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Weggehen und etwas anderes machen

von

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Acht

„Asuma!“, ruft Biwako über das Prasseln des Regens. „Komm sofort da runter!“

Er kann ihr Gesicht unter der Kapuze des orangen Regenmantels erkennen, verständnislos, wütend. Durch den Regen sieht er alles verwaschen. Oben in den Ästen des Baumes weht ein schneidend kalter Wind. Einen Moment lang blitzt der Garten taghell auf, dann liegt er wieder im Halbdunkel. Es ist früher Nachmittag, aber der Himmel ist fast schwarz.

„Du holst dir den Tod, Freundchen! Was denkst du dir eigentlich?“

„Ich kann nicht runter!“

„Ach ja? Und warum nicht?“

„Die Äste sind zu nass! Ich rutsche ab!“

Asuma muss schreien, um das Donnergrollen zu übertönen. Er sieht, wie Biwako unten den Kopf schüttelt, aber sie sagt nichts mehr. Stattdessen zieht sie die Hände aus den Taschen, krempelt die Ärmel hoch und tritt auf den Baumstamm zu.

„Bleib, wo du bist!“

Verblüfft sieht Asuma zu, wie sie den Baum erklimmt. Er wusste nicht, dass seine Mutter so etwas kann. Und das ist doch sein Baum.

Als Biwako sich ächzend neben ihn auf den Ast setzt, blitzt es gerade noch einmal. „Jetzt aber schnell“, sagt sie und beginnt, ihren Regenmantel zu öffnen. „Du ziehst den über, und dann klettern wir runter, zusammen. Ich halte dich.“

„Nein“, sagt Asuma.

Sie funkelt ihn an. „Sarutobi Asuma! Du wirst mit mir von diesem verdammten Baum herunter kommen, oder ich vergesse mich!“

„Ich komme ja. Aber den Mantel ziehe ich nicht an!“

„Du machst mich wahnsinnig!“ Biwako schließt den Mantel wieder, in leuchtendem Orange, alarmierendes Orange, das-darfst-du-nicht-Orange. „Aber wie du willst. Noch nasser kannst du ja nicht werden. Komm jetzt.“

Sie lässt sich herunter gleiten, bis sie auf einem Ast weiter unten steht, und greift nach Asumas Hand. Seine Finger sind eiskalt und glitschig vom Regenwasser, seine Zähne klappern.

„Ganz langsam, Asuma. Wir schaffen das schon.“

Sie schimpft nicht. Das hebt sie sich sicher für später auf.
 

„Also, Asuma.“

Sie hat ihn direkt in die Badewanne gesteckt und ist gerade dabei, ihm die Haare zu waschen. Er hat die Augen zu. Das warme Wasser brennt auf seiner kalten Haut.

„Ich weiß nicht, was mit dir los ist. Gut, du hast schon immer gerne auf diesem Baum gesessen. Das respektiere ich auch. Aber in den letzten zwei Wochen hast du ja bis abends dort gehockt. Sogar das Abendessen hast du ein paar Mal verpasst! Was ist los mit dir, Asuma?“

Asuma schluckt.

„Hast du irgendwelche Probleme?“ Biwako streicht ihm die nassen Haare aus dem Gesicht und verharrt einen Moment so, die Hand auf seiner Stirn. „Irgendetwas an der Akademie?“

Er schüttelt den Kopf.

„Oder hast du dich mit einem Freund gestritten? Du kannst mir alles sagen, Asuma. Ich bin doch deine Mutter.“

Sie klingt so ernst, so besorgt, dass er sich kaum traut, zu sprechen.

„Ich habe auf Papa gewartet.“

Biwako hält kurz inne. „Meinst du das ernst?“

Er kann nichts sagen.

„Aber Hiruzen ist doch längst hier. Er ist gegen fünf nach Hause gekommen und hat etwas gegessen. Danach ist er gleich in sein Arbeitszimmer gegangen. Er hat etwas viel zu tun im Moment.“

„Aber“, murmelt Asuma und muss daran denken, wie Hiruzen immer gelächelt hat, wenn er in den Garten gekommen ist und Asuma in seinem Baum gesehen hat, wie ein Affe in den Ästen, sein jüngster Sohn. Vielleicht ist er nur in den Garten gekommen, um Asuma zu sehen, ein oder zwei Jahre lang. Und jetzt kommt er nicht mehr.

