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Wolf und Salamander

von

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Zwanzigster Tag des siebten Monats im Jahr 89 N.U.

Mit einem lauten Knall flogen de Flügeltüren des Thronsaals auf, als zwei Soldatinnen der Stadtwache ein zittendes, windendes und schluchzendes Bündel in den Saal zerrten. Die Erste Schwester gab ihnen durch ein Nicken zu verstehen, dass ihre Arbeit hier erledigt war.
 

"Reiß dich zusammen", fuhr sie den Mann an. Er schluchzte noch einige Male und richtete sich in den Schneidersitz auf. Seine Haare waren länger und noch unordentlicher als bei ihrem letzten Treffen, in seinen Augen spiegelte sich blanke Panik. Sie hockte sich zu ihm und sprach langsam und bestimmt: "Was hast du gesehen? Was ist passiert?"
 

"Letzte Nacht, sie kamen so schnell. Ich konnte nichts tun, die anderen... alle..."

"Stopp, eins nach dem anderen. Wer kam letzte Nacht in das Dorf? Waren es Truppen aus dem Herzogtum?"

Er schüttelte den Kopf.

"Wer dann?"

"Schatten", hauchte er apathisch und starrte in die Leere des Raumes.

"Schatten?", wiederholte sie ungläubig. "Streng dich an, es waren bestimmt Menschen in schwarzen Uniformen. Hast du irgendwelche Abzeichen gesehen? Wie waren sie bewaffnet?"

"Glaubt mir doch, es waren keine Menschen. Sie kamen ganz plötzlich, vermutlich aus dem Hinterland im Norden. Erst huschten sie nur zwischen den Hütten und Stegen hindurch, fast unsichtbar. Kennt Ihr das Gefühl, etwas würde euch in der Nacht verfolgen? Aber wenn Ihr Euch umdreht und nachschaut ist einfach nichts da. Wir fühlten uns den ganzen Abend so beobachtet, die Stimmung war beklemmend. Dann fingen sie an zu töten. Ich hörte nur ein leises Geräusch, wie das Rauschen von Schilf im Wind, und plötzlich lag er vor mir. Sie hatten ihm von hinten die Kehle durchgeschnitten, überall war Blut! Als nächstes schnappten sie mich, fuhren mir in Arme und Beine. Ich war wie gelähmt. In dem Moment sah ich für einen kurzen Augenblick ihre Hände. Es waren keine Menschenhände, das kann ich Euch sagen. Sie trugen Klingen statt Finger, zwei Stück und groß wie Baumscheren! Irgendetwas schnürte mir die Kehle zu, ich konnte nur noch zuhören. Einer nach dem Anderen. Diese Schreie." Dicke Tränen quollen aus den geröteten Augen.
 

Sie stand auf und kam mit einem Kelch voll schwerem, roten Wein zu ihm zurück. Er nahm dankend an und trank einen großen Schluck.

"Kannst du einschätzen, wie viele es waren?"

"Zehn... vielleicht auch nur fünf." Er vergrub das Gesicht in seinen Händen und begann wieder zu schluchzen, doch sie ließ ihm keine Pause.

"Hat außer dir noch jemand überlebt?"

Ein Kopfschütteln war die Antwort.

"Bist du dir sicher?"

Er nickte.
 

Mit einem tiefen Atemzug stand sie wieder auf und schritt unruhig auf und ab. Seit ihrer letzten Begenung war die Erste Schwester spürbar gealtert, Falten zogen sich jetzt über ihre Stirn und das Gesicht.
 

"Sicher, dass es keine Truppen des Herzogtums waren?"

"Ja, Milady."

"Ich trage keine Titel. In dieser Stadt gibt es keine Ritter."

"Verzeihung."

"Was willst du mich fragen?", brach sie plötzlich heraus und funkelte ihn an.

"Wieso vermutet Ihr das Herzogtum hinter dieser Tat?"

"Hah! Bekommt man da draußen etwa gar nichts mehr mit? Seit Monaten versuchen sie uns zu erpressen, fordern lächerlich hohe Handelsgebühren und drohen beinahe offen mit Krieg, wenn wir nicht abrüsten!"

"Oh."

"Ja, oh", äffte sie ihn nach.

