgesamt einer halben Stunde wird die Tür geöffnet, Killian M. betritt den Raum und schaut neugierig auf Kid. Nach einem Fluch packt er Kid am Kragen und zieht ihn mit sich. Ich versuche ihn aufzuhalten, erkläre, dass Kid bleiben müsse und sich in akuter Gefahr zumindest in einer akuten psychotischen Episode befände. Ich rief den Sicherheitsdienst, doch waren die beiden jungen Männer verschwunden, bevor dieser eingreifen konnte.
 

Habe Beschwerde bzgl. Sicherheitsstandards der Klinik eingereicht.
 


 

SEITE -10- THERAPIEVERLAUF
 

NOTFALLBEMERKUNG Suizidversuch, 21.02.12
 

Nach der kurzen Sitzung war Kid wieder einmal nicht auffindbar. Wie von mir befürchtet, hat die akute psychotische Episode, in der er sich befand, nun ihre Auswirkungen gezeigt. Die Nachricht des Notdienstes erreichte mich gegen Mitternacht. Ich fuhr augenblicklich ins Krankhaus im Westend.
 

Als ich eintraf, berichten mir die Ärzte von zwei offenen Pulsadern an den Handgelenken und einer überaus hohen Dosis blutverdünnender Acetylsalicylsäure. Eine leere Packung Aspirin wurde später in Kids Hosentasche gefunden. Die Kombination der Verletzung mit den Medikamenten deutet unmissverständlich auf einen Selbstmordversuch hin. Kid sei eine Stunde zuvor von seinem Mitbewohner gefunden worden. Dieser hatte unverzüglich den Notarzt alarmiert.
 

Ich schalte mein Aufnahmegerät ein, bevor ich das Krankenzimmer betrete. Killian sitzt neben dem Krankenbett, Kids Augen öffnen und schließen sich unkontrolliert. Die Ärzte verabreichen Spenderblut und nutzen Kochsalzlösung zur Reinigung des Blutes. Kid scheint deutlich desorientiert.
 

-- Transkript nach Aufnahme –
 

Killian M.: (schaut verwundert zur Tür, verdeckt dann sein Gesicht mit einer Hand und betrachtet mich durch den Spalt zwischen zwei Fingern) So eine Scheiße… Ich hätt’s nicht gedacht. Ich meine… Das Schlafen und die Stimmen… Aber… Alter, ich hätt’s nicht gedacht. Ich… Ich kann mir das nicht verzeihen. Es… Es tut mir Leid… Es… (Stoppt, als seine Stimme merklich dünn wird, dreht sich dann von mir ab und schaut auf das Krankenbett)
 

Dr. T.: (lege eine Hand auf Killians Schulter) Es ist ok. Er ist krank. Du weißt das. Egal was passiert, es ist nicht deine Schuld. Es ist gut, dass du ihn gefunden hast und es ist gut, dass er jetzt hier ist. Wir werden ihm helfen.
 

(gehe zum Bett und setze mich auf den Rand. Lege eine Hand auf Kids Arm. Seine Augen richten sich kurz auf mich, er versucht sie offen zu halten, doch fallen die Lider immer wieder zu)
 

Killian M.: Er spricht nicht… Hab’s schon versucht. Der guckt nur und pennt wieder ein. (wird dann laut, wendet sich an Kid) HAST DU GEHÖRT, DU WICHSER? Ziehst sone Scheiße in meiner Wohnung ab. Ich hab dir gesagt, dass es ne verdammte Schnapsidee ist.
 

Dr. T.: (zu Killian) Er hat dir hiervon erzählt?
 

Killian M.: (nimmt die Hand vom Gesicht, schaut zu Boden, ca. 10 Sek. Pause) Nicht direkt… Mehr über diese Stimmen und dass es nicht leise wird… und dieser… Keine Ahnung, diese Hallus und dass es besser sei… Was weiß ich. Er wäre… Ich hätt‘ es wissen sollen. Es war wie damals. Aber da konnte ich helfen, wissen Se? Dieses Mal.. Ich… Ich hätte… (bricht dann ab, steht auf und stellt sich neben das Bett; spricht direkt zu Kid) WARUM HAST DU HIRNTOTER TROTTEL NICHTS GESAGT?
 

Dr. T.: (entschließe mich dies unkommentiert zu lassen, halte Killians Sorge und dessen Erwähnung von akustischen und visuellen Halluzinationen fest) Wir können ihm hier helfen. Es wird besser werden
 

(werde von einem Laut von Kid unterbrochen)
 

Kid: (Stimme ist belegt und undeutlich, schaut sich mit einem Mal erschrocken um, ergreift verkrampft meinen Arm) NEIN! (schreit) NEIN! Sie sind da! Sie sind überall! Ich muss… Ich muss weg… (beginnt zu weinen) Ich muss weg, Doc! Sie sind hier… Überall… ICH KANN DAS NICHT… (schaut dann zu Killian) Du elender Hurensohn! Warum? Warum? ICH KANN DAS NICHT! ICH WILL NICHT! ICH…
 

(zwei Pfleger kommen in den Raum, versuchen Kid festzuhalten. Ich rate vom Beruhigungsmittel vorerst ab, doch folgen die Pfleger der Klinikordnung. Kaum ist Kid weggetreten, verlässt Killian den Raum. Ich folge ihm kurz darauf)
 

-- Transkript Ende –
 

Ich halte am Haloperidol fest und unterzeichne eine zweimonatige Einweisung zur Medikamenteneinstellung und Behandlung der Schnittwunden. Therapiestunden werden fortgeführt. Depression als Symptom der Schizophrenie sollte nun zunächst mit in den Vordergrund rücken.
 

Es war das erste Mal, dass ich Killian so gesprächig im direkten Umgang erlebt habe. Diese offensichtliche Darstellung seiner Besorgnis, als auch seine Aussagen über Kid sollten Grundlage der nächsten Sitzungen werden.
 

BEMERKUNG GEWALTTAT ggn. Killian Murphy: Für eine feste Aussage ist es noch zu früh, doch aus Killians Nachricht auf meinem AB und dessen kurze Bemerkung im Krankenzimmer schließe ich, dass die damalige Gewalttat von Kid gegen Killian eine Reaktion einer psychischen Episode war. Kid schien sich bereits dort selbst verletzen zu wollen, Killian scheint daraufhin solange seinen Freund beredet und provoziert zu haben, bis dieser seine Wut und Frustration, seine dekonstruktive Kraft nicht gegen sich selbst, sondern gegen Killian richtete.
 


 

SEITE -11- THERAPIEVERLAUF
 

TS 114, 28.02.12: Erste Sitzung nach Suizidversuch
 

Nach der starken emotionalen Reaktion im Krankenbett weigert sich Kid in den folgenden Tagen zu sprechen. Zudem vermeidet er Augenkontakt. Ich deute dies als einen Ausdruck von Scharm in Bezug auf das Misslingen des Suizidversuchs, wie es häufig zu beobachten ist. Trotz seiner abwehrenden Haltung entschließe ich mich zu einem Gespräch, auch wenn die steril weißen Räume der Westend Klinik denkbar ungeeignet sind.
 

Als ich den Raum betrete, hockt Kid auf einem der beiden vorbereiteten Stühle. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet, während er abwesend an den Fingernägeln seiner linken Hand kaut. Er wirkt blass und übermüdet, trotz der Beruhigungsmittel. Ich setzte mich und schweige zunächst, in der Hoffnung, er würde eigenständig das Gespräch suchen. Nach 10 Minuten ändere ich die Taktik.
 

-- Transkript nach Tonbandaufnahme und Notizen –
 

Dr. T.: Schwester Ellen erzählte mir gerade von dem jungen Patienten aus Zimmer 8, der sich strikt weigert irgendetwas anderes als Schokoladenpudding zu essen (lache, Kid scheint jedoch nicht zu reagieren, ~10 Sek. Pause) Ich wusste gar nicht, dass du so sehr Schokolade magst. Kaum zu fassen, dass dich die Schwestern damit durchkommen lassen. Hast sie wohl alle um den Finger gewickelt… (lache erneut, bis Kid mit einem Mal aufguckt)
 

(~30 Sek. Pause)
 

Kid: (flüstert) Ist das sowas wie nen schlechter Witz, Doc?
 

Dr. T.: (deutlich verwundert) Ein Witz? Nein. Aber wenn es ein Versuch war, dich zum Sprechen zu bewegen, dann freut es mich, dass es geklappt hat. Du scheinst Smalltalk immer noch nicht zu schätzen.
 

(ca. 30 Sek. Pause, Kid schweigt und zieht an den Verbänden um seinen Handgelenken)
 

Kid: Wie lange dieses Mal?
 

Dr. T.: (überlege, ~5 Sek.) Wie lange du dieses Mal hier bleiben musst? Bis deine Medikamente eingestellt sind… Und ich sicher bin, dich wieder in meiner Praxis zu sehen. Vielleicht auch, bis ich sicher bin, dass du nicht wieder so etwas Dummes tun wirst
 

Kid: (hört zunächst ausdruckslos zu, beginnt dann laut zu lachen ca. 20 Sek.) Dumm? (kichert) Das ist es wohl… dumm. Wenn ich nicht so bescheuert wär, dann wär ich jetzt nicht hier. Dann müsste ich mir nicht diese Scheiße anhören… Es wär‘ so einfach… Weißt du, Doc? Es wär‘ so einfach…
 

Dr. T.: Und ist es das, was du willst, Kid? Willst du es einfach?
 

Kid: (Schaut mich nachdenklich an, seufzt dann) Wär doch mal was anderes, oder?
 

(zunächst schweigen beide, dann grinst Kid schließlich und beginnt zu lachen, ich stimme ein, ca. 30 Sek. – festhalten möchte ich die Selbstironie als positives Zeichen der realistischen Einschätzung seiner momentanen Situation)
 

Dr. T.: Killia-… Killer war ernsthaft besorgt deinetwegen. Er hatte mich angerufen.
 

Kid: Killer ist ein verfickter Verräter…
 

Dr. T.: Er hat dir das Leben gerettet
 

Kid: Eben. (schnaubt wütend, fährt sich mehrmals durch die Haare) Ich will dieses Leben nicht…
 

Dr. T.: Kid… Du weißt, dass es deine Krankheit ist, di-…
 

Kid.: (springt auf und stellt sich in aggressiver Haltung vor mich, wird lauter) Krankheit! Seit wann weiß der Bekloppte denn, dass er bekloppt ist? Ist es nicht das, was ihr Wichser sagt? Ist ok… Du weißt es ja nicht… Ich weiß nicht, dass ich durchs verdammte Wunderland hoppel? (schreit) Eure scheiß Pillen bringen mich doch erst dahin. Und dann liegt man sabbernd im Bett und wartet auf die verfluchte Schwester, damit sie deine Windel wechselt, weil dein verkacktes Hirn zu kaputt ist, als dass man es auf die Gesellschaft loslassen kann und deshalb gibt man Pillen und schaltet dich aus und dann… und dann… (nach Atem ringend, anschließend leise) Wie kann ich denn das Spiel spielen, wenn ich die Regeln nicht verstehen kann? (schluchzt) Ich kann das nicht zu Ende denken… Es ist so laut, und so hell und ich… Ich bin viel zu spät… Ich kann das nicht zu Ende… Ich meine… Es war so einfach…
 

Dr. T.: (stehe auf und lege eine Hand auf Kids Schulter) Es tut mir Leid, dass es so schwer ist, Kid. Es ist unfair, ich weiß. Aber wir schaffen das. Ich verspreche dir, wir schaffen das.
 

Kid: (legt zu meiner Überraschung seine Stirn auf meine Schulter, schweigt, bis sich seine Atmung wieder beruhigt vollständig hat) Ich werde dich enttäuschen, Doc… (schweigt, ca. 20 Sek.) Es tut mir Leid, aber ich werde auch dich enttäuschen, Doc. (20 Sek. Pause) Kann ich jetzt gehen?
 

