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Abbygails Abenteuer

Road to Lavandia
von

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Zachs Mission (Rückkehr)

Ich erwache mit violettem Fell in meinem Mund und einem pochenden Gefühl an meinem rechten Schulterblatt.

Blinzelnd lasse ich meinen Kopf zur Seite sacken und entdecke Sku, die auf meiner gesunden Seite halb auf mir eingerollt ist und leise schnarcht. Ich puste ihr ins Gesicht und sie reißt die Augen auf. Ein tiefes, zufriedenes Brummen steigt in ihrer Kehle auf und sie reibt ihr Gesicht gegen meins, bis ich vor lauter Fell nichts mehr sehen kann.

„Abby?“

Ich drehe den Kopf und entdecke Raphael, der mit dunkel umrandeten Augen auf einem Stuhl an meiner rechten Bettseite sitzt, die Arme auf die Matratze gelegt. Sein Haar steht in alle Richtungen ab und der Abdruck seines Pullovers spiegelt sich eingedrückt auf seiner Wange wider.

„Wo bin ich?“, frage ich desorientiert.. Licht fällt durch das Fenster hinter Raphael in den Raum und die Tür zu meiner Linken ist verschlossen. Ein stetes Piepen dringt von irgendwo an mein Ohr.

„Im Vertania City Krankenhaus.“ Raphael atmet erleichtert aus, als er merkt, dass ich wieder halbwegs beieinander bin. „Irgendein Pokémon hat dich mit einer Giftattacke angegriffen. Du warst bewusstlos.“

„Mels Arbok…“, murmele ich, als die Erinnerungen langsam zurückkehren. „Warte. Sitzt du schon die ganze Zeit hier?“

Raphael schmunzelt. „Ich war zwischendurch auf Toilette und habe mir sogar einen Dosenkaffee gegönnt.“

Sku reibt sich enger an mich und ich hebe müde eine Hand, um ihren Rücken zu kraulen. Sie schnurrt wohlig.

„Wer hat sie rausgelassen?“

„Ich.“ Er grinst. „Als wir ankamen, hat ihr Pokéball vibriert und ist heiß geworden. Ich dachte schon, sie sprengt ihn gleich, deswegen habe ich sie lieber rausgelassen. Sie ist seitdem nicht von deiner Seite gewichen.“

Ich schaue in Richtung Fenster. „Welcher Tag ist heute?“

„3. Oktober, 9:30 Uhr. Die Gruppenkämpfe sind vorbei und sie haben mit den KO-Runden angefangen.“ Er reibt sich die Schläfen. „Mein Geschenk ist wohl ziemlich in die Hose gegangen, was?“

„Noch ist das Turnier nicht vorbei.“

Er verzieht das Gesicht. „Ich bezweifle, dass du fit genug bist, um entlassen zu werden. Die Krankenschwester sagte, du musst mindestens drei Tage hier bleiben.“

„Oh.“

Wir schweigen eine Weile. Ich hatte mich sehr auf die PCS gefreut, dass sie jetzt ohne mich weiterläuft, obwohl ich so nahe dran bin, tut weh. Raphael scheint meine Gefühlslage zu spüren, denn er steht auf und verschwindet aus dem Raum. Kaum zwei Minuten später ist er wieder zurück – mit einem kleinen rollbaren Fernseher.

„Ich habe schon alles organisiert“, sagt er und stellt den Fernseher ans Fußende meines Krankenbetts. Dann rückt er seinen Stuhl ans Kopfende und schaltet das Programm ein.

„Du solltest dir die Kämpfe live ansehen“, sage ich. „Du bist nicht ans Bett gefesselt.“

„Und dich hier alleine im Krankenhaus sitzen lassen? Nie im Leben.“ Seine Miene wird ernster. „Außerdem ist die Stimmung gerade nicht besonders gut. Ich bin lieber hier.“

„Was ist passiert?“

Raphael seufzt und zappt durch einige Kanäle bis er den Nachrichten-Channel findet. „Sie bringen es seit gestern in Dauerschleife. Ah, hier.“

 

„Hallo, liebe Zuschauer. Nach einem schockierenden Zwischenfall auf dem Indigo Plateau ist die Stimmung der Pokémon Championship gekippt. Was mit einem harmlos scheinenden Übergriff einiger Team Rocket Mitglieder auf ein Pokécenter begann, eskalierte in der folgenden Nacht zu einem Desaster, das uns alle erschüttert.

