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Abbygails Abenteuer

Road to Lavandia
von

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Der Bronzeturm (Sieben rote Äpfel)

Ich habe keine Zeit, nachzudenken, ich bleibe nur stehen, breite die Arme aus, stelle mich wie eine Mauer auf die Straße.

Keine zwei Sekunden später kommt ein Biker in Schräglage um die Kreuzung geschossen, sieht mich und reißt sein Bike herum, bevor er schlitternd und nur einen Meter vor mir zum Stehen kommt. Sein Gesicht ist unter einem Helm verborgen.

Passanten bleiben stehen, drehen sich nach uns um. Aus der Richtung des Markts kann ich das Geräusch von Füßen auf Asphalt hören. Wiesel und die anderen sind fast da.

"Weg da!", ruft der Biker und hebt drohend einen Fuß über das Gaspedal.

"Ich lasse dich nicht durch", sage ich. Meine Stimme ist ruhig, aber mein Herz schlägt unangenehm laut in meiner Brust. Nur ein Meter mehr und ich läge jetzt überfahren auf der Straße.

"Abby, ich bin´s, Mik." Er hebt sein Visor und tatsächlich erkenne ich den Jungen von gestern Abend.

"Du bist ein Biker", sage ich, mit weit weniger Überzeugung. "Du bist der Feind."

"Wenn ich nicht mitmache, bringen die mich um, Abby, du hast keine Ahnung, ich hab kein Geld, die zwingen mich dazu, bitte, lass mich hier weg, ich hab Angst!"

Die Panik in seiner Stimme ist, was mich einen Schritt zur Seite machen lässt.

Er tritt aufs Gaspedal und schießt so nah an mir vorbei, dass ich stolpere und auf den Rücken falle. So finden mich Wiesel und die Anderen.

"Ist er entkommen?", fragt Wiesel keuchend und reicht mir eine Hand, um mich hoch zu ziehen.

Ich nicke.

"Er hat mich halb umgefahren. Ich bin gerade noch rechtzeitig weg gekommen."

"Was ist mit den Bremsstreifen?", fragt Heather, die gebückt über den schwarzen Streifen auf der Straße steht und ihr krauses, schwarzes Haar aus ihrem Gesicht hält.

"Er hat gebremst, als er mich gesehen hat", erkläre ich. "Als ich nicht zur Seite gehen wollte, hat er Vollgas gegeben und ist direkt auf mich zu gekommen."

"Mistkerl…", murmelt Toby. "Es wird wirklich Zeit, dass Team RES-Q diesen Verbrechern Einhalt gebietet."

"Du sagst es, Bruder." Wiesel zupft ihre Haare zurecht. "Luke und Kyle sollten gleich da sein, ihr drei könnt also gehen. Danke für die gute Arbeit."

Die drei winken, dann verlassen sie als angeregt diskutierende Kleingruppe die Hauptstraße.

"Ich denke zwar nicht, dass die Biker heute nochmal aufkreuzen, aber sicher ist sicher", sagt Wiesel, während wir gemeinsam zum Markt zurückkehren. Luke wartet bereits auf uns, seine dichten Augenbrauen schießen erleichtert in die Höhe.

"Da seid ihr ja, ich dachte schon, es wäre etwas passiert."

"Einer der Biker hat eine alte Lady überfallen, aber wir konnten ihn aufhalten, bevor er sie bestehlen konnte."

"Wo ist er?"

"Abgehauen", sage ich missmutig. Lügen fällt mir leichter als ich gedacht hätte, aber es war schließlich nur eine kleine Änderung der Wahrheit. Das kann man fast nicht als Lüge rechnen. Denke ich.

Noch ohne Kyle nehmen wir zu dritt vor dem Markteingang Stellung auf. Während Luke die Augen offen hält, stelle ich mich zu Wiesel und berichte ihr von unserer Aufklärungsmission.

"Du denkst also, es könnte der Geist des verbrannten Blitzas aus dem Bronzeturm sein?", fragt sie skeptisch.

Ich zucke die Achseln. "Es wäre möglich. Niemand in der Stadt weiß etwas von einem kürzlich verstorbenen Blitza oder will zumindest nicht mit uns reden. Ein wildlaufenden Blitza kann es nicht gewesen sein und ein Trainer hätte es mit Sicherheit ins Pokécenter gebracht."

"Da hast du Recht."

Wir schweigen eine Weile.

"Du hast gute Arbeit geleistet, Abby. Wenn du möchtest, würde ich dir gerne das Kommando über alle Missionen geben, die mit dem Geist in Zusammenhang stehen."