-- Transkript Ende –
 

Wichtige Bemerkung nach Gespräch: Ich möchte drei Dinge im Anschluss an das Gespräch festhalten, die für den weiteren Verlauf von Kids Therapie relevant sein werden
 

(1) Das Gespräch mit Kid erinnerte mich an die Darstellung und Begründung zur Gewalttat gegen Killian. Es erscheint, als würde Kid auf die Auswirkungen psychotischer Episoden dekonstruktiv reagieren – zunächst gegen andere, jetzt gegen sich selbst. Zum Schutz vor sich selbst und für andere ist daher besonders sensible auf den Beginn einer neuen Episode zu achten.
 

(2) Die Beschreibung seiner Umgebung als „so hell“ und „so laut“ deutet auf eine Störung des Reizfilters hin – Haloperidoldosis sollte erhöht werden.
 

(3) Besonders bewegend erscheint mir die Darstellung von Kid zu sich selbst in Bezug auf andere mit dem Verb „enttäuschen“. Er scheint die Schuld für sein Verhalten immer noch bei sich selbst zu suchen, weshalb er das Auftreten von Symptome als persönliches Versagen deutet. Beunruhigend bleiben seine letzten Worte der Sitzung, die weiterhin auf eine erhöhte Suizidgefahr hindeuten. Antidepressiva sollten in Erwägung gezogen werden.
 


 

SEITE -12- THERAPIEVERLAUF
 

Besuch in Klinik, 05.03.12
 

Entgegen meiner Anweisung wurde Kids Haloperidoldosis nahezu verdoppelt. Während meines (unangekündigten) Besuches finde ich Kid in einem Bett auf dem Korridor. Er ist nicht ansprechbar, scheint vollkommen weggetreten. Kurz nach meiner Ankunft treffe ich Killian, welcher sich schweigend neben das Bett stellt und Kid übers Gesicht streicht, um vermutlich Speichel von dessen Kinn zu entfernen.
 

(Zitat aus Gedächtnis) Killian: „Der Mist hier kann doch nicht gut sein. Er ist ein Zombie… Ich bitte Sie, Doc. Hol’n Sie ihn hier raus… Ober ich fange wirklich an mich zu fragen, ob es richtig war, den Notarzt zu rufen. Die Scheiße hier kann doch nicht Ihr Ernst sein…“
 

Ich entschließe mich für die Beantragung der ambulanten Versorgung des Patienten.
 

TS 120, 04.04.12
 

Nachdem Kid vor zwei Wochen aus der Klinik entlassen wurde, erscheint er zu jeder angesetzten Therapiesitzung (~jeden zweiten bis dritten Tag). Das Haloperidol scheint nun richtig dosiert zu sein – seine Aussagen sind klar, die Augenbewegungen scheinen kontrolliert und er vermag sich für kurze Perioden (ca. 2 bis 3 Minuten) auf einen Interessensgegenstand konzentrieren zu können, sodass er in der letzten Sitzung sogar die von mir gestellte, begleitende Aufgabe wieder lösen konnte.
 

Ich bin sehr zufrieden mit dem Verlauf. Kid wirkt ausgeglichen und gesprächig.
 

Als nächsten Schritt der Therapie werde ich nach einer Beschäftigung suchen, die Kid helfen wird, sich wieder in das gesellschaftlich-soziale Leben zu integrieren. Die Therapiestunden werden von nun an zweimal wöchentlich stattfinden.
 

BEMERKUNG STUDIENANFANG, 07.05.12
 

Obwohl das Semester bereits begonnen hatte, kann ich einen früheren Studienkollegen davon überzeugen, Kid an seinen Vorlesungen teilhaben zu lassen. Sein Interesse an und seine Begabung in Mathematik, Physik und Mechanik lassen mich vermuten, dass er sich im universitären Umfeld wohlfühlen kann.
 

Ich begleitete ihn an seinem ersten Tag. Er wirkt zufrieden, geradezu aufgeregt, was mir Grund zur Hoffnung gibt, dass ein Studiengang seinen Zustand weiterhin stabilisieren könnte.
 

Bemerkung 07.06.12
 

Zu meiner Enttäuschung erfahre ich von meinem Kollegen, dass Kid immer seltener zu den Vorlesungen erscheint und es nahezu unmöglich ist, ihn in Gruppenprojekte zu integrieren. Auch wenn er Kid als überaus intelligent einschätzt, so scheint die fehlende soziale Variante diesem im akademischen Zusammenhang im Weg zu stehen.
 

In unseren Therapiesitzungen erwähnt Kid nichts davon. Vielmehr berichtet er von dem Autowrack, das er und Killian momentan wieder zusammenbauen. Ich schätze Killians Hilfeversuch, doch ist es äußerst bedauerlich, dass die universitäre Laufbahn für Kid unmöglich zu verfolgen scheint.
 

TS 202, 09.09.12
 

Aus zeitlichen Gründen wurde die Weiterführung der Akte zu sehr vernachlässig. Kids Zustand ist jedoch weiterhin stabil, die Medikamente sind gut eingestellt. Festhalten möchte ich einen Ausschnitt aus der letzten Sitzung:
 

-- Transkript nach Tonbandaufnahme –
 

Kid: Wann hast du aufgehört mich Eustass zu nennen?
 

Dr. T.: Möchtest du, dass ich dich Eustass nenne?
 

Kid: (lacht verwundert) Scheiße nein! (schweigt während er einige der bereitgestellten Kekse ist)
 

Dr. T.: Warum dann die Frage?
 

Kid: Was weiß ich… Mir war danach. Weißt du Doc, ich hab letztens dieses Buch gelesen… Hat ewig gedauert, sag ich dir! Ich les` ne Seite und dann dreht sich alles. Dieses verfickte Peridolgift bringt meinen Kopf echt durcheinander… Aber egal, ich hab’s gemacht. Und da ging’s mir dann auf. Ich mein… Das Problem ist doch, dass Eustass normal sein muss. Erwachsen werden und Tennis spielen. Das College abschließen. Ich hab‘ mir das dann vorgestellt. Eustass, dieses hässliche Gör mit den roten Haaren und den Sommersprossen. Ist aber ziemlich flink der Junge und gewinnt sich einige Medaillen. Dann ist er ganz clever, macht nen guten Abschluss und geht aufs College, um später Maschinenbau zu studieren. Die Mama steht auf der Abschlussfeier und weint, während der Vater ihm stolz die Hand auf die Schulter legt. Danach fängt Eustass O’Sullivan an in dieser großen Firma zu arbeiten, baut nen paar geile Roboter und so… Irgendwann lernt er dieses hübsche Mädel mit den schwarzen Locken kennen… Sie gehen aus: Verliebt, verlobt, verheiratet. Mama weint wieder, dieses Mal auf der Hochzeit; Vater hat die Kiste mit den Kubanischen bereit. Zwei Kinder, der Porsche, die große Villa und das Ferienhaus. Der Labrador, Golf, Jahresurlaub und fünf Enkelkinder auf dem Arm im Schaukelstuhl auf der Veranda. Glücklich und zufrieden. Niemand hatte jemals behauptet, er sei nicht richtig. Geliebt von sich und der Welt, bis er umweint und betrauert ins Grab fällt… (macht eine Pause, schaut durch den Raum und auf die Tafel mit der gelösten Aufgabe der Sitzung, lacht traurig) … (~20 Sek. Pause, schaut mich an) Und wenn er doch nicht gestorben ist, dann… Nen schönes Märchen. Sehr schön sogar… (hebt seine Hand und formt eine Pistole aus seinen Fingern, die er erst auf mich richtet, dann auf sich selbst und anschließend mimt, als würde er gegen seine Schläfe feuern) Es ist eine Schande, nicht wahr?
 

Dr. T.: (nehme mir bewusst einige Sekunden, um über das Gesagte nachzudenken. Offensichtlich scheint er sich damit auseinanderzusetzen, wie sein Leben ohne seine Erkrankung ausgesehen hätte. Sein neuer Name wird damit sowohl zum Symbol seiner eigenen Ohnmacht jemals erwachsen zu werden, als auch zum Todesurteil des normalen Lebens, das er hätte führen können. Die Realisierung ist traurig wenn auch scharfsinnig, so versuche ich einzugreifen, denn wir sind uns beide bewusst, dass er dieses erträumte Leben niemals führen kann) Was ist der Unterschied zwischen Kid und Eustass?
 

Kid: (hebt verwundert die Augenbrauen, lacht dann leise und schaut zunächst nachdenklich zu Boden, bevor er mich entschlossen ansieht) Eustass hatte eine kleine Schwester.
 

-- Transkript Ende --
 


 

[…]
 


 

~*~
 

Ein Kinderspiel


 

Achtzehnter Teil
 

Er war gerade einmal acht Jahre, vielleicht auch neun aber auf keinen Fall älter. Law konnte sich deutlich an die heißen Sonnenstrahlen erinnern, die an jenem Tag auf seine weiche Haut fielen und am Abend seinen Nacken und seine Arme verbrannt haben würde. Es passierte in den späten Mittagsstunden, als er sich mit seiner Schwester in den Schatten eines Baumes zurückgezogen hatte. Beide waren außer Atmen, rangen nach der schweren Sommerluft, nachdem sie vom Familienpicknick geflohen waren und sich auf diese Lichtung zurückgezogen hatten. Ihre Wangen glühten, ihre Herzen schlugen kräftig gegen die kleine Kinderbrust.
 

„Was denkst du, wie hoch ich klettern kann?“, fragte er schließlich, schirmte seine Augen mit der Hand ab und blinzelte hinauf ins dichte Blätterwerk über ihren Köpfen. „Gar nicht hoch“, hatte sie ihm geantwortet, „Mama sagt, das ist gefährlich.“ Law scherte sich nicht um die Warnung. Er wusste, was er konnte und war selbstbewusst genug, um kalkulierte Risiken einzugehen. „Das wird unser kleines Geheimnis, ja?“, hatte er geantwortet, seine Hände ins kühle Gras gedrückt und war aufgesprungen. Als er die dunkle Rinde der Eiche berührte, spürte er deutlich den rauen Untergrund, der schon bald seine Finger aufscheuern würde. Nichtsdestotrotz streckte er seinen kleinen, schmalen Körper, griff nach dem ersten Ast und zog sich hinauf, während er die besorgte Stimme seiner kleinen Schwester ignorierte.
 

Law hatte bereits zweidrittel des alten Baumes hinter sich gelassen, konzentrierte sich auf die immer wärmeren Sonnenstrahlen, die sich hier und da durch die Baumkrone wanden, als er hörte, wie sich Sorge in Angst verwandelte. Erschrocken riss er seinen Kopf herum, blickte zum ersten Mal, seit er seinen Aufstieg begonnen hatte, herab, nur um am Ende in die vor Panik aufgerissenen Augen seiner Schwester zu schauen. Erst da hatte er bemerkt, dass er sich zu sehr auf die Herausforderung konzentriert und dabei seine Umgebung und das Gesamtbild außer Acht gelassen hatte. Hilfesuchend streckte das kleine Mädchen ihre winzigen Finger in die Luft, rief den Namen ihres Beschützers und hoffte auf Rettung. „Was tust du da?“, hatte er gerufen, wütend auf sich und seine Schwester zugleich. Dem Mädchen stiegen Tränen in die Augen. „Ich wollte nicht alleine sein“, antwortete ihre bebende Stimme, während sich die Finger ihrer linken Hand gewaltsam um einen Ast klammerten.
 

„Aber du bist doch nicht allein“, hatte Law ihr entgegnet, sich in eine Diskussion verstrickt anstatt das eigentliche Problem zu betrachten. „Du warst so weit oben. Ich konnte dich nicht sehen“, schrie ihm die dünne Stimme entgegen. Heute konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was er damals noch gesagt hatte, doch letztendlich hatte er sich durchgerungen die Baumspitze aufzugeben, um seiner kleinen Schwester zu helfen, die gute zwei Meter unter ihm vor Angst zitterte. Seufzend bewegte er sich auf sie zu. „Ich kann nicht mehr“, hatte sie immer wieder geschrieben. "Ich kann nicht mehr.“ Und er hatte geantwortet: „Du musst. Ich bin doch gleich da!“ Innerlich rollte er genervt die Augen, als er sich auf einen der stabilen Äste kniete und eine Hand nach seiner Schwester austreckte. „Da bin ich doch schon“, hatte er zufrieden erklärt.
 