Zacharias Stray, einer der vier Favoriten für den nächstjährigen Champion-Titel, wurde von seinen Freunden als Mitglied der Verbrechergruppe Team Rocket enttarnt. Nach einem Pokémonkampf, der Teile des Plateaus einstürzen ließ, konnten er und drei weitere Mitglieder fliehen, nicht jedoch ohne eine zufällig anwesende Passantin schwer zu verletzen. Aus Anonymitätsgründen bleibt ihr Name und das Krankenhaus, in dem sie derzeit untergebracht ist, geheim, doch sie ist weiterhin bewusstlos. Nähere Informationen zu ihrem Gesundheitszustand liegen vorerst nicht vor.

Die beiden Favoriten, die Zacharias und seine Mitverbrecher stellten und schließlich die Polizei kontaktierten, lehnen jeden Kommentar ab. Gold äußerte sich besorgt ob dieser Entwicklung und sagte, er könne nicht fassen, dass ein so hoch angesehener Trainer sich Team Rocket anschließen würde. Zacharias Stray gilt inzwischen als Schwerverbrecher und wird in Kanto und Johto polizeilich gesucht. Officer Rockey betonte, dass sie keine Rücksicht auf seinen bisherigen VIP-Status nehmen und alles daran setzen werde, ihn hinter Gitter zu bringen. Auch Noah und Gold haben ihr Unterstützung zugesichert, die Favoriten Raphael Berni, Genevieve Keller und Richard Lark haben sich diesbezüglich noch nicht geäußert, doch der Schock über diesen Verrat ist ihnen anzumerken. Raphael wurde seit gestern Morgen nicht mehr gesehen und auch Richard wird in seiner Hotelsuite vermutet.

Die gute Nachricht: Bei dem Überfall auf das Pokécenter gelang es Gold und der Spezialeinheit von Officer Rockey, zwei Team Rocket Mitglieder festzunehmen. Die beiden Verbrecher werden seit dem Vorfall ununterbrochen befragt.

Zu den Ergebnissen der Championship-“

 

Raphael schaltet stumm und ich betrachte einige Sekunden lang die Gesten und Mundbewegungen des Sprechers, bevor ich den Kopf nach hinten sacken lasse und die Informationen verdaue.

Zach wird gesucht. Zach ist ein Team Rocket Mitglied. Zach arbeitet mit Mel und Teal zusammen.

Richard und Raphael haben Zach angezeigt.

„Das ist meine Schuld, oder?“, frage ich mit belegter Stimme. „Richard hatte Recht. Ich habe mich eingemischt und deswegen ist Zach aufgeflogen.“ Ich schlucke meine Tränen hinunter. Ich habe kein Recht, zu weinen. Sku schnurrt beruhigend und windet sich unter meinen Arm in meine Umarmung.

„Niemand ist schuld“, sagt Raphael, aber er klingt bitter. „Du konntest nicht wissen, wo du hinein läufst. Wir wussten es schließlich auch nicht. Es war Pech und Zach muss jetzt die Konsequenzen tragen.“

„Warum ist er überhaupt ein Rocket?“, frage ich wütend. „Er ist ein erstklassiger Trainer, was bringt ihm dieses Doppelleben?“

„Erinnerst du dich an das, was Gen und ich dir erzählt haben? Über seine Schwester?“

Ich nicke. Nicht nur seine Schwester. Caros Schwester. Ich kenne die Geschichte. Karins traurige Stimme ist tief in meine Erinnerung eingebrannt, genauso wie Caro, die mit zittrigen Händen in ihrem Blumenatelier steht und keine einzige Träne vergießt.

„Zach vermutet Team Rocket hinter dem Überfall. Es gab Gerüchte in seiner Heimatstadt und er nahm sie ernst. Richy hat versucht, ihm den Gedanken auszureden, aber es ist ihm nie gelungen, obwohl die beiden schon länger befreundet waren als wir anderen. Später lernten wir ihn dann auch kennen. Sein Hass auf Team Rocket war immer offensichtlich. Dann gewannen sie an Stärke und die Überfälle häuften sich. Er tauchte immer wieder unter und niemand wusste, wo er war oder was er machte.“ Raphael schiebt seine runde Brille nach oben. „Wir wussten nicht, was los war. Er war nie besonders gesprächig, aber das Untertauchen und von der Bildfläche verschwinden war neu. Alfred vermarktete ihn natürlich sofort als mysteriös und als Einzelgänger, das kennen die Leute von Red ja zu Genüge. Aber wir wussten, dass etwas nicht stimmt.“

„Hat er es euch gesagt? Dass er ihnen beigetreten ist?“, frage ich leise.