"Vielen Dank, Wiesel."

Wir beobachten die Menschen, die den Markt betreten und mit Tüten beladen wieder verlassen. Kyle taucht fünfzehn Minuten zu spät auf, weil er verschlafen hat, fängt sich eine Standpauke von Wiesel ein und übernimmt dann zusammen mit Luke die Überwachung der Straßen um den Markt herum, während Wiesel und ich davor stationiert bleiben.

"Kann ich dich etwas fragen?", fragt Wiesel nach einer Weile.

Ich schaue zu ihr. Mein Herz pocht zu laut in meiner Brust. Hat sie mich schon durchschaut? "Klar."

"Als ich zu dieser Gruppierung aufrief, hast du dich sofort bereit erklärt, mitzumachen. Warum?"

"Das ist eine etwas längere Geschichte, schätze ich."

"Wir haben noch über drei Stunden Zeit."

Ich denke kurz nach. "Ich sollte wahrscheinlich damit anfangen, dass ich vor ein paar Wochen von Team Rocket entführt wurde…"

Während ich meine Geschichte erzähle, durchläuft Wiesel Gesicht eine Vielzahl sehr unterhaltsamer Ausdrücke.

Als ich geendet habe, sieht Wiesel mich eine lang Zeit an, dann lacht sie.

"Oh Mann."

"Was?", frage ich grinsend.

"Nichts, es ist nur… Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so erfahren in Sachen Böses bekämpfen bist."

"Ich würde es nicht als erfahren bezeichnen, wenn man dauernd in Schwierigkeiten gerät", sage ich.

"Das vielleicht nicht, aber, puh." Sie lacht wieder. "Also hast du auf der einen Seite zugesagt, weil du weiß, dass die Polizei nicht genug Personal hat, um Teak City in den Griff zu kriegen und zum anderen, weil du Team Rocket eins auswischen willst, die etwas mit den Bikern zu tun haben?"

"So ungefähr."

Wir beobachten eine junge Frau, die mit einem Baby im Arm den Markt betritt.

"Und du?", frage ich schließlich. "Warum hast du RES-Q gegründet?"

"Ich komme von hier", sagt Wiesel nach einer kurzen Pause. "Als ich klein war, wollte ich Pro-Trainer werden, aber irgendwie hat mir das Reisen und Trainieren nicht so zugesagt wie meinen Freunden, deshalb habe ich nach meinem dritten Orden aufgehört und bin hierher zurück gekehrt."

"Und jetzt bekämpfst du Gesetzesbrecher?"

"Sozusagen." Sie lächelt nachdenklich. "Ich wollte der Polizei beitreten, um Johto gegen Team Rocket zu unterstützen, aber dann wurde die Lage hier immer ernster und kein einziger Polizist tauchte auf, um uns vor den Bikern zu schützen. Deswegen wollte ich meine eigene kleine Gruppierung bilden, mit der ich die Bürger Teak Citys unterstützen kann. Als ich das Geisterblitza entdeckte, dachte ich mir zuerst nichts dabei, aber die Neuigkeit sprach sich rum und nur eine Woche später hatte ich alle Trainer auf einem Haufen. Und ich dachte mir, wenn nicht jetzt, wann dann?"

"Aber viele der Trainer hier werden früher oder später weiterreisen", sage ich. "Team RES-Q wird nicht bestehen bleiben."

"Ich weiß." Sie seufzt. "Aber mit etwas Glück haben wir uns bis dahin einen Ruf aufgebaut. Wenn nur die Trainer, die hier durchreisen, ein paar Tage oder Wochen mithelfen, reicht das schon aus. Und ein fester Kern wird bestehen bleiben. Diejenigen, die hier wohnen, zumindest."

"Ich hoffe, dass wir etwas ändern können, während wir hier sind", sage ich und drücke Wiesels Hand.

 

"Team RES-Q, bitte zuhören!"

Wiesel Stimme schneidet durch die laufenden Gespräche und alle Augen richten sich auf sie. Nur das knisternde Feuer unterbricht die Stille.

"Unser erster Einsatz war erfolgreich. Abbys Aufklärungsteam hat einen möglichen Ursprung des Geisterblitzas gefunden und wird unter ihrer Leitung seine Ermittlungen fortsetzen. Unsere Patrouille vor dem Markt hat sich bezahlt gemacht, wir konnten den Biker, der dort eine alte Frau belästigt hat, vertreiben, bevor er sein böses Vorhaben in die Tat umsetzen konnte. Er ist leider geflohen, aber das nächste Mal wird er nicht so leicht davon kommen."

