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Wolf und Salamander

von

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Fünfter Tag des achten Monats im Jahr 87 N.U.

"Ein weiterer Bittsteller", sagte die Beraterin und verschwand hinter der sich schließenden Tür. Die erste Schwester seufzte und legte ihr Bein über die Armlehne des mittlerweile sehr unbequemen Throns. Sie war sich nicht sicher, ob die Person vor ihr noch ein Kind oder schon ein Mann war. Sein Blick klebte am Fußboden, die verschwitzten Hände kneteten unablässig aneinander und sein markanter Adamsapfel zuckte auf und ab.
 

"Was ist dein Anliegen?", fragte sie schließlich. Er zuckte kurz und begann dann in stotterndem Tonfall: "Mein Name ist Kasim Nociëlla, meine Eltern sind bekannte Goldschmiede in dieser Stadt. Meine Königin, ich stehe -"

"Ich bin keine Königin", fuhr sie harsch dazwischen. "In dieser Stadt gibt es keine Erbfolge und keine Adelsgeschlechter."

"V-Verzeihung", brachte er heraus und senkte den Kopf noch tiefer. Einen viel zu langen Moment später fuhr er ängstlich fort. "Ich stehe heute vor Euch, weil ich ein besonderes Mal trage. Meine Eltern hatten Angst um mich, deshalb hielten sie es all die Jahre geheim. Doch nun bin ich für mich selbst verantwortlich und vertraue auf Euer weises Urteil."
 

Mit diesen Worten begann er an seinem Hemd herumzunesteln, zwei goldene Armreifen klimperten leise aneinander, während sich die Knoten langsam lösten. Verlegen streifte er schließlich den Stoff von seiner Schulter. Auf seiner Brust prangte ein rotes Mal in Form eines Vogelfußes, etwa handtellergroß erstreckte es sich über die gebräunte Haut.
 

Damit hatte er die Aufmerksamkeit der Ersten Schwester auf sich gezogen. Mit argwöhnisch zusammengezogenen Augenbrauen stand sie auf und schritt die wenigen Stufen vor dem Thron hinab, mit jeder Stufe ein Stück kleiner werdend. Die Flussmenschen maßen solchen Zeichen eine große Bedeutung an, doch abseits von den immer weniger werdenden Ureinwohnern kümmerte sich kaum ein Mensch in der glänzenden Stadt um diese alten Prophezeihungen. Auch sie wusste nicht, was dieser Vogelfuß auf der Brust des jungen Mannes zu sagen hatte. Nur eine Handbreit stand er noch von ihr entfernt, sein Adamsapfel hüfte hektisch auf und ab als er hörbar schluckte.
 

"Sieh mich an", befahl sie und neigte den Kopf nach oben. Mandelförmige braune Augen trafen die ihren. "Was bedeutet das?", fragte sie und deutete auf das Mal. Noch immer standen sie dicht an dicht voreinander. Es war ihm sichtlich unanagenehm, doch er traute sich nicht, auch nur einen Finger zurückzuweichen. "Es heißt, wer dieses Mal trägt, besitzt heißes Blut. Solche Leute können zu großen Magiern ausgebildet werden, die Flussmenschen nennen sie Salamander. In der glänzenden Stadt wurden sie jedoch meistens getötet." Er schluckte erneut.

"Weißt du, wie man es benutzt?"

"Nein, meine... Nein."

"Aber die Flussmenschen wissen davon?"

"Ich bin mir nicht sicher. Doch wenn sie es nicht wissen, dann weiß es niemand."

"Hm, ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.", sagte sie und begann ihn langsam zu umkreisen. "Was sagt mir, dass du dich nicht gegen mich wenden wirst? Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Magier einen Aufstand anzettelt."

"So etwas würde mir nie in den Sinn kommen! Ich wurde in dieser Stadt geboren und bin hier aufgewachsen, meine gesamte Familie lebt hier. Als Kind bin ich durch die engen Gassen getobt, als Junge boten sie mir Zuflucht in schwierigen Momenten. Den Weg zum Haus meines besten Freundes kenne ich blind und mein Handwerk wird hier so hoch angesehen wie nirgendwo sonst auf der Welt. Bitte, lasst mich am Leben und ich werde für immer in Eurer Schuld stehen!"
 

Sie sah die Tränen in seinen Augen, als sich ihre Blicke wieder trafen. Ihr Gesicht hingegen war wie versteinert. Langsam schritt sie durch den Saal zur Tür und öffnete einen der Flügel. Der junge Mann zitterte am ganzen Körper. Er sah nicht, wie sie Blicke mit der wachhabenden Soldatin austauschte und ihr leise einen Befehl zuflüsterte.
 

"Geh jetzt", sagte sie laut.



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