„Nein. Richy hat ihn einmal dabei erwischt, dass er einen Team Rocket laufen ließ, obwohl er ihn problemlos hätte einfangen können. Richard hat sich seinen Teil dabei gedacht und ihn dann darauf angesprochen. Er hat es weder zugegeben noch abgestritten.“

„Aber warum?“

„Es ist seine Mission. Er will Team Rocket von innen infiltrieren und herausfinden, wer für den Tod seiner Schwester verantwortlich ist. Seit über einem Jahr arbeitet er sich in der Hierarchie hoch, erntet Vertrauen und sucht nach den Schuldigen.“

Ich jage meine eigene Beute…“, murmele ich. Als Raphael mich fragend ansieht, winke ich ab. „Also habt ihr ihn gedeckt?“

„Wir wussten, dass er Team Rocket nicht beigetreten war, um ihnen zu helfen und ich glaube, er wusste, dass wir es wussten. Wir spielten unsere Rolle und er spielte seine.“

„Deswegen war Richy so wütend auf mich. Er hatte Angst, dass ich alles auffliegen lasse.“

„Richard und Zach hatten schon immer eine sehr merkwürdige Beziehung, aber Richard sieht sich nicht nur als sein Rivale, sondern auch als sein bester Freund. Er hätte alles getan, um seine Scharade aufrecht zu halten.“

„Aber warum habt ihr ihn dann angezeigt?“, frage ich. „Wenn ihr seine Scharade aufrecht halten wolltet.“

„Das haben wir getan, Abby.“ Raphaels Gesichtsausdruck nimmt schmerzhafte Züge an. „Wir haben seinen Traum zerstört, damit seine Mission weiterleben kann.“

„Ich komme nicht mehr mit.“

„Denk darüber nach. Mel und die anderen waren dabei. Sie wissen, dass wir Zach erkannt haben. Sie wissen nicht, dass wir längst wussten, dass er ein Team Rocket Mitglied ist. Um Team Rocket davon zu überzeugen, dass er tatsächlich auf ihrer Seite steht, mussten wir ihn anzeigen. So wie es jeder Trainer gemacht hätte, der ein neues Team Rocket Mitglied identifiziert hat. Nun glauben beide Regionen, er sei ein Verbrecher, aber das sichert seine Position innerhalb von Team Rocket. Jetzt können wir nur hoffen, dass er die Verantwortlichen findet und sich die Sache irgendwann aufklärt.“

„Das wird schwierig.“ Ich kraule Skus Kopf. „So leicht wird sich das nicht beweisen lassen.“

„Ich weiß!“ Raphael steht wütend auf und fährt sich durch die Haare. „Ich habe keine Ahnung, ob wir das Richtige getan haben! Richard ist völlig neben der Spur, Gen versucht, die Medien und Fans bei Laune zu haben, Alfreds Image hat einen Riesenschlag abbekommen und du bist über dreißig Stunden bewusstlos gewesen und ich hatte keine Ahnung, ob du bald aufwachst oder nicht…“

„Raphael…“ Ich schlage die Decke bei Seite und stehe mit wackligen Beinen auf. Raphael steht mit dem Rücken zu mir, seine Fäuste geballt. Ich lege meine Arme um seinen Körper und drücke ihn fest. „Ich werde Star-Reporterin, schon vergessen? Ich sorge dafür, dass Zachs Name reingewaschen wird. Ich versprech´s. Er wusste, worauf er sich da einlässt. Ich glaube, er ist dankbar, dass ihr ihn selbst jetzt noch unterstützt. Ohne eure Anzeige wäre seine Tarnung aufgeflogen, oder nicht? Dann wäre alles umsonst gewesen.“

Eine Weile stehen wir so da, bevor Raphael sich aus meiner Umarmung löst und mich anlächelt. „Du hast Recht. Wir haben ihm die Möglichkeit gegeben, seine Schwester zu rächen. Wenn Team Rocket besiegt wurde, können wir uns um den Rest kümmern.“

Als ich die Arme sinken lasse, zucke ich zusammen. „Ouch.“ Ich drehe den Kopf, um einen Blick auf die Wunde zu werfen, kann aber nichts erkennen.