Zufriedenes Gemurmel wird laut, Toby klopft mir auf den Rücken und auch Julian und Corinna werden von ihren Freunden beglückwünscht.

"Erasmus hat mich heute von seinen Fähigkeiten überzeugen können, ich ernenne ihn offiziell zu meiner rechten Hand. Bei meiner Abwesenheit ist sein Wort Gesetz."

Erasmus, der mir vorher nie aufgefallen ist, nickt Wiesel respektvoll zu, bevor er von den Umstehenden Qs unter Umarmungen und Händedrücken begraben wird. Sein blondes Haar ist zu einem losen Flechtzopf gebunden, der über seine Schulter fällt und seine Gesichtszüge könnten als die eines Mädchens durchgehen. Was ihn so herausstechen ließ, weiß ich nicht, aber Wiesel wird ihre Gründe haben.

"Olivia, Robin, was habt ihr herausgefunden?"

Robin tritt vor. "Wir haben uns in der ganzen Stadt nach den Bikern umgehört. Olivia hat Kontakte zu einem ihrer Unterstützer aufgebaut und wird bald Zugang zu den internen Informationen haben. Ihr Hauptquartier ist im Keller einer ihrer Unterstützer, aber wir müssen noch ausfindig machen, von welchem. Bis dahin haben sie einen Überfall auf eine Gruppe Trainer geplant, die erst vor kurzem ihre Starter gefangen haben und in drei Tagen nach Viola City losziehen wollen. Sie lauern ihnen vermutlich entlang der Route 37 auf."

"Diese Bastarde…", murmelt Toby. "Anfänger angreifen ist ein Tabu."

"Du sagst es, Bruder." Wiesel öffnet eine Dose Bier und wartet, bis der Schaum über ihre Finger läuft, dann nimmt sie eine tiefen Schluck und hält die Dose in die Höhe. "unsere Priorität ist die Vorbereitung auf den Überfall in drei Tagen. Olivia, Robin, findet heraus, wo ihre Basis ist und welche Unterstützer sie haben. Wenn wir wissen, wo sie ihr Geld herbekommen, können wir den Zufluss abschneiden. Abby, Erasmus, ich ersetze eure Marktschichten, Paul und Ginger übernehmen für euch. Erasmus wird mit mir die Planung des Überfalls übernehmen, du kümmerst dich um die Geisteraufklärung."

Mein Blick trifft den von Erasmus. Wir nicken uns zu.

"Der Rest wird die Straßen patrouillieren. Hat jemand eine Karte? Wir müssen die Straßen abdecken…"

 

"Also, Teamleiterin, was haben wir heute vor?"

Julian knabbert an einem der Äpfel, die wir uns an einem Stand gekauft haben und jetzt an die Hausfassade in einer Seitengasse gelehnt essen.

"Sollen wir es wieder in dem Tanztheater versuchen?", fragt Corinna und steckt sich das letzte Stück Kerngehäuse in den Mund, bevor sie den Stiel ausspuckt.

"Die Besitzerin lässt uns nicht rein", sage ich nachdenklich. "Bis wir eine Möglichkeit gefunden haben, sie zu umgehen, sollten wir uns an die Spuren halten, die wir haben."

"Und die wären?", fragt Julian.

"Ich würde am liebsten mit Jens darüber reden, aber der ist ja nicht hier. Bis er zurück ist, sollten wir uns ein wenig im ehemaligen Bronzeturm umsehen."

"In der Turmruine? Der Brand war vor 160 Jahren Abby, ich bezweifle, dass wir da noch Spuren finden."

"Wer weiß. Wenn Blitzas Geist geblieben ist, dann vielleicht auch die Geister von Flamara und Aquana. Und wenn nicht, können wir dort bestimmt trotzdem etwas herausfinden."

Julian zuckt die Achseln. "Du bist der Chef."

Mit Wasserflaschen, den restlichen Äpfeln und unseren Pokébällen bewaffnet machen wir uns auf den Weg zur Turmruine. Die Zeit, die ich mit Julian und Corinna verbringe, hat mich den beiden näher gebracht und ich genieße unser freundschaftliches Geplänkel, das erst verstummt, als wir den kleinen Hügel erreichen, auf dessen Spitze der Bronzeturm gebaut wurde.