Es war zu spät. Zu verkrampft hatte sich das kleine Mädchen an den Baum geklammert. Ihre jungen Muskeln gaben nach, konnten keine Kraft mehr aufbringen, versagten den Dienst. Law konnte nur noch beobachten, wie seine Schwester abrutschte. Ihr Schrei trillerte in seinen Ohren. Noch heute sah er sie hinabgleiten; in Zeitlupe verfolgte er, wie sie gegen mehrere Äste schlug und am Ende auf dem Boden landete. Zu dem Zeitpunkt war ihr Schrei bereits verebbt und einem verstörtem Schweigen gewichen, während die graublauen Augen des kleinen Mädchens starr hinauf in die Baumkrone blickten. Law hatte aufgehört zu atmen und wie es schien, hatte auch sein Herz voller Panik und Ohnmacht angehalten. Seine Lungen brannten; seine Haut kribbelte unangenehm, während er im Blick seiner Schwester gefangen war. “Ich kann nicht mehr“, hörte er ihre Stimme in Gedanken sagen, während er schwer schluckte. Ein lauter Schmerzensschrei beendete das angespannte Schweigen. „Es tut mir Leid“, hatte er noch gerufen, als er nun schneller die letzten Meter hinabkletterte. Er schluckte schwer. Mehr als deutlich konnte man sie sehen: Die Stelle, an der ihr Arm gebrochen war.
 

*
 

Die Erinnerung an einen lang vergangenen Sommertag leuchtete in Laws Gedanken auf. Panisch zitternde Augen, die ihn voller Erwartung anstarrten; Hände, die sich zu ihm hinauf ins Licht streckten und verräterische Äste, an die sich in letzter Hoffnung geklammert wird auch wenn sie viel zu dünn sind, als dass sie ihre Last tragen könnten. Der graublaue Blick verschwamm und wich einem unnatürlichen klarem Grün, das über zahlreichen purpurnen Flecken leuchtete. Ich kann nicht mehr – Ein Hilfeschrei. Wieder stockte Law der Atem, wieder prickelte seine Haut, während seine Lungen ihn innerlich verbrannten. Paralysiert stand er da, mehr als ein Jahrzehnt später, hatte sich der Herausforderung hingegeben, sein Risiko kalkuliert, war geklettert und hatte dabei den Blick zurück vergessen. So viele Jahre, so viele Bücher… und doch stand er hier, allein und frierend, hilflos. Wieder einmal konnte er nichts anderes tun, als das Kind fallen zu sehen: Er hatte nichts dazugelernt. Und diese traurige, nahezu zynische Erkenntnis entlockte ihm ein verzweifeltes Lachen.
 

Die letzten Wochen war er immer und immer wieder diesen Baum hinaufgeklettert. Anstatt ihn vor der Gefahr zu warnen, wie es seine Schwester damals getan hatte, schien Kid immer neben ihm zu stehen und ihn anzufeuern. Höher. Weiter. Dabei war Law so sehr auf seinen eigenen Höhenflug fixiert gewesen, dass er Kid aus den Augen verloren hatte. Gab es Anzeichen? Kraftlos blickte er auf Kids zitternden Körper, während er sich nur langsam bewusst wurde, was Kid sich selbst und vor seinen eigenen Augen angetan hatte; was die purpurnen Linien bedeuteten, die seine weißen Zähne säumten. Warum hatte er ihm nicht die Flasche aus den Händen genommen? Machtlos blickte Law auf die roten Sprengel in Kids Gesicht; verstand, was in der Flasche gewesen war und auch, welches Ziel Kid damit verfolgte. Ein zynisches Lachen. Mehr blieb Law nicht, während das Leben in einer dickflüssigen Mischung aus Blut und Speichel von Kids Kinn auf den Boden floss und gleichzeitig den angehenden Mediziner mit jedem Tropfen lautstark auslachte. Peng. Du bist tot. Ein Kinderspiel…
 

Müde von seiner eigenen Stagnation verfolgte Law mit trägem Blick, wie Kids Lippen sein eigenes Lachen spiegelten, sich nach oben zogen und ein weiteres Mal seine blutverschmierten Zähne entblößten. Einen Moment standen sich die jungen Männer gegenüber, lachten schließlich wie kleine Jungen nach einem gelungenen Streich, bis sich der Student nicht mehr erinnern konnte, was der Witz gewesen war. Husten brachte ihn in die Realität zurück, als sich Kid abermals mit zitterndem Körper nach vorn beugte und gequält röchelte, bis er vor Schwäche zusammensackte. Das brutale Rauschen des Schneesturms war verschwunden; um Law herum herrschte ein lautes Dröhnen, ein hohes Fiepen als hätte eine starke Druckwelle seine Trommelfelle malträtiert. Paralysiert stand er da, die Arme immer noch weit geöffnet, von der Umarmung, die schon Ewigkeiten zurückzuliegen schien.
 

Unter Kid bildete sich eine kleine Pfütze aus zähem Blut, welche durch nicht endende Tropfen aus seinem Mund getränkt wurde. Luft kämpfte sich rasselnd in seine Lungen. Kid verharrte, bis Law vor ihm mit einem dumpfen Knall auf die Knie fiel. Panik beherrschte inzwischen den Gesichtsausdruck des jungen Arztes, während er mit schmerzhaft aufgerissenen Augen die Lache betrachtete, deren dunkelrote Ausläufer sich in den Fugen des Laminats sammelten. Laws Kopf war leer bis auf ein Wirrwarr aus Bildern, die in rasanter Geschwindigkeit vor ihm aufblitzten und ihm Kopfschmerzen bereiteten: Seine Schwester lachte. Ein Laubhaufen. Fingerspitzen an seiner Stirn. Sonnenstrahlen, die sich durchs Blätterwerk kämpften. Rot. Zahlen auf einem Whiteboard. Eine Klinge. Einkaufwangen. Rot. Ein gebrochener Arm. Rot. Schnee. Dunkelheit. „Law?“, rief ihm seine Schwester von weit unten entgegen. „Law?“ Er sah die Augen seiner Schwester, doch das war nicht ihre Stimme. „Law?“
 

Erschrocken hob der Medizinstudent sein Kinn, brauchte einige Atemzüge, um in die schreckliche Realität zurückzufinden und erkannte schließlich, dass es nun Kid war, der ihn angsteinflößend liebevoll anlächelte. „Law?“, wiederholte er, leise und kratzig. Der Angesprochene fuhr sich mehrmals übers Gesicht, schlug sich schließlich auf die Wange und kniff die Augen zusammen, bis er reagieren konnte. „Verdammt…“, hauchte er atemlos vor Entsetzen. Ich kann nicht mehr – war es das, was Kid ihn in den letzten Stunden hatte sagen wollen? Wie hatte er ihn überhören können? „Scheiße, Kid…“, weiderholte er und versuchte das Blut von seinen Wangen zu wischen. Kurz wanderte sein Blick zu der Weinflasche; ein Anblick, der ihm nun Galle hochkommen ließ. Wieso hatte er nicht zugehört? Was war ihm entgangen? „Ein Krankenwagen“, dachte Law schließlich laut. Ein weiteres Mal erbebte Kids Körper unter einer langanhaltenden Hustenattacke. Law legte ihm hilflos eine Hand auf die Schulter. Augenblicklich spürte er Rasseln in den Lungen des kämpfenden Körpers. Es war dieses Gefühl, ein Gefühl, das er schon aus seinen Praktika kannte, das zum Katalysator wurde und ihn wie in Trance die nächsten Schritte automatisch und routiniert durchführen ließ. Wie mächtig die Routine doch manchmal sein konnte.
 

Kids Stimme war in weite Ferne gerückt. Entschlossen legte er einen Arm um seinen neuen Patienten, zog ihn zur Wand neben dem Fenster und lehnte ihn dagegen, bevor er sich eines der frisch gewechselten Laken vom Bett nahm und es über den zitternden Körper legte, wo es im selben Moment rot getränkt wurde. Sanft legte er eine Hand auf die blasse Wange des Jungen, der nun in seiner Obhut stand. Er wartete, bis Kid ihm in die Augen sah. „Alles wird gut. Ich bin hier. Ich helfe dir“, erklärte er mit aller Sicherheit, die er aufbringen konnte. In seinem Kopf ratterten die Diagnosen: Säure, es musste sich um Säure handeln. Verätzungen, im Rachen, der Lunge. Speiseröhre. Schließlich hatte er es geschluckt. Freiwillig. Kid hatte sich das selbst angetan – und er hatte zugesehen. Law schüttelte den Kopf, um den letzten Gedankenzug aus seinem Bewusstsein zu verbannen. Das Einzige, worauf er sich jetzt konzentrieren wollte, war Kid zu helfen. Er hatte alles verbockt, doch wenn er Kid jetzt half, würde er es wieder gut machen können. Er würde es gut machen. Er musste es gut machen.
 

Das Handy! Ein Schock fuhr durch Laws Körper. Hastig sprang er auf, blickte zunächst hektisch und verwirrt durch den Raum, bis er sich daran erinnerte, dass es in der Tasche seiner karierten Schlafhose war. Er griff danach. „Keine Angst, Kid. Alles wird gut. Ich hol Hilfe.“ Er sah seinen Patienten nicht an, sprach gegen das künstliche Licht seines Displays, sodass nicht einsichtig war, wen er mit diesen Worten tatsächlich beruhigen wollte. Laws zitternden Finger flogen über den Touchscreen, doch vertippten sich immer wieder. Er hätte die Notfallnummer wählen können, stattdessen versuchte er das Uniklinikum zu erreichen. Er brauchte so schnell es ging Hilfe – da konnten Beziehungen nicht schaden.
 

„Law?“, erklang eine keuchende Stimme neben ihm. Law drehte kurz seinen Kopf; verfolgte wie Kid versuchte seinen Oberkörper aufzurichten, wobei ihm ein weiterer Anfall überkam, nach dem weiteres Blut aus seinem Mundwinkel tropfte. Law ignorierte Kids Frage. „Geh ran!“, befahl er stattdessen dem Freiton seines Telefons. „Geh ran“, wiederholte er wie eine Beschwörungsformel. Wie durch einen Schleier verfolgte er, wie Kid sich auf die Seite drehte und mit seinen Händen gegen den Holzboden drückte, um sich zu Law zu strecken. Sein Arm zitterte vor Schwäche, als er mit seinen Fingern Laws Hosensaum ergriff. „Bitte nicht“, bat seine beängstigend entschlossene Stimme, „Mach es nicht kaputt.“
 

Mit einem Blick voller Verständnislosigkeit schaute Law hinab auf den Körper zu seinen Füßen. An seinem Ohr knackte es. „Notaufnahme Saint Peter’s Hospital“, erklangen erlösende Worte, doch auf den anschließend genannten Namen achtete Law nicht mehr. „Trafalgar hier“, spie er stattdessen gegen den Display, während seine Augen starr auf die kleinen Kreise aus rotem Purpur gerichtet waren, die von Kids Kinn auf seine Turnschuhe fielen. „Trafalgar Law? Hast dich ja lange nicht mehr sehen lassen“, beschwerte sich die Schwester am anderen Ende mit einem Kichern. Law verdammte sie innerlich für ihre Unbeschwertheit in diesem Moment, in dem es doch um Leben und Tod ging. Sein Leben lag gerade neben ihm und schien jeden Tropfen Blut der sich noch im Körper befand, auszukotzen.
 

„Ich brauche einen Krankenwagen“, erklärte er so schnell er konnte, um die junge Frau von weiterem Schmall Talk abzuhalten. Kurz wurde es still. „Hattest du einen Unfall?“ Seine Gesprächspartnerin klang sichtlich besorgt. „Nein, ein Freund. Er… Er hatte einen Unfall. Es ist dringend. Southside, nahe der Mazestreet Haltestelle. Einen Krankenwagen, Notarzt im besten Fall“, zählte er auf. Innerlich schien ihn die Unruhe aufzufressen. Er hatte keine Zeit für lange Erklärungen, keine Zeit für diesen Nonsens. Kid hatte diese Zeit nicht. Wieder war es still geworden, dann folgte ein Seufzen. „Ich werde einen losschicken, sobald der Sturm ein wenig aufgeklart ist.“ Law hielt entsetzt den Atem an: „Bitte was?“ Die Frau schluckte. „Zwei Wagen sitzen schon auf den Straßen fest, an jeder Ecke ist ein Unfall. Wir sind überlastet, wie so ziemlich jedes Krankenhaus. Hast du schon mal rausgeguckt?“ Ihre Stimmlage verriet, welch anstrengende Zeit sie hinter sich haben musste. „Ich schicke ihn so schnell es geht“, fügte sie beschwichtigend hinzu.
 