„Ich glaube, sie haben hier irgendwo einen Spiegel.“ Raphael durchsucht das Zimmer, bis er einen Handspiegel in einer der Schubladen des kleinen Nachtschränkchens findet. Als er damit zurückkehrt, habe ich mich bereits zurück auf das Bett gesetzt.

„Lehn dich nach vorne.“

Er zieht die eine Seite meines weißen Krankenhauskittels nach unten, bis meine Schulter und ein Stück Rücken frei liegen und hält dann den Spiegel schräg. Ich spähe zur Seite.

Die Stelle, an der Arboks Gift mich getroffen hat, ist faustgroß und ausgebleicht, wie ein weißer Fleck auf meiner Haut. Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Ich vertreibe die Vorstellung von violettem, aufgeschwollenem Narbengewebe aus meinem Kopf und präge mir stattdessen den weißen Hautfleck ein, bevor ich wegschaue.

„Sieht gar nicht so schlimm aus. Warum muss ich noch so lange hier bleiben?“

„Weil wir dich im Auge behalten müssen“, ertönt eine weibliche Stimme hinter mir und ich drehe den Kopf erschrocken Richtung Tür.

Eine kugelige Frau mittleren Alters mit kurz geschnittenem, grellrotem Haar steht im Eingang, ein Klemmbrett vor ihren gewaltigen Busen gepresst. „Vergiftungen von Pokémon an Menschen sind häufiger, als man denkt, aber meist ist es nur eine kleine Dosis, die sie abbekommen. Eine Wunde dieser Größe kann Komplikationen bereiten, wenn wir dich nicht die nächsten paar Tage im Auge behalten.“ Sie lächelt mich an. „Außerdem glaube ich kaum, dass du genug Energie hast, hier einfach hinaus zu spazieren. Ich garantiere, dass du in einer Stunde schläfst wie ein Baby.“

„Als wenn…“, murmele ich gekränkt und die Schwester lacht.

„Ich bin Martha.“ Sie kommt an mein Bett und schreibt einige Werte auf, bevor sie sich an einem Infusionsschlauch zu schaffen macht, von dem ich nicht Mal bemerkt habe, dass er da ist.

„Steh bitte nicht einfach auf“, sagt sie und setzt die Nadel wieder in meine Haut. „Ich möchte dich ungern alle fünf Minuten anschließen müssen, weil du zu unvorsichtig bist.“

„Tut mir leid.“

„Auch was.“ Sie lacht. „Die Jugend vergisst schnell. Wenn es dich tröstet, es tut mir leid, dass ich dir das Turnier verderben muss. Wir würden dich nicht hier behalten, wenn wir nicht sicher wären, dass es die sicherste Alternative ist.“

„Ist schon in Ordnung.“ Ich grinse in Raphaels Richtung. „Nächstes Jahr ist sowieso wichtiger.“

„Wenn du etwas brauchst, drück einfach die Klingel.“ Martha lächelt mich warm an, dann verlässt sie mein Zimmer.

„Kannst du meine Sachen holen?“ Ich lasse mich in die weichen Kissen sinken. „Ich hätte gerne meinen PokéCom, wenn ich schon hier bin. Und mein Handy.“

„Klar.“ Raphael grinst mich tapfer an, dann verlässt er mich ebenfalls.

„Da waren´s nur noch zwei“, murmele ich leise und kraule Skus Hals. Sie brummt wohlig und knetet meine Klamotten mit ihren Krallen. „Ich muss Caroline anrufen“, sage ich. „Sie wird die Wahrheit wissen wollen. Bestimmt versucht Rockey, Infos aus ihr raus zu quetschen. Der Untergrund ist dann auch in Gefahr. Und Louis…“

Der Gedanke an Louis schnürt mir den Hals zu. Es ist der dritte Oktober. Ob er inzwischen wieder in Dukatia ist? Hat er vielleicht sogar schon den Orden? Stark genug ist er.