Am Fuß der rustikalen Treppe bleiben wir stehen. Die oberen Stockwerke des Turms sind völlig abgebrannt, verkohlte Holzbalken ragen hier und da in die Höhe, abgebrochene Ziegel und Holzsplitter bedecken den Boden und das Schild, das neben der Treppe steht, ist so vermodert, dass ich die Aufschrift nicht mehr lesen kann.

"Dann wollen wir mal", sage ich und steige als erstes die Treppe hinauf. Die Holztür ist niedergebrannt und so können wir unbehelligt ins Innere der Ruine treten. Schwarze Holzpfähle ragen in die Höhe, Bretter und verbranntes Holz liegt überall verstreut und kleine Steinbrocken versperren hier und da den Weg.

Während ich nach links, rechts und oben schaue, bemerke ich das gigantische in den Boden gerissene Loch erst, als ich direkt davor stehe und langsam aber sicher nach vorne kippe.

Julian packt mein Handgelenk und zieht mich zurück in Sicherheit.

"Pass auf, Abby."

"Da drüben ist eine Leiter", sagt Corinna und deutet in den rechten Teil des Raumes, wo der Fußboden intakt geblieben ist.

"Ist das Ding eigentlich einsturzgefährdet?", fragt Julian nach einer Weile, als es über uns wieder einmal laut knarzt.

"Nicht, dass ich wüsste", sagt Corinna. "Aber ich würde im Notfall lieber auf Nummer sicher gehen und abhauen."

"Wir bleiben nicht lange", versichere ich schnell. "Haltet Ausschau nach allem, was interessant sein könnte, ich schaue mich unten um." Die beiden nicken und wir teilen uns auf.

Das Untergeschoss des Bronzeturms sieht ganz anders aus als das Erdgeschoss, alles ist noch in gutem Zustand, außer dem Moos, das auf den baumdicken Holzpfeilern gewachsen ist. Grauer, glatter Stein bildet das Fundament des Turms und auch ein Brand und 160 Jahre Verwahrlosung konnten ihm nichts anhaben. Der Raum fällt zur Mitte hin ab.

Ich gehe die Stufen hinunter und springe dann in die zweite, kleine Vertiefung. Als ich den Kopf hebe, kann ich die verkohlte Decke und blaue Fetzen des Himmels zwei Stockwerke über mir erkennen.

"Schon was gefunden?", rufe ich nach oben, aber außer zwei entschiedenen Neins bekomme ich keine Antwort. "Dann suchen wir doch mal weiter…", murmele ich. Dann, als mir klar wird, dass ich bei der Helligkeit hier drin kaum meine eigene Trainer-ID entziffern könnte, rufe ich Gott. Der rote Lichtstrahl erfüllt den ganzen Turm und innerhalb von Sekunden sind Corinna und Julian am Rand des Bodenlochs und schaue besorgt zu mir herunter.

"Ist was passiert?"

"Nein, alles okay", rufe ich zurück. "Brauchte nur etwas Licht."

Die Beiden verschwinden wieder aus meinem Sichtfeld und ich wende mich an Gott. "Einmal aufdrehen, bitte", sage ich. "Aber fackel nichts ab, das hat dem Turm schon einmal nicht gut getan."

Gotts Rückenflamme leuchtet auf und er geht zur Seite, um mir Platz in der Senkung zu geben. Ich gehe auf die Knie und suche den Steinboden nach Spuren ab. Meine Finger tasten über die raue Oberfläche und… warte.

Rau?

Ich schaue genauer hin. Im Vergleich zu dem Steinboden außerhalb der Senke sind die Unebenheiten hier gut fühlbar.

"Gott, hier her", murmele ich. Gott folgt meiner Anweisung und beleuchtet die Stelle, die unter meinen Fingern liegt. Ich habe mich nicht geirrt. Schmale Linien, leicht gebogen, immer drei oder vier nebeneinander, verlaufen kreuz und quer über die steinernen Fliesen.

"Sieht aus wie… Krallenspuren." Ich betaste die Spuren etwas genauer. "Große Pfoten. Die sind von großen Pokémon mit scharfen Krallen. Und hier." Ich deute auf zwei Einkerbungen, die eine dunkler als die andere. "Die Spuren sind zu unterschiedlichen Zeiten entstanden."

"Mit wem redest du da, Abby?"

"Kommt runter, das müsst ihr sehen!"

Ich höre Schritte über mir, als Julian und Corinna zur Leiter gehen und dann nacheinander hinunter klettern. Julian lässt Corinna den Vortritt.