„Aber ich habe auf Papa gewartet.“

Ein Shinobi weint nicht, aber Asuma ist erst acht, noch nicht einmal Genin, und das Schluchzen bricht aus ihm heraus.

„Armer Junge“, sagt Biwako. „Du bist ja völlig durch den Wind. Du gehst sofort ins Bett, und ich mache dir einen Tee. Das wird schon wieder.“

Sie gießt ihm Wasser über den Kopf, um den Schaum abzuspülen. Asuma öffnet die nassen Augen und starrt seine Brust an, auf der noch so lange die orangen Spritzer waren. Aber mittlerweile sind sie spurlos verschwunden. Es ändert nichts daran, dass Orange die verbotene Farbe ist, die geh-weg-und-mach-was-anderes-Farbe. Die Asuma-Papa-kann-dich-jetzt-wirklich-nicht-gebrauchen-Farbe.
 

Am nächsten Morgen ist bei Asuma alles zu, Nase und Ohren und Augen, und Husten hat er auch. Biwako misst Fieber und verordnet ihm ein paar Tage Bettruhe. Er liegt da, den Teddy Mori-san neben sich, und döst. Der orange Affe sitzt auf seinem Platz und sieht ihn mit blöden Glasaugen an, aber er ignoriert ihn nach Kräften.

„Wie geht es dir?“, fragt Biwako, als sie mittags nach ihm sieht und ihm Tee bringt. Sie hat noch kein einziges Mal Das kommt davon gesagt. Asuma zuckt die Achseln, richtet sich in seinem Kissen auf und greift nach der Teetasse. Er kann sie kaum halten, so kraftlos sind seine Hände. Das hasst er am meisten an Erkältungen.

„Ich werde Papa sagen, er soll später nach dir sehen“, fährt Biwako fort.

„Muss er nicht, wenn er viel zu tun hat.“

„Ach was! Er wird wohl zehn Minuten für seinen kranken Sohn aufbringen können, das wäre ja noch schöner.“

Asuma nimmt einen kleinen Schluck Tee und schüttelt den Kopf. „Ich will nicht, dass er die ganze Zeit ungeduldig ist, weil ich ihn von der Arbeit abhalte. Da kann er lieber ganz weg bleiben.“

Biwako seufzt und lächelt Asuma an. „So ist das eben, wenn man der Sohn des Hokage ist.“

„Ich will gar nicht der Sohn des Hokage sein“, sagt Asuma trotzig. „Andere Väter haben wenigstens Zeit.“

„Andere Väter tragen nicht das Wohl eines ganzen Dorfes auf ihren Schultern“, erwidert Biwako. „Reiß dich ein wenig zusammen, Asuma. Du bist acht Jahre alt. Du solltest stolz auf deinen Vater sein.“

Aber Asuma kann nicht stolz darauf sein, dass er seinen Vater mit all den dummen Dorfbewohnern teilen muss. Die haben ja wohl nicht mehr Recht auf Hiruzen als Asuma. Aber so ist das, wenn man einen Vater hat, der Hokage ist.
 

Am Abend kommt Hiruzen leise ins Zimmer, setzt sich neben das Bett und flüstert.

„Asuma?“

Asuma liegt auf der Seite, das Gesicht zur Wand, und stellt sich schlafend. Einen Moment lang wartet Hiruzen ab. Dann beugt er sich über Asuma, mit raschelndem Gewand, und küsst ihn auf die Wange.

„Werde bald wieder gesund, mein Junge. Schlaf dich aus.“

Unverändert leise steht er auf und geht wieder.
 

Drei Tage später sitzt Asuma morgens am Küchentisch, obwohl Biwako ihn frühestens nächste Woche wieder zur Akademie lassen wird. Er pustet seinen Tee, und Biwako macht den Abwasch und redet.