„Vielleicht ist es ganz gut, dass ich hier nichts zu tun habe“, sage ich schließlich und sehe Sku ernst an. „Ich habe viele Anrufe zu erledigen. Mama macht sich bestimmt Sorgen.“

Sku schnurrt zustimmend. Ich habe Marthas Versprechen für einen Witz gehalten, aber so peinlich es ist, schlafe ich ein, lange bevor Raphael mit meinem Rucksack zurückkommt.

 

Die nächsten drei Tage sind ein steter Wechsel aus Schlafen, Telefonieren und Fernsehen.

Die meisten der Kämpfe verlaufen wie erwartet, aber einige Überraschungen gibt es doch.

Marcel, der große, schüchterne Junge, der gemeinsam mit Carlos siegreich aus der Fünfergruppe hervor gegangen ist, besiegt den Publikumsliebling in einem harten Kopf an Kopf-Rennen und sichert sich so einen Platz in den Top Acht. Kerry und Martina, das Rivalenpaar, treffen im Viertelfinale aufeinander und Kerry gewinnt um Haaresbreite. Jasmina Zon gerät in ihrem ersten KO-Duell ausgerechnet an den defensiven Mark Eisenthal und steckt eine herbe Niederlage ein.

Letztendlich stehen sich im Halbfinale die vier letzten Trainer gegenüber: Mark Eisenthal, Kerry Lou, Katherina Alwig und die bisher völlig unscheinbare Chloe Falkner.

Kerry siegt über Katherina, ohne sich mit sonderlich viel Ruhm zu bekleckern, nur einer sehr unfairen Doppelteam Taktik hat er seinen knappen Sieg zu verdanken und Chloe zerstört Marks Defensive mit einem unbändigen Repertoire an Offensivstrategien. Die beiden gehen als Sieger aus dem Turnier hervor und erhalten einen Pokal sowie den eigentlichen Preis: Die Erlaubnis, innerhalb eines Jahres Noah herausfordern zu dürfen.

Wenn ich einmal nicht schlafe oder mir im Fernsehmarathon die KO-Duelle und Wiederholungen mit Raphael angucke, der mit erstaunlichem Ehrgeiz ein kleines Notizheft mit Kampfstrategien und Attacken füllt, frische ich meine Telefonkontakte auf.

Louis ist bereits auf dem Weg Richtung Teak City. Sein Kampf gegen Bianca verlief besser als erwartet, dank Harleys gekonnten Ausweichmanövern schaffte Miltank es nicht, ihre Walzerattacke aufzubauen. Als ich ihm von allem erzähle, was passiert ist, sagt er lange Zeit kein Wort mehr.

„Komm bitte zurück“, sagt er dann. „Kaum sind wir getrennt, passiert dir sowas.“

„Mit dir ist mir sowas auch schon zweimal passiert“, spotte ich, aber seine ehrliche Sorge entgeht mir nicht.

Mama weint, als ich anrufe. Sie sagt, sie wusste, dass ich es war, die im Krankenhaus liegt, sie hatte es schon die ganze Zeit im Gefühl. Selbst Papa klingt, als sei ihm bei meinem Anruf ein riesiger Stein vom Herzen gefallen und Tarik prahlt von all den jungen Trainern, die an ihm scheitern. Ich erinnere ihn daran, sie nicht zu hart ranzunehmen, aber er lacht nur und vertraut mir an, einen Plan zur Zähmung von Harpy entwickelt zu haben.

Caros Anruf schiebe ich lange vor mir her, aber nach langem Gejammer nimmt Raphael mir schließlich das Handy aus der Hand, wählt Caros Nummer und drückt mir das Telefon in die Hand. Dann setzt er sich auf seinen Stuhl und beobachtet mich wachsam. Keine Chance.

„Abby?“

„Hi, Caro.“

„Ich bin geehrt, dem Klang deiner Stimme lauschen zu dürfen.“

„Es tut mir so leid! Es ist nur so-“

„So viel passiert? Was, seid ihr wieder entführt worden?“

„Nicht ganz. Wir wurden lebendig in den Alph-Ruinen begraben und vor ein paar Tagen hat ein Pokémon mich vergiftet und mich ins Krankenhaus befördert.“

„Heilige Scheiße.“

„Kannst du laut sagen. Oh, und Louis und ich sind irgendwie… vielleicht ein Paar?“

Ich höre ihr Stöhnen. „Du bist fünfzehn, lass die Finger von allem, was einen Penis hat, bis du weißt, wie man das Ding benutzt.