"Hier sind Kratzspuren von großen Pokémon. Aus verschiedenen Jahren", sage ich und warte, bis die beiden zu mir herabgestiegen sind, bevor ich mit meiner Theorie fortfahre. "Das heißt, dass sie seit dem Brand immer wieder hierher zurück gekehrt sind."

"Ich glaube, die Bewohner würden es bemerken, wenn ein legendäres Pokémon durch die Stadt läuft", erwidert Julian skeptisch.

"Vielleicht, vielleicht auch nicht. Bei Nacht sind kaum noch Menschen auf der Straße und wenn es sich durch den Wald nördlich von hier anschleichen würde, wäre die Chance, es zu entdecken, gleich Null."

"Wir dürfen nicht vergessen, dass Wanderpokémon so gut wie nie gesichtet werden", fügt Corinna hinzu. "Sie verstecken sich so gut, dass viele sogar ihre Existenz anzweifeln. Unbemerkt in eine verlassene Ruine zu gelangen stelle ich mir da nicht besonders schwierig vor."

Ich nicke ihr dankbar zu.

"Schön, die Wanderpokémon kommen hier also immer mal wieder vorbei. Was hat das mit dem Geisterblitza zu tun?"

"Ich weiß es nicht", sage ich. "Ich wünschte, wir könnten Gold kontaktieren, er hat die drei Wanderpokémon doch hier angetroffen, oder nicht?"

"Das sagt man." Julian rümpft die Nase. "Man sagt auch, dass er Lugia mit nur einem Ball gefangen und Team Rocket alleine ausgeschaltet hat."

"Das hat er!", verteidige ich ihn sofort. "Jeder weiß das!"

"Richtig, jeder weiß das. Warum weiß das jeder? Weil es die Geschichten sind, die sich um ihn ranken. Ich bezweifle nicht, dass er einen Spitzentrainer ist, aber du kannst nicht von mir verlangen, dass ich Geschichten glaube, die neun Jahre Zeit hatten, von den Medien aufgebläht zu werden."

"Er hat Lugia mit einem Meisterball gefangen", sagt Corinna. "Deshalb hat er nur einen Ball gebraucht. Was Team Rocket angeht, kann ich die Gerüchte nicht beurteilen."

"Ich habe Gold persönlich kennen gelernt", sage ich. "Und ich kann nur sagen, dass er stärker ist als jeder andere Trainer, den ich je gesehen habe."

Julian hebt ergeben die Hände. "Mit Fangirls kann man nicht diskutieren. Ist ja auch egal. Wir haben einen Hinweis, wie finden wir heraus, was er bedeutet?"

"Jens würde Bescheid wissen…", sagt Corinna nachdenklich. "Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet. Aber er ist nicht da."

"Was ist mit den Vortrainern?", frage ich. "Die wissen sicher mehr über Geister als wir. Vielleicht haben wir Glück und einer von ihnen war schon mal in Lavandia."

"Lavandia ist diese Totenstadt, oder?", fragt Julian. Als ich nicke, schüttelt er sich. "Nichts gegen die Lavandianer", sagt er dann. "Aber bevor ich neben einem Massenfriedhof wohne, erschieß ich mich lieber selbst."

 

Wir warten fast zwei Stunden vor der Arena, bevor sich eine Frau dem Eingang nähert, die mit der weißen Robe, den Gebetskettchen und der flackernden Laterne im hellen Tageslicht verdächtig nach einem Medium aussieht.

"Entschuldigung", sage ich, als sie sich dem Eingang nähert und aufschließen will. "Haben sie ein paar Minuten Zeit? Wir würden sie gerne etwas fragen."

"Was?"

"Wir haben eine Frage und wollten wissen, ob-"

"Waaas?"

"Die hat ´nen Schuss", sagt Julian und Corinna stößt ihn in die Seite.

"Sie ist einfach schwerhörig, Juli, sei nicht gleich so ein Arsch."

"Ich bin nicht schwerhörig, vielen lieben Dank auch", sagt das Medium. Sie klingt gekränkt.

"Wegen der Frage…"

"Waaaaaaaas?"

Ich schließe den Mund und schaue sie böse an. Als sie mein Gesicht sieht, lacht sie laut und heiser.

"Ich habe eine Bedingung", sagt sie dann.

"Ich werd nicht mehr- autsch, verdammt, Coco, jetzt reicht´s!"

"Sie ist ein Medium, hab etwas mehr Respekt, das ist ja peinlich."

Julian schnaubt, sagt aber kein Wort mehr.