„Ich habe Hiruzen nicht gesagt, warum du auf dem Baum gesessen hast. Ich finde, das ist etwas, was ihr beide unter euch ausmachen müsst.“

Asuma zuckt die Achseln. „Er braucht es nicht zu wissen. Es würde ja doch nichts daran ändern, dass er nie Zeit hast.“

„Kurz bevor du geboren wurdest“, sagt Biwako, „ist der letzte große Krieg der Shinobi zu Ende gegangen. Dein Vater setzt alles daran, dass Konoha in Frieden leben kann. Er tut es für dieses Dorf, für jeden seiner Einwohner. Und er tut es für dich, Asuma. Du wurdest in Friedenszeiten geboren, und du sollst keinen Krieg kennen. Hiruzen will dir das ersparen.“

„Ist mir doch egal!“, sagt Asuma ungeduldig. „Ich will nur, dass Papa mehr Zeit hat! Dass er da ist! Der Frieden ist mir scheißegal!“

Biwako wirft ihm einen tadelnden Blick zu. „Lass das bloß nicht deinen Vater hören.“

Sie wendet sich wieder ab und lässt klappernd das Besteck ins Waschbecken fallen.
 

Die Tage zu Hause werden lang, solange er nicht zur Akademie darf. Er hat überlegt, wann Hiruzen ihn das letzte Mal ins Bett gebracht hat, und es ist ihm tatsächlich eingefallen. Damals, als er sechs Jahre alt war und gerade gelernt hatte, wie man auf den hohen Baum klettert. Asuma weiß noch, wie zufrieden Hiruzen war. Wie er gelächelt hat. Was er über den Teddy Mori-san gesagt hat.

„Ich will die Stofftiere nicht mehr, Mama.“

Biwako sieht ihn überrascht an. „Was meinst du?“

„Ich will sie wegwerfen“, sagt Asuma entschieden. „Ich bin doch kein Baby mehr.“

„Ach was, weggeworfen werden die nicht! Wir packen sie weg, für meine Enkelkinder.“

Asuma zuckt die Achseln. Ihm ist alles recht, solange sie nur wegkommen. Biwako holt einen großen Plastiksack aus der Küche, und sie sammeln die ganze plüschige Bande ein, gelb und grün und braun, schlaffe Arme und Beine, starrende Glasaugen. Den Affen pfeffert Asuma ganz unten in den Sack.

„Nicht so grob“, tadelt Biwako ihn.

„Den Affen fand ich schon immer doof“, sagt Asuma missmutig.

„Gefällt dir Orange nicht?“

Er wird rot. „Das hat doch gar nichts mit der Farbe zu tun!“

Sie sagt nichts und fährt fort, den Beutel zu füllen. Den Teddy Mori-san legt sie obenauf, und Asuma muss ein bisschen schlucken, als sie den Sack über ihm zuknotet.
 

„Ich glaube, unser Asuma wird langsam erwachsen“, sagt Biwako beim Abendessen.

„Ach ja?“, fragt Hiruzen.

„Er hat sich heute von all seinen Stofftieren getrennt.“

„So?“ Hiruzen sieht Asuma an und lächelt. „Dann schafft Mori-san es jetzt, auf eigenen Beinen zu stehen?“

Asuma muss daran denken, dass Mori-san jetzt im Keller in einem Plastiksack liegt und sicher furchtbar einsam ist.

„Klar schafft er das“, antwortet er fest. Hiruzen und Biwako lachen, ein bisschen amüsiert, ein bisschen stolz. Das war alles, was Asuma wollte.
 

Hiruzens Lächeln hält nie lange vor. Nach einer Weile vergisst er Asuma wieder, meistens schon am nächsten Morgen, wenn er sich wieder mit Jounin zu streng geheimen Besprechungen trifft und Schriftrollen mit orangen Siegeln verteilt. Aber später, denkt Asuma. Wenn er erst einmal Genin ist, dann wird Hiruzen Zeit haben. Dann wird er ihm beibringen, wie man die orangen Siegel öffnet, ohne dass sie explodieren. Asuma freut sich darauf.

Neulich hat Biwako ihm ein oranges T-Shirt aus der Stadt mitgebracht, vielleicht nur aus Versehen. Er hat es am ersten Tag mit Wasserfarbe bekleckert, ganz aus Versehen natürlich. Biwako hat es dem Waisenhaus gespendet und kein Wort mehr darüber verloren.



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