Laws Herz blieb stehen, während seine Haut unangenehm brannte. Langsam wanderten seine Augen zum Fenster, hinter dem die Außenwelt zu einer künstlich-weißen Hölle geworden war. Sein Kopf war leer. „Wie lange?“, fragte er aus reiner Verzweiflung. Er hätte das Mädchen anschreien können, hätte solange auf sie einreden können, bis ein Wagen gekommen wäre – doch sie würde Recht behalten. In diesem Wetter würden sie das Haus niemals erreichen. Zumindest nicht pünktlich genug. „Ein Stunde… vielleicht zwei. Es tut mir Leid, Law. Wirklich, es tut mir Leid. Ich wünsche dir alles Gute! Ich weiß, dein Freund ist bei dir in guten Händen. Tu was du kannst und wir schicken dir einen Wagen so schnell wie möglich. Es tut mir unendli-…“ Law hatte aufgelegt, bevor sie den Satz beenden konnte.
 

Die Welt stand still. Kein Ton, keine Bewegung, keine Farben. Für wenige Sekunden spürte Law den Einbruch in den Kaninchenbau. Gegenstände flogen an ihm vorbei oder schwebten vielmehr in der Luft als Zeugen seines unaufhaltsamen, tiefen Falles. Laws Griff um sein Handy wurde fester, bis seine Knöchel weiß wurden; sein Blick starr in die Dunkelheit der Zimmerecken gerichtet. Es würde keine Hilfe kommen und wenn doch, dann würde es zu spät sein. Betrachtete er sich die Blutlache, die sich inzwischen auf dem Boden gesammelte hatte, dann würde es bei dieser Geschwindigkeit nicht lange dauern, bis Kids Körper aufgeben würde. Ohne OP und vielmehr ohne jegliches Equipment gab es nichts, das er tun konnte, um es zu verhindern. Was auch immer Kid geschluckt hatte, es war dabei ihn innerlich zu zerfressen. Wenn die Hilfe ankommt, dann wird er bereits… Nicht einmal seine Gedanken trauten sich dieses absolute, endgültige Wort zu formen. Noch nicht. Machtlos drehte sich der Student zur Seite.
 

Kid lehnte immer noch an der Wand, sein Kinn nun vollkommen rot, nahezu schwarz im fahlen Mondlicht. Seine Hände waren ebenfalls getränkt; hinterließen gruselige Spuren an der verschmierten Tapete. Law schluckte, ließ sein Telefon auf den Boden fallen und kniete sich neben den sterbenden Körper zu seinen Füßen. Während in seinen Augen Angst leuchtete, strahlte ihm Kid geradewegs ironisch entgegen; grinste sein schelmisches Lächeln, wie bei ihrer ersten Begegnung. „Sie sind auf dem Weg“, log Law, „Du musst nur etwas durchhalten.“ Sanft vergrub er seine Finger in den abstehenden, roten Haaren und versuchte dabei das Zittern seines Unterkiefers zu kontrollieren. Kid lehnte sich indes gegen seine Hand, schloss kurz genüsslich die Augen, bevor er Law einen wissenden Blick schenkte.
 

„Kleiner Law…“, flüsterte er mit einem breiten Lächeln und erfreute sich an Laws verzweifelter Naivität. Laut sprechen konnte er wahrscheinlich schon nicht mehr. Zudem war seine Stimme um einiges rauer als gewöhnlich – auch seine Stimmbänder mussten angegriffen sein, diagnostizierte Law, während er seinen müden Blick dem spitzbübischen Grinsen widmete, das ihn und seinen ganzen Berufszweig verspottete. Kid konnte immerhin noch reden, dachte Law. Das bedeutete, dass die Flüssigkeit, die er geschluckt hatte, lediglich mäßig aggressiv war und nur schleichend zum Ziel führen würde. Die Frage, ob dies nun gut oder schlecht war, ließ er offen. „Guck nicht so traurig. Das macht einen ja krank“, fügte Kid mit Galgenhumor hinzu und verfolgte amüsiert, wie Law seine Stirn in Falten legte. Schweigend betrachteten sich die beiden, verfolgten das Schattenspiel des Sturmes im jeweils anderen Gesicht. „Was war in der Flasche?“, fragte Law schließlich. Er wollte nichts mehr, als Kid zu helfen; etwas tun; ein Wunder bewirken – doch Kid seufzte nur. „Macht es einen Unterschied?“, entgegnete er und rang röchelnd nach Luft, während er sichtlich an Kraft verlor.

„Was war es?“

„Wieso vergeudest du damit Zeit?“

„Ich will dir helfen.“

„Willst du das?“

„Ja.“

„Und kannst du das?“

Kid lachte rotzig. Law ließ resignierend den Kopf fallen.
 

Machtlos und schweigsam schaute er auf seine blutigen Hände. Kurz lauschten die beiden jungen Männer dem Rauschen des Unwetters, das sich zischend und kalt durch jede undichte Fuge des Fensters kämpfte, bis es unterbrochen wurde, als Kid seinen Oberkörper hustend nach vorn warf. Law tat das einzige, was ihm noch blieb: Vorsichtig legte er seine Hände auf die zitternden Schultern, drehte Kid leicht zur Seite, sodass der dunkelrote Auswurf auf dem Boden und nicht auf seinem Schoß landete. Nach einem schier unendlichen Anfall ließ sich Kid entkräftet in Laws Arme fallen, welche dieser bereitwillig um den immer schwächer werdenden Körper schloss.
 

Während die Luft im Raum immer kälter wurde, fühlte es sich an, als würde Kids Körper brennen. In seiner festen Umarmung spürte Law das Herz im Todeskampf rasen. Ein letzter, aussichtsloser Versuch, das wenige ihm verbliebene Blut durch den Körper zu pumpen, um den lebensnotwendigen Sauerstoff zu verteilen. Das Herz kämpfte erbittert, als wüsste es, dass es noch zu jung war um seinem Dienst zu entsagen. Es kämpfte, doch hatte bereits verloren gegen einen übermächtigen Gegner, der sich nur wenige Zentimeter über ihm befand. Das Herz wollte, doch der Kopf entsagte und so würde in absehbarer Zeit das Herz sein chancenloses Gefecht verlieren. Mächtig genug war das Gehirn, um gegen jeden Instinkt den eigenen Körper, die eigene Versorgung, zu zerstören. Mit leeren Gedanken fuhren Laws Finger über die fahle Haut von Kids Armen. Immer blasser wurde sie, immer dunkler die dünnen Adern, gefüllt mit Blut, das keinen Sauerstoff mehr aufnehmen konnte. Der schmale Oberkörper zuckte auf und ab, im verzweifelten Versuch, die Bronchien oder das, was von ihnen noch blieb, mit Atem zu füllen. Sinnlos, stellte Law verzagend fest, als das Rasseln in Kids Brust verriet, dass sich seine Lungen bereits mit Flüssigkeit füllten.
 

„Warum hast du das getan?“, fragte Law schließlich vorwurfsvoll und erschrak über das Zittern in seinen Worten. Noch bevor er jedoch eine Antwort erhielt, war es die Stimme seiner Schwester, die in seinen Gedanken erklang: Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr…. Ihm wurde eiskalt. Kid drehte seinen Kopf, ruhte ihn auf Laws Schulter, sodass er zu ihm aufsehen konnte. Sein Blick wirkte unstetig, hüpfte nahezu umher, während eine blutverschmierte Hand gegen seinen Oberkörper drückte. Bevor Kid antworten konnte, hatte Law seine Knie angezogen, lehnte sich selbst mit dem Rücken gegen die Wand und zog Kid halb auf seinen Schoß, halb in seinen Arm, um ihm das Atmen soweit es ging zu erleichtern. Kid schluckte, verzog vor Schmerz das Gesicht, nur um anschließend Law fröhlich anzulächeln: „Es ist leise“, erklärte er. Erleichtert.
 

Kaum waren die drei kleinen Worte ausgesprochen, verkrampfte sich alles in Laws Körper. Ihm wurde schlecht. Heiß und kalt zugleich, beim Gedanken an die Dinge, von denen Kid berichtet hatte. „Leise?“, wiederholte er und verfolgte, wie Kids Blick zufrieden den Raum absuchte. Die grünen Augen glitzerten, während sie in aller Ironie umrahmt waren vom roten Blut, das inzwischen im gesamten Gesicht verteilt war und im komplementären Kontrast leuchtete. Laws Unterkiefer bebte. „Leise? Aber das ist es doch nicht wert… Mein Onkel, er… Und deine Medikamente… Kid, scheiße… So eine verdammte Scheiße…“ Die Verzweiflung übermannte ihn, ohne das Law sich vor ihr hätte schützen können. Machtlos hielt er den sterbenden Körper des Jungen in den Armen, der in den letzten Wochen jeden seiner Gedanken bestimmt hatte und dem er doch nicht helfen konnte. „Scheiße“, wiederholte er und versuchte mit seinem Daumen Kids Wange vom trocknenden Blut zu befreien. „Warum machst du so einen Dreck?“
 

Und während Law spürte, wie sein Blick verschwommen wurde, als sich Wasser in seinen Augenwinkeln sammelte, kicherte Kid wie ein kleines Kind schelmisch in sich hinein. „Es ging nicht allein… Aber Killer hätte es gewusst, weißt du? Er hätt’s gewusst. So wie letztes Mal. Aber allein ging’s nich…“, flüsterte Kid, immer wieder unterbrochen von einem schwächer werdenden Husten. Law schüttelte verständnislos den Kopf. „Es wird nich besser, Law. Verstehst du? Es hört nicht auf. Niemals. Ich hab’s versucht. Ehrlich… Ich hab’s… Aber es geht nicht… gar nicht…“ Mit letzter Kraft hob der Junge in Laws Armen seine Hand und legte sie tröstlich auf seine Wange. „Es war so schrecklich laut und ich hab es wirklich versucht. Das musst du ihm sagen, ja? Ich hab’s wirklich versucht… und ihn enttäuscht. Sie alle… Euch alle. Aber… Ich kann nicht mehr.“
 

Entsetzt starrte Law hinab. Ein Teil von ihm schien zu verstehen, der andere entsagte jeder Logik. Kids Worte hallten in seinen Ohren, während er vor seinen Augen einen Einkaufwagen vor sich herschob. Kid saß darin, streckte die Arme von sich und lehnte sich zurück, um Law breit anzugrinsen. In seinem Gesicht war kein Blut, nur weiße Zähne und leuchtendes Grün in seinen Augen. Feuerrote Haare auf blasser Haut im Mondlicht. Dann ein Wechsel. Law schüttelte seinen Kopf, war zurück in der Realität, in welcher der Druck auf seinen Beinen größer wurde und Kids Stimme immer leiser. „Aber warum jetzt?“, fragte er, ohne dass er Kontrolle über seine Worte hatte. Kids Hand wanderte indes in seine dunklen Haare; irgendwie verträumt. „Es war gut, oder?“, entgegnete er dabei, ohne zu antworten. Law legte die Stirn in Falten. „Wir beide… der Tag im Park… Das war gut?“ Erst verharrte Law verständnislos, dann nickte er, unfähig etwas auf diese wirren Gedanken und grotesken Fragen zu antworten. „Dann bleibt es jetzt so“, folgerte Kid, ließ seinen Arm fallen und streichelte stattdessen über Laws Schulter, bis ihn ein erneuter Hustenanfall überkam und Law ihn aufrichtete.
 