"Was für eine Bedingung?"

Sie deutet auf meine Hand, die den letzten Apfel unseres morgendlichen Einkaufs hält.

"Ich will Äpfel."

"Äpfel?"

Sie nickt.

"Coco, du hattest heute morgen noch das meiste Geld, kannst du ein paar Äpfel besorgen?"

"Ja klar, kein Problem." Sie wendet sich an das Medium. "Wie viele?"

"Sieben. Sieben Äpfel. Aber nur die Roten."

Julian schüttelt fassungslos den Kopf.

Während wir auf Corinna warten, unterhalte ich mich mit dem Medium. Zumindest versuche ich es. Das immer wieder kehrende Waaaaas? gefolgt von heiserem und hysterischem Keckern verdirbt mir allerdings ein wenig die Laune und so bin ich froh, als Corinna mit einer Plastiktüte in der Hand die Straße herunter läuft und zu uns stößt.

Sie reicht dem Medium die Tüte.

Ein Lächeln kindlicher Freude breitet sich auf dem faltigen Gesicht aus, als sie in die Tüte greift und einen perfekt runden, tiefroten Apfel in die Höhe hält.

"Zum Wohl", sagt sie und beißt herzhaft hinein. Apfelsaft tröpfelt ihr Kinn hinunter, aber sie sieht so überglücklich aus, dass ich für einen Moment vergesse, wie nervig sie ist.

Julian räuspert sich. "Die Frage?"

"Sprich Kind. Die Äpfel sind hervorragend."

"Was wissen sie über die Geister toter Pokémon?", frage ich.

Das Medium schluckt, dann lässt sie sich, wo sie steht, im Schneidersitz zu Boden sinken und beißt nachdenklich in den Apfel. Als sie geschluckt hat, schaut sie zu uns auf. "Setzt euch."

Als wir ihr gegenüber Platz genommen haben, stellt sie die Laterne zwischen uns. "Der Geist eines Pokémon verlässt die Welt, wenn es stirbt. Nur die Verbitterten und Hasserfüllten bleiben. Manche Legende sagt, dass so die ersten Geisterpokémon ihren Weg in die Welt gefunden haben. Ein verbliebener Geist erscheint nur an zwei Orten: Nahe des Orts seines Todes oder nahe seines Körpers."

"Wie weit kann der Geist sich von beiden Orten entfernen?", frage ich.

"Es kommt auf den Geist an, auf seine Willensstärke und auf die Distanz zwischen Körper und Todesort. Liegen die beiden in einer gewissen Entfernung zueinander, kann sich ein Geisterpfad öffnen, ein Streifen zwischen beiden Orten, der durch die Überlappung beider Zentren verstärkt wird."

"Und innerhalb dieses Pfads könnte ein Geist frei wandeln?", fragt Coco, gebannt.

Das Medium nickt.

"Je nach Stärke und Willenskraft des Pokémon kann dieser Geisterpfad sehr lang sein. Wir nennen ihn die graue Zone."

"Wie sieht es aus mit Pokémon, die gestorben sind und dann… wiederbelebt wurden?", fragt Corinna.

Das Medium kneift die Augen zusammen. "Es geht also um die Legende. Nun, da bin ich euch leider keine Hilfe. Der Geist eines legendären Pokémon wäre in der Tat in der Lage, größere Entfernungen von seinem Körper zurückzulegen, aber der Geist stammt nicht von dem Legendären, sondern von dem ursprünglichen Pokémon. Wenn überhaupt ein Geist entstand."

"Sie wissen also auch nicht weiter?", frage ich geknickt.

"Ich kann höchstens eine Vermutung äußern."

"Vermutung klingt hervorragend."

"Als die drei Pokémon im Turm verbrannten, starben sie. Ho-Oh hauchte ihnen mit seiner Zauberasche neues Leben ein. Ihr Geist wurde neu geformt und weil er von dem legendären Vogelpokémon stammte, wurden auch diese drei legendär. Ihre Körper durchliefen eine noch nie zuvor da gewesene Entwicklung und verwandelten sich in die legendären Raubkatzen, doch ihre ursprünglichen Geister hatten keinen Platz mehr in dem neuen Körper. Sie hatten die Hülle des Fleisches bereits hinter sich gelassen, doch weil ihr Körper noch lebte, konnten sie diese Welt nicht verlassen."

Andächtiges Schweigen fällt über uns. Dann nimmt die Frau knisternd einen weiteren Apfel aus der Tüte und beißt glücklich hinein.

