Widerspruch
Getroffen. Da steckte es, mitten in der Markierung. Ein wenig wackelte es noch, doch das Kunai würde nicht mehr fallen.
Sasuke traf immer sein Ziel.
Mit offenem Mund wurde er von seinen etwas weiter hinten stehenden Mitschülern angestarrt. Iruka hatte sogar vergessen, sich Notizen auf seinem Klemmbrett zu machen.
Ohne auf die anderen zu achten, ging Sasuke zu dem Holzpflock und zog das Wurfmesser mit einer routinierten Bewegung heraus.
Als wären sie dadurch aus ihrer Starre befreit worden, begannen seine Klassenkameraden zu johlen.
Alle bis auf einen versteht sich.
Naruto.
Sasuke würde ihn auch weiterhin ignorieren, bevor er noch etwas Unüberlegtes tat.
Es wäre schwer, die Leiche unauffällig verschwinden zu lassen.
„Das … war sehr gut, Sasuke.“
Er nickte seinem Lehrer bloß zu und drückte dem nächstbesten Kind das Kunai in die Hand.
Mit großen Augen blickte der Junge auf die Waffe und schluckte.
Er würde sie das erste Mal tatsächlich benutzen müssen.
Eigentlich sollte es auch für Sasuke das erste Mal sein.
Die Schulglocke war gerade verklungen, als Iruka gesagt hatte, dass sie die restlichen Stunden am Trainingsplatz verbringen würden. Eine Premiere.
Viele waren ganz euphorisch gewesen, mache auch ein wenig skeptisch. Sasuke hatte man keine Emotion ansehen können, was wohl nicht allzu verwunderlich gewesen war.
Für den Klassenlehrer war das ein Zeichen dafür gewesen, dass der junge Uchiha bereits die ein oder andere Stunde mit dem Kunaiwerfen verbracht haben musste, weswegen er ihn auch als ersten sein Können hatte zeigen lassen.
Das Resultat war eindeutig gewesen.
Der Junge warf besser als er.
Eine Herde von Fangirls flankierte Sasuke nun, allen voran Ino und Sakura.
Sie drängten sich dicht an seine Seite, weswegen er sie von sich wegschieben musste. Die beiden Mädchen schienen sich nicht im Geringsten daran zu stören.
„Du kannst nachhause gehen, Sasuke.“
Mit einem Mal war es still.
„A – Aber, Sensei!?“
Sakura wirkte verwirrt. Den übrigen Schülern erging es ähnlich.
Irukas Gesichtsausdruck war nicht zu deuten.
„Sasuke beherrscht den Umgang mit Kunai bereits. Er würde sich nur langweilen, wenn er hierbleiben müsste.“
Darauf wusste niemand etwas zu erwidern.
Erst das Geräusch von Sasukes Schritten durchschnitt die plötzliche Ruhe.
„Sag deinen Eltern, sie sollen so bald wie möglich zu mir kommen.“
Sasuke drehte sich nicht um.
Blicke folgten ihm, bis er um die nächste Ecke gebogen war.
Er war ein Fehler gewesen. Ein Knautschen. Steine unter seinen Nin-Sandalen.
Er hätte sich besser zurückhalten müssen, dessen war Sasuke sich bewusst.
Schon im Vorhinein war er ein wenig besorgt darüber, wie er seine Fähigkeiten verbergen sollte.
Als Ninja war es wichtig, Stärke zu zeigen und nicht, sie zu verbergen.
Etwas so Triviales wie das Werfen eines Kunai mit Absicht zu vergeigen, widersprach seinem Wesen. Er konnte es gar nicht mehr, so oft wie er diese Wurfmesser schon benutzt hatte.
Aber vielleicht war es gar nicht so schlimm, wie es jetzt den Anschein hatte. Vielleicht würde er das Ganze noch zu seinen Gunsten wenden können.
Seine Mundwinkel wanderten ein wenig nach oben.
Das würde interessant werden.
„Sasuke?“
Fugaku.
Er blieb stehen.
Die Hände in den Hosentaschen vergraben, drehte er sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
Das Oberhaupt der Uchiha stand da, aufrecht, erhaben, die Konohaweste und Stirnband tragend; Sein Blick kälter als Eis.
„Was machst du hier? Warum bist du nicht in der Akademie?“
Die Augen, in die der Ältere sah, waren ohne jeglichen Funken von Emotion.
Für einen kurzen Moment verlor Fugaku sich in ihnen und glaubte, jemand anderes würde vor ihm stehen, jemand, der viel älter war als sein Sohn und schon alle Schrecken dieser Welt gesehen hatte, jemand, der abgeklärt war.
Irgendwie wollte das nicht zu dem Sasuke passen, den er kannte, doch auf eine perverse, ihm völlig unverständliche Art und Weise dann doch.
Nur selten wagte der Jüngere es, seinen Blick so offen zu erwidern. Seine Körperhaltung wirkte aufrechter, aber auch so, als ob er eine Last tragen würde.
Der Junge war ein einziger Widerspruch.
Was war nur im Wald vorgefallen?
„Iruka hat mich weggeschickt.“
Fugaku schreckte unmerklich auf.
War er wirklich so abwesend gewesen? Augenblicklich war er wieder bei der Sache.
„Ich soll sagen, dass du und … Mama zu ihm kommen sollt.“
Das Stocken war ihm gar nicht aufgefallen.
Fugakus Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Weshalb?“
Die Drohung dieser Frage war mehr als deutlich zu vernehmen.
Sasuke zuckte nur mit den Schulten.
Erlaubte der Junge sich etwa einen Spaß mit ihm?
Fest packte er ihn am Arm.
„Wir gehen.“
Noch ehe er diesen kurzen Satz zu Ende gesprochen hatte, war er bereits mit großen Schritten vorausgegangen, wobei er Sasuke mit sich zog.
Er merkte gar nicht, wie die Mundwinkel seines Sohnes sich ein wenig nach oben zogen.
Wenn, dann hätte er nämlich gewusst, dass es nie etwas Gutes bedeutete, wenn ein Uchiha lächelte.
Erst die Zukunft sollte zeigen wie fatal dies im Falle Uchiha Sasukes sein sollte.
Einer Zukunft, die so düster war, dass nicht einmal die Schwärze seiner Augen sie an Dunkelheit übertreffen konnte.