Law hatte sein Wunderland genossen. Er hatte den Blick über den Bücherrand gewagt und wurde vom Kaninchen auf waghalsige Fahrten, nahezu lebendige Laubhaufen, zu lauter Musik und einer kindischen Tour im Einkaufwagen geführt, mit Küssen, die sein Herz so laut schlagen ließen wie noch nie zuvor. Nächtliche Berührungen im Mondschein, das Gefühl von Haut auf Haut, der Süße von Schokolade am Morgen und dem verwegenen Nebengeschmack des Verbotenen und Neuem. Nun lief seinem Kaninchen tatsächlich die Zeit davon, ohne jeden Antrieb stehenzubleiben. Sanft strich Law über Kids rote Haare, während diesem der Kopf immer weiter in den Nacken fiel, seine Augen sich immer wieder müde schlossen und er sie nur mit Mühe offenhalten konnte. Fröhlich lächelte er Law entgegen, war ganz ruhig, bis auf ein leises Keuchen, jedes Mal wenn er versuchte einzuatmen. Anders als alle Menschen, die Law in seiner Karriere bisher behandelt hatte, hatte Kid das Leben für sich selbst aufgegeben, seinen Willen verloren. Es würde keinen Kampf von Patient und Arzt geben. Keine Teamarbeit, nur Resignation. Jetzt wartete Kid geduldig auf das Ende seines Spurts. Und selbst in dieser abstrus tragischen Situation stürzte er Law in unbekanntes Terrain und ließ ihn sprach- und machtlos auf die Knie gehen.
 

„Du kannst nicht gehen“, hörte Law sich selbst sagen. Er spürte, wie seine Arme zitterten, sein Körper schwächer und sein Herzschlag immer schneller wurde, bis seine Brust schmerzte. „Du kannst mich nicht erst in diese Scheiße hier bringen und dann einfach… einfach abhauen.“ Er war schon zu sehr drin, hatte die letzten Wochen sein ganzes Leben und jegliche Überzeugung in Frage gestellt, sich abgeschottet von seinen Freunden und gierig auf jede kleine Nachricht von diesem rothaarigen Idioten gewartet und das alles… ja, das alles nur, um ihn nun sterbend in den Händen zu halten? Ohne jede Möglichkeit zu helfen? „Das ist nicht fair“, schloss er und sah unglücklich auf Kid hinab. Das Lächeln des Jungen wurde breiter, wobei sich weiteres Blut aus seinen Mundwinkeln kämpfte und zäh sein Kinn hinabfloss. „Ich weiß. Es ist nicht fair. Das ist es nie…“, flüsterte er, nicht mehr in der Lage lauter zu sprechen, „Aber ich entschuldige mich nicht.“
 

Mit trägem Blick sahen Laws graublauen Augen auf den Körper in seinen Armen. Die blasse Haut, die nur hier und da noch zu sehen war. Die feuerroten Haare, nun verklebt am Ansatz und immer mehr in den Spitzen, durch die Law mit seinen Fingern fuhr. Die grünen Augen, die selbst jetzt noch voller Freude, wenn nicht sogar Vorfreude, leuchteten. Die kleine Ecke am Zahn, die fehlte, als Erinnerung an Kids erste Bewegung mit dem Mann, der ihn über all die Jahre rettete – anders als Law. Law, der nun nur zusehen konnte, wie das letzte bisschen Leben aus dem schwachen Körper wich.
 

„Was willst du wissen?“, fragte Kid mit einem Mal und riss Law aus seiner stummen Bewunderung. Irritiert legte er die Stirn in Falten. „Das ist nicht der Moment, um…“, begann er, wurde aber unterbrochen: „Du kriegst keinen anderen.“ Kid lachte amüsiert auf, zuckte aber bald darauf zusammen, kniff die Augen zu und verzog den Mund. „Findest du das witzig?“, fragte Law, entrüstet über Kids groteske Fröhlichkeit. „Nein… Eher scheiße schmerzhaft. Dreck… Ich dachte, das geht schneller“, murmelte er, so laut er noch konnte, musste wieder kichern und zuckte dadurch abermals zusammen. Law schüttelte ungläubig den Kopf. Er wollte sich nicht ausmalen, was Kid gerade fühlte, da er sich bereits wunderte, wie er so lange so ruhig bleiben konnte. Es geschah langsamer, als Kid gehofft hatte. Mehr Zeit, um nachzudenken. Mehr Zeit für Fragen. Law schluckte schwer. „Bereust du es?“, flüsterte er und verfolgte gebannt wie Kid die Augen aufriss und ihn einen Moment gedankenversunken betrachtete.
 


 

~*~
 

Lautes Schweigen - C'est la vie


 

“And you may make revelations

that cost you dearly only to have people look at you in a funny way,

not understanding what you’ve said at all,

or why you thought it was so important

that you almost cried while you were saying it.

That’s the worst, I think.

When the secret stays locked within

not for want of a teller, but for want of an understanding ear.”
 

- Steven King: “Different Seasons”
 

~*~
 


 

Neunzehnter Teil
 

Auch wenn sein Schicksal nun unabwendbar war, so fragte sich Law dennoch, ob Kids unverhoffte Wartezeit seine Entscheidung vielleicht noch in Frage stellen konnte. Er hoffte es und gleichzeitig fürchtete er es. „Scheiße nein… Die Welt will einfach keine Spieler, die die Regeln nicht kennen, Doktorchen. Und das wird sich auch nicht ändern“ Law atmete wütend aus. „Und mein Onkel? Killer? Was ist mit denen? Alle wollten dir…“ Er verstummte, als Kid eine Hand auf seine legte. „Haben sie. Sonst hätt’s nich so lang geklappt, weißt du? Aber jetzt ist es Zeit, egoistisch zu se-…“
 

Anstatt ihn ausreden zu lassen, beugte sich Law hinab und verschloss Kids verschmierte Lippen mit seinen. Die Berührung war warm und feucht, unterlegt mit dem metallischen Geschmack von Blut - dennoch ein Kuss voller Erinnerungen. Erinnerungen an ihren gemeinsamen Tag, den Kuss ihn der versteckten Bar und die folgende Nacht. Ein Kuss, der nach dem schmeckte, was alles war und nach dem, was nun nie mehr sein würde. Vorsichtig bewegte er seinen Mund, strich sanft über Kids Oberlippe, bis seine Bewegungen erwidert wurden; zärtliche Berührungen von Zungenspitzen, ein frecher Biss in die Unterlippe. Lange durfte ihre Nähe nicht währen, denn Kid begann schon bald zu zittern und weitere Blutspritzer verteilten sich auf Laws Gesicht, als der nächste Hustenanfall nicht länger zu unterdrücken war. Kaum hatte sich Kid wieder gefasst, schaute er auf: „Alter… Das werd‘ ich vermissen“, säuselte er und lachte, solange er die Schmerzen ertragen konnte.
 

Law stimmte für einen Moment in das Lachen ein, streichelte dabei sanft Kids Oberarm. „Hast du Angst?“, fragte er schließlich und es wurde leise im Raum. Law begann zu verstehen, wie schwer die letzten Jahre für Kid gewesen sein mussten; was es bedeutete Teil einer Welt zu sein, die dir einen Stempel aufdrückt und versucht, dich soweit es geht von ihrem Leben auszuschließen, wie das Kind auf dem Spielplatz, dass immer ansteht und dennoch niemals an die Reihe kommt. Er begann zu verstehen, doch gleichzeitig war ihm bewusst, welch eine furchterregende Macht Endgültigkeit haben konnte. Anhaltende Stille verriet, dass Kid über die Antwort nachdenken musste – oder bereits zu erschöpft war, um direkt zu sprechen. Am Ende ließ er seinen Kopf müde gegen Laws Brust fallen und flüsterte aufrichtig: „Ein bisschen.“ Law hielt überrascht den Atem an. Kids Anblick erweckte Mitleid in ihm und er versuchte sich vorzustellen, wie sehr Kid hatte leiden müssen, um sich etwas Derartiges - entgegen aller Ängste - selbst anzutun. Und wie blind hatte er selbst sein müssen, dass er es während ihres gesamten Gesprächs nicht gemerkt hatte? „Deshalb ging es nicht allein“, fügte Kid schließlich hinzu, ohne seine Lider zu öffnen. „Tut mir ehrlich Leid, Doktorchen. Aber allein ging es nicht.“
 

Law ließ seine Hand abermals durch die roten Haare wandern, dann wurde seine Umarmung fester, während er einen Kuss auf Kids Stirn drückte. Kurz lachte er auf, als ihm schmerzlich bewusst wurde, welche Hilfe Kid gesucht hatte, als er ihm schrieb. Die Erkenntnis war ein Schlag in die Eingeweide; sein Innerstes zog sich zusammen, während er in ohnmächtiger Ratlosigkeit den Kopf schüttelte. Kid wollte nicht allein sein in seinem letzten Akt, hatte Angst, doch konnte gleichzeitig nicht riskieren, dass Killer oder sein Therapeut ihn aufhielten. Raffiniert bis zum Schluss, dachte sich Law und vergrub nun seine Nase in den roten Haarsträhnen. Er brauchte nicht mehr zu fragen, warum Kid sich für ihn als seinen letzten Begleiter entschieden hatte. „War es wirklich so schlimm?“, wollte er stattdessen wissen, doch bekam nicht mehr als ein müdes Schnauben zur Antwort, gefolgt von vielsagender Stille.
 

„Nur schade um meine Schwester“, flüsterte Kids konträr apathische Stimme mit einem Mal in die immer größer werdende Leere des Raumes. Das Gluckern in seinen Worten zeigte, dass sich ihre gemeinsame Zeit nun mit rasanter Geschwindigkeit dem Ende neigen würde. Als Kid aufsah, hob Law fragend die Augenbrauen. „Wollte sie noch sehen… Wirklich. Schade drum. Aber es war einfach so laut… Es ging nicht mehr. Trotzdem schade…“ Während Kid anschließend seine Lider wieder schloss und sich an Law lehnte, spürte dieser, wie er nunmehr das Zittern in seinen Gliedern nicht mehr unter Kontrolle hatte. Hitze bahnte sich ihren Weg über seine Brust, seinen Hals, hinauf zu seinen Wangen, über die sich eine erste, salzige Träne stahl, während er krampfhaft die Zähne aufeinander biss. Es war alles so unfair, so schrecklich unfair. Wann hatte er das letzte Mal seine Schwester gesehen? Was war das letzte, was er zu ihr gesagt hatte? Wie konnte man verzweifelt genug sein, um zu gehen, ohne ein Lebe Wohl? Ein Abschied auf ewig… und alle Hilfe war zu spät. Es war eine Mischung aus Wut und Hilflosigkeit, welche die Tränen in Laws Augen trieb. All die Bücher, Vorlesungen, Praktika… und dennoch war er ohnmächtig dieses viel zu junge Leben zu retten. Dabei war es das erste Mal nicht die medizinische Herausforderung, die ihn reizte. Es war Kid. Es ging einzig und allein um Kid. Er wollte ihm helfen und doch gab es nichts, was er hätte tun können. Langsam rann die Flüssigkeit Laws Wange hinunter, bis sie von seinem Kinn auf Kids Nasenspitze tropfte und den jungen Mann überrascht aufblicken ließ.
 

Ein nahezu zufriedenes Lachen umspielte Kids Lippen, kaum schaute er in Laws glitzernde Augen. Er gluckste, als er realisierte, was die plötzliche Störung gewesen war. „Mädchen…“, feixte er dem jungen Mediziner frech entgegen. Dieser schüttelte ungläubig den Kopf, bis er schließlich lachte. Selbst die letzten Minuten waren so verquer wie jedes Treffen mit Kid zuvor. Zwar wusste Law nicht, was er erwartet hatte, doch war eine freundschaftliche Beleidung sicherlich nicht dabei gewesen. „Drecksack…“, murmelte er in sich hinein, wobei Kids Grinsen immer breiter wurde, auch wenn er nicht mehr genug Kraft hatte, seine Augen offen zu halten. „Nich mal fluchen kannste richtig, Doktorchen. Hast du denn nichts gelernt?“, beklagte er und verkrampfte dabei eine seiner Hände zitternd in seinem ehemals weißen Shirt. Law lachte mit ihm, allerdings ersparte er ihnen beiden die Frage, ob Kid Schmerzen hatte. Es war offensichtlich und mehr ein Wunder, dass es Kid schaffte immer noch ruhig zu bleiben. Vielleicht lag es an seiner Entschlossenheit, dachte sich Law und richtete Kids Oberkörper weiter auf, um ihm ein letztes Mal das Atmen zu erleichtern.
 