Wir verabschieden uns von dem Medium, das sich uns zum Schluss als Zenobia vorstellt und machen uns gemeinsam auf den Rückweg zum RES-Q Revier auf dem verlassenen Anwesen. Den Regel zufolge müssen wir nur die Nächte hier verbringen, aber es hat sich längst als universaler Treffpunkt unserer Gruppe etabliert.

Als wir ankommen, ist es bereits nach dem letzten Schichtwechsel der Marktgruppe. Ginger, Kyle und Luke fehlen, sowie Olivia, Robin und einige anderen, doch der Rest ist um ein knisterndes Feuer versammelt und brütet über Stadtplänen, Wiesel und Erasmus das Zentrum der Diskussion.

Als Wiesel mich entdeckt hebt sie eine Hand und winkt uns zu sich.

"Wie gehen die Ermittlungen voran, Abby?"

"Sehr gut", sage ich. "Ich glaube, wir haben etwas sehr Interessantes herausgefunden."

"Haben wir das?", fragt Julian überrascht. Wiesel steht auf.

"Was meinst du?", fragt sie. Erasmus nimmt hinter ihr Stellung auf.

Ich hole tief Luft.

"Ich glaube, Raikou ist in der Nähe." Ein Tumult beginnt, doch Wiesel erstickt ihn mit einer Handbewegung im Keim.

"Fahr fort", sagt sie an mich gewandt.

"Raikou ist hier. Und es braucht unsere Hilfe."



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Kerstin-san
2017-04-12T14:51:23+00:00 12.04.2017 16:51
Hallo,
 
tja und schon gerät Abby in Gewissenskonflikte. Es ist nun mal nicht alles schwarz oder weiß und Mike macht hier wirklich einen verzweifelten Eindruck. Trotzdem denke ich, dass er für seine Taten bestraft werden sollte. Andauernde Überfälle kann man jetzt auch nicht als Bagatelldelikt abtun.
 
Hmmm, Wiesel legt bei mir auf der Sympathieskala doch etwas zu. Ich kann ihren Frust über die Situation und die Hilflosigkeit, die sie empfindet, nachvollziehen, vielleicht schafft sie es tatsächlich, dass ihre Gruppierung die Zeit überdauert, wer weiß.
 
Tja, nicht nur Abby plaudert direkt alles aus, auch die Biker scheinen von Verschwiegenheit nicht allzu viel zu halten, wenn die gleich mal rumerzählen, wann und wo sie neue Trainer abzocken wollen.
 
Niedlich wie rabiat Abby Gold gegenüber Julian verteidigt. Ich mags immer, wenn sie wegen ihm zu einem kleinen Fangirl mutiert^^
 
Gott wenn alle Mediums (was ist die richtige Pluralform von Medium?!) so drauf sind, kann die ja keiner ernst nehmen. Immerhin scheinen Äpfel ne durchaus hilfreiche Wirkung bei ihr zu haben. Die Theorie mit den Geistern der Pokémon ist irgendwie traurig, bedeutet ja, dass der Geist des Blitzas auf ewig dazu verdammt ist auf der Erde herumzuwandeln...
 
Liebe Grüße
Kerstin
 
PS: Lieblingszitat: "Ist das Ding eigentlich einsturzgefährdet?", fragt Julian nach einer Weile, als es über uns wieder einmal laut knarzt. Also das hab ich mich ja von Anfang an gefragt xD
Von:  _Risa_
2015-08-23T16:35:44+00:00 23.08.2015 18:35
>Abby, ich bin´s, Mik." Er hebt sein Visor und tatsächlich erkenne ich den Jungen von gestern Abend.
"Du bist ein Biker", sage ich, mit weit weniger Überzeugung. "Du bist der Feind."
"Wenn ich nicht mitmache, bringen die mich um, Abby, du hast keine Ahnung, ich hab kein Geld, die zwingen mich dazu, bitte, lass mich hier weg, ich hab Angst!"<
Mit den Hell's Angels scherzt man auch nicht :o

>Ich denke kurz nach. "Ich sollte wahrscheinlich damit anfangen, dass ich vor ein paar Wochen von Team Rocket entführt wurde…"
Während ich meine Geschichte erzähle, durchläuft Wiesel Gesicht eine Vielzahl sehr unterhaltsamer Ausdrücke.
Als ich geendet habe, sieht Wiesel mich eine lang Zeit an, dann lacht sie.
"Oh Mann."
"Was?", frage ich grinsend.
"Nichts, es ist nur… Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so erfahren in Sachen Böses bekämpfen bist."<
Abby erzählt auch jedem Dahergelaufenen Geheinnisse o.o ich meine, das geht die Favoriten, die Polizei und sie was an, Louis und Caro könnte sie einweihen… aber Fremde?
Ooooh Abby^x, iein Counter xD