„Caro!“

Sie lacht. „Scherz.“ Ich höre das Klacken ihres Feuerzeugs und den Luftstrom, als sie tief ein und ausatmet. „Warum rufst du an?“

„War in letzter Zeit die Polizei bei dir?“

„Nein, wieso?“

„Es gibt da etwas, dass du wissen solltest…“

Für mehrere Minuten rede ich, ununterbrochen von Caros Stimme. Als ich geendet habe, höre ich ein trauriges Lachen am anderen Ende der Leitung.

„Zwei Gesetzesbrecher in der Familie. Sie muss so stolz sein.“

„Er ist nicht böse, Caro, er will nur das Richtige tun!“

„Es gibt kein Richtig und Falsch, Abby. Es gibt nur Taten und Motivation. Zach weiß, was er tut. Danke für deine Warnung, ich sorge dafür, dass hier alles ruhig verläuft, wenn die Bullen kommen.“

„Dann ist gut. Grüß alle von mir.“

„Werd ich. Pass besser auf dich auf. Wenn du so weiter machst, überlebst du dieses Jahr nicht.“

„Haa… danke.“

 
 

ooo

 

„Bereit?“

„Bereiter werde ich nicht mehr.“

„Also Teak City, ja?“

Ich klammere mich in Grypheldis´ Federn fest. Raphael umschlingt mit einem Arm meine Taille, mit dem anderen greift er in Mandys Gefieder. Hunter flattert bereits ungeduldig neben uns her.

Ich hebe den Kopf und schaue in den eisig blauen Himmel. Der Sommer ist endgültig vorbei. In meine Jacke eingepackt ist der kalte Wind kein Problem, aber der Flug über halb Johto wird kalt, da bin ich sicher.

„Teak City“, stimme ich zu. Grypheldis trabt los, ihre Füße schnellen über die Straße vor dem Vertania Krankenhaus und als ich glaube, wir laufen gleich gegen ein Haus, spannt sie ihre Flügel und hebt vom Boden ab. Hunter kreischt und fliegt, mit meinem Rucksack hinterher.

Wie eine Woche zuvor umhüllt mich der eisige, dröhnende Wind und ich schreie vor Glück. Es endet, wie es begann. Und Teak City wartet auf mich.

Ich habe gehört, im Herbst soll es dort besonders schön sein. Und wer weiß. Vielleicht gerate ich auf meiner Reise einmal nicht in Lebensgefahr.

Allzu sicher bin ich da allerdings nicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Kerstin-san
2017-04-10T16:06:23+00:00 10.04.2017 18:06
Hallo,
 
awww, Raphael <3 Der hat der Beschreibung nach wohl Tag und Nacht an Abbys Krankenbett verbracht und sich wahrscheinlich die Schuld an allem gegeben und ist beinahe wahnsinnig geworden. Ich fass es trotz allem nicht, dass Abbys größte Sorge gerade das Turnier ist, dass sie verpasst. Als ob es momentan nichts wichtigeres gäbe... Puh, harter Tobak das mit Zach. Ich schätze ihm ist es ziemlich egal, er ist ja generell eher medienscheu, aber trotzdem.. Auch für Caro ist das sicherlich nur schwer zu verdauen (andererseits hört sie ja keine Nachrichten) und wie sich Rapha, Richy und Gen fühlen, die ja die Wahrheit kennen, aber nichts sagen dürfen und Zach jetzt offiziell verteufeln sollen, puh, richtig hart.
 
Abbys Mom tut mir leid. Ich meine all ihre schlimmsten Befürchtungen sind vermutlich gerade übertroffen worden, aber immerhin tobt sie nicht rum, sondern ist nur wahnsinnig erleichtert. Ich würde mir wirklich wünschen, dass Abby sich öfter mal bei ihr meldet. Sie macht sich schließlich nur wahnsinnige Sorgen (und das völlig zu Recht!)
 
Ich hoffe doch, dass Rapha Abby jetzt nicht völlig allein mit Louis zurücklässt. Gerade nach dem Zusammenstoß mit Mel wäre ich da doppelt vorsichtig.
 