Wieder einmal war es still geworden, doch erfüllte dieses Schweigen nun das Geräusch von Kids Lungen, die gefüllt mit Flüssigkeit kurz davor waren in sich selbst zu ertrinken. Die Stille, die im vorangegangenen Gespräch, das Ewigkeiten vergangen schien, so angenehm sein konnte, machte Law nun Angst. Der dunkle Raum griff mit seinen Schatten um sich, wollte alles in sich mit seiner eiskalten Leere infizieren. Law musste einzugreifen und suchte nach etwas zu sagen: „Ich sehe Patienten selten, wenn es… wenn es zu Ende geht“, begann er und fuhr sich nervös durch die Haare. „Aber die Schwestern meinen, dass die Patienten meistens etwas loswerden wollen, etwas über das Leben, bevor sie…“, er stoppte, fand seine Ausführung mit einem mal lächerlich. „Ins Gras beißen?“, vervollständigte Kid schließlich flüsternd seinen Satz und bemühte sich mit aller Kraft Law anzusehen. Er lachte voll Ironie: „Ich weiß nicht, ob ich mich als Ratgeber eigne…“ Demonstrativ wischte er sich frisches Blut vom Kinn. Law schüttelte entschieden den Kopf. Die wenigen Male, die er Kid getroffen hatte, aß dieser entweder hemmungslos Kekse, fuhr waghalsige Manöver auf einem Rad, lag in krabbelnden Laubhaufen und genoss es, feierte in lauten Kellern, ließ sich in Einkaufswagen durch die Stadt schieben oder küsste einen Kerl, der ihn bis vor wenigen Stunden noch als Wahnsinnigen abgestempelt hatte. „Ich habe noch nie jemanden getroffen, der das Leben so versteht wie du“, wandte Law daher ein und freute sich über das zufriedene Lächeln, dass er damit auf Kids Mund zauberte.
 

Bis jetzt konnte Law nicht sagen, was an Kids Verhalten Symptome und was Persönlichkeitszüge waren, aber beides hatte eine Mischung erschaffen, die Law von der ersten Sekunde ihrer Begegnung an fasziniert hatte. Plötzlich huschte ein verträumtes Lächeln über sein Gesicht, als er sich an das Gespräch mit Kid in der Kellerbar erinnerte und er verfluchte sich dafür, abermals an Symptome gedacht zu haben. Trotz allem, was geschehen war, konnte er sich noch nicht von diesem Gedanken lösen. Es war einfacher eine Krankheit zu beschuldigen, als sich selbst. Die Gesellschaft will dich nicht, wenn du ihre Spielregeln nicht kennst, hatte Kid ihm gesagt; verdammt zu einer ewigen Teeparty. Laws Blick überflog die Zahlen und Symbole an den Wänden der kleinen Wohnung. Er stellte sich vor, wie Kid mit einem Stift vor der Tapete stand; konzentrierter Blick, vollkommen versunken in der rationalen Welt der Zahlen. Eine Konstante in seiner Welt, dessen Fundament unaufhaltsam bröckelte. Wer weiß, was du uns noch hättest beibringen können, Eustass, fragten seine Gedanken. Doch die Welt war die Welt und die Gesellschaft die Gesellschaft und diese schien wenig Liebe für die Ideen eines Hutmachers zu haben…
 

C’est la vie“, nuschelte Kid schließlich, nachdem er Laws Anerkennung für einen Augenblick genossen hatte. Law lächelte traurig, sah kurz hinaus in das immer noch starke Schneetreiben und wieder zurück zu Kids sterbenden Körper. Unschuldiges Weiß wurde zur Todesfalle; leuchtendes Rot, wie es von Kids Kopf in alle Richtungen ragte nun zum Indikator des baldigen Endes. Wieder fiel ihm der Schluss des Buches ein, das Kid ihm gegeben hatte und die letzten Worte, bevor Kid die todbringende Flüssigkeit geschluckt hatte. Jetzt verstand auch er: „Das Leben ist ein Hund.“ Er wartete, bis Kid es bestätigte: „Ein elender.“ Kurz lachten beide jungen Männer auf, bis Kid vor Schmerz das Gesicht verzog. Law litt mit ihm, wusste aber auch, dass es nicht mehr lange dauern würde. So entschied er sich einfach weiterzureden: „Was ist es also?“ Kid blickte irritiert auf, weshalb Law hinzufügte: „Was du loswerden willst. Dein Geheimnis. Worum geht es in dieser ganzen Scheiße von Leben?“ Einerseits wollte er die Stille füllen, Kid ablenken, doch andererseits war er nun ebenso gespannt auf die Antwort.
 

Law verfolgte, wie Kid seinen Mund öffnete und seine Lippen bewegte, ohne jedoch zu sprechen. Der Anblick erinnerte ihn an ihren Kuss in der Bar, in der es viel zu laut war, um einander zu verstehen. Viel zu laut… Eine Sekunde fragte er sich, ob es das war, was Kid ständig fühlte. Eine anhaltende Lautstärke, die es unmöglich machte, die Welt wahrzunehmen; gefangen in dem Wenigen, das deine Ohren und dein Geist aufnahmen. Kids grüne Augen suchten etwas in der Luft, wanderten unkontrolliert über die Decke, fixiert auf ein unbekanntes Ziel. Zu gerne hätte Law gewusst, was sich in seinen Gedanken abspielte; zu gerne wäre er ein Teil davon. Ein Seelensplitter… Er lächelte erschöpft, streichelte immer wieder über die roten Haare, während er nachdenklicher wurde. Irgendwann suchten Kids Augen wieder seine. „Geheimnis?“, wiederholte er, hustete auf und schluckte schwer. Law hob die Augenbrauen, dann nickte er entschlossen. „Was ist das Geheimnis des Jungen, der nie erwachsen werden wird?“ Letztendlich verstand auch Law, warum Kid sich seinen eigenen Namen gegeben hatte. Wie passend er doch war! Neugierde, Ignoranz und Naivität - kindliche Tugenden, die Kid in den letzten Wochen Law abermals an Herz gelegt hatte, nachdem sie bei ihm schon so gut wie vergessen waren. Die Erkenntnis war Erlösung und Trauer zugleich, wurde das Ticken der Uhr doch immer lauter. Kid lachte.
 

„Das hat dein Onkel auch mal gesagt“, erinnerte er sich, lehnte seinen Kopf an Laws Brust und schloss müde die Augen. „Am Ende hat der alte Sack also doch Recht“, fügte er noch hinzu, schluckte. Law fragte sich, ob Kid wohl hören konnte, wie schnell das Herz in seiner Brust schlug. Die Träne war versiegt, doch seine Angst und seinen Frust konnte er nicht besiegen. „Wirst du mir antworten?“, erkundigte er sich nun, drückte Kid ein letztes Mal fester an sich und wartete neugierig. Kid grinste, zeigte seine blutgesäumten Zähne und öffnete schließlich seine Augen, um auf die weiße Leere hinter der Fensterscheibe zu blicken.
 

„Du machst dir zu viel Gedanken, Trafalgar Law“, begann er. Seine Stimme war kaum noch zu hören. „Ihr denkt zu viel… Das ist euer Problem“, fuhr er fort, zu schwach um das Blutrinnsal, das sich zwischen seinen Lippen hervorstahl, von seinem Kinn zu wischen. Law atmete schwer, presste seine Kiefer aufeinander, um keinen Laut von sich zu geben. All seine Aufmerksamkeit galt den grünen Augen, die voller Zufriedenheit etwas beobachteten, das nur Kid sehen konnte. Nach einem Augenblick des Schweigens drehte Kid schließlich seinen Kopf, sah hinauf zu Law und strahlte ihm schelmisch entgegen. „Das Geheimnis?“, wiederholte er in einem Tonfall, als würde er wissen, dass Law seine Antwort nicht nachvollziehen würde. Er war sichtlich amüsiert, so ironisch es in seiner Situation auch sein mochte – aber was hatte Law auch anderes von Kid erwartet? „Schokopudding und Knutschen, mein Lieber“, erklärte er schließlich, im Einklang mit sich und der Welt. „Schokopudding und Knutschen, der Rest ist am Ende egal“, wiederholte er bestätigend und fand sein Lächeln nun gespiegelt in Laws Gesicht.
 

In Stille sahen sich die beiden an, ließen ein letztes Mal das Rauschen des Sturms, das Knarren der alten Dielen und das Rasseln von Kids Lungen verschwinden, tauchten den Raum in eine Welt des Schweigens, in der zwei gesplitterte Seelen eins wurden, verbunden mit Erinnerungen. Das Gefühl einer Fingerspitze auf staubigen Buchrücken, quietschenden Stiften auf weißem Untergrund, die Aufregung und die Atemlosigkeit auf einem geklauten Fahrrad und die Nähe zweier Körper auf der kalten Nässe eines alten Laubhaufens. Lichter einer Straßenbahn, kalte Klingen und erhitze Wangen im benebelnden Lichterspiel. Ein erster Kuss, der alles versprach und doch am Ende nichts halten würde. Betrunkene Bilder im Mondlicht, sichtbarer Atem in kalter Nacht und aufgeschürfte Ellenbogen. Angst und Geborgenheit, Risiko. Nackte Haut im blassen Mondlicht, berauschende Nähe und das Durcheinander am nächsten Morgen. „Schokopudding und Knutschen“, wiederholte Law schließlich und konnte nicht anders, als zu lachen. Langsam beugte er seine Stirn hinab und legte sie auf Kids, sodass graues Blau nur Millimeter vom frech leuchtenden Grün entfernt war.
 

Law genoss die Nähe, denn ihm war bewusst, dass sie ein Geschenk war, das er nicht mehr lange in den Händen halten würde. Er konzentrierte sich auf das Gefühl von Kids Atem auf seiner Haut, versuchte es sich zu merken, damit er es nicht vergessen würde, ebenso wie das Kribbeln auf seinem Gesicht, hervorgerufen durch den bloßen Kontakt zu Kid. Doch er riskierte es nicht, zu lange zu warten. Zeit war kostbar. So hob er sein Kinn und drückte einen sanften Kuss auf Kids Lippen. Beide schlossen sie die Augen, gaben sich ein letztes Mal der Intimität hin. Ignoriert war für wenige Sekunden der Geschmack von Blut oder der Gedanke daran, dass es ihre letzten Minuten zusammen waren. Ignoriert der Gedanke, ob dieses Ende vielleicht hätte verhindert werden können. Es war ein Kuss, der den Geschmack von Abenteuer und Heimkehr in sich vereinte. Der Weg zu ihrer Verdammnis und Erlösung zugleich. Es blieb ein sanfter Kuss, nicht mehr, nicht weniger. Law spürte in seinen Armen, dass Kid beinahe alle Kraft verlassen hatte und es wohl nur das junge Herz war, das dem Körper erlaubte oder diesen quälte, so lange weiterzumachen.
 

„Wirst du mich vermissen, Trafalgar Law?“, flüsterte Kid schließlich in einem Röcheln, als sich Law von ihm gelöst hatte. Seine Haare standen nun alle von seiner Stirn ab, nur an wenigen Stellen zeigte sich Kids blasse Haut und doch war es genug, um Law an die beinah unsichtbaren Sommersprossen zu erinnern, die in ihrer gemeinsamen Nacht seine Faszination auf sich gezogen hatten. „Du hast definitiv dafür gesorgt, dass ich dich nicht vergessen werde“, antwortete er und lachte, doch hielt verwundert inne, als sich Kids andauerndes Grinsen plötzlich in melancholische Traurigkeit verwandelte. „Es tut mir Leid…“, formten seine Lippen, übertönt von einem schwachen Husten. „Ich hab‘ euch enttäuscht… und es tut mir aufrichtig Leid.“ Law wollte sofort widersprechen, doch deutete ihm leichter Druck von Kids Hand auf seiner Brust, den Mund zu halten. „Aber jetzt ist alles leise… und klar, weißt du? Jetzt ist alles leise. Sag’s ihnen, bitte.“ Aus Trauer wurde wieder ein Lächeln. Law nickte.
 