>"Sozusagen." Sie lächelt nachdenklich. "Ich wollte der Polizei beitreten, um Johto gegen Team Rocket zu unterstützen, aber dann wurde die Lage hier immer ernster und kein einziger Polizist tauchte auf, um uns vor den Bikern zu schützen.<
Ihr habt da echt eine miese Regierung, was? XD

>Ich habe Gold persönlich kennen gelernt", sage ich. "Und ich kann nur sagen, dass er stärker ist als jeder andere Trainer, den ich je gesehen habe."
Julian hebt ergeben die Hände. "Mit Fangirls kann man nicht diskutieren. Ist ja auch egal. Wir haben einen Hinweis, wie finden wir heraus, was er bedeutet?"<
Stolze Zustimmung! :D

>Ein Lächeln kindlicher Freude breitet sich auf dem faltigen Gesicht aus, als sie in die Tüte greift und einen perfekt runden, tiefroten Apfel in die Höhe hält.<
Wie Knuddeluff in PMD2 XD

>"Raikou ist hier. Und es braucht unsere Hilfe."
Das ist cool :D

Aber ich kann mich mit den neuen Charakteren noch nicht so sehr anfreunden. Es wirkt wie ein zu großer Cut, da jeder in Abbys Gruppe neu ist - und so viele Namen x,x

Antwort von:  yazumi-chan
23.08.2015 18:40
Abby erzählt gerne jedem, der es hören will, von ihren Leiden :D Wobei sie natürlich nicht jedes Geheimnis ausplaudert, nur das Grobe. Entführt, verschüttet, vergiftet... Kann ja jedem mal passieren.
Die Regierung ist so mies, du gibts quasi gar nicht xD
To be fair, ich war mit den Namen auch überfordert. Aber du musst sie dir auch nicht alle merken. Die wichtigsten werden noch ein bisschen auftauchen, den Rest kannst du nach dieser Saga (und in der Saga...) wieder vergessen^^
Von: abgemeldet
2015-04-29T06:42:07+00:00 29.04.2015 08:42
""Mit Fangirls kann man nicht diskutieren." - Wahre Worte, Julian. Wahre Worte. XD

Okay, wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist Raikou nur eine Hülle für den Geist des verstorbenen Blitzas. Sozusagen ein Medium, wie es ein Poltergeist nutzen kann. Und der Geist kann zwischen der Zwischenwelt und Raikous Körper hin- und herwandeln, sofern er sich im Radius seines Todesort befindet. So in etwa?
Dazu muss ich jetzt aber mal wieder 'ne Logikfrage stellen: Der Turm ist vor 160 Jahren abgebrannt - wieso steht er noch da? Normales menschliches Denken würde entweder veranlassen, dass man dort was neues baut, den Turm wieder errichtet oder wenigstens 'n Kassenhäuschen aufstellt und ordentlich Profit mit Ruinen-Touren herausschlägt XD
Antwort von:  yazumi-chan
29.04.2015 13:04
Der Geist des verstorbenen Blitzas hatte quasi nach der "Entwicklung" zu Raikou keinen Körper mehr, in den er zurückkehren konnte, weil der zwar lebte, aber jetzt einen neuen, legendären Geist beherbergt. Die Geister der Evolutionen sind also in einer Zwischenwelt gefangen und können entweder in der Nähe ihres Todesortes (dem Bronzeturm), oder in der Nähe von den Raubkatzen auftauchen. Und wenn diese beiden sich nähern, bildet sich eine Art Überlappung, die den Radius etwas erweitert, in dem die Geister auftauchen können.

Zum Thema Profit: Teak City ist ziemlich konservativ. Den heiligen Turm, in dem Legendäre gehaust haben und geboren wurden, als Touristenort mit Eintrittsgeld und Souveniers verschandeln? Blasphemie :D Vielleicht in nochmal hundert Jahren xD
Von:  Kalliope
2015-03-15T18:58:02+00:00 15.03.2015 19:58
Interessant, interessant. Da ich die Raubkatzen sehr mag, bin ich wirklich gespannt, was es damit auf sich hat.
Antwort von:  yazumi-chan
15.03.2015 20:13
Du wirst es bald erfahren^^


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