Liebe Grüße
Kerstin
 
PS: Lieblingszitat: „Werd ich. Pass besser auf dich auf. Wenn du so weiter machst, überlebst du dieses Jahr nicht.“ Weise Worte von Caro^^
Von:  _Risa_
2015-08-23T15:55:48+00:00 23.08.2015 17:55
Das hat ja Abby echt nicht so toll hinbekommen. :O
Zach ist eindeutig zu verstehen und sein Plan ist ziemlich ausgeklügelt, auch das, was Richy und Raphy für ihn getan haben. Das sind tolle Freunde, die ihn anzeigen, um ihn zu schützen, wow :D Nein, ohne Sarkasmus, ehrlich jetzt.

>Wenn ich einmal nicht schlafe oder mir im Fernsehmarathon die KO-Duelle und Wiederholungen mit Raphael angucke, der mit erstaunlichem Ehrgeiz ein kleines Notizheft mit Kampfstrategien und Attacken füllt, frische ich meine Telefonkontakte auf.<
Schlau, schlau ^^

>>Louis ist bereits auf dem Weg Richtung Teak City. Sein Kampf gegen Bianca verlief besser als erwartet, dank Harleys gekonnten Ausweichmanövern schaffte Miltank es nicht, ihre Walzerattacke aufzubauen. Als ich ihm von allem erzähle, was passiert ist, sagt er lange Zeit kein Wort mehr.
„Komm bitte zurück“, sagt er dann. „Kaum sind wir getrennt, passiert dir sowas.“<<
Sorgen um die Geliebte XD

>„Nicht ganz. Wir wurden lebendig in den Alph-Ruinen begraben und vor ein paar Tagen hat ein Pokémon mich vergiftet und mich ins Krankenhaus befördert.“
„Heilige Scheiße.“<
Die Zusammenfassung der letzten Kapitel: HEILIGE SCHEISSE :D

>„Kannst du laut sagen. Oh, und Louis und ich sind irgendwie… vielleicht ein Paar?“
Ich höre ihr Stöhnen. „Du bist fünfzehn, lass die Finger von allem, was einen Penis hat, bis du weißt, wie man das Ding benutzt.“
„Caro!“<
XDD CARO! Ich liebe sie!
Antwort von:  yazumi-chan
23.08.2015 18:00
Okay, ich nehme das jetzt mal als Nicht-Sarkasmus xD Aber ja, das war ein echtes Dilemma :/ Dann wiederum hätte Abby das ganze nicht versehentlich auffliegen lassen, wenn man sie eingeweiht hätte... :P
Heilige Scheiße trifft es einfach. Caro weiß, wie sie Dinge auf den Punkt bringt xD In allen Belangen.
Antwort von:  _Risa_
23.08.2015 18:04
Ach wir wissen ja, dass der DurchschnittsIQ bei TR bei 70-80 oder sogar bei Patrick liegt :D
"Ich hab meinen Schlüssel verloren! Genau dort!"
"Hinter dem Poster ist kein Schalter, neinnein!"
Antwort von:  yazumi-chan
23.08.2015 18:07
Das war eh die beste Stelle mit dem Poster xD
Von: abgemeldet
2015-04-28T11:33:44+00:00 28.04.2015 13:33
XDDDDD Ich liebe Caro! Oh Gott, ich vermisse sie noch viel mehr als Louis, muss ich jetzt feststellen :'D Du hast so viele supersympathische Charaktere erschaffen, aber Caro hat bisher noch keiner die Krone gestohlen.

So, das Kapitel musste jetzt sein xD Morgen geht's dann an den nächsten Arc :)
Antwort von:  yazumi-chan
28.04.2015 13:35
Ohh, das freut mich und tut mir gleichzeitig leid, weil Caro so wenig Screentime kriegt >o<
Von:  Kalliope
2015-02-27T13:59:51+00:00 27.02.2015 14:59
Das hat Abby sich bestimmt auch anders vorgestellt. Also wieder zurück nach Teak City zu Louis. Irgendwann wird es wohl darauf hinauslaufen, dass Abby und Mel sich einen Kampf bis zum Ende liefern und einer der beiden dann am Boden liegt. Ich an Abbys Stelle würde jedenfalls erst einmal ein paar Trainingseinheiten einlegen, denn sie hat ja gemerkt, dass ihre Pokémon vorerst nicht stark genug für einen schnellen Sieg sind. Ob Raphael sie jetzt alleine lässt?
Antwort von:  yazumi-chan
27.02.2015 15:10
Und dabei wollte sie doch gar nicht trainieren xD Jetzt hat sie wohl keine Wahl mehr^^


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