„Sie werden dir alle vergeben und verstehen…“, begann er, doch wurde von Kid unterbrochen: „Ich brauche keine Vergebung“, meinte er entschieden. „’I’ve had nothing yet,’ Alice replied, ‘so I can’t take more.’ ‘You mean you can’t take less,’ said the Hatter; “it’s very easy to take more than nothing.’”, zitierte Kid daraufhin und lachte so breit er noch konnte. Law grinste ebenso: “'Have I gone mad? I’m afraid so. You’re entirely bonkers. But I’ll tell you a secret. All the best people are.'” Kaum hatte Law das einzige Zitat beendet, das er auswendig aus dem Wunderland kannte, da erntete er einen dankbaren Blick. Wenn er eines tun konnte, dann war es Kid in seinen letzten Minuten das Gefühl zu geben, verstanden zu werden.
 

„Vielleicht“, meinte Kid schließlich, „Aber weißt du, was mir am besten gefällt? ‘If I had a world of my own, everything would be nonsense. Nothing would be what it is, because everything would be what it isn't. And contrary wise, what is, it wouldn't be. And what it wouldn't be, it would. You see?‘.“ Er lächelte und wartete neugierig auf Laws Reaktion. „Ich hätte diese Welt gerne gesehen“, meinte dieser schließlich und biss sich auf die Unterlippe, als er abermals spürte, wie ihm Hitze den Hals hinaufstieg. Zumindest einen kleinen Vorgeschmack dieser Welt hatte Kid ihm bereits gegeben. Nothing would be what it is, because everything would be what it isn't, wiederholte Law in Gedanken, und du hättest nicht aus der verdammten Flasche getrunken, würdest nicht sterbend in meinen Armen liegen, sondern mit deinem unverschämt dreisten Grinsen den Professoren an der Uni etwas über Mathematik erzählen. Kid lachte kurz auf. „Ich werde dich vermissen“, stellte er fest, „und du wirst mich vermissen.“ Law schmunzelte und legte den Kopf schief, während er den Knoten in seinem Hals versuchte herunterzuschlucken. „Stimmt“, antwortete er ehrlich.
 

Mit bloßem Auge war nun kaum noch auszumachen, ob sich Kids Brustkorb weiterhin hob. Seine Finger, verklebt vom trocknenden Blut hielten sein weißes Oberteil, zitterten, doch ließen ihren Griff immer lockerer. „Nicht mehr lange“, versicherte Law schließlich und verfolgte wie Kid erleichtert nickte. „Danke“, flüsterte er leise, sah auf, doch konnte seine Lider nur noch halb öffnen. „Und viel Glück… Mit dem Haus, der Frau, den Kindern… Porsche, Yoga… Tennis… Was auch immer du brauchst, Doktorchen. Es würde dir gut stehen… Wenn du nicht, wer dann?“ Er lachte, rang immer verkrampfter nach Sauerstoff. Law konnte nicht sagen, ob die Bemerkung zynisch war oder sein aufrichtiger Ernst. Das Leben eines Arztes der Oberschicht… Vielleicht wäre es ein Leben, dass Eustass hätte haben können, ohne diese verdammte Krankheit; ohne, dass seine Welt auf den Kopf gestellt wurde. Law sah entschlossen zu ihm hinab: „Ich denke, wir wissen beide, dass das jetzt nicht mehr möglich ist.“ Kurz hob Kid überrascht die Augenbrauen, dann kicherte er spitzbübisch.
 

Kids Arm bebte, als er ihn anhob. Ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter löste er ihn von seinem Oberkörper, winkelte den Ellenbogen an und reichte nach Laws Gesicht. Verwundert und gleichzeitig fasziniert ließ Law es geschehen, verfolgte die kraftlosen Bewegungen und das Formen der im Licht des Sturmes schwarzen Finger. Kid schaffte es nicht mehr, die Geste vollends auszuführen; zu wenig Kontrolle hatte er noch über seine Hand. Doch es reichte um Mittel- und Zeigefinger auszustrecken und diese mit einem frechen Grinsen auf den zitternden Lippen gegen Laws Schläfe zu pressen. Law spürte die Berührung kaum, da tauschten die beiden jungen Männer schon einen vielsagenden Blick aus; wechselten Worte, die nicht ausgesprochen werden konnten und zum ersten Mal schien Law tatsächlich nachzuvollziehen, was in Kids Gedanken vor sich ging. „Danke“, flüsterte er leise, ohne wirklich zu wissen warum. Kid zeigte seine Zähne, ließ nun seinen Arm auf den eigenen Oberkörper fallen, nur um seine Hand wieder nach oben zu strecken und seine Finger so fest er noch konnte gegen seinen eigenen Kopf zu drücken. „Viel Spaß“, wünschte er, so grotesk wie unpassend, dann lachte er, stieß seinen Ellenbogen nach vorn, als hätte er die Waffe in seiner Hand abgefeuert. „Peng“, hauchte er mit letzter Kraft aus und ließ seinen Kopf im selben Moment leblos nach vorn fallen. Stille hallte im Raum.
 

Es waren die letzten Worte, die sie wechselten. Wenige Augenblicke später verlor Kid das Bewusstsein, lag regungslos in Laws Armen, während sein Atem mit jedem Zug flacher wurde. Aber auch wenn sein Körper immer schwerer erschien und der kalte Boden immer härter, hielt Law ihn in seinen Armen fest, streichelte immer wieder über Kids Haare, lauschte dem Zischen der sterbenden Lungen, bis zuletzt jedes Geräusch versiegt war. Schweigend betrachtete er das starre Gesicht, aus dem jedes Grinsen und jedes Lachen verschwunden war. Die blasse Haut war weiß, nahezu grau. „Kid?“, hörte Law sich fragen, auch wenn er wusste, dass es zu spät war, um auf eine Antwort zu hoffen. Dennoch musste er seinen Namen wiederholen: „Kid?“ Law schluckte, immer und immer wieder, in der Hoffnung, der Knoten in seinem Hals würde verschwinden. Aber Wut und Verzweiflung würden nicht vergehen.
 

„Scheiße“, spie er aus, ließ den Körper in seinen Armen los und legte ihn flach auf den Boden. Es musste der Anblick seiner grünen Augen sein, leblos und ohne Leuchten, der ihn realisieren ließ, was gerade geschehen war; wie endgültig ihr Abschied war. Hatte es einen Abschied gegeben? „Kid! Scheiße!“ Panisch legte er seine Hände auf den Kopf, fuhr sich mehrmals durch die Haare, in der Hoffnung, ihm würde eine Lösung einfallen. „Fuck…“ Außer Flüchen war nichts zu finden. Ohnmächtig wie er war, beugte er sich schließlich hinab, schloss Kids Nase mit seinen Fingern und blies in seinen Mund, um kurz darauf mit einer Herzmassage zu beginnen. „Scheiße, scheiße, scheiße!“, wiederholte er dabei immer wieder, den Blick dabei auf die dunklen, verkratzten Holzdielen gerichtet. Er wusste, es war sinnlos. Er wusste, dass es kein Zurück mehr gab, aber dennoch… Was hätte er anderes tun sollen?
 

Der Krankenwagen erschien etwa eine halbe Stunde später. Laws Handy klingelte, er nahm ab, erklärte den Weg. Die Tür stand offen, als zwei Rettungsassistenten die Wohnung betraten und Law schweißüberströmt und nahe einer Herzattacke fanden, während er versuchte einen jungen Mann zu reanimieren. Der Student war in Schock, blickte orientierungslos hin und her, wollte zunächst seine verzweifelten Versuche nicht unterbinden, bis er irgendwann sein Gesicht resignierend in seinen Händen vergrub und sich weigerte zu sprechen, nachdem ihn die Assistenten auf die Matratze am Boden gezerrt hatten. Als sich die Sanitäter daraufhin dem Mann am Boden zuwendeten, konnte sie nicht mehr tun, als dessen Tod festzustellen und die Polizei verständigen.
 

Es war das Ende einer langen Nacht. Das Ende aller verrückten Überzeugungen und mathematischen Geniestreiche. Das Ende ihres Abenteuers. Kid hatte seine Geheimnisse mit sich genommen, seinen Blick auf die Welt und die Menschen; für immer verschlossen. Law schloss die Augen und rieb sich den Hals. Die Herzkönigin hatte am Ende den Kopf abgeschlagen und das Wunderland steuerte unter Schnee begraben einer leblosen Eiszeit entgegen, eingefroren wie die Zeit des Hutmachers. Viel Spaß, hatte er gesagt.
 


 

~*~
 

So, then one afternoon I dressed myself alone

I packed my pillowcase with everything I owned

And in my head I said "goodbye," then I was gone

And I set out on the heels of the unknown

So my folks could have a new life of their own

So that maybe I could find someone

Who could hear the only words that I'd known…
 

- Radical Face: “The Mute”
 



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Kommentare zu dieser Fanfic (214)
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Von:  Krisi-Yuuki
2021-12-28T02:55:13+00:00 28.12.2021 03:55
Hallöchen, ich nochmal.
Ich hab das letzte mal vor 4,5 Jahren geschrieben und in der Zeit hatte ich hin und wieder mal an deine Geschichte gedacht. Jetzt musste ich es noch einmal lesen! Ich weiß nicht was du mir damit angetan hast, aber ich bin immer noch wie beim aller ersten lesen fasziniert. Ich glaube du bist in all der Zeit nicht mehr bei Abimexx aktiv gewesen und wirst die Kommentare gat nicht mehr lesen. Dennoch noch mal danke für deine tolle geschichte. Ich hab die Hoffnung auf ein weiteres Kapitel verloren 🥲
Antwort von:  Krisi-Yuuki
28.12.2021 03:57
Huch das war jetzt mein anderer Account. FairyLight bin ich auch(der Kommentar drunter) 😌
Von:  FairyLight
2017-05-08T00:04:22+00:00 08.05.2017 02:04
Ich muss jetzt auch was dazu schreiben. Wird auch mal langsam Zeit :)
Ich habe diese ff von Anfang an verfolgt und mich immer sehr gefreut, wenn es etwas neues zu lesen gab. :) (damals noch mit meinem ersten Username)
Jetzt sind schon einige Jahre vergangen und ich habe alle Kapitel mehrmals gelesen. Bestimmt schon 6 - 7 mal und ich werde es mit Sicherheit wieder tun. :)
Es ist eine verdammt traurige Geschichte aber wirklich sehr gut geschrieben worden.
Als ich es zum ersten mal bis zum Ende gelesen habe, hatte ich noch Tage danach darüber nachdenken müssen. Es hat mich so sehr beschäftigt. Es wollte einfach nicht aus meinem Kopf. Ich hatte immer wieder diese Bilder vom traurigen Ende vor meinen Augen gehabt. Ich kann nicht mal genau erklären warum diese ff mich so fasziniert hat. Bis jetzt habe ich noch keine andere ff gefunden die ich mehr als einmal oder überhaupt durchgelesen habe.
Am Anfang habe ich gehofft, das es ein gutes Ende nimmt, aber je mehr ich gelesen und von kid erfahren habe, desto mehr habe ich mir das Gegenteil für ihn gewünscht. Naja am Ende ist es ja irgendwie doch ein gutes Ende... Für kid.
Ich bekomme immer wieder Gänsehaut bei dem vorletzten Kapitel wenn kid diese Worte ausspricht „Es ist leise" und ab dann hab ich nur noch ein Klos im Hals.

Eigentlich wollte ich nur einige Worte schreiben wie toll deine ff ist xD

Ich muss dir jetzt wirklich für diese gute Geschichte danken. Ich bin sehr froh das du mein Lieblings Pairing für deine Geschichte genommen hast, sonst hätte ich es vielleicht nie gelesen.
Ich hoffe, dass du mein Kommentar liehst und es vielleicht ein grinsen in dein Gesicht zaubert, wenn jemand wie ich immer noch so gerne deine ff liest und nach dem 7 mal einen immer noch zum nachdenken bringt.