"Wie stünden unsere Chancen im Falle eines Krieges?"

"Nunja, zunächst müssten sie die Stadtmauern überwinden... Trotzdem möchte ich nichts riskieren."

"Das verstehe ich."
 

Langsam stand er auf und wandte sich zum Gehen, unsicher ob dies wohl das Ende dieser Audienz wäre. Doch sie hielt ihn zurück und stellte sich vor ihn, genau wie bei ihrem letzten Treffen. Er war mittlerweile fast einen ganzen Kopf größer, doch das änderte rein gar nichts an ihrer überwältigenden Präsenz.
 

"Wir sind noch nicht fertig. Wie ist deine Ausbildung verlaufen?"

"Ich habe viel gelernt in den vergangenen Jahren, doch gibt es noch ebensoviel, das ich nun nicht mehr lernen kann."

"Würdest du mir deine Kräfte demonstrieren?" Ihre Stimme war auf einmal ungewohnt weich.

Er nickte und hob seinen linken Arm, der mit dreckigen Lumpen umwickelt war. Behutsam entfernte er den Stoff und ließ seinen von unzähligen kleinen und einigen großen Narben übersäten Unterarm zum Vorschein kommen.

"Man hat mir meine Waffe genommen, als man mich zu Euch brachte."

Sie griff wortlos zu einer verzierten Axt, die neben dem Thron stand und setzte die Klinge an.

"Darf ich?"

Er nickte und im selben Moment öffnete sich ein rotes Rinnsal. Er war verblüfft, wie schmerzlos doch diese Waffe in seinen Arm geschnitten hatte. Die Messer im Dorf und auch sein kleiner Dolch kamen ihm auf einmal stumpf wie Wirtshausbesteck vor. Sein Blick blieb noch einen Moment an der faszinierenden Waffe hängen, dann bat er um eine Schale mit Wasser. Eine junge Dienerin huschte flink durch den Saal und kehrte mit einer halb gefüllten Waschschüssel zurück. Mit einem lässigen Schlenker ließ er einige Tropfen seines Blutes in die Schüssel fallen und trat anschließend einen Schritt zurück.
 

Das Resultat war faszinierend. Auf eine armlange Stichflamme fogte ein loderndes Feuer, ganz wenn die Schüssel mit trockenem Stroh an Stelle von Wasser gefüllt wäre. Die Erste Schwester spürte selbst auf eine Distanz von mehreren Schritten noch die Hitze der Flammen. Doch nun begann das Dienstmädchen, das noch immer die brennende Schüssel in den Händen hielt, in Panik auszubrechen. Unter lautem Kreischen ließ sie das metallene Gefäß auf den Steinboden fallen, dort breitete sich eine bäunliche zähflüssige Masse aus, die unbehelligt weiter brannte. Die Erste Schwester beobachtete das Schauspiel um die heraneilenden Torwachen, die zunächst versuchten, dem Feuer mit noch mehr Wasser beizukommen. Doch das beinahe Erwartete passierte statt dessen: Das Löschwasser fing selbst Feuer und der Brandherd wuchs weiter. Sie warf einen kurzen Blick hinüber zum Salamander, der sich nicht recht entscheiden konnte, ob er das Spektakel genießen oder sich lieber für die Unordnung schämen sollte.

Schließlich kam eine der Wachsoldatinnen auf die rettende Idee: Sie riss einen der schweren Brokatvorhänge von der Wand und warf ihn über die Flammen. Hier und dort schien sich das Feuer durchzufressen, doch einige beherzte Tritte ließen den Brand letztendlich ersticken.
 

"Ich bin begeistert!", sagte sie und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. "Kannst du damit noch andere Dinge anstellen?"

"Vieles, ja. Ich könnte zum Beispiel..."

"Mehr muss ich gar nicht wissen. Du wirst jetzt den Eid ablegen und damit meiner persönlichen Leibgarde beitreten. Knie nieder!"

Er begann, eine Antwort zu formulieren, doch sie fuhr erneut dazwischen: "Weigerst du dich, musst du sterben. Ich kann es keinesfalls riskieren, dich an den Feind zu verlieren. Also: Eid oder Leben?"

Wortlos fiel er auf die Knie.



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