Ich warte aber immer noch sehnsüchtig auf das letzte Kapitel ;/

LG Fairy :3
Von:  Terbia
2017-01-08T16:08:21+00:00 08.01.2017 17:08
So jetzt komme ich auch mal dazu dir einen Kommi da zu lassen, obwohl die Story hier schon einige Zeit in meiner Favo Liste rumhängt.
Am Anfang, gebe ich zu, war ich skeptisch, denn solche "Doc-Patient-Stories" gepaart mit BL tendieren schnell zu einer abstrusen Story, - zumindest hab ich das Gefühl. Nach dem ersten Kapitel dachte ich mir: mal sehen, so schlecht ist es ja nicht, mal sehen was da noch so kommt.
Und dann hab ich die ganze Story in einem Zug durchgelesen, weil ich nicht aufhören konnte. Die letzten zwei "echten" Kapitel (aka das Ende) hab ich zugegebenermaßen nicht mehr richtig Wort für Wort gelesen, da ich heulend vorm PC gesessen hab und nur noch darauf gehofft habe, du lässt es ganz am Ende doch noch auf ein Happy End hinaus laufen.
Als ich dann durch alles durch war, saß ich baff und frustriert vor dem Rechner. Hab mir dann erstmal völlige Kitschsachen reingezogen und gegrummelt, warum es kein Happy End bei deiner Story gab.
Aber um ehrlich zu sein: Ein Kitschende hätte deine Story, so gut sie auch bis dahin war, einfach nur versaut. Es musste so, oder zumindest in einer ähnlich traurigen Art und Weise enden, der ganze Plot gibt einem ja genug Hinweise, dass es nicht in Friede, Freude , Eierkuchen enden kann. Also in Bezug darauf hast du alles richtig gemacht. Es ist ne echt tolle Story draus geworden.
Um deinen Schreibstil zu kommentieren, müsste ich es nochmal lesen, weil es dafür doch schon zu lang her ist, (was ich erstmal nicht tun werde, da ichgrad nicht wieder heulend vorm PC hängen mag) also diesmal keine konstruktive Kritik in dieser Hinsicht. Bis dahin:
Würd mich freuen was neues von dir zu lesen.

Von:  NiFuu
2016-11-26T17:49:30+00:00 26.11.2016 18:49
ehm... is dir eigentlich bewusst dass das letzte Kap schon über ein Jahr her is? Alte schreib endlich ma weita xD eine der geilsten Storys auf Erden - kurz vorm Abschluss - und es geht einfach net weiter. Bitte bitte? ^^ Ne im Ernst, ich würd mir echt einen Abfreun ;)
Von:  Bloodstained_Phoenix
2016-06-22T15:24:24+00:00 22.06.2016 17:24
Guten Tag :D

Ich bin nun schon einige Male auf diese Fanfiction gestoßen, aber hatte nie die Zeit, sie mir zu gemüte zu führen. Aber jetzt hatte ich wenigstens mal Zeit, mir das erste Kapitel durchzulesen. Mal sehen, was noch kommt und ob ich es schaffe, gleich weiter zu lesen xD Lesen werde ich es sowieso, das steht schon einmal fest :3

Normalerweise schreibe ich immer Kommentare, wenn ich eine Fanfiction lese... aber wenn es dir den "Atem rauben würde", dann mach ich es doch besonders gern. :D

Also. Zu Erst muss ich einmal ein Lob aussprechen. Nachdem ich einige Sätze gelesen habe, ging mir eines durch den Kopf: "Hallelujah, es gibt doch noch deutsche FFs, die ich lesen kann!". Bisher wurde bzw. werde ich sehr häufig durch extrem schlechtes Schreiben wieder verscheucht... Mir persönlich macht es keinen Spaß, etwas zu lesen, wo ich bei jedem zweiten Wort den Drang verspüre, einen Rotstift auszupacken... Ich bin natürlich selbst nicht perfekt, aber ich finde ein bisschen muss man trotzdem darauf achten...!
Jedenfalls..., dafür bekommst du schon einen dicken Pluspunkt! Grammatik und Rechtschreibung sind bisher fehlerfrei, Satzzeichen wurden auch korrekt gesetzt. Stilistisch ist ebenfalls alles gut, lässt sich super flüssig lesen, die Absätze sind ordentlich gesetzt und man kann sich sehr gut ins Geschehen denken, da du eine sehr bildhafte Schreibweise hast.

Da ich zu faul bin die anderen Kommentare zu lesen, hoffe ich einfach mal darauf, dass dir das noch nicht tausend Mal gesagt wurde: Ich mag deinen Schreibstil sehr. Du schreibst schöne, lange und vorallem verschachtelte Sätze... das erinnert mich nicht nur an meinen eigenen Schreibstil, nein, es ist dahingehend schön, dass du deine Leser forderst... Man ist gezwungen mit voller Aufmerksamkeit an die Sache zu gehen! Du umschreibst auch sehr schön und fängst die Atmosphäre sehr gut ein. Und deshalb werde ich später auch noch schauen, was du noch so in petto hast. :D

Zum Inhalt kann ich nur sagen, dass du mein Interesse geweckt hast... Na, okay, wie erkläre ich das jetzt? Als ich im Shipping-Fandom von One Piece eingetroffen bin, mochte ich nur Doffy und Law... hinterher kam dann auch noch Law und Luffy dazu, was sich dann stetig aufgebaut hat... allerdings gab es von Anfang an ein Pairing, das ich nicht mochte: Kid und Law.
Das lag hauptsächlich daran, dass mir die Informationen über Kid nicht ausgereicht haben, um ihn als Charakter einzuschätzen. Das war der Hauptgrund, wieso ich deine FF nicht schon eher angelesen habe. Na ja... durch diverse andere FFs... bin ich mittlerweile soweit, dass ich Kid sehr gerne mag, wobei ich Law trotzdem am liebsten mit Doffy shippe XDD Und das ist der Grund, wieso ich mich jetzt erst durchgerungen habe... was ich jetzt allerdings bereue D:
Durch mein Unwissen, habe ich echt etwas verpasst... deine Inhaltsangabe klingt ja schon äußerst spannend und das erste Kapitel hat mir jetzt so gut gefallen, dass ich weiterlesen muss. Wirklich spannend!

Bisher muss ich auch sagen, dass du Law wirklich toll dargestellt hast. Es passt einfach alles zusammen, was aber größtenteils an deinem Schreibstil liegt. Die beste Story taugt nichts, wenn man nicht schreiben kann...
Du hast dir auf jeden Fall ein interessantes Fachgebiet ausgesucht und obwohl ich erst ein Kapitel gelesen habe, glaube ich, dass mir der Verlauf der Handlung sowie die Erarbeitung des Themengebiets gefallen wird. Das ist so noch nicht vorgekommen, aber deine Art zu schreiben sagt mir, dass du es gut gemacht haben wirst... ich gehe da mal nicht weiter drauf ein... :D

Ich möchte nicht schleimen, es ist mir auch egal, was andere von mir denken, aber ich muss es trotzdem sagen. Danke dafür, dass du schreibst! Denn jetzt habe ich wieder das Gefühl, dass ich nicht die Einzige bin, der korrektes Schreiben etwas bedeutet... Und nur, wenn man sich Mühe beim Schreiben gibt, so wie du auch, nur dann kann Lesen auch bilden!

Ich hoffe ich habe nicht zu viel geschrieben, so dass du dich jetzt verschreckst fühlst und meinen Kommentar gar nicht erst liest :D
Ich weiß nicht wie du es mit Kommentaren handhabst, aber ich freue mich immer sehr, wenn ich ein Re-Kommentar erhalte, denn dann weiß ich, dass die Mühe, die ich mir beim Kommentieren gegeben habe, auch gewertschätzt wird... Soll heißen, ich würde mich freuen, wenn du eine kurze Rückmeldung gibst, ich verlange es aber nicht :D
Bin schon gespannt, was da noch auf mich zukommt! Dankeschön noch einmal :)

Viele liebe Grüße
BP
Von:  blackNunSadako
2016-04-26T06:59:38+00:00 26.04.2016 08:59
...
ich... finde grade keine Worte die das beschreiben, was ich im Moment fühle.
Ich bin komplett aufgelöst, das ging mir jetzt wirklich echt unter die Haut...
Ich weiß nicht ob ich das jetzt gut oder schlecht sehen kann.
Immer wieder hab ich zu mir gesagt: ich will das nicht weiter lesen, das tut verdammt weh aber ich muss es weiter lesen.
So viele kalte und warme Schauer die ich gespürt habe, die dann zu einem Sturm der Verzweiflung und Tränen geendet haben.
Ich habe bei jedem Satz der letzten Kapitel versucht nicht weg zu sehen und gebetet es würde gut ausgehen...
Danke! Danke dafür, dass du mir dieses Erlebnis gegeben hast. Danke, dass du mein Bild ein wenig verändert hast.
Ich selbst habe ein unglaublich ausgeprägten Helferkomplex... Alle haben sie immer gesagt "du kannst nicht jedem helfen, auch wenn du es so sehr versucht"...
Und deine Zeilen, die haben mich ein wenig mehr wach gerüttelt...
Dafür DANKE!!!
Von:  lala1314
2016-02-17T14:20:46+00:00 17.02.2016 15:20
Na du
Man hat ja schon eeeewig nichts mehr gehört.
Lg lala
Von: abgemeldet
2016-02-15T14:02:07+00:00 15.02.2016 15:02
Ich hab die Geschichte jetzt in den letzten zwei Tagen durchgelesen und ich muss sagen: ich hab selten eine so gut geschriebene und fesselnde Story gelesen wie die hier. Ich hab gerade beim letzten Kapitel so richtig mit gelitten, hab geweint und dachte mir: wieso? Wieso muss das so enden?
Law tut mir so unglaublich leid. Auch wenn er sich am Ende ja von Kid hat distanzieren wollen, gelungen ist es ihm ja letztlich doch nicht und ich bin mir sicher daraus wäre mehr geworden, hätten sie bloß mehr Zeit gehabt :c

Mir sind hier und da ein paar kleine Tippfehler aufgefallen (oder ich habs in dem Zusammenhang einfach nicht ganz verstanden kann auch sein xD) aber das stört den Lesefluss überhaupt nicht. Das einzige was mich zumindest zu Anfang etwas irritiert hat sind die langen und zerhakten Sätze. Aber daran gewöhnt man sich schnell ^-^

Liebe Grüße ^-^
Von:  Jared
2015-09-30T12:28:02+00:00 30.09.2015 14:28
Tolles Kapitel!
Ich bin wirklich gespannt wie Law aus dieser Sache wieder heraus kommen wird.... sehr interessant aber auch das Kid halt mit seinem Onkel spricht.. hehe. :D
Naja... bin gespannt weiter zu lesen... muss nur leider unterbrechen, weil ich jetzt weg fahre... aber wollte noch bisschen weiter lesen. xD
Haba auch schon wieder Lust auf eine FF/OS zu schreiben... ich hasse es das ich mich dazu nicht bewegen kann selbst mal was zu ende zu bringen.. xD

Also.... mal sehen wie Law da wieder raus kommt <3 <3 <3
Vor allem... WAS wird er ihm als Antwort geben?

LG... <3
Von:  Yui_Trafalgar95
2015-09-28T14:47:53+00:00 28.09.2015 16:47
...............
...........
.....
..
:'C *heuuuuuuul*
Man sind die beiden letzten Kapitel VERDAMMT gut geschrieben *schnief*
ALTER ich bin immer noch am Heulen D': und ich HASSE zu weinen >.< meine Familie sieht mich schon gestört an
OH ENEL warum nur *weinen* WARUM!!! *auf die knie fallen und weiter Heule*
Oh Law, hoffentlich kommst du nicht auf dumme Gedanken!!!!!!!
Das könnte ich nicht mehr weiter verkraften D':
Ich bin extrem gespannt wie der letzte Kapitel wird ;')
MAN ICH VERGÖTTER DICH MIT DEINE GESCHICHTE >////<
............
....
*schnief*
Ich glaub ich gehe weiter heulen........Kid *schluchzt*

MfG Jacky :*


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